Christliche Kunst in Bulgarien 

Assen Tschilingirov

 

V. Osmanische Herrschaft und Ausklang (Ende des 14. bis Ende des 18. Jh.)

   - Die Zeit   72

   - Architektur  75

   - Malerei  75

   - Kunsthandwerk  79

   - Buchmalerei  79

   - Holzplastik  79

 

Zeichnungen:

 

o  Damians-Prologion, 14./15.Jh. Akademiebibliothek Sofia, BAN 14, Initialen  72

o  Evangeliar, Westbulgarien, 1587. Nationalbibliothek Sofia, SNB 67, Zierleiste fol. 1  73

o  Evangeliar, Westbulgarien, 16. Jh. Nationalbibliothek Sofia, SNB 51, Zierleiste fol. 49  73

o  Batschkovo-Kloster, Katholikon, 1603. Längsschnitt und Grundriß  74

o  Mariza, Nikolaoskirche, 16. Jh. Grundriß  75

o  Dragalevzi-Kloster, Klosterkirche, Westfassade, Fresken vom Ende des 15. bis Anfang des 16. Jh.  77

o  Batschkovo-Kloster, Refektorium, Anfang des 17. Jh. Längsschnitt und Grundriß  78

o  Rila-Kloster, Katholikon, Kapelle des hl. Ivan von Rila, Ikonostasis des alten Katholikons, 1785. Rekonstruktion  81

 

 

V. Osmanische Herrschaft und Ausklang

(Ende des 14. bis Ende des 18. Jh.)

 

 

Die Zeit

 

Die osmanische Eroberung des Balkans leitete eine neue Entwicklungsphase in der Geschichte der christlich-orthodoxen Kunst Südosteuropas ein, die man als postbyzantinisch zu bezeichnen pflegt. Nachdem bereits im 13. Jahrhundert die Herausbildung nationaler Besonderheiten durch den Antagonismus zwischen der byzantinischen Metropole und den von Konstantinopel entfernten Schulen der einzelnen Feudalstaaten zum Abschluß gelangte, entstanden nunmehr Voraussetzungen zu einer Angleichung in Stil, Ikonographie und Technik der christlichen Kunst innerhalb des weit ausgedehnten Osmanischen Reichs. Dennoch brachte der Machtwechsel keine Lösung der schwerwiegenden politischen und sozialen Probleme und Gegensätze der in zahlreiche Fürstentümer zerfallenen Balkanstaaten mit ihrem in sich gespaltenen geistigen Leben. Die Stelle der Feudalherren nahmen die türkischen Spachis ein, die als uneingeschränkte Herrscher über das Leben und Gut der Leibeigenen ihrer Ländereien verfügten. Die religiösen Unterschiede von Christentum und Islam taten das ihre, die ohnehin schweren ethnischen und sozialen Widersprüche weiterhin zuzuspitzen, bis schließlich zwischen dem Volk und seinen Eroberern eine unüberbrückbare Kluft entstand.

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Damians-Prologion, 14./15.Jh. Akademiebibliothek Sofia, BAN 14, Initialen

 

 

In anderer Weise gestaltete sich das Verhältnis zwischen dem Volk und den Vertretern der orthodoxen Kirche. Der Hochklerus mußte auf seinen privilegierten Status verzichten und verlor seine Reichtümer. Angesichts der gemeinsamen Gefahr verschwanden die auf dem einstigen kirchlichen Machtanspruch beruhenden Gegensätze zwischen Kirche und Volk. Kirche und Religion wurden zu einem Synonym für Nation und Widerstand gegen fremdgläubige Herrschaft. Das Gotteshaus verwandelte sich aus der Stätte des zeremoniellen Rituals zu einem Ort, an dem die unterdrückte Gemeinde Trost finden konnte. Die Demokratisierung der kirchlichen Institution bewirkte auch eine Demokratisierung der kirchlichen Kunst. Auf die neuen Gegebenheiten reagierten sowohl die Malerei als auch die Plastik mit ihrer im Vergleich zum Mosaik wesentlich größeren Verständlichkeit und Gegenständlichkeit, die ihnen eine stärkere Wirklichkeitsbeziehung gab.

 

Infolge der Ausrottung und Vertreibung der bulgarischen Intelligenz, darunter auch der hervorragendsten Künstler, entstand eine Lücke, die erst durch mehrere nachwachsende Generationen geschlossen werden konnte. Dennoch brachte die Fremdherrschaft das kulturelle Leben der Bulgaren nicht vollkommen zum Erliegen. Wenn auch die Kunst nach ihrer bereits im 14. Jahrhundert unterbrochenen Entwicklung das Niveau der vorangegangenen Epoche nicht wieder zu erreichen vermochte, unterstreicht doch eine ganze Reihe in den ersten zwei Jahrhunderten der Fremdherrschaft geschaffener Werke, daß die schöpferische Kraft des Volkes trotz der überaus ungünstigen Bedingungen nicht völlig versiegen konnte.

 

Die Vernachlässigung dieser Kunstepoche durch die Forschung ließ zugleich ein verzerrtes Bild ihrer künstlerischen Äußerungen entstehen. Hinzu kommt, daß die überwiegende Zahl der Denkmäler, durch spätere Eingriffe entstellt, noch auf ihre Konservierung oder Freilegung und Reinigung wartet. Die Restaurierung der bedeutendsten Kunstdenkmäler des 15. bis 18. Jahrhunderts ist seit mehreren Jahren in Angriff genommen worden. Die wenigen bereits konservierten Denkmäler werden jedoch erst allmählich durch die Forschung erschlossen, wobei abschließende Erkenntnisse bis jetzt nur von einigen vorliegen.

 

Die Folgen der osmanischen Besetzung machen sich am deutlichsten in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bemerkbar. Aus dieser Zeit sind kaum Kunstdenkmäler erhalten geblieben. Die Werkstätten, die für den Zarenhof, die Feudalherren und die Kirche tätig waren, blieben ohne Aufträge, und ihre Meister, die die Eroberungskriege überlebt hatten, wanderten nach Serbien, Rumänien und Rußland aus.

 

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Nur wenige Klöster blieben als Pflegestätten der Kultur und Kunst übrig und bewahrten die Tradition.

