Die protobulgarische Periode der bulgarischen Geschichte

Veselin Beševliev

 

III. DIE GESCHICHTE

 

  1. Die früheren Wohnsitze, Zahl und Namen der bulgarischen Stämme  145

  2. Kubrat und der Zerfall seines Reiches  149

  3. Alzeco  156

  4. Kuber  159

  5. Asparuch. Die Gründung des bulgarischen Staates  173

  6. Sagenhafte Nachrichten über die Anfänge des bulgarischen Staates  183

  7. Tervel und Kormesios  191

  8. Die letzten Khane aus dem Geschlecht Dulo und Kormesios  204

  9. Am Rande des Abgrundes  212

10. Die Wiederaufrichtung. Teleryg und Kardam  223

11. Die Machtenentfaltung. Krum  235

12. Die Nachfolger Krums: Dukum und Ditzevg  267

13. Kansübigi Omurtag  275

14. Die letzten heidnischen Herrscher  289

a. Malamir  289

b. Persian  291

 

 

1. Die früheren Wohnsitze, Zahl und Namen der bulgarischen Stämme

 

Quellen: Theophanes; Nikephros; Moses Chorenaçi

 

Allegemeine Literatur: K. Zeuss, Die Nachbarstämme 710-727; M. Drinov, Werke I, 31-33; 44-45; K. Jireček, Bulgaren 87-88; W. Tomaschek, Bulgaroi, RE III, 1040-1045; Niederle, Manuel I 98-103; J. Marquart, Chronologie 72-98; 109-112; derselbe, Streifzüge, passim (s. den Register 533-534 s.v. Bulgaren); derselbe, Ausdrücke 1-30; V. N. Zlatarski, Istorija I 1, 84-116; G. Balasčev, Beležki 16-20; 26 und Ustrojstvo; J. Kulakovskij, Istorija III 240 ff. und Anhang; S. Runciman, Empire 3 ff.; G. Fehér, Beziehungen; P. Mutafčiev, Istorija 97-104; Gy. Moravcsik, Onoguren 84-118; A. Burmov, Werke I 19-76; Dunlop 41-45; Artamonov, Hazar 157-173

 

 

Die Bulgaren, vom fernem Osten kommend, besetzten das Land an dem Fluss Kuban zwischen dem Asowischen Meer und dem sog. Hippischen Gebirge [1] bis zum Fluss Don in einer nicht sicher zu bestimmenden Zeit, jedenfalls vor dem 6. Jh. Nach Ausweis der byzantinischen Chronisten Theophanes und Nikephoros [2] waren sie dort bereits zu Beginn des 7. Jhs. und ihr Land war den Byzantinern als Gross-Bulgarien (ἡ μεγάλη Βουλγαρία) bekannt. Fast in dem gleichen Gebiet befanden sich die Wohnsitze der Bulgaren auch nach Zacharias Rhetor [3] und

 

 

1. Über Hippika ὄρη s. Kiessling, RE 8, 1715-1717; A. Maricq, Byz. 22 (1952) 345; Artamonov, Hazar 172. Vgl. auch Marquart, Ausdrücke 16

2. Theophan. 357, 8-10; Nikeph. 33, 14-16. Hierzu Artamonov, Hazar 157-169

3. Die sog. Kirchengeschiehte des Zacharias Rhetor in deutscher Übersetzung von K. Ahrens und G. Krüger, Leipzig 1899, 253; Historia ecclesiastica Zachariae rhetori vulgo adscripta interpretatus est E. W. Brooks (Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium, Scriptores Syri, ser. III, tom. VI /versio/. Lovanii II, 1924, 144, 26-30)

“... et ultra easdem portas (die Pforten des Kaspischen Meeres) Burgare et lingua eorum populus paganus ac barbarus, et urbes habent”.

 

Etwas weiter werden die Burgaren als in tabernaculis wohnend erwähnt. Dazu Artamonov, Hazar 83-84

 

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Moses Chorenaçi [4]. Jordanes [5] kannte Bulgaren auch oberhalb des Pontischen Meeres. Die letzteren waren vielleicht die späteren Pannonischen Bulgaren vor ihrer Ankunft in die Theissebene (s. S. 75-90). In welcher Beziehung sie zu den Bulgaren im Kubangebiet standen, lässt sich nicht sagen. Vermutlich waren sie ein ziemlich grosser Stamm von diesen, die wohl sehr früh nach Westen gezogen sind (s. hier S. 87).

 

Die Zahl und die Namen der bulgarischen Stämme, die am Kuban sassen, ist nicht genau bekannt. Die armenische Geographie des Ps. Moses Chorenaçi [6] erwähnt vier Stämme, die nach den Namen der dortigen Flüsse genannt waren:

 

 

4. Die Übersetzung der Stelle aus der Geographie des Ps. Moses Chorenaçi ed. Soukry S. 25 bei Marquart, Chronologie 88:

 

“...Dieser (der Korax) entsendet einen Fluss namens Psychros, der den Bosporos und das Gebiet Zigun trennt, wo das Städtchen Nikop’s liegt. Gegen Norden davon sind das Volk der T’urk’ und der Bulγark' “.

 

Über den Verfasser s. P. N. Akinian, s.v. Moses Chorenaçi in RE, Suppl. Bd. 6 (1935), 534-541; Ja. A. Manandjan, Kogda i kem byla sostavlena “Armjanskaja geografija” pripisyvaemaja Moiseju Horenskomu, in VV I (XXVI), 1947, 127-143; A. Maricq, Byz. 22 (1952), 341-342; Artamonov, Hazar 17 und 167 Anm. 27. Über die angeführte Stelle s. Marquart, Chronologie 87-89, Ausdrücke 16; Zlatarski, Istorija 11,103-105; Artamonov, Hazar 167-168

 

5. Getica 63, 9-10: “ultra quos distendunt supra mare Ponticum Bulgarum sedes”. Dazu Artamonov, Hazar 84-85.

 

6. Géographie de Moïse de Chorène, éd. parle P. A. Soukry, Venise 1881, 25. Der armenische Text und die deutsche Übersetzung bei J. Marquart, Streifzüge 57 (auch Chronologie 87-88):

“Dieses (das Gebirge Κόραξ) entsendet einen Fluss, namens Psychros, welcher die Grenze bildet zwischen dem Bosporos und dem Gebiete Zik’un, in welchem das Städtchen Nikop’s ist. Nördlich davon sind die Völker der Τ’urk’k’ und Bulγark’, die nach den Name der dortigen Flüsse benannt sind: Kup’i Bulγar, Duč’i Bulkar, Olxontor Blkar der Einwanderer, C’dar Bolkar.”

Russische Übersetzung bei K. Patkanov, Iz novogo spiska usw. 28. Dazu Marquart, Chronologie 89-91, Ausdrücke 15-16, Streifzüge 57 Anm. 4; Fr. Westberg, Beiträge zur Klärung orientalischer Quellen über Osteuropa, in: Izvestija Petrogradskoj Akad. Nauk, Bd. XI (1899), Nr. 5, 313-314, derselbe, K analizu vostocnyh istočnikov o vostočnoj Evrope, in ZMNPr XIV (1908) 48-49, derselbe, Zapiska Gotskago Toparha, in: VV XV (1908), 237-238: Artamonov, Hazar 167-168

 

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Kup’i-Bulgar, Duči-Bulkar, Olchontor Blakar (hzw. Ogchondor Blkar) die Einwanderer [7] und Čdar Bolkar. Die Benennung Kup’i des ersten Stammes wird allgemein mit dem Namen des Flusses Κοῦφις (Kuban) verbunden. Nach J. Marquart [8] lässt sich Duči auch als Kuči lesen, da die armenischen Buchstaben d und k zum Verwechseln ähnlich sind. Fr. Westberg [9], der diese Vermutung billigte, identifizierte in der Geographie des Ps. Moses Chorenaçi Kuči mit Kočo, der Benennung des Flusses Dnjepr bzw. der Bucht, in die dieser Fluss sich ergiesst. Wenn diese Deutung zutrifft, könnte man die Kuči-Bulkar mit den Bulgaren identifizieren, deren Wohnsitze sich nach Jordanes oberhalb des Pontischen Meeres befanden. Die Deutung von Čdar Bolkar ist ganz unsicher [10].

 

Die Olchontor Blkar werden zunächst m it den Wlendur (statt Wuγundur), die Moses Chorenaçi in seiner Armenischen Geschichte erwähnt [11], und mit W-n-nt-r in dem verdächtigen Brief des Chazaren Khagan Joseph [12],

 

 

7. Marquart, Chronologie 88 Anm. 5 und 89: “...die nach Europa (Thrakien) auswanderten.” Artamonov, Hazar 168-169. Vgl. auch Zlatarski, Istorija I 1, 107 Anm. 2. Anders A. Burmov, (Werke I 45 und 51-52), der kaum zu Recht annimmt, dass diese Bulgaren nach Armenien ausgewandert seien.

8. Chronologie 89, Streifzüge 57 Anm. 4.

9. K analizu 48-49, vgl. auch Artamonov, Hazar 168

10. Nach Westberg, K analizu 46 ist vielleicht der Fluss Don damit bezeichnet. W. Tomaschek RE 3, 1041 verbindet diese Bezeichnung mit Hunnoi Kidaritai. S. auch Artamonov, Hazar 169

11. Marquart, Chronologie 91; Streifzüge 500

12. P. K. Kokovcov, Evreisko-hazarskaja perepiska v X v., Leningrad, 1932, 92; S. Artamonov, Hazar 171-172. Vgl. auch D. M. Dunlop, 42-43. Über diesen Brief s. Artamonov, Hazar 8-12, Seine Echtheit bestreiten Marquart, Streifzüge 8-9; H. Grégoire, Byz. 12 (1937) 225-226, Bull. de l’Acad. de Belgique (Lettres) 1946, 251-254, La Nouvelle Clio 4 (1925) 281-287, Byz. 22 (1952), 355-356; Fälschung aus dem 13. Jh.: A. Zajaczkowski, Ze studiów nad zagadnieniem chazarskim. Études sur le problème des Khazars (Polska Akademia Umejetnósci Prace Komisji Orientalistycznej. Mémoires de la commission orientaliste, 36 (1947); Kokovcov, Perepiska XV-XVI, XIV, 11; A. Maricq, Byz. 22 (1952), 343 Anm. 3 - Über ähnliche arabische Formen des Namens dieses bulgarischen Stammes s. Dunlop, 43.

 

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die von den Chazaren bis zur Donau verjagt wurden, identifiziert [13]. Sie werden ferner den Unogunduren (Οὐννογουνδούρων Βουλγάρων bei Theophanes, Οὐνογουνδούρων bei Nikephoros und Ὀνογουνδούρους bei Konstanin Porphyrogennetes) gleichgestellt [14]. Die Unogunduren waren unter den Bulgarenstämmen die zahlreichsten sowie die mächtigsten und standen an deren Spitze. Nach Theophanes und Nikephoros waren die Kotragen (Κότραγοι) mit den Bulgaren stammverwand. Sie waren aber kein Teil bzw. Stamm der Bulgaren wie die Unogunduren (vgl. τῶν Οὐννογουνδούρων Βουλγάρων bei Theophanes) [15] sondern nur ομόφυλοι. Die Bulgaren und die Kotragen haben wahrscheinlich einmal einen gemeinsamen Staat gebildet, dessen Zeit und Art sich aus den Quellen nicht feststellen lässt. Er war wahrscheinlich eine Stammesvereinigung, in der auch die Kotragen eingeschlossen waren (s. noch S. 98-99).

 

 

13. Marquart, Chronologie 91, Streifzüge 500, Ausdrücke 20; Zlatarski, Istorija I 1, 110; Dunlop, 43; Artamonov, Hazar 168; Minorsky 162; 440;441 mit Anm 3; O. Pritsak, Yowár und Káwar, in: UAJ 25 (1953) 386.

14. s. Anm. 13. - Zuletzt werden die Unogunduren mit den Onoguren identifiziert: Gy. Moravcsik, Onoguren, 102 und Byz. Turc. I 65-67, II 218-220; Artamonov, Hazar 157; 169; Haussig, Liste 19; Kollautz-Miyakawa, Awaren I 157 ff.; S. Szádeczky-Kardoss s.v. Onoguroi, in: RE Suppl. XII (1970) 902-906. Diese Identifizierung scheint der Bericht Agathons (s. Moravcsik, Onoguren 96) zu bestättigen, wo vom ἔθνος τῶν Οὐννογούρων Βουλγάρων gesprochen wird. Diese Stelle ist jedoch nicht so beweiskräftig, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Denn Theophanes, Nikephoros und Konstantin Porphyrogennetos führen einstimmig die Form Οὐννογουνδούροι an, die die Lesung des Namens bei Agathon verdächtig macht. Man könnte Οὐννογούρων entweder als von dem Abschreiber falsch gelesenes Οὐννογουν(δού)ρων oder als Ersetzung des ursprünglichen Οὐννογουνδούρων durch das bekanntere Οὐννογούρων auffassen, wobei man nicht ausser Acht lassen darf, dass Zacharias Rhetor die Bulgaren (Burgare, Brooks II 144, 26) als ein von Unaghur (ebenda II 144, 29) verschiedenes Volk erwähnt.

15. s. V. Beševliev, Deux corrections 153-159; s. noch Marquart, Streifzüge 503-506

 

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2. Kubrat und der Zerfall seines Reiches

 

Über die Quellen und Literatur s. Cap. I.

 

 

Über die Geschichte der bulgarischen Stämme am Kuban bis zur Erwähnung des Unogundurenherrschers Kubrat in den byzantinischen Quellen sind wir nur auf unsichere Vermutungen angewiesen. Diese Stämme wurden wahrscheinlich von den Awaren in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. unterworfen, wobei sie wohl ihre Stammesanführer beibehalten durften. Um 635 oder etwas früher, als die Macht der Awaren nach der missglückten Belagerung Konstantinopels (626) (s. S. 121-123) bedeutend geschwächt war, verjagte Kubrat, der Herrscher der Bulgaren, schmählich die awarische Besatzung aus dem Lande [1]. Das geschah wohl nicht ohne das Wissen und vielleicht den Antrieb des byzantinischen Kaisers Herakleios, der grosses Interesse daran hatte, die Macht der Awaren noch stärker zu schwächen, bzw. sie von der Balkanhalbinsel abzulenken, da sie die grösste Gefahr für die dortigen byzantinischen Landschaften darstellten [2]. Es ist bemerkenswert, dass Kubrat nach der Vertreibung der awarischen Truppen an den Kaiser eine Gesandtschaft schickte, die einen Friedensbzw. Freundschaftsvertrag (εἰρήνην) mit ihm schloss. Dieser Vertrag, der die Stellung des Unogundurenherrschers befestigte, wurde von beiden Partnern bis zu ihrem Tode eingehalten.

 

 

1. Nikeph. 24,9-12, hierzu Marquart, Chronologie 85; 96 und Streifzüge 126;

2. A. Burmov, Werke I, 69 (anders 72-73) nahm in Widerspruch mit der ausdrückliche Angabe des Nikephoros an, dass Kubrat die Unogunduren von den Türken befreit habe, da die letzteren die Länder bein Kaukasus um diese Zeit in ihren Händen hatten. Vgl. auch Artamonov, Hazar 160-161

 

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Der Kaiser ehrte ausserdem Kubrat durch Verleihung der patricius-Würde [3] und sandte ihm Geschenke [4]. Kubrat war nach Nikephoros Neffe des Organas (ἀνεψιός Ὀργανᾶ bzw. Ἀργανᾶ) [4]. Wer dieser Organas war und welche Stellung er im Staat der Unogunduren innehatte, ist unbekannt [5]. Er war jedenfalls eine wohlbekannte Persönlichkeit in Konstantinopel, da Kubrat durch ihn bei Nikephoros näher bestimmt wird [6].

 

Die byzantinischen Quellen teilen keine Einzelheiten über Kubrat mit [7]. Nach dem Abschütteln der awarischen Knechtschaft gelang es ihm die bulgarischen Stämme und die Kotragen in einem Staat zu vereinigen, den man Gross-Bulgarien (μεγάλη Βουλγαρία) zu nennen pflegte [8]. Er ersteckte sich von dem Maeotis-See, d.h. dem Asowischen Meer, und dem Don bis zum Fluss Kuphis, d.h. Kuban [9]. Nach Theophanes und Nikephoros [10] hatte Kubrat fünf Söhne. Der älteste hiess Bajan (Nikeph. Βαϊανός [11] oder Batbajan (Theophanes Βατβαιᾶν) [12].

 

 

3. Über die Patricius-Würde s. R. Guilland, Contribution à la prosopographie de l’empire byzantin - Les Patrices, in: Byz. 49 (1970) 2, 317-360.

4. Nikeph. 24, 9-10; Orosz 22

5. Nach L. N. Gumilev (bei Artamonov, Hazar 162) ist Organas mit Mo-ho-tou, der in einer chinesischen Quelle als Khan des westlichen Gebietes des Türkenstaates angeführt wird, zu identifizieren. Derselbe Autor vermutet sogar, dass die Mutter Kubrats vielleicht eine Schwester von Mo-ho-tou war. S. auch Kollautz-Miyakawa, Awaren I 159.

6. Fehér, Beziehungen 40, ist der Ansicht, dass er die Verhandlungen über das Bündnis gegen die Awaren in Konstantinopel geführt habe.

7. S. Anhang 4

8. Über diese Benennung s. R. Dostalova, Μεγάλη Μοραβία, in: Byzsl. XXVII (1966) 2, 344-349. Über ihre Grenzen s. F. Westberg, Zapiska gotskogo toparha, in: VV. XV (1908) 2-3, 119; 248

9. Theophan. 357, 8-9; Nikeph. 33, 14-16. Anm. 3 und 163-164. Hierzu Marquart, Streifzüge 153

10. Theophan. 357, 13-19; Nikeph. 33, 20-23

11. Nikeph. 33, 26 und 34, 18

12. Theophan. 357, 19 und 358, 9. J. Marquart (Chronologie 40 Anm. 1,85 Anm. 2 und Streifzüge 505) schlug Βατβαϊᾶν zu Βαγβαϊᾶν d.h. Bäg-Bajan zu korrigiaren vor. Iv. Dujčev (IA1 19, 1955, 332) nahm dagegen an, dass Βατβαϊᾶν eine Dittographie darstelle und aus βαιβαιᾶν entstanden sei. Die Lesung der Handschriften ist jedoch beizubehalten. Die Form Βατβαιᾶν kommt zwei mal bei Theophanes in allen Handschriften vor, was für ihre gute Überlieferung spricht. Der Umstand, dass sie keine griechische Endung hat, zeigt, dass es sich um einen protobulgarischen Ausdruck handelt, dessen erster Teil Βατ-, wie Marquart vermutete, einen Titel darstellt, Βατerinnert an das mittelpersische pat (s. W. Brandenstein - M. Mayrhofer, 139 s.v. +pati- Herr, Anführer, mittelpersisch pat, ai. pαti-; vgl. H.W. Haussig in Byz. 23 (1953) 337 Anm. und 354 mit Lit). Also Βατ Βαιᾶν = Herr Bajan: (s. hier auch S. 293 Anm. 35) Das Vorkommen eines iranischen Titels bei den Protobulgaren ist nicht befremdend, wenn man bedenkt, dass einer der Brüder Bajans auch einen iranischen Namen, Asparuch, trug.

 

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Der zweite hatte den Namen Kotrag (Κότραγος), der wohl nach dem Stammesnamen Kotragen (Κότραγοι), deren Anführer er war, so genannt wurde [13]. Der dritte trug den Namen Asparuch (Ἀσπαρούχ). Die Namen der übrigen zwei Söhne sind bei Theophanes und Nikephoros nicht überliefert. Aus anderen Quellen lässt sich jedoch feststellen, dass der vierte Kuber (Κοῦβερ) [14] und der fünfte Alzeco [15] hiessen. Diesse fünf bzw. vier Söhne waren Statthalter bzw. Unterherrscher. Der älteste Sohn Bajan war der zukünftige Nachfolger des Kubrat und vielleicht sein Mitherrscher. Kotrag, der zweite Sohn, befehligte die Kotragen, die jenseits des Flusses Don lebten. Der dritte Sohn Asparuch, war Statthalter im Gebiet bei dem sog. Hippischen Gebirge, das man noch Gebirge der Bulgaren nannte. Welche Gebiete die übrigen zwei Söhne verwalteten ist unbekannt. Vermutlich waren sie Statthalter in den Grenzgebieten, die im Westen und Süden lagen. Diese Einteilung des Bulgarenstaates in vier bzw. fünf Regierungsbezirke ist aus den Berichten des Theophanes und Nikephoros zu entnehmen, wonach jeder Sohn Kubrats mit dem ihm unterstellten Volk aus seinem Vaterland ausgezogen ist [16].

 

 

13. Vgl. die ähnlichen Fälle: Ultzindur (Jordan. Get. 127, 2) Anführer (?) der Ultzinzures (ebenda 128, 23), Utigur und Kutrigur bei Prokop (Bella II 503, 10), Bulgaros, s. Gy. Moravcsik, Onoguren 98 Anm. 43

14. s. hier Kapitel 4

15. s. hier Kapitel 3

16. Theophan. 357, 18-19: μετὰ τοῦ ἐν ὑπεξουσιότητι ἑκάστου αὐτῶν ὑποκειμένου λαοῦ, Nikeph. 33, 24-25: ἕκαστος αὐτῶν τοῦ λαοῦ ἴδιον μέρος ἀποτεμνόμενος.

 

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Daraus ist auch der Schluss zu ziehen, dass die Söhne Kubrats schon vor seinem Tode Teile des Staates mit ihrer Bevölkerung verwaltet haben. Eine ähnliche Einteilung des Staates in vier bzw. mehrere Teile war keine Seltenheit bei den Türkvölkern [17].

 

Nach Theophanes und Nikephoros hat Kubrat seinen Söhnen geraten, sie möchten sich nie voneinander trennen, damit durch ihre gute Gesinnung zueinander ihr Reich erhalten bliebe, sie überall Herrscher seien und keinem Volk Knechtdienste leisteten [18].

 

 

17. s. Togan IF 155-158,155: “Hauptstütze der türkischen und mongolischen Herrscher bildeten immer vier Fürsten, die entweder vier Stämme oder vier Hauptteile des Reiches vertraten”. Über das Dreiersystem in der Staatsleitung ebenda 261-263; O. Pritsak, Karachanidische Streitfragen, in: Oriens vol. 3, Nr. 2 (Leiden 1950) 212 Anm. 10 “...die Oberherrschaft in dem Karachanidischen Reiche, wie in den anderen altaischen Imperien, in den Händen des folgenden Regenten-Kollegiums war: 1. Die zwei Ober-Qaγane (der Gross-Qaγan und der Mit-Qaγan), 2. Die vier Unter-Qaγane (Vier Ecken der Hiung-nu des Maotun), 3. Die sechs Residenten (Die sechs Ecken der Hiung-nu)...”, derselbe Fürstenlishte 39. Vgl auch Grousset, L’empire 119, 123 und 316; de Groot, bei Hunnen 56: “die sechs Ecken sind Söhne und jüngere Brüder de Schan-yü”; Kollautz-Miyakawa, Awaren I 44-45.

18. Ob hier Remineszenz an die bekannte Äsopische Fabel “Die uneinigen Kinder des Landwirtes” vorliegt, ist unsicher. Erst im 19. Jh. wurde die Äsopische Fabel mit den Erzählungen des Theophanes und Nikephoros in Bulgarien verbunden und fand Aufnahme in den bulgarischen Schulbücher, V. Beševliev, Edna Ezopova basnja v bălgarskata istorija, in: Zs. Prometej I (1937) 4, 20. Viele Forscher halten zu Unrecht die Berichte der Chronisten Theophanes und Nikephoros von der Gründung des bulgarischen Reiches für eine Stammessage: J. Marquart, Chronologie 85-86, Streifzüge 503-605; G. Fehér, Beziehungen 34-37; Moravcsik, Onoguren 1014; Artamonov, Hazar 166, u.andr. S. auch K. Lambrev, Legendata za kan Kubrat i negovite sinove, in: Istoričeski pregled 3 (1946-47) 350-359. Dagegen Zlatarski, Istorija I 1, 111. Der Bericht der beiden byzantinischen Chronisten ist richtig und besonnen bei S. Szádeczky-Kardoss, Hintergrund 474 beurteilt. Eine ähnliche Mahnung in der türkischen Inschrift des Bilgä Qagan (G. Aidarov 317, 13-14): “Wenn du, das Türkvolk, sich von deinem Qagan, von deinen Begs, von deinem Vaterland nicht trennst..., du wirst selbst glücklich leben, in deinen Häusern wohnen, ohne Trauer leben”.

 

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Kubrat starb nach den beiden Chronisten zu Zeiten Konstans [19] II. (641-668). Das Vermächtnis Kubrats wurde bald nach seinem Tod vernachlässigt. Seine Söhne haben, wie es scheint, von aussen her bedrängt, ihre Heimat verlassen. Gegen Anfang de zweiten Hälfte des 7. Jhs. fielen die Chazaren aus dem Inneren Berzulias nach Westen ein [20]. Sie überfielen zunächst Asparuch. Er musste sein Heil in der Flucht suchen und wanderte nach Westen aus. Seine Brüder Alzeco und Kuber folgten seinem Beispiel und wanderten ebenfalls nach Westen aus. Es blieb in dem Heimatland nur Bajan, der älteste Bruder. Er hat sich den Chazaren unterworfen, denen er bis zur Zeit des Verfassers des Werkes, aus dem Theophanes und Nikephoros ihre Nachrichten geschöpft haben, Tribut zahlte [21]. Über das Schicksal des zweiten Bruders Kotrag teilen die Quellen nichts mit. Aus ihrem Schweigen ist wiederum zu schliessen, dass die Kotragen nicht zu den eigentlichen Bulgaren gehörten. Sie haben sich wohl auch den Chazaren unterworfen.

 

Nach Theophanes und Nikephoros verliessen die Söhne Kubrats ihre Heimat vor dem Einfall der Chazaren. Durch ihre Auswanderung wurde Bulgarien geschwächt und infolgedessen von den Chazaren überfallen [22].

 

 

19. Das Todesjahr Kubrats wird verschieden bestimmt. V. N. Zlatarski (Istorija I 1, 112) war der Ansicht, dass Kubrat im Jahre 642 starb und dass er von 584 bis 642 regierte (Istorija I 1, 84). Er berief sich auf die Angaben der Fürstenliste, wonach Kurt ( = Kubrat) 60 Jahre regiert haben soll. Nach Artamonov (Hazar 163) beziehtz sich die Zahl 60 nicht auf die Regierungszeit Kubrats, sondern auf seine Lebensjahre. Der Anfang seiner Regierung sei um 632 zu setzen und er sei kurz nach dem Tode des Kaisers Herakleios gestorben. H.-W. Haussig (Liste 3) nahm an, dass er während des Aufenthaltes des Kaisers Konstans in Italien d.h. zwischen 663 und 668 gestorben ist. Nach Fehér (Beziehungen 41) und Pritsak (Fürstenliste 36) ist der Tod Kubrats in das Jahr 665 zu setzen. Dieses Jahr dürfte der Wahrheit am nächsten stehen.

20. Theophan. 358, 5-9 und Nikeph. 34, 13-17, Geographie des Ps. - Moses Chorenaçi ed. Soukry 17, 5. Hierzu Zlatarski, Istorija I 1, 127; Marquart, Chronologie 85-89; Dunlop 41/45; Artamonov, Hazar 169. Nach Zlatarski (Istorija I 1, 138) geschah das um 660.

21. Theophan. 358, 9-1 1 und Nikeph. 34, 17-19

22. Theophan. 358, 4-5 und Nikeph. 34, 12-16

 

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Demnach muss man annehmen, dass nach dem Tode Kubrats die Söhne in Zwist miteinander geraten waren, der sie zum Auswandern trieb. Das ist aber wenig wahrscheinlich.

 

Die Bulgaren, die in ihrer Heimat geblieben waren [23], haben sich längere Zeit unter dem Namen “innere” oder “schwarze Bulgaren” erhalten [24]. Konstantin Porphyrogennetos [25] nennt ihr Land ἡ Μαυρὴ Βουλγαρία. Die arabischen Schriftsteller des 10. Jhs. berichten, dass ein Teil dieser Bulgaren Christen, der andere dagegen Mohamedaner waren. Nach dem 10. Jh. wird ihr Name nicht mehr erwähnt. Eine Erinnerung an sie hat sich in der Benennung der sog. Balkarci in dem Zentralteil des Nord-Kaukasus erhalten [26].

 

Verschieden von diesen Bulgaren waren die sog. “Wolga-Bulgaren”. Sie sind auch aus Gross-Bulgarien geflüchtet [27].

 

 

23. Zlatarski (Istorija I 1, 114) vermutete, dass Bajan Herrscher des Stammes Kup’i-Bulgar. war.

24. Zlatarski, Istorija I 1, 114 mit Lit.; C.A. Macartney, On the Black Bulgare, in: Byz. ngr. Jbb. 8 (1931), 150-158, Moravcsik, Onoguren 112 Anm. 107; Artamonov, Hazar 172 mit Lit.; A. V. Gadlo, O černyh i vnutresnih bolgarah, in: Geograf. obstestvo. Doklady po etnografii, 6 (1968), 3-23 (Sie sassen zwischen den Flüssen Dnjestr und Prouth); Menges, Introduction 30 und 32. Vgl. Marquart, Chronologie 90, Streifzüge 517-519 (Hier sind die schwarzen Bulgaren mit den “Wolga-Bulgaren” vermengt); Minorsky 438-440. - Über die Bezeichnung “schwarze” s. N. Županič, in Etnolog 11 (1938) 355-376; N. Ludat, Farbenbezeichnungen in Völkernamen, in: Saeculum 4 (1953) 138-155; O. Pritsak, Orientierung und Farbsymbolik, ebenda V (1954) 376 ff. A. V. Soloviov, Weiss- Schwartz- und Rotrussen, in: Jahrb. Gesch. Osteurop. N. F. (1959) 1-33. A.v. Gabain, Vom Sinn symbolischer Farbenbezeichnung, in: Acta Orientalia 15 (1962) 283-290

25. De adm. ed. Moravcsik 12, 1 und 3, 42, 47

26. Artamonov, Hazar 172 mit Lit.; Marquart, Ausdrücke 15-16; Menges, Introduction 13; Togan IF 202-203

27. Zlatarski, Istorija I 1. 115 mit Lit.; Artamonov, Hazar 172 mit Lit., 174 und passim; Marquart, Chronologie 90, Streifzüge 25, 154-155, 336-337, 475-477, 503-504, 517-519; Togan IF 104, 180-182; Menges, Introduction 32. S. auch die Bibliographie bei Moravcsik, ByzTurc. I 130-131. - Marquart (Streifzüge 503) und Zlatarski (Istorija I 1, 115) vermuten, dass die Wolga-Bulgaren die Bulgaren Kotrags, des zweiten Sohnes Kubrats, d.h. die sog. Kotragen waren, die Zlatarski mit den Kuč’i-Bulkar identifizieren möchte.

 

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Im 10. Jh. haben sie einen Staat mit der Hauptstadt Bolgar gegründet. Die arabischen Schriftsteller des 10. Jhs. nennen sie “die äusseren Bulgaren”. In einer russischen Chronik [28] werden sie “Wolga-Bulgaren” oder “Silberne Bulgaren” genannt. Im 10. Jh. sind sie Mohamedaner geworden. Als selbsständiger Staat existierten sie bis zu ersten Hälfte des 13. Jhs., als sie von den Tataren vernichtet wurden [29].

 

 

28. Zlatarski, Istorija I 1, 115

29. Darüber s. W. Barthold in Enzyklopaedie des Islams I, 821-825, s. v. Bulghar.

 

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3. Alzeco

 

Quellen: Theophanes; Nikephoros; Paulus Diaconus

 

Allgemeine Literatur: Zlatarski, Istorija I 1, 117-121; Vincenzo d’Amico, Bulgari transmigrati in Italia nei secolo VI e VII dell’ era volgare, Campobasso 1933 und Importanza della immigrazione dei Bulgari nella Italia meridionale al tempo dei langobardi e dei bizantini, in: Atti dei 33° Congresso internazionale di Studi sul’ alto Medioevo, Spoleto 1959, 369-377 mit ausführlicher Literatur (372 Anm. 3); Iv. Šišmanov, Balgarite v “Orlando furioso”, in: “Bălgarski pregled”, Jahrg. VI (1900), 8, 78-81; Jireček, Ergänzungen 53-54; D. Oliveri, Dizionario di toponomastica lombarda, Milano 1931, 113, 133; E. Riboldi, I contadi rurali del Milanese. Il contado di Bulgaria, in: Arch. stor. lomb. 1904, 275; L. H. Hartmann, Geschichte Italiens im Mittelalter, II 1, Gotha (1897, neue Ausgabe 1953) 254; 276; F. Schneider, Entstehung der Burg- und Landgemeinden in Italien, Studien zur Geographie, 1924, 34; 135; Runciman, Empire 21; Fehér, Beziehungen 35-37 ; M. Kos, O bolgarskom knezu Alcioku ih slovenskem knezu Valuku, in: Sišičev Zbornik, Zagreb 1929, 251-258; F. Pezza, Profilo geografico della Bulgària Italiana nel alto Medioevo, Novara 1936

 

 

Von den Söhnen Kubrats, die nach Westen auswanderten, zogen der vierte und der fünfte zuerst vielleicht zusammen aus [1]. Sie überschritten die Donau und kamen in das von den Awaren beherrschte Pannonien. Das geschah ohne Zweifel mit dem Erlaubnis des awarischen Khagans. Der vierte Sohn blieb im Awarenland und wurde Untertan des Khagans. Der fünfte zog weiter, erreichte die Pentapolis von Ravena, die damals unter der Herrschaft der Byzantiner stand, und unterwarf sich diesen. Er blieb jedoch, wie es scheint, nicht lange dort.

 

 

1. Theophanes 357, 23-28 und Nikephoros 34, 6-5

 

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Paulus Diaconus [2] berichtet, dass um 663 ein Anführer der Bulgaren mit dem Namen Alzeco aus unbekannten Gründen seinen Stamm verliess und in Italien erschien. Er begab sich mit seinem ganzen Heer (cum omni sui ducatus exercitu) zum Langobardenkönig Grimoald (662-671), dem er treu zu dienen gelobte, wenn er Erlaubnis, bekäme sich auf seinem Gebiet anzusiedeln. Der König schickte ihn zu seinem Sohn Romuald nach Benevent, dem er befahl, er sollte Alzeco und seinem Volk (ei cum suo populo) Land zum Ansiedeln zur Verfügung stellen. Romuald, der dux des Gebietes von Benevent war, empfing sie herzlich und wies ihnen Wohnsitze in Sepinum, Bovianum, Isernia (heute Sepino, Boiano, Isernia) und anderen Städten sowie ihren Umgebungen in dem heutigen Gebiet Campobasso an. Der bisherige Titel dux Alzecos wurde in gastaldus (de duce in gastaldium) geändert. Paulus Diaconus bemerkt noch:

 

“Diese wohnen bis zum heutigen Tage (d.h. Ende des 8. Jhs.) in den genannten Ortschaften und haben noch nicht aufgehört neben der lateinischen ihre eigene Sprache zu sprechen.”

 

Alzeco wurde bereits von Du Cange [3] mit dem fünften Sohn Kubrats identifiziert. Dieselbe Identifikation schlug auch Zlatarski gut argumentiert vor [4]. Der Umstand, dass Alzeco vor seiner Ankunft bei Grimoald den Titel dux und ein ducatus hatte, zeigt, dass er sich bereits einige Zeit vorher in Italien offenbar in der Pentapolis von Ravena aufgehalten hat. Aus unbekannten Gründen hat er es jedoch vorgezogen dem Langobardenkönig und nicht dem byzantinischen Kaiser zu dienen, obwohl er auf seinen Titel dux verzichten musste. Das genaue Datum seines Übertrittes ist unbekannt. Das fand ohne Zweifel nach 663, vermutlich nach dem gescheiterten Versuch des Kaisers Konstans II, Italien von den Langobarden zu säubern, statt.

 

 

2. Historia Langobardorum, lib. V, c. 29, MGH Script, rer. Langob. ed. Bethmann et Waitz 1878, 154, 1-10. Über die Gastalden s. Dölger, Die Stadt 85 Anm. 84

3. De familiis byzantinis, Paris 1680, 306

4. Istorija I 1, 120-121. S. hier S. 89 Anm. 75

 

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Dieser Misserfolg hat Alzeco vielleicht dazu bewogen die Byzantiner zu verlassen und bei den Langobarden neue Wohnsitze zu suchen. Wahrscheinlich spielte dabei der Umstand eine Rolle, dass im Italien von Alboin, einem anderen Langobardenkönig, vor etwa hundert Jahren Bulgaren angesiedelt wurden (s. hier S. 88). Von der ehemaligen Anwesenheit der Bulgaren in Italien zeugen auch die Ortsnamen mit dem Element Boigare, Bolgheri, Borgheri usw [5].

 

 

5. s. auch Codex Traditionum Ecclesiae Ravenatis in Papyro scriptus et in Regia Bibliotheca Bavarica asservatus. Ed. J.B. Bernhart, München 1810, 35, 22: petitio quam petivit curicius dudum tribunus et christophones et patricia iugalis a Joanne archiepiscopo... territorii ariminensis a singulis lateribus autuclanii et fluvius sambronis et fundus sariano atque fine Bulgarisca; 44,22: terra Bulgarorum; 76,27: petitio quam petivit Baro de Bulgaro (im territorium Ausimanum). D. Olivieri, Dizionnario di toponomastica lombarda, Milano 1961, 95 und 99. Vgl. auch K. Jireček, Archiv II (1959) 313.

 

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4. Kuber

 

Quellen: Miracula S. Demetrii, lib. II 5 (Migne PG 116, col. 1361-1384 A. Tougard, De l’histoire profane dans Actes Grecs des Bollandistes, Paris 1874, 186-204)

 

Allgemeine Literatur: J. Laurent, Sur la date des églises St. Démètrius et St. Sophie à Thessalonique, in: BZ 4 (1895), 420-434; H. Gelzer, Die Genesis der byzantinischen Themenverfassung, Leipzig 1899 (Abh. d. phil. hist. Klasse d. Königl. Sächsischen Gesellschaft d. Wiss. 18) 35-49; F. I. Uspenskij, O vnov otkrytyh mozaikah v cerkvi Sv. Dimitrija v Soluni, in: IRAIK (1909) 1-61; N. Milev, Kubrat ot istorijata i Kuber v “Čudesata” na sv. Dimitrija Salunski, in: Per. Sp. 71 (1910) 7-8, 557-586; Zlatarski, Istorija I 1, 121, 148-151; Burmov, Werke I, 119-120; Barišič, Les Miracles 126-136; Lemerle, Invasions 297-300; Ahrweiler, La mer 27-31; H. Antoniadis-Bibicou., A propos de la première mention d’un “stratège des caravisiens”, in Byzsl. 27 (1966) 71-91; V. Beševliev, Randbemerkungen über die “Miracula Sancti Demetrii”, in: Byzantina 2 (Thessaloniki 1970) 287-300; Runciman, Empire 20; P. Charanis, Kouver; S. Szádeczky Kardoss, Hintergrund

 

 

Der vierte Sohn Kubrats, der sich in Pannonien niederliess und sich dem awarischen Khagan unterwarf, wurde mit dem in den “Miracula S. Demetrii” erwähnten Bulgaren Kuber [1] für ein und dieselbe Person erklärt, zuerst von P. Srečkovic [2], dann von N. Milev [3] und V.N. Zlatarski [4].

 

 

1. Miracula S. Demetrii ed. Tougard 186: Περὶ τοῦ μελετηθέντος κρυπτῶς ἐμφυλίου πολέμου... παρὰ τοῦ... Κουβέρ τῶν Βουλγάρων.

2. Istoria Srpskoga naroda I, Belgrad 1884, 311, hierzu Jor. Ivanov, IAD 1 (1910) 237

3. Kubrat 577 ff.

4. Istorija I 1, 121 ff.

 

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Diese Vermutung wurde durch die erste Madarainschrift zur Evidenz erhoben [5].

 

Einige Zeit nach der Niederlassung in Pannonien wurde Kuber von dem Khagan der Awaren zum Statthalter jenes Gebietes des Awarenreiches ernannt, wohin die in verschiedenen Zeiten entführten Byzantiner aus Mösien, Prevališ, Rhodope, der Diözese Thrakien, der langen Mauer bei Konstantinopel sowie aus anderen Provinzen, Städten und Gemeinden gebracht wurden. Das Gebiet lag jenseits der Donau bei Pannonien. Seine Bevölkerung bestand nach den “Miracula S. Demetrii” aus Bulgaren, Awaren und anderen Stämmen, wahrscheinlich Slawen und Gepiden, mit denen sich die verschleppten Byzantinern mit der Zeit vermischt haben, wobei sie ihren christlichen Glauben bewahrt haben. Die Bulgaren waren ohne Zweifel die pannonischen Bulgaren, die sich dort bereits vor der Eroberung Pannoniens durch die Awaren niedergelassen hatten (s. hier S. 75-90). Die entführten Byzantiner wurden, wie die Quelle weiter berichtet, ein zahlreiches Volk, nachdem sie mit den fremden Stämmen Ehen geschlossen hatten und daraus Kinder geboren waren, die von ihren Vätern die Sehnsucht nach dem Ursprungs- d.h. dem Heimatland geerbt hatten. Demnach wuchsen die Verschleppten zu einem neuen Volk heran nach zwei Generationen: Einer gemischten Generation und einer daraus entstandenen Generation. Wenn man für jede Generation dreissig Jahre rechnet, kam das neue Volk etwa nach 60 Jahren auf. Nach dem unbekannten Verfasser der Quelle geschah dies nach 60 Jahre und etwas darüber. Demnach fanden die erwähnten Entführungen der Byzantiner kurz vor oder nach 600 statt. Die meisten Nachkommen waren mit der Zeit frei geworden. Gemäss der awarischen Sitte setzte der Khagan den Nachkommen einen Verwalter ein, da er sie für ein besonderes Volk hielt. Bis dahin hatten die entführten Byzantiner, wie es scheint, keinen besonderen Verwalter bzw. Statthalter, sondern waren dem Khagan direkt unterstellt.

 

 

5. Beševliev, PI Nr. 1, I c 8-12, hierzu 108. Zuletzt S. Szádeczky Kardoss, Hintergrund 473-477

 

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In demselben Gebiet sassen auch die pannonischen Bulgaren, die wohl einen eigenen Stammesanführer hatten, dem jedoch die Verwaltung des Gebietes nicht oblag. Das geht daraus hervor, dass das neue Volk ihm nicht unterstellt wurde, wie eigentlich zu erwarten wäre, sondern eine besondere Person von dem Khagan damit beauftragt wurde. Vielleicht hatten die Awaren kein Vertrauen mehr zu den pannonischen Bulgaren nach den Thronwirren (631/632), von denen Fredegar berichtet (s. hier S. 89). Vermutlich wusste Kuber mit der Zeit das Vertrauen des awarischen Khagans zu gewinnen und dieser übertrug ihm die Statthalterei des Gebietes. Er wurde wohl zum Tudun [6] ernannt.

 

Die Zeit der Ankunft Kubers bei den Awaren lässt sich annähernd nach dem Übertritt seines Bruders Alzeco zu den Langobarden bestimmen, da die beiden Brüder wohl um dieselbe Zeit nach Westen auswanderten. Sie liegt wahrscheinlich ungefähr um 664. Wann Kuber als Statthalter eingesetzt wurde, ist unbekannt. Das geschah offenbar kurz vor oder nach 670. Denn es ist kaum anzunehmen, dass er gleich nach seiner Ankunft damit beauftragt wurde.

 

Kuber hatte nach den Miracula einen Adel, um sich wohl die sog. Boiladen [7], die seine Ratgeber waren [8]. Ihre Beschlüsse wurden geheimgehalten, wozu sich die Berater durch einen Eid verpflichteten [9]. Eine der ersten Stellen, wenn nicht gar die erste [10], des Rates bzw. Adels nahm ein gewisser Mauros, gleichfalls ein Bulgare [11], ein. Er war sehr schlau und sprach ausser Bulgarisch noch Griechisch, Lateinisch und Slawisch [12].

 

 

6. Moravcsik, Byz. Turc. II 317 f.

7. Miracula S. Demetrii ed. Tougard 188: τῶν ἀναγκαιοτέρων προσοικειουμένων αὐτῷ, 190: τῶν αὐτοῦ ἀρχόντων und 192: τῶν λοιπῶν ἄρχόντων.

8. ebenda 190: ἐσκέψατο μετὰ τῶν αὐτοῦ συμβούλων.

9. ebenda 190: Καὶ ταύτην κρυφηδὸν βουλὴν und 192: ταύτης οὖν τῆς σκέψεως καὶ γνώμης γενομένης, καὶ ὅρκῳ τὸ παρ’ αὐτῶν βουλευθὲν πιστοποιησάντων.

10. ebenda 190: τινὰ τῶν αὐτοῦ ἀρχόντων ἔξοχον ὄντα

11. ebenda 186: παρὰ τοῦ Μαύρου... τῶν Βουλγάρων

12. ebenda 190-192: πανοῦργον ἐν πᾶσι, καὶ τὴν καθ’ ἡμᾶς ἐπιστάμενον γλῶσσαν καὶ τὴν Ῥωμαίων, Σκλάβων καὶ Βουλγάρων κτλ.

 

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Er hatte viele Frauen und eine eigene Gefolgschaft [13]. Mauros war manchen der mitgezogenen Byzantinern als ein Mann bekannt, der keinen Eid hielt und viele Orte sowie Stämme zugrunde gerichtet hatte [14]. Der Umstand, dass er auch Lateinisch verstand, eine Sprache, die er nur in Pannonien lernen konnte, dass er mit den Awaren an vielen Raubzügen, wahrscheinlich in das Byzantinische Reich, teilnahm, und dass er eine sonst wohlbekannte Persönlichkeit war, legt die Vermutung nahe, dass er zu den in Pannonien altansässigen Bulgaren gehörte und wohl einer ihrer Häuptlinge war. Er war der vertrauteste Man Kubers.

 

Mit der Stellung eines Statthalters war der Königssohn Kuber, wie es scheint, nicht zufrieden. Er wollte sich von den Awaren trennen und einen eigenen Staat auf Byzantinischem Boden gründen [15]. Er suchte eine günstige Gelegenheit dafür. Eine solche fand er, in der Sehnsucht der Nachkommen der verschleppten Byzantiner, zu den Geburtsorten ihrer Väter zurückzukehren. Unter der Maske ihr Anführer zu sein, konnte Kuber leicht das byzantinische Gebiet betreten, ohne auf Widerstand zu stossen oder das Misstrauen der dortigen Behörde zu wecken. Seine wahren Absichten hörten die mitgezogenen Byzantiner erst in Makedonien. Der Plan wurde wohl im Rat der Boiladen erwogen [16]. Kuber musste zunächst die pannonischen Bulgaren für seine Absichten gewinnen. Er hat sich vielleicht dann mit Mauros verbunden. Sowohl die Vorbereitungen als auch die Ausführung des Planes wurden streng geheimgehalten.

 

 

13. ebenda 202: οὐδένος τῶν αὐτοῦ Μαύρου ἀνθρώπων ἢ πραγμάτων ἐφήψατο, μᾶλλον δὲ τὰς αὐτοῦ γυναῖκας ἐν τῇ αὐτῇ, ἧπερ εἶχον, τιμῇ καὶ πλείω ἠξίωσεν.

14. ebenda 194: πολλοὺς τόπους καὶ ἔθνη ἐξεπόρθησεν.

15. ebenda 190: αὐτὸν Κουβέρ πάντας... ἐπικρατῆσαι, καὶ τούτων ἄρχοντα καὶ χάγανον γενέσθαι und 192: ἐνταῦθα... ὀφείλοντος ἐγκαταστῆναι τοῦ λεχθέντος Κούβερ μετὰ τῆς αὐτοῦ ἀποσκευῆς καὶ τῶν λοιπῶν ἀρχόντων, καὶ ἔνθεν ὠχυρωμένον ἀντιπαρατάσσεσθαι τῶν πέριξ ἐθνῶν, καὶ τούτων δεσπόζειν, καὶ πολεμεῖν τὰς νήσους καὶ τὴν Ἀσίαν, ἔτι δὲ καὶ τὸν τὸ κράτος ἔχοντα τῆς βασιλείας.

16. ebenda 188

 

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Der Khagan der Awaren erfuhr von dem Aufstand erst, als die Flüchtlinge bereits unterwegs waren [17]. Er konnte ihnen mit einer eilig gesammelten Kriegsschar nachsetzen. Der Khagan, in einigen Treffen geschlagen, musste sich weit nach Norden zurückziehen [18], da er wohl fürchtete, Kuber könnte seine Niederlage wahrnehmen und ihn vom Thron stürzen. Demnach befand sich das Verwaltungsgebiet Kubers im Süden fern von dem Zentrum des awarischen Staates.

