Die protobulgarische Periode der bulgarischen Geschichte

Veselin Beševliev

 

II. DIE VORGESCHICHTE

 

  1. Der Zerfall des Attilasreiches  67

  2. Die pannonischen Bulgaren  75

  3. Die Einfälle der Slawen in das Byzantinische Reich  91

  4. Die Einfälle der Kutriguren  95

  5. Das Auftreten der Awaren  100

  6. Die awarischen Eroberungen diesseits der Donau  103

  7. Die awarischen Einfälle in das Reich und die byzantinischen Defensivoperationen  105

  8. Die byzantinischen Strafexpeditionen gegen die Slawen jenseits der Donau  110

  9. Die Kämpfe der Byzantiner mit den Awaren bis zum Fall Maurikios  115

10. Die letzten Einfälle der Awaren und ihre erfolglose Belagerung Konstantinopels  119

11. Die Einwanderung der Slawen in Griechenland und in das Gebiet von Thessalonike  124

12. Die Besiedlung der Osthälfte der Balkanhalbinsel durch die Slawen  134

13. Die Lebensweise der Slawen  141

 

 

1. Der Zerfall des Attilasreiches

 

Allgemeine Literatur: M. Kiessling, Hunnen, in: RE 8, 2606-2608; Attila és hunijai, red. von Gy. Németh, Budapest 1940 (n.v.); E. A. Thompson, A History of Attila and the Huns, Oxford 1948: Grousset, L’empire 115-124; Vetters, Dacia Ripensis 39-43; Stein I 289-293; 332-336; Fr. Altheim, Geschichte der Hunnen, I-V, Berlin, 1959-1962; A. N. Bernštam, Očerk istorii gunov, Leningrad 1951; J. Harmatta, The Dissolution of the Hun Empire, I. Hun Society in the Age of Attila, in: Acta Archaeologica 2 (1952) 227-306; C. A. Macartney, The End of the Huns, in: Byz. Ngr. Jbb 10, 1932-1934, 106-114; A. Alföldi, Der Untergang der Römerherrschaft in Pannonien, 2. Berlin 1926, 97-104; L. Várady, Das Letzte Jahrhundert Pannoniens (376-476), Budapest 1969, 278-368; ausführliche Bibliographie bei Moravcsik, I 58-65, Runciman, Empire 5-6; 19

 

 

Im Jahre 330 verlegte Konstantin der Grosse die Hauptstadt des römischen Weltreiches von Rom nach Konstantinopel [1]. Ab 395 wurde diese Stadt das Zentrum des Oströmischen oder des Byzantinischen Reiches. Im Verlauf von über tausend Jahren war Konstantinopel der Mittelpunkt des politischen, religiösen, kulturelen und wirtschaftlichen Lebens, nicht nur der ganzen Balkanhalbinsel, sondern auch Kleinasiens und in mancher Beziehung tonangebend für den Westen.

 

Die Verlegung der Hauptstadt verwandelte die Hämusprovinzen des Römischen Reiches, die bis dahin ein wichtiges Bindeglied zwischen dem westlichen und östlichen Teil des Weltreiches, besonders Kleinasien und Aegypten waren, in seine Zentralländer.

 

 

1. s. Stein I 126-128

 

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In Konstantinopel begannen sich Güter aller Art aufzuhäufen. Bald zog die Balkanhalbinsel die lüsternen Blicke verschiedener aus dem Norden kommenden Barbaren auf sich und reizte sie zum Unternehmen von Raubzügen. Sie wurde das Ziel fast ununterbrochener Angriffe und Einfälle der jenseits der Donau lebenden Völkerstämme. Während ihre Angriffe anfänglich mit kleineren bzw. grösseren Verlusten abgeschlagen wurden, brachten das Erscheinen der Hunnen, und die Gründung ihres sich aus vielen Völkerschaften zusammengesetzten Staates um 420, das Oströmische Reich ernstlich in Gefahr und Not. Im Jahre 430 wurde Theodosios II. gezwungen mit den Hunnen einen Frieden unter schlechten Bedingungen zu schliessen. Die Lage wurde noch kritischer, als Bleda und Attila Herrscher der Hunnen geworden waren, und besonders nachdem Attila seinen Bruder beseitigt und 445 allein die Herrschaft übernahm. Das Reich musste wieder einen Frieden schliessen unter noch schwereren Bedingungen (s. hier S. 54-55). Die Gefahr wurde jedoch dadurch nicht abgewandt. Nur der plötzliche Tod Attilas 453 [2] und der darauf folgende Zusammenbruch seines Staates, befreiten das Oströmische Reich von der Hunnengefahr.