 

Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts, als sich die kriegerischen Auseinandersetzungen in die Gebiete westlich Bulgariens verlagerten, regte sich wiederum künstlerisches Leben, das sich allerdings meistens auf die Wiederherstellung und Sanierung der zerstörten Kirchen und Klosteranlagen sowie deren Ausmalung beschränkte. Zu einer nachhaltigen Belebung der Bautätigkeit kam es erst später, als in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts das Verbot, christliche Kirchen zu errichten, vorübergehend aufgehoben wurde. Allein in der Diözese von Sofia führte dies, zeitgenössischen Berichten zufolge, zur Errichtung und Wiederherstellung von mehr als 300 Dorf- und Klosterkirchen. Doch schon hundert Jahre danach setzte im Zusammenhang mit dem für die Türken ungünstigen Kriegsverlauf in Mitteleuropa eine neue Welle von Verfolgungen der christlichen Bevölkerung ein. Mitte des 17. Jahrhunderts erfolgte die zwangsweise Islamisierung des gesamten Gebietes der Rhodopen, was nach einer Chronik zur Vernichtung sämtlicher christlicher Bauten - 218 Kirchen und 33 Klöster - zwischen Assenovgrad und Kostenez führte. Nach dem mißlungenen Aufstand von Tirnovo (1683) wurden weitere 250 Kirchen nördlich des Balkans zerstört.

 

Die schwere Wirtschaftskrise, die das Osmanische Reich seit dem Ende des 17. Jahrhunderts erschütterte, beeinträchtigte jegliche Kunst- und Bautätigkeit, wenige Klöster ausgenommen. Erst in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, als sich zusammen mit einer Wiederbelebung der Wirtschaft die Bewegung für die Befreiung Bulgariens anbahnte, bildeten sich wiederum einige lokale Kunstschulen, und die Bautätigkeit belebte sich erneut, sprengte jedoch bald die Rahmen der kirchlichen Kunst und entfaltete sich im Zeichen der nationalen Wiedergeburt, das allmählich im Laufe des 19. Jahrhunderts jeder Kunsttätigkeit eine weltliche Prägung verlieh.

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Evangeliar, Westbulgarien, 1587. Nationalbibliothek Sofia, SNB 67, Zierleiste fol. 1

 

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Evangeliar, Westbulgarien, 16. Jh. Nationalbibliothek Sofia, SNB 51, Zierleiste fol. 49

 

 

Während der Zeit der osmanischen Herrschaft traten die Klöster auf dem Berge Athos als ein neues Zentrum der christlich-orthodoxen Kunst in Erscheinung, das der ganzen Balkanhalbinsel sowie den ägäischen Inseln, der Walachei und der Moldau entscheidende Impulse vermittelte. Gleichzeitig erweiterten sich die Beziehungen zwischen den einzelnen Lokalschulen und führten allmählich zu ihrer Verschmelzung. Die Künstler waren - wenigstens in den ersten Jahrhunderten der osmanischen Fremdherrschaft - nicht mehr an bestimmte Wirkungsstätten gebunden und in ihrer Tätigkeit von den Grenzen der ehemaligen Feudalstaaten eingeengt. So ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Bau- und Bildwerken weit entfernter Gebiete festzustellen, wie zwischen den Wandmalereien des Verklärungs-Klosters auf den Meteoren (1483), der Nikolaoskirche der Nonne Eupraxie in Kastoria (1486), der Niketaskirche in Čučer bei Skopje und des Klosters Treskavec bei Bitolja (1483-86), des Kremikovzi-Klosters (1493 und kurz nach 1500) (Abb. 165 bis 168) sowie des Poganovo-Klosters (1500) oder zwischen den Kirchen in Arbanassi und den rumänischen Kirchen des 17. Jahrhunderts. Die nebeneinander wirkenden Künstler glichen ihre technischen, ikonographischen und stilistischen Eigenarten an. Nur Südwestbulgarien blieb bis ins 17. Jahrhundert ein Reservat der frühchristlichen ikonographischen Tradition, doch setzten sich dann auch hier nach und nach, wie im gesamten orthodoxen Gebiet Südosteuropas, die auf dem Athos entstandenen neuen Typen und Schemata durch.

 

Obgleich für eine Reihe von Bildwerken, wie die Bemalung des Refektoriums und des Narthex im Katholikon des Batschkovo-Klosters, des Roshen-Klosters, (Abb. 210 bis 214, 217-240) der Stephanoskirche in Nessebar und der Theodorenkirche in Dobarsko (Abb. 202 bis 209, 194, 195, 285-287), eine unverkennbare Beziehung mit den gleichzeitigen Werken der athonitischen Kunst besteht, wogegen zahlreiche Dorf- und Klosterkirchen in Westbulgarien und Makedonien (Abb. 191) volkstümlich-lokale Besonderheiten zeigen, näherten sich allmählich die verschiedenen Kunstauffassungen, wie die Ikonographie und der Stil, in dem Maße an, daß sich die Unterschiede überwiegend nur noch in der Begabung und in den ungleichen Stufen technischen Könnens äußern.

 

Die Angleichung der künstlerischen Auffassungen stellt jedoch einen komplizierten wechselseitigen Prozeß dar, bei dem die Rolle der Athosklöster nicht überschätzt werden darf. Ihre Anregungen beziehen sich oft lediglich auf die Ikonographie und lösen sich in der Vielfältigkeit stilistischer Eigenarten der mit dem Berge Athos verbundenen Künstler auf. Sie ließen auch allmählich an Intensität nach, während gleichzeitig die Kunst des Athos immer stärker abendländischen Einflüssen unterlag und

 

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andererseits vieles von der Unmittelbarkeit und Frische der urwüchsigen Volkskunst aufnahm, die auch die gesamte Kunsttätigkeit des Balkans geprägt hat.

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Batschkovo-Kloster, Katholikon, 1603. Längsschnitt und Grundriß

 

 

Für die bulgarischen Gebiete selbst kristallisierten sich kein Kunstzentrum und keine Lokalschule heraus, die für ein bestimmtes Territorium Bedeutung erlangt hätten. Außer der Balkanstadt Čiprovci, die bis zu ihrer totalen Zerstörung nach dem mißlungenen antitürkischen Aufstand vom Jahre 1688 einen Mittelpunkt der Goldschmiedekunst im 16. und 17. Jahrhundert bildete und über die ganze Halbinsel bis nach der Walachei und Makedonien wirkte, handelt es sich meistens um Gruppierungen von Künstlern, die mit dem vorübergehenden wirtschaftlichen und geistigen Aufschwung einiger Städte, wie beispielsweise Sofia - dem »kleinen Athos« - im 15. und 16. Jahrhundert, Nessebar und Arbanassi im 17. und frühen 18. Jahrhundert, verbunden sind. Das hervorragendste Gegenbeispiel bildet das weit ausgedehnte Wirken des Malers Pimen Zografski. Über das umfangreiche Schaffen des von der orthodoxen Kirche heiliggesprochenen Künstlers sind wir jedoch hauptsächlich durch hagiographische Quellen unterrichtet, während sein ihm sicher zugeschriebenes Œuvre noch unzureichend erforscht ist. Die Kunsttätigkeit bewahrt weitgehend ihre Vielfalt, ohne sich zu verselbständigen und eine eigene Prägung zu erlangen. Erst in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts entstanden die Schulen von Trjavna und Samokov, deren Künstler aus der Anonymität heraustreten und deren Werke die Züge individuellen Schaffens tragen,