 

Die Zeit des Aufstandes Kubers sowie seines Abzuges aus Pannonien lässt sich aus dem Text der Miracula nicht entnehmen. Der Umstand, dass man trotz der Niederlassung Kubers in Makedonien und seinen kaum verhüllten Absichten dort einen selbstständigen Staat zu gründen, nichts gegen ihn unternahm und kein Heer schickte, zeigt, dass das Byzantinische Reich sich in einer bedrängten Lage befand, die ihm keine Zersplitterung der Militärkräfte erlaubte. Man wollte anscheinend alle Kriegsoperationen vermeiden, die nicht drängten und später unternommen werden konnten. Nur in sehr kritischen Situationen griff man zur Abwehr. Das Byzantinische Reich befand sich bekanntlich in bedrängter Lage in den Jahren 674-678, als die Araber gefährliche, aber erfolglose Versuche unternahmen, Konstantinopel einzunehmen. Die Ankunft Kubers in Makedonien dürfte also in dem erwähnten Zeitraum stattgefunden haben.

 

Der siegreiche Kuber überschritt unbehelligt mit allen Flüchtlingen die Donau, besetzte das Keramisische Feld und liess sich dort nieder [19]. Die Lokalisierung des Keramisischen Feldes ist strittig. Die einen behaupten es sei [20] das Feld von Bitolja, die anderen dagegen [21] es sei das von Prilep.

 

 

17. ebenda

18. ebenda 188: ἐν τοῖς ἐνδοτέροις πρὸς ἄρκτον ἄπεισι τόπους.

19. ebenda 188: καὶ κρατῆσαι τὸν Κεραμήσιον κάμπον.

20. Th. Tafel. De Thessalonica eiusque agro dissertatio geographica, Berolini 1839, XCVIII n. 76; St. Stanojevič, Vizantija i Srbi II, Novi Sad 1906, 46, 217; Jor. Ivanov, IBAD I (1910) 235-237; Milev, Kuber 576; Zlatarski, Istorija I 1, 121, 149.

21. W. Tomaschek, Zur Kunde I 43, II 74; Marquart, Ausdrücke 23-24; B. Saria, Ceramiae - Deuropos, in: Mitteil, des Vereins Klass. Phil, in Wien II (1925) 34-38; Lemerle, Invasions 297; Papazoglu, Gradovi 218 mit Anin. 26, 223 (Das Feld von Prilep bzw. Markov Varoš)

 

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Das Feld lag jedenfalls nord-westlich von Thessalonike. Die Nachkommen der Byzantiner verlangten, dass sie sich von den Leuten Kubers trennen und zu den Geburtsstädten ihrer Väter zurückkehren dürften, da sie Christen waren. Ein Teil von ihnen wollte nach Thessalonike, der andere zur Hauptstadt und manchen Städten der Diözese Thrakien. Dieses Verlangen passte gar nicht in die Pläne Kubers, und seine Ratgeber versuchten sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Sie erklärten, sie seien alle gemeinsam ausgezogen und sollten auch alle zusammen bleiben und Kuber solle ihr Anführer und Khagan werden [22]. Wenn Kuber jedoch persönlich vor dem Kaiser erscheine, wie manche wohl vorgeschlagen hatten, und ihn um die Bestätigung seiner Niederlassung sowie um die Ernennung zum Anführer aller Flüchtlinge bitte, werde er die Herrschaft verlieren, das Volk dagegen dem Kaiser unterworfen und zerstreut [23]. Fern von Konstantinopel konnten ihm offenbar weder die Ortsbehörde noch der Kaiser etwas anhaben, da der letztere wegen der arabischen Gefahr nicht in der Lage war ein Heer gegen ihn zu senden.

 

Um die Flüchtlinge romäischer Abstammung zu beschwichtigen erklärte sich Kuber bereit, Boten zum Kaiser zu senden, die seine Bitte, sich friedlich in Makedonien niederlassen zu dürfen vortragen sollten. Ausserdem wurde der Kaiser gebeten, dem slawischen Stamm der Draguviten zu befehlen ihnen die nötigen Nahrungsmittel zu liefern [24]. Aus der letzteren Bitte ergibt sich, dass die Draguviten dem Kaiser schon untertan waren. Denn er könnte ihnen sonst nicht befehlen, dass sie den Flüchtlingen Lebensmittel liefern sollten.

 

 

22. Miracula S. Demetrii ed. Tougard 190, s. hier Anm. 15

23. ebende 190: εἰ γὰρ πρὸς τὸν ὑπὸ Θεοῦ βαοιλεῦειν ἡμῖν λαχόντα ἀπελθεῖν πειραθείη, τὸν λα]πν ἅπαντα παρ’ αὐτοῦ ληψόμενος καὶ διασκορπίσας τοῦτον τῆς ἀρχῆς ἀλλότριον καθίστησι.

24. ebenda 190

 

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Die Unterwerfung der Draguviten fand aller Wahrscheinlichkeit nach gleichzeitig mit der der übrigen slawischen Stämme durch den Feldzug Konstans’ II. im Jahre 658 statt [25]. Diese Bitte war ein schlauer Zug, den Kaiser hinters Licht zu führen. Unter dem Vorwand Lebensmittel von den Draguviten zu beschaffen konnte Kuber einerseits Beziehungen zu diesem wohl stärksten slawischen Stamm anknüpfen und unterhalten, ohne den Verdacht des Kaisers zu erwecken, anderseits aber seine angeblich friedliebenden Absichten zur Schau tragen. Die Draguviten sollten, wie es scheint, eine wichtige Rolle in den Zukünftigen Plänen Kubers spielen. Es lag also nicht in seinem Interesse, sich ihre Feindschaft zuzuziehen, indem er sich die Lebensmittel von ihnen mit Gewalt zu verschaffen versuchte. Der Kaiser musste die Bitte Kubers gewähren, da er vorläufig keinen anderen Ausweg hatte. Die Nachkommen der verschleppten Byzantiner gaben sich mit ihrer Lage nicht zufrieden. Mehrere von ihnen, die zu den Slawen geschickt wurden um Nahrungsmittel zu beschaffen, flüchteten, als sie von den Slawen erfuhren, dass Thessalonike nicht weit von den slawischen Siedlungen liege. Sie flüchteten mit Weib und Kind nach Thessalonike. Von dort wurden sie mit Schiffen weiter nach Konstantinopel gesandt.

 

Kuber beschloss aus der Flucht der Christen Nutzen zu ziehen. Er berief den Rat der Boilen (Archonten), die folgenden Plan schmiedeten. Mauros, einer der angesehensten Archonten, sollte sich scheinbar gegen Kuber auflehnen, wie die Rhomäer nach Thessalonike flüchten, so tun als sei er dem Kaiser untertänig und möglichst viele Stammesgenossen in die Stadt hineinbringen. Darauf sollte er Unruhen in der Stadt entfachen und die Stadt selbst auf diese Weise von innen einnehmen. Nach der Eroberung von Thessalonike sollte Kuber mit den übrigen Archonten und dem ganzen Hab und Gut in die Stadt einziehen und sich dort niederlassen. Er sollte ferner, nachdem er sich dort gefestigt hatte, noch andere Stämme sowie Länder durch Krieg unterwerfen und sogar gegen den Kaiser ziehen [26]. Es wurde noch beschlossen den Plan geheim zu halten, wozu sie sich eidlich verpflichteten.

 

 

25. Burmov, Werke I 120

26. s. hier Anm. 15

 

165

 

 

Mauros kam also als Flüchtling nach Thessalonike und stellte sich den Stadtbehörden vor, es gelang ihm sie durch schöne und verlockende Worte sowie durch Eid zu überreden, ihn dem Kaiser zu empfehlen. Jener, durch den Bericht der Stadtbehörden überzeugt, befahl ihnen sofort schriftlich, Mauros Ehren zu erweisen und ernannte ihn zum Konsul. Gleichzeitig sandte der Kaiser Mauros eine Fahne als Zeichen des Wohlwollens. Ausserdem befahl er alle nach Thessalonike geflüchteten Keramisianer unter dem Mauros Befehl zu stellen. Der Kaiserbefehl wurde auch in die Matrikel [27] eingetragen. Nach einem Bleisiegel hat Mauros auch den Patriziertitel erhalten [28]. So wurde er der Vorgesetzte der Flüchlinge in Thessalonike.

 

Die ungewöhnliche und überschwengliche Ehrung Mauros wurde nicht nur durch den Wunsch des Kaisers ihn für sich zu gewinnen, sondern auch durch die ernste Lage Konstantinopels hervorgerufen, die wegen des bedrohlichen Vordringens der Araber nicht sehr rosig aussah. Etinzu kam noch der Umstand, dass der Kaiser keine Truppen gegen Kuber senden konnte. Der scheinbare Abfall Mauros war dem ersteren aber sehr willkommen. Der Kaiser wollte Mauros offenbar später gegen Kuber ziehen lassen und sich auf diese Weise von dem gefährlichen Ankömmling befreien. Er sah wohl in Mauros und seinen Leuten sichere Verteidiger der Stadt Thessalonike gegen eventuelle Einfälle Kubers oder anderer Feinde.

 

Um von seinen Absichten kein Wort verlauten zu lassen, tötete Mauros alle, die ihn zu verraten versuchten, und verkaufte ihre Frauen und Kinder in die Sklaverei. Diese grausamen Massnahmen hinderten die Christen daran ihn blosszustellen.

 

 

27. Hierzu I. Dujčev, Un passage obscur des “Miracula” de St. Démétrius, in: Byzantion 13 (1938) 207-215

28. Ahrweiler, La mer 27 und 29 mit Anm. 7: “... ce travail était sous presse quand le Père V. Laurent m’a signalé un sceau daté sûrement au VIIIe siècle et appartenant à ‘Mauros patrice et archonte des Bulgares Sermisianoi’, le même que le chef des Kermèsianoi des Miracula S. Demetrii”. S. jetzt Zacos-Veglery Nr. 934: Μαύρω πατρικίῳ καὶ ἄρχοντι τῶν Σερμηοιάνων καὶ Βουλγάρων.

 

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Dennoch kam den Stadtbehörden etwas zu Ohren. Sie wagten ihm jedoch nicht offen entgegenzutreten, da Mauros die Stadtverwaltung fest in seiner Hand hatte. Er hatte seine Leute nämlich in die wichtigsten Militärstellen eingesetzt. Seine Soldaten waren tapfer, wachten Tag und Nacht und bezogen ihr Gehalt aus der Stadtskasse. Der Plan zur Einnahme der Stadt war folgender: In der Nacht vom Ostersamstag zum Ostersonntag sollten die Leute Mauros einen Bürgerkrieg entfachen, indem sie an mehreren bestimmten Stellen Feuer anzündeten. In dem Wirrwarr sollten sie die Stadt erobern. Den Stadtbehörden gelang es jedoch den Kaiser von den Absichten Mauros zu benachrichtigen. Jener befahl Sissinios, dem Befehlshaber der Flotte des Gebietes Hellas [29], sich mit den Seestreitkräften nach Thessalonike zu begeben und in die Stadt einzuziehen, um die Tätigkeit Mauros und seiner Leute zu überwachen. Die Anwesenheit der Flotte sollte angeblich — das war der Vorwand ihrer Ankunft — denjenigen, die Kuber zu verlassen geneigt waren, mehr Mut einflössen.

 

Sissinios landete mit der Flotte in Thessalonike am Mittwoch der Karwoche. Als Mauros sah, dass seine Pläne durchschaut waren und sein Vorhaben vereitelt war, wurde er schwerkrank oder stellte sich krank. Der byzantinische Admiral liess sich aber von seiner Krankheit nicht irreführen. Er zeigte zwar grosse Anteilnahme für den kranken Mauros, befahl ihm jedoch sein Lager im Westteil der Stadt aufzuschlagen, wohin er auch immer sein Heer unter dem falschen Vorwand schickte, dass die Flucht der Keramisianer erleichtert werden sollte. Zur grösseren Sicherheit ordnete der Kaiser an, dass Sissinios Mauros und seine Leute auf Schiffen zu bringen und nach Konstantinopel schicken sollte. Mauros wurde vom Kaiser empfangen und zum Verwalter im thrakischen Gebiet [30], vielleicht irgendwo zwischen den Mündungen des Nestos und Strymon, eingesetzt. Kuber versuchte auch diesmal aus der neuen Situation Nutzen zu ziehen. Er stiftete Mauros dazu bei einer günstigen Gelegenheit an einen Anschlag auf den Kaiser zu verüben.

 

 

29. Ahrweiler, La mer 27 und 29

30. Miracula S. Demetrii ed. Tougard 202: ἐν τοῖς Θρᾳκώοις μέρεσιν.

 

167

 

 

Kuber beabsichtigte wohl, als der Anschlag gelingen sollte, sich in den ausgebrochenen Unruhen der Stadt Thessalonike oder anderer Ortschaften zu bemächtigen. Der Sohn Mauros verriet dem Kaiser jedoch sowohl den früheren Plan für die Eroberung von Thessalonike, als auch den geplanten Anchlag auf sein Leben. Der Kaiser, der, wie es scheint, die Keramisianer nicht reizen und einen offenen Kampf mit ihnen vermeiden wollte, strafte Mauros nicht mit dem Tod, sondern begnügte sich damit, ihm seine Würde zu entziehen, ihn seines Amtes zu entheben, sowie ihm seine Truppen zu nehmen und ihn selbst unter Bewachung in die Vorstadt Konstantinopels zu verbannen. Die arabisch-byzantinischen Kriege waren wohl noch nicht zu Ende. Kuber erwies den Frauen Mauros grosse Ehre und Hess seine Angehörigen und seinen Besitz unangetastet.

 

Kuber war, wie die Miracula S. Demetrii zeigen, eine tatkräftige und kluge Persönlichkeit, die aus jeder neuen Situation Nutzen zu ziehen versuchte. Dass es ihm nicht gelang seine Pläne auszführen, lag nicht an ihm. Der Plan Kubers mit den slawischen Stämmen einen eigenen Staat zu gründen [31], zeigt eine auffallende Parallele zu der Handlungsweise seines Bruders Asparuch, der auf dieselbe Weise seinen Staat in Mösien zustande brachte. Ob dieser Parallelismus zwischen den Handlungsweisen der beiden Brüder ein blosser Zufall ist oder ob ein Zusammenhang zwischen ihnen besteht, bleibt ungewiss. Diese Ereignisse fanden, wie bereits angedeutet wurde, in den Jahren 674-678, und zwar näher zum Jahre 678 statt [32].

 

 

31. S. Anm. 15

32. Über die verschiedenen Datierungen s. Burmov, Werke I 83 Anm. 19 und Barišič, Les Miracles 11, hierzu noch P. Lemerle, La composition et la Chronologie des deux premiers livres des Miracula Sancti Demetrii, in: BZ (1953) 349-361 und Invasions 299; Ahrweiler, La mer 27. Die von Miracula erzählten Ereignisse sind nach dieser Autorin identisch mit jenen bei Theophanes und Nikephoros von der Unterstützung des Ex-Kaisers Arthemios - Anastasios II. (713-715) durch die Bulgaren (s. hier S. 201-202. Sie nimmt sogar an, dass Kuber Nachfolger von Tervel war und datiert die Ereignisse in diese Zeit. Diese Hypothese entbehrt jeder Grundlage.

 

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Die ursprüngliche Macht Kubers wurde nach dem Scheitern seiner Pläne bedeutend kleiner. Die mit ihm gekommenen Flüchtlinge romäischer Abstammung verliessen ihn und begaben sich zu den Heimatstädten ihrer Väter. Die Bulgaren, die unter dem Befehl Mauros gestanden hatten, befanden sich wohl im byzantinischen Militärdienst. Kuber musste seine Absichten aufgeben und sich mit einer friedlichen Niederlassung auf byzantinischem Boden mit der Erlaubnis des Kaisers zufriedenstellen. Der Kaiser schloss einen Frieden mit Kuber und seinen Bulgaren [33] und wies ihnen Wohnsitze, wahrscheinlich in dem Gebirgsland zwischen Thessalonike und Mündung Strymons auf der Chalkidike zu. Nach der ältesten Madarainschrift [34] waren ihre Wohnsitze bei dem Berg Kissos (l. Chortač) bei Thessalonike.

 

Justinian II., der Nachfolger Konstantins IV., war mit den von seinem Vater getroffenen Vereinbarungen nicht einverstanden. Bald nach seiner Thronbesteigung hat er den Frieden mit den Bulgaren gebrochen und Truppen in Thrakien zusammengezogen, um Bulgaren und Slawen zu unterwerfen [35]. Im Jahre 688 zog Justinian gegen sie aus. Der Kaiser schlug zunächst die Bulgaren zurück und erreichte das Gebiet von Thessalonike. Er unterwarf die dortigen slawischen Stämme, teils durch Kampf, teils durch freiwillige Ergebung. Einen grossen Teil der Slawen siedelte der Kaiser in Kleinasien in Thema Opsikion an [36], und stellte sie unter dem Befehl eines gewissen Nebulos [37].

 

 

33. Theophanes 364, 5-7... μετὰ τῶν Βουλγάρων παγιωθεῖσαν εἰρήνην... τοὺς ὑπὸ τοῦ οἰκείου πατρὸς ἐνορδίνους γεγονότος τύπους.

34. Beševliev, ΡΙ. 104 f.

35. Theophanes 364, 5-9

36. Theophanes 364, 11-15 und Nikephoros 36, 16-22. Hierzu: B.A. Pančenko, Pamjatnik Slavjan v Vifinii, in: IRAIK 8 (1902) 16 ff. (s. Kulakovskij, Istorija III 360; G. Schlumberger, BZ 12, 1903, 277; P. Charanis, The Slavic element in Byzantine Asia Minor in the thirteenth Century, in: Byz 18, 1946-1948, 70 ff., 74 ff., (vgl. Byz. 22, 1952, 348 ff.); G. Ostrogorsky, The Byzantine Empire in the World of the seventh Century, in: Dumbarton Oaks papers 13 (1959) 5, 8, 15 ff., P. Charanis, Ethnic changes in the Byzantine Empire in the seventh Century, ebenda 38, 42; Lemerle, Invasions 306 f.

- Über den Feldzug: G. Balasčev, Per. Sp. 57 (1898) 50 f., Zlatarski, Istorija 11, 158 ff.; A. Vasilev, An edict of the Emperor Justinian II, September, 688, in: Speculum 18 (1943) 1 ff., derselbe, L’entrée triomphale de l’empereur Justinian II à Thessalonique en 688, in: Orientalia Christiana periodica 13 (1947) 355 ff.; H. Grégoire, Un édit de l’Empereur Justinian II, daté de Septembre 688, in: Byz. 17 (1945) 119 (hierzu 43, 1950, 76)

 

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Als Justinian von dem Feldzug zurückkehrte, lauerten die Bulgaren ihm an irgendeinem Gebirgspass auf, griffen ihn an und richteten unter dem byzantinischen Heer ein grausames Gemetzel an, bei dem der Kaiser mit knapper Not dem Tode entging [38]. Der Weg, den der Kaiser benutzt hat, war wohl die bekannte Via Egnatia, (s. hier S. 25), die zwischen Thessalonike und der Mestamündung mehrere Engpässe überquert.

 

Kuber und seine Leute lassen 705 wieder von sich hören. Die älteste Inschrift von Madara [39] teilt mit, dass der enthronte Kaiser Justinian II., der aus dem Chazarenland zu dem Bulgarenherrscher Tervel gekommen war, auch den Onkeln Tervels von Thessalonike [40] vorschlug, an dem Feldzug zur Wiedergewinnung seines Thrones teilzunehmen. Er bekam jedoch eine Absage, da sie ihm nicht vertrauten, und kehrte in die Kissinischen Wohnsitze zurück. Sie glaubten wohl nicht, dass Justinian seine Versprechungen einhalten werde, weil er 688 willkürlich die Vereinbarungen seines Vaters aufgehoben hatte. Die Inschrift von Madara bezeugt auch enge Beziehungen zwischen den Thessalonikeund den Donau-Bulgaren.

 

Die Bulgaren von Thessalonike tauchen nach langem Schweigen wieder in Urkunden aus dem 10. Jh. auf. Ein Chrysobullos Logos des Kaisers Romanos II. Aus dem Jahre 959/60 berichtet unter anderem, dass dem Kolubukloster bei Hierissos Grundstücke von den dort eingesiedelten bulgarischen Slawen weggenommen worden wären [41].

 

 

37. Gy. Moravcsik (Byz II 210) vermutet, dass er ein Bulgare war.

38. Theophanes 364, 15-18

39. Beševliev, PI Nr. 1 I c, hierzu S. 102-111

40. ebenda 1, I c 8-12: τὸν ῾ρινοκοπιμένον τὸν [β]ασιλέαν οὐκ ἐπίοτεααν ὑ θιῦ μου ἰς Θεσσα[λο]νίκιν

 

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Nach einer Lavra-Urkunde des Patriarchen Nikolas Chrysoberges aus dem Jahre 989 hatte das Gomatukloster bei Orfanu viel unter den Raubzügen der benachbarten Bulgaren zu leiden [42]. Die Vita des Heiligen Johannes und Euthymios aus dem Jahre 1042/2 teilt mit, dass alle Länder im Gebiet der Athosklöster aus Angst vor den Bulgaren von ihren Bewohnern verlassen worden seien [43]. Schliesslich berichtet die Vita des Heiligen Georgios Hagiorites [44], dass die Bulgaren, die man auch Slawen nannte, ein Dorf mit Namen Livadia bewohnten, das sich in einem abgelegenen Winkel, in einer grossen Einöde, unter wilden mit Eichenwald bedeckten Höhen befand. Dort ging der trockene Weg nach Konstantinopel vorbei, der ohne Zweifel die wohlbekannte Via Egnatia war. Die Vita enthält noch eine sehr wichtige Mitteilung: Die erwähnten Bulgaren waren noch Heiden, verehrten eine antike weibliche Marmorstatue und wurden von dem genannten Heiligen zum Christentum bekehrt. Damit ist eine Stelle aus einem Sigillien aus der Zeit zwischen 960 und 975, wieder auf die Bulgaren bezogen [45], zu verbinden, wonach die Heiden [46] 36 Paroikoi des Kolubuklosters vernichtet haben. Die in den angeführten Urkunden und Vitae erwähnten Bulgaren waren keine echten Slawen. Sie waren entweder slavisierte Bulgaren oder eine Mischung von Bulgaren und Slawen.

 

 

41. Fr. Dölger, Ein Fall, hierzu V. Beševliev, Zur Frage der slavischen Einsiedlungen im Hinterland von Thessalonike im 10. Jahrhundert, in: Serta slavica in memoriam Aloisii Schmaus, München 1971, 37-41

42. Actes de Lavra. Edition diplomatique et critique par G. Rouillard et P. Collomp. I (897-1178), Paris 1937, 22 Nr. 8

43. Histoires monastiques géorgiennes. Anal Boll. t. xxxvi-xxxvii, 1917-1919 (1922), § 59, 23-26

44. ebenda 104-105, § 36, 26 ff. hierzu: G. Soulis, On the Slavic Settlement in Hierissos in the tenth Century, in: Byz. 23 (1953) 1954, 67 ff., T. Gerasimov, Svedenie za edin mramoren idol u bălgarskite slavjani v Solunsko, in: Ezikovedsko-etnografski izsledvanija v pamet na akad. St. Romanski, Sofia 1960, 557-561

45. BZ 29 (1929/30) 105, s. auch ein Fall S. 12, Anm. 4 und S.17

46. ἀφανισθῆναι ἐκ τῶν ἐθνῶν

 

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Aus unbekannten Gründen zogen diese Bulgaren im 10/11 Jh. gegen die Grundstücke in der Flur von Hierissos. Man wollte ihnen vielleicht das Land wegnehmen oder das Christentum aufzwingen. Mit der Zeit gingen die Bulgaren von Thessalonike in den Slawen auf und verschwanden auf diese Weise für immer.

 

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5. Asparuch. Die Gründung des bulgarischen Staates

 

Quellen: Theophanes, Nikephoros

 

Allgemeine Literatur: Drinov, Werke I 31-57; Jireček, Bulgaren 87-93; Marquant, Ausdrücke; Zlatarski, Istorija 11, 123-148; derselbe, Geschichte I 10-15; Runciman, Empire 3-4, 24-30; Balasčev, Beležki 18-20, Ustrojstvo 96-117, 203-216 und Ukrepitelni 5-13; Mutafčiev, Istorija 104-110; N. Blagoev, Prevrati 51-55; Ostrogorsky, Geschichte 103 ff., besonders 105-106; W. Swoboda, Powstanie panstwa bulgarskiego w Dolnej Mezji. Slowanie-federaci czy trybutariusze Protobulgarów? (La naissance de la Bulgarie dans la Basse Mésie. Les Slaves ont-ils été des fédérés ou des tributaires des Protobulgares?), in: Slavia Occidentalis 22 (Poznan 1962) 49-66

 

 

Asparuch, der dritte Sohn Kubrats, floh nach Moses Chorenaçi [1] vor den Chazaren aus dem Hippischen Gebirge und zog mit den ihm unterstellten Unogunduren [2] nach Westen.

 

 

1. Geographie des Ps. Moses Chorenaçi ed. Soukry. S. 25: “Et des Ἱππικὰ ὄρη fuit le fils de Xubrat’.” (Übersetzung A. Maricq in Byz. XXII, 1952, 345) und S. 17, 5: “... Piwki (Πεύκη); dans cette île a habité Aspar-hruk, le fils de Xubrat’, qui fuit les Xazirk’ (Khazars) depuis le Mont des Bulgares, refoula du côté de l’Occident la nation Avare et vint habiter ici.” (Übersetzung A. Maricq in Byz. XXII, 1952, 343). Vgl. Marquart, Chronologie 88, Ausdrücke 15, 16; Zlatarski, Istorija I 1, 103, 109; Artamonov, Hazar 169

2. Const. Porphyr., De thematibus ed. A. Pertusi (Roma, 1952) 85, 29-32: Ἐγένετο δὲ ἡ τῶν βαρβάρων (= Βουλγάρων) περαίωσις ἑπὶ τὸν Ἴστρον ποταμὸν εἰς τὰ τέλη τῆς βασιλείας Κωνσταντίνου τοῦ Πωγωνάτου, ὅτε καὶ τὸν ὄνομα αὐτῶν φανερὸν ἐγένετο· πρότερον γὰρ Ὀνογουνδούρους αὐτοὺς ἐκάλουν.

Vgl. Agathon bei Gy. Moravcsik, Studia 96: ἔφοδον τοῦ γειτνιάζοντας ἔθνους τῶν Οὐννογούρων (lies Οὐννογουνδούρων) Βουλγάρων μετὰ πλείστης αἰχμαλωσίας τε καὶ σφαγῆς τῶν ἐν τῇ Θρ||κῃ καταμενόντων Χριστιανῶν.

Nikeph. ed. De Boor 69, 3; Τὰ δὲ κατὰ τοὺς Οὐννογουνδούρους (codex Οὔννους) Βουλγάρους ἐπράττετο τῇδε.

 

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Im Gegensatz zu seinen Brüdern begab er sich nicht nach Pannonien, sondern überschritt die Flüsse Dnjepr und Dnjestr und richtete seinen Weg zur Donau [3]. Er musste zunächst Kämpfe gegen die Awaren führen [4], da die dortigen Länder unter ihrer Herrschaft standen. Asparuch besiegte die Awaren, verhältnismässig leicht, da sie sich fern vom Zentrum an der Peripherie ihres Reiches befanden und ihre ehemalige Macht bereits gebrochen war, und vertrieb sie nach Westen. Er liess sich zwischen den Flüssen Dnjestr und der Donau in dem sog. Onglos nieder [5], da er sah, dass der Ort wohlbefestigt und uneinnehmbar war. Er war sumpfig an der Vordeseite und von den anderen Seiten durch die Flüsse um kränzt [6]. Diese Lage bot dem durch die Teilung schwach gewordenen Volk einen sicheren Schutz gegen die Feinde [7].

 

 

3. Theophan. 357, 27-358, 4; Nikeph. 34, 5-7. Der Aufsatz von H. Lauterbach, Untersuchungen zur Vorgeschichte der Protobulgaren nach einem Bericht des Theophanes in: Altheim, Fr. und Stiehl, Ruth, Die Araber in der alten Welt, Berlin 1967, Bd. 4, 583 ff. bietet nichts bemerkenswertes.

4. s. Anm. 1

5. s. meine Korrektur zu Theophanes in BZ 27 (1927) 35

6. Es sind wohl die Flüsse Prut, Dnjestr und die Donau gemeint. S. Theophan. 358, 1-4. Nach Nikephoros 34,10-12, war der Ort hinten durch unzugängliche Abhänge (κρημνοῖς ἀβάτοις) geschützt, was jedoch teilweise der Wirklichkeit entspricht. Man hat schon längst erkannt, dass die Berichte der beiden Chronisten Theophanes und Nikephoros über die älteste Geschichte der Bulgaren und die Gründung ihres Staates aus einer gemeinsamen oder eng verwandten Vorlage geschöpft sind, da sie nicht nur sachliche, sondern auch fast wörtliche Übereinstimmungen aufweisen, vgl. K. Krumbacher, Geschichte 343, 350; Zlatarski, Istorija I 1, 96-99, 102; Moravcsik, Byzturc, I 457, 532; W. Beševliev, Κύριος Βουλγαρίας bei Theophanes, in BZ 41 (1941), 289-298 u.andr. Sie enthalten aber auch beträchtliche Unterschiede, die von zwei verschiedenen Vorlagen zeugen, z.B. die Namensformen Κοῦφιν, Ὀγγλος (Th.) Κώφινα, Ὄγλος (N.), Βερζιλίας (Th.) Βερυλίας (N.), Βατβαιᾶν (Th), Βαϊανὸς (N.) usw. Zu diesen Unterschieden gehört auch die abweichende Beschreibung des Onglos. Der Bericht des Theophanes verdient sowohl hier wie auch in anderen Fällen mehr Vertrauen.

7. Zlatarski (Istorija I 1, 127-130) zog die Nachricht des Moses Chorenaçi von der Flucht Asparuchs auf die nie vorhandene Insel Peuke im Donaudelta den einstimmigen Berichten Theophanes und Nikephoros vor. S. C. Balasčev Ustrojstvo 113; Mutafčiev, Istorija 1 105.

 

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Der Onglos, der schon längst richtig mit Süd-Bessarabien identifiziert worden ist [8], war den Byzantinern ein wohlbekannter Begriff [9]. In diesem Gebiet — extrema minoris Scythiae — liess sich bekanntlich (s. hier S. 69-72) Hernak, der jüngste Sohn Attilas, nachdem Zerfall des Hunnenreiches nieder. Wie lange sein Staat bestand ist unbekannt. Im 6. Jh., als die Slawen die Länder jenseits der Donau überfluteten, wurde das Gebiet von ihnen auch heimgesucht. Sie blieben dort sehr lange Zeit, was aus dem Umstand zu entnehmen ist, dass sein slawischer Name Onglos sich bei den Byzantinern eingebürgert hat. Um die Mitte des 6. Jhs. geriet das Gebiet in die Hände der Awaren. Asparuch gründete, nachdem er die Awaren von dort vertrieben hatte, einem Unogundurischen bzw. bulgarischen Staat wohl mit den Vorgefundenen Resten der Hunnen Hernaks und den dort angesiedelten Slawen. Das genaue Datum ist nicht bekannt. Dies dürfte aber nach 660, vielleicht um 664 stattgefunden haben. Im Verlauf von etwa 15 Jahren lebten die Bulgaren eng mit Hunnen, Slawen und anderen zusammen,

 

 

8. C. Uhlig Wälle 225-228; G. Fehér, Les monuments 8-37; hierzu A. Ferenczi, Trajanswälle 257-275. - Die von P. Diaconu (Le problème de la localisation de l’Onglos, Dacia n.s. XIV, 1970, 325-334) vorgeschlagene Identifizierung des Onglos mit Walachei (Muntenien) ist ganz abwegig.

9. Im Text des Theophanes, der auch hier mehr Vertrauen verdient, ist der Onglos mit dem bestimmten Artikel versehen, d.h. als ein bereits bekannter Ort angeführt. Daraus folgt, dass der Name Onglos schon vor der Ankunft der Bulgaren existierte. Nikephoros schreibt allerdings, dass der Ort in ihrer Sprache Onglos genannt sei (34, 8-9: Ὄγλον τῇ σφῶν καλούμενον φωνῇ). Dem Text lässt sich jedoch nicht entnehmen, auf wen τῇ σφῶν... φωνῇ sich eigentlich bezieht. Man hat stillschweigend angenommen, dass mit σφῶν Asparuch und seine Leute gemeint sind. Das ist aber nur eine Vermutung. Wenn man berücksichtigt, dass Nikephoros seine Vorlage verkürzt weiedergibt, könnte σφῶν sich auf ein anderes Volk z. B. die Slawenbeziehen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass σφῶν, wenn man die geläufige Deutung annimmt, eine Vermutung Nikephoros war. Für Onglos sind zwei Etymologien vorgeschlagen, eine slawische : Ongal, “Winkel” und türkische: aγil - aγul - aul, s. Moravcsik, Byzturc II 213 mit Lit., hierzu M. Vasmer in Zeitschrift f. slav. Philol. I (1925) 466; Iv. Venedikov, Αὐλή, in; IIBE XVI (1968) 111-113; Menges, Introduction 12 und 19 (slavisch). Der Ortsname ist ohne Zweifel slawisch.

 

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wie die Beziehungen der Neugekommenen zu den Angetroffenen waren, ist unbekannt. Es lässt sich jedoch vermuten, dass die mit den Bulgaren verwandten Hunnen sich enger und bereitwillig dem Asparuch angeschlossen haben. Die beiden Volksgruppen traten in so enge Beziehungen miteinander, dass Hernak, der Begründer des Hunnenstaates in extrema minoris Scythiae, unter der Form Irnik als einer der ersten bulgarischen Herrscher in der bulgarischen Fürstenliste erscheint. Gute Beziehungen bestanden ohne Zweifel auch zwischen den Bulgaren und den Vorgefundenen Slawen.

 

Wie die Dinge sich während des Aufenthaltes der Bulgaren jenseits der Donau entwickelten ist auch unbekannt. Theophanes und Nikephoros [10] berichten, dass die Bulgaren, wohl im Verein mit den Slawen, das byzantinische Gebiet diesseits der Donau überfielen und plünderten. Diesen Einfällen, die vielleicht Vorboten der Absichten der Bulgaren waren die Donau zu überschreiten und sich auf byzantinischem Boden anzusiedeln oder Versuche sich dort niederzulassen, konnte der byzantinische Kaiser Konstantin IV. nicht entgegentreten, solange die langwierigen und schweren Kriege mit den Arabern im Osten anhielten (663-678) [11]. Er musste den Dingen im äussersten Winkel des Ostteiles der Balkanhalbinsel, wie im Fall Kubers bei Thessalonike, vorläufig freien Lauf lassen. Nach dem Sieg über die Araber (678) wandte er den Bulgaren im Onglos seine Aufmerksamkeit zu. Sie erschienen ihm mit Recht gefährlicher als die stark geschrumpfte Bulgarenschar Kubers im Gebiet von Thessalonike, die er mit friedlichen Verhandlungen ungefährlich machte. Der Kaiser beschloss die Bulgaren aus dem Onglos für immer zu verjagen [12] oder gar zu vernichten [13]. Er befahl alle Reitertruppen in Thrakien zu versammeln und die Flotte in Bereitschaft zu bringen. Im Jahre 680 zog Konstantin IV. mit dem Heer gegen die Bulgaren im Onglos.

 

 

10. Theophan. 358, 12-14, Nikeph. 34, 21-22

11. Ostrogorsky, Geschichte 103-105

12. Theophan. 358, 17-18

13. Nikeph. 34, 22

 

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Die Landtruppen schlugen wohl den Küstenweg ein: Mesembria-OdessosDionysopolis-Calatis-Tomi-Ulmetum-Noviodunum (s. hier. S. 28) [14], um in Verbindung mit der Flotte zu stehen, die nicht fern vom Ufer an der Küste entlangsegelte. Sie erreichten das Donauufer dem Onglos gegenüber und die Flotte warf Anker an dem naheliegenden Ufer, vielleicht bei Noviodunum. Das byzantinische Heer setzte offenbar bei demselben Ort auf das jenseitige Ufer über. Nach Theophanes und Nikephoros [15] ergiff die Furcht die Bulgaren bei dem Anblick der zahlreichen byzantinischen Truppen, und sie versteckten sich in einer Befestigung [16], wohl hinter dem sog. unteren Tranjaswall [17]. Im Verlauf von etwa vier Tagen wagten die Bulgaren nicht aus der Befestigung zu kommen. Die byzantinischen Truppen konnten wegen der Sümpfe auch keinen Kampf eröffnen, d.h. sich entfalten und ein Umgehungsmanöver ausführen. Die Untätigkeit des feindlichen Heeres flösste den Bulgaren Mut ein. Indessen musste der Kaiser von quälenden Fussschmerzen geplagt, das Heer verlassen und mit seinem Gefolgte auf fünf Schiffen nach Mesembria absegeln,

 

 

14. Nach A. Ferenczi, Trajanswälle 265, Anm. 1, soll die Marschroute: Marcianopolis - Tropaeum Trajani - Axiopolis gewesen sein. Dise Vermutung ist kaum akzeptabel, da dann das Landheer ziemlich fern von der Flotte wäre.

15. Theophan. 358, 21-23, Nikeph. 35, 3-4

16. ebenda

17. Nach Zlatarski (Istorija I 1, 131-132) ist die bei Theophanes erwähnte Befestigung mit dem Onglos identisch. Dieser Ansicht schloss sich auch G. Fehér (IAI III, 1925, 17-20) an. Sie wird von A. Ferenczi (Trajanswälle 265-266) mit Recht abgelehnt. Das Partizip προλεχθὲν (ὀχύρωμα), das Zlatarski zu der falschen Auffassung verleitete, bezieht sich auf einen von Theophanes ausgelassenen Text der Vorlage, wobei das Partizip aus Versehen Beibehalten wurde. Theophanes (358, 25-26) berichtet, dass sich vor der Befestigung Sümpfe befanden. Eine solche Befestigung, vor der sich Sümpfe befinden, ist der heute sog. Untere Trajanswall in Bessarabien. Er beginnt am Prut bei dem Dorf Vadul lui Isac, zieht in Richtung Westen — Osten an den Seen Jalpug, Catlabug und Chitai vorbei und endet am Westufer des Sasic-Limans. Ausführliche Beschreibung bei C. Uhlig, Wälle 197-202, vgl. auch A. Ferenczi, Trajanswälle 266-270 und 372-374. Mit τέλματα bei Theophanes sind wohl die oben erwähnten Seen gemeint, die einem Heer keine Bewegungsfreiheit erlauben.

 

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um in einem Bad [18], wohl in dem naheliegenden Aquae Calidae, Linderung zu suchen [19]. Vor seiner Abreise befahl er den Strategen und den Truppen, sie sollten die Bulgaren mit kleinen Gefechten aus der Befestigung herauslocken und einem Kampf eröffnen. Wenn sie das nicht erreichen könnten, sollten sie die Bulgaren in der Festung belagern und bewachen.

 

Die Reitertruppen verbreiteten aber das Gerücht, dass der Kaiser in Wirklichkeit geflohen sei, und begannen selbst sich zurückzuziehen. Ihrem Beispiel folgte, wie es scheint, auch das übrige Heer. Darauf nahmen die Bulgaren die günstige Gelegenheit wahr, verliessen die Befestigung und griffen die zurückziehende byzantinische Armee an. Da verwandelte sich das allmähliche Zurückziehen plötzlich in eine panische Flucht. Viele fliehende Byzantiner wurden von den Bulgaren niedergeschlagen und viele verwundet. Die Unogunduren, d.h. die Bulgaren [20], überschritten, den fliehenden byzantinischen Truppen nachsetzend, die Donau und drangen in Scythia Minor ein. Der Abzug des byzantinischen Heeres soll nach Theophanes und Nikephoros [21] auf diese Weise geschehen sein.

 

Die siegreichen Bulgaren, immer dem byzantinischen Heer auf den Fersen, durchzogen das ganze Scythia Minor bis Varna in der Nähe der Stadt Odessos, wo sie die Verfolgung einstellten. Die fliehenden Truppen haben offenbar den kürzesten Weg nach Süden eingeschlagen, der von

 

 

18. Theophan. 358, 27-30 und Nikeph. 35, 7-9

19. Nach Runciman (Empire 27) war die Krankheit des Kaisers ein Vorwand, um sich von dem schweren und gefährlichen Feldzug zurückzuziehen. Diese Vermutung ist kaum wahrscheinlich.

20. s. hier Anm. 2

21. Die Dinge konnten sich aber in Wirklichkeit anders abgespielt haben. Der Abzug des byzantinischen Heeres konnte die Folge eines Sieges der bulgarischen Reiterei über die byzantinischen Reitertruppen gewesen sein, die deshalb die Flucht ergriffen haben. Das Zurückziehen der byzantinischen Kavalerie könnte auch als eine übliche Kriegslist gedeutet werden: Die Bulgaren sollten laut Kaiserbefehl durch eine scheinbare Flucht zum Auszug aus der Befestigung verleitet werden. Das Fussvolk hat die Kriegslist missverstanden und für einem wirklichen Abzug oder eine Flucht gehalten.

 

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Noviodumim über Ulmetum, Tropaeum Traiani und Zaldapa nach Marcianopolis führte [22]. Das einzige, bedeutende geographische Objekt in der Nähe von Odessos war der heutige Devnja-See [23], an dessen Westufer die römische Strasse von Marcianopolis nach Anchialos vorbeiführte (s. hier. S. 28) und an dessen Ostufer bei Odessos die Strasse Odessos-Mesembria begann (s. hier S. 28). Das zurückziehende byzantinische Heer hat scheinbar die beiden Strassen benutzt. Nicht weit von dem erwähnten Ort erhoben sich die Ausläufer des Hämusgebirges, über welche einige Übergänge führten und die ernste Hindernisse, für ein von der Verfolgung bereits ermüdetes und an Kriegen auf flachen Feldern gewöhntes Heer, darstellten. Deshalb gaben die Sieger bei dem Varna die Verfolgung auf.

 

Als die Bulgaren sahen, dass das von ihnen eroberte Land grosse Sicherheit bot, da es von hinten durch die Donau, und von vorne und den Seiten durch Gebirgsschluchten und das Schwarze Meer geschützt war, beschlossen sie sich dort dauernd anzusiedeln. Mit dem Abzug der Kaisertuppen endete dort praktisch die Herrschaft der Byzantiner. Das Land war aber mit kleinen Ausnahmen bereits seit etwa hundert Jahren von slawischen Stämmen dicht besiedelt, denen die byzantinische Regierung warscheinlich den Grenzschutz anvertraut hat (s. hier S. 137-138). Von diesen Stämmen trat der Stamm “der Sieben Geschlechter” den Bulgaren entgegen, sei es um seine Siedlungen gegen die Bulgaren zu verteidigen oder seine Grenzschutzverpflichtungen zu erfüllen. Sie wurden jedoch unterworfen und mussten einen Friedensvertrag schliessen, der sie verpflichtete [24] nach Süden und Westen überzusiedeln,

 

 

22. s. hier S. 28 und die Karten in Dobrogei II nach Seiten 366 und 556.

23. K. Jireček, Reise 818, nahm mit Recht an, dass unter Varna “der Provadija-Fluss mit dem Devnja-See und seiner Tal” zu verstehen ist. Über die Termini ὑπὸ πάκτον = ὑπόοπονδοις, den Vortrag von D. Obolensky in Anm. 3 auf S. 10.

24. V. Beševliev, Zu Theophanis Chronographia 359, 5-17, in: Polychordia, Festschrift Fr. Dölger II, Amsterdam (1967) 50-57, andres aber kaum richtig I. Dujčev. Protobulgares 67-82, gegen seine irrige Aufassung: G. Cankova-Petkova, Beležki kăm načalnija period ot istorijata na bălgarskata dăržava, in: IIBI V (1954) 319-348; M. Voinov, Za părvija dopir na Asparuhovite bălgari s slavjanite i za datata na osnovavaneto na bălgarskata dăržava, in IIBI 6 (1956) 453-468, derselbe, Otnovo po vaprosa za vaznikvaneto na bălgarskata dăržava, in: IIBI 9 (1960) 269-276, derselbe, Pak za văznikvaneto na bălgarskata dăržava, in: Istoričeski pregled 26(1970) 4, 76-80, vgl. noch I. Dujčev, Obedinenieto na slavjanskite plemena v Mizia prez VII v., in: Studia in honorem M. Drinov, Sofia 1960, 417-428; M. Voinov, Njakoi văprosi văv vrăzka s obrazuvaneto na bălgarskata dăržava i pokrăstaveto na bălgarite, in: IIBI 10 (1962) 279-309; Burmov, Werke I 127-151. Übersiedlung unterworfener Stämme wurde auch von Chi-tan praktiziert, s. Liao 193, 197 und 512, vgl. auch W. Ohnsorge, Auswirkung 87 ff.

 

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um das zu den Awaren hin gelegene Gebiet zu bewachen [25], da die Bulgaren wie es scheint ihre Herrschaft auch nach Westen bis zum Staat der Awaren ausdehnten und mit ihnen nicht auf gutem Fuss standen. Theophanes, der von dem Aussiedeln des Stammes “der Sieben Geschlechter ” berichtet, teilt weder seine früheren Wohnsitze noch das Gebiet mit, in das der Stamm ausgesiedelt wurde. Das Gebiet lag vermutlich irgendwo zwischen den Flüssen Iskar und Timok [26].

 

Die übrigen slawischen Stämme, von denen die Severen die bedeutendsten waren, haben sich den Bulgaren entweder freiwllig unterworfen oder gingen einem Bundesvertrag mit ihnen ein. Die Severen sassen nach Theophanes [27] im vorderen Teil des Verigava-Passes (j. Ris-Pass) [28].

 

 

25. Theophan. 359, 16-17 und Nikeph. 35, 20-21

26. hierzu s. Niederle, Manuel I 103 Anm. 2: “Peut-être faut-il voir, dans la tribu énigmatique des Eptaridici (“habent civitates CCCXIII”) du Géographe bavarois, un écho de cette notion qu’avaient les Byzantins de sept tribus slaves en Mésie. Il est possible que l’auteur latin, comprenant mal le grec, ait transformé ἕπτα ῥάδικες en Eptaradici.”

27. Theophan. 359, 14-15

28. Βερέγαβα (Theoph.), Βερίγαβα (Nikeph) ist kein slavischer Ortsname wie I. Dujčev (Proučvanija vărhu bălgarskoto srednovekovie, SbBANI XII, 1945, 151-165) irrtümlich meint. Der Name dürfte ein alter einheimischer Ortname sein. Es ist sehr verlockend *Βεριδάβα entstellt zu deuten (vgl. Βηρίπαρα bei Prokop, De aedif. 146, 5 und 148, 15). Völlig verfehlt sind auch die Deutungen: I. Duridanov, Zur alten slavischen Toponymie, in: slav. Philol. 29 (1960) 98-102 und H.W. Haussig, Kulturgeschichte von Byzanz, Stuttgart 1959, 113. S. jetzt V. Beševliev, Bemerkungen 69-75.

 

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Diese Angabe ist wohl kaum wörtlich zu nehmen, denn, es ist wenig wahrscheinlich, dass die Severen, die ein grosser und mächtiger Stamm waren, nur einen kleinen Platz bewohnt haben. Sie hatten wohl ihre Wohnsitze im ganzen Vorland der Nordabhänge des Hämusgebirges. Wie weit sie nach Norden ansässig waren, lässt sich nicht sagen. Pliska und Preslav [29], die ältesten slawischen Siedlungsnamen in Bulgarien, stammen wahrscheinlich von ihnen. Die Severen wurden von dem Verigava-Pass nach Osten verschoben [30], um für die Ansiedlung der Bulgaren Platz freizumachen. Nach Nikephoros aber sollten sie das an der bulgarisch-byzantinischen Grenze liegende Gebiet in Schutz nehmen [31]. In den ihnen zugewiesenen neuen Wohnsitzen genossen die Severen volle Autonomie mit Bewahrung ihrer Stammesfürsten und erwiesen sich, wie aus manchen späteren Ereignissen zu ersehen ist, als treue Verbündete der Bulgaren.

 

Nachdem die Bulgaren sich in den Ländern der einstigen römischen Provinzen Scythia Minor und Moesia Inferior eingenistet und gefestigt hatten, sollen sie nach Theophanes und Nikephoros [32] angefangen haben, die angrenzenden byzantinischen Kastelle und Gebiete, bzw. die Dörfer und Städtchen Thrakiens, zu überfallen und zu berauben. Das zwang den Kaiser Konstantin IV. “zum grössten Schmach für die Rhomäer” mit den Bulgaren einen Frieden unter der Bedingung zu schliessen, dass er ihnen jährlich einen Tribut zahlte [33]. Es ist aber unwahrscheinlich anzunehmen, dass der Kaiser sich ohne weiteres mit der Niederlassung der Bulgaren auf byzantinischem Boden und dem Verlust der Länder zwischen der Donau und dem Hämusgebirge abgefunden hat, ohne einen wenn auch aussichtlosen, Versuch zu machen, die unerwünschten Eindringlinge fortzujagen oder sie unter eine fiktive Abhängigkeit vom byzantinischen Reich zu stellen [34].

 

 

29. Über die Severen in Russland, die an den Flüssen Desna, Sejm und Sula sassen und deren eine Stadt an dem Fluss Trubez den Namen Perejaslav trug, s. Niederle, Manuel I 219-220

30. Theophan. 359, 15

31. Nikeph. 35, 21-22

32. Theophan. 359, 17-19 und Nikeph. 35, 22-24

33. Theophan. 359, 19-21 und Nikeph. 35, 24-25. Suda (ed. Adler I 483, 22) nennt Konstantin IV. ὑπόφορος dem Asparuchos Sohn Terwel.