 

Die Auflösung des hunnischen Reichs hat im ganzen Donauufergebiet zu weitgehenden ethnischen Veränderungen geführt. Nach dem Tode Attilas brach unter seinen vielen Söhnen ein Streit um die Herrschaft aus. Die den Hunnen unterworfenen germanischen Stämme benutzten die Gelegenheit sich gegen sie zu erheben, und brachten ihnen 454 eine Niederlage an dem unbekannten Fluss Nedao bei. In dem erbitterten Kampf fiel ruhmvoll Ellac, Attilas ältester Sohn. Die übrigen Söhne gaben aber die Hoffnung auf die Wiederherstellung der Hunnenherrschaft nicht auf. Sie wollten zuerst die Goten überwinden, die sie für die schwächeren Gegner oder für die Hauptschuldigen des Aufstandes hielten [3].

 

 

2. Jul. Moravcsik, Attilas Tod in Geschichte und Sage, in: Studia Byzantina 59-83

3. Jordan. Getica 127, 16-17, vgl. Altheim, Hunnen IV 336-337: Várady, Pannonien 333

 

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Sie wurden aber geschlagen und mussten sich zurückziehen. Dieser Misserfolg und vielleicht noch einige verlorene Schlachten zeigten den Attilassöhnen, dass eine Wiederherstellung des Hunnenreiches nicht mehr möglich war.

 

Ein Teil der Hunnen wanderte in das Byzantinische Reich ein und bat um Erlaubnis, sich dort anzusiedeln. Sie bekamen zusammen mit Sarmaten und sog. Zemandrern Landstücke bei der Stadt Castra Martis zur Ansiedlung [4]. Der jüngste Sohn Attilas, Hernak, wanderte wohl mit der Grossmacht der Hunnen nach dem Osten aus, und Hess sich vor 469 in dem äussersten Teil Kleinskythiens [5] nieder. Der Ausdruck “extrema minoris Scythias” bei Jordanes wird gewöhnlich als Bezeichnung des nördlichsten Teils bzw. des äussersten Randes des heutigen Nord-Dobrudža aufgefasst [6]. Nach der Ansicht von J. Marquart [7], der sich W. N. Zlatarski [8] anschliesst, sind unter “extrema minoris Scythias” wahrscheinlich die Gegenden zwischen den Mündungen der Donau und dem Dnjestr bzw. Bessarabien zu verstehen. Fast der gleiche Ausdruck kommt noch einmal bei Jordanes vor, allerdings ohne minor. Jordanes berichtet nämlich, dass die Goten Filimers sich nach dem äussersten Teil Skythiens begaben, der an den Pontus grenzt [9], nachdem sie das Volk der Spaler besiegt hatten.

 

Von welchem Standpunkt aus ist nun der erwähnte Teil Skythiens für Jordanes “äusserster (extrema pars)”? In der Beschreibung Pannoniens bezeichnet dieser Autor die Stadt Sirmium als erste (d.h. nächste) und Vindomina (=Wien) als äusserste (d.h. letzte) [10].

