Kulturgeschichte im Prisma: Bulgarien vom Altertum bis 1878

Assen Tschilingirov

 

(8) Die byzantinische Herrschaft (1018-1186)

 

93 Schmuckseite aus dem Radomir-Psalter. Pergament, Mitte 13. Jh. Sograf-Kloster Athos, Cod. Slav. 47, fol. 166V
94 Die Beinkirche des Batschkowo-Klosters. Um 1083

 

Die Einstellung der militärischen Kämpfe zwischen Byzanz und Bulgarien und die Ablösung der bulgarischen Staatsmacht brachten dem Lande nicht den langersehnten Frieden. Die Berichte byzantinischer Chronisten über die Genugtuung beider Völker und ihre Annäherung untereinander verstummen bald im raschen Gang der nachfolgenden Ereignisse. Die wichtigsten Vereinbarungen des Friedensvertrags wurden von byzantinischer Seite nicht eingehalten. Schon zu Lebzeiten Basileios’ II. wurden sie in Frage gestellt, und auch seine Autorität half manchmal nur sehr wenig, die Vertragsklauseln durchzusetzen und zu verwirklichen. Der Kaiser mußte bereits ein Jahr nach Abschluß des Friedensvertrages byzantinische Metropoliten zur Anerkennung der Diözesengrenzen des Bulgarischen Erzbistums ermahnen. Die Mitbeteiligung der bulgarischen Dynastie an der Regierung ließ auf sich warten, und die Vermählung bulgarischer Prinzessinnen mit byzantinischen Prinzen wurde immer weiter hinausgezögert. Der Tod Basileios’ II. 1029 gab seinen Nachfolgern den Anlaß, die Vertragsklauseln nacheinander außer Kraft zu setzen. Schon im selben Jahr wurde gegen die bulgarische Zarin Maria und ihren ältesten Sohn, den bulgarischen Thronfolger Frushin-Pressian, wegen angeblicher Vorbereitung einer Verschwörung Anklage erhoben - Zarin Maria wurde bis zu ihrem Tode im Kloster eingesperrt und der Thronfolger geblendet. Zugleich wurde auch mehreren bulgarischen Lehnsherren Untreue vorgeworfen, und sic wurden nacheinander durch byzantinische Großgrundbesitzer abgelöst.

 

Das Konstantinopler Patriarchat versagte zunächst seine Zustimmung für die die Unabhängigkeit der bulgarischen Kirche betreffenden Vertragsklauseln, weil es darin sofort einen weitreichenden Eingriff in seine Kompetenz erkannte. Ein Einspruch gegen diesen Vertrag wurde von ihm jedoch erst nach dem Tode des bulgarischen Patriarchen, des späteren Erzbischofs Joan, im Jahre 1037 erhoben. Das Recht der bulgarischen Synode zur Wahl eines Nachfolgers ihres Oberhauptes wurde von dem Konstantinopler Patriarchat außer Kraft gesetzt und ein Grieche, Leon, als Erzbischof nach Ochrid entsandt. In Konstantinopel dachte man daran, daß die Zeit zur Wiederherstellung der alten Verhältnisse zwischen beiden Kirchen, wie sie vor Abspaltung der bulgarischen Kirche bestanden hatten, gekommen sei. Das Schisma wurde aufgehoben, zugleich aber dem Bulgarischen Erzbistum die Autonomie aberkannt und seine Bistümer dem Patriarchat von Konstantinopel untergeordnet. Rückwirkend wurden alle Beschlüsse, Handlungen und Erlasse des Bulgarischen Patriarchats und der

 

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ihm unterstellten Bistümer aus der Zeit seines hundertjährigen Bestehens (919-1018) außer Kraft gesetzt. Dies bedeutete, daß sämtliche kirchenrechtlichen Handlungen, wie Kirchen- und Priesterweihen sowie Heiligsprechungen, aber auch zahlreiche Vorgänge, die sich bis in das Bürgerrecht erstreckten, wie Taufe, Eheschließung und sogar Eidschwur, für ungültig erklärt wurden. Die Einschränkung der Autonomie der bulgarischen Kirche bezog sich auch auf den Gebrauch der bulgarischen Sprache im Gottesdienst, sie wurde mit sofortiger Wirkung verboten.

