Kulturgeschichte im Prisma: Bulgarien vom Altertum bis 1878

Assen Tschilingirov

 

(9) Das Zweite Bulgarenreich (1186-1396)

 

  95 Palast eines Feudalherrschers in Melnik. 13.-14. Jh.
  96 Heiliger Petrus von Alexandrien. Fresko in der Nikolaoskirche in Mariza, Südwestbulgarien, Ende 16. Jh.
  97 Evangelist Lukas. Miniatur aus dem Slepže-Evangeliar, Temperafarben auf Pergament, 15. Jh., Kirchenhistorisches Museum Sofia, Nr. 540
  98 Meschtschijen-Turm in Wraza. Ende 17. Jh.
  99 Schmuckseite mit Initialen aus dem Krupnik-Evangeliar. Temperafarben auf Papier, Mitte 16. Jh., Rila-Kloster
100 Zarewez bei Weliko Tyrnowo. Gesamtansicht der Ruinenstadt
101 Gedenksäule Omurtags in der Kircheder Heiligen Vierzig Märtyrer zu Tyrnowo, 9. Jh.
102 Pantokratorkirche in Nessebar. 14. Jh.
103 Erzengel-Höhlenkloster bei Iwanowo. Kirche Johannes des Täufers
104 Patriarchenkirche in Weliko Tyrnowo. Gegründet 1235
105 Bojarin Dessislawa. Fresko in der Kirche von Bojana, 1259
106 Zar Michail Assen. Fresko, Erzengelkirche, Kastoria, Mitte 13. Jh.
107 Heiliger Georg mit Vitenszenen. Ikone, 1684, Nationalgalerie Sofia
108 Stifterbildnisse. Fresko im Katholiken des Batschkowo-Klosters, 1645
109 Antike Philosophen. Fresko im Refektorium des Batschkowo-Klosters, 1643
110 Heilige Marina. Ikone, 18. Jh., Kirchenhistorisches Museum Sofia
111 Das Katholikon des Batschkowo-Klosters. 1604
112 Evangeliarbeschlag. Rückseite, Silber, getrieben und vergoldet, mit Email- und Edelmetallapplikationen, Batschkowo-Kloster, 1696, Kirchenhistorisches Museum Sofia
113 Johanneskirche in Semen. Innenansicht mit Ausmalung, Ende 13. Jh.
114 Die Inkarnation des Logos. Fresko in der Kuppel der Christi-Verklärungs-Kapelle im Chreljo-Turm, Rila-Kloster, 1334-1335
115 Evangelist Johannes mit dem Priester Dobrejscho. Miniatur aus dem Dobrejscho- Evangeliar, um 1220
116 Stifterbildnisse aus dem Iwan-Alexander-Evangeliar. Temperafarbe mit Blattgold auf Pergament, Tyrnowo-Schule, 1355-1556, London, British Museum, Add. Ms. Nr. 39627, Fol. 3r
117 Schmuckseitea us dem Dragan-Menaion. Pergament, Mitte 13. Jh., Sograf-Kloster, Athos, Cod. Slav. 55
118 Die Burg Baba Wida bei Widin

 

Der bereits Mitte des 11. Jahrhunderts einsetzende Niedergang des Byzantinischen Reichs zeigte sich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts als unaufhaltsam. Die von inneren Kämpfen zerrissene und nur der Form nach bestehende Zentralmacht in Konstantinopel konnte den divergierenden Kräften des Feudalstaates nicht mehr Widerstand leisten. Nacheinander spalteten sich die ohnehin kaum miteinander verbundenen Teile dieses Konglomerats von Völkerschaften ab. Auch die Bedrohung von außen durch das Arabische Kalifat und das Normannenreich sowie die Nomadenvölker vom Nordosten konnte diesen Zerfallsprozeß nicht mehr aufhalten. So brach im nordöstlichen Teil Bulgariens im Jahre 1186 ein Aufstand unter der Führung der Brüder Assen und Peter, Bojaren aus Tyrnowo, aus, der die Fundamente für das Zweite Bulgarenreich legte.

 

Die Tatsache, daß der Aufstand im durch Kriege und feindliche Überfälle am meisten betroffenen Gebiet Bulgariens ausbrach und die volle Unterstützung der Bevölkerung fand, bezeugt den unbeugsamen Willen des Volkes trotz langer Fremdherrschaft und sein Streben nach Freiheit. Die byzantinische Herrschaft verringerte zwar das soziale und kulturelle Niveau der Bulgaren, vermochte jedoch nicht ihr Streben nach Selbständigkeit zu brechen und ihre schöpferische Kraft zum Versiegen zu bringen. In der darauffolgenden kurzen Zeitspanne des Friedens und der Freiheit verlieh das bulgarische Volk seiner Schöpferkraft Ausdruck und erreichte in mehreren Bereichen der Kultur und Kunst Höhepunkte, die zu den bedeutendsten Leistungen im mittelalterlichen Europa zählen.

 

Die politischen Verhältnisse in Südosteuropa wandelten sich zu Beginn des 15. Jahrhunderts grundlegend. Während des Vierten Kreuzzuges wurde Konstantinopel 1204 von den Kreuzfahrern eingenommen, weitgehend zerstört und ausgeplündert. Byzanz mußte als Großmacht von der politischen Bühne Europas für immer abtreten und auf seine Vorherrschaft (auch nach der Wiederherstellung des Imperiums im Jahre 1261) endgültig verzichten. Sein Erbe traten das Lateinische Kaiserreich, Bulgarien und das neue Serbische Königreich an. Den Byzantinern verblieben das kleinasiatische Gebiet von Nikaia sowie das Despotat von Epiros; dieses geriet jedoch 1230 unter die Abhängigkeit Bulgariens, das sich nach der Schlacht von Hadrianopolis 1205 auch gegenüber dem Lateinischen Kaiserreich zu behaupten vermochte. Während der Herrschaft des Zaren Iwan Assen II. (1218-1241) erreichte Bulgarien die politische

 

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95 Palast eines Feudalherrschers in Melnik. 13.-14. Jh.

 

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Macht des Ersten Bulgarenreichs wieder und dehnte seine Grenzen nach Süden und Westen über Thessalien und Epiros bis zum Adriatischen und Ägäischen Meer aus. Im Westen der Balkanhalbinsel begann das Serbische Königreich seit der Mitte des 13. Jahrhunderts eine immer wichtigere Rolle zu spielen und erreichte in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts seine höchste, wenn auch sehr kurzlebige Blüte.

 

Diese Verschiebungen der politischen und kulturellen Schwerpunkte erwiesen sich als wenig dauerhaft. Vielmehr breitete sich über ganz Südosteuropa eine feudale und geistige Zersplitterung aus, und es gab keine starke Zentralmacht, die angesichts der seit Mitte des 13. Jahrhunderts ständig zunehmenden äußeren Gefahr die divergierenden Kräfte hätte einigen können. So wurde es möglich, daß die Tataren in der zweiten Jahrhunderthälfte die Balkangebiete verwüsten konnten, ohne dabei auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, bis sie schließlich durch den ganz Bulgarien erfassenden Bauernaufstand unter der Führung des Schweinehirten Iwailo aus dem Land vertrieben wurden. Auch eine relative Konsolidierung der Zentralmacht im Bulgarenreich unter dem Zaren Iwan Alexander (1331-1371) konnte die auseinanderstrebenden Kräfte des Feudalstaates nicht lange Zusammenhalten. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts brachten die anfangs von Byzanz als Verbündete im Kriege gegen Bulgarien herbeigerufenen Türken nach und nach die ganze von Kämpfen rivalisierender Feudalherren zerrüttete Halbinsel unter ihre Kontrolle. Im Jahr 1 396 brach das in drei Herrschaftsbereiche zerfallene Bulgarenreich unter ihren Schlägen zusammen; Konstantinopel, der letzte Hort des Byzantinischen Imperiums, das Fränkische Despotat von Morea auf dem Peloponnes sowie das zum winzigen Despotat von Smederevo zusammengeschrumpfte Serbische Königreich sollten das Bulgarenreich nur um wenige Jahrzehnte überleben.

 

 

Die Kultur und Kunst des Zweiten Bulgarenreichs waren noch enger mit dem Geschick dieses Staatswesens verbunden, als das in der vorangegangenen Epoche der Fall war, und sie spiegelten das rege von Widersprüchen gekennzeichnete geistige Leben der hochentwickelten Feudalherrschaft wider. Wenn auch die Stärke des Zweiten Bulgarenreichs zeitweise der des Ersten Bulgarenreichs gleichkam, so wurde das Reich, das durch eine feudale Staatsordnung bestimmt war, doch durch ständige innere Differenzen ausgehöhlt.