 

 

4. Jordan. Getica 126, 17-18, dazu Várady, Pannonien 334, vgl. auch hier 62

5. Jordan. Getica 127, 1-2: Hernac quoque iunior Attilae filius cum suis in extrema minoris Scythiae sedes delegit.

6. Kiessling, RE 8, 2603; A. Alföldi, Der Untergang der Römerherrschaft in Pannonien, 2., Berlin 1926,98 Anm. 1; C. Diculescu, Die Gepiden, 1Berlin 1923, 68; Fehér, Beziehungen 13; R. Vulpe, La date du Valium romain de la Bessarabie Inférieure, in: IAI XVI, 1950, 97: Altheim, Hunnen IV 339

7. Chronologie 76; 95

8. Istorija I 1,40 Anm. 4, vgl. noch D. Detschew, Ostgermanischer Ursprung 202 mit Anm. 21

9. Getica 61, 3-4: ... velut victores ad extremam Scythiae partem, que Ponto mari vicina est

 

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Der Standpunkt lag also östlich von Sirmium. Der Euroborische Ozean ( = Ostsee oder Baltisches Meer), in welchen sich Vistula ergiesst [11], befand sich nach Jordanes wieder im äussersten Asien [12]. Der Standpunkt war demnach im Südosten. Die beiden Stellen berechtigen zu der Annahme, dass der fragliche Standpunkt sich irgendwo in Moesia Inferior bzw. Scythia Minor oder noch weiter südlich befand. Dieser Schluss stimmt mit der Ansicht von Th. Mommsen überein, dass der Verfassungsort der Werke von Jordanes in seiner Heimat in Mösien (Tomi oder Marcianopolis) war [13]. Er widerspricht auch der Meinung von W. Martens nicht [14], wonach Jordanes seine Werke in Konstantinopel verfasst habe. Während die Bezeichnung “extrema minoris Scythiae” von beiden Standpunkten aus natürlich erscheint, lässt sich “ad extremam Scythiae partem” [15], wo die Wohnsitze der Goten am Pontus waren, nur unter der Voraussetzung Verstehen, dass mit Scythia wieder Scythia Minor gemeint ist. Die pontischan Wohnsitze der Goten befanden sich aber bekanntlich jenseits der Donau. Daraus ergibt sich, dass sowohl extrema Scythiae pars als auch extrema minoris Scythiae jenseits der Donau lagen, d.h. beide miteinander identisch waren.

 

Nach der Niederlage der Hunnen an dem Fluss Nedao, wurden die Söhne Attilas an die Küste des Pontischen Meeres getrieben, wo früher die Goten gesessen hatten [16]. Die Nachricht bezieht sich auf alle Söhne Attilas einschliesslich Hernac. Dass der letztere sich ausserhalb der Grenzen des Byzantinischen Reiches niedergelassen hatte, geht auch aus der Nachricht des Priskos hervor, wonach er von seinem Bruder Dengizich aufgefordert wurde, an einem Krieg gegen das Reich teilzunehmen [17].

 

 

10. ebenda 126, 14-16... prima Syrmis, extrema Vindomina

11. ebenda 63, 5

12. ebenda 51, 17:... in extremis Asiae finibus

13. s. das Prooemium seiner Ausgabe S. X-XIII

14. s. die Einleitung seiner Übersetzung: Jordanis, Gotengeschichte, 3. Aufl., Leipzig 1913, VI-VII Anm.l

15. Jordan., Getica 61, 3

16. ebenda 125, 29 - 126, 1, vgl. auch 126, 12 und 127, 16-21

 