 

Für die Durchführung dieser Maßnahmen sorgte der neue bulgarische Erzbischof Leon (1037-1056). Sämtliche Kirchen in seiner, inzwischen durch Abgabe mehrerer angrenzender Bistümer an die Metropolien von Larissa, Dyrrhachion und Thessalonike zusammengeschrumpften Diözese ließ er teilweise oder bis zu den Grundmauern abtragen und selbst seine Kathedrale umbauen, ihre Fresken zum Teil übermalen, zum Teil durch neue ersetzen. Die liturgischen Handschriften wurden vernichtet - gerettet wurden nur sehr wenige, die in fernen Klöstern wie auf dem Berge Athos und auf dem Sinai versteckt waren, sowie die inzwischen als Abschriften in Rußland verbreiteten.

 

Diese Maßnahmen gegen die bulgarische Bevölkerung betrafen keineswegs allein die oberen Schichten des Adels und den Hochklerus. Das Leben des Volkes verschlechterte sich auch wesentlich. Es wurden neue Steuern erhoben, die die ohnehin erbärmliche Wirtschaftslage und die zunehmende Verarmung der Landbevölkerung noch verschlimmerten. Auch die relativ geringe Zahl freier Bauern wurde allmählich abhängig durch die Ausbreitung des Leibeigentums, womit der Feudalisierungsprozeß abgeschlossen wurde. Die Lage der Bevölkerung wurde aber auch durch die sich wieder häufenden feindlichen Einfälle der Kumanen und Petschenegen vom Norden und Nordosten verschlechtert. Die nicht mehr befestigten Grenzen wurden mehrmals durchbrochen und weite Gebiete des Landes verwüstet.

 

Die Unzufriedenheit erfaßte nach und nach immer weitere Bevölkerungsschichten, und schon im Jahre 1040 kam es zum ersten Aufstand der Bulgaren gegen Byzanz unter der Führung von Samuils Enkel Peter Deljan. Der Aufstand breitete sich in kurzer Zeit fast auf das ganze bulgarische Gebiet aus und bedrohte Byzanz ernsthaft. Obgleich es den Byzantinern schließlich gelang, durch Verrat den Anführer auszuschalten und den Aufstand zu ersticken, wurde doch ein neuer Kurs in der Assimilierungspolitik gegen die Bulgaren eingeleitet. Eine der umstrittensten Vertragsklauseln wurde plötzlich verwirklicht: für die Nachfolger der bulgarischen Zarendynastie wurde das Mitbeteiligungs- und Mitbestimmungsrecht an der Regierung des Imperiums anerkannt, und die bulgarischen Prinzessinnen heirateten nacheinander byzantinische Thronnachfolger und Kaiser.

 

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93 Schmuckseite aus dem Radomir-Psalter. Pergament, Mitte 13. Jh. Sograf-Kloster Athos, Cod. Slav. 47, fol. 166V

Die einzige Miniatur stammt aus einem der bedeutendsten erhaltenen Werke des teratologischen Stils der bulgarischen Buchmalerei. Der Psalter wurde auf dem südwestlichen Balkan von dem Djak (Vorleser) Radomir geschrieben und ausgeschmückt. Die mittelbulgarische kyrillisch-slawische Kalligraphie der Halbunzialschrift und der Initialen vereinigt sich hier in dem Tiergeflecht mit der vorchristlichen Tradition der reichen Ornamentik.

 

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So wurde eine Enkelin des letzten bulgarischen Zaren Iwan Wladislaw mit dem künftigen Kaiser Romanos IV. Diogenes (1068-1071) vermählt, die Urenkelin Iwan Wladislaws, Irene, heiratete Alexios I. Komnenos (1081-1118), während die andere Urenkelin, Maria, die Frau des Georgios Palaiologos wurde. Diese Eheschließungen waren jedoch für die Bulgaren mit keinerlei Vorteilen verbunden. Damit wurden lediglich die Vorrechte der byzantinischen Kaiser über das bulgarische Land bekräftigt, während die inzwischen völlig hellenisierten Vertreter der bulgarischen Zarendynastie sich nicht im geringsten an ihr Volk hielten. Eines der besten Beispiele hierfür liefert die bekannte byzantinische Schriftstellerin Anna Komnene, Tochter des Kaiser Alexios I. Komnenos, die sich ihrer halbbulgarischen Herkunft schämte und in ihren Werken eine antibulgarische Stellung vertrat.