 

Das religiöse Leben blieb, ebenso wie das politische, uneinheitlich und widerspruchsvoll. Die bulgarischen Herrscher richteten ihre Bemühungen darauf, die Selbständigkeit der bulgarischen Kirche auszubauen. Sie sahen sich dabei veranlaßt - dem Beispiel Boris’ I. folgend -, zwischen Konstantinopel und Rom zu lavieren und eine nur wenige Jahrzehnte dauernde Union mit dem römischen Papsttum einzugehen, bis schließlich 1235 die Unabhängigkeit des

 

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Patriarchats von Tyrnowo auf einem Konzil der Repräsentanten aller christlich-orthodoxen Kirchen in Kallipolis (Gallipoli) von dem in Nikaia amtierenden Konstantinopler Patriarchen verkündet wurde. Dennoch gelang es der bulgarischen Nationalkirche nur für kurze Zeit, die religiöse Spaltung im Lande zu überwinden. Die während der Regierung Iwan Assens II. unterbrochene Verfolgung des mittlerweile erstarkten und bis nach Südfrankreich und Italien voraedrungenen Bogomilentums, dessen geistiges Zentrum in Bulgarien lag, setzte um die Mitte des 13. Jahrhunderts wieder mit voller Kraft ein. Den grausamen Kreuzzügen gegen die Ketzer im Westen folgten ähnliche und nicht minder blutige Maßnahmen auch in Bulgarien, die dennoch die Einheit der orthodoxen Kirche nicht wiederherzustellen vermochten. Es bildeten sich auch weitere Sekten und religiöse Strömungen heraus, die eine geistige Zersplitterung des Volkes bewirkten. Gleichzeitig gewann der Hesychasmus - die bedeutende mystische Lehre des mittelalterlichen orthodoxen Christentums - immer mehr an Gewicht und erfaßte einen großen Teil des stark angewachsenen Mönchtums. Ebenso wie beim Bogomilentum befand sich das geistige Zentrum des anfangs vom Konstantinopler Patriarchat abgelehnten Hesychasmus innerhalb der politischen Grenzen Bulgariens - in den Klöstern des Strandshagebirges im Südosten des Landes, wo der hervorragendste Mystiker des orthodoxen Christentums, Gregorios Sinaites (1255-1346), lehrte. Dieses Zentrum verlagerte sich um die Mitte des 14. Jahrhunderts in das Kilifarewo-Kloster nahe Tyrnowo durch das Wirken des Schülers und Nachfolgers von Gregorios Sinaites, des Teodossij von Tyrnowo (1300-1363), und dessen Schülers, des letzten bulgarischen Patriarchen Ewtimij (1375-1393).

 

Trotz aller Hemmnisse im politischen und kirchlichen Leben entwickelte sich die Zarenhauptstadt Tyrnowo - heute Weliko Tyrnowo - zum kulturellen Mittelpunkt des Zweiten Bulgarenreichs; ihr fiel als Metropole des orthodoxen Christentums während der lateinischen Herrschaft über Konstantinopel in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts die führende Rolle in Südosteuropa zu. Durch eine gewaltige Stadtmauer geschützt,

 

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96 Heiliger Petrus von Alexandrien. Fresko in der Nikolaoskirche in Mariza, Südwestbulgarien, Ende 16. Jh.

In der spätmittelalterlichen Malerei der bulgarischen Dorfkirche gewinnen die folkloristischen Züge zunehmend die Oberhand und flößen der alten ikonographischen Tradition frische Kräfte und Leben ein. Die Typologie der Heiligen wird nach und nach umgewandelt und in Einklang mit den Vorstellungen der einfachen Menschen aus dem Volke gebracht. So wird beispielsweise der eifrige und gnadenlose Bekämpfer der arianischen Häresie — der Bischof Petrus von Alexandrien - von dem Volkskünstler mit dem Apostel Petrus am Himmelstore aus dem Volksepos identifiziert, dessen gütiges und liebeausstrahlendes Gesicht in der Volksphantasie fest eingeprägt ist.

 

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97 Evangelist Lukas. Miniatur aus dem Slepže-Evangeliar, Temperafarben auf Pergament, 15. Jh., Kirchenhistorisches Museum Sofia, Nr. 540

 

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98 Meschtschijen-Turm in Wraza. Ende 17. Jh.

Abgeschlossenheit und Unzugänglichkeit kennzeichnen den Wohnturm eines türkischen Feudalherrschers (Spahis) in Wraza, Nordwestbulgarien. Erbaut für seine zahlreiche Familie, Dienerschaft und Leibwächter mit einem Erdgeschoß und drei Obergeschossen mit Zwischendecken aus Holztafeln und einer Blindkuppel auf dem Dach, erhielt das Bauwerk erst später einen Aufbau mit einer Beobachtungswarte, wodurch die Verteidigungsfunktionen noch erweitert wurden. Die einzige Gliederung der glatten und grauen Steinmauern besteht aus schmalen Erkern über Konsolen mit kleinen quadratischen Fenstern, während das gemeinsame Gesims einen schlichten dreifachen Wolfszahnfries aufweist.

 

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99 Schmuckseite mit Initialen aus dem Krupnik-Evangeliar. Temperafarben auf Papier, Mitte 16. Jh., Rila-Kloster

Schon in der Mitte des 15. Jh. erschien auf den illuminierten Handschriften im Zentralbalkan das geometrische Flechtband und verdrängte allmählich das mittelbyzantinische Blütenornament, bis es endlich im 15. Jh. zum vorrangigen Gestaltungsclement der ornamentalen Buchverzierung nicht nur in Bulgarien, sondern auch im benachbarten Serbien und in Rumänien bis hin zum Moskauer Fürstentum wurde, wo zahlreiche bulgarische Künstler und Schriftsteller nach der türkischen Besetzung Asyl und eine neue Heimat fanden. Das geometrisierende »Balkan-Ornament«, das aus dem teratologischen hervorgegangen ist, erscheint sowohl in Zierleisten aus vielen mit Streifen und Bändern verschlungenen Kreisen in einer oder mehreren Reihen als auch in gitterartigen geometrischen Figuren, bei denen die verflochtenen farbigen Bänder unterschiedliche Kombinationen bilden.

 

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die teilweise auch bis heute erhalten ist, und mit prunkvollen Palästen, Kirchen und öffentlichen Bauten geschmückt, erreichte die im Nordosten der Hauptstadt gelegene Residenz der bulgarischen Zaren und Patriarchen, Zarewez, eine auch für das Hochmittelalter ungewöhnliche Pracht. Tyrnowo wurde zu einer Weltstadt und einem der bedeutendsten Handelszentren, wo sich die Wege der Kaufleute aus Genua, Venedig und Dubrovnik, Wladimir und Nowgorod, aber auch aus Persien und Arabien kreuzten. Um die Bedeutung und den Glanz der Zarenstadt als Zentrum des orthodoxen Christentums zu erhöhen, ließen die bulgarischen Herrscher die Reliquien vieler Heiliger von der ganzen Balkanhalbinsel und dem Vorderen Orient nach Tyrnowo überführen, wo ihnen Klöster und Kirchen errichtet wurden, die Pilgerzüge aus allen orthodoxen Ländern anlockten.

 

Die Hauptstadt des Zweiten Bulgarenreichs unterschied sich sehr deutlich von den antiken und frühmittelalterlichen Balkanstädten, und ihr Erscheinungsbild wurde von den Merkmalen des fortgeschrittenen Hochfeudalismus geprägt. Anstelle des planvollen Straßennetzes mit dem einheitlichen Stadtzentrum sowie dem weitentwickelten Bewässerungs- und Kanalisationssystem der antiken Stadt oder der einem befestigten Militärlager ähnelnden Anlage der Hauptstädte des Ersten Bulgarenreichs bildete sich nunmehr die im Umkreis der Zitadelle unübersichtlich wirkende, in mehrere Stadtviertel untergliederte mittelalterliche Stadt heraus, deren Silhouette durch die vielen Kirchen und Klosteranlagen beherrscht wurde. Die hohe Zahl der Kirchen, die oft nur die Größe von Kapellen besaßen, stellt ein Charakteristikum des osteuropäischen Mittelalters dar. Ihm liegt eine Art »christlicher Polytheismus« zugrunde - die Verehrung einer Vielzahl von Heiligen wie auch ihrer Reliquien und Ikonen. So drängten sich allein auf dem kleinen Hügel Trapesiza in Tyrnowo, wo die Bojarenpaläste standen, dicht nebeneinander siebzehn Kirchen, auf der winzigen Halbinsel von Nessebar über vierzig und auf dem kleinen Territorium

 

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Melniks innerhalb der Stadtmauer vierundsechzig Kirchen und zehn Kapellen. Dabei handelt es sich nicht um Gemeinde- und Bischofskirchen oder Privatkapellen der örtlichen Herrscherfamilie, sondern vielmehr um Kirchen, die einzelnen Heiligen oder deren Reliquien geweiht waren und die die Überlieferung mit bestimmten Wundern verband. Jeder Beruf und jedes Handwerk hatte Schutzpatrone und ihnen geweihte Kirchen: die Soldaten die Heiligen Theodoros Tyron und Theodoros Stratelates, die Kleintierzücher und Bergleute den heiligen Georg, die Landwirte den heiligen Demetrios, die Weinbauern und Gastwirte den heiligen Triphon, die Händler und Diebe den heiligen Menas, die Schuster den heiligen Spiridon. Die heilige Paraskewa war Schirmherrin der Armen, der heilige Nikolaos beschützte die Notleidenden, die Heiligen Christophorus und Pantelejmon kümmerten sich um die Reisenden, der heilige Agapios um die schwangeren Frauen und kleinen Kinder. Bei Krankheit wurde die Hilfe der heiligen »uneigennützigen« Ärzte Kosmas und Damianos, von denen die orthodoxe Kirche drei Paare unterscheidet, oder der Dienst des heiligen Nikita, des Teufelsaustreibers, angerufen; für die Seelen der Verstorbenen sorgte der Erzengel Michael. An erster Stelle und vor allen Heiligen stand jedoch die Gottesmutter Maria, deren Festen und Ikonen man in Bulgarien die höchste Verehrung zollte und der die meisten Kirchen geweiht wurden. Eine wichtige Rolle spielte auch der Kult der lokalen Heiligen - so gab es in allen bulgarischen Gebieten Kirchen und Kapellen der schon im 10. Jahrhundert heiliggesprochenen Iwan von Rila und Kliment von Ochrid.