 

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obgleich mit bestimmtem folkloristischem Charakter. Daneben ist eine Konzentration des Kunsthandwerks - hauptsächlich der Kunststickerei, aber auch der Buchmalerei und der Kleinplastik - in bestimmten Klöstern zu beobachten. Klöster wie das Dragalevzi-, Tscherepisch-, Batschkovo- und Rila-Kloster entwickelten sich außerdem gleichzeitig zu bedeutenden Zentren einer Bildung und Kultur, die immer mehr weltliche Züge annimmt und sich im 19. Jahrhundert vom Religiösen löst.

 

 

Architektur

 

Während die bulgarische profane Holzbaukunst in der Zeit der osmanischen Herrschaft ihre Blüte erlebte - die Bauten von Sheravna, Koprivschtiza und mehreren anderen Balkanstädten mit ihrer prachtvollen Innenausstattung und reichgeschnitzten Holzdecken zählen zu den bedeutendsten Leistungen der Volkskunst -, stagnierte die christliche Architektur und wiederholte altbekannte Bautypen. Die Hauptursache liegt im Verbot der türkischen Behörden, christliche Monumentalbauten zu errichten, das erst 1839 endgültig aufgehoben wurde. Baugenehmigungen wurden nur für die Wiederherstellung älterer Kirchen in ihren ursprünglichen Ausmaßen erteilt. Ausnahmen bilden der erweiterte Neubau des Katholikons im Batschkovo-Kloster (1603) (Abb. 201) sowie Bauten aus der kurzen Zeitspanne zwischen dem letzten Drittel des 16. und dem Beginn des 17. Jahrhunderts, als die Errichtung kleinerer Dorf- und Klosterkirchen gestattet wurde, die jedoch nicht geräumiger und höher sein durften als die Bauernhäuser.

 

Die zu dieser Zeit gebauten Kirchen sind fast ausschließlich kleine gewölbte, einschiffige Hausteinbauten, deren Länge mit der Apsis meistens zwischen 4 und 8 m beträgt. In den Klöstern tritt dieser Bautypus häufig mit einer oder zwei seitlichen Sängerkonchen sowie in einzelnen Fällen mit später hinzugefügtem Narthex auf. Als eine sehr verbreitete Variante entstanden um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert in Südwestbulgarien und Makedonien Dorf- und Klosterkirchen (Abb. 180), deren Gewölbeansatz an der westlichen und seltener an der östlichen Fassade als Bogen mit Lisenen sichtbar wird. Eine Besonderheit für die Kirchen von Arbanassi bei Veliko Tirnovo (Abb. 250) bilden die Neben-und Vorräume für die Frauen, die als geschlossene, vom Narthex wie vom Naos zugängliche Innengalerien erscheinen. Der bereits während der vergangenen Phase vorherrschende athonitische Typus der Klosterkirche mit Kuppel, Sängerkonchen und geräumigem Narthex wird ohne Veränderungen (das Katholikon des Batschkovo-Klosters) (Abb. 201) beibehalten wie auch die Hallenkirche mit einem oder drei Schiffen und gemeinsamem Satteldach (das Katholikon des Roshen-Klosters, die Metropolitenkirche in Samokov). Der letztgenannte, besonders ab Ende des 18. Jahrhunderts verbreitete Bautypus zeigt eine für die Ära der bulgarischen nationalen Wiedergeburt charakteristische Rezeption der modifizierten spätantiken Pseudobasilika mit Westemporen. Für die Klöster sind die mehrgeschossigen Zellenkomplexe aus Fachwerk typisch, die den Klosterhof von allen Seiten umgeben und sich durch Galerien und Außentreppen zum Katholikon hin öffnen (Batschkovo-, Rila- und Roshen-Kloster), sowie die Refektorien - langgestreckte, gewölbte Hallen mit einer oder zwei Apsiden an der West- und Ostseite (Batschkovo- und Roshen-Kloster) (Abb. 211). Sorgfältige Quaderbauten, die mit der vollendeten technischen Ausführung der von bulgarischen Meistern gebauten zeitgenössischen türkischen Moscheen auf dem Balkan konkurrieren können, kommen nur höchst selten vor (das Katholikon des Batschkovo-Klosters). Auf eine Außenverzierung wird grundsätzlich verzichtet. Verhältnismäßig selten finden sich in den Tympana über den einfachen Westportalen Wandbilder oder flüchtig ornamentierte beziehungsweise figurale Reliefs in einer schlicht volkstümlichen Ausführung. Hin und wieder werden die Westfassaden von kleinen Dorf- und Klosterkirchen verputzt und bemalt, wobei meistens das Jüngste Gericht, neben Stiftern und Kirchenpatronen, dargestellt ist.

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Mariza, Nikolaoskirche, 16. Jh. Grundriß

 

 

Malerei

 

Bei der Innenausstattung der Kirche spielt die Wandmalerei weiterhin eine zentrale Rolle. Das Bildprogramm des 14. Jahrhunderts wird weitgehend vereinfacht: In der Apsis erscheint fast ausnahmslos die Gottesmutter Platytera; die untere Zone nehmen die Ganzfiguren der zelebrierenden Kirchenväter (an der Ostwand und an der Nord- und Südwand im Altarraum) sowie die Vision des heiligen Petrus von Alexandrien ein; gelegentlich kommt dazu die Apostelkommunion und in den späteren Bauten die Himmlische Liturgie vor. Die Zahl der als Ganzfiguren oder in Medaillons in der zweiten Zone im Naos dargestellten Heiligen beschränkt sich auf die wichtigsten Märtyrer und Patrone der verbreitetsten Gewerbe und Berufe, wie die Heiligen Georg, Demetrios, Theodoros und die Ärzte Panteleimonos, Kosmas und Damianos. An der Nordwand, unmittelbar neben der Ikonostasis, befindet sich die Deesis und an der Südwand das Bildnis des Kirchenpatrons; an der Westwand haben die Darstellungen der Heiligen Konstantin und Helena sowie des Seelenbeschützers, des Erzengels Michael, und Medaillons der heiligen Frauen ihren Platz; in den Klosterkirchen treten an dieser Stelle noch die heiligen Einsiedler hinzu.