 

Hingegen versagten sich der byzantinischen Assimilierung die bulgarische Bevölkerung und auch die Besiedler der südlichen und südwestlichen an Byzanz angrenzenden Gebiete, wo die Anstrengungen der byzantinischen Zentralmacht, das slawisch-bulgarische Volk in ihre Völkergemeinschaft einzugliedern, auf heftigen Widerstand stießen. Hier lassen sich am deutlichsten die Früchte der Tätigkeit Kliments und seiner Schüler erkennen. Während die zahlreiche slawische Bevölkerung der südlichen Balkanhalbinsel bis zum Beginn des 11. Jahrhunderts ganz im Byzantinischen Imperium aufging, blieben das Nationalbewußtsein, die Sprache und die Bräuche der Bulgaren unangetastet. Es hatte sich in diesen Gebieten ein bulgarischer Kern herausgebildet, dessen Umwandlung und Ausrottung niemandem mehr gelingen sollte. Vergeblich waren auch die nach dem zweiten Bulgarenaufstand 1072 erneut wachsenden Anstrengungen von Byzanz, sich die bulgarische Bevölkerung einzuverleiben. Am Erzbischofssitz in Ochrid wurden einige der fähigsten Staatsmänner von Byzanz, Theophilakt von Ochrid und Konstantin Kabasilas, eingesetzt, denen aber der Zugang zu den Bulgaren auch nach der zu Beginn des 12. Jahrhunderts erfolgten Wiedereinführung des Bulgarischen als Liturgiesprache versagt blieb.

 

Der schon im späten 10. Jahrhundert einsetzende Prozeß der Entfremdung von der orthodoxen Kirche nahm unter der byzantinischen Herrschaft heftig zu. Die bereits zur Zeit des Zaren Peter (927-972) in Bulgarien auftretende Bogomilenlehre fand eine weite Verbreitung bei der Bevölkerung. Ursprünglich eine Mysterienlehre, die sowohl von der mystischen Praxis des Vorderen Orients als auch vom Neuplatonismus beeinflußt war, entfaltete sich das Bogomilentum allmählich zu einer Protestbewegung der Volksmassen, die zunehmend auch sozialpolitische Züge annahm. Ursprünglich war aber der Bogomilentum eine geistliche Lehre und trat für die Ideen des frühen Christentums ein - für die Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen, gegen die kirchliche Hierarchie und die Riten der orthodoxen Kirche.

 

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Von letzterer wurde er umgehend als Ketzerei bezeichnet und verfolgt. Die Auseinandersetzungen zwischen den Bogomilen und der orthodoxen Kirche verschärften sich seit der Mitte des n. Jahrhunderts und nahmen bald die Form militanter Verfolgung an, die zur Zeit des Kaisers Alexios I. Komnenos (1081-1118) ihren ersten Höhepunkt erreichte. Gegen die Bogomilen wurden Straffeldzüge geführt - den späteren Vernichtungszügen gegen die Katharer in Italien und Südfrankreich ähnlich. Die Bogomilendörfer und -siedlungen wurden dem Erdboden gleichgemacht und ihre Anführer, Wassilij an der Spitze, in Konstantinopel auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

 

Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts begann sich aber auch die außenpolitische Lage von Byzanz zu verschlechtern. Den Kumanen- und Petschenegenüberfällen folgten die Eroberungskriege der Normannen im letzten Drittel des Jahrhunderts, die die byzantinischen Westgebiete verwüsteten; seit 1096 wurde das Land auch von den Kreuzrittern mehrmals durchquert. Schon 1038 spalteten sich die serbischen Slawen ab und bildeten anfangs ein kleines unabhängiges Fürstentum an der Adriaküste, an das sich im 12. Jahrhundert weitere Gebiete der westlichen Balkanhalbinsel anschlossen, während die Nordwestgebiete häufig von den Magyaren ausgeplündert wurden. Der von Basileios II. erreichte Höhepunkt der byzantinischen Macht war der letzte in der Geschichte des Byzantinischen Reiches, das sich langsam, aber sicher seinem Ende näherte.