 

100 Zarewez bei Weliko Tyrnowo. Gesamtansicht der Ruinenstadt

 

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Die Zahl der bulgarischen Klöster nahm im Hochmittelalter innerhalb eines kurzen Zeitraums außerordentlich zu. In erster Linie waren es Einsiedeleien und Höhlenklöster, die sich mit der Ausbreitung des Hesychasmus stark vermehrten; besonders hervorzuheben sind die Klöster im Sakar- und Strandshagebirge, das Aladsha-Kloster bei Warna sowie die zahlreichen Einsiedeleien in den Tälern des Iskar und Russenski Lom, nördlich von der bedeutenden Bischofsstadt Tscherwen, und in der Nähe von Iwanowo. Neben dem 1335 von Zar Iwan Alexander reich beschenkten Batschkowo-Kloster gewann das in demselben Jahr von Sebast Chreljo erneuerte Rila-Kloster eine Vorrangstellung innerhalb der bulgarischen Klöster.

 

Die zahlreichen Klöster in Tyrnowo und Umgebung wurden - wie ehemals die in den Hauptstädten des Ersten Bulgarenreichs Preslaw und Ochrid - Zentren einer regen schöpferischen, geistigen und künstlerischen Tätigkeit. In den Skriptorien entstanden prächtige illuminierte Handschriften unter anderem mit Übersetzungen antiker Autoren. Diesen Skriptorien verdankt die slawische Kultur sowohl Abschriften der Werke bulgarischer Schriftsteller der Preslawer Schule als auch Übersetzungen der Werke Platons, Aristoteles’, Michael Psellos’ und anderer griechischer Autoren der Vergangenheit.

 

Große Kirchenräume entstanden nicht, da kein Bedarf für kirchliche Bauten bestand, die Massen von Gläubigen aufnehmen konnten. Sogar die Patriarchenkathedrale auf dem Gipfel des Hügels Zarewez und die Große Lawra der Heiligen Vierzig Märtyrer in Tyrnowo waren erheblich kleiner als die meisten Kirchen des Ersten Bulgarenreichs, ganz zu schweigen von den frühchristlichen Monumentalbauten. Den verbreitetsten Bautypus bildet die einschiffige gewölbte oder mit einer Pendentifkuppel über dem Mitteljoch versehene Kirche ; relativ selten vertreten ist die Kreuzkuppelkirche mit freien Säulenstützen. Von den anderen Bauformen sind die einschiffige stützenlose Kuppelkirche sowie die Trikonchoskirche zu erwähnen, die weiterhin in Klöstern verbreitet blieb.

 

Während sich trotz der Umwege, der Abweichungen in der Grundform, der abendländischen Einflüsse und der lokalgebundenen Sondererscheinungen eine Tendenz zur Durchsetzung der mittelbyzantinischen Kreuzkuppelanlage abzeichnet, zeigt die Innen- und Außengestaltung mehrere Besonderheiten, die sie wesentlich von den byzantinischen Bauten unterscheiden. Die bulgarischen Künstler führten die bereits im frühen 10. Jahrhundert erschienenen klassizistischen Formen weiter und knüpften mit ihren Monumentalwerken an dem Punkt an, wo die Entwicklung der bulgarischen Kunst durch die byzantinische Herrschaft unterbrochen worden war.

 

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101 Gedenksäule Omurtags in der Kircheder Heiligen Vierzig Märtyrer zu Tyrnowo, 9. Jh.

»Omurtag, Khan und Herrscher, sein altes Haus bewohnend, schuf ein ruhmreiches Haus an der Donau und errichtete in der Mitte zwischen beiden ruhmreichen Häusern einen Hügel. Und von diesem Hügel bis zum alten Palast sind es 20000 Ellen, wie es vom Hügel bis zur Donau ebenfalls 20000 Ellen sind. Der Hügel selbst ist ruhmreich, und nachdem die Erde vermessen war, meißelte ich diese Inschrift ein. Wenn der Mensch auch wohl lebt, er stirbt und ein anderer wird geboren. Möge sich der später Geborene beim Anblick dieser Inschrift desjenigen erinnern, der sie geschaffen hat. Und der Name des Fürsten ist Omurtag, Khan und Herrscher. Möge ihn Gott mit hundertjährigem Leben belohnen.«

 

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So ist es kein Zufall, daß der kulturhistorisch bedeutendste Bau Iwan Assens II., die Kirche der Heiligen Vierzig Märtyrer in Tyrnowo, eine Basilika darstellt. Diese Kirche, deren spektakuläre Einweihung mit dem wichtigsten politischen Ereignis seiner Regierung zusammenfiel - dem Sieg bei Klokotniza am 9. März 1230, der ihm die Vorherrschaft auf der ganzen Balkanhalbinsel sicherte -, erscheint zugleich als Symbol der weiterlebenden Überlieferung des Ersten Bulgarenreichs und als bewußte Fortsetzung seines künstlerischen und historischen Erbes. Die Wahl der für die bedeutendsten Bauten der frühchristlichen Zeit und des Ersten Bulgarenreichs typischen Bauform bezeugt dies ebenso wie die hier verwendeten zahlreichen Spolien älterer bulgarischer Bauwerke: Kapitelle, Basen und Säulen. Ihre Anwendung war tief durchdacht und durch die restaurativen Vorstellungen des bulgarischen Herrschers begründet. In erster Linie drückt sich dies in der Gegenüberstellung zweier Memorialsäulen im Kircheninneren aus - der Säule des Khans Omurtag (814-832), deren Inschrift die Idee von der Kontinuität repräsentiert, und der Stiftersäule Zar Iwan Assens II., bei der diese Idee noch einmal hervorgehoben wird.

 

Die Kirche der Heiligen Vierzig Märtyrer und der kurz darauf erbaute Zarenpalast auf dem Hügel Zarewez leiteten eine neue Phase der Kulturgeschichte Bulgariens ein, die - dem renaissanceartigen Gepräge der bulgarischen Kunst des 10. Jahrhunderts ähnlich - durch antikisierende und humanistische Züge in allen Bereichen der Kultur und Kunst gekennzeichnet ist. Die Rezeption der überlieferten Formen beschränkte sich nicht auf die Basilika und die Verwendung von Spolien, sondern erfaßte auch die Gestaltungsprinzipien der lokalen Tradition. So finden wir an den Bauten des Zweiten Bulgarenreichs wiederum die charakteristische Gliederung der Außenfassaden, die jedoch hier noch stärker ausgeprägt ist und durch die farbige Gestaltung der mit keramischen Inkrustationen verzierten Bogenfriese, Archivolten, Lünetten und Giebel gesteigert wird. Der Strenge der in sich homogenen und einheitlichen Formen byzantinischer zeitgenössischer Bauten steht die auflockernde, belebende Wirkung des polychromen malerischen Inkrustationsstils bei den bulgarischen Bauten entgegen;

 

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so erscheinen diese in ihrer ideellen Substanz und ihrem heiteren, lebensverbundenen Ausdruck als Gegenentwurf zu den vom weltfremden Geist geprägten Kunstwerken der komnenischen Klassik Konstantinopels.

 

Die Zierformen an den christlichen Bauwerken des Zweiten Bulgarenreichs nahmen im späten 14. Jahrhundert an Bedeutung zu.

 

102 Pantokratorkirche in Nessebar. 14. Jh.

 

 

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Über den farbigen Archivolten der Blendbögen, deren Felder mit Ziegelornamenten malerisch und bunt ausgestattet sind, erscheinen gelegentlich ein lombardischer Bogenfries und ein zweiter Fries von flachreliefierten Dekorativpanneaus. Auf diese Weise wird eine horizontale Gliederung der Fassaden in voneinander unabhängige Zonen erreicht, und der Vertikalismus der Kuppelanlage wird zugunsten einer größeren Harmonie und Ausgewogenheit zurückgedrängt. Dieser malerisch-dekorative Inkrustationsstil findet seine Vollendung an den Kirchen Nessebars - dem Schwanengesang der bulgarischen mittelalterlichen Baukunst. Wie bei den Kirchen von Kostur (Kastoria) aus den letzten Jahren des Ersten Bulgarenreichs fand auch hier, nur kurz vor der türkischen Eroberung, die Freude der bulgarischen Künstler am Leben und an der Schönheit ihren letzten Ausdruck, bevor sie unter der Fremdherrschaft für mehrere Jahrhunderte versiegte.

 

 

Auch in der Monumentalmalerei des Zweiten Bulgarenreichs zeigte sich die Rückbesinnung auf antike Formen und das antike Schönheitsideal als maßgebend. Während die gewaltigen religiösen Bewegungen des bulgarischen Mittelalters - das Bogomilentum und der Hesychasmus - mit ihrer Bildfeindlichkeit und Kunstfremdheit die Entwicklung der bildenden Kunst kaum beeinflußt haben, erwiesen sich die parallel verlaufende humanistische Strömung des 13. Jahrhunderts sowie die etwas später einsetzende klerikale Reaktion als stilbestimmend. Diese humanistische Strömung, die im zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts alle geistigen und kulturellen Bereiche des bulgarischen Zarenhofes und der eng mit ihm verbundenen Feudalaristokratie, schließlich aber auch des neu entstandenen Bürgertums erfaßte, konnte nicht nur an die Tradition der Blütezeit der slawisch-bulgarischen Kultur, sondern auch an die künstlerische Tradition des vorn antiken Geist geprägten byzantinischen Erbes anknüpfen.