 

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In der dritten Zone, über den Ganzfiguren und den Medaillons, werden die Festszenen mit eingeschlossenem Passionszyklus meistens in einer Reihe dargestellt, wobei - wie schon von jeher - am Triumphbogen die Verkündigung an Maria, an der gegenüberliegenden Westwand Mariä Himmelfahrt (Koimesis) und darüber die Verklärung Christi erscheinen. Das Gewölbe beherrschen große Medaillons mit den verschiedenen Christusbildern - Pantokrator, Emmanuel, Alter der Tage, Engel des Großen Rates und Christus in der Glorie -, seltener auch Großmedaillons mit Darstellungen der Hetoimasie, der Gottesmutter Hodegetria und Johannes’ des Täufers, die alle sehr oft von zwei Medaillonfriesen mit Prophetenbildnissen eingefaßt werden. Der hin und wieder vorkommende Narthex wird meistens mit Szenen der ökumenischen Konzilien, des Alten Testaments und der Vita des Kirchenpatrons sowie den Bildzyklen der Wurzel Jesse und des Akathistos-Hymnos, später auch der Apokalypse ausgeschmückt; dasselbe Bildprogramm findet sich auch in den Refektorien.

 

Mit der immer breiteren Anwendung der Temperafarben bei der Ausmalung der Kirchen verringern sich die Unterschiede in Stil und Technik zwischen Monumental-, Miniatur- und Tafelmalerei. Diese Angleichung beruht auch darauf, daß dieselben Künstler ganz unterschiedliche Arbeiten wie die Verzierung der liturgischen Bücher, das Malen von Ikonen und die Ausstattung der Kirchen mit Wandmalereien und Holzschnitzereien übernehmen.

 

Bei dem Umfang der Kunsttätigkeit sind generelle Aussagen über die Stilentwicklung im bulgarischen Gebiet innerhalb einer so langen Zeitspanne nur bedingt möglich. Auch führt die Entwicklung durchaus nicht geradlinig und konsequent zu bestimmten Formen und verfolgt nicht immer die gleichen Ziele. So wird der narrative und betont plastische Stil des späten 15. Jahrhunderts, der eine starke naturalistische Prägung hat und zuweilen als volkstümliche Färbung des palaiologischen Klassizismus erscheint, von einem dekorativen und abstrakten graphischen Stil im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts abgelöst, dessen mystische Strenge kaum Parallelen in der Vergangenheit kennt und teilweise den Höhepunkten des frühchristlichen Expressionismus nahekommt. Denkmäler dieses Stils finden sich gleichermaßen in der Monumentalwie in der Miniatur- und Ikonenmalerei und treten sowohl in den Zentralgebieten (Veliko Tirnovo) (Abb. 190) als auch im äußersten Südosten des Landes (Bulgarovo) (Abb. 196) und in der traditionsbedingten Kunst Südwestbulgariens (die erste Bemalung der Kirche in Mariza) (Abb. 182, 183) auf. Die Figuren sind gekennzeichnet durch strenge Haltung, langgestreckte Proportionen und starre Blicke, außerdem charakterisiert sie eine tiefe Verdunklung des Inkarnats der Gesichter. Es wird eine extrem kontrastierende Wirkung zwischen den dichten, breit aufgetragenen Schatten des Gesichtsovals, oft aus reiner Umbra, und den durch breite helle Flecken aus Ocker mit Weiß betonten konvexen Teilen erzielt, die sehr dekorativ, aber zugleich außergewöhnlich dramatisch ist. Die großen und einheitlichen Farbflächen gehen unmittelbar ineinander über, wobei der Kontrast

 

zwischen Hell und Dunkel noch durch intensive Komplementärfarben gesteigert wird. Diese bewußt dramatisch gestalteten Effekte sind vor dem Hintergrund einer in den athonitischen Klöstern beheimateten mystischen Strömung dieser Zeit zu sehen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts birgt die Neigung zur Abstraktion die Gefahr in sich, mittels einer erstarrten Stilisierung das Bild in ein Schema zu verwandeln (Abb. 196). Die Ikonen des Pantokrators aus Bulgarovo (Abb. 270) und der Apostel Petrus und Paulus aus Thrakien sind nicht sehr weit von solchen Übertreibungen entfernt, obgleich ihre Meister hohe Begabung zeigen und das Handwerkliche überaus gut beherrschen.

 

 

Auf den streng graphischen Stil folgt im 17. Jahrhundert wiederum ein dekorativ-plastischer Stil, dessen Ursprünge in der von der italo-byzantinischen Malerei stark beeinflußten Kunst vom Berge Athos zu suchen sind. Der spätathonitische Manierismus wirkt bis ins 18. Jahrhundert auf die bulgarische Monumental- und Ikonenmalerei ein und vermittelt zugleich die neuen Tendenzen zur Säkularisierung der christlich-orthodoxen Kunst, die ab Ende des Jahrhunderts deutlich hervortreten.

 

Unabhängig von diesem Stilwandel bewahren die südwestlichen Gebiete Bulgariens während des ganzen späten Mittelalters eine starke Bindung an die Tradition in Stil und Technik, die man an einer Reihe von Denkmälern der Monumentalmalerei, wie des Demetrios-Klosters bei Boboschevo (1488), der Dorfkirchen in Mariza (Ende des 16. Jh.) (Abb. 184 bis 189) und Mala Zarkva sowie der Klosterkirchen in Alino und Seslavzi (Anfang des 17. Jh.), verfolgen kann. Neben mehreren ikonographischen Typen der frühchristlichen Kunst findet man auch eine Wiederbelebung der frühchristlichen Formensprache.