 

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Der Umstand, dass ein Teil der Slawenstämme die Grenzen vor den Byzantinern beschützen [35] sollte und dass der Kaiser “von dem neu erschienenen Volk besiegt wurde” [36], führt zu der Vermutung, dass die bulgarischen Einfälle in das Reich eigentlich Kämpfe waren, die die Byzantiner führten, um die Bulgaren aus dem eroberten Gebiet hinauszuwerfen. Wie dem auch sei, mit dem Friedenvertrag wurde der neugegründete Staat der Bulgaren auf dem alten byzantinischen Gebiet offiziell von Byzanz anerkannt. Das fand im Jahre 681 statt [37].

 

Mit dem Friedensschluss zwischen den Bulgaren und Byzantinern hören die Nachrichten über Asparuch und seine Zeit in den byzantinischen Quellen auf. V. N. Zlatarski [38] vermutet, dass Asparuch um 701 nicht mehr lebte. Er hat also ungefähr 40 Jahre regiert. Nach demselben Gelehrten [39] waren die Grenzen des damaligen Bulgariens im Norden die Donau, im Osten das Schwarze Meer, im Süden das Hämusgebirge und im Westen den Iskarfluss. Dazu gehörte noch Bessarabien.

 

 

34. Nach Michael dem Syrer bildeten die Leute des Bulgarios eine Hilfstruppe bzw. Schutzwehr für die Römer, s. Byz. 28 (1958) 110. - Über die völkerrechtlicke Stellung des neugegründeten Bulgarenstaates Ev. Chrysos, Zur Gründung des ersten bulgarischen Staates, in: Cyrillomethodianum 2 (1972) 1-7

35. Nikeph. 35, 21-22

36. Theophan. 359, 24-25

37. Das genaue Datum wird aus folgenden in der 26. Sitzung der VI. ökumenischen Synode von Konstantinopel am 9. Augustu 681 gesprochenen Worten des syrischen Presbyters Konstantin von Apameia erschlossen: ήλίῖον προς τὴν αγίαν υμών σύνοδον, ἐφ’ ώ ἀναδιδάξαι υμάς, δτι ἐάν είσηκούσθην, α επάθομεν ἐφέτος, ούκ εϊχομεν παθεϊν', τουτέστιν εῖ τι ἐπάθαμεν εἰς τὸν πόλεμον Βουλγαρίας (= d.h. was wir in dem Krieg mit Bulgarien erlitten haben), D. Mansi, col. 617, hierzu Jor. Trifonov, Izvestieto na sirijskia prezviter Konstantin za Isperihovata pobeda nad vizantijcite, in: HD XI-XII (1931-1932) 199-215; M. Voinov, Za părvija dopir usw. 468-480; G. Cankova-Petkova, Za godinata, kogato e săzdadena bălgarskata dăržava, in: Istoričeski pregled 58-61

38. Istorija II, 162

39. ebenda 151-155

 

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6. Sagenhafte Nachrichten über die Anfänge des bulgarischen Staates

 

Ausser den Berichten der beiden byzantinischen Chronisten Theophanes und Nikephoros, auf denen die obige Darstellung beruht, sind uns zwei einheimische, in altbulgarischer Sprache verfasste, halb legendenhafte Quellen über die älteste Geschichte der Bulgaren und ein bzw. zwei syrische Berichte darüber zugekommen.

 

Die erste einheimische Quelle ist die sog. bulgarische Fürstenliste [40], die ein Verzeichnis der bulgarischen Herrscher mit Angaben über ihre Geschlechtszugehörigkeit, Lebensdauer und ihr Regierungsantrittsjahr bis zum Jahre 765 (s. hier S. 481-497). Nach dieser Liste war der erste Bulgarenherrscher Avitohol, der 300 Jahre lebte, dem Geschlecht Dulo [41] angehörte und dessen Regierungsantrittsjahr nach der protobulgarischen Zeitrechnung und Sprache dilom tvirem [42] war. Der zweite Herrscher war Irnik, der 150 Jahre lebte, gleichfalls aus dem Geschlecht Dulo stammte und die Regierung auch im Jahre dilom tvirem angetreten hat. Avitohol wird meistens mit dem Hunnenherrscher Attila identifiziert [43]. Was seinen Namen betrifft, sind verschiedene Deutungen vorgeschlagen [44]. Der zweite Herrscher Irnik wird fast allgemein mit dem jüngsten Sohn Attilas Hernac (Jordan.), Ἠρνάχ (Priscus) identifiziert [45]. Abgesehen davon, ob Avitohol gleich Attila ist oder nicht, bürgt der Name Irnik dafür, dass die beiden ersten Herrscher mit ihrer sagenhaft langen Lebenszeit einer echt hunnischen Sage entnommen sind.

 

 

40. S. Beševliev, PI 306-323 Nr. 79

41. ebenda 316-317

42. Ober die protobulgarische Zeitrechnung Beševliev, PI 316

43. Beševliev, PI. 316, hierzu Artamonov, Hazar 82, 161 und 162

44. ebenda

45. ebenda 317, hierzu Artamonov, Hazar 82, 161 und 162

 

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Diese hunnische Sage wurde in der Fürstenliste mit der bulgarischen, historischen Überlieferung, die keine sagenhaften Züge aufweist, zum einem Ganzen verbunden. Das fand, wie bereits erwähnt (s. hier S. 175), im Onglos statt.

 

Als dritter Herrscher der gesamten Reihe und als erster in dem zweiten historischen Teil der Fürstenliste wird Gostun [46] angeführt, der zwei Jahre die Stellung eines Statthalters innehatte und dem Geschlecht Ermi entstammte. Er trat das Amt im Jahre doxs tvirem an. Seine Identifizierung ist noch nicht einwandfrei gelungen. V. N. Zlatarski [47] nahm an, dass er mit Organas identisch sei, was kaum richtig sein kann. Es erhebt sich zunächst die Frage, wessen Statthalter er gewesen sein mag. Es kann nicht der eines bulgarischen Herrschers gewesen sein, da das Land der Bulgaren vor Kubrat unter Fremdenherrschaft stand. Die Vermutung von St. Runciman, dass Gostun ein von den Awaren eingesetzter Statthalter war [48], verdient mehr Beachtung. Sein Geschlecht Ermi tritt unter der Form Ermiaris auch in einer protobulgarischen Inschrift auf [49] und lässt sich mit dem awarischen Namen Ἐρμίτζις verbinden [50]. Das letztere spricht zugunsten der Vermutung von Runciman. In diesem Fall muss man annehmen, dass Gostun zu den Bulgaren übergetreten war und dem Kubrat bei der Vertreibung der awarischen Truppen geholfen hat. Denn es ist sonst schwierig zu erklären, warum ein Statthalter eines fremden Staates in die bulgarische Fürstenliste aufgenommen wurde. Wie dem auch sei, die Persönlichkeit und Tätigkeit Gostuns bleiben immer noch ungeklärt und strittig (vgl. hier S. 490).

 

Der vierte Herrscher Kurt bzw. Kurăt, der nach der Liste 60 Jahre herrschte, dem Geschlecht Dulo entstammte und die Regierung im Jahre segor večem antrat [51], wird allgemein mit Kubrat, Kobrat identifiziert [52].

 

 

46. Beševliev, PI 317, Artamonov, Hazar 161

47. Zlatarski, Istorija I 1, 84 ff. und 383 ff.

48. St. Runciman, Empire 14 und Anm. 2

49. Beševliev, PI Nr. 62

50. ebenda 317, hierzu Moravcsik, Byzturc II 125; Artamonov, Hazar 161

51. Beševliev, PI 318

52. ebenda

 

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Er gehörte also demselben Geschlecht an wie die beiden ersten sagenhaften Herrscher Avitohol und Irnik. Dieses Geschlecht war also das alte, legitime Herrschergeschlecht.

 

Wieder auf grosse Schwierigkeiten stösst die Identifizierung des fünften Herrschers der Liste. Er hiess Bezmer, herrschte 3 Jahre, trat die Regierung im Jahre segor večem an und sein Geschlecht war wieder Dulo [53]. Zlatarski nahm an, dass Bezmer aus chronologischen Gründen mit Baianos, dem ältesten Sohn Kubrats, zu identifizieren sei [54]. Dieser an sich sehr verlockenden Vermutung steht die Verschiedenheit der Namen entgegen. Zur Not könnte man annehmen, dass der Name Baianos in der Liste zur Unkenntlichkeit entstellt wurde oder das Bezmer einen Titel darstellte. Die kurze Regierung Besmers lässt sich so deuten, dass er nur drei Jahre lang der Herrscher aller bulgarischen Stämme war. In seinem dritten Jahr hat sich Asparuch von ihm getrennt.

 

Nach der Regierung Bezmers enthält die Fürstenliste folgende Bemerkung: “Diese fünf Fürsten herrschten jenseits der Donau 515 Jahre mit geschorenen Köpfen. Und danach kam Isperih - Fürst auf diese Seite der Donau bis auf den heutigen Tag”. Die Bemerkung erscheint in manchen Beziehungen verdächtig. In dem vorhergehenden Text wird Isperih weder unter den Fürsten, die jenseits, der Donau regierten, noch als Nachfolger von Bezmer angeführt, sondern auf einmal als jener Fürst erwähnt, der die Bulgaren auf diese Seite der Donau führte. Nach G. Fehér verrät die Namensform Isperih gegenüber der Esperih im weiteren Text den späteren Ursprung der Bemerkung [55]. J. J. Mikkola [56] hielt die Zahl 5 und die Angabe “mit geschorenen Köpfen” für interpoliert, da die Bulgaren sich auch nach dem Übergang über die Donau die Haare schnitten. Ihm hat sich auch Fehér angeschlossen [57].

 

 

53. ebenda 318-319

54. Zlatarski, Istorija I 1, 86, 112, und 383 ff., degegen Artamonov, Hazar 167 Anm. 25

55. G. Fehér, Imenikăt 279-280, 309

56. J.J. Mikkola, Chronologie 10 hierzu Beševliev, PI 312-320

57. Fehér, Imenikăt 280

 

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Letzterer machte schliesslich auch auf den Ausdruck “bis auf den heutigen Tag” aufmerksam [58], der die Bemerkung als einen späten Zusatz sur Liste aufdeckt und kam zu dem Schluss, dass sie ein Einschiebsel ist. Wenn die verschiedenen Namensformen auch nicht so schwerwiegend sind, lassen sich die übrigen Einwände jedoch nicht zurückweisen (vgl. hier auch S. 488). Ohne die Bemerkung läuft der Text der Liste ganz normal mit Esperih, dem Nachfolger Bezmers, weiter. Wahrscheinlich nahm der Verfasser der Bemerkung, wohl ein Abschreiber, daran Anstoss, dass ein so wichtiges Ereignis, wie die Überschreitung der Donau von den Bulgaren unter der Führung Isperihs, in der Fürstenliste nicht erwähnt worden ist, und versuchte mit der Bemerkung das Versäumte nachzuholen (vgl. auch S. 488-489).

 

Der sechste Fürst war nach der Liste Esperih ( = Asparuch), der 61 Jahre lebte, dem Geschlecht Dulo entstammte und die Regierung im Jahre vereni alem antrat.

 

Die zweite einheimische Quelle ist die apokryphe bulgarische Chronik aus der zweiten Hälfte des 11. Jhs.

 

Der Teil der Chronik, der hier in Betracht kommt, besteht wie die Fürstenliste aus zwei miteinander vermengten historischen Überlieferungen: Einer slawischen und einer protobulgarischen. Diese Chronik erzählt von einem Drittel der Bulgaren, die hier auch Rumänen genannt werden, wohl wegen ihrer türkischen Herkunft. Diese Bulgaren überschritten drei Flüsse, die mythische Namen tragen, Kamen in das Karvunische Land, das die Römer und die Griechen seit 130 Jahren verlassen hatten, und liessen sich dort nieder. Ihnen wurde als erster Zar Slav vorgesetzt, der das Land von der Donau bis zum Meer dicht mit vielen Menschen bevölkerte. Er schüttete 100 Hügel in seinem Staat auf und regierte 119 Jahre. Die Bulgaren waren um diese Zeit noch Heiden. Darauf übernahm ein anderer Zar mit Namen Ispor das bulgarische Zartum. Er gründete grosse Städte: Drăstar an der Donau und Pliska im Innern. Er baute auch eine grosse Wehr von der Donau bis zum Meer.

 

 

58. ebenda

 

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Ispor besiedelte das ganze Karvunische Land, wo früher Ethiopen waren, vernichtete viele Ismaeliten, herrschte 172 Jahre und wurde an der Donau von den Ismaeliten umgebracht. Nach seinem Tode wurden die Kumanen Bulgaren genannt (s. hier S. 498-500).

 

In dem gekürzt wiedergegebenen Text treten die beiden Überlieferungen ganz deutlich auf. Die slawische, bereits verdunkelt, handelt von der Einwanderung und Ansiedlung der Slawen im Karvunischen Land, die bulgarische, besser erhaltene, dagegen von der Ankunft und Niederlassung der Bulgaren unter den Slawen. Ihre Geschichtlichkeit ist gar nicht zu bezweifeln, da sie sich auch durch andere Quellen beweisen lässt. In der slawischen Überlieferung verdient die Nachricht, besondere Beachtung, nach der die Slawen sich in der bereits entvölkerten Scythia Minor angesiedelt haben.

 

In der bulgarischen Überlieferung hat sich eine trübe Kunde von der Dreitteilung und Auswanderung der Protobulgaren aus dem Kuban-Gebiet, von dem Überschritt dreier Flüsse (wohl Dnjestr oder Bug, Dnjepr und die Donau) und von dem nicht slawischen Urprung der Protobulgaren erhalten. Die Bemerkung, dass die Kumanen nach dem Tode des Ispor Bulgaren genannt worden seien, erinnert an die Worte des Kaisers Konstantin Porhpyrogennetos, dass man die Bulgaren früher Unogunduren nannte. Besonders wichtig sind die Nachrichten über die Bautätigkeit und die Kämpfe Ispors gegen die Ismaeliten. Sie entsprechen wieder der historischen Wahrheit. Ispor hat wohl in den von ihm eroberten Städten Drăstar ( = Durostorum) und Pliska Reparaturen und Bauten ausführen lassen, die der Verfasser der Chronik nach der damaligen byzantinischen Audrucksweise [59] als Gründung bezeichnete. Das gleiche gilt auch für die grosse Wehr in Kleinskythien. Er hat den Wall zwischen Černavoda und Konstanza entweder repariert und ausgebaut oder neu angelegt.

 

 

59. Vgl. z.B. Theophan. 457; 11 : κτίσασα καὶ τὴν Ἀγχίαλον, 467, 28: ἔκτισε τὸ κάστρον Μαρκέλλων, vgl. auch 457, 9: ταῦτην (= Βεροίαν) οἰκοδομηθῆναι κελεῦσασα

 

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Unter Ismaeliten sind ohne Zweifel die Awaren zu verstehen [60]. Asparuch hat sie zunächst aus dem Onglos vertrieben (s. hier S. 175). Dann hat er bekanntlich den slawischen Stamm der Sieben Geschlechter in das mit den Awaren angrenzende Gebiet verlegt, um den neuen Staat vor ihnen zu schützen. Diese Massnahmen zeigen, dass die Awaren entweder bereits Einfälle in das bulgarische Gebiet unternommen hatten oder solche bevorstanden. Ispor hat also viele Kriege gegen die Awaren geführt, die vielleicht von dem Kaiser gegen die Bulgaren auf ge hetzt wurden. In einem dieser Kriege verlor Ispor sein Leben.

 

Die syrische Weltchronik des Michaels des Syrers (+ 1199) enthält einen verworrenen und anachronistischen Abschnitt, der von dem Anfang des bulgarischen Staates handelt. Er lautet in der Übersetzung von F. Altheim und R. Stiehl [61] folgendermassen:

 

“In dieser Zeit (waren gekommen nämlich) drei Brüder vom inneren Skythien, indem sie mit sich führten 30,000 Skythen, und sie waren gekommen in einem Marsch von 65 Tagen von den Pässen des Imaon-Gebirges. Sie kamen aber in der Zeit des Winters wegen des Vorhandenseins von Wasser und gelangten zum Tanais, dem Fluss, der aus dem See Maiotis heraustritt und sich in das Meer Pontos ergiesst. Als sie zu der Grenze der Römer gelangt waren, nahm einer von ihnen, dessen Name Bulgarios war, 10,000 Mann, trennte sich von seinen Brüdern und überschritt den Tanais in Richtung auf die Donau, den Fluss, der sich gleichfalls in das Meer Pontos ergiesst. Er schickte zu Maurikios, dass er (Maurikios) ihm Lande gebe, dort zu wohnen, und er (Bulgarios) (dafür) den Römern eine Hilfstruppe bilde.

 

 

60. K. Jireček vermutete, dass unter den Ismaeliten die Araber zu verstehen sind. I. Dujčev, Legendarno svedenije 188 und 189, identifiziert die Ismaeliten mit den Chazaren.

61. Michael der Syrer über das erste Auftreten der Bulgaren und Chazaren, in: Byz. 28 (1958) 110 (= Altheim, Hunnen I 86-98, IV 28-30); Chronique de Michel de Syrien, patriarche Jacobite d’Antiochie, éditée pour la première fois et traduite en français par J.-B. Chabot, t. II, fasc. 3, Paris 1904, 363-364; Marquart, Streifzüge 479-480; 484-485, hierzu V.N. Zlatarski, Izvestieto na Mihaila Sirijski za preselvaneto na bălgarite, in: HD IV (1915) 37-52; Artamonov, Hazar 128-131

 

188

 

 

Und er (der Kaiser) gab ihm das obere und untere Mösien sowie Dakien, feste Orte, diejenigen, die die Awaren seit Anastasios Tagen verwüstet hatte. Sie (die Leute des Bulgarios) wohnten nun dort und bildeten eine Schutzwehr für die Römer. Jene nun, die auf Seiten der Römer standen, wurden Bulgaren genannt. Die (restlichen) Skythen aber, (d.h.) die zwei anderen Brüder, kamen zum Gebiet der Alanen, das Berzylia genannt ist, (ein Gebiet) dessen Städte von den Römern gebaut waren... Die (in Mösien und Dakien wohnenden) Bulgaren nun, und die Puguraye, die ihre (der Städte Berzylias) Bewohner bildeten, wurden zeitig Christen. Als sich das fremde Volk jenes Landes (Berzylias) bemächtigte, wurden sie Chazaren genannt nach dem Namen des älteren Bruders, der Kazarig hiess. Dieses Volk wurde stark und breitete sich aus.”

 

 

Derselbe Bericht findet sich in der Weltgeschichte des Barhebraeus (1226-1286) mit geringen Abweichungen, von denen die wichtigste ist:

 

“Als sie zur Grenze der Römer gelangt waren, nahm einer von ihnen, dessen Name Bulgarios war, 10,000 (Mann) und überschritt den Tanais. Er schlug sein Lager auf zwischen den beiden Flüssen, Tanais und Donau, die (die Donau) gleichfalls sich ins Meer Pontos ergiesst [62].”

 

Man hat angenommen, dass Barhaebreus die Chronik Michaels des Syrers benutzt hat [63]. Altheim ist dagegen der Meinung, dass Barhaebreus auf die gleiche Quelle wie Michael der Syrer zurückgeht und dass diese Quelle der verlorene Teil der Chronik des Johannes von Ephesos (+ nach 585) war [64]. Nach J. B. Chabot [65] stammt der Bericht aus der Chronik (bis 775 n. Chr.) des Dionysos von Teilmahre.

 

Der Bericht Michaels des Syrers, der die Ankunft der Bulgaren in Mösien in die Zeit des Kaisers Maurikios (582-602) verlegt und zugleich ihre Bekehrung zum Christetum erwähnt, kann schwerlich vor 865 entstanden sein.

 

 

62. Altheim, Hunnen IV 29, vgl. auch Marquart, Chronologie 82-84

63. K. Krumbacher, Geschichte 405; Marquart, Streifzüge 479

64. Altheim, Hunnen IV 29

65. bei Marquart, Streifzüge 488, vgl. auch Zlatarski, Izvestieto 46

 

189

 

 

Er kann also nicht auf die Chronik des Johannes von Ephesos zurückgehen. Marquart [66] sprach dem Bericht jeden Wert ab. Die gleiche Meinung hatte auch Zlatarski [67], der auf folgende Nachricht bei Joseph Genesios hinwies, die Berührungspunkte mit Michael dem Syrer zeigt: οἷς τὸ γένος ἐξ Ἀβάρων τε καὶ Χαζάρων, ἀπὸ Βουλγάρου κυρίου ὀνόματος, ὅς παρὰ Ρωμαίων ἐν κατοικήσει Δοροστόλου καὶ τῆς Μυσίας γεγένητο [68]. Auch nach Leon Diakonos sind die Bulgaren nach dem Namen ihres Anführers Bulgarios genannt [69]. Man Hess wie es scheint im 9. Jh. eine neue Version über die Ankunft und dem Namen der Bulgaren umlaufen, die wohl die ältere ersetzen sollte, wonach die Byzantiner von den Bulgaren besiegt und gezwungen wurden ihnen Mösien abzutreten. Die neue Version hat manches von der älteren beibehalten wie z.B. die drei Brüder, die Niederlassung der Bulgaren unter der Führung des einen Bruders im Onglos (bei Barhaebreus: zwischen den Flüssen Tanais und der Donau) und das Unterwerfen des ältesten Bruders durch die Chazaren, das hier als Auswandern nach dem Gebiet der Alanen, d.h. Berzylia, dargestellt ist. Dadurch wird auch die Verwandschaft der Bulgaren mit den Chazaren erklärt. Diese Version liegt dem Bericht des Michael des Syrers zugrunde.

 

 

66. Streifzüge 488

67. Izvestieto 51

68. Genes. 85, 22-86, 1, hierzu Marquart Streifzüge 529-530

69. Leon Diak. 22-23: ὁμωνύμως δὲ τὴν χώραν ἀπὸ Βουλγάρου (τοῦ σφῶν φυλάρχου) Βουλγαρίαν καλέσαι, vgl. auch das bei Moravcsik, Il 100 angeführte Notitia Populorum F: οἱ δὲ Βούλγαροι ἀπὸ Βουλγάρου τοῦ φυλάρχου αὐτῶν ἐπεκλήθησαν.

 

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7. Tervel und Kormesios

 

Hauptquellen: Theophanes, Nikephoros

 

Allgemeine Literatur: K. Jireček, Bulgaren 96-97 (Ergänzungen 60-61); G. Balašcev, Bălgarskijat gospodar Tervel, in: Per.Sp. 57 (1898) 49-61; Zlatarski, Istorija I 1, 162-191 und Geschichte 16; Kulakovskij, III 285 ff.; Bury, Later Empire II 385 ff.; Runciman, Empire 30-34; Ostrogorsky, Geschichte 108-121; N. Blagoev, Prevrati 53-54 G. Cankova-Petrova, Bălgaro-vizantijskite otnošenija pri upravlenieto na Tervel i Kormesij, in: Festschrift Drinov 615-627; C. Head, Justinian II of Byzantium, Madison 1972; Szádeczky-Kardoss, Ηintergrund; G. Cankova-Petkova, Bulgarians and Byzantium during the first decades after the Foundation of the Bulgarian State, in: Byz.Slav. XXIV (1963) 41-53

 

 

Justinian II. (685-695), der Sohn und Nachfolger Konstantins IV., war mit den von seimen Vater geschaffenen Verhältnissen auf der Balkanhalbinsel nicht zufrieden. Er erklärte (687) den Frieden mit den Bulgaren in Thessalonike für ungültig und unternahm (688) einen Feldzug gegen sie und die dortigen Slawen, der mit der Unterwerfung der letzteren endete (s. hier S. 169 f.). Andere, wichtige innere Angelegenheiten hinderten Justinian, wie es scheint daran, seine Pläne gegen die Donau-Bulgaren auszuführen. Ende 695 brach ein Aufstand gegen seine Regierung aus. Er wurde gestürtzt, die Nase wurde ihm abgeschnitten und er wurde nach Cherson verbannt. Alles dies ereignete sich wohl noch unter Asparuch.

 

In Bulgarien bestieg inzwischen Tervel, der Sohn Asparuchs den Thron. Nach der Fürstenliste gehörte er wie sein Vater zu dem Geschlecht Dulo, regierte 21 Jahre und trat die Regierung im Jahre tekučitem tvirem an (s. hier S. 483). Das genaue Datum des Regierungsantritts Tervels ist strittig. Das ist nach Jireček [1] 700,

 

 

1. Bulgaren 96

 

191

 

 

nach Balasčev [2] 703/4, nach Zlatarski [3] 701 und nach Pritsak [4] 691. Er wird in den Quellen zum ersten Mal im Zusammenhang mit der zweiten Regierung Justinians II. erwähnt. Der nach Cherson verbannte Kaiser floh in das Chazarenreich, wo er die Schwester des Khagans heiratete. Er verhielt sich jedoch dort nicht ruhig und Kaiser Tiberios verlangte vom Khagan seine Auslieferung. Da der Chazarenherrscher geneigt war, das Kaiserersuchen zu erfüllen, ergriff Justinian abermals die Flucht und erreichte 704 nach gefahrvoller Seefahrt auf einem gebrechlichen Kahn die Donaumündungen. Von dort schickte er seinen Vertrauensmann Stephanos zum Bulgarenherrscher Tervel mit der Bitte um Hilfe, wobei Justinian dem Tervel durch den Gesandten viele Geschenke und seine Tochter zur Frau versprach, wenn dieser ihm mit seinen Truppen zur Wiedererlangung des väterlichen Thrones beistehe. Der Bulgarenherrscher willigte ein, worauf er einen Eid ablegte, und empfing ihn mit grossen Ehren [5]. Aus der Bereitwilligkeit Tervels, die Bitte des gestürtzten Kaisers zu gewähren, lässt sich entnehmen, dass Justinian nicht, den von seinem Vater mit den Donau-Bulgaren geschlossenen Frieden (687) gebrochen bzw. einen Feldzug gegen sie unternommen hatte. Denn sonst hätte Tervel nicht, der Treulosigkeit Justinians eingedenk und ihm grollend, kaum so entgegenkommend gezeigt. Ganz anders haben sich dagegen die Bulgaren von Thessalonike verhalten. Nach der ältesten Madara-Inschrift [6] waren auch sie bei Tervel anwesend und wurden ebenfalls von Justinian II. zur Mithilfe aufgefordert. Sie hatten jedoch nicht vergessen, was der Kaiser mit der abgeschnittenen Nase ihnen und den Slawen (688) angetan hatte, und wiesen sein Angebot zurück. Sie haben ihn offenbar des Wortbruches bezichtigt [7].

 

 

2. Tervel 53

3. Istorija I 1, 162

4. Fürstenliste 76

5. Theophan. 374, 1-8, Nikeph. 41, 24-42, 5, Synaxarium 918, 18 f.

6. Beševliev, PI 97 Nr. 1 I c und S. 102-111

7. ebenda Z. 7-11: ἰς τὸν Τερβελιν ἀπῖλθε[ν], τὸν ῥινοκοπιμενον τὸν [β]ασιλέαν οὐκ ἐπίατεσαν ὑ θῖυ μου ἱς Θεσα[λο]νίκιν.

 

192

 

 

Im Herbst 705 zog Tervel von Justinian begleitet, an der Spitze eines grossen Heeres von Bulgaren und Slawen [8], nach Konstantinopel. Der Weg, den sie eingeschlagen hatten, führte über Mesembria. Dort wurde Justinian von dem zukünftigen Kaiser Leon III. empfangen, der ihm 500 Schafe schenkte [9]. Von dort wählten sie wahrscheinlich die alte, wenig frequentierte Küstenstrasse, die von Mesembria am Meer entlang über Deultum, Apollonia, Salmydessos und Phileas nach Konstantinopel führte (s. hier S. 28), um diese Stadt unbemerkt zu erreichen. Auf diese Weise wurde auch die stark befestigte Stadt Adrianopel vermieden, wo der Kaiser auf zähen Widerstand stossen konnte. Tervel erschien vor den Mauern Konstantinopels und schlug dem Tor des Charision (j. Edirne kapu) gegenüber sein Lager auf. Im Verlauf von drei Tagen versuchte Justinian die Bürger der Hauptstadt auf seine Seite zu bringen. Die Worte des gestützten Kaisers wurden jedoch mit Hohn und Spott aufgenommen. Daraufhin entschloss er sich zu einem kühnen Unternehmen. Er schlich sich in der Nacht mit einigen Gefährten durch einen Aquädukt [10] in die Stadt ein. Sein Erscheinen rief in Konstantinopel grosse Panik hervor. Er nahm die Stadt von innen aus ein und besetzte bald darauf den Blachernenpalast.

 

Als die Herrschaft fest in seinen Händen lag, lud er Tervel in die Stadt ein, um ihn zu belohnen. Der byzantinische Chronist Nikephoros [11] berichtet darüber folgendes: Als Tervel vor dem Kaiser erschien, legte dieser ihm kaiserliche Chlamys um und erhob ihn zu Cäsar. Das Cesarat hatte allerdings seine frühere Bedeutung eingebüsst, war aber noch immer nach der Kaiserwürde der höchste byzantinische Ehrentitel [12].

 

 

8. Theophan. 374, 6-8: συγκινεῖ πάντα τὸν υποκείμενον αῦτψ λαόν τῶν Βουλγάρων καὶ Σκλάβων.

9. Theophan. 391, 5-10

10. Nach R. Janin (Constantinople 200) der Aquädukt des Valens

11. Nikeph. 42, 20-25, vgl. Beševliev, PI 57-58

12. R. Guilland, Le César, in: Recherches sur les Institution Byzantines, Berlin I, 1968, 25-43 (Le Césarat, in Orientalia Christiana Periodica 13, 1947, 168-194).

 

193

 

 

Zum ersten Mal erhielt ein fremder Herrscher diesen Titel, der seinem Träger zwar keinen Anteil an der kaiserlichen Macht, wohl aber einen Anteil an den kaiserlichen Ehren gab. Justinian liess Tervel neben ihm thronen und befahl den Truppen, beiden Herrschern niederkniend zu huldigen [13]. Zum Schluss zog Tervel mit reichen Geschenken in sein Land ab. Der Bericht Theophanes’ ist kürzer. Er teilt nur mit, dass Tervel viele Geschenke und kaiserliche Gewänder bekam [14]. Mit den Gewändern sind wohl die kaiserlichen Chlamys [15] und die Verleihung des Cäsartitels gemeint. Gemäss der ursprünglichen Versprechung Justinians sollte Tervel noch die Kaiserstochter zur Frau bekommen. Der Cäsertitel ersetzte vielleicht diese Heirat, da er doch symbolisch eine Verwandtschaft mit dem Kaiser bedeuten konnte. Denn dieser Titel wurde gewöhnlich den nahen Verwandten des Kaisers wie Söhnen, Brüdern usw. verliehen [16].

 

Wo Tervel zum Cäsar erhoben wurde, wird nicht mitgeteilt. Man darf mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen, dass das in der sog. Basilika mit dem goldenen Dachboden (Βασιλικὴ Χρυσόροφος) [17] stattfand. In diesem Saal sassen Tervel und der Chazare Ibuzir Gliaban, der Schwager des Kaisers Justinian, nach einem Bericht oft [18].

 

 

13. R. Guilland, La cérémonie de la προσκύνησις, in: Recherches 144-150 ( = Autour du Livre des Cérémonis de Constantin VII Porphyrogénète, in: Revue des Études Grecques 59/60, 1946/47, 251-259); W. Ensslin, Der Kaiser in der Spätantike, in: Hist. Zs. 177 (1954) 455 f.

14. Theophan. 374, 29-375, 1

15. R. Guilland, Le César 37

16. ebenda 26-30, besonders 27

17. s. darüber A.M. Schneider, Byzanz, Berlin 1936, 22 f.; R. Janin, Constantinople 73, 105

18. Scriptores originum Constantinopolitarum ed. Th. Preger I, Leipzig 1901, 40, 6-8: ... ἐν τῇ Βασιλικῇ... τῇ χρυσορόφῳ... Τερβέλι τοῦ Βουλγαρίας ἐκεῖσε πολλάκις καθίσαντος καὶ Γλιαβάνου Χαζάρι· πάκτα οὖν ὀλίγα ἐκεῖσε ἐδόθησαν. hierzu I. Dujčev, Imperator Justinian II Rinotmit dannik na han Tervel, in: Proučvanija 5-8; V. Beševliev, K voprosu o nagrade, polučenoj Tervelem ot Justiniana II v 705 g, in: VV XVI (1959) 8-13, vgl. auch Beševliev, PI 57-58; Artamonov, Hazar 196-197

 

194

 

 

Hier sagte Tervel viele schöne Worte und bekam grosse Tribute [19]. Somit wurde der Friedensvertrag vom Jahre 681 wiederhergestellt bzw. bestätigt und Justinian II. fuhr fort den Bulgaren Tribut zu zahlen [20]. Unter den Geschenken befand sich auch das sog. εξαμον [21].

 

Suda [22] hat einen ausführlichen Bericht über die Belohnung Tervels hinterlassen. Der Bulgarenherrscher stellte die Rosspeitsche und den Kriegsschild mit dem Buckel auf den Boden und legte soviel Geld darüber, bis es sie bedeckte. Dann schlug er seinen Speer in die Erde ein und häufte seidene Gewänder in der Höhe und der Breite auf. Zum Schluss verteilte er an die Soldaten mit der rechten Hand Gold und mit der linken Silber aus Kästchen, die er immer von neuem anfüllte.

 

Wie lange Tervel sich in der byzantinischen Hauptstadt aufhielt, ist unbekannt. Vermutlich blieb er solange, bis Justinian seine Herrschaft festigte. Tervel kehrte in sein Land mit grossen sowohl politischen als auch materiellen Erfolgen zurück. Der bulgarische Staat wurde erneut anerkannt, sein Herrscher erwarb den Titel Cäsar und bekam grosse Geschenke. Die Tributzahlungen wurden wiederaufgenommen. Dieses aussergewöhnliche Ereignis wurde in Bulgarien in dem Reiterrelief von Madara und seinen älteren Inschriften verewigt [23].

 

 

19. Μ. Treu, Excerpta Anonymi Byzantini, Progr. Ohlau, 1880,13, 28: ἐκεῖ ὁ Τέρβελις ἐδημηγόρησεν.

20. Suidae Lexicon ed. Adler I. s.v.: ὁ αὐτός Ἰουστινιανὸς καὶ Κωνσταντῖνος ὁ Ἡρακλίου υἱὸς ὑπόφοροι τούτῳ ἦσαν

21. Α. Banduri, Imperium orientale, Paris 1711, vgl. Balasčev, Tervel 55

22. Suidae Lexicon ed. Adler I, s.v.

23. Beševliev, PI Nr. 1 Dies Ereignis ist auch von Mas’ûdî Kîtâb at-tanbîh, Kairo 1938, 140, (trad. Carra de Vaux 225) verzeichnet: “Ustinyânus al-Akhram qui règna neuf ans pendant le califat d’Abdalmalik, puis fut déposé, eut le nez coupé, s’enfuit chez les Khazares, s’épousa la fille du roi, et avec l’appui de T.r.f.lâ ( = Tervel), roi des Burdjân, réussit à recouvrer son trône dans la première année du règne de Walîd fils d’ ‘Abdalmalik (angeführt bei Μ. Canard, Les aventures d’un prisonnier arabe, in: Dumbarton Oaks Papers 9/10, 1956, 65 Anm. 20).”

 

195

 

 

Nachdem Justinian die Herrschaft fest in den Händen hielt, zog er unvermutet (708) gegen Tervel aus [24]. Die byzantinischen Chronisten schweigen über die Beweggründe. Wir sind nur auf Vermutungen angewiesen. Der stolze und unbeständige Kaiser bereute wohl seine frühere Handlungsweise und entschloss sich seinen Leichtsinn zu korrigieren. Dieses Betragen rechtfertigte die Absage der Onkel Tervels von Thessalonike. Justinian befahl den Reitertruppen nach Thrakien zu kommen, rüstete die Flotte und zog gegen die Bulgaren. Er kam in Anchialos an, wo die Flotte vor der Festung Anker warf und die Reitertruppen unvorsichtig das Lager auf der Ebene vor der Stadt aufschlugen. Der byzantinische Kaiser hatte wohl die Absicht sich über das Hämusgebirge auf einem der beiden alten, römischen Wege nach Odessos einzuschleichen und die Bulgaren in der Flanke anzugreifen. Die südöstlichen Verzweigungen des Gebirges waren schon längst in den Händen der Severen, der treuen Verbündeten der Bulgaren (s. hier S. 181). Die Kundschafter der letzteren beobachteten von den Berghohen aus die Bewegung der feindlichen Truppen und als sie bemerkten, dass die Byzantiner sich sorglos auf den Feldern zur Beschaffung von Furage zerstreut hatten, überfielen die Bulgaren die Byzantiner unerwartet. Sie töteten viele, nahmen eine grosse Anzahl gefangen und erbeuteten eine grosse Menge Pferde und Waffen. Der Kaiser floh in die Festung von Anchialos. Im Verlauf von drei Tagen standen die Bulgaren vor den Festungsmauern. Inzwischen bestieg Justinian eines Nachts die Schiffe und segelte heimlich nach Konstantinopel, wo er in Schande ankam. Vor seiner Abreise schnitt er die Sehnen seines Rosses durch, befahl den anderen das gleiche zu tun, um sie wohl für die Bulgaren untauglich zu machen, und stellte eine Trophäe auf den Stadtmauern auf. Er wollte sich dadurch wahrscheinlich trotz allem als Sieger vorstellen.

 

Der Friede zwischen den beiden Staaten wurde wohl später wiederhergestellt, da kaum drei Jahre verflossen waren, als Justinian Tervel wieder um Hilfe bat.

 

 

24. Theophan. 376, 13-19, Nikeph. 43, 9-18, hierzu Balasčev, Tervel 56; Zlatarski, Istorija I 1, 174. Ostrogorski, Geschichte 120 Anm. 2 hält die Mitteilung des Theophanes (und Nikephoros) für nicht glaubwürdig.

 

196

 

 

Seine unstillbare Rachsucht führte (711) zu einem Aufstand in Cherson, den er grausam zu unterdrücken versuchte. Der Aufstand, den die Chazaren auch unterstützten, breitete sich aus. Die byzantinische Besatzung der Stadt Cherson unter dem Befehl des Philippikos Bardanes sowie die entsandte Flotte liefen zu den Aufständischen über. Inzwischen überredete Justinian den Bulgarenherrscher Tervel, ihm wiederum zu helfen. Letzterer sandte ihm 3000 Mann zu Hilfe. Mit diesen und den byzantinischen Truppen setzte Justinian auf die asiatische Küste über und schlug sein Lager in der Ebene von Damatrys auf. Es war aber zu spät. Philippikos, der unterdessen zum Kaiser ausgerufen worden war, traf mit einer Flottenabteilung (711) in Konstantinopel ein und schickte den Spatharios Elias gegen Justinian. Dieser versprach den Truppen Justinians unter Eid Straflosigkeit und den Bulgaren freien Abzug. Justinian wurde von allen verlassen und getötet [25].

 

Der neue Kaiser Philippikos verletzte bald darauf die mit den (Unogundur-) Bulgaren geschlossenen Vereinbarungen [26]: er hat wohl verweigert ihnen den bisherigen Tribut zu zahlen. Das veranlasste die Bulgaren einen Kriegszug zu unternehmen. Ein schwerbewaffnetes Heer drang (712) unbemerkt über die wenig frequentierte Küstenstrasse von Mesembria nach Phileas bis zum thrakischen Bosporos vor. Dort in den Vororten Konstantinopels töteten sie einen grossen Teil der Bevölkerung und von denen, die zum Vergnügen aus der Hauptstadt gekommen waren. Sie entführten mehrere von ihnen und erbeuteten eine grosse Anzahl silberner und anderer Gefässe. Von dort zogen sie zu den Stadtmauern Konstantinopels und gelangten bis zum sog. Goldenen Tor.

 

 

25. Nikeph. 44,14-47, 22, Hierzu Balasčev, Tervel 56-57; Zlatarski, Istorija I 1, 175; Ostrogorski, Geschichte 121

26. Agathon (Mansi, XII, 193 B): ...παραβάσεως τῶν συγκειμένων πάκτων γεγονυῖαν ἔφοδον τοῦ γειτνιάζοντος ἔθνους τῶν Οὐννογούρων (lies Οὐννογουνδοῦρων) Βουλγάρων μετὰ πλείστης αἰχμαλωσίας τε καὶ σφαγῆς τῶν ἐν τῇ Θρᾴκῃ καταμενόντων Χριστιανῶν. Hierzu Gy. Moravcsik, Studia 96-97

 

197

 

 

Darauf zogen sie unbehelligt durch Thrakien zurück, wo sie viele Siedlungen verwüsteten und eine grosse Menge Vieh raubten [27]. Zur Verteidigung Thrakiens wurde der Patrizier Georgios Bouraphos, der Befehlshaber der Truppen des Thema Opsikion, gerufen [28], der jedoch, wie es scheint nichts erreichen konnte. So wurden die friedlichen Beziehungen zwischen Bulgarien und Byzanz abgebrochen. Dieser Zustand dauerte bis 715.

 

Bei den Protobulgaren existierte das Doppelkönigtum, das keine Seltenheit bei den Türkvölkern war [29]. Ob es bereits bei Asparuch vorhanden war oder erst bei seinem Nachfolger eingeführt bzw. wiederhergestellt wurde, ist ungewiss. Diese Institution lässt sich zuerst bei Tervel feststellen. Neben diesem erscheint als zweiter Khan Kormesios, der nach der Fürstenliste dem Geschlecht Vokil (s. hier S. 483 und 495-496) entstammte. Sein bulgarischer Titel lautete wahrscheinlich Kapkhan wie bei den Chazaren [30]. Tervel und Kormesios erscheinen daher bei Theophanes als gleichzeitige Herrscher [31].

 

Im Jahre 715 wurde Anastasios II abgesetzt und Theodosios III. (715-717) bestieg den Kaiserthron. Er sorgte allererst für die Wiederherstellung des Friedens mit den Bulgaren. Der Friedensvertrag wurde wahrscheinlich 716 von dem zweiten Khan Kormesios geschlossen, als Germanos (715-730) Patriarch von Konstantinopel war [32].

 

 

27. Theophan. 382, 22-28, Nikeph. 48, 15-24

28. Nikeph. 49, 5-9

29. s. darüber ausführlich hier S. 338-341

30. ebenda

31. Die modernen Forscher haben das Doppelkönigtum bei den Protobulgaren nicht erkannt und sind, durch die Nachrichten des Theophanes verwirrt, zu falschen Schlüssen gekommen, s. Balasčev, Tervel 58; Zlatarski, Istorija 11, 177, 196, 262, Bury, Later Empire 338 Anm. 5, dagegen V. Beševliev, PI 117-120 Die richtige Sachlage wurde zuerst von H-W. Haussig (Liste 22) erkannt: “Chan Kormesios muss also mit Tervel zusammen regiert haben, muss sein Mitchan gewesen sein”.

32. Theophan. 497, 18-20:... τὰς ἑπὶ Θεοδοσίου τοῦ Ἀδραμυτινοῦ στοιχθείσας καὶ Γερμανοῦ τοῦ πατριάρχου σπονδὰς πρὸς Κορμέσιον, τὸν κατ’ ἐκεῖνο καιροῦ κύριον Βουλγαρίας. Hierzu Balasčev, Tervel 58; Zlatarski, Istorija I 1, 177-196 und 269, Beševliev, PI 61-62;

 

198

 

 

Er enthielt folgende Bedingungen: 1. Die bulgarisch-byzantinische Grenze sollte beim sog. Mileonen in Thrakien (ἀπὸ Μηλεώνων τῆς Θρᾴκης) [33], irgendwo in der Nähe der heutigen bulgarischtürkischen Grenze beginnen, d. h. den Bulgaren wurde das heutige Südost-Bulgarien oder das ehemalige Gebiet Zagoria abgetreten. 2. Der byzantinische Staat sollte den Bulgaren jährlich eine Abgabe an Kleidern und rohen Häuten im Werte von 30 Pfund Gold entrichten.

 

Durch die erste Klausel des Vertrages wurde der Besitz des Gebietes Zagoria sanktioniert, das die Bulgaren entweder nach der Niederlage Justinians (708) besetzt oder für ihre Hilfeleistung (711) von demselben Kaiser bekommen hatten [34]. Auch der Kriegszug 712 sieht seinen bulgarischen Besitz voraus. Denn die Bulgaren hätten die Küstenstrasse Mesembria-Phileas sonst nicht unbemerkt und ohne Widerstand einschlagen können.

 

Im Jahre 717 trat in Byzanz wieder ein Thronwechsel ein. Leon III. (717-741) riss die Herrschaft an sich. Seit mehreren Jahren unternahmen die Araber wieder Einfälle in das Byzantinische Reich und bereiteten einen Angriff auf Konstantinopel vor. Bald nach der Thronbesteigung Leons III. erschienen sie mit Heer und Flotte vor der Hauptstadt [35].

 

 

33. s. darüber Beševliev, PI 61-62.

34. In der erweiterten Fassung der Chronik des Georgios Hamortolos (ed. Muralt, Petersburg 1859, 622, vgl. auch Georgios Kedren. I 780,15-17) wird mittgeteilt, dass Tervel das Gebiet Zagoria auch als Geschenk von Justinian II. bekommen habe. Die Glaubwürdigkeit lässt sich schwerlich aufrechterhalten; denn von der Abtretung des Gebietes Zagoria weiss keine andere Quelle, s. darüber ausführlich Beševliev, PI 59-60

35. Theophan. 397, 28-30, Synaxarium 896, 55-57; 902, 26-28, hierzu Balasčev, Tervel 59 f.; Zlatarski, Istorija I 1, 184 f.; Runciman, Empire 33, Darüber ausführlich unter Hinzuziehung der orientalischen Quellen: E.W.Brooks, The Campaign of 716-718 from Arabic Sources, in: Journal of Hellenic Studies 18, (1898) 194-196, 19 (1899) 20 ff.; M. Canard, Les éxpéditions des Arabes contre Constantinople dans l’histoire et dans la legende, in: Journal Asiatique 208, janvier-mars 1926, 80-94; R. Guilland, L’éxpédition de Maslama contre Constantinople (717-718), in: Études Byzantines, Paris 1959, 109-133

 

199

 

 

Der arabische Heerführer Maslama setzte im Sommer 717 bei Abydos über den Hellespont nach Thrakien über und schlug sein Lager vor der Hauptstadt auf. Die arabische Flotte wurde durch das sog. griechische Feuer fast vollständig vernichtet, während der lange und strenge Winter (717/718) nicht nur viele Menschen, sondern auch Pferde, Kamele und andere Tiere zugrunde richtete. Im Frühling des nächsten Jahres (718) entstand eine grosse Hungersnot und die Araber waren gezwungen, Leichen, das Leder ihrer Schuhe und anderes Ungeniessbares zu essen, was eine verheerende Seuche im arabischen Lager verursachte. Inzwischen sandte Kaiser Leon III. den Patrizier Sissinios Rhendakios zu den Bulgaren, um Hilfe gegen die Araber zu erbitten [36]. Die Bulgaren willigten gerne ein, was beweist, dass der 716 geschlossene Friedensvertrag noch in Kraft war, und schickten ein Heer zu Hilfe wahrscheinlich unter dem Befehl des zweiten wohl jüngeren Khan (bzw. Kapkhan) Kormesios [37].

 

Die Berichte der Quellen über die Operationen des bulgarischen Heeres sind nicht einstimmig. Nach Theophanes, Tabari und anderen [38] griffen die Bulgaren die Araber an und töteten 22,000 Mann, nach der syrischen Chronik von 846 überfiel ein arabischer Feldher mit Namen Ubayda die Bulgaren in ihrem Lande und wurde von ihnen besiegt [39]. Michael der Syrer berichtet, dass die Bulgaren auf Anstiftung des Kaisers Leon III. den arabischen Heerführer Maslama überfallen haben, als er nach Konstantinopel zog.

 

 

36. Nikeph. 55, 21-24. H. Ahrweiler (La mer 29) hält ihn ohne grund für identisch mit dem Admiral Sissinios in den Miracula S. Demetrii, s. hier S. 167

37. Vgl. die militärische Funktionen des Kapkhan in den protobulgarischen Inschriften Nr. 13, 14 und 47

38. s. Canard, Les éxpéditions 90-91

 

39. ebenda 91. Das gleiche berichtet auch das sog. Chronicon universale von 741 (= G. Waitz, Chronicon universale 741, MGH 5SS, XIII) 19, 11-15:

 

“Sarraceni cum inmenso exercito Constantinopolim venientes, triennio civitatem obsident, donec, civibus multa instancia ad Deum clamantibus, plurimi eorum fame, frigore, pestilepcia perirent ac sic pertesi obsidionis abscederent. Qui inde egressi Vulgarorum gentem, qui est super Danubium, bello agrediuntur. Et ab hac quoque victi refugiunt ac naves repetunt suas, quibus cum altum peterent, ingruente subite tempestate, plurimi, eciam mersis sive confractis per litora navibus, sunt necati.