 

Wie die Einweihung der für die Kunstentwicklung des Zweiten Bulgarenreichs wegweisenden Kirche der Heiligen Vierzig Märtyrer in Tyrnowomit einem entscheidenden historischen Ereignis verbunden war, so erfolgte auch die Errichtung und Ausstattung der Höhlenkirche von Iwanowo - ebenso eine Stiftung Zar Iwan Assens II., seinem Schutzheiligen, Johannes dem Täufer, geweiht - wiederum aus Anlaß einer bedeutenden Begebenheit: des spektakulären Pilgerbesuchs des bulgarischen Herrschers beim Abt des Erzengelklosters in der Nähe von Iwanowo und späteren Patriarchen Joachim von Tyrnowo. Mit diesem Besuch wollte Iwan Assen II. der Wende in seiner Außenpolitik - dem Bruch mit der römischen Kirche und dem Bündnis mit Nikaia, als dessen Folge die Unabhängigkeit des Patriarchats von Tyrnowo

 

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verkündet wurde - Nachdruck verleihen und das Ansehen des von ihm zum Patriarchen ausersehenen Kandidaten erhöhen.

 

Während man von den klassizistischen Tendenzen der höfischen Kunst Tyrnowos zu Beginn der dreißiger Jahre des 13. Jahrhunderts bislang nur durch den bauplastischen Schmuck des Zarenpalastes und der Kirchen Kenntnis hatte, worin sich sowohl die Kontinuität der Kunsttradition als auch die Rezeption des antiken Erbes ausdrückt, zeigen die Wandbilder von Iwanowo, deren Zugehörigkeit zur bulgarischen Hofschule unbestritten ist, die Existenz solcher antikisierenden Tendenzen auch in der Monumentalmalerei. Wir besitzen kein weiteres Werk der mittelalterlichen christlich-orthodoxen Monumentalmalerei, bei dem so viele Beziehungen zur antiken Kunst sichtbar werden - angefangen bei den Darstellungen antiker Säulen, Atlanten und Karyatiden an den zahlreichen Architraven und Applikationen im gemalten Architekturdekor der Festszenen, bis hin zur bewegten Attitüde der Gestalten und ihrem Verhältnis zueinander. Uns begegnen hier für das Mittelalter völlig neue Kompositionsgesetze, welche die Einzeldarstellungen nicht mehr allein einem hierarchischen Prinzip unterwerfen, sondern empirischen Erkenntnissen folgen. Wenn auch auf das Flächig-Dekorative noch nicht ganz verzichtet wird und die konsequente Anwendung der umgekehrten Perspektive als wichtigstes Kunstmittel eine besondere Rolle in der Symbolsprache spielt, so zeichnet sich hier doch ein neuer Zusammenhang zwischen den Figuren und ihrer Umgebung ab. Die einzelnen menschlichen Gestalten erreichen oft nicht einmal die halbe Bildhöhe, so daß das Verhältnis zwischen ihnen und den riesig erscheinenden Felsen oder phantasievollen Kulissen fast naturgetreu wirkt - ein Merkmal, dessen vorwärtsweisende Bedeutung innerhalb der mittelalterlichen Malerei kaum zu übersehen ist. Den Architektur- und Landschaftsmotiven wie der menschlichen Figur kommt ein neuer Wert im Bild zu, der nicht nur auf ihren hierarchischen Funktionen, sondern vielmehr auf ihrer expressiven Kraft als Exponenten der inneren Dynamik der Komposition basiert.

 

Es wäre schwierig, die großzügige Anwendung der zahlreichen bemalten Architrave, Karyatiden und Atlanten an den szenischen Hintergrundarchitekturen mit tektonischen oder rein dekorativen Aufgaben zu begründen. Auch ihre Bedeutung im Bildaufbau steht nicht im Vordergrund, obgleich sic, an Schwerpunkten der Komposition aufgestellt, entweder die impulsiv strömende Energie der Kraftlinien aufnehmen oder selbst Ausgangszentren dieser pulsierenden Dynamik bilden. Ihre Bestimmung ist vielmehr mit der Handlung verknüpft. So erscheinen die leblosen Skulpturen im bemalten Architekturdekor als lebendige, naturalistisch dargestellte menschliche und tierische Wesen, die in einem Schicksalshaften Zusammenhang mit dem Geschehen verbunden sind. Sie sind, wie der Chor der antiken Tragödie, Zeugen der bedeutsamsten Ereignisse

 

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der Evangeliengeschichte und können jeden Augenblick in die Handlung eingreifen. Ihre künstlerische Präsentation bestimmt eine seltsame und geheimnisvolle Ambivalenz zwischen Realem und Irrealem, die in der ganzen mittelalterlichen Kunst ohne Nachfolge bleibt.

 

Auch die einzelnen Gestalten stehen in einem völlig neuen Verhältnis zueinander. Die Einheit von Handlung, Ort und Zeit ist durchbrochen. Die Figuren beziehen sich nicht mehr auf ein einziges formales und ideelles Zentrum,

 

103 Erzengel-Höhlenkloster bei Iwanowo. Kirche Johannes des Täufers

 

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104 Patriarchenkirche in Weliko Tyrnowo. Gegründet 1235

 

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sondern bilden mitunter sogar innerhalb einer Komposition unabhängige Gruppen, die zeitlich und räumlich voneinander getrennte Szenen darstellen. Die Komposition hält kaum Figuren und Architekturkulissen zusammen; sie streben nach allen Seiten und hauptsächlich in Richtung der als Kraftlinien des Bildfeldes dienenden Diagonalen auseinander, um die gelockerten gegenseitigen Bindungen aufzulösen. Als neue Dimension wird in das Bild die Zeit eingeführt, die im Dienst des hervorgehobenen weltlich-erzählerischen Prinzips steht, das im Laufe des 13. Jahrhunderts nach und nach das von der heiligen Handlung ausgehende Prinzip der christlich-orthodoxen bildenden Kunst verdrängt.

 

Auf den Wandbildern von Iwanowo begegnet uns eine Reihe nackter menschlicher Figuren. Ihre Beziehung zur Antike demonstrieren in erster Linie die Atlanten, die oft wie akademische Studien erscheinen, deren Haltung und Gesten auf die anderen Figuren übertragen werden. Die genaue Beobachtung ergibt, daß dem Aufbau der menschlichen Figur ein sorgfältiges anatomisches Studium vorausging. Zum erstenmal im osteuropäischen Mittelalter begriff ein Künstler die Bedeutung der Antike und des Naturstudiums und kam zu der wichtigen Erkenntnis ihrer kausalen Bedingtheit.

 

Nicht weniger eng sind auch die landschaftlichen Motive mit der Handlung verbunden. Der sich deutlich von dem dunkelblauen Himmel abzeichnende gelbe, verdorrte Baum, an dem Judas hängt, und der riesige, sich bedrohlich über dem Henker erhebende Felsen bei der Szene der Hinrichtung Johannes des Täufers sind mehr als szenisches Beiwerk; sie spielen eine aktive Rolle sowohl im Kompositionsaufbau als auch in der Handlung und drücken dieselbe Ambivalenz zwischen Realem und Irrealem aus wie die architektonischen Kulissen.

 

Die schöpferische Freiheit des Künstlers sowie die ungemein virtuose Behandlung der Komposition und der Form schließen jeden Zweifel an der Originalität der Malerei von Iwanowo aus. Dies unterscheidet sie grundsätzlich von den meisten Werken der byzantinischen Buchmalerei aus der Zeit der makedonischen Renaissance im 9. und 10. Jahrhundert, wo antikisierende Tendenzen am häufigsten auftraten, sich jedoch im Kopieren altgriechischer Vorbilder oder in der Übernahme von deren Kompositionen erschöpften. In Iwanowo handelt es sich um die nächste Entwicklungsstufe der christlich-orthodoxen bildenden Kunst: Die Rezeption der Antike bleibt nicht mehr auf eine äußere Nachahmung beschränkt, sondern ist zu einem den Kunstwerken immanenten Charakteristikum geworden. Somit erscheint das renaissanceartige Gepräge der bedeutendsten Stiftungen Iwan Assens II. als eine Fortsetzung der Kunstentwicklung des Ersten Bulgarenreichs, die an dem Punkt wieder einsetzte, wo die Suche nach dem antiken Geist beim Zusammenbruch des Staates unterbrochen worden war.

 

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105 Bojarin Dessislawa. Fresko in der Kirche von Bojana, 1259

Den unbestrittenen Höhepunkt der bulgarischen mittelalterlichen Malerei stellen die Wandbilder in der kleinen Kirche von Bojana bei Sofia dar, auf denen die humanistische Kunstströmung völlig zur Entfaltung gelangte. Trotz ihrer Einfachheit und Unmittelbarkeit sind diese Fresken zugleich erhaben, ehrwürdig und feierlich - Züge, die der Hofkunst der bulgarischen Hauptstadt Tyrnowo eigen sind. Die Bilder zeichnen sich durch starke Ausdruckskraft und eine tiefe Menschlichkeit aus, wie sie in der mittelalterlichen Kunst der Balkanhalbinsel nie zuvor in so hohem Maße erreicht wurden, und weisen mit ihrer Naturtreue in die Richtung der Renaissance.