 

Die jüngste Forschung hält eindeutig das 17. Jahrhundert für die interessanteste, entscheidende Entwicklungsperiode der Monumental- und Ikonenmalerei innerhalb der postbyzantinischen Epoche, was die Einführung neuer Kunstmittel und Typen sowie die Mannigfaltigkeit der Stilrichtungen betrifft. Zu dieser Zeit dringen neue stilistische Tendenzen in die Malerei ein, gespeist von schöpferisch-volkstümlichen Kräften, die sich in dem Streben nach dekorativer Stilisierung der Form, der Vorliebe für kräftige Farben und der Darstellung lebendiger, von stürmischer Dynamik erfüllter Gestalten bemerkbar machen. Das Volkstümliche gewinnt nicht nur in dem realistischen szenischen Beiwerk, sondern auch in den eng mit dem Volksepos verbundenen phantasievollen Kompositionen und deren Details immer mehr an Gewicht. Die zunehmende Neigung zum Dekorativen führt gleichzeitig zur Anwendung reliefierter Verzierungen aus Stuck für die Wandmalereien (Narthex des Katholikons vom Batschkovo-Kloster) (Abb. 208) und geschnitzter Formen oder bemalter Ornamente für den Hintergrund der Ikonen und deren Rahmen. Ein sprechendes Beispiel für diese neue Strömung ist die Ikone des heiligen Demetrios aus Veliko Tirnovo (1617) (Abb. 259): Die elegante Silhouette des roten Rosses zeichnet sich eindrucksvoll vor dem ornamentierten goldenen Hintergrund ab;

 

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der intensiv grüne Mantel des Heiligen und die grüne Erde betonen die Wirkung der auf Harmonie und Kontrasten der Komplementärfarben aufgebauten Komposition.

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Dragalevzi-Kloster, Klosterkirche, Westfassade, Fresken vom Ende des 15. bis Anfang des 16. Jh.

 

 

Die Ikonen aus Vraza, Beltschin und Teteven (Abb. 247, 248) lassen erkennen, daß ornamentale Verzierung, dekorativer Aufbau der Komposition und Stilisierung (Abb. 273) keine lokal begrenzten Erscheinungen sind und unabhängig von den Unterschieden in der Behandlung der Formen auftreten, die sowohl plastisch modelliert als auch zuweilen betont graphisch erscheinen.

 

Einem Wandel ist auch die Ikonographie unterworfen, wobei sich drei Entwicklungslinien unterscheiden lassen. Eine Gruppe von Denkmälern, wie die Ausmalung des Demetrios-Kloster bei Boboschevo (1488) und des Metochion Orliza (1491), lehnt sich enger an die Tradition, besonders an die Kunst des 14. Jahrhunderts, an. Im Festhalten an der künstlerischen und ikonographischen Überlieferung der Vergangenheit drückt sich oft eine instinktive Reaktion aus, die das Nationalbewußtsein gegenüber dem Anspruch der Fremdherrschaft verteidigen will. Am deutlichsten spricht diese Tendenz aus den Werken der italo-griechischen Maler des 16. und 17. Jahrhunderts, die der byzantinischen hauptstädtischen Kunst des 14. Jahrhunderts besonders nahestehen und großen Anklang bei der Bevölkerung der ganzen Balkanhalbinsel finden. Die Bewahrung der Tradition und eine Rezeption der Kunst des 14. Jahrhunderts läßt sich auch an einigen Ikonen belegen, die bis vor kurzem die Forscher irregeführt haben und um zwei Jahrhunderte zu früh datiert wurden. Es sind in erster Linie die Ikonen Krönung des heiligen Georg, Gottesmutter Pantobasilissa aus Sosopol und Gottesmutter Kecharitomeni aus Bulgarovo, die im späten 16. Jahrhundert entstanden sein dürften. Mit Ausnahme der Georgsikone stammen alle Ikonen dieser Gruppe aus den Städten am Schwarzen Meer. Diese Städte pflegten im 16. und 17. Jahrhundert immer noch Handelsbeziehungen mit den griechischen Inseln, dem Athos und den italienischen Republiken. Ihre bulgarisch-griechische Bevölkerung, die ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit besaß, beeinflußte mit verfeinertem Geschmack die von ihr gestifteten Kunstwerke.

 

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Batschkovo-Kloster, Refektorium, Anfang des 17. Jh. Längsschnitt und Grundriß

 

 

Die erhaltenen Wandmalereien in den Kirchen von Nessebar, wie der Stephanoskirche (1599) (Abb. 191), der Erlöserkirche (1609), der Klimentkirche (Anfang des 17. Jh.) (Abb. 268) sowie aus der nicht mehr bestehenden Alten Georgskirche (1704), bezeugen die rege Kunsttätigkeit der lokalen Werkstätten, denen auch eine Reihe großer Ikonostasisikonen im Nationalmuseum Sofia zuzurechnen sind.

 

Die zweite Entwicklungslinie in der Ikonographie ist stärker von abendländischen Elementen durchsetzt, die durch italo-byzantinische Künstler und ihre Werke seit dem Ende des 15. Jahrhunderts Eingang auf dem Balkan gefunden zu haben scheinen (die Wandmalerei im Poganovo-Kloster, 1500). Die dritte Entwicklungslinie basiert hingegen, wie die zeitgenössische bulgarische Literatur, auf der volkstümlichen Formensprache und führt zur Entstehung eines naiven Naturalismus, dessen Ansätze in vereinfachten und im Sinne allgemeiner Verständlichkeit uminterpretierten ikonographischen Schemata mit zahlreichen folkloristischen Einschüben bestehen. Die ersten Ansätze dieser Richtung sind an Ikonen des 17. Jahrhunderts aus dem Prissovo-Kloster und aus Veliko Tirnovo (Abb. 274, 275) zu beobachten, die eine echt volkstümliche Gestaltung zeigen. Die kleinen stämmigen Figuren mit großen Köpfen, gerunzelten Gesichtern und grotesken Bewegungen sind Ausdruck eines naiven Primitivismus, der nunmehr auf die Ikonen übergreift und ihnen den Reiz unmittelbarer Lebendigkeit verleiht. Das Wunderbare und Märchenhafte verschmilzt in einzigartiger Weise, wie bei der Ikone des heiligen Georg mit Vitenszenen (1684) (Abb. 281), die auf den Betrachter eine völlig neue Wirkung auszuüben vermag.

 

Trotz der stilistischen Annäherung der einzelnen Künstler zeigen sich bedeutende Unterschiede in der künstlerischen Qualität. Der Schönheit der Malereien im Naos der Kirche des Kremikovzi-Klosters (1493) (Abb. 165 bis 168), des Poganovo-Klosters (1500) (Abb. 173), der Petrus-und-Paulus-Kirche in Veliko Tirnovo (16. Jh.) (Abb. 210 bis 214) sowie des Narthex des Katholikons und des Refektoriums im Batschkovo-Kloster (1643) steht das durchschnittliche Niveau der Ausmalung mehrerer Dorf- und Klosterkirchen des 16. und 17. Jahrhunderts gegenüber (Abb. 217 bis 240). Unabhängig davon ist seit dem späten 17. Jahrhundert auch ein allgemeiner Niedergang in Stil und Technik, der Malerei zu verzeichnen, der erst in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts durch die Entfaltung frischer künstlerischer Kräfte aufgefangen wird.