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Die Bezeichnung “extrema minoris Scythiae” hat nur dann einen Sinn, wenn Scythia Minor sich auch jenseits der Donau erstreckte, bzw. manche Landschaften jenseits dieses Flusses zu Kleinskythien gerechnet wurden. Prokop berichtet in der bekannten Erzählung über Chilbudios, dass Kaiser Justinian I. den Anten vorgeschlagen hat, sich in der antiken Stadt Turris niederzulassen, die jenseits der Donau lag [18]. Die Stadt war in alter Zeit von Kaiser Traian gegründet worden und infolge der Barbareneinfälle verfallen und verödet. Der Kaiser versprach den Anten nicht nur die Stadt, sondern auch das umliegende Land, unter der Bedingung zu schenken, dass sie byzantinische Bundesgenossen gegen die Hunnen werden wollten [19]. Prokop bemerkt dabei ausdrücklich, dass das Gebiet von Anfang an den Byzantinern gehörte [20]. Dass die Länder jenseits der Donaumündungen als byzantinisches Schutzgebiet oder nominell dem Byzantinischen Reich zugehörig galten, beweist ein Edikt des Kaisers Justinian I., das wohl zwischen dem 1. September 538 und dem 31. August 539 erlassen wurde. Indem Edikt wird den Truppen in Aegypten mit Versetzung in Orte gedroht, die jenseits der Donau liegen, um den dortigen Limes zu schützen [21], wenn ihre Tribunen die im Edikt enthaltenden Verordnungen nicht ausführen. Die jenseits der Donau liegende Gegend hatte nach diesem Edikt Wehranlagen (τοῖς ἐκεῖσε λιμιτοῖς). Eine solche Gegend ist bekanntlich das Gebiet zwischen den Flüssen Prut, Dnjestr, der Donau und dem Schwarzen Meer, d.h. das heutige Süd-Bessarabien. Dort sind ausser mehreren Längs - und Querwällen zwei grosse und gut erhaltene Langwälle, die unter den Namen der Obere und Untere Traianswall bekannt sind [22].

 

 

17. EΙ 587, 29-588, 9

18. Procop., Bella II 359, 7-8: ἣ κεῖται μὲν ὑπὲρ ποταμὸν Ἴστρον

19. vgl. Stein II 522

20. Procop., Bella II 359, 13: ... προσηκούοῃ τὸ ἐξ ἀρχῆς Ῥωμαίοις.

21. R. Schöll-G. Kroll, Novelles, Berolini 1895, Ed. XIII, 185,14-27: ... καὶ τὸ πᾶν τάγμα μεταστὰν ἐκ τῆς χώρας ἐν τοῖς πορρωτέρω τοῦ Ἴστρου ἤτοι Λανουβίου ποταμοῦ τόποις μετατεθήσεται, τοῖς ἐκεῖσε λιμιτοῖς τῆς παραφυλακῆς ἐνεκα προοκαρτερῆσον.

 

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Ohne Zweifel ist in dem Edikt die eine von diesen Wehranlagen gemeint, und damit auch das Gebiet des Süd-Bessarabien, das sog. Budžak. Der untere Wall wird zuletzt fast allgemein den Römern zugeschrieben [23]. Das Land jenseits der Donaumündungen stand seit dem Kaiser Traian, wie es scheint [24], unter römischem Schutz, der nach dem 4. Jh. nur nominell war, und wurde zur Provinz Scythia Minor und zwar ihre “extrema pars” gerechnet.

 

Die Niederlassung der Hernakshunnen ging aber nicht ohne Kampf vor sich [25]. Mehr über Hernak und seine Hunnen wissen wir nicht [26]. Weder ihr Stammesname, noch ihr weiteres Schicksal sind bekannt. Man ist nur auf mehr oder weniger plausible Vermutungen angewiesen. Hernak hat wahrscheinlich einen Staat jenseits der Donau gegründet und gute Beziehungen mit dem Oströmischen Reich unterhalten. Sein Staat war den Byzantinern wahrscheinlich sehr willkommen, da er die Rolle einer Sperre gegen die Einfälle der Barbaren über Kleinskythien in das Reich spielen konnte. Und tatsächlich kommen solche Einfälle mehrere Jahre hindurch nicht mehr in den Quellen vor. Die Erwähnung der Hunnen in diesen Gegenden in späteren Zeiten bezieht sich vielleicht auf diese Hunnen.

 

Dengizih, ein anderer Sohn Attilas, blieb mit einem kleinen Teil der Hunnen in den alten Wohnsitzen. Unter ihnen befanden sich die Ultzinzuren, Angiskiren, Bittuguren und Bardores [27], und er erklärte sich, wie es scheint, als Nachfolger Attilas.