 

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Gleichzeitig orientierte sich die bulgarische Kunst des 13. Jahrhunderts an der humanistischen Strömung in der christlich-orthodoxen Gesellschaft des späten 11. und des 12. Jahrhunderts, die in den philosophischen Lehren des hervorragenden byzantinischen Humanisten Michael Psellos (1018-1079) und seines Schülers Johannes Italos (zweite Hälfte des 11. bis Anfang des 12. Jahrhunderts) zum Ausdruck kam und nach ihrer Bekämpfung durch die klerikale Reaktion von Byzanz vorübergehend Asyl in den Kreisen um den bulgarischen Zarenhof gefunden hatte.

 

Die nächste Entwicklungsstufe der bulgarischen Monumentalmalerei und zugleich ihr Höhepunkt, auf dem der klassische Stil seine volle Ausdruckskraft und seinen höchsten künstlerischen Rang erlangte, zeigt der Wandschmuck der Kirche der Heiligen Nikolaos und Pantelejmon in Bojana bei Sofia. Die kleine Bojarenkirche aus dem 10. Jahrhundert wurde laut Stifterinschrift 1259 durch einen zweigeschossigen Anbau erweitert; zugleich erhielt die ganze Kirche eine neue Ausmalung. Die klare Anordnung der Wandbilder folgte der strengen Ökonomie der vorangegangenen Epoche und widersetzte sich damit deutlich der in der Mitte des 13. Jahrhunderts auftrerenden Neigung zur Ausdehnung und Komplizierung des Bildprogramms. Wie das Bildprogramm, so sind auch die ikonographischen Typen fest in der Überlieferung verwurzelt. Der Künstler folgte der westbulgarischen Kunsttradition, die oft archaische Merkmale der Kunst des christlichen Ostens aufweist. Die Kontinuität der Tradition ist fast an jedem Bildwerk der mittelalterlichen Kunst Bulgariens faßbar und reicht bis in die Zeit vor dem Bilderstreit zurück. Die Stabilität und die geringe Flexibilität dieser Überlieferung dürfen jedoch keineswegs negativ bewertet werden. Die Tradition bildet die unerschütterliche Grundlage, auf der der Inhalt und die gesamte Formenwelt der christlich-orthodoxen Kunst beruhen; diese Kunst hielt die bildhafte Symbolsprache des frühen Christentums während des ganzen Mittelalters lebendig und schirmte sie gegen die modischen Einflüsse von außen ab, ohne sich einer Neubelebung und Bereicherung durch psychologische Vertiefung des Inhaltes zu verschließen. Innerhalb der scheinbar starren Schemata weisen die Darstellungen eine breite Skala seelischer Bewegtheit auf, bei der jede Gestalt ihre reich nuancierte und präzise Charakterisierung findet. Der Meister von Bojana bediente sich der alten ikonographischen Schemata, führte jedoch zugleich eine neue Typologie ein, die als bedeutendste Neuerung der Wandmalerei von Bojana erscheint und sie mit den progressivsten Strömungen der europäischen Kunst des 13. Jahrhunderts verbindet. Unabhängig von der konservativen Ikonographie vollzog sich hier derselbe Umwandlungsprozeß, der das Streben des Übergangsstils der zeitgenössischen mittel- und westeuropäischen Kunst nach Lebenswahrheit und Realismus kennzeichnete, als dessen Höhepunkt die den

 

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Fresken von Bojana chronologisch am nächsten liegenden Plastiken von Naumburg und Straßburg erscheinen.

 

Gegenüber dem Gedanken an Sünde und Bestrafung, der die christliche Kunst des frühen und hohen Mittelalters beherrschte - im Westen wie im Osten wird hier das Prinzip von Buße und Vergebung in den Vordergrund gerückt: das Prinzip allumfassender Liebe, wie es das irdische Leben Christi vorzeichnet. Für den Meister von Bojana ist Christus nicht mehr der strenge Herr der Herrlichkeit, der gnadenlose Richter beim Jüngsten Gericht, der in der Kuppel der byzantinischen Kirchen herrscht und den Blick zum Firmament nicht freigibt oder dessen Ikonen an der Ikonostasis das Allerheiligste vor den Gläubiggen verbergen. Für ihn ist Christus der Erste unter den Menschen, in dem sich die höchsten menschlichen Tugenden und Ideale vereinigen: die ursprüngliche Reinheit der Seele des Kindes, die überirdische Weisheit des Knaben im Tempel, die Himmel und Erde beschwörende Willenskraft des Gottesmenschen in der Verklärung. Er ist der Duldende und Leidende am Kreuz, der milde und barmherzige Heiland, wie er in der Kuppel und in dem Bild links vom Altar erscheint. Als Menschen zeigen sich auch alle Heiligen. Sie gehören dieser Welt an, erdulden dieselben menschlichen Leiden und fühlen die gleichen irdischen Freuden, sind mit demselben Milieu »zwischen Himmel und Erde« verbunden, das einfach durch den symbolischen dunkelblauen und tiefgrünen Hintergrund gekennzeichnet ist und den abstrakten goldenen Hintergrund der byzantinischen Mosaiken und Ikonen ablöst. Die Heiligen stehen in der unteren Zone des Wandschmucks, in unmittelbarer Nähe zu den Kirchenbesuchern, auf die ihre Blicke gerichtet sind. Was die ungewöhnlich individualisierten Charakterzüge dieser Heiligen mit Christus verbindet, ist der Ausdruck menschlicher Liebe. Um diesen Ausdruck zu erreichen, hat der Meister von Bojana nicht die gleichen Kunstmittel angewandt wie mehrere Künstlergenerationen vor ihm - von der lakonischen Symbolik des hyperbolisierten Details bis zur geschwätzigen Formensprache der übertriebenen Gestik. Er sucht und erreicht eine synthetische Darstellungsweise, die sich nicht mit einer äußeren und oberflächlichen Ähnlichkeit zum Naturvorbild begnügt, sondern sich in der vertieften psychologischen Erfassung des reichen Seelenlebens der Gestalten entfaltet.

 

Mit der Wandmalerei von Bojana wird eine neue Typologie der Heiligen geschaffen. Nach einem langen Weg der Weltabkehr, den die christlich-orthodoxe Kunst während mehrerer Jahrhunderte zurücklegte und bei dem die antiken Vorbilder konsequent schematisiert und versteift wurden, eröffnet diese Auffassung eine Entwicklungsphase, die der italienischen Renaissance vorausgeht: die Rückkehr der Kunst zu den Naturvorbildern. Der Meister von Bojana zeigt ein völlig neues Verhältnis zur Umwelt, er nimmt das Leben und die Wirklichkeit in die Kunst hinein.

 

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Diese tiefgreifenden humanistischen Tendenzen der Wandmalerei von Bojana stehen im Einklang mit der breiten Reformbewegung innerhalb der orthodoxen Kirche, die im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte.

 

In den Fresken von Bojana kulminiert die bulgarische mittelalterliche bildende Kunst. Niemals zuvor war sie von gleicher Lebensfreude und Menschlichkeit erfüllt; niemals zuvor und auch später nicht hat sie eine solche Vergeistigung und zugleich eine derart unmittelbare Annäherung an die Natur erreicht. Doch weder der so stark ausgeprägte Humanismus noch das Streben nach Lebenswahrheit durchbrechen die Schranken der mittelalterlichen Weltanschauung. So tiefgreifend die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen

 

106 Zar Michail Assen. Fresko, Erzengelkirche, Kastoria, Mitte 13. Jh.

 

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innerhalb der bulgarischen Gesellschaft im zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts auch gewesen sein mögen, sie sprengten den Rahmen des Mittelalters nicht, führten zu keinem Sieg des Individuums und schlugen keine Brücke zur Kultur der Renaissance. Von ihr ist auch die Kunst des anonymen Meisters von Bojana durch einen Abgrund getrennt. Seine Kunst lebte konsequent aus der religiösen Sphäre und ließ dem transzendenten Prinzip die Priorität zukommen.

 

Die ungünstigen äußeren Bedingungen im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts - die Tatareneinfälle, die dynastischen Streitigkeiten und die verstärkte klerikale Abwehr der humanistischen Bewegung - beeinträchtigten das gesamte kulturelle Leben Bulgariens. Die Kunstentwicklung wurde für mehrere Jahrzehnte gelähmt und setzte sich erst in den zwanziger Jahren des 14. Jahrhunderts, wenn auch in bescheidenerem Umfang, fort. Gleichzeitig begann in die nunmehr von Bulgarien abgetrennten makedonischen Gebiete die palaiologische Kunst einzuströmen. Die ehemaligen südwestbulgarischen Gebiete erlebten im späten 13. und im 14. Jahrhundert eine letzte kulturelle Blüte, die im Zeichen des byzantinischen Spätklassizismus stand, deren hervorragende Bauwerke, wie die Kirche der Gottesmutter Peribleptos in Ochrid (1295), die Niketaskirche in Čučer bei Skopje (nach 1307) und die Gottesmutterkirche in Staro Nagoričino (1307) zu den bemerkenswertesten Denkmälern der byzantinischen Kunstgeschichte gehören.

 

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107 Heiliger Georg mit Vitenszenen. Ikone, 1684, Nationalgalerie Sofia

Obgleich das erzählende Prinzip den Inhalt der spätmittelalterlichen Ikone weitgehend bestimmt, behielt sie dennoch völlig ihre kultische Bestimmung und blieb weiterhin Gegenstand der Verehrung - Objektivierung des Göttlichen, das sich durch sie zu präsentieren vermag, aber auch zugleich ein Vermittler zwischen der irdischen Welt und dem Himmel.