 

200

 

 

Später musste Maslama sein Lager, das sich vor dem Goldenen Tor befand und von einem Graben umgeben war, gegen die Angriffe der Bulgaren verteidigen [40]. Wie dem auch sei, die Bulgaren mischten sich aktiv in den Kampf gegen die Araber ein und trugen sehr viel zu ihrer Niederlage bei. Diese Hilfe der Bulgaren ist wohl in der unteren Madara-Inschrift erwähnt [41], die von Kormesios stammt. Das wäre eine Bestätigung seiner Teilnahme an dem Krieg gegen die Araber. Der Umstand, dass die Araber nach der syrischen Chronik von 846 die Bulgaren in ihrem eigenen Land angegriffen haben sowie die Teilnahme der letzteren an den Kriegsoperationen in Thrakien, zeigt, dass die bulgarische Grenze nicht sehr weit von dem Kriegsschauplatz lag und bestätigen die diesbezüglichen Angaben in dem bulgarischbyzantinischen Friedensvertrag von 716. Der arabische Heerführer Maslama bekam Befehl die Belagerung aufzuheben und abzuziehen.

 

Kaum war die arabische Gefahr abgewendet, als eine neue für den Kaiser Leon III. auf tauchte. Der nach Thessalonike verbannte ehemalige Kaiser Anastasios IL, dessen bürgerlicher Name Artemios lautete, entschloss sich mit bulgarischer Hilfe den Thron zurückzugewinnen [42]. Er schrieb dem Patrizier Sissinios Rhendakios, der sich noch in Bulgarien aufhielt wegen der Verhandlungen mit den Bulgaren über ihre Teilnahme am Krieg mit den Arabern, er möchte den Bulgarenherrscher Tervel überreden, ihm zu helfen. Sissinios erfüllte seinen Wunsch mit Erfolg. Wahrscheinlich hat er Tervel hinters Licht geführt, indem er ihn davon überzeugte, dass Leon III. etwas Böses gegen die Bulgaren im Sinne habe. Denn es ist sonst unbegreiflich, dass die Bulgaren, die kurz vorher dem Kaiser so bereitwillig gegen die Araber zu Hilfe kamen, ihm auf einmal ohne triftige Gründe den Rücken zukehrten und einwilligten seinen Gegner Artemios zu unterstützen.

 

 

40. ebenda

41. Beševliev, PI Nr. 1 II 8 und S. 117-118

42. Theophan. 400, 18-29, Nikeph. 55, 19-56, 22. Die von H. Ahrweiler (La mer 28-40) geausserte Vermutung, wonach dieses Ereignis mit dem von Kuber identisch sei, ist abzulehnen.

 

201

 

 

Sie gaben dem Artemios, der inzwischen in Bulgarien erschien, Truppen und fünfzig Kentenarien Gold. Der ehemalige Kaiser schickte auch Briefe an verschiedene angesehene Persönlichkeiten und Feldherren in Konstantinopel, mit der Bitte zu ihm überzutreten, ihn als Kaiser anzuerkennen und die Tore der Hauptstadt zu öffnen. Die Briefe wurden jedoch abgefangen. Ein Teil seiner Anhänger in Konstantinopel wurde mit dem Tode bestraft und der andere verbannt. Unterdessen zog Artemios mit den bulgarischen Truppen, wohl wieder unter Kormesios’ Befehl, und dem Patrizier Sissinios bis nach Herakleia. Seine Anhänger in Thessalonike führten von dort Einbäume mit sich, die sie wohl von dortigen Bulgaren und Slawen bekommen hatten. Kaiser Leon schrieb den Bulgaren, sie sollten den Frieden halten und ihm die Rebellen übergeben. Aus dem Kaiserbrief erfuhren die Bulgaren offenbar die Wahrheit, nämlich dass Sissinios sie irregeführt hatte. Es blieb ihnen nichts anderen übrig, als sich zu rechtfertigen, um Entschuldigung zu bitten und zu versprechen, den Frieden in Zukunft zu halten. Sie schickten dem Kaiser Artemios in Fesseln, den Bischof von Thessalonike, der auch dabei war, und viele andere. Die Bestrafung des Sissinios haben sie aber selbst übernommen. Sie haben ihn enthauptet und schickten seinen Kopf nach Konstantinopel. Nach Theophanes wurden die Bulgaren vom Kaiser als Freunde behandelt. Darauf kehrten sie in ihr Land zurück [43].

 

In den Quellen wird Tervel zum letzten Mal im Zusammenhang mit dem eben erzählten Ereignis erwähnt. Er starb wohl um diese Zeit oder bald darauf. Sein Todesjahr war nach Jireček [44] 720, nach Balasčev [45] 724, nach Zlatarski [46] 718

 

 

43. Theophan. 400, 23-24: οἱ Βούλγαροι τοῦτον τῷ Λέοντι παρέδωκαν καὶ φιλοφρονηθέντες ὑπ’ αὐτοῦ ὑπέστρεψαν

44. Bulgaren 96

45. Tervel 61

46. Istorija I 1, 191

 

202

 

 

und nach Pritsak [47] 719. Tervel, der zweite Herrscher des neugegründeten Bulgaren-Staates auf der Balkanhalbinsel, erwies sich als geschickter Fortsetzer des Werkes seines Vaters. Er bewahrte das eroberte Gebiet unversehrt und erweiterte es noch südlich vom Balkan, indem er geschickt die byzantinischen Thronwirren auszunützen verstand. Er festigte den Staat nicht nur militärisch, sondern auch politisch und erhob ihn zu einem politisch wichtigen Faktor auf der Halbinsel, an dem selbst Byzanz nicht ungeachtet vorübergehen konnte.

 

 

47. Fürstenliste 50-51, 76

 

203

 

 

 

8. Die letzten Khane aus dem Geschlecht Dulo und Kormesios

 

Quellen: Theophanes, Nikephoros, Sigebertus (MHG VIII 330), Albericus (MHG XXIII 708), Beševliev, PI Nr. 1, II

Allgemeine Literatur: Jireček, Bulgaren 97-98 (Ergänzungen 61-62); Zlatarski, Istorija I 1, 193-225; Runciman, Empire 34-40

 

 

Für den direkten, aus dem Fürstengeschlecht Dulo stammenden, legitimen Nachfolger des ersten Khans Tervel sind wir auf die Fürstenliste angewiesen. Sie ist leider an der betreffenden Stelle stark beschädigt [1]. Von der Zeile, die die Angaben über den Nachfolger enthielt, ist nur das Regierungsantrittsjahr tvirem erhalten. Sein Name, die Zahl der Regierungsjahre und die Geschlechtszugehörigkeit sind wohl durch das Zerreissen des Blattes oder die Verwischung der Tinte in der Vorlage verlorengegangen. Die folgende Zeile, die von seinem Nachfolger berichtet, ist ebenfalls nicht unbeschädigt überliefert. Auch hier fehlt der Name des betreffenden Fürsten. Geblieben sind nur die übrigen Angaben über ihn, aus denen sich ersehen lässt, dass dieser anonyme Fürst 28 Jahre regierte, dem Geschlecht Dulo entstammte und die Regierung im Jahre dvan šehtem antrat. Sein Nachfolger war Sevar, der 17 Jahre regierte, ebenfalls zu dem Geschlecht Dulo gehörte und sein Regierungsantrittsjahr war toh altom (vol. hier S. 483). Der folgende Fürst ist in der Liste der bereits bekannte zweite Khan Kormesios. Die Angaben über ihn lauten folgendermassen: “Kormišos (regierte) 17 Jahre, sein Geschlecht (war) Vokil und sein (Regierungsantritts)jahr šegor tvirem. Dieser Fürst veränderte das Geschlecht der Dulo (-Fürsten) d.h. Vihtun”. Die Bedeutung von Vihtun ist strittig (vgl. hier S. 492). Nach J. J. Mikkola [2] ist Vihtun ein “turkobulgarischer” Ausdruck mit der Bedeutung “ein anderes Geschlecht”,

 

 

1. Beševliev, PI 321

2. Chronologie 9

 

204

 

 

nach J. Marquart [3] ein anderer Name des Geschlechts Dulo, nach H.-W. Haussig [4] ein Stammesname und nach O. Pritsak [5] ein Personenname [6]. Das letztere ist wohl das richtige. Vihtun lässt sich mit Personennamen wie Gostun, Sklavun, Šun udgl. vergleichen. Allerdings ist die Vermutung Pritsaks, dass Vihtun gleich Mao-tun sei, ein Fehlschlag [7]. Der Text der Fürstenliste dürfte also folgendermassen gedeutet werden: Kormesios löste das Geschlecht der Dulofürsten ab, d.h. er setzte den Fürst Vihtun aus demselben Geschlecht ab. Laut der Fürstenliste regierten also nach Tervel drei oder vier Fürsten aus dem alten Fürstengeschlecht Dulo, von denen die übrigen Quellen gar nichts berichten. Auch bei ihnen war Kormesios immer noch der zweite Khan, der sie jedoch mit seiner politischen Tätigkeit nach Aussen und Innen in den Schatten gestellt hat. Im Jahre 750 erklärte sich Kormesios zum ersten bzw. Alleinherrscher, wie dies aus der Fürstenliste zu entnehmen ist (s. hier S. 495-496).

 

Über die Taten des Kormesios unterrichtet, ausser den zufälligen, kurzen Erwähnungen bei Theophanes und den westlichen Chronisten, nur noch die untere grosse MadaraInschrift [8]. In dem stark fragmentierten Text der Inschrift ist eine Erwähnung des von Kormesios 716 geschlossenen Friedens allerdings nicht enthalten. Es wird jedoch am Anfang der Inschrift mehrmals von Gold gesprochen. Das sind wohl die im Friedensvertrag vorgesehenen Tributzahlungen in Gold. Der unversehrt erhaltene Satz: “Was ich dir jedes Jahr zu geben pflegte, werde ich fernerhin geben, weil du mir geholfen hast” [9], stellt wohl die neue Bestätigung einer alten Tributzahlungsvereinbarung dar,

 

 

3. Ausdrücke 7 Anm. 8

4. Fürstenliste 21

5. Fürstenliste 61 f. und 77

6. vgl. Marquart, Chronologie 74: “Sollte ...eine in den Text geratene Randglosse stecken, die bestimmt war, den im Texte ausgefallenen Namen des Nachfolgers des Tervels nachzutragen?”

7. Pritsak, Fürstenliste 64, dagegen Haussig, Liste 21

8. Beševliev, PI Nr. 1 II

9. ebenda Z. 9: ...σου ἡ τη ἐδίδ[ουν κατ’ ἔ]τος διδο· ἐβοήδισες μ[έ]

 

205

 

 

weil Kormesios dem Kaiser Leon im Kriege gegen die Araber Hilfe geleistet oder ihm den früheren Kaiser Anastasios II. — den Rebellen Artemios — ausgeliefert hatte (s. hier S. 202). Fast unmittelbar darauf folgen in der Inschrift ziemlich gut erhaltene Worte, aus denen sich entnehmen lässt, dass der Kaiser Boten zu Kormesios schickte, die ihn eingeladen haben. Das lässt sich mit den Worten des Theophanes verbinden, dass die Bulgaren von dem Kaiser nach der Auslieferung des Artemios freundschaftlich behandelt wurden (φιλοφρονηθέντες ὑπ’ αὐτοῦ κτλ.) [10]. Die Inschrift erzählte, wie es scheint, auch von den Geschenken, die Körmesios wohl unter den Soldaten ähnlich wie Tervel verteilt hat. Es wird schliesslich auch ein See, wahrscheinlich einer der drei Seen bei Burgas, erwähnt, der leider in dem heutigen Zustand der Inschrift von seinem Zusammenhang mit dem übrigen Text abgerissen ist. Sowohl aus dem bisherigen Text der Inschrift, als auch aus dem Fehlen jeglicher Nachrichten bei den byzantinischen Chronisten über die Bulgaren während der Regierung des Kaisers Leon III., darf man schliessen, dass ein Friede zwischen den beiden Staaten geherrscht hat, solange dieser Kaiser lebte (+ 741).

 

Konstantin V., der Sohn und Nachfolger des Kaisers Leon ΙΙI., musste zunächst seinen väterlichen Thron von dem Usurpator Artabasdos wiedererobern. Dann führte er im Osten erbitterte und langwierige Kämpfe mit den Arabern, die zu seinen Gunsten endeten. Im Verlauf von etwa 15 Jahren bestanden also die friedlichen Beziehungen zwischen den Bulgaren und Byzanz noch weiter fort. Im Jahre 755 oder 756 begann der neue byzantinische Kaiser jedoch die Städte in Thrakien, in denen er Syrer und Armenier ansiedelte, zu befestigen. Letztere stammten aus Militene und Theodosiupolis in Kleinsien, waren Paulikaner [11] und wurden vom Kaiser mit allem, was sie benötigten, grosszügig unterstützt [12].

 

 

10. Theophan. 400, 23-24

11. Über die Paulikaner M. Loos, Le mouvement paulicien de Byzance, in: Byz Sl 24 (1963) 258-286 und 25 (1964) 52-68

12. Theophan. 429, 19-21, Nikeph. Breviarium 66, 11-15 und Antirrh. (Migne P.G. 100) col. 509, hierzu Charanis, Demography 13 und The Armenians in the Byzantine Empire, Lisbon 1963, 22, über vornehme Armenier im byzantinischen Dienst.

 

206

 

 

Diese Ansiedlungen sollten, wie aus dem Bau der Festungen ersichtlich wird, nicht nur die Verteidigung Thrakiens gegen eventuelle bulgarische Angriffe und Expansionsversuche nach Süden verstärken, sondern auch das Gebiet auf mögliche Offensiven gegen die Bulgaren vorbereiten. Der Bau von Festungen in Thrakien wurde seinerzeit als eine der grössten Taten Konstantios V. angesehen [13]. Die Bulgaren erkannten die Bedeutung der Befestigung und die Ansiedlung der Syrer und Armenier richtig und betrachteten diese Aktion als eine Verletzung des Friedensvertrages [14]. Sie forderten vom Kaiser die Entrichtung einer Entschädigung für die errichteten Festungen [15]. Konstantin lehnte nicht nur die von den Bulgaren erhobenen Ansprüche ab, sondern verweigerte ihren Abgesandten auch die gebührende Ehre [16]. Darauf zogen die Bulgaren gegen Byzanz und gelangten bis zur sog. Langen Mauer, von der sie Angriffe gegen Konstantinopel unternahmen. Nach dem Chronisten Theophanes richteten sie dort grosse Verwüstungen an, machten Gefangene und kehrten unversehrt nach Bulgarien zurück [17]. Dem Chronisten Nikephoros zufolge aber trat der Kaiser den Bulgaren entgegen, verwickelte sie in eine Schlacht, schlug sie in die Flucht, verfolgte sie hartnäckig und tötete viele von ihnen [18].

 

 

13. Nikeph., Antirrh. (Migne, P.G. 100) 512

14. In dem Vertrag stand vielleicht eine ähnliche Klausel wie im Friedensvertrag von 628 zwischen Byzanz und Persien (Menander EL 181, 12-15): μηδαμῶς ἐπιτειχίζειν ἤγουν περιοχῇ τινι κατασφαλίζειν τι τῶν ἐν τοῖς ὁροθεσίας χωρίων, ἵνα μὴ πρόφασις ἔντεύθεν ἔσοιτο ταραχῆς καὶ ἐκ τούτου διαλυθήσονται αἱ σπονδαῖ.

15. Diese Entschädigung war jedoch im Friedensvertrag nicht vorgesehen, da das entsprechende Wort sowohl bei Theophanes (πάκτα) als auch bei Nikephoros (φόρους) ohne den bestimmten Artikel steht.

16. Theophan. 429, 25-27

17. Theophan. 429, 25-30, vgl. Nikeph. 66, 16-19

18. Nikeph. 66, 19-21. Von diesen beiden sich widersprechenden Mitteilungen der beiden byzantinischen Chronisten halten A. Lombard (Constantin V, 44) und V.N. Zlatarski (Istorija I 1, 202 Anm. 1) die des Nikephoros für wahr und vollständiger.

 

207

 

 

Nikephoros überliefert die offizielle Version, die auf den Kriegsberichten beruht, die vom Kaiser selbst verfasst und in die Hauptstadt geschickt wurden. In diesen militärischen Berichten stellte Konstantin selbstversändlich alle seine Kampfhandlungen als erfolgreich und als Siege dar [19]. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Der byzantinische Kaiser wandte sich tatsächlich gegen die Bulgaren, die sich sofort nach Bulgarien zurückzogen, wobei er wohl kleine unbedeutende Kämpfe mit den abrückenden Feinden führte, ohne ihnen jedoch eine Niederlage beizubringen. In der offiziellen Botschaft an die Hauptstadt stellte er sein Ausziehen gegen die Bulgaren jedoch als einen grossen Sieg dar. Damals wurde vielleicht die Festung Burdizon in Bulgarophygon umbenannt [20]. Dafür, dass Konstantin wohl kaum irgendeinen grossen Erfolg zu verzeichnen hatte, zeugt auch der Umstand, dass er später einen besonderen Straffeldzug unternahm. Auf diese Ereignisse beziehen sich wohl die erhaltenen Worte in der unteren Madara-Inschrift: “Sie brachen die Verträge” und “Krieg” [21].

 

Der Feldzug der Bulgaren zur Langen Mauer war eine grosse Provokation für den byzantinischen Kaiser, der vorher zahlreiche Siege über die Araber erfochten und diese Gefahr für Byzanz für immer beseitigt hatte. Er beschloss die Bulgaren grausam zu bestrafen und sie sogar, wenn ihm dies gelingen sollte, ein für allemal zu unterwerfen. Dies konnte nicht sofort geschehen, da die Araber wieder begannen, die byzantinischen Gebiete in Kleinasien zu überfallen, und (756) sogar Melite ne, Theodosiupolis und Mopsueste eroberten. Im Jahre 757 fielen sie in Kappadokien ein. Da trat ihnen der Kaiser entgegen.

 

 

19. Nikeph., Antirrh. (Migne, P.G. 100) 508: Ἃς δὲ ἐπιπλάττουσιν αὐτῷ νίκας, τοιαῦταί τινές εἰσιν, ἵνα μιᾶς τῶν κρατίστων ἐπιμνησθῶμεν... Εἰ δὲ τι μικρὸν καὶ οὐ πάνυ ἀξιόλογον ἔδρασε, καθά γε ἡμῖν ἐκ τῶν γεγραμμένων αὐτῷ πρὸς τοὺς ἐνηυλισμένους κατὰ τὴν βασιλεύουσαν, ἀναλεξαμένοις ἔγνωσται· ἐν οἷς πολλὰ κατακομπάσας ὁ τοῦ ψεύδους ὑπηρέτης καὶ σύντροφος. Hierzu V. Beševliev, Zwei Versionen 363-367

20. Der Ortsname Bulgarophygon ist bereits 787 belegt, s. K. Jireček, Heerstrasse 100; Gy. Moravcsik, Byz Turc II, 106

21. Beševliev, PI Nr. 1, II 15-16

 

208

 

 

Sie zogen sich zurück und Konstantin verfolgte sie bis zum Flusse Pyramos. So war die Lage in Kleinasien wieder gefestigt und Konstantin konnte seine Aufmerksamkeit der Balkanhalbinsel zuwenden. Im Jahre 759 unternahm er zuerst einen Feldzug gegen die Slawen in Makedonien, die er teils unterwarf, teils gefangennahm. Durch diesen Feldzug beabsichtigte der Kaiser offenbar, sich den Rücken gegen mögliche slawische Überfälle während der künftigen Kriegshandlungen gegen die Bulgaren zu sichern.

 

Nach den Siegen über die Araber in Kleinasien und dem Bezwingen der Slawen in Makedonien kam die Reihe an die Bulgaren. Im Jahre 760 unternahm Konstantin V. einengrossen Feldzug gegen sie zu Wasser und zu Land. Er entsandte über das Schwarze Meer Truppen, wohl Reiter, auf 500 Schiffen, die bis an die Donau kamen, das dortige bulgarische Gebiet brandschatzten und viele Gefangene machten. Sie sollten wohl auch die Aufmerksamkeit eines Teiles der bulgarischen Streitkräfte auf sich ziehen. Der Kaiser selbst zog auf dem Landwege mit einem anderen Heer aus und begab sich auf der kürzesten Strecke über Markellai und den Verigava-Pass zu ihrer Hauptstadt. Er schickte eine starke Abteilung voraus, die die Bulgaren überraschen und den Verigava-Pass einnehmen sollte, um den freien Durchmarsch der nachfolgenden Hauptstreitkräfte zu sichern. Die Byzantiner stiessen aber unerwartet auf die bulgarischen Hauptstreitkräfte und wurden geschlagen. In dem Gefecht sind viele byzantinische Krieger gefallen, darunter der Patrikios Leon, der Stratege des Thema Thrakesion, und ein anderer Leon, der Logothet des Dromos [22]. Die Bulgaren erbeuteten ihre Waffen und stürzten sich auf die Überlebenden, um sie zu verfolgen. Bei der Festung Markellai gerieten sie aber an die byzantinischen Hauptstreitkräfte. In der sich dort entfesselten Schlacht wurden die Bulgaren besiegt, verloren viele Krieger, ergriffen die Flucht und mussten um Frieden bitten [23].

 

 

22. Theophan. 431, 6-11

23. Nikeph. 66, 21-67, 3. Dieser Chronist teilt über die Niederlage im Verigava-Pass nichts mit. K. Jireček (Bulgaren 97) vertrat zunächst die Meinung, das der Feldzug, über den Nikephoros berichtet, 755 stattfand und die Niederlage im Verigava-Pass 759. V.N. Zlatarski (Istorija I 1, 202), der den Ausdruck μετ’ οὐ πολύ im Bericht des Nikephoros auf den Feldzug der Bulgaren zur Langen Mauer bezog, war der Ansicht, dass der Feldzug nicht später als 756 erfolgt sein musste. Später äusserte Jireček (AEM X, 1888,158 Anm. 22) die Vermutung, dass sich die Nachrichten von Nikephoros und Theophanes auf ein und denselben Feldzug beziehen. Dieselbe Ansicht vertrat auch Lombard (Constantin V, 44 Anm. 5). Offensichtlich meinen die beiden Chronisten ein und denselben Feldzug Konstantins, berichten jedoch von zwei verschiedenen Schlachten mit verschiedenem Ausgang. Nikephoros gibt der offiziellen Version den Vorzug, die auf den Kriegsbotschaften Konstantins an die Bewohner der Hauptstadt beruht, in denen die Niederlagen und andere Misserfolge natürlich nicht erwähnt sind und alles im günstigsten Lichte dargestellt wird. Theophanes dagegen zieht es vor, nach Möglichkeit nur das mitzuteilen, was das Prestige des verhassten Kaisers und Bilderstürmers, des Feindes der Mönche beflecken und schmälern könnte. Vgl. auch V. Beševliev, Die Feldzüge 5-17.

 

209

 

 

Die Niederlage bei Markellai hatte für die Bulgaren katastrophale Folgen. Sie wurden zum ersten Mal seit ihrer Niederlassung auf der Balkanhalbinsel besiegt. Der Friede wurde unter sehr schweren Bedingungen geschlossen. Die Bulgaren mussten nicht nur die Kinder mancher vornehmer Bulgaren als Geiseln nach Konstantinopel schicken, sondern auch auf die Gebiete verzichten, die sie laut des Friedens von 716 gewonnen hatten. Die Mitglieder des Fürstengeschlechtes Dulo, die nach Tervel nur nominal regiert hatten, verloren nicht nur ihre hohe Stellung, sondern mussten die Niederlage auch mit ihrem Leben bezahlen. Sie wurden scheinbar zu den Schuldigen für das Verlieren des Krieges erklärt. Man hat wohl die Behauptung aufgestellt, dass der höchste Gott Tangra ihnen bereits sein Wohlwollen entzogen habe und sie deshalb keine Herrscher mehr sein konnten [24]. Sie mussten nach dem Brauch bei den Türkvölkern alle getötet werden [25]. Kormesios nahm die Gelegenheit wahr, um das ganze alte Fürstengeschlecht [26] auszutilgen und seine eigene Dynastie zu gründen.

 

 

24. J.-P. Roux Tängri. 49-82 und 197-230, 27-54 und 173-212, hierzu V. Beševliev, Berichte 80 und hier S. 341-342

25. ebenda

26. Theophan. 432, 25-26 und Nikeph. 69, 3-7, hierzu V. Beševliev, Berichte 70-71

 

210

 

 

Ein Widerhall dieses Ereignisses hat sich in der Bemerkung der Fürstenliste erhalten, dass Kormesios das Geschlecht Dulo durch Vokil ablöste (s. hier S. 204-205 und 492). Es scheint, dass bald darauf (762) auch der greise Kormesios starb.

 

Noch zu seinen Lebzeit wohl vor 760 liess Kormesios die Zweitälteste Inschrift unter dem Madarareiter einmeisseln, um nicht nur seine Taten zu verewigen, sondern wohl auch um sich als legitimen Nachfolger auszugeben. Kormesios war ein tatkräftiger und ehrgeiziger Mann. Er hat nach Tervel durch seine Taten viel zur Festigung Bulgariens beigetragen. Doch war er in seinen alten Jahren nicht mehr imstande sich mit dem jungen Kaiser Konstanti V. zu messen. Der Chronist Theophanes bezeichnet ihn als ehemaligen oder hochbejahrten (Κορμεσίου τοῦ πάλαι κυρίου) [27] Herrscher. Nach Sigibert [28] regierte Kormesios um 727 und nach Alberik [29] war er um 750 der dritte bulgarische Herrscher. Wie man auch die Angaben über seine Regierungszeit werten mag, Kormesios spielte lange Zeit die massgebende Rolle im bulgarischen Staatswesen und war eine der bedeutendsten Figuren in der bulgarischen Geschichte.

 

 

27. Theophan. 433, 16

28. Pertz, MGH VIII, 330: “Cormesios Bulgaribus dominatur”

29. Pertz, MGH XXIII SS 708: “Super Bulgaros... jam erat tercius rex nomine Cormesions“

 

211

 

 

 

9. Am Rande des Abgrundes

 

Quellen: Theophanes, Nikephoros

Allgemeine Literatur: K. Jireček, Bulgaren 97-98 (Ergänzungen 61-62); V. N. Zlatarski, Istorija I 1, 193-225, Geschichte 17-22; Runciman, Empire 34-40; A. Lombard, Constantin V, empereur des Romains (740-775), Paris 1902, 41-59; N. P. Blagoev, Prevrati 51-61; P. Mutafčiev, Istorija I, 129-138; Ostrogorsky, Geschichte 137-146; V. Beševliev, Feldzüge 9-15, derselbe, Zwei Versionen 364-367, derselbe, Berichte in 67-82

 

 

Der Nachfolger des Kormesios war nach der Fürstenliste Vineh, der 7 Jahre regierte, wie Kormesios aus dem Geschlecht Ukil = Vokil stammte und sein Regierungsantrittsjahr šegor alem [1]. Vineh ist wohl aus +Sivineh enstanden [2] und mit Sabinos bei Theophanes und Nikephoros identisch [3].

 

 

1. s. hier S, 483 und Beševliev, PI Nr. 79 und S. 322-323

2. J. Marquart (Ausdrücke 8, Anm. 10) nahm an, dass der Name Vineh in der Liste ursprünglich Šewineh gelautet habe. J.J. Mikkola (Chronologie 9, Anm. 3 und 19 f.) war dagegen der Ansicht, dass Vineh aus +Sovineh entstanden ist. Wenn man jedoch den protobulgarischen Personennamen Σηβην = Sivin (V. Beševliev, Protobulgarische Inschrift auf einer Silberschale, Byz. 35, 1965, 1f) berücksichtigt, darf man annehmen, dass der Name ursprünglich Sivineh gelautet habe. Der Abschreiber der Fürstenliste hielt jedoch irrtümlich die erste Silbe des Namens für das altbulgarische Demonstrativpronomen si, sii “dieser”. Und da ein si Vineh d.h. “dieser Vineh” keinen Sinn hatte, liess er die Anfangssilbe si in der Abschrift aus (vgl. anch hier S. 493).

3. Theophan. 433, 16, 17, 19, 20, 436, 12, 13; Nikeph. Brev. 70, 3, 8, 10 usw. und Antirrh. 508 c. J. Marquart (Chronologie 74, Ausdrücke 6; J. B. Bury (The Chronological Cycle of the Bulgarians, BZ 19, 1910, 129) und J.J. Mikkola (Chronologie 9, Anm. 3) stellten Sabinos dem Vineh gleich, was V.N. Zlatarski (Istorija 205, Anm. 2 und 364 f.) und O. Pritsak (Fürstenliste 65) ablehnten, da Teletz in der Liste auf Vineh folgt. Die Identität von Vineh mit Sabinos wird auch durch den protobulgarischen chronologischen Ausdruck šegor alem bestätigt, der das Jahr seines Regierungsantritts bezeichnet. Derselbe Ausdruck erscheint in der Form σιγορ ελεμ in einer protobulgarischen Bauinschrift (Beševliev, PI Nr. 56, 24), wo er der 14. Indiktion, d.h. dem Jahr 821/22, gleichgestellt wird. Wenn man je zwölf Jahre des Tierzyklus rückwärts zählt, Würde das šegor alem der Liste, wie J. B. Bury (The Chronological Cycle 129) bereits gezeigt hat, mit dem Jahre 762 zusammenfallen. Und das ist laut Theophanes und Nikephoros das Jahr der Wahl des Sabinos zum Herrscher.

 

212

 

 

Sabinos war nach Theophanes [4] der Schwiegersohn des früheren Herrschers Kormesios, was auch das gleiche Geschlecht teilweise bestätigt. Den beiden Chronisten zufolge wählten die Bulgaren nach der Ausrottung des alten Fürstengeschlechtes den energischen und den Byzantinern feindlich gesinnten [5] Teletz zu ihrem Herrscher. Laut der Fürstenliste war er jedoch Herrscher nach Sabinos, regierte 3 Jahre, entstammte dem Geschlecht Ugain und trat die Regierung im Jahre somor altem an. Dabei wird ausdrücklich bemerkt, dass er aus einem anderen Geschlecht war [6]. Die beiden widersprüchlichen Nachrichten über den Nachfolger des Kormesios lassen sich jedoch leicht miteinander vereinbaren, wenn man bedenkt, dass Sabinos und Teletz keine gleichwertigen Herrscher waren, die nacheinander regierten, sondern zwei gleichzeitige, aber im Range verschiedene. Die byzantinischen Chronisten, die die Institution des Doppelkönigtums bei den Protobulgaren nicht kannten, haben die Ereignisse in Bulgarien falsch verstanden und dargestellt. In diesem Fall verdient die Fürstenliste mehr Vertrauen (s. hier S. 492-494). Vineh ( = Sabinos) war der Nachfolger des Kormesios und Teletz wurde zum zweiten Herrscher oder Kapkhan gewählt. Die Kriegsführung fiel dem letzteren zu. Er beschloss die Aufgabe zu übernehmen, die Niederlage bei Markellai zu rächen und dem schmählichen Frieden ein Ende zu bereiten. Nach Nikephoros überfiel Teletz mit schwerbewaffneten Truppen die in der Nähe der Grenze gelegenen byzantinischen Siedlungen und Festungen [7]. Dadurch war der Friede gebrochen. Diese Überfälle veranlassten (763) den byzantinischen Kaiser zum zweiten Mal einen Feldzug gegen die Bulgaren zu unternahmen.

 

 

4. Theophan. 433, 16

5. Theophan. 432, 25-27, Nikeph. 69, 3-7

6. s. hier S 504 und Beševliev, PI 306

7. Nikeph. 69, 7-9

 

213

 

 

Auch diesmal war der Kriegsplan Konstantins der gleiche : ein Zweifrontenkrieg. Jedoch mit dem Unterschied, dass er es vorzog, die Bulgaren mit seinen Landstreitkräften in der Flanke auf den beiden alten Wegen zu schlagen, die von Anchialos bzw. Mesembria nach Odessos über die östlichsten Ausläufer des Balkangebirges führten (s. hier S. 28). So vermied er den gefährlichen Frontalangriff über Markellai und den Verigava-Pass, der ihn 760 teuer zu stehen gekommen war. Er belud 800 Schiffe (Chelandien) [8] mit je 12 Pferden oder insgesamt 9,600 Reitern, d.h. 300 Schiffe mehr als beim ersten Feldzug, die er über das Schwarze Meer an die Donau schickte. Der Kaiser selbst traf am 16. Juni mit anderen Truppen bei Anchialos ein. Teletz, der rechtzeitig vom byzantinischen Feldzug Kunde erhalten hatte, trat ihm ausser mit einem Heer von Bulgaren, deren Zahl, obwohl in den Quellen nicht angegeben, sicher sehr hoch gewesen sein muss, auch mit 20,000 Verbündeten aus den benachbarten Slawenstämmen entgegen. Die letzteren wurden in den Festungen eingesetzt. Theophanes, der diese Einzelheit mitteilt, sagt weder um was für Festungen es sich handelte, noch wo sie sich befanden. Es ist jedoch nicht schwer zu erraten, dass sie sich in den Pässen befanden, durch welche die beiden alten römischen Strassen zogen. Teletz, der sich durch diese Massnahmen den Rücken gedeckt hatte, erschien am Donnerstag, dem 30. Juni, auf dem Feld von Anchialos. Es entspann sich ein erbitterter Kampf, der vom frühen Morgen bis in den späten Abend hinein dauerte. Beide Gegner hatten grosse Verluste zu verzeichnen. Endlich gewannen die Byzantiner die Oberhand und schlugen die Bulgaren in die Flucht. Es wurden mehrere vornehme Bulgaren gefangengenommen, manche übergaben sich freiwillig [9]. Nach einer anderen Nachricht des Patriarchen Nikephoros, in der er, wie der Chronist Theophanes, nicht der offiziellen Version folgt, wie er selbst zugibt, hätte Konstantin V. beinahe die Schlacht verloren und hinterliess viele Gefallene,

 

 

8. Über diese Schiffe s. Ahrweiler, La mer 408-418

9. Theophan. 433, 1-10, Nikeph. 69, 7-18

 

214

 

 

deren Gebeine noch lange auf dem Schlachtfeld zu sehen waren [10]. Unsere Quellen melden nichts über die Aktionen der an die Donau geschickten byzantinischen Reiterei [11].

 

Dieser Sieg, der seinerzeit als einer der glorreichsten Siege Konstantins betrachtet wurde [12] und mit triumphalen Feiern endete [13], brachte nicht die erwarteten Resultate. Kaiser Konstantin V., wenngleich Sieger, vermochte den Sieg nicht zur Fortsetzung des Feldzuges auszunutzen und in Bulgarien einzudringen. Die Ursachen hierfür waren einerseits die schweren Verluste der Byzantiner an Gefallenen und andererseits die Befestigungen der Pässe, in denen sich die verbündeten Slawen wahrscheinlich mit ungeschwächten Kräften festgesetzt hatten. Als die Bulgaren sahen, dass Teletz ihre Hoffnungen nicht rechtfertigte, d.h. dass er nicht das Wohlwollen des himmlischen Gottes Tangra genoss, töteten sie ihn nach ihrem Brauch [14]. Teletz hat zwar den Kampf nicht gewonnen, aber durch seinen hartnäckigen und tapferen Widerstand machte er das Eindringen des Kaisers in Bulgarien zu der Zeit unmöglich.

 

Um die Lage sowohl im Inneren als auch nach aussen hin stabilisieren zu können, hielt Sabinos, der erste Herrscher,

 

 

10. Nikeph. Antirrh. 508:

 

Ἐπειδὴ παρασκεύαστο τὸ πρὸς δυσμαῖς ἡμῖν ᾠκισμένον Σκυθικὸν ἔθνος ἀμύνεσθαι, συναθροίζει δὴ ἅπαν τὸ ὑπ’ αὐτῷ στράτευμα· εἰς χεῖράς τε τοῖς πολεμίοις ἰών, ὁποῖον αὐτῷ τὸ τοῦ πολέμου τέλος κατώρθωτο, μαρτυρεῖ τὰ φαινόμενα· μέχρι γὰρ καὶ σήμερον τὰ κατὰ τὴν Ἀγχίαλον καλουμένην πόλιν, κοῖλα καὶ πεδιάσμα χωρία, ἃ τῶν ἀνῃρημένων τὰ κῶλα ἐδέξατο ὑποδείκνυσιν· ἔργον γὰρ τῆς Σκυθικῆς μαχαίρας, ἅπαν σχεδὸν τὸ τῶν Ῥωμαίων ἐγένετο στράτευμα.,

 

vgl. V. Beševliev, Die Botschaften der byzantinischen Kaiser aus dem Schlachtfeld, Byzantina 6 (1974) 73-83

 

11. G. Ostrogorsky (Geschichte 140) nahm an, dass die bei der Donaumündung gelandete Reiterei nach Süden zog und sich mit den von Anchialos nach Norden vordringenden byzantinischen Truppen vereinigte. Diese Vermutung, die vom militärischen Standpunkt aus an und für sich unwahrscheinlich ist, findet in den Quellen keine Stütze und ist deshalb zurückzuweisen.

12. Nikeph. Antirrh. 508: ... νίκας ... ἵνα μιᾶς τῶν κρατίστων ἐπιμνησθῶμεν...

13. Theophan. 433, 10-14, Nikeph. 69, 18-24, Antirrh. 509

14. Theophan. 433, 14-15, Nikeph. 70, 1-2

 

215

 

 

den Abschluss eines Friedens mit Byzanz im Augenblick für das Dringlichste und schickte deshalb Abgesandte zum Kaiser, die um Frieden bitten sollten. Die vom Kaiser vorgeschlagenen Friedensbedingungen waren jedoch allem Anschein nach ausserordentlich schwer und bedeuteten die faktische Unterwerfung des Landes. Deshalb lehnten die Bulgaren, in der aus diesem Anlass einberufenen Versammlung, die Friedensbedingungen ab, auf deren Annahme Sabinos anscheinend bestanden hat. Sie erklärten ihm: “Durch dich wird Bulgarien den Byzantinern Sklavendienste tun”. Sabinos, der erkannte, dass ihn das Schicksal Teletz’ treffen werde, beeilte sich das Land zu verlassen, wobei er auf dem Thron als seinen Nachfolger Umar hinterliess, der dem gleichen Geschlecht Vokil angehörte [15]. Er war also ein Verwandter von ihm. Umar wird unter der slawisierten Form Umor auch in der Fürstenliste angeführt, die mit diesem Fürsten endet. Er regierte nach der Liste 40 Tage, was nicht stimmen kann (s. hier S. 494), und trat die Regierung im Jahre dilom tutom an [16]. Sabinos floh nach Mesembria und zum Kaiser über [17]. Zum zweiten Khan wurde nach Theophanes Paganos [18], nach Nikephoros aber Kampaganos [19] eingesetzt. Die neuen Herrscher hielten es immerhin für das Beste, Friedensverhandlungen mit dem Kaiser anzuknüpfen. Konstantin, der sowohl durch seine Geheimagenten, als auch durch den entflohenen Sabinos über die Lage und Stimmung in Bulgarien gut unterrichtet war,

 

 

15. Nikeph. 70, 26-27, s. hier S. 504 und Beševliev, PI 306

16. ebenda

17. Theophan. 433, 20-21, Nikeph., Breu, 70, 8, Antirrh. 508

18. Theophan. 433, 22

19. Nikeph. 71, 5. Nach dem Vorgang von J. Marquart (Chronologie 40 Anm. 1) wird die Form Kampaganos als eine Zusammensetzung von kan = Khan und Paganos gedeutet, Diese Form lässt aber andere, wahrscheinlichere Deutungen zu. Sie erinnert zunächst stark an den türkischen Titel qap(a)γan, capcanus bei den Awaren, (s. Moravcsik, Byz Turc. II156-157), zu dem auch das protobulgarische καυχανος (s. hier S. 338-341) gehört. Kampaganos könnte also eine entstellte Form dieses Titels sein, was gut zu seiner Stellung als zweiter Khan passen würde. In diesem Fall führt Nikephoros (und Theophanes) seinen Titel anstelle seines Personennamens an.

 

216

 

 

beschloss (763 oder 764) einen dritten Feldzug gegen die Bulgaren zu unternehmen, der anscheinend mehr den Charakter einer militärischen Demonstration trug, um sie für einen Frieden gefügiger zu machen. Dies zeigt sich aus dem Umstand, dass der Feldzug nur zu Lande erfolgte. Die Truppen wurden wahrscheinlich in Mesembria oder wieder in Anchialos debarkiert. Die Bulgaren befestigten wieder die Pässe in den östlichen Teilen des Balkangebirges [20]. Der Kaiser, der wohl kaum ernstlich daran dachte, in Bulgarien einzudringen, besonders nachdem er gesehen hatte, dass die Pässe stark befestigt waren, erklärte sich zu Friedensverhandlungen bereit. Kampaganos, der zweite bulgarische Khan, der seinem Amte gemäss das Heer befehligte, stand mit den Truppen auf den Gebirgshöhen. Er stieg von dort herab und ging zusammen mit seinen Boilen zum Kaiser, nachdem er Sicherheitsgarantien von ihm gefordert hatte. Die Zusammenkunft fand auf dem Schlachtfeld, Wahrscheinlich in Mesembria oder Anchialos statt. Der Kaiser empfing sie in Anwesenheit des entflohenen ersten Khans Sabinos. Er gab sich dabei den Anschein, als wäre er über die Lage in Bulgarien besorgt, tadelte sie wegen der Wirren im Lande und besonders wegen des gegen Sabinos geäusserten Hasses. Immerhin zeigte er sich versöhnlich und schloss mit den Bulgaren Frieden unter unbekannten Bedingungen [21]. Nach Theophanes war dieser Frieden nur ein scheinbarer [22].

 

Die Niederlage im Verigava-Pass und die Befestigung der östlichsten Pässe des Balkangebirges durch Teletz und später durch Kampaganos zeigten dem Kaiser Konstantin, dass der Versuch, von Süden her durch die Pässe in Bulgarien einzudringen, wohl kaum erfolgreich sein dürfte, wenn nicht bereits vorher besondere Massnahmen getroffen wurden. Zu diesem Zweck griff er zu einer List. Er hatte in manchen Ländern seine Anhänger oder Agenten, die zu seinen Gunsten Spionage trieben und seine Kriegshandlungen erleichterten.

 

 

20. Nikeph. 70, 13-14

21. Theophan. 436, 9-14, Nikeph. 11-18

22. Theophan. 436, 14

 

217

 

 

Manche von ihnen waren angesehene Persönlichkeiten. Mit Hilfe solcher Agenten gelang es ihm nach der Flucht des Sabinos, die Verstecke der Frauen und Verwandten seiner Anhänger nach Konstantinopel zu bringen. Dies geschah durch einige von ihm entsandte, leichtbewaffnete Männer [23]. Konstantin schickte wiederum, sich auf seine Agenten stützend, heimlich Leute nach Bulgarien, die den Sklavunos, Führer der Severen, verschleppten [24]. Diesem Slawenstamm war der Schutz des südöstlichsten Teils des bulgarischen Staates bereits seit seiner Gründung anvertraut (s. hier S. 181). Der Vorwand dafür war, er habe in Thrakien viel Böses angerichtet, womit der Kaiser vielleicht seine vertragswidrigen Handlungen vor den Bulgaren rechtfertigen wollte. In Wirklichkeit aber beabsichtigte Konstantin durch diese Entführung, die Verteidigung der östlichsten Pässe des Balkangebirges in Verwirrung zu bringen. Beachtenswert ist, dass die Bulgaren trotz dieser groben Verletzung des Friedensvertrages die Erklärungen des Kaisers annahmen und einen Abbruch dieses mühsam geschlossenen Friedens nicht für notwendig hielten. Der Severenführer Sklavunos ist vielleicht derselbe Slav, der nach der bulgarischen apokryphen Chronik aus dem 11. Jh. der erste bulgarische Zar gewesen ist (s. hier S. 186 und 499).

 

Die Entführung des Sklavunos zeigt deutlich, dass Konstantin V. nicht auf seine Absicht verzichtet hatte, Bulgarien endgültig zu unterwerfen. Er wartete nur eine günstige Gelegenheit ab, um einen neuen Feldzug gegen die Bulgaren zu unternehmen. Diese bot sich 765. Die Bulgaren missbilligten die probyzantinische Politik, bzw. die Demut der herrschenden Khane vor dem byzantinischen Kaiser.

 

 

23. Nikeph. 70, 9-10

24. Theophan. 436, 14-21. Es wurde um dieselbe Zeit auch Christianos, ein dem Christentum Abtrünniger und Führer der sog. Skamarer ergriffen. Ob er zusammen mit dem Häuptling der Severen auf Raub ausging oder sein Ergreifen zufällig zeitlich mit der Entführung des Sklavunos zusammenfällt, ist ungewiss. Über die Skamarer s. S. Szádeczky-Kardoss, Scamarae in: RE Suppl. XI, 1239-1242 und A. Kollautz, Franken 241-242 Anm. 30

 

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Umar, der Nachfolger des Sabinos, wurde von ihnen gestürzt und vielleicht wie üblich auch getötet. Um dem Tode zu entgehen beeilte sich der zweite Khan Kampaganos nach Varna zu fliehen und auf der Seite des Kaisers überzulaufen. Auf dem Wege nach Varna wurde er jedoch von seinen Knechten ermordet [25]. Die Bulgaren setzten Toktos zu ihrem Herrscher ein. Er war der Bruder eines gewissen Baianos, der anscheinend eine wohlbekannte Persönlichkeit in Byzanz war, da Nikephoros seinen Lesern den Toktos als seinen Bruder vorstellt. Er ist vielleicht identisch mit dem Patrikios und Stratege Baianos, der in einem Bleisiegel erscheint (Zacos-Veglery Nr. 594). Toktos war der erste Khan und Baianos der zweite. Die beiden Brüder beschlossen, wie früher Teletz, die Ehre und Unabhängigkeit der Bulgaren wiederherzustellen, was Nikephoros, der als einziger über sie berichtet [26], mit der Bezeichnung ανδρα Βούλγαρον für Toktos zum Ausdruck bringt. Der byzantinische Kaiser, der wie es scheint rechtzeitigt von seinen Agenten in Bulgarien über die eingetretenen Veränderungen unterrichtet worden war, nahm dies zum Anlass und unternahm, in der Hoffnung diesmal die Ostpässe ungeschützt vorzufinden, seinen vierten Feldzug gegen die Bulgaren. Er wiederholte seinen Kriegsplan von 763, wie aus den vorhergehenden Ereignissen geschlossen werden kann. In den Wäldern an der Donau [27] fanden nach Nikephoros erbitterte Kämpfe statt, in denen Toktos sein Bruder Baianos und viele andere Bulgaren umkamen [28]. Diese Kämpfe wurden zwischen den über das Schwarze Meer gekommenen byzantinischen Truppen und den Bulgaren geführt oder zwischen zwei bulgarischen Parteien, wie aus Nikephoros Berichten geschlossen werden könnte [29]. Die Byzantiner landeten eventuell irgendwo in der Nähe von Durostorum (j. Silistra), von wo aus sie leicht zur Hauptstadt Bulgariens gelangen oder sich mit den nach Varna vorrückenden Truppen Konstantins vereinigen konnten.

 

 

25. Nikeph. 71, 4-6

26. ebenda 70. 25-71, 4

27. Nach V. N. Zlatarski (Istorija I 1, 220)

28. Nikeph. 71, 2-4

29. ebenda 71, 1 2

 

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Diese beiden gefährlichen Möglichkeiten erklären, warum Toktos und Baianos sich mit ihren Truppen den Wäldern an der Donau zuwandten. Der Kaiser beabsichtigte wohl, von Mesembria oder Anchialos aus die Bulgaren über die Ostpässe in der Flanke anzugreifen. Theophanes, der den gleichen Feldzug kurz erwähnt, teilt ausdrücklich mit, dass der Kaiser durch die Pässe nach Bulgarien eingedrungen sei, die infolge des Scheinfriedens und des plötzlich unternommenen Feldzuges unbewacht gewesen seien [30]. Diese Erklärung ist nur teilweise richtig, denn es ist wenig wahrscheinlich, dass die Bulgaren die Grenzpässe ohne jeglichen Schutz, ja sogar ohne Grenzwache gelassen haben. Man kann eher vermuten, dass der Kaiser durch den überraschenden und schnellen Angriff von Mesembria oder Anchialos aus, von denen die Pässe nicht weit entfernt liegen, und durch die Abwesenheit des Sklavunos die Möglichkeit erhielt, rasch die Wache an den Pässen zu überwinden und nach Norden weiterzuziehen. Der Kampf war wahrscheinlich ziemlich erbittert und kostete die Byzantiner erhebliche Verluste. Theophanes wollte dem verhassten Kaiser jedoch keinerlei Erfolg zugestehen. Laut seinen Angaben gelangte der Kaiser in seinem Feldzug bis an den Unterlauf des Flusses Titča [31], kehrte jedoch aus Angst um, ohne irgendeine Tapferkeit vollbracht zu haben. Vielleicht hat er tatsächlich gefürchtet, dass er in den Pässen in einen Flinterhalt geraten könnte. Er brannte nur einige Dörfer bzw. Bauernhöfe auf seinem Wege nieder. Nach Nikephoros wurden damals ziemlich viele Ortschaften in Bulgarien vollkommen verwüstet [32]. Der Feldzug des Konstantin war nicht so leicht, wie es aus den Schilderungen der beiden Chronisten erscheinen mag. Der Widerstand der Bulgaren und die Verluste der Byzantiner waren wahrscheinlich so gross, dass der Kaiser sich gezwungen sah, sich aus Bulgarien zurückzuziehen, obwohl er bereits in das Land eingedrungen war und viele Ortschaften niedergebrannt hatte.