 

 

22. C. Uhlig, Wälle, 185-250

23. Uhlig, ebenda. 234-236; ausführlich R. Vulpe, op. cit. in IAIXVI, 1950, 93-95 : derselbe, La Valachie et la Basse-Moldavie sous les Romains, in: Dacia n.s. V, 1961, 374 Anm. 38

24. R. Vulpe, op. cit. in Dacia, n.s. V, 1961, 365-393 passim

25. Prisc., EL 588, 8-9: ὁ δὲ Ἠρνάκ πρὸς ταύτην ἀπηγόρευε τὴν παρασκευήν, ὡς τῶν κατὰ χώραν ἀπαγόντων αὐτὸν πολέμων.

26. Die Ansicht von C. A. Macartney (The End of the Huns, in: Byz ngr Jbb 10, 1932-1933, 113), wonach Hernak “died an obscure mercenary in the service of the Empire”, ist mit Recht von Fr. Altheim, Hunnen IV 338 Anm. 5 abgelehnt. Derselben Ansicht ist auch H.-W. Haussig (Die protobulgarische Fürstenliste, in: Fr. Altheim, Die Hunnen in Osteuropa, Baden-Baden 1958, 10 Anm. 9): “Ernak trat in römische Dienst.”

27. Jordan., Getica 128, 21-23, dazu Agath. 2, 13; 5,11 und 11-15

 

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Als er erfuhr, dass die Ostgoten sich zu einem Feldzug gegen die Sadagen anschickten, hielt er das für eine günstige Gelegenheit, sie zu überfallen und zu unterwerfen. Er wurde aber geschlagen und musste sich zurückziehen. Die Niederlage der Hunnen war so gross, dass sie sich nach Jordanes “von dieser Zeit an bis auf den heutigen Tag” [28] vor den Waffen der Goten fürchteten.

 

Um 468 schlug Dengizih, auch im Namen seiner Brüder, dem Kaiser Leon vor, einen Frieden zu schliessen und wieder, wie es früher war, an der Donau die Handelsbeziehungen aufzunehmen. Der Vorschlag wurde aber glatt abgelehnt. Darauf beschloss er einen Krieg gegen die Byzantiner zu führen, und forderte seinen Bruder Hernak auf daran teilzunehmen. Der letztere riet ihm aber davon ab, da Kämpfe im eigenen Land ihn daran hinderten [29]. Dengizih kam trotzdem mit seinem Heer an die Donau und verlangte jetzt vom Kaiser Land und Geld [30]. Die Antwort des Kaisers lautete, er sei geneigt alles für sie zu tun, unter der Bedingung, dass sie sich ihm unterwerfen und Föderaten werden. Wie die Dinge sich dann abgespielt haben, ist unbekannt. Im Jahre 468 wurde Dengizih von magister militum per Thracias Anagastes entweder im Kampf oder heimtückisch erschlagen [31] und sein Kopf nach Konstantinopel gebracht, wo man ihn nach grossen Jubelfesten zur Schau gestellt hat.

 

Unbekannt ist es auch, was nach dem Tode Dengizihs mit seinen Hunnen geschehen ist. Jordanes berichtet, dass damals (nach dem Umkommen Dengizihs oder früher?) viele Hunnen von überall her eilten, sich dem Kaiser unterwarfen und Wohnsitze in Romania, d.h. auf byzantinischem Boden erhielten. Von ihnen stammten noch in der Zeit von Jordanes die sog. Sacromontisi und Fossatissii [32].

 

 

28. Getica 128, 21-27

29. Prisc., EL 587, 29-588, 9

30. ebenda 588, 24-36

31. Chron. Pasch. 598, 3-8 oder im Jahre 469 nach Marcel. Com. ad a. 469, vgl. Stein I 357

32. Jordan., Getica 127, 3-5: multique Hunnorum passim proruentes tunc se in Romania dediderunt, e quibus nunc usque Sacromontisi et Fossatisii dicuntur.

 

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Die Bezeichnung Sacromontisi weist auf ein Hügelland wie Nordost-Bulgarien hin. Sie kommt wohl von einem Kastellnamen *Sacromons bzw. *Sacromontis her, vgl. die Kastellnamen Γεμελλομοῦντες und Μοντερεγῖνε bei Prokop [33]. Das zweite Kastell befand sich in Μυσίας παρὰ μὲν ποταμὸν Ἴστρον. In dem gleichen Gebiet ist auch ein Kastell Φοσσᾶτον verzeichnet [34]. Die Bezeichnungen Sacromontisi und besonders Fossatisii stehen wohl im Zusammenhang mit solchen Kastelinamen.