 

108 Stifterbildnisse. Fresko im Katholiken des Batschkowo-Klosters, 1645

Schon seit dem späten 15. Jh. (Kremikowzi-Kloster) treten vereinzelt unter den Kaufleuten und Steuererhebern auch Namen von Patriziern aus der christlichen Bevölkerung Bulgariens auf. Seit dem 17. Jh. wächst ihre Bedeutung in der Wirtschaft des Osmanischen Reiches. Ihr Selbstbewußtsein sowie ihre stolze und sichere Haltung, die auf einem beachtlichen Reichtum basieren, begegnen uns auf zahlreichen Stifterbildnissen in den bulgarischen Kirchen und Klöstern bis hin zum Berge Athos. Im Batschkowo-Kloster zählen sie zu den bedeutendsten Porträts der spätmittelalterlichen bulgarischen Malerei.

 

109 Antike Philosophen. Fresko im Refektorium des Batschkowo-Klosters, 1643

Während ihrer langen Entwicklung behielt die mittelalterliche kirchliche Kunst Bulgariens stets eine enge Bindung zur Antike und ließ sich immer wieder von den antiken Prototypen inspirieren, deren Reflexe in allen Kunstgattungen spürbar sind. Die Gestalten der antiken Philosophen, von der spätmittelalterlichen christlich-orthodoxen Theologie als Vorläufer Christi verstanden, werden in der Malerei häufig in der Genealogie des Menschensohnes als seine geistigen Vorfahren im prachtvollen Kaiserornat und mit Schriftrollen dargestellt, wie hier im Refektorium des Batschkowo-Klosters, wo neben Sokrates auch Platon, Aristoteles, Plutarch und Diogenes zu sehen sind.

 

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110 Heilige Marina. Ikone, 18. Jh., Kirchenhistorisches Museum Sofia

 

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111 Das Katholikon des Batschkowo-Klosters. 1604

In der Bauform des athonitischen Klostertypus einer Trikonchoskirche mit einem geräumigen Innennarthex errichtet, stellt das Katholikon des Batschkowo-Klosters eine Ausnahme unter den kleinen und schlichten kirchlichen Bauten Bulgariens aus der Zeit der osmanischen Fremdherrschaft dar. Mit seiner monumentalen und prächtigen Innenausstattung gehört es zu den bemerkenswertesten Leistungen der spätmittelalterlichen Kunst auf dem Balkan.

 

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Die Vertreter der archaisierenden Kunstrichtung Südwestbulgariens dagegen blieben sowohl vom klassischen Humanismus der Tyrnowo-Schule als auch vom Klassizismus der palaiologischen Kunst unberührt. Die großen sozialen und politischen Umwälzungen fanden hier ebensowenig Widerhall wie das künstlerische Ideengut dieser bewegten Epoche. Ihre Werke muten daher zeitlos an und sind der Inbegriff der Beständigkeit und des Konservatismus der mittelalterlichen christlich-orthodoxen Kunst schlechthin.

 

Ein typisches Beispiel dafür liefern die Fresken von Semen, entstanden um 1300. Stil, Ikonographie und Technik bleiben hier eher weit zurück und weisen mehrere Besonderheiten auf, die schon für die Kunst vor den Bilderstürmen charakteristisch sind. Dennoch besitzt die Malerei von Semen eine ungewöhnlich starke Ausdruckskraft, wie sie auch innerhalb der christlich-orthodoxen Kunst selten ist. Das wichtigste Kunstmittel ist hier - wie mehrere Jahrhunderte zuvor - die einfache, feste und kräftig betonte Linie, die breit und sicher ist und sich nicht verflüchtigt. Sie trennt die einzelnen Farbflächen, verstärkt die Konturen und gibt dem Ganzen eine strenge Geschlossenheit. Die Figuren sind einfach und streng, derb und gewaltig. Ihre großen Augen blicken auf den Betrachter mit einer irdischen, bannenden Kraft und halten ihn in ihrer seltsamen, irrealen Welt fest.

 

Der archaisierenden Stilrichtung gehören auch eine ganze Reihe von Werken der Buchmalerei des 13. und 14. Jahrhunderts an. An erster Stelle muß hier das Dobrejscho-Evangeliar in der Nationalbibliothek Sofia erwähnt werden — ein bemerkenswertes Beispiel der Unmittelbarkeit und Ausdruckskraft der Volkskunst, aber auch einer langen und ununterbrochenen Tradition, die bis in die Zeit vor dem Bilderstreit zurückreicht. Zugleich läßt sich hier eine der frühesten Erscheinungsformen des sich im 13. Jahrhundert vollständig entfaltenden teratologischen Stils erkennen, dessen erste Ansätze bereits in den glagolitischen Handschriften des 9. Jahrhunderts zu beobachten sind und der die Buchmalerei des westlichen Balkans eine Zeitlang beherrschte.

 

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112 Evangeliarbeschlag. Rückseite, Silber, getrieben und vergoldet, mit Email- und Edelmetallapplikationen, Batschkowo-Kloster, 1696, Kirchenhistorisches Museum Sofia

Während die Ikonographie der Hauptdarstellung auf der Rückseite - die Höllenfahrt Christi wird in der christlich-orthodoxen Kunst für das Osterfest verwendet — sowie der anderen Festszenen am Bildrand traditionell ist und nur geringe folkloristische Einwirkungen offenbart, beweist die Formensprache bereits sehr starke Einflüsse der islamischen Kunst: in den Spitzbogenmedaillons, in dem pflanzlichen Ornament, das die ganze Bildfläche ausfüllt, vor allem aber in der Farbgebung des Zellenschmelzes, die von der traditionellen abweicht und arabisch-orientalischen Vorbildern verpflichtet ist.

 

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113 Johanneskirche in Semen. Innenansicht mit Ausmalung, Ende 13. Jh.

 

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114 Die Inkarnation des Logos. Fresko in der Kuppel der Christi-Verklärungs-Kapelle im Chreljo-Turm, Rila-Kloster, 1334-1335

Im Sinne der spekulativen hochmittelalterlichen Theologie wird das traditionelle Bildprogramm auch in der Kirchenmalerei Bulgariens umgewandelt. So erscheint beispielsweise in der Christi-Verklärungs-Kapelle im Rila-Kloster anstelle des üblichen Bildes des Christus Pantokrator in der Kuppel eine Komposition mit Christus Emmanuel in der Mitte als Personifikation des Logos. Um ihn schweben im Kreis sieben geflügelte Figuren - die Sieben Säulen des Hauses der Weisheit Symbole der sieben Gaben Gottes; die Zentralkomposition wird nach Osten, unterhalb des Christus Emmanuel, von einem Altar mit Kelch und Brot als Symbol der Eucharistie eingefaßt und von zwei Engeln flankiert, an die sich nach links und rechts in vier Gruppen Darstellungen von Aposteln, Kirchenlehrern, Propheten und Märtyrern anschließen; zwischen den einzelnen Gruppen finden sich geöffnete Schriftrollen, die den slawischen Text aus den Sprüchen der Weisheit 9,1-5 wiedergeben; auf den Pendentifs erscheinen die Ganzfiguren der vier Evangelisten und zwischen ihnen das Mandylion und das Keramidon - die nicht von Menschenhand geschaffenen Bildnisse Christi.

 

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115 Evangelist Johannes mit dem Priester Dobrejscho. Miniatur aus dem Dobrejscho-Evangeliar, um 1220

 

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Die bulgarische Monumentalmalerei des 14. Jahrhunderts dokumentiert das widerspruchsvolle geistige Leben dieser Zeit. Die Kunstwerke zeigen eine sehr unterschiedliche Qualität; neben zahlreichen Werken der archaisierenden Stilrichtung, die sich der Volkskunst nähern, stehen Schöpfungen einer höchst raffinierten höfischen Kunst, die bereits manieristische Züge aufweisen - so die dritte Bemalung der Georgsrotunde in Sofia und die Fresken der Verklärungskapelle des Chreljo-Turms im Rila-Kloster (um 1335). Diese Fresken sind von einer leidenschaftlichen Bewegtheit erfüllt, bei der der überaus ekstatische Ausdruck der Figuren durch eine übertriebene Gestik noch gesteigert wird. Die Künstler suchen die schwierigsten Blickpunkte, um ihr vollendetes Können technisch bravourös zur Schau zu stellen. Das Bildprogramm zeichnet sich durch spekulative Kompliziertheit aus und reflektiert das reiche theologische Gedankengut einer aristokratischen Schule. Die sich bereits im 13. Jahrhundert anbahnende Annäherung der Darstellungen an eine empirische Beziehung zur Wirklichkeit ist im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts weiterhin stilbestimmend. Doch mündet diese Entwicklung durchaus nicht folgerichtig in einen Realismus reinster Form. Die Figuren bewegen sich in einem sich immer mehr verselbständigenden Raum, der als phantastische Kulisse erscheint und bei dem die Zahl der aus der Natur entlehnten Motive zugenommen hat, obgleich sie, durch ihre Anordnung und die umgekehrte Perspektive optisch verzerrt, kaum noch einen Zusammenhalt mit dem Naturvorbild erkennen lassen. Es entsteht eine irreale Formenwelt, die den Betrachter verwirrend und abschreckend anmutet. Durch die Zunahme psychologischer und optischer Momente innerhalb der Komposition wird der Zugang weiter erschwert. Die Kraftlinien sind auf Fluchtpunkte gerichtet, die sich außerhalb der Szenen befinden; ihre zackenartige Bewegung erzeugt eine pulsierend-schmerzhafte Rhythmik, die zum Selbstzweck ausartet. Die Dynamik des Dargestellten führt zu einer Ekstase, die der inneren Spannung dieser bewegten, von ununterbrochenen Kriegen erfüllten Epoche der geistigen und politischen Zersplitterung mit ihrer durch die Erwartung des Weltuntergangs beherrschten Stimmung entspricht.