 

 

30. Theophan. 436, 21-24

31. Bei Theophanes 436, 23 steht in der Ausgabe von de Boor ἕως Τζίκας in den ältesten Handschriften jedoch ἕως Τούνζας, was ohne Zweifel zu Τούτζας zu korrigieren ist, s. darüber Beševliev, PI 267

32. Nikeph. 71, 6-8

 

220

 

 

Auch diesmal war das Endziel des Feldzuges, die Unterwerfung Bulgariens, nicht erreicht worden.

 

Im darauffolgenden Jahr 766 bereitete sich Konstantin V. wieder auf einen Feldzug gegen die Bulgaren vor, der endlich mit der Eroberung ihres Landes enden sollte. Bulgarien war durch den vorhergehenden Feldzug sehr geschwächt und es bedurfte nur noch geringer Anstrengungen, um es zu unterwerfen. Am 21. Juni entsandte der Kaiser 2,600 Schiffe mit Seeleuten und Soldaten aus allen Themen nach Mesembria und Anchialos. Der Anzahl der Schiffe nach zu urteilen war dieser Feldzug der grösste von allen. Ein Teil der Schiffe sollte wahrscheinlich Kurs nach Norden zur Donau nehmen. Konstantin selbst lagerte beim Verigava-Pass. Sein Plan war, dass ein Teil der byzantinischen Truppen durch die Ostpässe, ein anderer durch den Verigava-Pass und ein dritter eventuell über die Donau nach Bulgarien Vordringen sollte. Die Absicht Konstantins, persönlich den Verigava-Pass zu forcieren, zeigt einerseits, dass die Bulgaren durch den vorherigen Feldzug soviel gelitten hatten, dass ein Vordringen durch den genanten Pass kein gefährliches Unternehmen dargestellt hätte und andererseits, dass der Kaiser den Wunsch hegte, persönlich die Hauptstadt Bulgariens zu erobern und in sie einzuziehen. Als die Bulgaren die grossen Ausmasse des Feldzuges sahen und ihre schlimme Lage, erkannten, wandten sie sich an Konstantin mit der Bitte um den Abschluss eines Friedens. Es kam jedoch nicht zu Friedensverhandlungen. Zum Glück für die Bulgaren trieb ein heftiger Nordwind die Schiffe an die Ufer, wo sie zerschellten, und viele der Krieger, die sich auf den Schiffen befanden, ertranken im Meer [33]. Weder Theophanes noch Nikephoros teilen mit, wo die Katastrophe genau geschehen ist. Die Tatsache, dass die Bulgaren nach Nikephoros erschraken, als sic so zahlreiche Schiffe und Reitereien sahen, zeigt, dass sich dir Schiffe bereits in den Häfen von Mesembria und Anchialos befunden hatten.

 

 

33. Theophan 437, 19-25, Nikeph. 73, 10-29

 

221

 

 

Die Bemerkung derselben Quelle, dass der Ort, an dem die Katastrophe geschah, keinen Hafen gehabt habe und ausserordentlich schwierig für die Schiffahrt gewesen sei [34], kann sich nicht auf die Schwarzmeerküste zwischen Mesembria und Sozopol, sondern auf die zwischen Mesembria und Varna beziehen. Daraus ist zu schliessen, dass der Sturm eigentlich nur einen Teil der Schiffe beschädigte und zwar diejenigen, die sich nach Norden gerichtet hatten, um in die Donau zu fahren. Die Seekatastrophe durchkreuzte die Pläne Konstantins. Er kehrte am 17. Juli, wie es bei Theophanes heisst [35], ruhmlos in die Hauptstadt zurück, nachdem er vorher befohlen hatte, Netze im Meer auszuwefen, um die Leichen der ertrunkenen Krieger herauszufischen und sie zu begraben.

 

Im Verlaufe von 8 Jahren stellte Konstantin V. seine Feldzüge gegen die Bulgaren ein. Das zerrüttete Bulgarien stellte für Byzanz keine ernsthafte Gefahr mehr dar, und er verschob seine endgültige Eroberung auf später. Konstantin richtete nun seine Aufmerksamkeit auf die Kämpfe gegen die Bildverehrer und das Mönchtum, die 766 und in den folgenden Jahren einen besonders scharfen Charakter annahmen [36].

 

 

34. Nikeph. 73, 21-22

35. Theophan. 437, 19-25

36. Ostrogorsky, Geschichte 144-146

 

222

 

 

 

10. Die Wiederaufrichtung. Teleryg und Kardam

 

Quelle: Theophanes

Allgemeine Literatur: K. Jireček, Bulgaren 98; V. N. Zlatarski, Istorija I 1, 226-246, derselbe Geschichte 22-25; Runciman, Empire 41-50; Mutafčiev, Geschichte I 138-144; Ostrogorsky, Geschichte 146-152; Beševliev, Feldzüge 15-17

 

 

Um 774 [1] erscheint in Bulgarien Teleryg als Herrscher. Ob er Vorgänger hatte, oder von den Bulgaren sofort nach den Ereignissen im Jahre 766 zum Khan erhoben worden war und ob es neben ihm noch einen zweiten Khan gegeben hat ist unbekannt. Unter der klugen Regierung dieses Khans vermochte das durch die ständigen Feldzüge des Kaisers Konstantin V. sehr geschwächte Bulgarien sich wieder aufzuraffen und zu festigen. Im Jahre 774 richtete der Kaiser erneut seinen Blick auf die Bulgaren. Im Mai desselben Jahres entsandte er 2,000 Schiffe gegen Bulgarien. Nachdem sie in Mesembria oder Anchialos eingetroffen waren, wurden die Keitertruppen mit den Heerführern an Land gesetzt. Der Kaiser selbst wandte sich mit den sog. roten Chelandien [2] der Donau zu. Sein Plan war wieder der Zweifrontenkrieg. Konstantin wollte diesmal persönlich die Operationen über die Donau leiten. Die Reitertruppen sollten sich vor den Pässen aufstellen, wahrscheinlich wieder an den östlichsten, und sie zu bezwingen versuchen, während die Bulgaren in Kämpfe mit dem Kaiser verwickelt werden sollten, um sie in der Flanke zu schlagen. Als jedoch Konstantin bis Varna gekommen war, wurde er unschlüssig und gab seine Absichten auf. Die Ursachen dafür sind unbekannt. Vielleicht hat der Kaiser erkannt, dass er ein grosses Risiko einging, da er bei einem Misserfolg an der Donau leicht in die Hände der Bulgaren fallen konnte.

 

 

1. Nach Zlatarski (Istorija I 1, 228) bereits im Jahre 768

2. Darüber Ahrweiler, La mer 157

 

223

 

 

Vielleicht hatte er auch in Varna von seinen Spionen erfahren, dass sich Bulgarien in diesen acht Friedensjahren erholt hatte, und er wohl kaum auf einen leichten Sieg hoffen konnte. Auf alle Fälle beschloss Konstantin umzukehren, da er nach Theophanes, dem Vertreter der inoffiziellen und böswilligen Version, von Furcht ergriffen worden war. Derselben Quelle zufolge erschraken auch die Bulgaren und wollten endlich Frieden schliessen. Wahrscheinlich zogen sie den Frieden den Zerstörungen des Krieges vor, unter denen sie immer noch zu leiden hatten. Sie machten dem Kaiser das Friedensangebot durch einen Gesandten, dessen Titel boilas tzigatos lautete [3]. Das Angebot war auch dem Kaiser willkommen, da er auf diese Weise sein Prestige wahren konnte und der Anschein erweckt wurde, dass der Abbruch des Feldzuges nicht durch seine Schuld, sondern wegen des Wunsches der Bulgaren nach Frieden erfolgt war. Es wurde ein schriftlicher, durch gegenseitige Eide bestätigter Friedensvertrag abgeschlossen, laut welchem weder die Bulgaren künftige Feldzüge gegen Byzanz, noch der Kaiser solche gegen Bulgarien unternehmen würden. Der Vertragsabschluss fand wohl in Anchialos ober Mesembria statt, da der Kaiser laut Theophanes danach in die Hauptstadt zurückkehrte. Zuvor aber hinterliess er in den vom ihm gebauten Festungen Garnisonen aus allen Themen [4]. So endete dieser Feldzug Konstantins gegen Bulgarien.

 

Im Oktober 774 erhielt Konstantin von seinen heimlichen Freunden in Bulgarien, d.h. von seinen Agenten, die Nachricht, dass der Khan 12,000 Mann starke Truppen mit Boilen entsenden wollte, die Berzitia [5] besetzen und seine Bevölkerung nach Bulgarien umsiedeln sollten.

 

 

3. Darüber Beševliev PI 42 mit Lit. Theophanes, bei dem 447, 3; βοϊλᾶν καὶ Τζιγάτον steht, hat irrtümlich den zweiten Teil des Titels für einen Personennamen gehalten.

4. Theophan. 446, 27 - 447, 9

5. Zlatarski, Istorija I 1, 230 Anm. 1 mit der älteren Literatur; L. Niederle, Manuel I 106-107, 110; M. Vasmer, Die Slaven 85; G. Vernadsky, Ancient Russia, New Haven 1944, 295

 

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Dieser Plan zeigt, dass sich die Lage im Lande bedeutend gebessert und stabilisiert hatte. Teleryg bemühte sich, die durch die zerstörenden Feldzüge Konstantins stark dezimierte Bevölkerung Bulgariens durch die Umsiedlung der Einwohner von Berzitia zu vergrössern. In diesem Fall folgte der bulgarische Herrscher dem Beispiel des byzantinischen Kaisers Konstantin V., der nach der grossen Pestepidemie im Jahre 747 viele Griechen aus anderen Teilen des Reiches in Konstantinopel ansiedelte, um seine Bevöklerungszahl zu vergrössern, im Jahre 755 Syrer und Armenier in Thrakien usw. [6]

 

Das Vorhaben die Einwohner von Berzitia nach Bulgarien umzusiedeln konnte nicht verborgen bleiben. Das veranlasste Konstantin zu einem neuen Feldzug gegen die Bulgaren. Er sammelte ein 80,000 [7] Mann starkes Heer aus den Themen Thrakesion und Optimaton. Die Vorbereitungen wurden heimlich getroffen, da sich zu jener Zeit in Konstantinopel aus unbekannten Gründen Gesandte des bulgarischen Herrschers befanden, was jedoch zeigt, dass sich die Beziehungen zwischen den beiden Staaten bedeutend gebessert hatten. Der Kaiser gab sich den Anschein, er rüste sich für einen Feldzug gegen die Araber. Der Feldzug, der nur eine militärische Demonstration sein sollte, um die Bulgaren von ihrem Vorhaben abzubringen, wurde nur zu Lande unternommen. Konstantin rückte mit seinen Truppen aus und gelangte rasch bis zum Ort Lithosoria, h. den Steinhaufen, womit wahrscheinlich die Grenze mit den Grenzzeichen aus aufgehäuften Steinen bezeichnet wird. Er griff überraschend die wenigen Grenztruppen, die sich dort befanden an, schlug sie in die Flucht, machte grosse Beute und nahm viele Gefangene. Darauf kehrte er in die Hauptstadt zurück, ohne den Feldzug fortzusetzen, den er edel nannte, da sich ihm niemand widersetzt und es kein Gemetzel und Vergiessen von Christenblut gegeben hatte [8].

 

 

6. Lombard, Constantin V, 92 f.; W. Ohnsorge, Auswirkung 86 f., besonders 87 Anm. 8 mit der einschlägigen Literatur.

7. Nach der Ansicht Lombards (Constantin V, 55 Anm. 1) ist die Zahl übertrieben.

8. Theophan. 447, 10-26

 

225

 

 

Ob die militärische Demonstration bis Lithosoria, den Feldzug der Bulgaren nach Berzitia zu vereiteln vermochte, ist zwar unbekannt, jedoch sehr wahrscheinlich. Diese Absicht des bulgarischen Herrschers zeigte dem Kaiser, dass sich die Bulgaren bereits erholt hatten, aggressiv und für Byzanz wieder gefährlich geworden waren. Deshalb beschloss er, zu seinen ursprünglichen Absichten zurückzukehren und Bulgarien zu unterwerfen. Im Jahre 775 brach er endgültig den vor kurzem geschlossenen Frieden, rüstete wieder eine grosse Flotte, die er mit 12,000 Reitern und sämtlichen Kommandanten der Seestreitkräfte belud und nach Mesembria schickte. Er selbst machte sich zu Lande mit einer anderen Reiterabteilung auf, denn er fürchtete, sich wie Theophanes mitteilt, wahrscheinlich vor den Überraschungen des Meeres. Und tatsächlich, als die Flotte bei Mesembria ankam, begann ein heftiger Nordwind zu wehen, der beinahe sämtliche Schiffe zerstörte, wobei viele Krieger umkamen. Da kehrte Konstantin in die Hauptstadt zurück, ohne etwas erreicht zu haben [9].

 

Inzwischen beschloss der Khan Teleryg, der erfahren hatte, dass einige Leute aus seiner nächsten Umgebung seine Pläne an den Kaiser verrieten, wie zum Beispiel dem Feldzug nach Berzitia, sich ihrer durch eine List zu entledigen. Er schrieb dem Kaiser, er beabsichtige aus Bulgarien zu fliehen und zu ihm zu kommen. Dazu forderte er Sicherheitsgarantien von ihm und die Namen seiner Freunde, damit er sich ihnen anvertrauen könne und sie ihm bei der Flucht behilflich sein. Konstantin schenkte dem Brief Glauben und gab die Namen seiner Vertrauensleute preis, die Teleryg dann alle bis auf den letzten Mann tötete. Als der Kaiser erfuhr, dass er irregeführt worden war, soll er sich laut Theophanes viele von seinen ergrauten Haaren ausgerauft haben [10]. Diese Episode zeigt, dass Teleryg tatsächlich Feinde hatte, vielleicht in der Person des zweiten Khans, wenn es noch einen solchen gab, die ihn später zur Flucht nach Konstantinopel zwangen.

 

 

9. ebenda 447, 29-448, 4            10. ebenda 448, 4-10

 

226

 

 

Andernfalls hätte Konstantin, der gut darüber unterrichtet war, was in Bulgarien vor sich ging, dem Brief des bulgarischen Herrschers wohl kaum so leichtsinnig Vertrauen geschenkt.

 

Einige Monate später, im August desselben Jahres, unternahm Konstantin V. seinen letzten Feldzug gegen die Bulgaren, einerseits um seinen Misserfolg bei Mesembria wieder gutzumachen, und andererseits wohl um sich für den trügerischen Brief zu rächen. Diesmal zog er es vor, den Feldzug aus Sicherheitsgründen auf dem Landwege zu unternehmen. Er erkrankte jedoch an einem Karbunkel und musste nach Arkadiopolis (j. Ljule Burgas) zurückkehren. Von dort wurde er auf einer Bahre nach Silivria gebracht, auf ein Schiff verladen und gelangte mit Mühe zur Festung Strongylon, wo er starb [11].

 

Endlich waren die Bulgaren von einem ihrer grössten Feinde im Mittelalter befreit, dessen gefährliche Feldzüge zwar erfolglos endeten, Bulgarien jedoch an den Rand des Abgrundes geführt hatten. Die Feldzüge Konstantins V. haben auch ihre positive Seite. Sie haben nicht nur sehr viel zum Zusammenschluss zwischen Bulgaren und Slawen beigetragen, sondern auch bewiesen, dass sich die Bulgaren schon fest auf der Balkanhalbinsel sesshaft gemacht hatten und das ihr Staat, der auf diese Weise seine Daseinsberechtigung erwiesen hatte, imstande war, sich im Verlauf von 20 Jahren erfolgreich allen auch den schwersten vom mächtigsten Staat in Südeuropa unter der Führung eines seiner fähigsten Kaiser, Konstantin V. Kopronymos gegen ihn geführten Angriffen zu widersetzen und ihnen standzuhalten, trotz innerer Unruhen. Ein grosser Anteil an dieser Ausdauer kommt wohl den bulgarischen Hoheitsgebieten jenseits der Donau zu, die nicht nur von den byzantinischen Zerstörungsfeldzügen verschont blieben, sondern auch alles Notwendige wie Nahrungsmittel, Kleidung, Waffen und vielleicht auch Krieger lieferten. Die grosse Kampflberetschaft und Tapferkeit der Bulgaren, die manche Schlachten wie die am Verigava-Pass gewonnen hatten, hätten andere wie die bei Anchialos beinahe in schwere Niederlagen für die Byzantiner verwandelt.

 

 

11. ebenda 448, 10-19

 

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Nach dem Patriarchen Nikephoros waren die militärischen Erfolge Konstantins V. nur auf die inneren Unruhen in Bulgarien zurückzuführen [12]. Die blutigen Feldzüge in diesen zwanzig Jahren stellen eine ruhmvolle Seite und eine unerkannte und unbesungene Epopöe der Heldentaten, Selbstaufopferung, des Patriotismus und der unbeugsamen Freiheitsliebe der Bulgaren in ihrer Frühgeschichte dar.

 

Teleryg wurde (777), aus unbekannten Gründen, gezwungen aus Bulgarien zu fliehen und bei Kaisere Leon IV. (775-780), dem Sohn Konstantins V. Zuflucht zu suchen. Er wurde von ihm sehr freundlich aufgenommen, zum Patricius [13] erhoben getauft und erhielt eine Nichte der Kaiserin zur Frau. Ausserdem genoss er seine hohe Achtung und Freundschaft [14].

 

Teleryg war, wie aus den wenigen Nachrichten bei Theophanes zu entnehmen ist, ein tüchtiger Herrscher, der mit Umsicht die, durch die Feldzüge Konstantins V. angerichteten, ungeheuren Schäden zu beheben suchte. Seine erste Sorge war daher mit dem Kaiser einen Frieden zu schliessen, dann durch Zuzug der Einwohner von Berzitia, die von den langen Kriegen stark dezimierte Bevölkerung Bulgariens zu vermehren und das Land von geheimen Feinden, den Agenten des Kaisers Konstantin V., zu säubern. Was er noch zur Stärkung Bulgariens getan hat und warum er fliehen musste, ist unbekannt.

 

Theophanes, die einzige Quelle für den Zeitraum von 772 bis 789, berichtet wahrend dieser Zeit nichts über die Bulgaren.

 

 

12. Nikeph., Antirrh 508

13. Der Titel “Patricius” war der höchste, der fremden Fürsten in der Zeit Telerygs verliehen wurde, s. W. Ohnsorge, Der Patricius-Titel Karls des Grossen, in: BZ 53 (1960) 300-321; R. Guilland, Contribution à la prosopographie de l’empire byzantin - Les Patrices, in: Byz. 40 (1970) 2, 317-360, über Teleryg 325. Es ist bemerkenswert, dass Sabinos, soweit bekannt ist, nicht mit diesem Titel geehrt wurde. S. jetzt den Bleisiegel des Teleryg bei Zacos-Veglery Nr 3188: Χριστέ, βοήθει τῷ σῷ δούλῳ Τελέρυγ θεοφύλακτῳ πατρικίῳ.

14. Theophan., 451, 5-9

 

228

 

 

Es herrschte wohl Friede zwischen den beiden Staaten oder die Bulgaren waren mit dringlicheren Angelegenheiten beschäftigt, als einen Krieg mit Byzanz zu führen. Leon IV., der Nachfolger Konstantins, konnte während seiner kurzen Regierung kaum an einen Krieg mit den Bulgaren denken. Nach einer orientalischen Quelle [15] wurde unter diesem Kaiser eine grosse Anzahl (150,000) Menschen aus Kilikien und Syrien in Thrakien angesiedelt. Das hat aber, wie es scheint, die friedlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern nicht getrübt. Unter Kaiserin Irene und ihrem minderjährigen Sohn Konstantin VI. blieben die guten Verhältnisse auch erhalten. Im Jahre 783 schickte Kaiserin Irene ihren Günstling, den Eunuchen Staurakios, mit einer starken Heeresmacht gegen die Slawenstämme um Thessalonike und in Griechenland. Sie wurden unterworfen und zur Tributzahlung gezwungen. Staurakios durchzog siegreich den Peloponnes, nahm viele Gefangene und machte grosse Beute, Der Sieger durfte im Hippodrom einen Triumph feiern [16]. Diess Ereignis wirkte sich auch nicht ungünstig auf die Beziehungen zwischen den beiden Ländern aus, wie folgende Nachricht des Theophanes deutlich zeigt. Im Mai 784 unternahm Kaiserin Irene mit ihrem Sohn und vielen Truppen eine Reise durch Thrakien. Sie führte auch Musik mit sich. Die Kaiserin besuchte zunächst Beroia (j. Stara Zagora). Sie befahl in dieser Stadt neue Bauten zu errichten und die Stadt nach ihrem Namen in Irenupolis umzubenennen. Von dort begab sie sich nach Philippopel in grosser Sicherheit, wie Theophanes ausdrücklich bemerkt. Sie besuchte Anchialos, wo auch manche Bauten errichtet wurden. Von dort kehrte sie in die Hauptstadt zuruck, in Frieden, wie Theophanes wieder betont [17]. Diese Reise hätte die Kaiserin kaum unternonnem, wenn kein Friede zwischen Bulgarien und Byzanz geherscht liälte. Denn die Kaiserin hätte sich sonst nicht so sicher in dem Grenzgebiet bewegen können. Die besuchten Städte zeigen, dass die bulgarisch-byzantinische Grenze damals nördlich von den genannten Städten, d.h. nahe am Balkangebirge verlief.

 

 

15. Charanis, Demography 14 und Transfer 144

16. Theophan., 456, 25-457, 6

17. ebenda 456, 6-11

 

229

 

 

Die Bulgaren werden von Theophanes im Jahre 789 wieder zum ersten Mal erwähnt. Er berichtet nämlich, dass sie Philetas, den Strategen Thrakiens, der in dem Strymon-Gebiet [18] angekommen war und sein Lager ohne Bewachung aufgeschlagen hatte, unerwartet überfielen und ihn mit vielen anderen erschlugen [19]. Der Chronist teilt weder den Ort mit, wo der Überfall stattfand, noch ob das einen Abbruch des Friedens bedeutete. Das Gebiet des Strymon erstreckte sich von der heutigen Stadt Kjustendil ( = Pautalia) bis zur Mündung des Struma-Flusses. Nach Konstantin dem Porphyrogennetos [20] wurde mit Thema Strymon die Gebirgsgegend am Struma-Fluss entlang bezeichnet, die mit Slawen besiedelt war. Die Absicht Telerygs, Berzitia zu erobern und ihre Bevöklerung nach Bulgarien zu übersiedeln, der eben erwähnte Überfall der Bulgaren in dem Strymongebiet und ein zweiter in demselben Gebiet unter Krum (s. hier S. 238), konnten nur dann durchgeführt werden, wenn die Bulgaren das Gebiet westlich von dem Struma-Fluss entweder in ihren Händen hatten oder sich dort frei bewegen konnten. Die Bulgaren waren also anscheinend bereits in der zweiten Hälfte des 8. Jhs, dort eingedrungen. Diesem Überfall wurde in Konstantinopel entweder keine besondere Bedeutung beigemessen oder man wollte seinetwegen nicht den Friedensvertrag auflösen und Vergeltungsmassnahmen unternehmen.

 

Im Oktober 790 wurde Konstantin VI. zum Alleinherrscher ausgerufen und seine Mutter, Kaiserin Irene, die bis dahin mit ihm zusammen regiert hatte und sich zu widersetzen versuchte, aus dem Kaiserpalast verjagt. Sie verlor jedoch nicht die Hoffnung, ihre Herrschaft wiederzugewinnen. Wohl im Zusammenhang mit diesen Ereignissen erwähnt Theophanes zum ersten Mal den Bulgarenherrscher Kardam. Ob dieser bereits früher oder erst um diese Zeit zum Khan gewählt wurde, ob er Nachfolger von Teleryg war und ob einen zweiten Khan neben sich hatte, bleibt unbekannt.

 

 

18. M. Rajkovič, Oblast Strimona i tema Strimon, in: ZRVI 5 (1958) 1-7 mit Lit.

19. Theophan. 463, 28-464,2. Hierzu P. Lemerle, Macedoine 125

20. De them., ed. Pertussi 3,1-5, S. 88-89

 

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Wenn man aber berücksichtigt, dass Konstantin VI. ihn im Jahre 796 alt nennt, dürfte man das Jahr seines Regierungsantritts vor 790 ansetzen. Im April 791 oder etwas früher zog Kardam ohne einen ersichtlichen Grund gegen Byzanz aus und kam bis in die Nähe von Adrianopel. Der Herrscher der Bulgaren unternahm den Feldzug entweder aus eigenem Antrieb oder auf Anstiften der gestürzten Kaiserin Irene bzw. ihrer Anhänger, um ihr bei dem Wiedererlangen des Thrones Beistand zu leisten. Der Feldzug kam unerwartet und stiess bis Adrianopel auf keinen Widerstand. Bei dem Kastell Probaton [21] an dem Fluss H. Georgios trat der junge Kaiser Konstantin VI. den Bulgaren entgegen. In dem sich dort gegen Abend entspannenden kleinen Kampf bekamen die Byzantiner nach Theophanes einen Schreck, ergriffen in der Nacht die Flucht und kehrten ruhmlos in die Hauptstadt zurück. Nach demselben Chronisten waren die Bulgaren auch erschrocken und zogen in ihr Land ab [22]. Der unbegründete Schreck der die beiden Gegner überfiel, lässt sich wohl dadurch erklären, dass der Kaiser eine Nachricht aus Konstantinopel erhielt, wonach Unruhen in der Stadt ausgebrochen seien, bzw. Kaiserin Irene sich der Herrschaft bemächtigt habe. Desgleichen hat Kardam wohl auch erfahren und hielt dadurch den Zweck des Feldzuges für erreicht oder sein Heer für nicht ausreichend, um tief nach Thrakien vorzudringen.

 

Anfang Juli 792 unternahm Konstantin VI. einen Feldzug gegen die Bulgaren, wohl um sie für ihre Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Byzanz zu bestrafen oder sich für seinen Misserfolg zu rächen. Er kam bis zur Grenzfestung Markellai, die er ausbessern Hess. Der Kaiser zog diesmal mit einem grossen Heer aus, da Kardam, wie Theophanes berichtet, den Byzantinern am 20. Juli mit seiner ganzen Kriegsmacht entgegentrat und die Festungen besetzte [23].

 

 

21. Darüber Beševliev PI 161 mit Lit.

22. Theophan., 467, 6-12

23. ebenda 467, 26 ff.

 

231

 

 

Der Chronist teilt nicht mit, wo sie lagen und um was für Festungen sich handelte. Wahrscheinlich ging es um die Festungen, Gräben und Wälle, die sich in dem Pass Verigava befanden. Der junge Kaiser, dem Pankratios, der Astronom und Wahrsager, Sieg prophezeit hatte, begann den Kampf, unüberlegt und ohne Ordnung, erlitt jedoch eine vernichtende Niederlage. Es kamen nicht nur viele einfache Krieger, sondern auch manche hohe Würdenträgerum. Unter ihnen befanden sich der Magistros Michael Lachanodrakon, der Patrikios Bardas, der Protostrator Stephanos Chameys, die ehemaligen Strategen Niketas und Theognostos, viele Kaiserleute (βασιλικοὶ ἄνθρωποι) und der falsche Prophet und Astronom Pankratios selbst. In die Hände der Bulgaren fielen der Tross, Geld, Pferde und das Kaiserzelt mit der Bedienung. Der Kaiser kehrte “als Flüchtling” in die Hauptstadt zurück [24]. Nach diesem glänzenden Sieg schloss Kardam wohl einen Friedensvertrag. Im Jahre 796 forderte der Bulgarenkhan Kardam die Zahlung eines Tributs von dem Kaiser. Er drohte, er werde widrigensfalls bis zum Goldenen Tor kommen und ganz Thrakien verheeren. Der Umstand, dass das Wort πάκτα bei Theophanes ohne den bestimmten Artikel steht, berechtigt zur Annahme, dass die von dem Bulgarenherrscher erhobene Forderung nicht auf Grund eines Vertrages geltend gemacht wurde. Konstantin VI. wies nicht nur die Forderung zurück, sondern fügte dem Khan eine schwere Beleidigung zu.

 

 

24. ebenda 467, 27-468, 7 Der von Sabbas Monachos im 9. Jh. verfassten Redaktion der Vita Ioannicii (AASS Nov. II 1, Bruxelles 1894, 337 C338 A, II 6) zufolge, wurde einer der damaligen Grossmächtigen (ἕνα τότε τῶν μεγιστάνων) mit einem Lasso von den Bulgaren in der Schlacht bei Markellai gefangen und wäre fast in bulgarische Gefangenschaft geraten, wenn nicht der Heilige Ioannikios, der auch am Kriege teilgenommen hat, das Seil mit seinem Schwert durchtrennt hätte (vgl. Symeon Metaphrastes in Migne PG 116, 41 A-C). Nach der von Petros Monachos wieder im 9. Jh. verfassten Version derselben Vita, war dieser Grossmächtige Kaiser Konstatin VI. selbst (AA SS Nov. II 1, 386 C - 387 B, 1 5): ὡς καὶ αὐτὸν ἤδη τὸν βασιλέα ὑπὸ τινος μηχανήματος σωκισθέντα ὑπὸ χείρας ἁλόντα ἕλκεσθαι καὶ κραθείσαι ὑπὸ τῶν ασεβών ἐκείνων. Die erste Version datiert den Krieg in 792, er werde offensichtlich irrtümlich mit dem in Jahre 796 verwechselt.

 

232

 

 

Er schickte ihm Pferdemist in einem Tuche mit den Worten:

 

“Ich sandte dir einen Tribut, der sich für dich ziemt. Du bist alt und ich will nicht, dass du dich bis hierher bemühst. Ich komme bis Markellai und du, trete mir entgegen. Und was der Gott entscheidet”.

 

Der Kaiser zog mit den Truppen der kleinasiatischen Themen aus und kam mit ihnen bis Versinikia (s. hier S. 252). Kardam überschritt die bulgarisch-byzantinische Grenze, erreichte das bewaldete Abrolebas (s. hier S. 3) und bezog in dem Wald Stellung. Der Kaiser ermutigte seine Armee und drang bis an das sog. kahle Abrolebas (s. hier S. 3) vor. Nach Theophanes forderte Konstantin Kardam 17 Tage lang zum Kampf auf. Der letztere wies jedoch nicht nur die Aufforderung ab, sondern kehrte, wieder nach Theophanes [25], auch als Flüchtling in sein Land zurück. Die Gründe, die die Bulgaren zum Abzug bewogen haben, sind unbekannt. Die Behauptung des byzantinischen Chronisten, dass Kardam die Flucht ergriffen habe, kann keinesfalls der Wahrheit entsprechen. Denn, wenn sie wahr wäre, dann hätte Konstantin, der mit der festen Zuversicht, dass er siegen würde, den Feldzug gegen die Bulgaren unternommen hatte wie V.N. Zlatarski [26] mit Recht bemerkte, den fliehenden Kardam verfolgt, um ihn zu vernichten, zumal er sich auf byzantinischem Boden befand. Derselbe Gelehrte sprach die Vermutung aus, dass zwischen beiden Herrschern wohl Verhandlungen geführt worden waren, die die weiteren Kriegsperationen überflüssig machten.

 

Kaiser Konstantin VI. war kein fähiger Heerführer. Obwohl er selbst den Bulgarenherrscher herausgefordert und ihm vorgeschlagen hatte bis nach Markellai, d.h. bis zur bulgarisch-byzantinischen Grenze zu kommen, liess er zu, dass die Gegner tief in das byzantinische Gebiet eindrangen und wagte zunächst nur bis Versinikia vorzurücken und nicht bis Markellai, wie er anfänglich gedroht hatte. Ausserdem war die Zeitpunkt des Feldzuges schlecht gewählt.

 

 

25. ebenda 470, 10-21

26. Istorija I 1, 245-246

 

233

 

 

Gegen Konstantin erhob sich (796) eine starke, offene sowie verborgene Opposition wegen seiner zweiten Ehe, durch die er jeden Rückhalt verlor. Seine ehrgeizige Mutter Irene sann aber insgeheim darauf ihn zu stürzen [27]. Er sah offenbar ein, dass seine Abwesenheit aus der Hauptstadt verhängnisvoll für ihn sein könnte und unterbrach den Feldzug unter dem falschen Vorwand, der Bulgarenherrscher sei geflohen. Kaiserin Irene bemächtigte sich nach der Blendung ihres eigenes Sohnes (797) der Herrschaft, die diesmal gänzlich in ihren Händen lag. Die guten Beziehungen, die zwischen Bulgarien und Byzanz unter ihrer Regentschaft existiert hatten, wurden wiederhergestellt und dauerten solange sie herrschte. Ob dabei ein neuer Friedensvertrag geschlossen wurde, ist wahrscheinlich, aber unbekannt.

 

Mit dem Feldzug 796 enden die Nachrichten über Kardam in der Chronik des Theophanes. Aus dem wenigen, was über ihn überliefert ist, tritt Kardam als einer der bedeutendsten bulgarischen Herrscher auf. Kardam setzte die von Teleryg begonnene Wiederaufrichtung und Stärkung des von den Feldzügen Konstantins V. geschwächten Bulgariens fort. In etwa 20-25 Jahren wurden die erlittenen Schäden ausgebessert und die Kräfte des Landes so weit wiederhergestellt, dass die Bulgaren von neuem ein gefährlicher Gegner und Rivale des Byzantinischen Reiches wurden. Die wiederum von Teleryg begonnene Erweiterung Bulgariens nach Südwesten wurde auch fortgesetzt und blieb eines der wichtigsten Ziele der zukünftigen bulgarischen Herrscher [28].

 

 

27. Ostrogorsky, Geschichte 150

28. Nach Zlatarski (Istorija I 1, 249) gehörten die Länder an den Flüssen Mlava und Morava bereits im 8. Jh. zum bulgarischen Staat.

 

234

 

 

 

11. Die Machtenentfaltung. Krum

 

Hauptquellen: Theophanes, Scriptor incertus, Theophanes continuatus, Symeon magister, Leon Grammaticus, Fragmentum Vaticanum, Suda, A. D. Kominis, Ἀπηχήσεις βυζαντινοβουλγαρικών συγκρούσεων εἰς ἁγιολογικὰ κείμενα (ΕΕΒΣ XXXV, 1966-1967, 215-222); Vita Ioannicii (AASS Nov. II 1, Bruxelles 1894, 33-338, 359, 391; Migne PG 116, 52)

 

Allgemeine Literatur: K. Jireček, Bulgaren (Ergänzungen 65); G. Balasčev, Beležki 40-56; Bury, Eastern Empire 340-352; Zlatarski, Istorija I 1, 247-292, 408-432; Geschichte 25-32; Runciman, Empire 51-70; N. P. Blagoev, Knjaz Krum, in: GSU ju. f. XIX (1924), 1-91, derselbe Mezdunarodnoto položenie na Bălgarija v vremeto na knjz Krum i negovata daržavna politika, in: Makedonski pregled 11 (1939) Nr. 3-4, 63-76; Mutafčiev, Geschichte I 145-159; Ostrogorsky, Geschichte 156-168

 

 

Im Jahre 802 wurde Kaiserin Irene vom Thron gestürtzt und Nikephoros Genikos zum Kaiser ausgerufen. Diese Regierungsänderung wirkte sich ungünstig auf die bulgarischbyzantinischen Beziehungen aus. In Bulgarien bestieg wohl um dieselbe Zeit Krum den Thron. Er war wahrscheinlich der direkte Nachfolger Kardams. Ob Krum ein enger Verwandter des letzteren war, ist unbekannt. Die friedlichen Verhältnisse zwischen Bulgarien und Byzanz dauerten zunächst weiter fort. Das erlaubte dem neuen Khan, seine Aufmerksamkeit auf die nordwestlichen Grenzen Bulgariens zu richten, wo neue politische Verhältnisse geschaffen wurden. Das ehemals mächtige Awarenreich wurde von Karl dem Grossen 803 nach langwierigen Kriegen unterworfen und vernichtet. Krum nahm die günstige Gelegenheit wahr und entriss ihm um 805 seine östlichen Gebiete [1],

 

 

1. Suidae Lexicon ed. Adler s.v. Βούλγαροι, hierzu G. Fehér, Beziehungen 128-129

 

235

 

 

in denen eine grosse Anzahl von Slawen und vielleicht noch Reste der pannonischen Bulgaren unter awarischer Herrschaft gestanden hatten. Somit wurde das awarische Reich endgültig zertrümmert [2]. Ein Teil der Awaren wurde, wie es scheint, nach Bulgarien an der byzantinischen Grenze übersiedelt [3], der den Bulgaren später gute Kriegsdienste gegen die Byzantiner leistete. Der bulgarische Staat erweiterte sich nach Nordwesten, schloss in seinen Grenzen das heutige Ost-Ungarn mit Transsylvanien ein und wurde auf diese Weise Nachbar des Frankenreiches [4]. Die Grenze verlief wahrscheinlich an den Flüssen Theiss und an der Donau bis zur Mündung der Sawa [5].

 

Nachdem Nikephoros die Macht ergriffen hatte, begann er das Reich sowohl nach innen als auch nach aussen zu festigen.

 

 

2. Über den Untergang der Awaren s. Grousset, L’empire 230-231 ; Kollautz, Awaren 168-169

3. Altheim, Hunnen V 279:

 

“Teile (der Awaren) dürften auch in das benachbarte Bulgarenreich unter dessen Khan Krum abgewandert sein.”

 

4. Ob die bulgarische Herrschaft sich nach Norden hin von der mittleren Donau bereits 796, d.h. vor Krum, erstreckte, ist nach Zlatarski, Istorija I 1, 248 Anm. 2, wahrscheinlich, aber nicht sicher. Das liesse sich aus der Nachricht des Monachus Sangallensis (MGH. SS. II 748) erschliessen: “A Bulgaribus vero ideo manum retraxit, quia videlicet, Hunnis exstinctis, regno Francorum nihil nocituri viderentur.”

 

5. Dem sog. ungarischen Anonymos zufolge wurde das Gebiet zwischen der Donau und Theiss bis zur ruthenischen und polnischen Grenze von dem grossen Keanus (= Kanus “Khan”), dem Bulgarenführer (nach Moravcsik = Krum), erobert. Er hatte dort Slaw en und Bulgaren angesiedelt (Scriptores rerum Hungaricarum tempore ducum regumque stirpis Arpadianae Gestarum, ed. Em. Szentpétery I, Budapestini 1937, 48, 10-13):

 

“Terram vero, que iacet inter Thisciam et Danubium, preoccupavisset sibi Keanus magnus, dux Bulgarie, avus Salani ducis, usque ad confinium Ruthenorum et Polonorum et fecisset ibi habitare Sclavos et Bulgares”.

 

Das Land wurde angeblich nach dem Tode Attilas von den Bulgaren erobert (ebenda 51, 17-20):

 

“qumodo mortuo Athila rege magnus Keanus, preavus ducis Salani, dux de Bulgarie egressus auxilio et consilio imperatoris Grecorum preoccupaverat terram illam.”

 

Hierzu Gy. Moravcsik, Der ungarische Anonymos über die Bulgaren und Griechen, in: RESEE VIII (1969) 167-174. Vgl. auch Fehér, Beziehungen 132-135, s. auch Kollautz, Franken 266; Vgl. auch V. Gjuselev, Bulgarisch-fränkische Beziehungen in der ersten Hälfte das IX. Jahrh., in: Byzantinobulgarica II (1966) 15-39.

 

236

 

 

Eine seiner ersten Sorgen war, die finanzielle Lage durch eine Reihe von Massnahmen zur Erhöhung der Staatseinnahmen zu verbessern und das Heer zu stärken [6]. Die zahlreiche slawische Bevölkerung Griechenlands, die es mit der Zeit in ein slawisches Land zu verwandeln drohte, zwang den Kaiser sein Augenmerk auf diese Slawen zu richten. Ein Aufstand der Slawen in der Peloponnes zu Beginn des 9. Jhs. gab ihm einen Anlass, ihnen einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Die Slawen plünderten die griechische Bevölkerung aus und griffen (805) Patras an. Sie erlitten jedoch eine Niederlage [7]. Seitdem begannen die Massnahmen zur Wiederherstellung des griechischen Elementes in der Peloponnes. Um die slawische Bevölkerung zu verdünnen, verpflanzte Nikephoros eine sehr grosse Anzahl der Einwohner der kleinasiatischen Themen in die slawischen Länder Griechenlands [8]. Nachdem Nikephoros noch andere Massnahmen zur Stärkung des Reiches ergriffen hatte, richtete er seine Aufmerksamkeit nun nach aussen auf die beiden Nachbarstaaten von Byzanz: die Araber und die Bulgaren.

 

Er versuchte sein Glück zunächst gegen die Araber. Die Tribute, zu deren Zahlung Kaiserin Irene sich verpflichtet hatte, wurden gleich nach seinem Regierungsantritt eingestellt. Darauf begannen die Araber wieder in das byzantinische Reich einzufallen und eroberten mehrere wichtige Grenzfestungen. Nikephoros sah sich (806) zu einem demütigenden Friedensschluss gezwungen.

 

Ein Jahr später, 807, wandte er sich gegen die Bulgaren. Er brach den bestehenden Frieden und zog gegen sie aus. Er wollte anscheinend sein durch den Araberkieg verlorenes Ansehen wieder zurückgewinnen.

 

 

6. Ostrogorsky, Geschichte 157-160

7. P. Lemerle, Monemvasie 10, 55-69 und S. 17-20; 25-27; 31; 37-40 (mit

8. P. Charanis, Nicephoros I, the saviour of Greece from the Slavs (810 A.D.), in: Byzantina-Metabyzantina 1 (1946) 75-92, besonders 86: "Nicephoros I gave to the Slavs of the Peloponnesus a mortal blow... Nicephoros I saved Greece from becoming slavonized”.

 

237

 

 

Nikephoros hatte mit dem Heer kaum Adrianopel erreicht, als er erfuhr, dass die Hofleute (τῶν βασιλικῶν ἀνθρώπων) und die Tagmen einen Aufstand gegen ihn vorbereiteten. Diese Nachricht zwang ihn zur Umkehr [9]. Obwohl der Feldzug vorzeitig und erfolglos endete, zeigte er dem Bulgarenherrscher die Gefahr, die ihm von der Seite des Kaisers drohte, und dass zwischen Bulgarien und Byzanz keine friedlichen Beziehungen mehr bestehen konnten.

 

Im Herbst des folgendes Jahres, 808, erschienen bulgarische Truppen im Strymon-Gebiet zu den Zeit, in der byzantinische Heer seinen Sold bekam. Sie überfielen die Byzantiner, töten viele Soldaten zusammen mit ihren Offizieren und dem Heerführer, erbeuteten den ganzen Sold —1100 Pfund Gold— und den Tross und kehrten zurück. Auch viele Offiziere aus anderen Themen kamen dort um [10]. Auf diesen Sieg bezieht sich wohl die protobulgarische Triumphinschrift, die zur Verewigung einer Schlacht bei Serrhes errichtet worden war [11]. Der Überfall fand demnach bei dieser Stadt statt. Das Ziel des bulgarischen Zuges war wohl an erster Stelle die byzantinische Kriegsmacht im Strymon-Gebiet zu zerschlagen, um den Bulgaren den Weg für ihre ferneren Militäroperationen zu ebnen. Vielleicht spielte dabei auch die Absicht, das Ansehen der Bulgaren bei den Slawen in Makedonien zu steigern keine geringe Rolle. Die letzteren haben wohl auch an dem Überfall teilgenommen.

 

Krum unternahm seinen Hauptschlag im Frühling 809, der diesmal der Stadt Serdika galt. Er begab sich während der Osterfeiertage zu dieser Stadt, die er durch Betrug und Versprechen eroberte.

 

 

9. Theophan. 482, 25-483, 2, vgl. Beševliev PI Nr. 3 a. Über die Tagmata s. F.I. Uspensky, Voennoe ustrojstvo vizantijsskoj imperii, in: IRAIK VI (1900) 1, 167-187; H. Glykatzi-Ahrweiler, Recherches sur l’administration de L’Empire byzantin aux IXe-XIe siècles, in: BCH 84 (1960), 24-36; W.E Kaegi, Jr., The Byzantine Armies and Iconoclasm, in: Byzsl. 27 (1966) 1, 48-70

10. Theophan. 484, 29-485, 4. hierzu P. Lemerle, Philippes 126-127. Über das Datum s. Bury, Eastern Empire 340 Anm. 3

11. Beševliev, PI Nr. 16

 

238

 

 

Krum hatte wohl den Einwohnern und der byzantinischen Garnison versprochen, sie zu schonen, wenn sie ihm die Stadt ohne Kampf übergeben. Nach der Einnahme der Stadt hielt er jedoch sein Wort nicht und liess dem Chronisten zufolge 6000 byzantinische Soldaten und viele Bürger ermorden [12]. Die grosse Zahl der Ermordeten ist wahrscheinlich stark übertrieben. Die Motive für diesen Massenmord sind unbekannt. Vermutlich wollten oder haben die Opfer den Forderungen Krums, die Stadt zu übergeben. Widerstand entgegengesetzt. Die Eroberung von Serdika sollte den Bulgaren einen direkten und freien Weg durch das Struma-Tal zu den Ägäischen Gebieten sichern.

 

Als Nikephoros von dem Fall Serdikas erfuhr, zog er sofort gegen Krum aus und zwar nur zum Schein (δῆθεν), wie Theophanes mitteilt, d. h. um sein Ansehen zu retten. Das fand am dritten Tag der Karwoche statt. Der Kaiser konnte jedoch keinen Kampf mit den Bulgaren beginnen. In seiner zur Hauptstadt gesandten Botschaft versicherte er den Bürgern ähnlich wie Konstantin V., dass er Ostern im Lager (ἐν τῇ αὐλῇ) [13] Krums gefeiert habe. Auf der Strasse nach Serdika begegnete Nikephoros den Offizieren, die sich aus dem Gemetzel gerettet hatten und die ihn um Gnade und Straflosigkeit anflehten. Er schlug ihnen diese Bitte jedoch ab, worauf sie sich gezwungen sahen zu den Feinden überzulaufen. Unter ihnen befand sich der Spatharios Eumathios, ein geschickter Mechaniker.

 

 

12. Theophan. 485, 4-7

13. ebenda 485, 12-14. Bury, Eastern Empire 341 und andere verstehen unter αὐλή die Hauptstadt Bulgariens, dagegen Zlatarski, Istorija I 1, 253 Anm. 1. Diese Auffassung kann nicht richtig sein. Der Kriegsbericht des Kaisers Nikephoros verdient kein Vertrauen. Den Worten des Theophanes zufolge brach Nikephoros von Konstantinopel am dritten Tag der Karwoche auf. Er hatte also bis Ostern nur 4 Tage zur Verfügung. Er konnte in vier Tagen mit einem Heer weder die Entfernung Konstantinopel-Serdika, die heute auf der Asphaltautobahn etwa 580km km beträgt, noch die Konstantinopel-Pliska, die nicht weniger als 500 km ist, zurücklegen. Dabei ist besonders zu bemerken, dass der Weg über befestigte Pässe zog, die ein schnelles Vordringen nicht erlaubten. Daher bedeutet αὐλή hier eher das Feldlager oder Zelt Krums als seine Hauptstadt.

 

239

 

 

Krum, der wohl einen entscheidenden Kampf auf fremdem Boden nicht riskieren wollte, zog rechtzeitig aus Serdika ab, wo der Kaiser endlich eintraf. Er versuchte die angerichteten Schäden mit Hilfe der Armee zu reparieren. Sein Befehl brachte die Soldaten in einen gefährlichen Aufruhr, der mit Mühe und Not beschwichtigt wurde. Darauf kehrte Nikephoros eiligst zur Hauptstadt zurück [14]. Ob Krum nach dem Abzug der byzantinischen Truppen die Stadt wieder besetzte, ist unbekannt.

 

Nikephoros, der sich weder mit dem Überfall bei Serrhes, noch mit dem Fall Serdikas versöhnen konnte, sann auf Rache und begann einen grossangelegten Feldzug vorzubereiten. Im Jahre 811 zog er nicht nur aus Thrakien, sondern auch aus den kleinasiatischen Themen Truppen zusammen. Er liess ausserdem sehr viele arme Leute sich auf eigene Kosten mit Schleudern und Knüppeln bewaffnen. Mit diesem Heer und seinem Sohn Staurakios zog Nikephoros Ende Juni oder Anfang Juli [15] gegen die Bulgaren. An dem Feldzug nahmen noch sein Schwiegersohn Michael Rangabe, alle Patrikier, Heerführer und Offiziere, sowie alle Regimenter und die sog. Hikanaten teil. Der eingeschlagene Weg war der übliche für Feldzüge gegen Bulgarien. Er führte nordöstlich von Adrianopel über Markellai und den Pass Verigava nach Pliska (s. hier S. 209 und 232 f.). Von diesen drei geographischen Punkten erwähnt Theophanes nur Markellai.