 

Im frühen 18. Jahrhundert, einer für die Monumental- und Ikonenmalerei fruchtlosen Zeit, werden meist die alten Prototypen wiederholt und schablonisiert. Die Zeichnung wird gröber, das Kolorit verliert an Intensität, und die Schematisierung bringt erstarrte Formen hervor. In eklektischer Weise werden Elemente unterschiedlicher Stile vermischt, wobei verspätete Barockeinflüsse überwiegen. Nur die volkstümliche Richtung behält etwas von ihrer Ursprünglichkeit. Ihre Werke gehen jedoch oft Über die Grenzen der religiösen Kunst hinaus. Wie die Ikonen der Heiligen Kosmas und Damianos (Abb. 319) und der Geburt Mariä aus dem 19. Jahrhundert zeigen (Abb. 320), ist vom Charakter des Kultbildes sehr wenig erhalten geblieben. Sie gefallen vielmehr durch das unterhaltsame Detail und die naive Unmittelbarkeit des Ausdrucks.

 

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Kunsthandwerk

 

Für die Entwicklung der Formensprache aller Künste dürfen auch die Wirkungen der islamischen Kunst nicht übersehen werden. Sie zeigen sich in erster Linie in der Ornamentik, aber auch im Kolorit und im szenischen Beiwerk der Malereien. Vom 16. Jahrhundert an greifen diese Einflüsse auch auf die Goldschmiedekunst über, wo sie - wie eine Reihe kirchlicher Geräte des 17. Jahrhunderts aus dem Batschkovo-Kloster erkennen lassen (Abb. 241 bis 244) - nicht nur das Ornament beherrschen, sondern auch die traditionelle Gestaltung verdrängen und durch neue, für die islamische Kunst Vorderasiens typische Formen und Motive ersetzen. Auch diese Annäherung zweier grundsätzlich unterschiedlicher Kunstauffassungen ist historisch und geographisch bedingt. Dieselben Künstler und Kunsthandwerker führen nach Bestellungen von Auftraggebern sowohl christlichen als auch islamischen Glaubens Schmuck und kultische Geräte aus, wobei sie sich den Forderungen des jeweiligen Geschmacks anpassen, so daß ein Reichtum von Motiven und Formen entsteht, der in seiner Mannigfaltigkeit den künstlerischen Synkretismus der Spätantike noch übertrifft.

 

Seit dem 17. Jahrhundert ist eine zunehmende Neigung zu überladenem Zierat an allen kultischen Geräten festzustellen. Der reiche Emaildekor und die Edelsteininkrustationen verbergen jedoch eine fortschreitende Schematisierung und Verarmung der Formensprache nicht, die nunmehr ihre Anregungen vom Orient wie vom Abendland erhält. Auch auf diesem Gebiet behält lediglich die volkstümliche Kunst die Frische des Ausdrucks (die kleine Weihwasserschale, 1597, (Abb. 215) und der Evangeliarbeschlag aus Veliko Tirnovo, 1712) (Abb. 258). Auf starke Emotionen (Evangeliarbeschlag des Meisters Matej, 1581) (Abb. 175) und auf das unterhaltsame Detail wird immer mehr Wert gelegt, bis schließlich die Symbole und die traditionsgebundenen ikonographischen Schemata im frühen 19. Jahrhundert endgültig aufgegeben werden.

 

 

Buchmalerei

 

Die Buchmalerei stagniert vom 15. bis zum 17. Jahrhundert und wiederholt die alten, zuweilen frühchristlichen Prototypen, wenn sie auch eigene Schöpfungen in der phantasievollen und mit höchster technischer Perfektion ausgeführten Flechtbandornamentik hervorbringt (Slepče-Evangeliar, 15. Jh.) (Abb. 161, 162). Das Durchschnittsniveau bleibt jedoch meistens relativ niedrig und weit hinter den Leistungen des Hochmittelalters zurück. Ein typisches Beispiel dafür bietet das umfangreiche Werk des Miniaturisten Priester Joann aus Kratovo, dem wir eine Reihe illuminierter Kodizes aus dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts verdanken. In gleicher Form und auf dieselbe Art und Weise werden von ihm immer wieder Modelle und Schemata kopiert, deren eigene Kunstqualität höchst zweifelhaft ist. Originalität und Unmittelbarkeit kommen auch in diesem Bereich von der Folklore, deren derbe und naive, dennoch reizvolle Arbeiten starke Anziehungskraft und Wirkung besitzen (Sbornik des Priesters Puntscho, 1796) (Abb. 321 bis 325).

 

 

Holzplastik

 

Unabhängig von Eklektizismus und Konservatismus, die die christlich-orthodoxe Kunst Bulgariens im 17. und 18. Jahrhundert weitgehend bestimmen, gelangte eine andere, in der voraufgegangenen Epoche etwas vernachlässigte und durch die glanzvolle Entfaltung der Malerei in den Schatten gestellte Gattung zu neuer Blüte, die während der Spätphase der mittelalterlichen kirchlichen Kunst noch einmal der schöpferischen Kraft des christlichen Glaubens Ausdruck gab und bedeutende künstlerische Leistungen vollbrachte: die Miniatur- und Monumentalholzschnitzerei.

 