 

Dieselben Stilmerkmale kehren auch in der Buchmalerei der Tyrnowo-Schule wieder, die in der Regierungszeit des Zaren Iwan Alexander (1331-1371) ihre letzte Blüte erlebte. In den Skriptorien der Hauptstadt entstanden eine Reihe von prachtvollen illuminierten Manuskripten, von denen sich drei der bedeutendsten erhalten haben, die im Auftrag des bulgarischen Zaren entstanden sind:

 

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die Manasses-Chronik im Vatikan (1345), das Iwan-Alexander-Evangeliar im Britischen Museum (1356) sowie der Tomič-Psalter in Moskau (um 1360). Durch den Geschmack der nunmehr in den Vordergrund tretenden Auftraggeber vom Zarenhof und aus der Aristokratie verwandelt sich das liturgische Buch in einen wertvollen Kunstgegenstand, dessen Repräsentationswert durch zahlreiche Stifterbildnisse betont wird. Während sich die archaisierende Stilrichtung der Buchmalerei mit ihrem teratologischen und Flechtbandornament im Westen des Bulgarenreichs weiterhin an der vorherrschenden Lokaltradition orientiert, bedient sich die Tyrnowo-Schule spätantiker und byzantinisch-klassischer Vorbilder. Obgleich mehrere Miniaturen als selbständige Schöpfungen bulgarischer Künstler gelten dürften, ist ein entscheidender Umbruch der Tyrnowo-Schule in Stil und Form nicht zu übersehen: Die byzantinischen Einflüsse breiten sich durch den neobyzantinischen Stil immer deutlicher aus und verschmelzen mit den lokalen Besonderheiten zu einem Kunstgebilde, dessen Originalität zweifelhaft erscheint und dessen künstlerische Leistungen oft im Konventionellen steckenbleiben.

 

 

Die Musik fand bereits in der frühchristlichen Zeit im Kirchendienst Zugang. Obgleich Byzanz, ähnlich wie bei den Klosterregeln, auch einen großen Teil der Kirchengesänge und Hymnen vom christlichen Osten übernahm, spielte hier auch die lokale Musiktradition eine bedeutende Rolle. So wurde offensichtlich die aus dem Sonnenkult stammende Anrufung »Kyrie eleison« (»Herr, erbarme dich!«) mit in die Liturgie übernommen. Einen weiteren Anstoß dürften die Gnosis und die Manichäerlehre gegeben haben - sowohl die syrischen Hymnen der Gnostiker Bardesanes und Nikomachos von Gerasa aus dem 2. Jahrhundert als auch die Kirchengesänge Manis aus dem 3. Jahrhundert fanden in der frühchristlichen Kirche eine weite Anwendung. Die offizielle christliche Kirche hat zunächst das Singen von Liedern während des Gottesdienstes abgelehnt - noch im 4. Jahrhundert hat sich in diesem Sinne das ökumenische Konzil von Laodikeia ausgesprochen, das lediglich das Singen von Hymnen mit biblischen Texten zuließ.

 

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116 Stifterbildnisse aus dem Iwan-Alexander-Evangeliar. Temperafarbe mit Blattgold auf Pergament, Tyrnowo-Schule, 1355-1556, London, British Museum, Add. Ms. Nr. 39627, Fol. 3r

Die Stifterbildnisse des Herrscherpaares Zar Iwan Alexander und Zarin Theodora-Sara mit ihren Kindern Iwan Schischman und Iwan Assen sind wie die ganze Gestaltung dieser Prachthandschrift von mittelbyzantinischen illuminierten Handschriften beeinflußt. Die kostbare Ausführung des liturgischen Buches, seine prunkvolle Ausstattung und Einfassung im Goldeinband mit Edelsteinapplikationen werden zum Selbstzweck.

 

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Diese Bestimmung wurde jedoch nicht allgemein befolgt, und die meisten östlichen Kirchen pflegten während des Gottesdienstes weiter den Kirchengesang ohne Instrumentalbegleitung, der im 6. Jahrhundert auch in Byzanz offiziell eingeführt wurde. Allerdings dürfte hier insbesondere in den westbalkanischen Gebieten sowie in den Klöstern im Sakar- und Strandshagebirge die ältere Tradition - der ikonographischen und mystischen Überlieferung ähnlich - bestanden haben, deren Ursprünge noch weiter als zu Gnosis und Manichäerlehre in die Orphischen Mysterien zurückreichen. Während die byzantinische Kirche die orientalische Einstimmigkeit im Kirchengesang übernahm, sind in der lokalen Überlieferung bereits Formen der Mehrstimmigkeit enthalten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß während der Einführung der bulgarischen Sprache in den Gottesdienst der Bulgaren 895 gerade solche Formen der lokalen mündlichen Tradition übernommen worden sind, die Ende des 9. Jahrhunderts unter dem Namen Sequentia bulgarica nach Italien übertragen wurden.

 

Während der Byzantinisierung der bulgarischen Kirche nach 1037 wurden alle diese Gesangsformen aus dem Gottesdienst entfernt und verboten. Ein sehr geringer Teil solcher Kirchengesänge ist dennoch sowohl in der mündlichen Überlieferung in einigen der entlegensten Klöster, aber auch schriftlich in den bulgarischen Klöstern auf dem Berge Athos festgehalten worden - wie beispielsweise das auf älteren Texten basierende Dragan-Menaion im Sograf-Kloster aus dem 13. Jahrhundert - und bis ins Spätmittelalter erhalten geblieben. Ein weiterer Teil ist schon im 10. Jahrhundert mit den bulgarischen Liturgiebüchern nach Rußland übertragen worden, wo er als Grundlage des russischen mehrstimmigen Kirchengesangs diente und bis zum 17. Jahrhundert seinen Namen Bolgarski rospew (Bulgarischer Gesang) bewahrte, als die frühesten erhaltenen Niederschriften dieser Gesänge entstanden zu sein scheinen.

 

Auf der Grundlage der überlieferten Kirchengesänge wurde im 13. und 14. Jahrhundert eine weitreichende Sammel- und Restaurierungsarbeit durchgeführt, deren Ergebnis die Umstellung des Gottesdienstes auf den bulgarischen Kirchengesang war. Der Abschluß dieser Tätigkeit fand allerdings erst in den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts im Werk der literarischen Schule von Tyrnowo statt. Durch die kurz darauf erfolgte türkische Eroberung konnten die reformierten Kirchengesänge nicht in allen bulgarischen Gebieten verbreitet werden, doch fanden sie in Serbien, Rumänien und vor allem in Rußland eine breite Aufnahme und wurden bis zum Spätmittelalter weiter verwendet.

 

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117 Schmuckseitea us dem Dragan-Menaion. Pergament, Mitte 13. Jh., Sograf-Kloster, Athos, Cod. Slav. 55

 

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Zur gleichen Zeit, als in den Klöstern von Tyrnowo die Reform der bulgarischen Kirchenmusik stattfand, leitete ein anderer Bulgare, der aus den westlichen bulgarischen Gebieten stammende Joan Kukusel, ebenfalls eine wichtige Reform des byzantinischen Kirchengesanges ein. Der nach seinem Tode von der byzantinischen Kirche heiliggesprochene und mit dem Beinamen »der Sänger mit der Engelsstimme« benannte Reformer kam als Kind nach Konstantinopel, wo er nach seiner Ausbildung in der Hohen Schule ein Hofsänger - Günstling des Kaisers Andronikos II. Palaiologos (1282-1328) - und später Domestikos (Kantor) der Patriarchenkirche wurde, schließlich aber auf den Berg Athos ging. Neben einer großen Anzahl von Kirchengesängen, die Joan Kukusel schuf, wodurch er von seinen Zeitgenossen als ein zweiter Johannes Damaskenos bewundert wurde, wird ihm die wichtigste Reform der byzantinischen Musikschrift zugeschrieben. Während die aus 25 Zeichen bestehende mittelbyzantinische Notenschrift - die Neumen - die genauen Intervalle und die Rhythmik nicht angaben und lediglich das Steigen und Fallen der Stimmen andeuteten, enthielt die Joan Kukusel zugeschriebene Notenschrift 60 Zeichen zweierlei Art, die sogenannten phonetischen und die cheironomischen Zeichen; die ersteren gaben die Intervalle, die letzteren Lage, Ausdruck, Dynamik, Rhythmik, Akzente und weitere Melismen an. Seit dem

 

Jahrhundert setzte sich diese neue Notenschrift im ganzen byzantinischen Bereich unter dem Namen »neubyzantinische« oder »kukuselische« Schrift durch.

 

Keineswegs geringer ist aber die Bedeutung Joan Kukusels als Komponist. Er bereicherte wesentlich die Musiksprache der byzantinischen Kirche durch Erweiterung ihres Intonationsbereichs mit Entlehnungen aus dem bulgarischen Volkslied sowie durch eine große Anzahl von Melismen, die auch die rhythmische Struktur der Musik veränderten. Seine auf Volksliedern, die seine Mutter sang, basierende Komposition »Die Klage der Bulgarin« stellt zugleich das erste Werk weltlicher Musik in Byzanz dar, eine Art Kantate, die die bislang allein für den Kirchengebrauch vorbehaltene Sphäre der Berufsmusik weiter ausdehnte.