 

 

14. Theophan. 485, 7-486, 1

15. ebenda 489, 22-491, 29. Bury, (Eastern Empire 343) und nach ihm Zlatarski (Istorija I 1, 255) nahmen an, dass der Feldzug im Mai stattgefunden habe, indem man sich auf die Worte Theophanes’ beruft, dass Nikephoros die Hauptstadt in diesem Monat verlassen hatte. Der Chronist sagt aber nicht ausdrücklich, dass der Feldzug damals begann. Aus dem weiteren Text lässt sich ersehen, dass der Kaiser sich in dieser Zeit mit der Erhöhung der Steuern, Vorbereitung des Feldzuges und dem Zusammenziehen der Truppen beschäftigte, was wohl etwa einen bzw. anderthalb Monate in Anspruch genommen hat. Der Feldzug konnte, wie aus derselben Quelle hervorgeht, erst nach der Erledigung der erwähnten Angelegenheiten erfolgen, d.h. er fand nach Mai statt.

 

240

 

 

Als Nikephoros mit seinem Heer diese Festung erreicht hatte, floh sein vertrauter Diener Byzantios mit den Kaisergewändern und 100 Pfund Gold zum Bulgarenherrscher. Viele Leute hielten das für ein böses Vorzeichen. Als Krum erfahren hat, dass Nikephoros sich bereits mit dem gewaltigen Heer in Markellai befand, geriet er, nach Theophanes, in Furcht vor seinem grossen Ausmass und bat um Frieden. Der Kaiser lehnte das Friedensangebot ab und setzte den Feldzug fort. Auf vielen Umwegen durch unwegsame Orte drang er, wie Theophanes bemerkt, mit unvernünftiger Kühnheit am 20. Juli in Bulgarien ein. Bei dem Übergang der Pässe stiess Nikephoros auf keinen ernsten Widerstand. Der Lebensbeschreibung des Nikolaos Studites [16] zufolge postierten die Bulgaren eine kleine (?) Anzahl Krieger (ὀλίγους ... εἰς παραφυλακὴν) etwa 15,000 Mann zur Verteidigung der Pässe. Die wurden alle getötet. Die übrigen Bulgaren haben sich auf die Berghöhen zerstreut [17]. Nach der Überwindung der Pässe erreichte Nikephoros die Hauptstadt der Bulgaren, in der man zu ihrer Verteidigung 12,000 erlesene Soldaten aufgestellt hatte. Sie kamen nach einem erbitterten Kampf alle um [18]. Darauf traten andere 50,000 Mann dem Kaiser entgegen, die auch alle in dem Kampf fielen [19]. Nach diesen Siegen besetzte Nikephoros die Hauptstadt und liess sich in dem Palast Krums nieder. Nach den ersten Kämpfen glaubte der Kaiser, dem Theophanes [20] zufolge, drei Tage lang,

 

 

16. Synaxarium 342-343

17. ebenda und Vat. Frg. 432, 9-11. Das Vatikanische Fragment wird nach der letzten Ausgabe von I. Dujčev (La chronique byzantine de l’an 811, in: Medioevo bizantino-slavo, II. Roma 1968, 425-489 = Travaux et Mémoires 1, 1965, 205-254) zitiert.

18. Vat. Frg. 432, 13-15

19. ebenda 432, 15-17. Die offenbar übertriebene Zahl beruht wohl auf dem Kriegsbericht des Nikephoros, den er nach der Einnahme der Hauptstadt Bulgariens nach Konstantinopel geschickt hat. Die Kriegsberichte der byzantinischen Kaiser strotzen nicht selten von Übertreibungen, Verschweigen der Wahrheit und sogar groben Lügen “ad maiorem gloriam imperatoris”. Vgl. die Nachrichten über die Taten der Kaiser Konstantin V., Nikephoros und besonders Leon V., die auf ihren eigenen Kriegsberichten beruhen.

20. Theophan. 490, 18-21. Zwei hagiographischen Texten zufolge (Synaxarium 838, 45-97 und 846, 4 - 848, 9) hat sich Nikephoros nach dem Sieg der Schwelgerei und dem Trinken ergeben.

 

241

 

 

dass alles gut ginge und das den Erfolg dem Glück und der Weisheit seines Sohnes Staurakios zu verdanken sei, er drohte den Offizieren, die gegen das Eindringen in Bulgarien waren, mit Strafe. Der Kriegsplan war wohl von Staurakios entworfen. Im Palast fand Nikephoros die Schatzkammer Krums, in der Schätze über Schätze angehäuft waren. Sie wurden auf seinen Befehl mit Schlössern verschlossen und versiegelt. Dann begann er an das Heer aus der Schatzkammer nach einer Liste ehernes Geschirr [21], Gewänder und verschiedene andere wertvolle Gegenstände zu verteilen. Er liess auch den Weinkeller öffnen und gab allen bis zum Überdruss zu trinken. Auf diese Weise wollte Nikephoros die Soldaten befriedigen. Er bestrafte jedoch grausam diejenigen, die sich ohne seine Erlaubnis die Beute anzurühren erdreisten. Er stieg auf die Gänge im Palast, begann durch die Balkone [22] der Gemächer zu spazieren, freute sich und sagte, dass er hier eine Stadt gründen wolle, die seinen Namen tragen solle. Nachdem Nikephoros auf diese Weise einige Tage verbracht hatte, verliess er den Palast, wobei er alle Gemächer mit der hölzernen Umzäunung niederbrennen liess. Inwieweit die Beschreibung des Palastes Krums in dem Vatikanischen Fragment, die hier kurz wiedergegeben ist, der Wirklichkeit entsprach, lässt sich kaum nachprüfen. Die Nachricht daselbst, dass Nikephoros vor und bei der Hauptstadt der Bulgaren zwei Kämpfe mit starken Truppen geführt habe, scheint ziemlich verdächtig. Der Kaiser befahl dem Heer bei seinem Eindringen in Bulgarien alle Leute ohne Rücksicht auf das Alter niederzumetzeln, Rinder, Schafe und Schweine zu töten und die noch nicht abgeernten Felder einzuäschern. Nach Theophanes [23] bat Krum abermals um Frieden, was Nikephoros wiederum abwies.

 

 

 

21. Vat. Frg. 432,20-434, 24. Gegen die erzwungene Erklärung Dujčevs (op. cit, 455-456) von χαλκὸς als “Kupfermünze” s. R. Browning, Notes 402.

22. Über die Balkons s. W. Nissen, Die Diataxis des M. Attaleiates von 1077, Diss. Jena 1894, 67 und Φ. I. Κουκούλες, Περὶ τὴν Βυζαντινὴν οἰκίαν, in ΕΕΒΣ 12 (1936) 113-117.

23. Theophan. 490, 21-24. Die von Nikephoros verübten Missetaten werden auch von Michael dem Syrer erwähnt: “Sa sauvagerie alla à ce point qu’il fit apporter leurs petits enfants, les fit étendre à terre et fit passer dessus des rouleaux à battre le grain” (Chronique de Michel le Syrien, ed. par J.-B. Chabot, t. III, fasc. 1, Paris 1905, 17). - Über den Friedensangebot s. Theophan. 490, 27-29

 

242

 

 

Das Friedensangebot Krums, als Nikephoros noch in Markellai weilte, die schwache Verteidigung der Pässe und die Flucht der Bulgaren auf die Berghöhen werden in den byzantinischen Quellen mit den grossem Schrecken Krums und der Bulgaren vor dem gewaltigen Heer der Byzantiner erklärt. Nach manchen modernen Forschern [24] ist der Erfolg Nikephoros dem plötzlichen Einfall zu verdanken. Diese Erklärungen können kaum richtig sein. Denn der Feldzug des Nikephoros, der nach Theophanes bereits im Mai begann und erst am 20. Juli, d.h. nach etwa drei Monaten, die bulgarische Grenze erreichte, konnte dem Bulgarenherrscher keinesfalls verborgen bleiben und als plötzlich oder unerwartet bezeichnet werden. Das ganze seltsame Verhalten Krums seit Markellai lässt sich kaum mit dem Schrecken erklären, von dem die byzantinischen Quellen sprechen. Denn es bleibt sonst unverständlich, warum Kr um, der ein tüchtiger Feldherr war, wie seine Kriegserfolge beweisen, keinen ernsten Widerstand und keine ernste Verteidigung der Pässe zu leisten versucht hat, deren Erzwingung nicht leicht gewesen wäre, wenn man sie hartnäckig verteidigt hätte. Unerklärlich ist auch der schwache Versuch, die Hauptstadt zu verteidigen. Es drängt sich dabei auch die Frage auf, wo Krum steckte und was er machte, während Nikephoros arg in seinem Palast und der Hauptstadt haushaltete. Eine befriedigende Antwort bekommen alle diese Fragen, wenn man annimmt, dass es sich um einen wohldurchdachten und umfassenden, militärischen Plan gehandelt hat, wonach das byzantinische Heer jenseits der Pässe gelockt und dann aus dem Hinterhalt vernichtet werden sollte. Alle Handlungen Krums von Markellai ab bis zur Einnahme der Hauptstadt hatten also zum Ziele, einerseits Zeit zu gewinnen, anderseits die Byzantiner fahrlässig und unvorsichtigt zu machen, indem man den Eindruck bei ihnen erweckte, dass die Bulgaren bereits unterworfen seien.

 

 

24. So Zlatarski, Geschichte 27; Dujčev, Vat. Frg. 466

 

243

 

 

Das Ausbleiben Krums und das er es vermied, eine entscheidende Schlacht zu liefern, beunruhigten und verwarteten Nikephoros. Die Kriegsmacht des Bulgarenherrschers war immer noch schlagfertig und gefährlich. Nach dem Vatikanischen Fragment wollte der Kaiser Bulgarien noch nicht verlassen, ohne einen entscheidenden, siegreichen Kampf mit Krum ausgefochten zu haben. Eilig durchzog er die Mitte Bulgariens, offenbar von Süden nach Norden bis zur Donau [25], wohl um Krum zu finden. Da ihm das nicht gelang, bildete er sich ein, dass ganz Bulgarien bereits in seinen Händen liege. Darauf wollte er sich nach Serdika begeben, um diese Stadt von den Bulgaren zu befreien. Sie war also nach dem Abzug des Nikephoros wieder von Krum besetzt worden. Dem Vatikanischen Fragment zufolge bekam er aber plötzlich eine unerklärte, starke, seelische Erschütterung. Er hatte wohl eine böse Vorahnung und kam nicht mehr aus seinem Zelte, empfing niemanden und gab keine Erklärungen. Er wollte sogar seinen eigenen Sohn nicht hören und war vollkommen verwirrt. So vergingen 15 Tage. Das geheimnisvolle Verschwinden Krums und das Fehlen einer entscheidenden Schlacht riefen wahrscheinlich bei Nikephoros diesen psychischen Schock hervor. Manche Krieger begannen davonzulaufen, als sie den Kaiser in dieser seelischen Verfassung sahen.

 

Unterdessen blieb Krum nicht untätig, sondern bereitete in aller Stille eine grossangelegte Kriegsoperation vor. Er nahm Awaren und die in der Umgebung wohnenden Slawen in Sold und bewaffnete sogar die Frauen wie Männer. Er liess die Pässe befestigen. In einem der Pässe, wohl dem Verigava-Pass, befahl er einen grossen hölzernen, festen und schwer passierbaren Verhau wie eine Mauer zu errichten.

 

 

25. Ich interpunktiere die betreffende Stelle in Vat. Frg. (434, 30-31) folgendermassen; λοιπὸν μηκέτι φροντίσας τοῦ ἐξελθεῖν, διὰ τάχους διήρχετο διὰ μέσου τῆς Βουλγαρίας, βουλόμενος ἀπελθεῖν ἕως Σαρδικῆς, d.h. “er dachte nun nicht mehr (die Stadt) zu verlassen und durchquerte in Eile Bulgarien, da er (darauf) bis nach Serdika gehen wollte”. Die natürliche Richtung von Konstantinopel aus ist hinsichtlich der Mitte Bulgariens selbstverständlich Süd(westen)-Norden und nicht Osten-Westen.

 

244

 

 

Gleich hinter dem Verhau wurde ein tiefer Graben ausgehoben. Der errichtete Verhau befand sich nicht weit von einem wasserreichen und schwer zu überschreitenden Fluss, der vor den hölzernen Wand vorbeifloss. Der Fluss, der Verhau und der tiefe Graben bildeten ein zusammenhängendes Hindernis.

 

Als Nikephoros erfuhr, dass die Pässe gesperrt waren, geriet er in noch grössere Verlegenheit und sagte zu seiner Gefolgschaft: “Wir können dem Verderben kaum entrinnen, selbst wenn uns Flügel wüchsen”. Das byzantinische Heer begann sich zurückzuziehen und ging in den Pass mit dem Verhau hinein. Nikephoros liess die Truppen vorauseilen und blieb selbst mit einer kleinen Abteilung zurück. Er hoffte wohl, dass es dem Kern des Heeres sowie den übrigen Truppen gelingen würde, den gesperrten Pass zu durchbrechen, und er ihn ohne Gefahr nach ihnen passieren könnte. Die Truppen marschierten in grossen Abständen voneinander. Die Bulgaren, die wohl mit Krum von den Berghöhen aus die Bewegung der Byzantiner beobachteten, wählten den richtigen Moment für den Angriff.

 

In der Nacht von 25. zum 26. Juli, das war vom Freitag zum Sonnabend, vernahm man in den Nähe den Stelle, wo Nikephoros sich mit seinem Gefolge auf hielt, verschiedene Geräusche, die die Verwirrung erhöhten. Bei Tagesanbruch, als die Byzantiner noch schliefen, griffen die Bulgaren zuerst die Zelte des Kaisers und der hohen Würdenträger, die ihn umgaben, an. Diese machten einen verzweifelten Versuch sich zu widersetzen, wurden aber bald überwältigt und getötet. Dort fielen nach Theophanes die Patrikier Aetios, Petros, Sisinnios, Triphylis, Thodosios Salivaras, der Stadtpräfekt und viele Strategen sowie hohe Offiziere, kurz “die ganze christliche Schönheit kam um” [26]. Der Kaiser selbst wurde auch getötet [27].

 

Darauf wandten sich die Bulgaren gegen die übrigen byzantinischen Truppen. Als diese erfuhren, was sich mit dem Kaiser zugetragen hatte, ergriffen sie von den Bulgaren verfolgt die Flucht.

 

 

26. Theophan. 491, 5-14

27. ebenda 49 1,5 und 23-26, Val. Frg. 438, 90-92. Hierzu Zlatarski, Istorija I 1, 408 f., 410

 

245

 

 

Als die fliehenden Truppen den Fluss vor dem Verhau erreichten, konnten sie nicht gleich eine Furt finden und gingen mit den Pferden in das Wasser hinein. Sie sanken in den sumpfigen Fluss ein und vermochten nicht mehr herauszukommen. Diejenigen, die ihnen folgten, traten auf sie. Sie fielen aufeinander und der Fluss füllte sich mit Menschen und Pferden, sodass die Bulgaren, über sie schreitend, unversehrt hinübergingen und diejenigen, denen es gelang den Fluss zu passieren, verfolgten. Die Soldaten, die den Verhau erreichen konnten, verliessen ihre Pferde und erstiegen die hölzerne Mauer mit Händen und Füssen, hingen aber an der anderen Seite herab, da unter ihnen der tiefe Graben klaffte. Sie stürtzten von der Höhe in den Graben hinunter und brachen sich Arme und Beine. Die einen starben gleich, die anderen krochen aus dem Graben, kamen aber vor Hunger und Durst um. An manchen Stellen wurde der hölzerne Verhau in Brand gesteck und stürtzte in den Graben. Die fliehenden Byzantiner ritten die Pferde durch den brennenden Verhau und fielen mit den Pferden und glühenden Balken in den Graben [28]. Die siegreichen Bulgaren erbeuteten die ganze Bewaffnung der Byzantiner mitsamt dem Kaisergepäck [29].

 

Die Niederlage des byzantinischen Heeres war furchtbar. Seit der Gefangennahme des Kaisers Valerian durch Sapor I. (260) und dem Tode des Kaisers Valens in der Schlacht bei Ardianopel (378) wurde wieder ein Kaiser von einem Barbarenheer umgebracht. Nach dem Sieg liess Krum dem Nikephoros den Kopf abschlagen und ihn auf einen Pfahl zur Schau und zur Schande der Rhomäer für mehrere Tage aufspiessen. Darauf liess er aus dem oberen Teil des Schädels einen Trinkbecher verfertigen, der von aussen mit Silber eingefasst wurde [30].

 

 

28. Vat. Frg. 435, 9 - 438, 80

29. Theophan, 491, 14-15

30. ebenda 491, 17-22, hierzu V. Beševliev, Brauch 17-20 und 20-21 mit Lit.

 

246

 

 

Auf diesen Becher war Krum besonders stolz und Hess bei Trinkgelagen die slawischen Stammesführer auch daraus trinken [31].

 

Staurakios, der Sohn des Nikephoros, war auch unter denen, die sich aus dem Gemetzel gerettet hatten, jedoch mit einen gefährlicher Wunde in der rechten Seite des Rückens. Er traf in Adrianopel und von dort in Konstantinopel ein, wo er nach einigen Monaten unter grossen Qualen an der Wunde starb.

 

Wo die Niederlage des Nikephoros stattgefunden hat, war bis zur Entdeckung des Vatikanischen Fragments eine Streitfrage. Man nahm gewöhlich an, dass sie im Vărbica-Pass stattgefunden habe [32]. Das Vatikanische Fragment enthält jedoch einen wichtigen Hinweis, der nicht nur eine solche Annahme ausschliesst, sondern auch die richtige Lokalisierung ermöglicht. Der Pass, wo die Schlacht stattfand, wurde nämlich von einem grossen, sumpfigen Fluss durchquert, der schwer passierbar war [33]. Der einzige grosse und schwer passierbare Fluss aber, der einen Balkanpass durquert, ist Titča in dem Pass von Ris [34]. Die Niederlage und der Tod des Nikephoros in diesem Pass, hatte nach innen und nach aussen schwere Folgen für Byzanz. Zunächst wurde der schwerverwundete Staurakos zum Kaiser ausgerufen. Sein Gesundheitszustand, der sich ständig verschlechterte, erlaubte ihm nicht, sich ernsthaft mit den Staatsangelegenheiten zu beschäftigen. Er erwies sich jedoch als unfähig, die bulgarische Gefahr abzuwenden.

 

 

31. L. Tomič, Krum i njegovi slovenski arhonti, in: Istoriski časopis, organ istoričkog instituta SAN, II (1949-1950), Beograd 1951, 87-89, Vgl. Bury, Lastern Empire 339 und 345; Zlatarski, Istorija I 1, 290

32. Bury, Eastern Empire 344; Zlatarski, Istorija I 1, 410-412 mit Lit.; Dujčev, Vat. Frg. 485-486 u.a.

33. Vat. Frg. 436, 59-60: καὶ ἐν αῦτῷ τῷ τόπῳ παρέκειτο ποταμὸς τελματώδης λίαν καὶ δυοδιέξοδος. Die fragmentierte Triumphinschrift (Nr. I 7) [Π]όλεμος [τ]ῆς Τσυ[τζας?] bezieht sich wohl auf diese Schlacht.

34. A. Iširkov, Čalakavakski prohod v Stara-planina, in: GSU if VII (1910-1911) Sofia, 1913, 1-25, besonders 7, 16, 18-19 und 22.

 

247

 

 

Der Sieger Krum hielt es für klug trotz seines grossen Erfolges, Frieden mit Byzanz zu schliessen und machte den Byzantinern ein Friedensangebot, das sie aber ablehnten [35]. Um die Byzantiner zum Fiedensschluss zu zwingen und ihnen zu zeigen, dass seine Kriegsmacht noch schlagfertig war, eroberte Krum im Frühjahr 812 durch Belagerung die Stadt Debeltum. Ihre Einwohner die sich dem Sieger übergaben, wurden mit dem Bischof, ausgesiedelt.

 

Am 7. Juli desselben Jahres zog Kaiser Michael I. Rangabe gegen die Bulgaren. Seine Frau Prokopia begleitete ihn bis Tzurulum (j. Corlu). Als der Fall von Debeltum bekannt wurde, empörten sich die Truppen, besonders die aus den kleinasiatischen Themen Opsikion und Thrakesion, gegen den Kaiser und seine Berater, da sie Furcht vor dem Krieg und dem Garnisonsdienst hatten. Es gelang dem Kaiser jedoch, sie mit Geschenken und Überredung zu beruhigen. Die Bulgaren nutzten den Aufruhr der Truppen aus und nahmen einen grossen Teil von Thrakien und Makedonien ein. Die byzantinische Bevölkerung floh und verliess die Städte Anchialos, Beroia, Nikaia, die Festung Probaton, Philippopolis und Philippi sowie manche anderen Festungen, ohne das jemand sie bedrängte. Sie hatten wohl Angst vor der Vergeltung für die Missetaten Nikephoros’ in Bulgarien. Die von diesem Kaiser im Strymon-Gebiet (809/810) angesiedelten Griechen nahmen die Gelegenheit wahr, um zu fliehen und in ihre Geburtsorte zurückzukehren [36].

 

Kaiser Michael I. machte anscheinend keinen ernsthaften Versuch die vordringenden Bulgaren zum Stehen zu bringen und kehrte in die Hauptstadt zurück. Die Gründe dafür waren nicht nur die Empörung der Truppen, sondern auch die in Konstantinopel ausgebrochenen Unruhen. Die mangelhafte Kriegsführung rief bei vielen in die Erinnerung die glorreichen Zeiten Konstantins V. zurück, als jener Kaiser den Bulgaren mehrere Niederlagen zufügte.

 

 

35. K. Paparigopulos (Ἱστορία τοῦ Ἑλληνικοῦ ἔθνους, III 1, 6. Aufl., Athen 1932, 184) zog mit Recht aus dem Adverb αὖθις bei Theophanes (497, 17) den Schluss, dass Krum schon früher ein Friedensangebot gemacht hatte.

36. Theophan. 496, 5-8

 

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Sie versammelten sich an seinem Grabe und flehten den toten Herrscher an, das Reich zu retten. So gross war die Bestürzung in der Kaiserstadt.

 

Krum war jetzt wohl fest davon überzeugt, dass seine Kriegserfolge und die gespannte Lage in der Hauptstadt den Kaiser und seine Berater zu Friedensverhandlungen zwingen würden, und machte durch einen Gesandten namens Dargamer, wohl ein Slawe, wieder ein Friedensangebot. Er schlug vor, den unter dem Bulgarenherrscher Kormesios und dem Kaiser Theodosios III. geschlossenen Friedensvertrag zu erneuern (s. hier S. 198 f.) [37]. Zu den in diesem Vertrag vereinbarten Klauseln, die einen Tribut und die bulgarisch-byzantinische Grenze nicht weit von der heutigen bulgarisch-türkischen Grenze festsetzten, sollten noch folgende zwei neue hinzugefügt werden [38]: 1) Die Flüchtlinge sollten gegenseitig ausgeliefert werden, falls sie sich eines Vergehens gegen die Staatsgewalt schuldig gemacht hatten und 2) die Kaufleute beider Länder sollten zukünftig ihre Waren mit Urkunden und Siegeln versehen einführen. Waren, die diesen Bestimmungen nicht entsprachen, sollten eingezogen werden. Die erste der beiden neuen Bedingungen bezog sich offenbar auf politische Emigranten und nicht auf gewöhnliche Flüchtlinge. Die Frage, was für Emigranten das waren, ob es sich um Thronprätendenten, um dem bulgarischen Herrscher feindlich gesinnte Personen oder um in Geheimdienst des Byzantinischen Reiches stehnde Bulgaren handelte [39], lässt sich nicht mit Bestimmtheit beantworten.

 

 

37. ebenda 497, 16-28

38. K. Paparigopulos (op. cit. 186-187) hat zuerst erkannt, dass der Ausdruck καὶ ἐπὶ τούτοις bei Theophanes (497, 22) einen Zusatz zu dem alten Vertrag bezeichnet, was durch Theophan. Cont. 12, 17-22... καὶ προστιθέντος ὡς καὶ ... bestätigt wird. Hierzu Beševliev, PI 60-61 mit Lit.

 

39. V.N. Zlatarski (Istorija I 1, 265) nahm an, dass hier von der Flucht einzelner politischer Personen die Rede sei, keineswegs aber von einem konkreten Fall. Es lässt sich jedoch kaum annehmen, dass Krum und Theodoros Studites, der Hauptschuldige für die Ablehnung der Klausel von de i Auslieferung der Flüchtlinge, dieser eine solche Bedeutung beigemessen haben (da ähnliche Bestimmungen in den byzantinischen Friedensverträgen nicht ganz fremd waren, vgl. Menander EL 181, 2-5), dass sie die Verhandlungen deswegen zum Scheitern brachten, wenn sie nicht einen konkreten Fall vor Augen gehabt hätten. Besondere Beachtung verdienen hier die Äusserungen des Chronisten Theophanes zu dieser Frage, der es für einen Fehler hält, dass der Friedensvertrag aufgrund der obengenanten Bedingung abgelehnt wurde. S. besonders Ioan. Scylitzae Synopsis Historiarum, editio princeps, rec. Ioan. Thum 12,4-14:

 

Βούλγαροὶ τινες ἐξ ἠθῶν ἀναστάντες τῶν πατρῴων τὴν Ῥωμαίων καταλαμβάνουσι παγγενεὶ καὶ παρὰ τοῦ βασιλέως προσδεχθέντες Μιχαὴλ ἐν διαφόροις κατοικίζονται χώραις καὶ τινες δὲ Ῥωμαίων ἐν τοῖς προηγασαμένοις αἰχμαλωτισθέντων πολέμοις τὰ δεσμά διαρρήξαντες εἰς τὰς ἑαυτῶν ἐπανῆκον πατρίδας· τούτους ἅπαντας ὁ τῶν Βουλγάρων ἀρχηγὸς Κροῦμος ἐκδοθῆναι οἱ ἀπήτει τισὶ μὲν οὖν τῶν Ῥωμαίων ἐπαίνετὴ ἐδόκει ἡ ἔκδοσίς, ἦτινι καὶ ὁ βασιλεὺς καὶ τινες ἀξιόλογοι συγκατετίθετο μοναχοί.

 

249

 

 

Die zweite Bedingung, die den Schumuggel und anderen Missbrauch im Handel schwer oder unmöglich zu machen bezweckte, zeugt von der grossen Entwicklung des Handels in Bulgarien. Das Friedensangebot war von einem Brief begleitet, in dem Krum drohte: “Wenn du dich mit dem Friedensschluss nicht beeilst, ziehe ich durch deine Schuld mit einem Heer gegen Mesembria aus”.

 

Der Friedensvorschlag wurde zurückgewiesen, da die Berater des Kaisers die Annahme der Klausel für die Emigranten verweigerten. Darauf begab sich Krum etwa Mitte Oktober 812 mit einem Heer nach Mesembria. Er schleppte Kriegs- und Belagerungsmaschinen mit sich. Ein zum Christentum bekehrten Araber und sehr tüchtiger Mechaniker, der von Nikephoros während dessen bulgarischen Feldzuges wegen seines Protestes gegen schlechte Bezahlung grausam gepeitscht und in Adrianopel gelassen wurde, lief zu den Bulgaren über und brachte ihnen den Bau der Kriegsmaschinen bei. Mit diesen Maschinen griff Krum nun Mesembria an.

 

Als Kaiser Michael sah, dass Krum seine Drohung verwirklichte, und er selbst nicht imstande war ihm entgegenzutreten, berief er am 1. November den Rat ein, an dem der Patriarch, die Bischöfe von Nikaia und Kyzikos, Theodoros, der Abt des Klosters Studion und andere angesehene Personen teilnahmen, um den Friedensvorschlag Krums noch einmal zu erörtern. Der Kaiser, der Patriarch und die Bischöfe erklärten sich damit einverstanden, einen Frieden zu schliessen. Den entgegengesetzten Standpunkt vertraten Theodoros Studites und die übrigen.

 

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Sie verwarfen wiederum die Bedingung für die Emigranten, da sie mit den Prinzipien der christlichen Barmherzigkeit unvereinbar sei [40]. Der Friede wurde nicht geschlossen. Am 5. November traf die Nachricht von dem Fall Mesembrias in der Hauptstadt ein. Die Stadt wurde einen ganzen Monat lang belagert, ohne dass ihr jemand zu Hilfe kam. Diese Nachricht erschreckte viele Byzantiner, die sie für einen Vorboten grösseres Unglücks hielten. In der eroberten Stadt fanden die Bulgaren viele Vorräte. Krum nahm gleichzeitig mit Mesembria wieder Debeltum ein. In beiden Städten fielen 36 Erzsiphone in die Hände der Bulgaren, mit deren Hilfe das sog. griechische Feuer geschleudert wurde [41], mitsamt einer grossen Menge des flüssigen Feuers sowie viel Gold und Silber.

 

Nach dem Fall Mesembrias verzichtete Michael endgültig auf Friedensunterhandlungen mit Krum und begann mit den Vorbereitungen für einen Krieg gegen ihn. Er befahl Truppen aus allen Themen zu sammeln und in Thrakien zu konzentrieren. Dieser Befehl rief ein allgemeines Unbehagen, besonders bei den Soldaten der Themen Kappadokien und Armeniakon, hevor. Krum erfuhr, wie es scheint, rechtzeitig von den Vorbereitungen und beschloss, den Kaiser unerwartet vor der Zusammenkunft seiner Streitkräfte in Thrakien anzugreifen. Anfang Februar flohen zwei Byzantiner aus Bulgarien, die den Kaiser über die Absicht Krums unterrichteten. Am 15. desselben Monats verliess Michael die Hauptstadt und zog gegen die Bulgaren ins Feld. Unterdessen war Krum bereits zum Feldzug aufgebrochen. Beide Gegner konnten sich aber nicht begegnen, da Krum aus unbekannten Gründen zurückkehrte, ohne etwas zu erreichen, wobei er, wie Theophanes berichtet, viele Leute verloren hat. Der Chronist teilt die Ursache dafür nicht mit, sondern begnügt sich damit zu sagen, dass das auf göttliche Vorsehung geschehen sei [42].

 

 

40. Theophan. 498, 1-4 und 19-23

41. ebenda 499, 9-15. Über das griechische Feuer A.A. Vasilev, Histoire de l’empire byzantin, 1 Paris 1932, 284 Anm. I; C. Zenghelis, Le feu grégois et les àrnes à feu des Byzantines, in: Byz. 7 (1932) 265 ff.

42. Theophan. 500, 2-6

 

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Aller Wahrscheinlichkeit nach waren viele Soldaten bei der grimmigen Kälte der Winterzeit erfroren oder war eine Seuche unter ihnen ausgebrochen. Mit Freude kehrte der Kaiser in die Hauptstadt zurück, wobei er unterwegs in Adrianopel manche Angelegenheiten erledigte.

 

Anfang Mai zog Kaiser Michael, wieder von der Kaiserin Prokopia begleitet, mit den Truppen aus [43]. Die Kaiserin kam bis zum Aquädukt [44] bei Herakleia. Die Stimmung des Heeres war noch immer schlecht. Die Soldaten schimpften offen über den Kaiser. Am 4. Mai fand eine Mondfinsternis statt, die die einfachen Soldaten erschreckte. Michael schweifte indessen mit den Strategen und Truppen in Thrakien umher, ohne sich jedoch nach Mesembria zu begeben oder etwas gegen den Feind zu unternehmen. Das Heer beraubte nur die Bevölkerung. Endlich kam der Kaiser bis zu den sog. Kleisurai [45] (d.h. die Gebirgpässe, j. die Derventhöhen an der heutigen bulgarischtürkischen Grenze). Ein Teil der Höhen wurde von Truppen aus den Themen Makedonien und Thrakesion unter dem Befehl von Johannes Aplakes, dem Patrikios und Strategen aus Makedonien, besetzt. Anfang Juli rückte auch Krum ins Feld und schlug sein Lager bei Versinikia (Ruinen bei Malamirovo, früher Hambarli) etwa 30 Meilen von dem Lager des Kaisers, auf [46]. Auf denselben Feldzug bezieht sich wohl der Inhalt einer bei Versinikia gefundenen protobulgarischen Inschrift (Nr. 47), die einige wichtige Einzelheiten über die Kriegsvorbereitung in Bulgarien berichtet.

 

 

43. Die Quellen für diesen Abschnitt sind: Theophan. 500, 15-501, 12; 501, 27-502, 3; Scriptor Incertus ed. Bonn. 336, 6-340, 13 (hierzu R. Browning, Notes); Theophan. Cont. 12, 17-16, 14; Genes. 4, 7-5, 6; Ignatios Diac., Vita Nicephori Patr. (Niceph. Arch. Opuscula hist. ed. de Boor) 163, 4-11; Nicetas Paphl., Vita Ignatii Patr. (Migne PG 105) 489

44. Jireček, Heerstrasse 101; Bury, Later Empire 101 Anm. 5

45. Scriptor incert. 337, 8: ὅτε βασιλεὺς καὶ πᾶς ὁ λαὸς ἐγγυτόμησαν ἕως τῶν Κλεισσουρῶν (in der Ausgabe κλεισσουρῶν). Über die Ruinen von Festungen in den Dervent-Höhen. Bratija Škorpilovi, Pametnici iz Bălgarsko, Sofia, 1888, 68-80

46. Theophan. 470, 17 und 500, 31 f. Eine fragmentierte Triumphinschrift lässt sich [ +Πόλεμος τῆς Βερσ]ινικί[ας) ergänzen (Nr./8)

 

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Nach der Inschrift, die eigentlich einen Militärbefehl darstellt und deren Anfang abgebrochen ist, wurde der Bruder Krums, dessen Name in der Inschrift nicht erhalten ist, da sein Name in dem abgebrochenen Anfang stand, zum Befehlshaber des Zentrums oder zum Oberkommandierenden aller bulgarischen Südarmeen ernannt. Zu seinem Unterkommandierenden ( = Berater ?) wurde der Feldherr Leon, wohl einer der zu den Bulgaren geflüchteten Offiziere des Kaisers Nikephoros (s. hier S. 239), bestimmt. Mit dem Kommando des rechten Flügels, der beim heutigen Stara Zagora begann und sich wahrscheinlich nach Süden ausdehnte, wurde der Ičirgu Boilas Tuk beauftragt, seine Unterkommandierenden bzw. Berater wurden die Feldherren Vardan und Johannes, wohl wieder Flüchtlinge aus Byzanz. Der linke Flügel, der an der Schwarzmeerküste von Anchialos nach Süden bis Sozopolis und Ranuli [47] stationiert war, wurde dem Kapkhan Iratais übertragen, wiederum mit zwei Unterkommandierenden, den Feldherren Kordyles und Gregoras, die ebenfalls unter Nikephoros zu den Bulgaren übergetreten waren. Die Kerntruppen bzw. die Angriffsarmee befehligte Krum selbst, was jedoch die Inschrift nicht erwähnt [48]. Beide Heere standen einander 15 Tage lang untätig gegenüber. Krum wollte wegen der überlegenen Stärke und vorteilhaften Stellung des Feindes den Kampf nicht beginnen. Die Byzantiner hatten Stellung auf den Höhen eingenommen, die Bulgaren befanden sich dagegen m Tal. Beide Armeen wurden von der Sommerhitze geplagt. Deshalb schlugen Johannes Aplakes und der Patrikios Leon, der Stratege der kleinasiatischen Truppen, dem Kaiser vor, den Kampf zu eröffnen. Unter dem Einfluss seiner Berater lehnte er jedoch den Vorschlag ab. Dann entschied Johannes Aplakes eigenmächtig, die Bulgaren anzugreifen. Am 22. Juli 813 begann die Schlacht. Zunächst hatten die Byzantiner Erfolg.

 

 

47. Das hier erwähnte Ρανούλη erinnert an die Festung Ρακούλη bei Prokop (De aedif. IV 11, bei Steph. Byzant. 26 Ρακώλη) und an die Station Ranilum in Tah Peuting. (Miller, Itineraria Rom, 537).

48. Zur Deutung der Inschrift noch Iv. Venedikov, La population byzantine en Bulgarie au début du IXe siècle, in: Byzantinobulgarica I (1962) 261-277

 

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Leon, der die geheimen Absichten hegte zu beweisen, dass der Kaiser unfähig für die Kriegskunst war und sich selbst zum Kaiser ausrufen lassen wollte, zog seine Truppen ab, statt auch in den Kampf einzugreifen [49]. Der nun allein gebliebene Johannes Aplakes konnte dem Gegenangriff der Bulgaren nicht standhalten. Er wurde nicht nur geschlagen, sondern verlor mit vielen anderen sein Leben im Gefecht.

 

Der Kaiser verliess ebenfalls das Schlachtfeld. Darauf begannen alle Truppen ohne Widerstand zu fliehen. Krum wurde zunächt von dem Abzug überrascht und dachte, dass es sich um einen Hinterhalt handelte. Deshalb hielt er seine Truppen von der Verfolgung zurück. Dann aber, als er sah, dass alle die Flucht ergriffen hatten, setzte er ihnen nach. Es entstand eine so grosse Panik, dass die fliehenden Soldaten, als sie das Getrampel der Pferdehufe hinter ihrem Rücken hörten, sich von den Bulgaren verfolgt wähnten und bis zur Erschöpfung liefen. Sie warfen ihre Waffen und Panzer auf der Strasse weg und kamen vor Hunger und Durst um. Manche erreichten einige Festungen, die Krum aber später durch Belagerung einnahm, und fielen wieder in die Hände der Feinde. Die weggeworfene Ausrüstung wurde von den Bulgaren aufgelesen. Erbeutet wurden auch der Tross und die Kaiserzelte.

 

Diese schwere Niederlage erschütterte die Lage des Kaisers Michael endgültig. Am 11. Juli 813 wurde er von den kleinasiatischen Truppen gestürtzt und ihr Stratege Leon zum Kaiser ausgerufen.

 

Unterdessen setzte Krum den Feldzug weiter fort. Er Hess seinen Bruder Adrianopel belagern, während er selbst am 17. Juli mit Fussvolk und Reiterei vor den Mauern der Hauptstadt erschien. Er ging von den Blachernen [50] bis zum Goldenen Tor [51] umher, zeigte seine Macht und vollzog magische Handlungen,

 

 

49. St. Runciman (Empire 62) vermutete, dass die Flucht Leons zwischen ihm und Krum im geheimen verabredet wurde, hierzu Browning, Notes 397-398

50. Über die Blachernen Janin, Constantinople 124-128 und 303-304

51. B. Meyer, Das Goldene Tor in Konstantinopel, in: Mnemosynon Th. Wiegand, München 1938, 87-97

 

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um die Verteidigungskraft der byzantinischen Truppen in der Stadt zu binden bzw. zu brechen (s. ausführlich darüber hier S. 385-388). Keiner wagte den Bulgarenherrscher daran zu hindern oder zu mindenst einen Pfeil gegen ihn zu verschiessen. Krum schlug sein Lager ausserhalb der Stadt bei dem Kloster der Heiligen Anargyren (Kosmas und Damianos) [52] auf. Von dort aus hatte man einen guten Weitblick auf Konstantinopel. Von diesem Kloster bis hinüber zu den Blachernen lagerte das bulgarische Heer, das die Umgebung plünderte. Krum sah ein, dass weder die Truppen für eine lange Belagerung vorbereitet waren, noch die stark befestigte Stadt, deren Mauern er nun selbst betrachten konnte, mit ihrem freien Zugang zum Meer und Kleinasien, ohne Flotte leicht zu erobern war. Darum schlug er dem neuen Kaiser vor Friedensunterhandlungen einzuleiten, wobei er im Hinblick auf seine Erfolge hoffte, den Byzantinern einen für die Bulgaren vorteilhaften Frieden auferlegen zu können. Dem Scriptor Incertus [53] zufolge verlangte Krum Tribut in Gold, eine grosse Menge teure Gewänder und eine bestimmte Zahl von ausgewählten Jungfrauen. In Einvernehmen mit seiner Regierung beschloss Leon V. sich durch eine List für immer von dem gefährlichen Bulgarenherrscher zu befreien. Er ging auf den Vorschlag ein und forderte Krum zu einer Zusammenkunft auf: Krum sollte mit einigen unbewaffneten Männern am Meer, am Ende des Goldenen Hornes, erscheinen, wohin er auch selbst auf einer Chelandie zur See ankommen werde.

 

In der Nacht versteckten sich drei bewaffnete Männer in einem der Gebäude von Galla [54] ausserhalb des Blachernentores. Sie hatten den Auftrag, sobald man ihnen ein Zeichen gab, herauszukommen und Krum zu ermorden. Der Bulgarenherrscher begab sich, ohne etwas zu ahnen, mit drei Gefährten auf den Platz der Zusammenkunft. Die Gefährten waren sein Logothet, sein Schwager Konstantin Patzikos, der vor vielen Jahren nach Bulgarien geflohen war, und dessen Sohn.

 

 

52. Janin, Constantinople 296-300, der Hügel bei der Moschee von Eyüp Sultan Camii

53. Scriptor incert. 342, 13-15

54. Janin, Constantinople 418-419

 

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Sie hatten noch drei Begleiter [55]. Alle waren, wie verabredet, unbewaffnet. Auch die Byzantiner kamen mit der Chelandie. Krum, der auf einem Pferd ritt, stieg ab und setzte sich auf die Erde. Der Sohn des Patzikos hielt das gesattelte Pferd. Während des Gespräches gab Hexabules, den versteckten Byzaninern das verabredete Zeichen, indem er seine Kopfbedeckung mit der Hand abnahm. Krum bemerkte das und nahm daran Anstoss. Er sprang von seinem Platz auf, schwang sich, von seinen Gefährten hochgehoben, auf das bereitgehaltene Pferd und trabte eilig davon. Die versteckten, bewaffneten Männer gingen hinaus, fingen an ihn zu verfolgen und verschossen Pfeile nach ihm. Sie dachten, dass sie ihn verwundet hatten [56]. Nach Theophanes [57] war er wirklich verwundet. Er erreichte ganz alleine seine Truppen. Die Byzantiner, die die Szene von den Stadtmauern aus beobachteten, riefen von dort herab: “Das Kreuz hat gesiegt”. Die drei Gefährten Krums wurden von den Leuten der Chelandie gefangen. Sie haben den Logothet auf der Stelle erschlagen, Konstantin Patzikos und seinen Sohn aber lebend weggeführt. Der sog. Logothet Krums war offenbar ein hoher Würdenträger, dessen Stellung ungefähr der des byzantinischen Logotheten entsprach. V. N. Zlatarski [58] vermutete, dass er wohl der Kapkhan war.

 

Der heimtückische Anschlag erfüllte Krum mit grenzenloser Wut und heissem Rachedurst. Er befahl dem Heer die ganze Umgebung der Hauptstadt niederzubrenen und zu verwüsten. Es wurden sämtliche grossen Kirchen in dem jenseitigen Teil der Stadt (J. Pera), die Klöster, Schlösser, Gebäude und die Vorstädte eingeäschert.

 

 

55. R. Browning (Notes 400) hält μετὰ ἄλλων τριῶν für einen späteren Zusatz.

56. Script. incert. 343, 23-24

57. Theophan. 503, 20-21. Nach Einhard (MGH. SS I 200, 38 - 201, 2) wurde Krum von Leon V. selbst schwer verwundet. Hierzu Bury, Eastern Empire 355 Anm. 1 und Zlatarski, Istorija I 1, 274 Anm. 1

58. Istorija I 1, 273 Anm. 1

 

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Eine Abteilung wurde ausgeschickt, um den Heiligen Mamas [59] zu verheeren. Dort wurden die Schlösser mit beiden Kaiserschlafgemächern niedergebrannt. Die Bulgaren zerschlugen Säulen und raubten manche bleiernen Gegenstände, der Erzlöwen des Hippodromos mit dem Bären und den Drachen des Staubeckens sowie erlesene Marmorstücke. Die Beute wurde auf Wagen geladen und weggeführt. Alle Gefangenen wurden getötet und das Vieh wurde geschlachtet. Eine andere Abteilung durchzog die ganze Küste des Bosporos, steckte alle Marktplätze in Brand, machte grosse Beute und kehrte zurück. Die Bulgaren überfielen auch den Ostteil der Hauptstadt und brannten alles nieder, was sich ausserhalb des Goldenen Tores bis Rhegion [60] befand. Von dort wandten sie sich auf der Strasse via Egnatia nach Westen an der Küste des Marmarameeres entlang. Sie rissen die Festung in Athyra [61] zusammen mit der berühmten Brücke nieder. In Selymbria und Daonion [62] zerstörten sie die Festungen, Kirchen und Wohnungen. Sie vermochten aber in Herakleia nicht einzudringen und verbrannten daher die Hafengelände und die Umgebung. In Rhaidestos [63] rissen sie nicht nur die Festung nieder, sondern steckten alle Häuser und Kirchen in Brand und ermorderten viele Menschen. Sie kamen bis Panion [64] und, da sie diese Festung nicht einnehmen konnten, verheerten sie die ganze Umgebung. In Apros [65] rissen sie die Festung nieder und steckten sie in Brand. Ausser den erwähnten Festungen wurden, nach dem Scriptor Incertus, noch viele andere niedergerissen und -gebrannt.

 

 

59. Janin, Constantinople 140, 141, 237, 473 und La géographie ecclésiastique de l’empire byzantin, I 3, Paris 1953. Die Vorstadt des H. Mamas wird mit Βesiktas identifiziert. S. auch Bury, Eastern Empire 355; Zlatarski, Istorija I 1 274 Anm.3

60. Heute Kücük Cekmece, s. Jireček, Heerstrasse 55; Tomaschek, Zur Kunde II 330. Vgl auch J. Ševčenko, Inscription commemorating Sisinnios "Curator” of Tzurolon (A.D.813) tn: Byz. XXXV (1965) 573 f.

61. Jireček, Heerstrasse 53, 102 und Tomaschek, Zur Kunde II 330 f.

62. Jireček, Heerstrasse 101 und Tomaschek, Zur Kunde II 331

63. Heute Rodosto, s. Tomaschek, Zur Kunde II 331 f.

64. Tomaschek, Zur Kunde II 332

65. ebenda 334

 

257

 

 

Unter diesen waren nach zwei protobulgarischen Inschriften noch Theodorupolis [66] und Garialla [67]. Der verheerende Rachefeldzug setzte sich weiter fort. Nach zehn Tagen erreichten die Bulgaren den Ganos-Berg [68], wo viele Menschen und fast der ganze Viehbestand verborgen waren. Sie töteten von den Menschen hauptsächlich die Männer und schickten die Frauen mit den Kindern und dem Vieh nach Bulgarien. Darauf begaben sie sich nach Hexamilion [69] und gelangten bis nach Abydos [70]. Von dort wandten sie sich in die Richtung an den Fluss Hebros und zogen nach Adrianopel hinauf. Unterwegs rissen sie alle kleinen und grossen Festungen nieder. Die Namen mancher von ihnen sind in protobulgarischen Triumphinschriften [71] verzeichnet und zwar Didymoteichos (j. Demotika), Arkadiopolis (j. Lüle Burgas), Skutarion bei Adrianopel, Burdizon (j. Baba Eski), Bukellon (j. Fikel), Bizye (j. Viza) und Sozopolis. Die letzteren Festungen wurden vielleicht schon früher erobert.

 

Als Krum bei Adrianopel ankam, wo er seinen Bruder zurückgelassen hatte um die Stadt zu belagern, verstärkte er die Belagerung [72]. Er setzte Belagerunsmaschinen ein und die Stadt fiel nach mehreren Tagen in seine Hände. Ihre Einwohner, die vor Hunger starben und auf keine Hilfe hofften, ergaben sich. Manuel, der Bischof Adrianopels, musste als der angesehenste aller Gefangenen oder vielleicht als Ersatz für den Kaiser eine gross Schmach erleiden.

 

 

66. Beševliev, PI Nr. 23 und 24

67. ebenda Nr. 25

68. Tomaschek, Zur Kunde II 332, heute Tekirdag.

69. ebenda

70. Die Stadt liegt an dem Kleinasiatischen Ufer. Die Bulgaren kamen also gegenüber von dieser Stadt, vielleicht in Koila (s. Tomaschek, Zur Kunde II 333) an. S. auch Browning, Notes 401

71. Beševliev, PI Nr. 20, 21, 26, 27, 28, 30 und 31

72. Theophan. 503, 25; Script. incert. 345, 16-21; Synaxarium 416; Menologium Basilli (Migne, PG 117) 276 D; Theophan. Cont. 216, 12 ff.; Cedren. II 184, 19 ff. Nach Theophanes Continuatus hat Krum den Frieden gebrochen. Diese Nachtricht beruht wohl auf der offiziellen kaiserlichen Version, die nicht nur die Wahrheit verschweigt, sondern auch die Ereignisse so darstellt, als ob der Bulgarenherrscher ein Kriegshetzer sei.

 

258

 

 

Den byzantinischen Triumphbräuchen zufolge wurde der Bischof auf die Erde geworfen und Krum trat ihm auf den Nacken [73]. In dem belagerten Adrianopel befand sich anscheinend keine hohe Militärperson an dem die Triumphsitte ausgeübt werden konnte. Die Einwohner Adrianopels, unter denen sich auch die Eltern des zukünftigen Kaisers Basileios I. befanden [74] und deren Zahl nach einer hagiographischen Quelle 40,000 [75], nach Georgios Continuatus [76] dagegen 10,000 war, wurden nach byzantinischem Vorbild mit ihrem ganzen Besitz nach Bulgarien jenseits der Donau übergesiedelt [77]. Damit bezweckte Krum einerseits die byzantinische Bevölkerung in Thrakien zu verringern, andererseits eine militärische Grenzeinsiedlung in dem von Überfällen bedrohten Gebiet zu schaffen.