 

Auch die Verwandten [35] von Dengizih (eigentlich seines Bruders Hernak), Emnetzur und Ultzindur, bemächtigten sich der Städte Utum, Oescus und Almum in Dacis ripensis [36]. Diese Städte, die laut des Friedensvertrages von 447 den Hunnen abgetreten werden mussten, waren wohl noch immer in ihren Händen [37]. Unter den Hunnenstämmen, die mit Dengizih in den alten Wohnsitzen geblieben waren, befanden sich auch die Ultzinzures, die nach Agathias bis zur Zeit des Kaisers Leon als tapfere Leute bekannt waren [38]. Ihr Stammesname lässt sich mit dem Personennamen Ultzindur verbinden, der wahrscheinlich ihr Anführer war. Wenn diese Vermutung der Wahrheit entspricht, wäre das ein Beweis, dass die Hunnen Dengizihs sich nach seinem Tode dem Kaiser unterwarfen.

 

 

33. De aedif. 148, 23 und 43

34. ebenda 148, 27. Vgl. hier S. 23 mit Anm. 38

35. Nach Várady, Pannonien 507 Anm. 823 Brüder

36. Jordan., Getica 127, 2-3

37. Vetters, Dacia Ripensis 43

38. Agath. V 11,4 (p. 177, 13-15), dazu Moravcsik, Byzturc II 230

 

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2. Die pannonischen Bulgaren

 

Allgemeine Literatur: Drinov, Werke I, 232-235; 657-658; K. Jireček, Bulgaren 88; derselbe, Serben I 50; W. N. Zlatarski, Istorija I 1, 43-55; A. Burmov, Werke I, 27-32; 52-69; D. Simonyi, Die Bulgaren des 5. Jahrhunderts im Karpatenbecken, in: Acta Archaeologica, 10, (1959) 227-250; V. Beševliev, Aus der Geschichte der Protobulgaren, in: Études Balkaniques VI, 1970, 2, 39-56: Artamonov, Hazar 79-85; A. P. Smirnov, Očerki istorii SSSR, IIΙ-IX vv., Moskau 1958, 588-590

 

 

In dem Gebiet jenseits der Donau, das an Illyricum in der Gegend von Sirmium grenzte, erschienen Bulgaren nach dem Zerfall des Reiches der Hunnen. Sie werden in manchen byzantinischen Quellen mit den Hunnen verwechselt. Diese Bulgaren werden nach 480 oft in den westlichen Quellen entweder als erbitterte Feinde der Ostgoten, oder als treue Bundesgenossen der Gepiden erwähnt. Nach einem Bericht des Geschichtschreibers Paulus Diaconus [1] befanden sich diese Bulgaren bereits zu Begin des 5. Jhs in der Karpatengegend. Eines Nachts überfielen sie unerwartet die Langobarden bei einem Fluss. Sie haben unter ihnen ein Blutbad angerichtet, ihren König Agelmund getötet und seine einzige Tochter in Gefangenschaft abgeführt. Später rückte Lamasion, der Nachfolger Agelmunds, gegen die Bulgaren vor, um den Überfall zu rächen. Zunächst wichen die Langobarden vor den Bulgaren. In einer zweiten Schlacht siegten sie jedoch und vernichteten viele ihrer Feinde. Nach L. Schmidt [2], der den Bericht für geschichtlich hält, hat der Zusammenstoss am Nordrand der Karpaten und zwar nur zu Anfang des 5. Jhs stattgefunden. M. Drinov [3] datiert ihn aus dem Jahre 422.

 

 

1. Hist. Langob., 55, 22-56, 20

2. Geschichte der deutschen Stämme 575

3. Werke I 568

 

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Der Bericht des Paulus Diaconus findet eine Bestätigung nach R. Much [4] durch die Hervararsage. Dasselbe Ereignis wird auch von Fredegar [5] erzählt, der aber die Bulgaren durch die Hunnen ersetzt hat.