 

In Bulgarien fand die Reform des Joan Kukusel keinen Eingang. Die Abgrenzung gegen Byzanz war bereits vollzogen, und erst die türkische Eroberung führte zu einer Annäherung. Neben der orthodoxen Kirche dürfte hier aber auch das Bogomilentum eine bedeutende Rolle für die Musikentwicklung und vor allem für den mehrstimmigen Gesang gespielt haben. Obgleich in schriftlicher Form keine bogomilischen Gesänge erhalten geblieben sind, wird ihre Existenz durch alle gegen die Bogomilen verfaßten Materialien bezeugt, außerdem enthält die besonders reiche musikalische Folklore Bulgariens eine Vielzahl kultischer Gesänge, Lieder und Tänze, die mit dem Christentum nichts

 

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gemeinsam haben und teilweise auf vorchristlichen Bräuchen fußen, teilweise aus kultischen Handlungen anderer Riten, darunter des Bogomilentums, stammen. Diese musikalische Folklore sollte aber die entscheidende Rolle für die weitere Entwicklung der Musik spielen und in der nächsten Phase der bulgarischen Kulturgeschichte als vorherrschende Erscheinungsform der Musik lebendig bleiben.

 

Im Unterschied zum Abendland, wo die Instrumentalmusik eine weite Anwendung in der Kirche fand, wurde sie von der byzantinischen Kirche grundsätzlich abgelehnt und bekam dort bis zum heutigen Tage keinen Zugang. Über das Verhalten der offiziellen Kirche in Bulgarien gegenüber der Instrumentalmusik sind jedoch keinerlei Angaben vorhanden. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß in der Zeit des großen Einflusses der byzantinischen Kirche in Bulgarien diese Einschränkung streng befolgt wurde - so wird den Bogomilen unter anderem vorgeworfen, sie hätten »Guslen, Tänze und sonstige Lehren des Satans« in Gebrauch. Seit dem 14. Jahrhundert erscheinen jedoch in bulgarischen Kirchenfresken bildliche Darstellungen von Musikanten und Tanzenden, die einen Gebrauch der Instrumentalmusik auch im Gottesdienst andeuten. Dafür spricht ebenfalls die in Bulgarien weite Verbreitung mehrerer unterschiedlicher Musikinstrumente - Saiten-, Blas- und Schlaginstrumente -, die zum Teil bereits aus der Antike stammen, zum Teil von den Slawen und Protobulgaren mitgebracht wurden, jedoch im Mittelalter weiterentwickelt worden sind. Einige von ihnen wurden zusammen mit der Bogomilenlehre auch in den anderen europäischen Ländern verbreitet. Viele von diesen Musikinstrumenten, in erster Linie die Gadulka und Gusla (Saiteninstrumente, der Viola da gamba ähnlich), der Kaval (eine Art Blockflöte) und die Gajda (Dudelsack), blieben in der Folgezeit weiter in Gebrauch und spielten in der Folklore während der türkischen Herrschaft eine sehr wichtige Rolle.

 

 

Die letzten Jahrzehnte vor der türkischen Eroberung Bulgariens standen im Zeichen einer regen literarischen Tätigkeit der Schule von Tyrnowo. Schon die Gründung dieser Schule durch den späteren Patriarchen Ewtimij im Dreifaltigkeitskloster bei Tyrnowo im Jahre 1371 macht eines ihrer wichtigsten Charakteristika deutlich: daß sie zeitlich begrenzt und dem Untergang geweiht war; denn das war das Jahr der Schlacht an der Mariza, in der das Schicksal der Balkanstaaten entschieden wurde. Die Vernichtung des Heeres der christlichen Feudalstaaten der südwestlichen Balkanhalbinsel und die Eingliederung ihrer Gebiete in das Osmanische Reich öffnete den türkischen Eroberern die Tore zu dem letzten Reichsteil des ehemals mächtigen bulgarischen Staates. In demselben für die Bulgaren so verhängnisvollen Jahr 1371 starb Zar Iwan Alexander, und das nach der Abspaltung zahlreicher Feudalstaaten im Süden,

 

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Südwesten und Nordosten zusammengeschrumpfte Bulgarenreich wurde unter dessen einander feindlich gesinnten Söhnen Iwan Schischman und Iwan Srazimir in zwei Herrschaftsbereiche geteilt: das Zarenreich von Tyrnowo und das Zarenreich von Widin. Diese Teilung bestimmte auch die eingeschränkten geographischen Grenzen des Wirkungsbereiches der Tyrnowo-Schule, da weder im Reichsteil von Widin noch im autonomen Feudalstaat des Bojaren Dobrotiza im Nordosten Bulgariens und schon gar nicht in den übrigen, bereits unter türkische oder serbische Herrschaft geratenen bulgarischen Gebieten die Oberhoheit des Bulgarischen Patriarchats anerkannt wurde.

 

Die geistige Basis der Tyrnowo-Schule bildete der Hesychasmus — die letzte Erscheinungsform einer mystischen Lehre in der christlich-orthodoxen Kirche, zugleich die höchste Stufe eines ausgeprägten Individualismus, der sich jedoch schwerlich mit dem Drang nach Befreiung des Individuums in der fast parallel verlaufenden Renaissancebewegung des Abendlandes vergleichen läßt. Diese Bewegung der Weltabkehr, eine Folge der schon im späten 15. Jahrhundert einsetzenden klerikalen Reaktion gegen den zuvor aufgeblühten Humanismus, war geradezu ein Gegensatz zum Streben nach außen, in die Welt, das die abendländische Renaissance kennzeichnete. So grundsätzlich einander entgegengesetzt waren auch die Wiederbelebung der römischen Antike in den westeuropäischen Ländern und die Rückkehr zu Frühformen des Christentums im orthodoxen Südosteuropa - ein letzter Versuch, die durch scharfe Widersprüche zerrissene orthodoxe Kirche zu festigen.

 

118 Die Burg Baba Wida bei Widin

 

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Auf dieses Ziel richtete sich auch die Hauptarbeit der Tyrnowo-Schule. Eine Sprach- und Rechtschreibereform war mit der Durchsicht aller Kirchenbücher verbunden. Diese Reform sollte einerseits eine Vereinheitlichung herbeiführen, zugleich aber die Kirchenbücher von allen undogmatischen, nicht kanonisierten und gar als ketzerisch angesehenen Zusätzen oder Substanzen befreien - mit anderen Worten: Sie wurden einer strengen Zensur unterzogen, der eine unübersehbare Zahl älterer Handschriften zum Opfer fiel. So war auch die Einführung der neuen, mit der byzantinischen in Einklang gebrachten Rechtschreibung und ebenso die Angleichung der Liturgie an die byzantinischen Normen von der Vernichtung älterer, »unbrauchbarer« Kirchenbücher begleitet, wodurch der ohnehin geringe Bestand der durch die Jahrhunderte geretteten Handschriften aus der Zeit des Ersten Bulgarenreichs stark dezimiert wurde.

 

Schon diese mit höchster Pedanterie durchgeführten Maßnahmen lassen die gesamte Tätigkeit der Tyrnowo-Schule als fragwürdig erscheinen und mindern sogar die nicht geringe Anzahl der außer Zweifel stehenden Verdienste der bedeutendsten Vertreter dieser Schule - des Patriarchen Ewtimij, Konstantins von Kostenez, Kiprijans und Grigorij Zamblaks -, denen eine Bereicherung und Perfektionierung der Literatursprache, die Schaffung eines gehobenen Literaturstils und die Erweiterung der literarischen Genres zu verdanken sind. Während die Tätigkeit Kyrills und Methods sowie ihrer Schüler und Nachfolger in der Preslaw- und Ochrid-Schule auf die Schaffung einer allgemein zugänglichen Literatursprache gerichtet war, deren wichtigstes Merkmal Verständlichkeit und Klarheit hieß, vollzog sich durch die Tätigkeit der Tyrnowo-Schule eine endgültige Trennung zwischen der Volkssprache und der zuweilen abstrakt wirkenden Literatursprache. Somit wurde die ohnehin bestehende Kluft zwischen Volk und Kirche vertieft.

 

Durch das zeitlich recht begrenzte Wirken - ihr war nicht einmal eine Existenz von einem Vierteljahrhundert beschieden - blieb die Tyrnowo-Schule in dem auch geographisch verengten Rahmen des nunmehr sehr kleinen bulgarischen Reichsteils von Tyrnowo ohne große Resonanz. Hingegen fand das Werk dieser Schule durch das Wirken ihrer Vertreter in den anderen christlich-orthodoxen Ländern bis hin nach Rußland breite Aufnahme. So lag das Schwergewicht der Tätigkeit Konstantins von Kostenez hauptsächlich in Serbien, wo er sich als Gründer und bedeutendster Vertreter der serbischen literarischen Schule von Resava besonders verdient machte. Metropolit Kiprian wirkte in Rußland und führte dort die erste Angleichung der Kirchenbücher durch, während Grigorij Zamblak seine Arbeit in Konstantinopel, im Kloster Dečani in Serbien, in den rumänischen Fürstentümern Moldau und Walachei sowie schließlich in Rußland entfaltete, und zwar nicht nur als Schriftsteller,

 

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dessen Beitrag in der Literatur all dieser Länder wesentlich war, sondern auch als bedeutender Staatsmann und Vertreter der Kirche. Als Metropolit von Kiew und Litauen erschien er an der Spitze der osteuropäischen Delegation auf dem Konstanzer Konzil im Jahre 1415 und trat dort für die Vereinigung der christlichen Kirchen ein.

 

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