 

Zwischen den Handlungen des Bulgarenherrschers und des Nikephoros in den besetzten Feindesländern besteht ein wesentlicher Unterschied. Während die Verheerungen und das Gemetzel der Bevölkerung Thrakiens durch die Bulgaren an erster Stelle eine direkte Folge des perfiden Anschlags auf das Leben Krums waren, lassen sich die vielen Brände und Morde des Nikephoros in Bulgarien kaum rechtfertigen. Die Entführung der Bevölkerung und des Viehs, sowie die Schleifung der Festungen Thrakiens waren nicht nur ein Akt der Rache, sondern auch militärische Massnahmen für einen wohl bereits damals geplanten zukünftigen Krieg. Sie sollten die Verteidigung Thrakiens gänzlich schwächen und das Land ausser Gefecht setzen.

 

Kaiser Leon V. machte die ganze Zeit, als Krum in Thrakien seiner Wut freien Lauf liess, keinen Versuch ihm entgegenzutreten.

 

 

73. Synaxarium 415, hierzu Beševliev, PI 270-2272

74. Georgius Contin. 216 und Moravcsik, Studia Byzantine 212, 16-19

75. Synaxarium 415 f

76. Georgius Contin. ed. Moravscik 206, 25 f.

77. Script. incert. 345, 22-23; Georg. Contin. ed. Moravcsik 206, 26, hierzu Zlatarski, Istorja I 1, 277-278 mit Anm 1; N. Bănescu, Les frontières de l’ancien Etat bulgare, in: Mémorial L. Petit (Archives de l’Orient Chrétien, I, Bukarest 1648) 4-14; A. Cirecu, Bulgarie in nordul Dunarii in veacurile IX-X lea, in: SGIM I (1950) 222-236.

 

259

 

 

Er fühlte sich hinter den Mauern Konstantinopels sicher genug und kümmerte sich nur darum, seine Herrschaft zu befestigen.

 

Zu Beginn des Winters, als heiteres Wetter eintrat und die Flüsse wasserarm waren, entsandte Krum ein Heer von 30,000 Mann, ganz in Eisen gepanzert, nach Thrakien, das ohne Widerstand bis Arkadiopolis gelangte und den Fluss Rhegina [78] überschritt. Dort machten sie viele, nach Scriptor Incertus [79] 50,000 Männer, Frauen und Kinder, zu Gefangenen, denen sie den ganzen Besitz, armenische Bettdecken [80], kostbare Teppichen, eine grosse Anzahl von Gewändern und Erzgefässen Wegnahmen. Bevor sie aber mit den Gefangenen zum Heimreise aufbrachen, fiel acht Tage lang ein starker Regen und der Fluss stieg gewaltig. Die Bulgaren blieben dort 15 Tage lang unbehelligt mit den Gefangenen bis sich das Wetter besserte und das Hochwasser sank. Sie Hessen die Gefangenen Bäume fällen und eine Brücke bauen. Darauf gingen sie mit den Gefangenen nach Bulgarien. Die Bulgaren luden die Beute in Wagen und führten sämtliche Herden, Rinder und kleines Vieh, weg. Der Feldzug sollte wohl den Zustand der Festungen und die Lage in Thrakien aufklären und die dortige Bevökerung in Spannung und Schrecken halten.

 

Im nächsten Jahr (814) beschloss Krum Konstantinopel einzunehmen. Er sammelte ein grosses Heer, das nicht nur aus Bulgaren, sondern auch aus Awaren und aus Söldnern allen slawischen Landschaften bestand. Ausserdem bereitete er allerlei Kriegs- und Belagerungsmaschinen vor. Zu ihrer Beförderung standen 5,000 mit Eisen beschlagene Wagen und 10,000 Ochsen bereit. Krum beabsichtigte die Stadt von der Westseite bei dem Blachernentor, d.h. gerade von jener Stelle aus zu erobern, wo er im vorigen Jahr überfallen wurde.

 

 

78. j. Ergene, s. Jireček, Heerstrasse 100-101

79. Script. incert. 346, 12-347, 11, hierzu I. Ševcenko, op. cit. 574 (s. hier Anm.60)

80. Die armenischen Textilien scheinen sehr geschätz gewesen zu sein. Vgl. Togan IF 149

 

260

 

 

Kaiser Leon V., der inzwischen seine Position gefestigt hatte, blieb diesmal nicht untätig. Er hatte etwas von den grossen Vorbereitungen Kr ums vernommen und schickte Kundschafter aus, die das Gerücht bestätigten. Der Kaiser sammelte auch ein grosses Heer und Techniker, denen er den Auftrag gab, eine neue Mauer vor den Blachernen zu errichten und einen breiten Graben auszuheben. Ausserdem sandte Leon Boten zu dem Deutschenkaiser Ludwig dem Frommen, um bei ihm Hilfe gegen die Bulgaren zu suchen [81].

 

Diese Vorbereitungen erwiesen sich jedoch als überflüssig. Am Grünen Donnerstag vor Ostern, d.h. am 13. April 814, starb Krum unerwartet. Aus dem Mund, den Nasenlöchern und den Ohren strömte Blut. So kam einer der hervorragendsten Bulgarenherrscher und Begründer der letzten protobulgarischen Dynastie zu seinem Ende [82].

 

Die Kunde von dem Tode Krums wurde von aus Bulgarien entflohenen Gefangenen nach Konstantinopel gebracht. Kaiser Leon V. zeigte sich auch in diesem Fall unehrlich. Er verschickte die falsche Botschaft in alle Städte und Länder, dass er die Bulgaren in der Nähe der Hauptstadt gefunden, sie verjagt und ihren Herrscher mit einem Pfeil tödlich getroffen habe [83].

 

Über die innere Tätigkeit Krums lässt sich wenig mit Sicherheit sagen, da diesbezügliche Nachrichten in den Quellen fast fehlen. Wir sind daher auf mehr oder wenig wahrscheinliche Vermutungen angewiesen. Die protobulgarische Inschrift Nr. 47 berichtet über den Rang und die Zahl der obersten Befehlshaber in dem bulgarischen Heer, die dieselben waren, die die Staatsgewalt und -leitung in ihren Händen hatten. Ander Spitze stand der Khan, dessen Bruder sein erster Helfer war. Dann kamen zwei hohe Würdenträger: der Boilas Kapkhan und der Icirgu Boilas. Unter Krum existierte also ein Dreiersystem in der Staatsleitung (s. darüber ausführlich hier S. 348).

 

 

81. Script. incert. 347, 11-348, 10. Über die Gesandshaft des Leon bei dem Deutschenkaiser s. Annales Laurissenses minores (MGH.SS I) 122, 5-13, hierzu Zlatarski, Istorija I 1, 280 Anm. 5

82. Script. incert. 348, 10-22

83. ebenda, hierzu Zlatarski, Istorija I 1, 281 Anm. 2

 

261

 

 

Ob es von Krum nach dem Vorbild anderer Türkvölker geschaffen wurde oder von früher her stammte, lässt sich nicht sagen. Die Macht des zweiten Khans, d.h. des Kapkhans, wurde, wie es scheint, stark zugunsten des ersten Khans eingeschrenkt, der nun als tätiges und wirkliches Staatsoberhaupt und als Staatsleiter auftritt. Derselbe behielt auch seine Stellung in der Religion als Hauptpriester oder Hauptschamane bei, sodass die weltliche und die geistige Macht in einer Hand vereinigt wurden, wie die magischen Handlungen vor Konstantinopel zeigen. Der Kapkhan blieb nur einer der beiden obersten Befehlshaber der Armee und zwar der erste.

 

Krum versuchte die bulgarischen Emigranten in Konstantinopel unschädlich zu machen, indem er dem Kaiser vorschlug, in den Friedensvertrag eine Klausel einzuschliessen, wonach beide Länder ihre Emigranten gegenseitig ausliefern sollten, wenn sie eine Verschwörung gegen sein eigenes Land anzettelten. Diese Klausel, auf die Krum besonders bestand, war bekanntlich die Ursache, durch die der Friedensvertrag zwischen Bulgarien und Byzanz nicht zustande kam.

 

Um den Staat innerlich noch mehr zu festigen, erliess Krum auch einige Gesetze. Einer Nachricht des Sudas [84] zufolge hat Krum die gefangenen Awaren befragt, aus welchen Ursachen ihr Staat zugrunde ging. Diese brachten mehrere vor: Die häufige gegenseitige Verleumdung, die zur Vernichtung der tapfersten und klügsten Leute führte, die Gemeinschaft der Bösewichte und Diebe mit den Richtern, die Trinksucht, die Bestechung und die Verbreitung des betrügerischen Handels. Darauf rief Krum nach derselben Quelle alle Bulgaren zusammen und verkündete ihnen folgende Gesetze: 1. Wenn einer einen anderen beschuldigt, solle seine Anklage nicht berücksichtigt werden, bevor er nicht in Fesseln verhört wurde, und wenn er sich als Verleumder und Lügner, erweise, solle er getötet werden. 2. Niemandem solle es erlaubt sein, einem Dieb Nahrung zu geben.

 

 

84. Suidae Lexicon ed. Adler s.v. Βούλγαροι.

 

262

 

 

Dem der sich erdreiste das zu tun, solle sein Vermögen entzogen werden und dem Dieb sollen seine Beine gebrochen werden. 3. Alle Weinberge sollen ausgerottet werden. 4. Es soll jedem Bettler soviel Almosen gegeben werden, dass er zur Wiederholung des Betteins keinen Anlass habe. Wer diesem Gebot zuwiederhandle, dessen Vermögen sei zu beschlagnahmen.

 

Die Glaubwürdigkeit der Nachricht des Sudas wird verschieden gewürdigt. G. I. Kazarov [85] hielt die Erzählung für erfunden. Er vermutete, dass das dritte Gesetz von der Ausrottung das Weinstockes im Zusammenhang mit dem Bericht Strabos über die Vernichtung der Weinberge bei den Dakern unter ihrem König Boirebistas steht. Dabei machte er auf die Nachricht des Theophanes aufmerksam, dass Krum bei den Gelagen aus dem Schädel des Nikephoros zu trinken pflegte. Theophanes sagt aber nicht, dass das Getränk Wein war. Gegen das erwähnte Gesetz spricht eher die Mitteilung des Vatikanischen Fragments, dass Nikephoros die Weinkeller ki ums geöffnet hatte und den Soldaten zu trinken gab (s. hier S. 242). V. N. Zlatarski [86], der die Erzählung des Sudas für glaubhaft hielt, nahm an, dass das dritte Gesetz in Wirklichkeit ein zeitweiliges Mass war. Nach Kazarov hatte die Erzählung eine moralisierende Tendenz. Er stritt die Möglichkeit jedoch nicht ab, dass Krum manche Gesetze erlassen hat. Die Gesetzgebung Krums stellte wohl eine Kodifizierung des damals geltenden Gewohnheitsrechtes dar, dessen Spuren Kazarov in den “Responsa Nicolai papae” findet. So kann die Antwort 84, die sich auf diejenigen bezieht, die falsch anklagen mit dem ersten Gesetz verbunden werden. Verdächtig ist nach demselben Gelehrten auch das Gesetz vier. Zlatarski fand, dass die ersten zwei Gesetze der Ekloge Leons III. nahestehen, die für die Verleumder das Pfählen und für die rückfälligen Diebe das Abhauen der Händen vorsah.

 

 

85. Die Gesetzgebung des bulgarischen Fürsten Krum, in: BZ 16 (1907) 254-257, derselbe, Po văprosa za Krumovite zakoni, in: Per. sp. LXXXI (1910) 466-468;

86. Istorija I 1, 287-287 und 420-424

 

263

 

 

Wie dem auch sei, die Erzählung des Sudas ist offenbar ein Widerhall der Massnahmen Krums zur Hebung der Moral in Bulgarien [87], die wohl während der Feldzüge Konstantins V. sehr gesunken war. Dass Krum auf Gesetzlichkeit hielt, zeigt sein Vorschlag, nach dem der Friedensvertrag mit Byzanz eine Klausel für den Aussenhandel enthalten sollte, um den Schmuggel zu beseitigen und den damit verbundenen illegalen Handel zu unterbinden.

 

Besondere Aufmerksamkeit wandte Krum den Slawen zu, die auf dem Territorium Bulgariens ihre Wohnsitze hatten. Sie standen ihm in Kriegszeiten treu bei. Er bemühte sich auch in Friedenszeiten gute Zusammenarbeit mit ihnen zu pflegen. Bei den Friedensunterhandlungen 812 war der Slawe Dargamer [88], Bevollmächtiger Krums in Konstantinopel. Dieser Slawe war wohl eine hochgestellte Persönlichkeit in der Staatsregierung oder ein hochangesehener, zuverlässiger Vertrauensmann Krums. Zur Teilnahme an den festlichen Gelagen wurden auch die slawischen Stammesführer eingeladen, die Krum aus dem kostbaren Schädelbecher des Nikephoros auf die Gesundheit trinken liess.

 

Krum siedelte Gruppen von den durch ihn unterworfenen Völkern in die Grenzgebiete über, um die Grenzverteidigung zu sichern. So wurde nach seinem Sieg über die Awaren ein Teil von ihnen wohl als Grenzbevölkerung zur bulgarischbyzantinischen Grenze übergesiedelt, der neben den Slawen aktiv mitwirkte an der Niederlage des Nikephoros (s. hier S. 244). Sie sollten später (814) auch an dem Feldzug gegen Konstantinopel teilnehmen (s. hier S. 260). In das Grenzgebiet jenseits der Donau wurden Griechen aus Adrianopel und Thrakien ausgesiedelt (s. hier S. 259). Die gewaltsame Aussiedlung der griechischen Bevölkerung aus Thrakien erscheint wie eine Antwort auf die Ansiedlung von Armeniern und Syrern durch Konstantin V. und der Griechen unter den Slawen durch Nikephoros.

 

 

87. S. noch N. Blagoev, Krumovite zakoni, in: Spisanie na juridičeskoto družestvo iV (1904) 308-326; S.S. Bobčev, Krumovoto zakonodatelstvo, in: IID II (1906) 3-29

88. Theophan. 497, 16-18. Über den Namen M. Vasmer, Die Slawen 289

 

264

 

 

Die Umsiedlung der Bevölkerung war eine byzantinische Gepflogenheit, die sie von Rom geerbt hatten und die sowohl Karl der Grosse als auch Krum von Byzanz übernommen haben [89].

 

Krum nahm auch gern byzantinische Überläufer auf, wenn sie ihm von Nutzen sein konnten. Viele byzantinische Offiziere wurden im Jahre 809 von Kaiser Nikephoros gezwungen, zu Krum zu fliehen. Unter ihnen war auch der bereits erwähnte Spatharios Eumathios, ein ausgezeichneter Mechaniker. Zu Krum lief ein Araber, ebenfalls ein erfahrener Mechniker, über, der, wie oben erwähnt, die Bulgaren die Bautechnik der Belagerungsmaschinen lehrte. Im Jahre 811 floh Byzantios, der vertraute Diener des Kaisers Nikephoros, bekanntlich aus dem byzantinischen Heer bei Markellai nach Bulgarien. Ein gewisser Konstantin Patzikos lief, es ist unbekannt wann, von Byzanz zu Krum über und wurde nicht nur sein Vertrauter, sondern sogar sein Schwager [90]. Die byzantinischen Strategen Leon, Vardanes, Johannes, Kordyles und Gregoras, die nach der protobulgarischen Inschrift Nr. 47 die Stellung der Unterfeldherren in der bulgarischen Armee einnahmen, gehörten wohl den 809 zu Krum übergelaufenen byzantinischen Offizieren an. Der Friedensvertrag von 815 erwähnt ausdrücklich geflüchtete byzantinische Strategen (s. hier S. 278 und 452). Alle diese Überläufer fanden in Bulgarien gute Aufnahme. Manche von ihnen missbrauchten jedoch später das Vertrauen der Bulgaren.

 

Krum beabsichtigte, wie es scheint, die von Nikephoros eingeäscherte Pliska wiederaufzubauen und mit Kunstwerken zu schmücken. Zu diesem Zweck führte er manche Meisterwerke aus der Umgebung Konstantinopels weg (s. oben 257).

 

Um seine Kriegstaten zu verewigen liess Krum die Namen der von ihm eroberten Festungen in Thrakien und der Schlachtfelder, auf denen er Siege errungen hatte, in Säulen einmeisein.

 

 

89. W. Ohnsorge, Auswirkung 86-102

90. Script. incert. 343, 7 f.

 

265

 

 

Diese Triumph- bzw. Siegessäulen, von denen mehrere erhalten sind, wurden wohl in Pliska aufgestellt. Aus der Zeit Krums stammen auch zwei hochwichtige, aber schlecht erhaltene Inschriften, die auf beiden Seiten einer Antiken Ara eingemeiselt sind. Die Ara stand auf einem Grabhügel bei Versinikia. Die Inschrift auf der rechten Seite erzählt die Kriegserfolge Krums und beschuldigt Nikephoros des Friedensbruches (s. hier S. 449). Auf der linken Seite steht die bereits mehrmals erwähnte Inschrift über die Dislokation der bulgarischen Truppen vor der Schlacht bei Versinikia. Sowohl die erste Art der Inschriften als auch die zweite gehören den Anfängen der bulgarischen Literatur an und zeigen, dass Krum Verständnis für die historische Erziehung der Nachkommen und das Schrifttum überhaupt hatte.

 

Seine wiederholten Friedensangebote zeugen von einem gesunden staatsmännischen und realistischen politischen Sinn. Sie bezweckten nicht nur die Feindseligkeiten zwischen den beiden benachbarten Ländern einzustellen, sondern auch den Bulgaren den Besitz der eroberten Gebiete zu sichern und die normalen Beziehungen zu dem mächtigen byzantinischen Reich dauerhaft zu regeln. Krum begriff sehr wohl, dass seine Kriegserfolge nur durch einen Friedensvertrag eine definitive Form annehmen konnten. Er hat wie seine Vorgänger Teleryg und Kardam eingesehen, dass eine Erweiterung Bulgariens nur in westlicher bzw. südwestlicher Richtung möglich war, wo die Gebiete im Hinblick auf die damaligen Grossmächte gewissermassen als Niemandsland gelten konnten, wo seine Eroberungen wegen der slawischen Bevölkerung dauerhaft sein dürften und wo Byzanz ihm Wohl freie Hand lassen würde. Die Feldzüge Krums nach Süden hatten mehr zeitlichen, demonstrativen und Verteidigungscharakter. Denn die byzantinische Regierung würde augenscheinlich nie zulassen, dass sie Konstantinopel verlor oder dass ihr Hinterland stark verkleinert würde.

 

266

 

 

 

12. Die Nachfolger Krums: Dukum und Ditzevg

 

Quellen: Synaxarium 414-416; Menologium Basilii ( = Migne PG 117) 276 D-277 A; Theophanes Continuatus 24, 9-25; Genes. 12-13; Cedren. II 53, 4-54, 5

 

Literatur: Zlatarski, Istorija I 1, 292-294, 297-299 und 424-430; H. Grégoire, Les sources épigraphiques de l’historire bulgare, in: Byz. 9 (1934) 762-767; I. V. Laurent, Echos d’ Orient 38 (1939), 8, 13-14; V. Beševliev, Eine nicht genügend anerkannte hagiographische Quelle, in: Festschrift Dölger Polychronion 90-104

 

 

Der jähe Tod Krums stellte Bulgarien vor mehrere unaufschiebbare Aufgaben, die sobald wie möglich gelöst werden mussten: 1. die Thronfolge, 2. die Fortsetzung des Krieges, 3. der Friede und 4. das Unterbinden der Wühlarbeit der zahlreichen gefangenen Christen.

 

Der Nachfolger wurde Dukum [1], dessen verwandtschaftliche Beziehungen zu Krum sich aus der betreffenden Quelle nicht erkennen lassen. Er war jedoch allem Anschein nach sein Bruder. Bei den Bulgaren konnte der Sohn oder der Bruder des verstorbenen Khans sein Nachfolger werden (s. hier S. 337). Beim unerwarteten Tod Krums, der ihn mitten in den umfangreichen Vorbereitungen zu einem neuen Kriege gegen Byzanz dahinraffte, hatte sein Bruder (s. hier S. 254) eine grosse Militärmacht in seinen Händen [2] und war wohl in die Pläne des verstorbenen Bulgarenherrschers gut eingeweiht. Unter diesen Umständen war er ohne Zweifel der gegebene Nachfolger Krums.

 

 

1. Synaxarium 415, 9. Die Glaubwürdigkeit der Nachrichten aus dieser Quelle wurde zu Unrecht bestritten, s. V. Beševliev, Hagiographische Quelle, 90-98, vgl. auch Moravcsik, Studia Byz.antina 157-158 mit Lit.

2. Theophan. 503, 6-7: Κροῦμμος.. καταλιπὼν τὸν ἴδιον ἀδελφὸν μετὰ τῆς ἰδίας δυνάμεως παλιορκεῖν τὴν Ἀδριανούπολιν.

 

267

 

 

Er war der geeignetste Mann in Bulgarien dessen Ziele, die Eroberung Konstantinopels, zu erreichen. Der in der Chronik des Theophanes nicht bei Namen genannte Bruder Krums war wahrscheinlich Dukum. Bei der Wahl des Nachfolgers von Krum siegte also das Prinzip der Senioratserbfolge. Dem neuen Khan aber war nicht beschieden lange Zeit zu regieren. Denn Dukum starb nach einer Regierung von etwa einem bis anderthalb Monaten.

 

Sein Nachfolger wurde Ditzevg [3], der entweder ein zweiter Bruder Krums oder sein ältester Sohn war. Die in Thrakien von Krum konzentrierten bulgarischen Truppen begannen von neuem dieses Gebiet zu verheeren. Sie beraubten die Felder, führten viele Menschen und Tiere weg und äscherten die Wohnungen ein [4]. Der Umstand dass die Felder beraubt wurden, zeigt, dass die Kriegsoperationen Ende Mai oder Anfang Juni stattfanden. Kurz vor oder nach dieser Zeit bestieg Ditzevg den Thron. Um den Verheerungen ein Ende zu machen, schlug der byzantinische Kaiser Leon V. dem Bulgarenkhan vor, einen Frieden zu schliessen, wobei wohl nach dem Tode seines erbitterten Feindes Krum auf leichtere Friedensbedingungen hoffte. Der Herrscher der Bulgaren lehnte das Angebot jedoch hochmütig ab. Er wünschte wohl die Pläne Krums, einen Feldzug gegen Konstantinopel, zu verwirklichen. Der Kaiser sah sich deswegen gezwungen, einen Feldzug gegen ihn zu unternehmen. Ein Feldzug zu Land durch Thrakien schien jedoch zu gefährlich, da sich dort die Haupttruppen der Bulgaren befanden und die meisten Festungen niedergerissen waren.

 

 

3. Synaxarium 415, 11. In der slawischen Übersetzung des Synaxariums (Hr. M. Loperev, Dve zametki po drevnei bolgarskoi istorii, in: Zapiski Imp. Russkago Arheologičeskago Obstestva, N.S. III, 1888, 348), s. auch Zlatarski, Istorija I 1, 293 Anm. 2 und ausführlicher in IBAD III, 1912/13, 138-142) und bei Ducange (Ch. du Fresne Sieur du Cange, Illyricum vetus et novum sive Historia regnorum Dalmatiae, Croatiae, Slavoniae, Bosniae, Serviae atque Bulgariae, Posonii, 1746, 93, XV-XVI) und Ch. Lebeau (Histoire du Bas-empire, nouvelle édition par M. de Saint-Martin, Bd. XIII, Paris 1832, 10) lautete der Name Ditzeng und Ditzengus.

4. Theophan. Contin. 24, 9 ff.

 

268

 

 

Deshalb liess Leon nach alter Gewohneit seine Kriegsmacht nach Mesembria aussegeln und dort landen. In der Nähe der Stadt schlug der Kaiser sein Lager durch einen Wall geschützt auf, wo er untätig mehrere Tage mit den Truppen blieb. Er bezog die Verpflegung aus der Hauptstadt. Das bulgarische Heer, das gegen ihn in voller Rüstung nahe stand, litt aber an Nahrungsmangel. Der Kaiser, der einen offenen Kampf mit den Bulgaren nicht wagte, griff auch hier zu einer List. Nach Theophanes Continuatus [5] ging Leon eines Nacht mit einer Abteilung Soldaten aus und legte sich auf einem Hügel in einen Hinterhalt. Er sorgte dafür, dass sich das Gerücht verbreitete, er sei geflohen. In der folgender Nacht überfiel er die Bulgaren, die unbewaffnet und fahrlässig schliefen, da sie glaubten, dass der Kaiser die Flucht ergriffen habe. Er metzelte sie alle nieder. Seit dieser Zeit wurde der Hügel, auf dem Leon sich versteckt hatte, “Leonshügel” genannt. Nach Genesius [6] aber trug sich die Niederlage der Bulgaren anders zu. Als zwischen beiden Armeen ein heisser Kampf entbrannte, zog sich der Kaiser scheinbar mit seinen Truppen zurück. Die Bulgaren setzten den Byzantinern nach. Plötzlich kehrte der Kaiser um und brachte den Bulgaren eine schwere Niederlage bei. So hat er den Bulgarenherrscher besiegt. Nach dem Siege zeigte sich der Kaiser den beiden Quellen zufolge sehr grausam. Er liess nicht nur Erwachsene, sondern auch unmündige Kinder ermorden, die letzteren wurden auf Steine und den Boden geschlagen. Beide Berichte geben offenbar zwei verschiedene Versionen wieder [7]. Theophanes Continuatus erzählt das, was sich tatsächlich oder annähend zugetragen hat. Der Bericht des Genesius beruht dagegen anscheinend auf den Kriegsberichten des Kaisers Leon, die seine Taten verherrlichen und ihn als einen tapferen und ruhmvollen Krieger darstellen [8]. Deshalb verdient die Erzählung des Theophanes Continuatus mehr Vertrauen.

 

 

5. ebenda 24, 9-25, 19

6. Genes. 12-13, Hierzu Zlatarski, Istorija I 1, 426-427

7. Zlatarski, Istorija I 1, 298,1 und 425-429

8. Vgl. seine lügenhafte Botschaft über den angeblich von ihm persönlich getöteten Krum (s. hier S. 261)

 

269

 

 

Der Feldzug fand wahrscheinlich im Spätherbst oder zu Beginn des Winters 814 statt, was den Mangel an Nahrung bei den bulgarischen Truppen gut erklärt.

 

Die Niederlage der Bulgaren hatte schlechte Folgen, sowohl für die byzantinischen Gefangenen und die entführte Bevölkerung, als auch für die übrigen Byzantiner, die in bulgarischem Dienst standen. Der besiegte Khan liess seine Wut an ihnen aus. Sie wurden, wie es scheint, zu Recht oder zu Unrecht des Hochverrates bezichtigt und wohl für schuldig an der Niederlage erklärt. Die Kämpfe Krums mit Byzanz und seine Siege machten aus Bulgarien einen gefährlichen, vielleicht den damals gefährlichsten Feind des hochchristlichen Reiches. Der Hort des Christentum wurde bedroht. Der Feind musste mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln vernichtet werden. Bei dem misslungenen Mordanschlag auf Krum (813) vor den Toren Konstantinopels rief das Volk jubelnd von der Stadtmauer: “Das Kreuz hat gesiegt” [9]. So verwandelte sich der Krieg gegen die Bulgaren in einen Kreuzzug. Alle guten Christen sollten mithelfen. Bezeichnend dafür ist besonders die Aufforderung des Mönches Theodoros von Studion: “Wir fordern auch jetzt die Kaiser zu dem gleichen auf: Sie sollen sowohl Skythen ( = Bulgaren) als auch Araber bekriegen und sie nicht schonen” [10]. Gegen die Bulgaren konnte man nicht nur offen auf dem Schlachtfeld kämpfen, sondern auch hinterlistig in ihrem eigenen Lande. Die unzähligen byzantinischen Kriegsgefangenen, Deportierten und Überläufer in Bulgarien Hessen sich unschwer unter dem Deckmantel des Christentums für die Sache Byzanz gewinnen. Viele von der letzteren Kategorie hatten allerdings in dem Gastland gute Stellungen erhalten. Trotzdem hingen manche von ihnen immer noch an ihrer alten Heimat und waren dem Christentum ergeben. Was die byzantinischen Gefangenen betrifft, blieben die meisten selbstverständlich dem Byzantinischen Reich treu. Viele unter ihnen trieben gern Spionage und unterrichteten Konstantinopel über die Dinge in Bulgarien.

 

 

9. Script. incert. 343, 21

10. Migne PG 99 col. 1485 A-B

 

270

 

 

So haben z.B. im Jahre 813 zwei aus Bulgarien entflohene byzantinische Gefangenen dem Kaiser die Absicht Krums, Thrakien heimlich zu überfallen und zu plündern, überbracht [11]. Einige Monate später wurde der Kaiser, wohl wieder durch byzantinische Gefangene, von den grossangelegten Vorbereitungen Krums für einen neuen Krieg gegen Byzanz in Kenntnis gesetzt [12]. Schliesslich haben die Byzantiner den Tod Krums ebenfalls von entflohenen Gefangenen erfahren [13]. Die byzantinischen Gefangenen haben sicher auch andere unerlaubte Tätigkeiten ausgeübt, von denen wir nichts wissen, die aber mit Recht ihre Verfolgung veranlassten.

 

Sie waren auch in anderer Hinsicht gefährlich. Durch die Predigt des Christentums [14] machten sie die bulgarischen Untertanen, Bulgaren und Slawen, dem bulgarischen Herrscher und Staat untreu und gleichzeitig zu bewussten oder unbewussten Agenten von Byzanz. Manche von den byzantinischen Geheimagenten, die sich am Hofe der Bulgarenherrscher Teleryg (s. hier S. 226) befanden, waren wahrscheinlich Christen. Die Verbreitung des Christentums unter den Slawen die schon von alters her zu diesem Glauben neigten, konnte besonders schlimme Folgen haben. Die byzantinische Auffassung, wonach der Kaiser Herr des ganzen Erdkreises, von Gott auserwählt und eingesetzt war, und der Umstand, dass der ökumenische Patriarch, das Haupt der orthodoxen christlichen Kirche, seinen Sitz in Konstantinopel hatte, machte die Stellung des bulgarischen Khans unter seinen christlichen Untertanen besonders schwierig und bedenklich.

 

 

11. Theophan. 500, 2-4

12. Script. incert. 347, 11 f.

13. ebenda 348, 10-12

14. Cedren. 185 :

 

ἔνθα αὐτὸς τε ὁ κλεινὸς ἀρχιερεὺς ( = Μανουήλ) καὶ οἱ τοῦ Βασιλείου γεννήτορες καὶ τὸ σὺν τῷ ἀρχιερεῖ πλῆθος ἀνόθευτον τὴν εἰς Χριστὸν πῖστιν διατηρήσαντες πολλοὺς τῶν Βουλγάρων πρὸς τὴν ὀρθόδοξον πίστιν μετήγαγον... καὶ πολλαχοῦ τῆς Βουλγαρικῆς γῆς Χριστιανικῆς διδασκαλίας κατεβέβληντο σπέρματα.

 

Hierzu Iv. Snegarov, Hristianstvoto v Bălgarija predi pokrăstvaneto na knjaz Boris (865), in: Godišnik na duhovnata akademija V 5 (1955-1956) 195-220; M. Voinov, Njakoi văprosi văv vraška s obrazuvaneto na bălgarskata dvržava i pokrăstvaneto na băgarite, in: IIΕΙ 10 (1962) 290-291

 

271

 

 

Unter der Maske des Christentums konnte Byzanz auch weitgesteckte politische Ziele verfolgen und heimlich Umtriebe in Bulgarien unternehmen [15]. Das Christentum war schliesslich auch deshalb unerwünscht, da es die väterliche Religion der Protobulgaren gefährdete, an deren Spitze der Herrscher selbst gestanden hatte (s. hier S. 262 und 385) und an den hergebrachten Sitten und Gebräuchen rüttelte, was nicht ohne Bedeutung für die innere Eintracht und Festigkeit des Staates blieb.

 

Das erste Opfer der Wut des Bulgarenherrschers über den verlorenen Krieg war Manuel, der Erzbischof von Adrianopel, der höchste und angesehenste Repräsentant der Christen bzw. der Byzantiner in Bulgarien. Nachdem er die grösste Demütigung durch Krum erfahren hatte (s. hier S. 258), verlor er nun auch sein Leben. Der Nachfolger Krums versuchte ihn allerdings zunächst durch Güte vom Christentum abzubringen, was ihm selbstverständlich nicht gelang. Darauf übergab er ihn dem Henker [16]. Manuel wurde am 22.1.815 grausam wie die grössten Verbrecher in Byzanz [17] hingerichtet.

 

 

15. D. Obolensky, The principles and methods of Byzantine diplomacy, in: XIIe Congrès International des Etudes byzantines, Ochride 1961 - Rapports II, Belgrad 1961, 52-54, vgl. Nicolai I papae epistolae (MGH, Epistolae, VI, Karolini aevi) C 603: “Volentes ... eosdem Vulgares ... suoque imperio sub praetextu Christianiae religionis callide subiugere.” Moravcsik, Studia Byzantina 157 und Vgl. R.E. Sullivan 57; 66-67; 70.

 

16. Cedren. 185:

 

“... ὁ τούτου ( = Κροόμου) διάδοχος.. αὐτὸ τὸ γενόμενον (s. Anm. 13), καὶ τὸ τῶν Βουλγάρων γένος ἠρέμα πρὸς χριστιανισμὸν μεταφέρεται, θυμοῦ πλήρης καθίσταται, καὶ τὸν τε θεῖον ἀρχιερέα Μανουήλ καὶ τοὺς ἐξοχωτάτους τῶν περὶ αὐτὸν μετὰ θυμοῦ παραστησάμενος πρῶτον μὲν ἠπίως μεταστῆσαι ἐπειρᾶτο καὶ ὁμαλῶς τῆς ὀρθοδόξου καὶ ἀμωμήτου τῶν Χριστιανῶν πίστεως, ἐπεὶ δὲ κρείττους αὐτοὺς κατενόησε καὶ ὑποσχέσεων καὶ ἀπειλῶν, μετὰ πολλὰς αἰκίας τῷ διὰ μαρτυρίου παρέδωκε θανάτῳ.

 

17. Vgl. die grausame Hinrichtung des Usurpators Thomas: Mansi, XIV 419c: Et ipsum quidem Thomam amputatis manibus et pedibus portibulo suspendi iussimus; Genes. 42: ὁ δὲ γηθομένῳ ποδὶ κατ’ αὐχένα πατήσας αὐτὸν χειρῶν ἄμφω καὶ ποδῶν στερηθῆναι καλεύει, ἐπὶ κοντοῦ τε ἀναρτᾶσθαι πρὸς τούτῳ.

 

272

 

 

Man schlug ihm zuerst die Hände ab und spaltete dann seinen Leib in zwei Hälften. Die Überreste wurden den Hunden zum Frass vorgeworfen. Die grausame Tötung Manuels war der Anfang einer massenhaften Verfolgung der Byzantiner in Bulgarien. Zusammen mit Manuel erlitten auch andere angesehene Geistliche den Märtyrertod, unter ihnen Georgios, der Erzbischof von Debeltum, Leon, der Bischof von Nikaaia, der Bischof Petros und viele andere, deren Anzahl sich auf 377 belief [18].

 

 

18. Neben den Synaxarium und Menologium Basilii ist eine von E. Follieri (Un’ acoluta inedita per i martiri di Bulgaria dell’ anno 813, in; Byzantion XXXIII, 1963, 71-85) entdeckte und herausgegebene Messe, von Bedeutung da sie manche Einzelheiten über die Hinrichtung der Christen in Bulgarien bringt. Nach dieser Quelle waren die Hingerichteten: Τίμιοι ἱερεῖς καὶ ἱεράρχαι, στρατηγοὶ καὶ ἄρχοντες πρεσβύτεροί τε καὶ νέοι... σὺν γυναιξὶν (S. 81, Vers 116-120). Sie wurden mit Keulen und Schwert umgebracht (Τοῖς ῥοπάλοις συντριβόμενοι καὶ ὠμοτάτως τεμνόμενοι ξίφει S. 77. V. 39-40). Manuel, der Bischof von Adrianopel, wurde, nachdem man ihm zuerst die Hände abgeschlagen hatte in zwei Teile gespaltet. Dem Petros hat man den Kopf abgeschlagen und dem Leon den Bauch aufgerissen (Μανουήλ ὁ ἱερώτατος τμηθεὶς τὰς χεῖρας ἐδιχοτομήθη, καὶ Πέτρος ἱερομάρτυς τὴν κάραν τέτμηται, Λέων τε ὁ ἀρχιερεὺς ἀναρρήγνυται γαστέρα καρτερικῶς, S. 77, V. 45-50). Die Leichen der Hingerichteten lagen 40 Tage unbegraben und den Hunden zum Frass überlassen (καὶ ἐν ἡμέραις πλείοσιν ἄταφοι κείμενοι S. 77, V. 41-42; Τῶν γενναίων ἀθλητῶν ἐν τεσσαράκοντα ὅλαις ἡμέραις ὄντα τὰ θεῖα σώματα κυσὶν εἰς βρῶσιν ἐκδεδομένα S. 82, V. 146-149). Einer der Hingerichteten, Petros, erlitt den Tod zusammen mit seiner Frau (S. 79, V. 58 f.). In der Messe (Stichera und Kanon) sind über 40 Namen erwähnt, unter denen folgende 6 Namen besondere Beachtung verdienen: Ἀρτάβασδος, Ἀσφήρ (S. 76 und 210), Βαρδάνης, Κούπεργος (S. 76, V. 27), Λουβομηρὸς (S. 84, V. 217) und Χοτόμηρος (S. 76, V. 231) Die Träger der Namen Artavasdos und Vardanes sind Armenier, die wohl der von Kaiser Konstantin V. in Thrakien angesiedelten armenischen Kolonie (s. hier S. 206) angehörten. Die Namen Lubomir und Hotomir sind slawisch und demnach waren auch ihre Träger Slawen. Der Name Asfir stellt eine bisher unbelegte Form von Asfar = Aspar dar (s. F. Justi, Iranisches Namenbuch, Marburg 1906, 46 s.v. Aspar). Sein Träger könnte entweder wieder ein Armenier oder ein Protobulgare sein. Zugunsten der letzten Vermutung dürfte der Übergang a > i (vgl. ‘Hρνάχ = Irnik, bzw. Isperih) sprechen. Vgl. aber Ispor aus Aspar mit o aus a. Der Name Koupergos erinnert stark an den protobulgarieschen Namen Kouber. Die Endung -gos, die das iranische wohl hypokoristische Suffix -agos sein könnte, und die zahlreichen iranischen Namen wie Abragos, Aspurgos, Mourdagos, Maniagos usw. (s. L. Zgusta, Die Personennamen griechischer Städte der nördlichen Schwarzmeerküste, Praha 1955) machen die Identifizierung fraglich. Sowohl die slawischen als auch die eventuell protobulgarischen Namen zeigen, dass das Christentum bereits unter den Bulgaren und Slawen Fuss gefasst hatte. Die meisten hingerichteten Christen sind Geistliche, was die Vermutung nahe legt, dass ihre Hauptschuld war, das sie das Christentum unter den Bulgaren predigten. Daneben dürfte ihre Hinrichtung vielleicht auch als eine Antwort auf die von Kaiser Leon V. in Bulgarien verübten Grausamkeiten (s. hier S. 269) verstanden werden.

 

273

 

 

Hingerichtet wurden auch Laien, unter denen die beiden byzantinischen Strategen Leon und Johannes waren, die in bulgarischem Militärdienst standen. Der erstere war dem Bruder Krums und der letztere dem Ičirgu boilas Tuk unterstellt. Die Ausführung des Befehls zur Verfolgung und Bestrafung der Christen übernahm Tzok [19], der wohl mit dem Ičirgu boilas Tuk identisch sein dürfte.

 

Im Februar oder März 815 wurde der Bulgarenkhan Ditzevg blind [20]. Da er dadurch nicht mehr regieren konnte, wurde er gemäss des türkischen Brauches mit einer Schnur erwürgt (darüber s. hier S. 341-343). Dabei spielte seine Niederlage bei Mesembria vielleicht auch eine Rolle.

 

 

19. Menologium Basilli (Migne PG 117) 276 D. In einem Prolog aus dem XIV. Jh. ist Tzok “četkat” genannt (Loparev, op. cit. 348 Anm. 8, s. Zlatarski, Istorija I 1. 293 Anm. 3). Darin steckt wohl ein protobulgarischer Titel etwa cigat (vgl. bei Theophanes τζιγάτος, slawisiert cigot) oder gar ičirgu.

20. Synaxarium 415, 11

 

274

 

 

 

13. Kan sübigi Omurtag

 

Hauptquellen: Beševliev, PI; Theophanes Continuatus; Genesius; Einhardi Annales; Fuldenses Annales; Vita Hludovici imperatoris

 

Ausgewählte Literatur: Jireček, Bulgaren 100-101 (Ergänzungen 65-68), Serben I 192-194; Zlatarski, Istorija I 1, 292-331, Geschichte 32-35; Bury, Eastern Empire 360-369; Runciman, Empire 71-84; Mutafčiev, Istorija I, 160-170; Fehér, Beziehungern 129-132

 

 

Nach der kurzfristigen Regierung des Ditzevg bestieg Omurtag den Thron der bulgarischen Khane wahrscheinlich im März 815. Er war, wie alle Quellen übereinstimmend behaupten, der Sohn von Krum. Unter dem neuen Khan wurde die Verfolgung der Christen nicht nur nicht eingestellt, sondern mit zunehmender Stärke fortgesetzt. In einer Predigt teilt Theodoros von Studion [1] mit, dass man die in bulgarische Gefangenschaft geratenen Christen, darunter auch diejenigen, die bei der Niederlage des Kaisers Nikephoros (811) den Bulgaren in die Hände gefallen waren [2], während der grossen Fastenzeit vor Ostern nötigte Fleisch zu essen. Diejenigen, die sich dem Befehl widersetzen, sollten getötet werden. Der grössere Teil der Gefangenen gehorchte dem Befehl. Man konnte selbstverständlich die byzantinischen Gefangenen auf diese Weise nicht wirklich vom Christentum abtrünnig und ungefährlich machen, oder dazu zwingen ihre Beziehungen zu Byzanz abzubrechen. Man konnte sich endgültig von ihnen befreien, wenn sie und die Flüchtlinge aus Byzanz in ihr Heimatland zurückkehrten.

 

 

1. E. Auvray, Theodori parva cathechesis, Paris 1891, 220, 1-223, 5.

2. Vat. Frg. 438, 94-99, Synaxarium 838 und 848; AASS Juli V 484. Es sind zwei Christenverfolgungen zu unterscheiden. Die eine fand im Januar 815, die andere dagegen kurz nach Ostern im Mai oder Juni desselben Jahres statt.

 

275

 

 

Das Hess sich nur aufgrund eines Friedensvertrages erreichen. Den Abschluss eines Friedens mit Byzanz erforderte auch der Umstand, dass die dauernden Kriege mit dem mächtigen Byzantinischen Reich die Kräfte Bulgariens beträchtlich erschöpft hatten. Es war auch Zeit die Eroberungen Krums zu legalisieren und zu festigen. Die Beziehungen zu Byzanz mussten endlich geregelt werden, damit Omurtag seine Aufmerksamkeit den inneren Angelegenheiten Bulgariens zuwenden konnte. All dies wurde klar von ihm eingesehen. Der neue Khan benutzte das von Kaiser Leon V. unlängst (s. hier S. 268) gemachte Friedensangebot und erklärte sich bereit die Friedensunterhandlungen zu beginnen. Der Vorschlag des Bulgarenherrschers wurde von dem Kaiser mit Freude begrüsst und ein Friedensvertrag für 30 Jahre endlich wohl in Konstantinopel 815 oder Anfang 816 abgeschlossen. Die lange Frist von 30 Jahren, in die das Byzantinische Reich selten einwilligte [3], zeigt, dass der Kaiser auch einen langfristigen Frieden nötig hatte. Die Friedensbedingungen sind nur teilweise aus einer stark fragmentierten protobulgarischen Inschrift (Nr. 41) [4] bekannt, in der nur diejenigen Vereinbarungen niedergeschrieben sind, die sich auf den byzantinischen Kaiser, nicht aber die, die sich auf den bulgarischen Herrscher beziehen. Denn jeder der vertragschliessenden Staaten verwahrte gemäss der damaligen internationalen Gepflogenheit schriftliche Unterlagen über die Bedingungen des Vertrages und die Verpflichtungen, die der Partner übernommen hatte. Die Inschrift enthielt also nur die byzantinischen Verpflichtungen.

 

In dem erhaltenen Anfangsteil der Inschrift wird mitgeteilt, dass der Vertrag auf dreissig Jahre geschlossen wird und aus elf Kapiteln besteht, von denen nur die ersten fünf erhalten sind. Das erste Kapitel behandelt die Festsetzung der Grenze zwischen Bulgaren und Byzantinern und zwar nur im Südosten. Sie begann bei der Stadt Debeltum am Schwarzen Meer, verlief zwischen zwei geographischen Punkten,

 

 

3. Beševliev, PI S. 55 mit Lit.

4. ebenda S. 190-206

 

276

 

 

deren Namen nicht erhalten sind und die eventuell beide Abrolebas (s. hier S. 3) sein dürften, und erreichte einen Fluss, der viele Brücken [5] oder Furte hatte, wahrscheinlich der Tundža-Fluss. Dann ging sie zwischen den Orten Balzina und Agathonike weiter, deren lokalisierung nich sicher ist [6], erreichte Konstantia (etwa oberhalb von Harmanli) [7] und Makri Livada (j. Uzundžova oberhalb von Haskovo) [8] und endete auf einem Berg, von dessen Namen nur die Endung μον erhalten ist [9]. Das erste Kapitel endet mit der Bemerkung: “Bis hier wurde die Grenze festgesetzt”. Die Grenze wurde also nicht im Südwesten und Westen festgelegt. Ob der übrige Grenzverlauf später in anderen Verträgen noch festgesetzt wurde, ist unbekannt. Man weiss auch nicht, in wessen Händen Philippopolis blieb. Wahrscheinlich blieb diese Stadt immer noch byzantinisch. Die in der Inschrift bezeichnete Südgrenze entspricht in grossen Zügen dem Grenzwall Erkesija (s. hier S. 476-477). Die Nachricht Michaels des Syrers, nach der Leon den Bulgaren den Sumpf abgetreten hat, um dessen Besitz sie kümpften [10], bezieht sich wohl auf den Grenzanfang bei Debeltum, das in sumpfigem Gelände lag.

 

Das zweite Kapitel bestimmt die Stellung der Slawen, die dem Kaiser untertan waren, d.h. sich auf byzantinischem Boden befanden.

 

 

5. ebenda Nr. 41,6: τ]ὰ πολὰ γεφύ[ρια], Das waren wohl kleine Holzbrücken, vgl. Lydus, De mens. III 21 p. ed. R. Wünsch: πόντην γὰρ οἱ Ῥωμαῖοι τὴν γέφυραν καλοῦσι, καὶ ποντίλια τὰ γέφύρια ξύλα.

6. ebenda 197            7. ebenda 130            8. ebenda 197

9. Man nimmt gewöhnlich an, dass hier der Name des Gebirges Hämus zu ergänzen sei. Diese Ergänzung, die auf den ersten Blick annehmlich erscheint, stösst jedoch auf grosse topographische Schwierigkeiten. Es ist nämlich unwahrscheinlich, dass die Grenze auf dem Gebirge Hämus weit nördlich geendet hat, ohne dass dabei andere topographische Punkte erwähnt werden. Vom geographischen Standpunkt aus sollte man die Erwähnung des Rhodopengebirges bzw. eines seiner Gipfel erwarten. Die erhaltene Endung - μον könnte der Ausgang eines Adjektivs auf - μος wie διάσημος, ἐρῆμος usw. sein.

10. Chronique III 1, 26: “Léon fit la paix avec les Bulgares, en leur abandonant le marais pour laquel il combattaient”.

 

277

 

 

Sie sollten so bleiben, wie sie angetroffen worden sind, als der Krieg ausbrach, d.h. sie sollten nicht gemäss dem byzantinischen Brauch aus - oder übergesiedelt werden. Bemerkenswert ist die grosse Anteilnahme der Bulgaren an dem Geschick der Slawen in Byzanz. Das Interesse an der slawischen Bevölkerung wurde von zwei Umständen diktiert. Der bulgarische Staat war einerseits wegen der Slawenstämme, die ihre Wohnsitze auf seinem Boden hatten, der einzige slawische zu jener Zeit, dem das Geschick der Slawen ausserhalb seiner Grenzen nicht gleichgültig sein durfte. Das slawische Element war andererseits von grosser Bedeutung für die zukünftige Ausdehnung des bulgarischen Staates. Diese Ausdehnung konnte nur in den von Slawen bewohnten Gebieten leicht und sicher geschehen.

 

Das dritte Kapitel handelt von den Slawen, die dem Kaiser nicht untertan waren und ihre Wohnsitze im Küstengebiet hatten. Der Kaiser sollte sie in ihre Dörfer zurückschicken. Das waren wohl die Slawen, die vor oder während der Kriege entführt oder ausgesiedelt wurden. Das erwähnte Küstengebiet lag offenbar am Schwarzen Meer, wo sich die Wohnsitze der Severen befanden. Das vierte Kapitel befasst sich mit den entführten und kriegsgefangenen Byzantinern. Das Lösegeld wird bestimmt, durch dessen Zahlung die Turmarchen, Spatharien und Komiten befreit werden sollten. Die einfachen Soldaten werden Mann gegen Mann eingetauscht. Das Kriegsvolk in den Festungen wird gegen zwei Ochsen befreit und zwar unter bestimmten Bedingungen, die nicht erhalten sind. Es handelt sich um die byzantinischen Soldaten, die bei dem Rückzug Krums aus Konstantinopol (813) den Bulgaren in die Hände fielen (s. hier S. 254) [11].