 

Etwa 60 Jahre nach dem erwähnten Zusammenstoss hört man wieder von diesen Bulgaren. Zwischen 479 und 482 führte das Byzantinische Reich erbitterte Kämpfe mit dem König der Ostgoten Theoderich [6], die entbrannten, nachdem die beiden Ostgotenführer, Theoderich, der Amaler, und Theoderich, der Sohn des Triarius, sich miteinander 479 versöhnt hatten. Damals hat Kaiser Zenon zum ersten Mal die Bulgaren zu Hilfe gerufen [7]. Sie wurden wohl als Föderati in das Heer des Sabinianus Magnus eingereiht, der Magister militum per Illyricum war, und Kämpfe gegen Theoderich, den Amaler, in Makedonien führte. Das genaue Datum der Berufung der Bulgaren zu Bundesgenossen ist jedoch nicht bekannt. Es wird gewöhnlich 482 angenommen [8]. Der erste Kampf der Bulgaren mit Theoderich, dem König der Ostgoten, ist von Ennodius in seinem Panegyricus an Theoderich [9] mit überschwenglichen Worten erwähnt. In dieser Schlacht wurde der Bulgarenführer, dessen Name nicht genannt ist, von Theoderich eigenhändig verwundet [10]. Um der Tat Theoderichs den Glanz des unsterblichen Ruhmes zu verleihen, greift Ennodius zu den beliebten rthetorischen Mitteln. Er stellt die Bulgaren als ein Volk mit ausserordentlicher kriegischer Tüchtigkeit dar, das bis zu dem Treffen mit den Ostgoten noch keiner zu besiegen vermocht hatte. Sie sind, in echter rhetorischer Steigerung, nicht nur eine “gente indomita”, sondern auch “natio, cuius ante te fuit omne quod voluit... quam ante dimicationem tuam non contigit agnovisse resistentem”,

 

 

4. Ἀσκιβούργιον, Zeitschrift für deutsches Altertum 33 (1889), 1-33.

5. Fredegarii Chronica III 65

6. Stein II 12-18

7. Ioan. Antioch. 135,13-16, dazu Bury, Later Empire I, Bd. 1, 421. Stein II 17 und 61

8. Gy. Moravcsik, Studia 98-99; Bury (Later Empire I. Bd. 1, 421) datiert den Sieg Theoderichs Strabo in 481

9. Ennodii Opera 205, 25-206, 3

10. Stein II 17; Bury, Later Empire I, Bd. 1, 460

 

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ferner “Hos non montanae strues, non fluminum obiectio, non negati egestas alimenti in artum necessitatis lege continuit” und endlich “His ante mundus pervius esse credebatur: nunc illam sibi tantum orbis partem interclusam aestimant, quam tueris”. Ennodius teilt leider weder den Ort noch die Zeit der Schlacht mit. Aus seinen Worten jedoch, dass Teoderich die Freiheit (libertatem dextera tua adserente) verteidigte und dass nur das Land, das er zu beschützen hatte, sich den Bulgaren als unzugänglich erwies, darf man wohl entnehmen, dass die Schlacht nach der Niederlassung der Goten in Moesia Inferior d.h. nach 483 und vor oder im J. 486 stattgefunden haben soll, als die Beziehungen zwischen Theoderich und dem Kaiser Zenon sich verschlechterten [11]. Vielleicht haben die Bulgaren auf Geheiss des Kaisers die Goten angegriffen, um sie zu unterwerfen.

 

Im Jahre 488-489 erscheinen die Bulgaren als Bundesgenossen des Gepidenkönigs Trapstila gegen die Ostgoten. Gemeinsam mit den Gepiden überfielen sie die Goten, als diese das Gebiet der Gepiden auf dem Weg nach Italien durchzogen. In der entbrannten Schlacht kamen sowohl Trapstila als auch Busan, der Bulgarenführer, mit vielen Bulgaren um [12]. Die Schlacht fand nach Ennodius, der jedoch die Bulgaren nicht erwähnt, an dem Fluss Ulca statt [13], den man mit dem Sawafluss identifiziert [14].