Während des Aufstiegs der sakralen Kunst, der durch die nach der osmanischen Eroberung Südwesteuropas entstandene Beruhigung begünstigt und ermöglicht wurde, entwickelte sich rasch als neuer Zweig der Plastik die Miniaturholzschnitzerei. Ausgehend vom Athos, wo ein griechischer Reisender vom Ende des 17. Jahrhunderts, Johannes Komnenos, sie als spezifisch für die bulgarischen Mönche auf dem Heiligen Berge bezeichnete, breitete sie sich über alle orthodoxen Länder aus, wobei die athonitischen Kunstwerke vielen lokalen Schulen und einzelnen Meistern als Muster und Vorbild dienten. Die Entwicklung und Ausbreitung der Miniaturholzschnitzerei ist hauptsächlich mit der Ausstattung der Kirchen mit kleinen Kreuzen für den liturgischen Gebrauch am Altar verbunden (Abb. 157, 263). Die Form und das Bildprogramm dieser kleinen Altaraufsatzkreuze stehen mit der historischen Entwicklung der Liturgie und ihrer symbolischen Ausdeutung durch die orthodoxe Theologie in engem Zusammenhang. Bei den ältesten erhaltenen Kunstwerken aus dem 15. Jahrhundert, die verschollenen älteren Vorlagen folgen, wird durch eine Reihe von Darstellungen die Inkarnation des Logos als Vorbild der göttlichen Liturgie symbolisiert. Somit erscheint diese als Sinnbild der Inkarnation von der Verkündigung bis zur Himmelfahrt. Entsprechend seiner Funktion innerhalb der Liturgie, spiegelt das Altaraufsatzkreuz ihre Grundphasen wider. Diese einzelnen Phasen werden in solcher Bildfolge dargestellt, die der Abfolge der Erscheinung ihrer parallelen Symbole während des liturgischen Vorgangs entspricht. Mit wenigen unbedeutenden Veränderungen bleibt dieses Bildprogramm bis zum 18. Jahrhundert erhalten; ohne den Grundgedanken zu ändern, werden oft einige Szenen durch andere ersetzt, die einer stärkeren Konkretisierung der Liturgie folgen. Öfter wird auch eine komplizierte Form des Kreuzes - mit zwei oder drei Querbalken - oder das aufgeblühte Kreuz mit vielen Medaillons mit Apostel- und Prophetendarstellungen an den Zweigen verwendet. Im 18. Jahrhundert setzt sich schließlich im Bildprogramm das Prinzip einer Deutung der Liturgie als Symbol für das ganze Leben Christi durch.

 

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Die Liturgie wird mit einer »Ikone vom Leben des Erlösers« verglichen, und es wird versucht, die Evangeliengeschichte in ihrer ganzen Abfolge abzubilden. Dieses Prinzip gilt bereits lange vorher für die Monumentalmalerei, wo die Hauptthemen in unzählige Episoden aufgeteilt sind. Die Szenen werden nach ihrer chronologischen Folge und nicht mehr nach den der Liturgie zugeteilten Festgeheimnissen angeordnet. Andererseits wird die rein chronologische Folge durch die Komplizierung des Bildprogramms und das Einbringen vieler zusätzlicher Sujets häufig durchbrochen. Am Ende steht eine Fülle von Darstellungen großer Kompositionen und einzelner Figuren, die dem Prinzip des formalen Aufbaus der gesamten Komposition folgen (Kreuz des Mönches Rafail) (Abb. 276).

 

Die älteren Kreuze enthalten viele Motive, die auf den Christlichen Osten hindeuten: die Treppe bei der Darbringung, die Adorationsszene bei der Kreuzigung, die kreuzförmige Mandorla bei der Verklärung (Abb. 160, 158, 159), die Festungsmauer von Jerusalem und die Grabeskirche als Hintergrund mehrerer Szenen sowie die Rose von Jericho in der Ornamentik. Im Sinne der spätathonitischen Ikonographie komplizieren sich im 18. Jahrhundert weitgehend die Kompositionen, wobei der gesamte Komplex viele einzelne Episoden umfaßt.

 

Charakteristisch für die Holzschnitzerei der älteren Miniaturkreuze ist ihre große expressive Wirkung. Dem formalen Aufbau des Kreuzes folgend, bilden sich in jeder Komposition zwei führende Kraftlinien - eine waagerechte und eine senkrechte -, die sich im psychologischen Mittelpunkt treffen und ausgleichen. Die meisten Figuren weisen verkürzte Proportionen auf; das Relief ist oft durchbrochen - die Darstellungen werden in die Tiefe in mehreren Planflächen entwickelt; die Ausführung ist von äußerster Präzision.

 

Die Figuren, in Werken des 16. und 17. Jahrhunderts starr gegenübergestellt, werden im 18. Jahrhundert zunehmend beweglicher und aufgelockerter (Abb. 260, 261). Dabei steht die Wiedergabe menschlicher Gefühle im Vordergrund und löst die expressive Zeremonialität der strengen mittelalterlichen Gestalten ab. Das Prinzip des Kreuzes wird zugunsten eines zentralen Aufbaus vernachlässigt, wobei die Figuren radial angeordnet werden. Zugleich zeigen die Arbeiten höchste handwerkliche Verfeinerung. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildet das große Kreuz, geschnitzt vom Mönch Rafail im Rila-Kloster (Ende des 18. Jh.) (Abb. 276 bis 280), bei dem die Präzision der Miniaturschnitzerei sowie Kunstfertigkeit der Form ihre Vollendung erreicht haben.

 

Eine Variante der Altaraufsatzkreuze (Abb. 263) stellt das kleinere Hand- oder Segenskreuz dar, bei dem die Zahl der Szenen zwar gering ist, aber einem inhaltlich folgerichtigen Programm entspricht: Es umfaßt von den Festen des Kirchenjahres vor allem diejenigen, bei denen entweder das Kreuz im Mittelpunkt steht (Kreuzigung für Karfreitag; die Erzengel Michael und Gabriel als Teil der Festszene für Kreuzverehrung; die Heiligen Konstantin und Helena für das Fest Kreuzerhöhung) oder aber mit dem Kreuz besondere Segensrituale vollzogen werden (Wasserweihe am Fest der Taufe Christi; Ölweihe am Fest der Darbringung Jesu im Tempel; Erntesegen am Fest der Verklärung).

 

Die Miniaturholzschnitzerei wird auch durch andere Arbeiten der bulgarischen kirchlichen Kunst des Spätmittelalters - vorwiegend durch Enkolpien und Miniaturikonen - repräsentiert. Das Enkolpion ist meistens mit dem Bildnis der Gottesmutter des Zeichens und mit dem Pantokrator auf der Rückseite versehen. Aus dem späten 18. Jahrhundert sind auch Enkolpien (Abb. 293, 294) mit dem ganzen Festzyklus bekannt sowie mit Reliefs einzelner Festszenen und Schutzheiligen. Die Miniaturikonen - Diptychen und Triptychen (Abb. 262, 264, 265) - sind hingegen für weitere, nicht sehr anspruchsvolle Kreise bestimmt. Sie stellen meistens einzelne Heilige - Beschützer der Besitzer odet der Stifter - und deren Vita dar, wodurch sie apotropäischen Charakter erhalten sollen.