 

Das fünfte Kapitel, von dem nur der Anfang in der Inschrift erhalten ist, bezog sich auf die desertierten Strategen.

 

 

11. Script. incert. 339,9 f.: ἄλλοι δὲ καταφθανόμενοι εἰσῆλθον εἰς κάστρα τινά, ὕστερον δὲ παρακαθίσαντος τοῦ Βουλγάρου καὶ παραλαβόντος πάντας.

 

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Hier bricht die Inschrift ab. Es bleibt daher unbekannt, was der Vertrag für sie vorsah.

 

Die Grundlage des 30-jährigen Friedensvertrages bildete wohl das Friedensangebot Krums aus 812, da sowohl die Inschrift als auch das Angebot zwei gemeinsame Klauseln, über die bulgarisch-byzantinische Grenze in Thrakien und über die Deserteure, haben. Demnach ist zu vermuten, dass der Vertrag auch Handelsvereinbarungen enthalten hat.

 

Der Friedensvertrag wurde durch gegenseitige Eide bekräftigt. Die Bulgaren legten den Eid gemäss der christlichen, der byzantinische Kaiser Leon dagegen legte ihn gemäss der bulgarischen Religion, ab (s. hier S. 376-380). Eine Ergänzung zu der kurz erörterten Inschrift scheint ein Fragment einer anderen protobulgarischen Inschrift (Nr. 42) [12] zu sein, das das Ende des ersten und den Beginn des zweiten Kapitels enthält. Das erste Kapitel beschäftigt sich wieder mit Grenzfragen. Es handelt sich, soweit man aus dem Erhaltenen schliessen darf, um die Festsetzung “dauerhafter” Grenzen. Das zweite Kapitel bezieht sich wieder auf die Stellung der Slawen, die dem Kaiser und dem Bulgarenherrscher untertan waren. Sie sollten so bleiben, wie sie früher waren.

 

Durch den Abschluss des 30-jährigen Friedensvertrages, der von beiden Ländern in der vereinbarten Frist eingehalten wurde, regelte Omurtag nicht nur die Beziehungen mit Byzanz, dauerhaft, sondern löste gleichzeitig, jedenfalls teilweise, die Frage der zahlreichen gefangengenommenen, entführten und übergelaufenen Byzantiner, der unerwünschten Prediger des Christentum und der Agenen des Byzantinischen Reiches in Bulgarien. Gemäss dem Friedensvertrage wurde auch ein grosser Teil der aus Adrianopel entführten Byzantiner befreit, wie eine Anekdote von der Begegnung Omurtags mit dem als kleines Kind heimkehrenden zukünftigen byzantinischen Kaiser Basileios I. zeigt, deren Geschichtlichkeit allerdings mit Recht abgesprochen wird [13].

 

 

12. Beševliev, PI 206-208

13. Gy. Moravcsik, Studia Byzantina 163-165

 

279

 

 

Omurtag wandete nun seine Aufmerksamkeit den inneren Angelegenheiten des Staates zu. Von grösster Wichtigkeit war die Frage der zukünftigen Beziehungen zwischen Bulgaren und Slawen und des dauerhaften Zusammenschlusses zwischen den beiden grundlegenden ethnischen Elementen des bulgarischen Staates. Dieser Zusammenschluss musste Bulgarien in einen einheitlichen bulgarisch-slawischen Staat verwandeln. Die von Anfang an bestehenden Beziehung zwischen den Bulgaren und Slawen als zwei fast selbständige, verbundene Elemente, wobei die Bulgaren die erste Stelle einnahmen, wurden auch unter Krum beibehalten. Das lässt sich nicht nur aus dem Umstand erschliessen, dass die Slawen getrennt von den Bulgaren in den Quellen auftreten, sondern auch aus der Tatsache, dass sie in den Kämpfen Krums gegen Byzanz neben den Awaren als Söldner der Bulgaren erscheinen. Dieser Zustand barg jedoch manche Gefahren in sich. Die Slawen konnten bei manchen Gelegenheiten, wie z.B. der Bildung eines rein slawischen Staates, von den Bulgaren abfallen oder sich aussiedeln, was sich auf das weitere Bestehen des bulgarischen Staates verhägnisvoll ausgewirkt hätte. Um eine solche Möglichkeit auszuschliessen stellte Omurtag die Slawen im Namen der gemeinsamen Staatsinteressen in grössere Abhängigkeit von der obersten Gewalt. Besondere Aufmerksamkeitf erforderte auch der Umstand, dass das Christentum sich unter den Slawen zu verbreiten begann, das bereits vor der Ankunft der Bulgaren unter der byzantinischen Herrschaft Wurzeln bei ihnen gefasst hatte.

 

Die Stammesführer der Slawen, die sog. Županen [14], wurden, wie es scheint, einem Hauptžupanen unterstellt, der ein Bulgare war. Eine protobulgarische Gedenkinschrift aus der Zeit Omurtags (Nr. 60) erwähnt einen gewissen Šun (Χσουνος), der ζουπάν ταρκανος war. Sowohl der Name als auch der Titel Tarkan zeigen, dass es sich um einen hohen bulgarischen Würdenträger handelt.

 

 

14. K. Jireček, Serben 1,127-128, vgl. Moravcsik, ByzTurc. II 131 f. mit Lit. s. noch Beševliev PI 288 mit Lit. und Silberschale, 1-9

 

280

 

 

In einer zweiten in protobulgarischer Sprache verfassten Inventarinschrift aus derselben Zeit (Nr. 52) ist der Župan einem hohen bulgarischen Würdenträger zitko itzirgu boilas unterstellt. Und schliesslich erwähnt eine protobulgarische Inschrift auf einer Silberschale aus einer christlichen Zeit (wahrscheinlich unter Boris I.) den Bulgaren Sivin, Grossžupan von Bulgarien. Aus diesen schriftlichen Denkmälern lässt sich ersehen, dass mehrere höhere Županen bulgarischer Herkunft vorhanden waren, denen die slawischen Županen wohl unterstellt waren. Die grösserere Abhängigkeit der Slawen von der obersten Gewalt gefiel den freiheitsliebenden Slawen anscheinend nicht. Die Slawenstämme: die Timočanen, Abodriten oder Praedenecenti und die Slawen von Braničevo (röm. Viminacium), die sich fern vom Zentrum des bulgarischen Staates befanden und an den Grenzen lebten, fielen von der bulgarischen Gemeinschaft ab und wandten sich 818 an den Deutschenkaiser Ludwig den Frommen in Heristall mit der Bitte, er möchte sie unter seine Hoheit auf nehmen, unter den gleichen Bedingungen wie die pannonischen Slawen [15]. Es ist schwierig zu sagen, ob der Abfall der Timočanen die Ursache oder die Folge der neuen zentralistischen Politik Omurtags war. Ljudevit, der Herzog von Niederpannonien, der direkt dem fränkischen Markgrafen Kadolah untergeordnet war, begann 819 einen grossen Aufstand gegen die Franken, unterstützt von den Timočanen. Ljudevit unterlag und die Timočanen wurden 823 von den Franken unterworfen [16]. Ein Jahr vorher schickten die Abodriten und die Slawen von Braničevo Boten zu Kaiser Ludwig in Frankfurt, die ihm ihre freiwillige Unterwerfung verkündeten.

 

Im Jahre 820 wurde der byzantinische Kaiser Leon V. ermordet und Michael der Amorier zum Kaiser ausgerufen. Im Zusammenhang mit diesem Thronwechsel in Byzanz steht wohl ein Fragment einer protobulgarischen Inschrift aus dem Jahre 820, das den Schlussteil eines Vertrages enthält (Nr. 43).

 

 

15. Einhardi, Annales, an. 819, p. 205,17-25; Vita Hludowici 623,43-624,10

16. ebenda, an. 819, p. 205, 41-206, 12, hierzu G. Fehér, Beziehngen 110 131, A. Kollautz, Franken 266; Bury, Eastern Empire 88-110; E.E. Lipsic, Vosstanie Fomi slavjanina in: VDI 1 (1936) 352-365

 

281

 

 

Das Fragment erwähnt einen gewissen Τζυκος, der mit dem Tzok (s. hier S. 274) identisch sein dürfte. Er war einer der Unterhändler. Durch diesen Vertrag wurde wohl der 30-jährige Frieden mit dem neuen byzantinischen Kaiser bestätigt und erweitert.

 

Thomas, ein Kleinasiatischer Slawe und ehemaliger Waffengefährte des Kaisers Michael II., erregte 821 einen gewaltigen Aufstand in Kleinasien, der einen sozialen und religiösen Charakter hatte [17]. Thomas erklärte sich zum Beschützer der Armen, denen er die Befreiung von dem Steuerdruck und anderen Lasten versprach. Um ihn sammelten sich Araber, Armenier, Iberer, Perser, Slawen und andere. Bald erhob sich fast ganz Kleinasien und Thomas wurde vom Patriarchen von Antiocheia zum Kaiser gekrönt. Auch die byzantinische Flotte trat zu ihm über, mit deren Hilfe er zur Balkanhalbinsel übersetzte. Hier fand Thomas noch Anhänger, besonders unter den Slaven, die um Thessalonike sassen. Darauf begann er Konstantinopel fast ein Jahr lang (821-822) zu belagern. Im Herbst 822 mischte sich auch Omurtag in den Kampf ein. Sei es aufgrund eines Vertrages oder mit der Einwilligung, bzw. auf die Bitte des Kaisers Michael II., fiel Omurtag in Thrakien ein und kam bis Herakleia in das Feld Kidukt ( = Aquaeduct, s. hier S. 252). Das zwang Thomas die Belagerung aufzuheben und sich gegen den neuen Gegner zu wenden. In dem entbrannten Kampf wurde er vernichtend geschlagen. Die Bulgaren begnügten sich mit diesem Sieg, machten grosse Beute und zogen nach Bulgarien zurück. Dadurch war die Macht der Aufständischen gebrochen. Thomas verschanzte sich in Arkadiopolis, wo er belagert wurde. Die Behörden dieser Festung haben ihn dem Kaiser ausgeliefert, der ihn grausam hinrichtete (s. hier S. 272 Anm. 17).

 

 

17. P. Lemerle, Thomas le Slave, in: Travaux et mémoires 1 (1965) 255-297 mit Lit.,; Ostrogorsky, Geschichte 171-172; P. Charanis, Slavic Element 79-80; A.E. Vasiliev, Byzance et les Arabes I, Bruxelles 1935, 22-49

 

282

 

 

Die Ursache für die Einmischung Omurtags war nach Theophanes Continuatus [18] der Wunsch, den 30-jährigen Frieden noch mehr zu festigen. Omurtag, der sehr wohl verstand, dass die Zukunft des bulgarischen Staates in dem Heranziehen und Anschliessen der Slawen an die Bulgaren lag, konnte nicht gleichgültig Zusehen, wie Thomas von den Slawen der Balkanhalbinsel unterstützt wurde. Denn es drohte ihm die reelle Gefahr, das beim Gelingen des Aufstandes alle Slawen auch die in Bulgarien abfielen und sich Thomas anschlossen. Im Zusammenhang damit steht die Nachricht einer protobulgarischen Inschrift (Nr. 56) aus 821/822, dass Omurtag eine Festung an dem Fluss Tiča bei dem heutigen Dorf Zar Krum errichten Hess, wohin er Truppen gegen die Byzantiner und Slawen verlegte. Dem Bulgarenherrscher missfielen offenbar auch die sozialen Beweggründe des Aufstandes.

 

Nachdem die Lage im Süden wieder ruhg geworden war, wobei keine Feindseligkeiten, weder von byzantinischer, noch von bulgarischer Seite wegen des 30-jährigen Friedens zu erwarten waren, richtete Omurtag seine Aufmerksamkeit auf die nordöstlichen und nordwestlichen Grenzen Bulgariens.

 

Einer Gedenkinschrift (Nr. 58) aus der Zeit Omurtags zufolge fand ein Kriegszug im Gebiet des Flusses Dnjepr statt, in dem Korsis, der Kopan aus dem Geschlecht Čakarar, ertrank. Andere Nachrichten über diesen Feldzug sind uns nicht zugekommen, so dass es ungewiss bleibt, wann er stattfand und gegen wen er gerichtet war. J. B. Bury [19], W. N. Zlatarski [20] und St. Runciman [21] nahmen an, dass der Feldzug gegen die Ungaren unternommen wurde, die sich um diese Zeit zwischen den Flüssen Don und der Donau befanden.

 

 

18. Theophan. Contin. 64, 19-23 und 65, 7-10; Genes. 41. Anders Georg. Ham. ed. Muralti 698, 21 hierzu Fr. Barišič, Dve verzije u izvorima o ustaniku Tomi, in: ZRVI Nr 6 (1959) 145-169; Die von Omurtag gebrachte Hilfe geschah wahrscheinlich auf Grund des erwähnten Vertrages von 820.

19. Eastern Empire 366

20. Istorija I 1, 307

21. Empire 81 Nach K. Jireček, Serben I 194, war der Zug gegen die Chazaren gerichtet. S. auch I.A. Božilov, One of Omurtag’s Memorial Inscriptions, Bălgarski istoričeski pregled I (1973) 72-76

 

283

 

 

Ernsthafter war jedoch der Zusammenstoss mit dem Staat der Franken. Die Übertretung der Slawenstämme Timočanen, Abodriten und der von Braničevo zu Ludwig dem Frommen zeigte, dass im Nordwesten ein gefährlicher Gegner auftauchte, der nicht nur die Gesamtheit Bulgariens bedrohte, sondern auch als ernster Nebenbuhler bei dem Heranziehn der Slawenstämme erschien [22]. Zunächst versuchte Omurtag die Verhältnisse zu den Franken auf friedlichem Wege zu regeln. Er schickte (824) eine Gesandtschaft zu Ludwig dem Frommen mit einen schriftlichen Friedensangebot. Der Frankenkaiser war sowohl durch den Vorschlag, als auch durch den Brief Omurtags überrascht, da die Bulgaren zum ersten Mal in offizielle Verbindung mit den Franken traten. Er schickte mit den bulgarischen Gesandten den Bayern Machelm zum Bulgarenherrscher, um die Veranlassung der Gesandtschaft zu erfahren und offenbar um diesen Staat näher kennenzulernen [23]. Im Winter 824/825 erschienen wiederum bulgarische Gesandte in Bayern mit dem Vorschlag zur Festsetzung der Grenze zwischen Bulgaren und Franken. Sie wurden jedoch in Bayern zurückgehalten, da inzwischen auch Gesandte der Abodriten eintrafen, die sich über du Bulgaren beschwerten und um Hilfe gegen sie baten. Omurtag hatte scheinbar versucht, sie vor der Festsetzung der Grenze mit Gewalt nach Bulgarien zurückzuführen. Kaiser Ludwig befahl den Gesandten der Abodriten nach dem Empfang der bulgarischen Gesandten wiederzukommen. Er wünschte offenbar die Grenzfrage in Anwesenheit beider Parteien zu verhandeln. Mitte Mai 825 empfing Ludwig in Aachen nur die bulgarischen Gesandten. Er hörte sie an, übergab ihnen einen Brief an den Bulgarenherrscher und liess sie heimkehren [24].

 

 

22. G. Fehér, Beziehungen 13If.; H. Bulin, A propos des formations politiques des Slaves à la périphérie méridionale du bassin du moyen Danube au cours du IXe siècle, in: Byz. 29 (1968), 360-378

23. Einhardi Annales, an. 824, p. 212, 7-13; Annales Fui., an 824, p. 358, 22-24

24. Einhardi Annales, an. 824, p. 212, 33-213, 15 und an 825, p. 213, 24-43; Annales Fuld., an. 825, p. 358, 34-37; Thegan (MGH SS II) 597, 22-23; Vita Hludowici 628, 39-43

 

284

 

 

Der Kaiser beabsichtigte anscheinend die Angelegenheit durch einen Briefwechsel hinauszuschieben.

 

Im Jahre 826 schickte Omurtag wieder einen Brief an Ludwig mit der beharrlichen Bitte um die Festsetzung der Grenze und, falls das nicht sein Wunsch und Wille sei, sollte jeder seine Grenze ohne Friedensvertrag schützen. Um diese Zeit drang das Gerücht zu Ludwig, dass Omurtag gestürzt oder von einem Würdenträger ermordet worden sei. Das war für ihn wieder eine Ursache die Antwort zu verschieben bis man sich erkundigt hatte, ob jenes Gerücht wahr sei. Zu diesem Zwecke wurde der Pfalzgraf Bertrich zu den Grafen Baldrich und Gerold nach Kärnten geschickt. Das Gerücht erwies sich als falsch. Kaiser Ludwig schickte jedoch die bulgarischen Gesandten ohne jede schriftliche Antwort zurück [25].

 

Der Frankenkaiser erwartete offensichtlich, dass nach diesem verächtlichen Benehmen Feindseligkeiten erfolgen würden. Die Verwalter der pannonischen Grenze, die erwähnten Grafen Baldrich und Gerold, teilten am 1. Juni in der Versammlung in Ingilenheim mit, dass sie bis zu diesem Datum nichts von irgendeinem Heranrücken bulgarischen Truppen gegen sie erfahren konnten [26].

 

Im nächsten Jahr (827), nach dreijährigen erfolglosen Versuchen Friedensverhandlungen zu führen, entschloss sich Omurtag endlich einen Kriegszug zu unternehmen. Die Bulgaren drangen mit einer Bootsflotte auf dem Fluss Drau in Pannonien ein, verheerten die Wohnsitze der dortigen Slawen, vertrieben ihre Führer d.h. Županen (eorum ducibus) und setzten bulgarische Statthalter (Bulgaricos rectores) ein [27]. Die Županen der Slawen, die nach Selbständigkeit strebten wurden also wie in Bulgarien durch bulgarische Aufseher ersetzt. Der Herzog Baldrich wurde (828) abgesetzt, da die Bulgaren wegen seiner Untätigkeit ungestraft die Länder Ober-Pannoniens verwüstet hatten.

 

 

25. Einhardi Annales, an. 826, p. 214, 12-44, Annales Fuld., an. 826, p. 359, 4-8; Vita Hludovici 629, 11-12 und 18-25

26. Einhardi Annales, loc. dt.

27. ebenda, an. 827, p. 216, 32-34 und an. 828, p. 217, 1-7; Annales Fuld., an 827, p. 359, 31-33; Vita Hludowici 931, 13-21

 

285

 

 

Gegen die Bulgaren wurde der junge Ludwig von Bayern, der Sohn des Kaisers, geschickt [28]. Es ist unbekannt, wie diese wahrscheinlich im Sommer geführten Kriegsoperationen endeten. Im Jahre 829 fuhren die Bulgaren wieder mit Booten die Drau hinauf und steckten einige zum fränkischen Reich gehörige Uferortschaften in Brand [29]. Nach einer Gedenkinschrift (Nr. 59) aus der Zeit Omurtags ertrank Negavonais, der Zera tarkan war, im Fluss Theiss wohl während einem dieser Feldzüge.

 

Es ist unbekannt, wie die Feindseligkeiten endeten und welche Beziehungen zwischen den Bulgaren und Franken danach bestanden. Der Umstand, dass (832) bulgarische Gesandte mit Geschenken bei dem deutschen Kaiser erschienen und das Gebiet des alten Sirmium (slav. Strêm) zwischen der Donau und dem unteren Lauf des Flusses Sawa mit Belgrad sich nach Omurtag in bulgarischen Händen befand, zeigt jedoch, dass endlich ein Friede zwischen Bulgarien und dem Frankenreich zustande gekommen war, und die Grenze festgelegt wurde.

 

Michael der Syrer teilt mit, dass unter dem Kaiser Theophilos (829-842) “Les Bulgares se soumirent à lui” [30]. W. N. Zlatarski [31] bezog diese Nachricht mit Recht auf den 30-jährigen Frieden, die in dem Sinne zu verstehen ist, dass Omurtag den Friedensvertrag erneuert bzw. bestätigt hat. Die Nachricht Michaels des Syrers beruht wohl auf der offiziellen Botschaf des Kaisers Theophilos, in der die Bestätigung des Friedens als Unterwerfung der Bulgaren dargestellt wurde. Es lässt sich nicht sicher bestimmen, wann Omurtag gestorben ist. W. N. Zlatarski [32] vermutete wohl mit Recht, dass das 831 geschehen ist.

 

 

28. Annales Fuld., an 828,p. 359,38-39; Hrabani Epistolae (MGH, Epistulae V) 518, 7-11

29. Annales Fuld., an. 829, p. 360, 2-3

30. Chronique III, 1, 50, vgl., auch 73: “Theophilus, empereur des Romains, en voyant que les Bulgares avaient fait leur soumission...”

31. Istorija I 1, 317            32. ebenda

 

286

 

 

Er nahm an, dass die oben erwähnte bulgarische Gesandschaft 832 bei Ludwig dem Frommen erschien, um den Thronwechsel zu verkündigen und den früher abgeschlossenen Friedensvertrag auch im Namen des neuen Herrschers zu bestätigen [33].

 

Omurtag war eine der markantesten Persönlichkeiten der bulgarischen Geschichte. Durch seine Friedensliebe, Geschicklichkeit und besonnene Innen- und Aussenpolitik, die ihm grosse Erfolge einbrachten, erwies er sich als grosser Staatsmann. Mit dem Ersetzen des Bundes- und Stammesprinzips durch das Zentralistiche in dem Aufbau und der Verwaltung des Staates, schuf er einen gesunden und starken Einheitsstaat, dessen Stabilität sich in den darauffolgenden Ereignissen deutlich zeigte. Nach Norden umfasste Bulgarien in seinen Grenzen ungefähr das heutige Rumänien. Im Westen bildeten die Flüsse Theiss und Morava die Grenze [34]. Die Grenze verlief weiter nach Süden westlich von Serdika (j. Sofia), bog nach Osten ab und erreichte das Schwarze Meer bei Debeltum, wobei Philippopel in byzantinischen Händen blieb. An Bedeutung und Macht nahm Bulgarien unter Omurtag den dritten Platz in Europa nach Byzanz und dem Frankenreich ein.

 

Um das Ansehen des Bulgarenherrschers und des Staates zu erhöhen und seine Würde der des byzantinischen Kaisers gleichzustellen, hat Omurtag manche Titel, Formen und Gepflogenheiten des byzantinischen Kaiserhofes und der Kaiserkanzlei übernommen. An erster Stelle stand der Zusatz ἐκ θεοῦ zu seinem griechischen Titel ἄρχών, dann die invocatio symbolica, d.h. das Kreuz in den offiziellen Dokumenten, ferner die Datierung nach Indiktionen, das Polychronion sowie die Institution der Kandidaten und manche Triumphalsitten wie das Setzten des Fusses auf den Nacken des besiegten Feindes usw.

 

 

33. Saxo, an. 832: Legati Bulgarorum cum muneribus venerunt.

34. P. Ratkos, K otázke hranice Vel’ky Moravy a Bulharska, in: Historicky Časopis (Bratislava) III (1965) 213 f.; J. Linderski, Alfred the Great and the Tradition of Ancient Geography, in: Speculum 39 (1964) 3, 437

 

287

 

 

(s. darüber ausführlich S. 305-306 und 381-384). Zuletzt fand man ein Goldmedaillon des Omurtag mit Inschrift: CANE SYBHΓΙ OMORTΑΓ (ein früheres, aber unentziffertes Exemplar in IRAI X, 1905, 387) und einen Goldring mit der Inschrift: Τοῦτα τ(ὰ) δακτύλι(α) δ(ίδει) ὁ ἄρχ(ων), die der bulgarischen seinen Ehrengästen wahrscheinlich nach der byzantinischen Hofsitte schenkte.

 

Alles das hatte nur äusserliche, politische Bedeutung. Um die Macht und Hoheit des Bulgarenherrschers greifbar zu demonstrieren waren andere Mittel nötig, die sowohl den Bulgaren selbst als auch den Ausländern Achtung vor ihm einflössen sollten. Das konnten nur die monumentalen Bauten erreichen, die bis heute gleichzeitig von der wirtschaftlichen und materiellen Macht und Kultur der Protobulgaren zeugen. Omurtag errichtete nicht nur in der von Nikephoros eingeäscherten und jetzt wiederaufgebauten Hauptstadt eine Reihe von Bauten, sondern auch in anderen Orten wie Dristra (j. Silistra), auf der Donauinsel Pacuiul lui Soare bei Dristra, bei dem heutigen Dorf Zar Krum usw. (s. darüber ausführlich S. 467-471), die ihn als einen grossen Bauherrn erscheinen lassen. Aus seiner Zeit stammen auch die meisten uns bekannten protobulgarischen Inschriften, die die Taten Omurtags und seiner Gefährten verewigen sollten und die als Vorläufer des bulgarischen Schrifttums anzusehen sind (s. darüber ausführlich S. 438-458). Omurtag schuf wohl auch die erste bulgarische Flussflottilie, die in den Kämpfen mit den Franken gute Dienste leistete. Er war schliesslich nicht nur das Staatsoberhaupt, sondern wie sein Vater auch der Oberpriester. Einer stark beschädigten Inschrift zufolge brachte er dem höchsten Himmelsgott Tangra (Nr. 6) Opfer. Über eine von ihm vollzogene Opferhandlung berichtet auch eine hagiographische Quelle [35] (s. hier 388).

 

 

35. Theophylacti Martyrium SS XV martyrum, PG 126, 192 b-c

 

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14. Die letzten heidnischen Herrscher

 

Quellen: Beševliev, PI Nr. 13, 14, 57 und 67; Theophylactos Achridensis (Migne PG 126, 189-201); Georgius Continuatus (editio Gy. Moravcsik in Studia Byzantina 199-210); Constantinus Porphyrogennitus, De adm. ed. Gy. Moravcsik 32, 38-42

 

Ausgewählte Literatur: K. Jireček, Bulgaren 101 (Ergänzungen 68), Bury, Eastern Empire 369-373; Zlatarski, Istorija I 1, 332-352 und 447-459, Geschichte 35-39, Runciman, Empire 292-297; Mutafčiev, Istorija 170-176; Fr. Dvornik, La Vie de St. Grégoire le Décapolite et les Slaves macédoniens au IXe siècle, Paris 1926 ; derselbe, Deux inscriptions gréco-bulgares de Philippes, in: BCH LU (1928) 125-147; H. Grégoire, Les sources épigraphiques de l’histoire bulgare, in: Byz. 9 (1934) 756-786; P. Lemerle, Philippes 134-139; Gy. Moravsik, Sagen und Legenden über Kaiser Basileios I., in: Studia Byzantina 159-163 mit Lit.

 

 

a. Malamir

 

Omurtag hatte drei Söhne: Enravotas (Ἐνραβωτᾶς), der auch den Namen Boin, d.h. Bajan [1] (ὃδς καὶ Βοΐνος ἐπωνομάζετο) trug, Zvinitza (Ζβηνίτζης) und Malamir (Μαλλωμηρός) [2]. Der jüngste von ihnen, Malamir, bestieg den väterlichen Thron. Es ist nicht bekannt, warum die beiden ersten, die älteren Söhne, in der Thronfolge übergangen worden sind. Es scheint, dass der älteste Sohn Enravotas kein Interesse für die Staatsangelegenheiten gezeigt, sondern sich religiösen Fragen gewidmet hat. Das dürfte der Grund gewesen sein, dass er den Thron nicht erbte. Nach Theophylaktos von Achrida [3]

 

 

1. Bury, Eastern Empire 369 Anm. 6

2. Theophylactos Achrid., Migne PG 126, 193 c

3. ebenda 193-196

 

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wurde er bald nach dem Tode seines Vaters von einem gewissen Kinamos in die christliche Lehre eingeweiht und zum Christentum bekehrt. Sein Bruder Malamir forderte ihn auf, den christlichen Glauben aufzugeben. Er tat dies jedoch nicht und wurde mit dem Tode bestraft. Es ist auch nicht bekannt, warum der Zweitälteste Bruder Zvinitzas gemäss dem Senioratsprinzip nicht den Thron bekommen hat. Er starb vielleicht vorzeitig. Die Nachrichten über diese Periode der bulgarischen Geschichte sind überhaupt sehr spärlich.

 

Malamir nahm nach W. N. Zlatarski [4] 831 den Thron ein (s. hier S. 287). Über seine Regierung berichtet eine unvollendete protobulgarische Inschrift aus seiner Zeit ziemlich ausführlich (Nr. 13). Dieser Inschrift zufolge regierte Malamir nicht allein. Er hatte Isbul, den Boilas Kapkhan, als Mitregent, vielleicht wegen seiner Jugend [5]. Der von seinem Vater abgeschlossene 30-jährige Friedensvertrag wurde auch von ihm eingehalten. Um 831/832 aber haben die Byzantiner bald nach der Besteigung des Thrones von Malamir den Frieden gebrochen. Sie hofften wohl auf einen leichten Sieg, da sie sahen, dass ein unerfahrener Jüngling auf dem Throne sass. Sie drangen in Bulgarien ein und verheerten manche Landschaften. Darauf zog Malamir mit dem alten, erfahrenen Feldherrn Kapkhan Isbul gegen die Angreifer aus. Sie nahmen die Festungen Probaton bei Adrianopel und Burdizon (j. Baba-Eski) ein, verwüssteten das Land der Byzantiner und erwarben grossen Ruhm. Dann haben sie sich nach Philippopel gewendet, dessen byzantinische Garnison die Stadt verliess und floh. Kapkhan Isbul und der Khan Malamir hatten eine Unterredung mit den Einwohnern von Philippopel, denen sie wohl Unverletzlichkeit versprachen, wenn sie die Stadt übergäben. Soweit berichtet die Inschrift. Über diese Begebenheiten teilt keine andere Quelle etwas mit, was aber kein Grund sein dürfte die Zuverlässigkeit der Inschrift zu bezweifeln. Die gleichzeitigen Kämpfe des Kaisers Theophilos mit den Arabern in Kleinasien und Sizilien lenkten offenbar die Aufmerksamkeit der Chronisten ab

 

 

4. Istorija I 1, 317 und 332

5. ebenda 335 und P. Nikov, Kavhan Isbul, in: Sbornik V.N. Zlatarski, Sofia 1925, 195-228

 

290

 

 

und sie versäumten den kurzdauernden Krieg in Thrakien zu verzeichen, zumal der Kaiser sich anscheinend beeilte, den 30-jährigen Frieden wiederherzustellen.

 

Die Bautätigkeit Omurtags setzte sich unter Malamir, wenn auch in bescheidenen Massstäben, fort. Nach einer protobulgarischen Inschrift aus dieser Zeit (Nr. 57) liess der Kapkhan Isbul einen Springbrunnen bauen, den er dem Herrscher schenkte. Aus diesem Anlass veranstaltete Malamir mehrmals für das Volk Festessen und machte den Boilen und Bagainen (s. über diese Adelsstände hier S. 330) grosse Geschenke. In dieser Inschrift ist die Akklamation für langes Leben besonders bemerkenswert, da sie sowohl dem Herrscher Malamir als auch seinem Mitregenten, dem Kapkhan Isbul, ein langes Leben wünscht. Das zeigt deutlich die wichtige Stellung des Kapkhans Isbul in der Regierung des Staates, die an den Maiordomus in dem Frankenstaat unter den Merowingern erinnert. Das führte aber wohl nicht zur Schaffung des Doppelkönigtums, wie es der Fall mit Kormesios war.

 

Aus der Zeit Malamirs stammt auch eine Gedenkinschrift, (Nr. 67) die zum Andenken an Boilas Bagatur Tzepa aufgestellt wurde, der ein Kolobr war (darüber s. hier S. 351 und 384-385).

 

Malamir behielt die guten Beziehungen zu den Franken bei, wie dies aus der zum Kaiser Ludwig dem Frommen (832) entsandten Gesandtschaft mit Geschenken hervorgeht.

 

Malamir starb laut Theophylaktos von Achrida drei Jahre nach dem tragischen Tod seines Bruders Enravotas. W.N. Zlatarski [6] nahm deshalb mit Recht an, dass Malamir bis 836 gelebt haben muss.

 

 

b. Persian

 

Nach dem frühen Ableben Malamirs, der anscheinend sehr jung war und keinen direkten Nachfolger hinterliess, ging der Thron auf Persian über, der ein Sohn des Zweitältesten Bruders Zvinitzas war.

 

 

6. Istorija I 1, 337

 

291

 

 

Das fand wohl im Jahre 837 statt.

 

Seine Herrschaft begann mit einem wichtigen, unvorhergesehenen Ereignis. Die von Krum aus Gebiet Adrianopels nach dem jenseits der Donau gelegenen Bulgarien übergesiedelten Byzantiner (s. hier S. 259) wurden im allgemeinen nicht in den Bedingungen des 30-jährigen Friedensvertrages eingeschlossen, und sie verblieben unter Omurtag und seinem Sohn Malamir noch weiter hin in jenem Gebiet, das sie zur Erinnerung an ihre alte Heimat Makedonien [7] genannt hatten. Sie hegten aber immer den heimlichen Wunsch in ihre alten Wohnsitze zurückzukehren. Ihre Heimkehr war auch für die byzantinische Regierung erwünscht, da sie die stark gelichtete Bevölkerung Thrakiens beträchtlich vermehren und ausserdem eine lebendige Barriere gegen alle Kriegszüge von Norden her gegen die Hauptstadt bilden konnten. Als Grenzschutzbevölkerung wurden diese Byzantiner von einem hohen Offizier verwaltet. Unter Persian, wenn nicht bereits von Anfang an, war ihr Kommandant der Stratelates Kordyles, der wohl identisch mit dem gleichnamigen Strategen in der protobulgarischen Inschrift Nr. 47 sein dürfte. Kordyles erschien unter irgendeinem Vorwand vor dem Kaiser Theophilos in Konstantinopel, dem er den heissen Wunsch der Aussiedler vortrug in ihre alte Heimat zurückzukehren. Der Kaiser erklärte sich gern bereit ihnen, scheinbar heimlich, Schiffe zu senden, die sie zurückbringen sollten. Er konnte ihnen jedoch nicht offen mit Truppen oder einem Krieg gegen die Bulgaren helfen, da das ein Friedensbruch wäre und zwar gerade in der Zeit, in der er mit den Arabern schwere Kämpfe führte. Ihre Heimkehr sollte wohl wie eine private Unternehmung der Aussiedler aussehen. Um das sicherer und gefahrlos geschehen zu lassen, hat man ihnen anscheinend geraten, eine günstige Gelegenheit abzuwarten, wenn die Bulgaren mit einem Feldzug fern von ihrem Land beschäftig sein würden. Im Jahre 837 bot sich ihnen eine solche günstige Gelegenheit.

 

 

7. Bei Ch ’i-tan war es üblich, das Land, wohin die Gefangenen übergesiedelt wurden, mit dem Namen ihrer Heimat zu benennen. Liao 61

 

292

 

 

Die Ausdehnung Bulgariens bis zum Rhodopengebirge machte die Bulgaren zu unmitterbaren Nachbarn der Slawenstämme in Thrakien und im Gebiet von Thessalonike. Sie wurden auf diese Weise Nachbarn des Slawenstammes der Smoljanen, der im Gebiet der heutigen Stadt Drama wohnte [8]. Im Jahre 837, als Kaiser Theophilos schwere Kämpfe gegen die Araber in Kleinasien führte und die Balkanhalbinsel fast von den byzantinischen Truppen entblösst war, erhoben sich die Slawen um Thessalonike gegen die Kaiserregierung [9]. Die Umgebung wurde eingeäschert und es ist viel Blut geflossen. Gegen die aufständischen Slawen oder um ihr Vorrücken nach Osten aufzuhalten, wurde der Cäsar Alexios Mosele, der Schwiegersohn des Kaisers nach Christopolis (j. Kavala), geschickt. Entweder aus eigenem Antrieb oder auf die Bitte des Kaisers Theophylos, bzw. aufgrund eines Vertrages, unternahm Persian einen Feldzug gegen die Smoljanen, um den Byzantinern zu helfen [10], wie sein Grossvater Omurtag das früher gegen den Rebellen Thomas getan hatte. Über diesen Feldzug berichtet eine protobulgarische Inschrift aus der Zeit Persians, von der nur der Anfang und das Ende erhalten sind (Nr. 14). Die Inschrift, die in mehrere Steinplatten eingemeiselt war, befand sich in der Basilika von Philippi, wo Ausgrabungen sie an den Tag brachten. Persian selbst hat an dem Feldzug nicht teilgenommen, sondern dem erfahrenen Feldherrn Kapkhan Isbul die Führung überlassen. Ihm wurden der Ičirgu Boilas und der Kana Boilas Kolobr mitgegeben, deren Personennamen die Inschrift nicht erwähnt (über diese hohen Würdenträger s. hier S. 351 und 384-385).

 

 

8. D. Dečev, Gde sa živjali smoljanite, in: Sbornik V.N. Zlatarski 45 ff.

9. Fr. Dvornik, La vie de saint Grégoire le Décapolit 61, 28-62, 2:

 

Καὶ μεθ’ ἡμέρας τινάς, στάσις οὐ μικρὰ τοῦ τῆς ἐκείνης Σκλαβινίας ἐξάρχοντος γέγονε, καὶ πολλὴ χύσις αἱμάτων ποταμηδὸν ἐπερρύει, καὶ πυρίκαυστος ἡ περίχωρος ἐκείνη γέγονε καὶ σκοτοδεινίας μεστή.

 

Hierzu S. 35-40. Nach Dvornik (36) waren die aufständischen Slawen die Draguviten. S. auch F. Dvornik in BCH LII (1928) 140-143, 146

 

10. Nach Dvornik (La vie 39) hat der Bulgarenherrscher den Kriegszug gegen die Byzantiner unternommen um seine Macht in Makedonien auch über die Slawen auszudehnen. S. auch P. Lemerle, Philippes 131-139. Nach diesem Forscher war die Stadt Philippi seit Krum in den Händen der Bulgaren.

 

293

 

 

Wie sich die Ereignisse weiter entwickelten und bis wohin der Feldzug gelangte, bleibt ungewiss, da gerade diese Platten der Inschrift verloren gegangen sind.

 

Eine dunkle Kunde von einem Feldzug des Bulgarenherrschers Michael im Gebiet von Thessalonike um dieselbe Zeit ist bei Georgius Continuatus [11] erhalten geblieben. Fr. Dvornik [12] glaubt wohl mit Recht, dass dieser Feldzug mit dem in der Inschrift erzählten identisch ist und dass dort irrtümlicherweise Michael statt Persian steht [13]. Georgius Continuatus berichtet ferner, dass die byzantinischen Aussiedler, als sie von dem Feldzug der Bulgaren im Gebiet von Thessalonike erfahren hatten, beschlossen, nicht auf die vom Kaiser versprochenen Schiffe zu warten, sondern die Heimkehr gleich anzutreten und sich mit Weib und Kind zu Lande durch Bulgarien durchzuschlagen. Sie begannen mit ihrem Hab und Gut über die Donau zu setzen. Der bulgarische Statthalter des Gebietes des heutigen Dobrudža entschied sich, als er von ihrer Bewegung erfuhr, den Aufstand an Ort und Stelle niederzuschlagen und ging auf das linke Ufer der Donau hinüber. Die Militärkräfte der Bulgaren erwiesen sich als ungenügend und sie mussten sich in dem entbrannten Kampf, den Kordyles und Tzantes auf byzantinischer Seite führten, zurückziehen. Und da sie nicht mehr über die Donau zurücküberzusetzen vermochten, flohen sie zu den in der Nachbarschaft wohnenden Ungarn und baten um ihre Hilfe. Die letzteren willigten ein und griffen die Byzantiner an. Aber auch sie konnten im Verlauf von drei Tagen nichts gegen die Byzantiner ausrichten, die als Grenzschutzbevölkerung offenbar gut ausgerüstet und organisiert waren. Unterdessen liefen die vom Kaiser gesandten Schiffe die Küste an, die die Byzantiner ungestört bestiegen, und kehrten über Konstantinopel in ihre Heimat zurück.

 

 

11. editio Moravcsik 206, 34-35

12. F. Dvornik, BCH LII, 140

13. Dagegen Gy. Moravcsik, Studia Byzantina 161 ; auch Marquart, Streifzüge 495

 

294

 

 

Als die Bulgaren erfuhren, was jenseits der Donau geschehen war, brachen sie den Fedzug gegen die Smoljanen ab, in den sie vielleicht absichtlich hineingezogen worden waren, und kehrten zurück. Sie behielten jedoch anscheinend für kurze Zeit die Stadt Philippi, wo sie die erwähnte Inschrift einmeiseln liessen. Am Ende der Inschrift beschuldigten die betrogenen Bulgaren die Byzantiner, der Lügen, denen sie “viel Gutes (πολά ἀγαθά)” getan hatten, und überliessen dem Gott ihre Bestrafung. Mit dem “viel Gutes” ist wohl nicht nur die Hilfe gemeint, die Omurtag (823) dem Kaiser Michael II. gegen den Rebellen Thomas zuteil werden liess, sondern auch andere Gefälligkeiten, die sich unserer Kenntnis entziehen.

 

Persian setzte die von seinem Grossvater ergriffenen Massnahmen zur Ausdehnung des bulgarischen Staates nach Südwesten fort, da dort der byzantinischen Regierung in Konstantinopel feindlich gesinnte Slawenstämme hausten, die nur eine Gelegenheit suchten von ihr abzufallen. Sie konnten herangezogen und an Bulgarien angeschlossen werden, wo bereits viele Slawen wohnten, die allmählich das Übergewicht bekamen und auf dem Wege waren, Bulgarien in einen vorwiegend slawischen Staat zu verwandeln.

 

Die Grenzen Bulgariens erstreckten sich unter Boris, dem Nachfolger Persians, im Südwesten bis weit hinter Ochrid. Wann diese Ausdehnung erfolgt ist, lässt sich nicht genau bestimmen. Man darf jedoch mit gewisser Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die Ausdehnung unter Persian stattgefunden hat, da keine Quelle über die Eroberung dieser Länder unter Boris berichtet. Eine Bestätigung dieser Vermutung findet W. N. Zlatarski [14] in der Nachricht der bulgarischen apokryphen Chronik aus dem 11. Jh., nach der Boris die Herrschaft an dem Fluss Bregalnitza bekommen hatte [15]. Demnach befand sich dieser Fluss innerhalb der Grenzen Bulgariens. Im Zusammenhang mit der Ausdehnung des bulgarischen Staates nach Südwesten bzw.

 

 

14. Istorija I 1, 342

15. Jor. Ivanov, Bogumilski knigi i legendi, Sofia 1425, 283

 

295

 

 

Westen unter Persian steht die Mitteilung des Konstantin Porphyrogennetos [16], wonach Persian gegen den serbischen Fürsten Vlastimir zu Felde zog, um sein Land zu erobern. Die Kriegsoperationen dauerten drei Jahre, ohne dass Persian sein Ziel erreichen konnte, wobei er viele Leute verloren hat. Der Feldzug, der nach Zlatarski [17] um 839-842, nach Jireček [18] dagegen um 850 stattgefunden haben soll, hatte nach dem letzteren Gelehrten, zum Zweck die Verbindung zwischen dem neu erworbenen West-Makedonien und den Landschaften von Belgrad und Sirmium zu sichern, die sich bereits unter Omurtag in bulgarischen Händen befanden.

 

W.N. Zlatarski nahm auch an, dass Byzanz die Serben gegen die Bulgaren unterstützte, um die letzteren von dem byzantinischen Reichsgebiet abzulenken. Von der ehemaligen Ausdehnung der bulgarischen Herrschaft bis zum Jugoslavien, um diese Zeit bzw. etwas später zeugt ein in Šudikovo gefundener Steinblock mit protobulgarischen Zeichen (s. hier S. 369 f.).

 

Die Ausdehnung Bulgariens nach Westen fand wieder Zlatarski [19] zufolge 842-843, d.h. nach dem Tode des Kaisers Theophilos unter seinem minderjährigen Nachfolger Michael III., statt. Zur Zeit dieses Kaisers, im Jahre 845, lief die Frist des 30-jährigen Friedensvertages ab. Im selben Jahr schickte Persian Gesandte zu dem Deutschenkaiser Ludwig dem Deutschen nach Paderborn [20], die nach Zlatarski [21] die unter seinen Vater Ludwig dem Frommen bestehenden friedlichen Beziehungen erneuern und festigen sollten. Er wollte offenbar auch seinen Rücken bei eventuellen byzantinischen Angriffen gedeckt haben. Die Feindseligkeiten zwischen Bulgaren und Byzantinern begannen tatsächlich bald darauf.

 

Dem byzantinischen Chronisten Leon Grammaticus [22] zufolge unternahmen die Bulgaren oft Einfälle in Thrakien und Makedonien und verheerten diese Themen.

 

 

16. De adm. ed. Moravcsik 32, 38-46

17. Istorija I 1, 346

18. Serben I, 195

19. Istorija I 1, 346            20. ebenda 347

21. Annales Fuld., an 845, p. 364, 25-27

22. Istorija I 1, 349

 

296

 

 

Als Gegenmassnahme stellte die Kaiserin Theodora Besatzungen in die byzantinischen Grenzstädte, die in kleinen Gruppen in das bulgarische Gebiet eindrangen, die Festungen angriffen und die Bevölkerung ermordeten oder entführten. Nach Zlatarski [23] geschah das 849 oder 850. Auf diese byzantinischen Streifzuge bezieht sich wohl eine Stelle in der Vita des Petros von Atroa, die die wiederholt [25] über den Fluss Hebros gegen die Bulgaren unternommenen Streifzüge erwähnt. Es ist unbekannt, wie lange diese ständigen Einfälle in Bulgarien dauerten und wie sie endeten. Aus dem Umstand jedoch, dass später friedliche Beziehungen zwischen beiden Staaten bestanden, lässt sich erschliessen, dass sie mit einem friedlichen Vergleich endeten. Andere Nachrichten über die weitere aussenpolitische Tätigkeit Persians fehlen. Man nimmt an, dass Persian im Jahre 852 gestorben ist [26].

 

Mit der Herrschaft Persians endet der erste und ein wichtiger Zeitabschnitt der bulgarischen Geschichte, den W.N. Zlatarski trefflich “Die hunno-bulgarische Übermacht” genannt hat. Diese Benennung ist nur, was die Bezeichnung “hunno-” betrifft, misslungen, da sie eine falsche Vorstellung von der ethnischen Zugehörigkeit der Protobulgaren erweckt. Es ist daher besser, sie durch den neutralen Ausdruck “Vorrang der Protobulgaren” oder “Protobulgarische Periode” zu ersetzen.

 

 

23. Leo Gram. ed. Bonn 235, 5-10, vgl. Symeon magist. ed Bonn. 664

24. Istorija I 1, 350

25. V. Laurent, La Vita retractata et les miracles posthumes de saint Pierre d’Atroa, Bruxelles 1958 (Subsidia hagiographica, Nr. 31), 164 ff.

 

..... Κατά τῶν Οῖίννων ήγουν Βουλγάρων ἐξερχομένων ημών èv τοῖς μέρεσι τῆς Ευρώπης καὶ, τον Εύρον ποταμόν περώντων, μέγιστον όντα, συνέβη κάμε τότε περώντα του ϊπποτ) ἀποβληΠηναι κτλ.

 

26. Die Participia praesentis ἐξερχομένων und περώντων zeigen, dass es sich nicht um einen einmaligen Streifzug gegen die Bulgaren, sondern um mehrere handelt. Anders, aber kaum zutreffend I. Duičev, Nov istoričeski izvor za bălgaro-vizantijskite otnošenija usw., in IIBI. 14-15 (1964) 347-355 und A propos de la vie de Saint Pierre d’Atroa, in: Byz. 27 (1966) 92-97

 

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Die Annahme des christlichen Glaubens, mit dem einem grossen byzantinischen Einfluss auf das Leben und die Kultur der Bulgaren Tür und Tor breit und weit geöffnet war, die Schaffung des slawischen Alphabets und Schrifttums, die mit einem Schlag den Slawen den Vortritt einräumten, und die später eingetretenen aussenpolitischen Ereignisse führten nicht nur zu wesentlichen Veränderungen im Leben und der Kultur des protobulgarischen Staates, sondern auch zur Schaffung günstiger Bedingungen für das Aufgehen des protobulgarischen Elementes in den Slawen und der Bildung eines einheitlichen bulgaro-slawischen Volkes, das die alte, ursprüngliche Benennung “Bulgaren” bis zum heutigen Tage beibehalten hat, ohne jedoch deutliche Spuren des ehemaligen türkischen Grundelementes erkennen zu lassen. Von nun an begann ein zweiter Abschnitt der bulgarischen Geschichte, der sich durch das allmähliche Auftreten des slawischen Elementes, das Verschwinden der Protobulgaren und die christliche Religion charakterisieren lässt [27].

 

 

27. Zlatarski, Istorija I 1, 351

28. Über die Bildung der bulgarischen Nation s. Iv. Dujčev, La formation de l’Etat bulgare et de la nation bulgare, In: L’Europe aux IXe-XIe siècles. Aux origines des Etats nationaux, Varsovie 1968, 215-224; D. Angelov, Obrazuvane na bălgarskata narodnost, Sofia 1971.

 

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