 

 

Die Auflösung der Zentralmacht des Bulgarenreichs im Jahre 1018 hatte verheerende Auswirkungen auf die kulturelle Entwicklung des Landes. Die bis auf die Fundamente zerstörte Hauptstadt Preslaw verlor schon zuvor für immer ihre Bedeutung als kultureller Mittelpunkt Bulgariens. Nachdem diese Funktion für fast ein halbes Jahrhundert an Ochrid als Hauptstadt und Patriarchensitz übergegangen war, mußte es nach der byzantinischen Eroberung seine Rolle wesentlich einschränken und blieb in den nächsten Jahrhunderten lediglich als religiöses Zentrum einer seit der Jahrtausendwende immer kleiner werdenden Diözese bestehen ohne jegliche kulturelle Ausstrahlung. Die byzantinische Hauptstadt Konstantinopel erwies sich ebenso als unfähig, die kulturelle Entwicklung und die Kunsttätigkeit des in mehrere Lehnsherr- schaften zersplitterten Feudalstaates voranzutreiben. Die Qualität der Kunstwerke reichte sehr selten über das Provinzielle hinaus. Auch dort, wo die Stifter von Klöstern und Kirchen den höfischen Kreisen Konstantinopels entstammten - Erzbischof Leon ließ die Sophienkirche in Ochrid umbauen und zum Teil neu ausmalen, Alexios Komnenos (ein Enkel des Kaisers Alexios I. Komnenos) stiftete 1164 die Fresken der Kirche in Nerezi bei Skopje —, gewannen die lokalen Besonderheiten meistens die Oberhand.

 

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94 Die Beinkirche des Batschkowo-Klosters. Um 1083

 

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Als wohl einzige Ausnahme unter den erhaltenen Werken der Monumentalkunst gilt die von dem Großdomestikos des Westens, Gregorios Bakuriani (gest. 1086), gestiftete Beinkirche des Batschkowo-Klosters, deren Fresken sich eindeutig in die Konstantinopler Hofschule einreihen lassen und ein überragendes künstlerisches Niveau besitzen.

 

Die Gründung des Batschkowo-Klosters selbst stellt eine besonders typische Erscheinung für diese Epoche dar. Der Zweck war weder die Schaffung eines Zentrums für geistig-kulturelle Tätigkeit, vergleichbar etwa mit den Klöstern in der Nähe von Preslaw und Ochrid aus der Zeit von Boris I., noch eine Flucht aus der Welt und aus dem öffentlichen Leben, wie das bei der ursprünglichen Einsiedelei des Rila-Klosters aus der Mitte des 10. Jahrhunderts der Fall war. Statt dessen entstand hier, inmitten eines dicht mit Bogomilen besiedelten Gebietes, eine Festung: ein Vorposten der kämpfenden - nicht missionierenden! - Orthodoxie, eine befestigte Burg in einem feindlich gesinnten Land - ähnlich den Gründungen der Deutschordensklöster in Nordeuropa.

 

Ohne die Aufträge des bulgarischen Hofes und des Adels war den Kunstwerkstätten die materielle Basis entzogen. Sie waren damit zur Auswanderung oder zum Aufhören verurteilt. Etwa bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts sind wir imstande, einige Spuren ihrer Tätigkeit, vor allem in Thessalonike und Konstantinopel, zu verfolgen, wo sich an wenigen Bauten die Besonderheiten des malerischen Stils der bulgarischen Baumeister noch erkennen lassen. Offensichtlich stieß jedoch dieser Baustil dort auf keine besondere Gegenliebe, denn er fand keine Verbreitung, so daß die Künstler sich auf die Mode der byzantinischen Hauptstadt umstellen mußten und in der Menge byzantinischer Maler und Architekten völlig untergingen. Die Tätigkeit der Künstler in Bulgarien war durch die stark zurückgegangenen Aufträge eingeschränkt. Erst ab 12. Jahrhundert läßt sich eine Wiederbelebung der Bautätigkeit und der mit ihr eng verbundenen Monumentalmalerei feststellen, die jedoch meist im Rahmen des Provinziellen blieben. Eine Kontinuität in der Kunstausübung ist lediglich bei den Goldschmiedewerkstätten in Ochrid feststellbar, obwohl auch hier die Qualität der Kunstwerke sehr nachgelassen hatte. Erhalten geblieben waren nur die unschöpferische handwerkliche Kunstfertigkeit und die traditionelle Formsprache der Ornamentik und Ikonographie, wenn auch nicht selten in den Maßen schablonisiert und ausgetrocknet, daß man die Verbindung mit den Vorbildern der Vergangenheit kaum wiedererkennen kann.

 

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