 

Den Höhepunkt der spätmittelalterlichen kirchlichen Holzplastik Bulgariens bildet die Entwicklung der Ikonostasis. Obgleich sie verhältnismäßig spät einsetzt, prägt sie um so nachhaltiger den Charakter des orthodoxen Gotteshauses der postbyzantinischen Zeit. Wie die Miniaturholzplastik hat auch dieser Zweig der sakralen bildenden Kunst auf dem Berge Athos seinen Ursprung. Von der frühbyzantinischen Ikonostasis, die sich aus niedrigen Altarschranken mit Säulen und einfachem Architrav mit Vorhängen und später Ikonen in den Interkolumnien zusammensetzte und sich später in Rußland zu einer hochaufragenden flachen Wand mit mehreren Ikonenrängen entwickelte, die nach einem hierarchisch aufgebauten System um die Deesis-Ikonen in der Mitte gruppiert sind, unterscheidet sich die Ikonostasis athonitischen Ursprungs wesentlich. Der Ikonostasentyp vom Athos, der sich gleichfalls im östlichen Teil der Kirche erhebt und den Altarraum vom Naos abtrennt, will mit seiner Architektonik die Harmonie der göttlichen Welt verkörpern; das Prinzip der Fürbitte tritt in den Hintergrund. Der Aufbau knüpft sowohl an die klassische Säulenordnung des altgriechischen Tempels mit Säulenreihe, Architrav und Giebel an wie an die von dessen konstruktiven Prinzipien bestimmten Proportionen; er ist somit das letzte Beispiel der Rezeption antiker Formen in der orthodoxen Kunst des Balkans. Dieser Ikonostasentyp teilt sich in drei horizontale Reihen: der untere Teil - die Reihe der Säulen und der großen Ikonen mit geschnitzten oder bemalten Tafeln und Lünetten in den Interkolumnien; der obere Teil - der Architrav mit den Friesen (der mittlere Fries - die Reihe der kleinen Ikonen - entspricht dem Fries mit Metopen und Triglyphen des griechischen Tempels) und die Krönung mit der Triumphkreuzgruppe, die mit dem Giebel vergleichbar ist.

 

Die Ikonostasis ist nicht mehr nur Sinnbild des Himmels, wie es der spätbyzantinische Theologe Symeon von Thessaloniki deutete, sondern weist auch dem Menschen den Weg zu Gott - es erfolgt eine Objektivierung der christlichen Heilsmysterien.

 

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Rila-Kloster, Katholikon, Kapelle des hl. Ivan von Rila, Ikonostasis des alten Katholikons, 1785. Rekonstruktion

 

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Demzufolge ist das Material, aus dem die Ikonostasis besteht, weder Edelmetall noch teurer Marmor, sondern, wie bei den Altaraufsatzkreuzen, einfaches Holz - das Holz, durch das Adam sündigte und an welchem Christus, »der Neue Adam«, die Sünden der Menschheit gebüßt hat. Der Weg vom alten zum neuen Adam vollzieht sich in den drei Stufen des christlichen Mysteriums - der Taufe, der Eucharistie und der Auferstehung, denen die drei Teile der Ikonostasis zugeordnet werden. Im unteren Teil, auf den Tafeln unter den großen Ikonen, erscheinen Szenen aus dem Alten Testament mit dem »Alten Adam« und der »in Sünden gesunkenen Menschheit«; aus vasenartigen Säulen wachsen die Stämme des Baumes der Weisheit und des Lebens hervor, auf dessen Zweigen und Stämmen Vögel sitzen, die die Früchte der Himmelsbäume picken - Symbol derer, die zur Einweihung in die christlichen Mysterien berufen sind. Dort haben auch die Paradiesvögel - Alkonosten und Sirenen -, die als Symbol der weltlichen Versuchungen erscheinen, ihren Platz. Die Kapitelle der Säulen tragen Darstellungen von Adlern und Jünglingen - Symbolen der geistigen Wiedergeburt durch das Bad der Taufe. Im oberen Teil der Ikonostasis ist am bedeutungsvollsten der ornamentale Rebenblätterfries - Symbol der zweiten Einweihung in das Mysterium, der Eucharistie. In der Mitte des Frieses, in einem Medaillon, erscheint das Bildnis Jesse, des Begründers des Davidstammes; auf beiden Seiten schließen sich weitere Prophetenbildnisse an. Die Spitze der Ikonostasis krönt das Symbol der höchsten Einweihung in das christliche Mysterium: der gekreuzigte Christus, unter dessen Füßen der Schädel Adams liegt - der alte und der neue Adam. Zu beiden Seiten befinden sich Drachendarstellungen als Sinnbilder des ohnmächtigen Bösen sowie die Assistenzfiguren Maria und Johannes.

 

Die Ikonostasis hat drei Türen: die Königstür in der Mitte, die Südtür und die Nordtür. Die Königstür (auch Tür der Barmherzigkeit genannt) ist der Eingang in die göttliche Welt; sie wird als sinnfälliger Ausdruck zu bestimmten Höhepunkten des Gottesdienstes geöffnet und darf nur vom Zelebranten durchschritten werden. Auf ihre Türflügel ist wie bei der mittelbyzantinischen und russischen Ikonostasis die Verkündigung an Maria gemalt. Zu beiden Seiten der Tür befinden sich Darstellungen von Ungeheuern - »den Hütern der Schwelle« -, die den Uneingeweihten den Weg versperren.

 

Das 17. und 18. Jahrhundert ist die Blütezeit der athonitischen und der unmittelbar mit ihr verbundenen bulgarischen Ikonostasenholzplastik. Bei den Ikonostasen vom 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts ist das symbolische System noch nicht völlig herausgebildet, es überwiegt die geometrische und pflanzliche Ornamentierung, zum Beispiel bei den athonitischen Ikonostasen in Protaton (1611), Pantokrator (1622), Chilendar (1635), Xenophon (1679), laut bulgarischer Inschrift ein Werk des Mönches Wassilij, sowie bei den Ikonostasen in Bitolja, im Naum-Kloster am Ochridsee, im Batschkovo-Kloster (Beginn des 17. Jh.) und im Roshen-Kloster (1720) (Abb. 282). Die vollkommen entwikkelte Form des Athostyps wird in Bulgarien zuerst von der Ikonostasis der ehemaligen Chreljo-Kirche im Rila-Kloster (1787) und der Metropolitenkirche in Samokov (1793) vertreten (Abb. 295, 296, 303, 304). Unter athonitischen Einflüssen entwikkeln sich eine Reihe von Lokalschulen der Holzschnitzerei (Abb. 297 bis 302), die in allen Teilen der Balkanhalbinsel tätig gewesen sind. Ihre Blüte im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts steht, wie die Blüte der Monumental- und Ikonenmalerei, im Zeichen des Aufschwungs der nationalen Volkskunst, die immer stärker der religiösen Kunst ihre Prägung verleiht und sie schließlich von der Bindung zum christlichen Kultus ablöst und in die Richtung der Säkularisierung überführt.

 

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