 

Vier Jahre später (493) traten die Bulgaren als Feinde des Reiches auf und Verheeerten das ganze Thrakien [15]. Im Kampf mit ihnen verlor der Heerführer Julianus sein Leben. Seitdem fielen die Bulgaren oft in das Oströmische Reich ein. Im Jahre 499 drangen sie mit einem gewaltigen Heer in Thrakien ein und verwüsteten das Land.

 

 

11. K. Jireček, Bulgaren 88; Serben 50; A. Burmov, Werke I 57

12. Paulus Diac., Historia Romana 213, 20-214, 1

13. Ennodii Opera 206, 21-207, 29

14. C. Diculescru, Die Gepiden, 1, Leipzig 1923, 108-109

15. Paulus Diac., Historia Romana 215, 18-19, vgl. Bury, Later Empire I, Bd. 1, 435 und Vetters, Dacia Ripensis 45

 

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Gegen sie zog Aristus, der Magister militum per Illyricum, mit 15,000 Mann und 520 Wagen aus [16]. Beide Armeen stiessen bei dem Fluss Tzurta zusammen [17]. In der Schlacht fielen über 4,000 Byzantiner, kamen vier Feldherren um und die Macht des illyrischen Heeres wurde vernichtet [18]. Drei Jahre später (502) fielen die Bulgaren unvermutet wieder in Illyricum und Thrakien ein. Sie stiessen auf keinen Widerstand und kehrten unbehelligt zurück [19].

 

Im Jahre 504 schickte der Gotenkönig Theoderich den Heerführer Pitzia mit Truppen gegen die Stadt Sirmium, die sich damals in den Händen der Gepiden befand, um sie zu erobern. Den Gepiden kamen die Bulgaren, ihre alten Bundesgenossen zur Hilfe. In dem Kampf, der beinahe ohne Erfolg für die Angreifer ausgegangen wäre, unterlagen die Bulgaren und die Stadt fiel in die Hände der Goten. Durch den Sieg über die Bulgaren wurde die Herrschaft der Goten über Sirmium gesichert [20]. An den Kämpfen um Sirmium nahm als junger Mann der ostgotische Feldherr Toluin teil, der die Bulgaren vernichtend geschlagen haben soll [21]. Der Sieg des Heerführers Pitzia über die Bulgaren bei Sirmium, wird von Ennodius in dem bereits erwähnten Panegyricus an Theoderich wieder überschwenglich mit den beliebten rhetorischen Mitteln geschildert:

 

“Concurrebant duae nationes, quibus numquam inter gladios fuga subvenerat. Miratae sunt mutuo, sui similes inveniri et in humano genere vel Gothos resistentem videre vel Vulgares”

und

“Illi numquam dubii de triumphis, illi quos suspexit Universitas perditis bellorum signis et perculsi incolumitate discedunt” [22].

 

 

16. Marcell. Com., Chron. 94, 16-17 ad an. 493, 2, dazu Stein II 89

17. ebenda 95, 12-18 ad an. 499, Jordanis, Romana 46, 13, dazu Vetters, Dacia Ripensis 45; Stein II 90; Bury, Later Empire I, Bd. 1, 435

18. Nach W. Tomaschek, Die alten Thraker. II. Sprachrest. 2. Personennamen und Ortsnamen 98 ist der Fluss Tzurta identisch mit Çorlu-su, und Zur Kunde 324; Jireček, Heerstrasse 51, 101 und passim; E. Oberhummer, RE2 VII 2012

19. Marcell. Com., Chron. 96, 1-3 ad an. 502, Theophan. 143, 26-27, dazu Vetters Dacia Ripensis 46, Stein II 90

20. Ennodii Opera 210, 22-211, 34, Cassiodor., Chronica 160, Jordanis Getica 135, 6-18, dazu Stein II 145

21. Cassiodor., Variae 239, 11-240, 4

 

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Der gleichen rhetorischen Mitteln bedient sich auch Cassiodorus Senator, um den Feldherrn Toluin zu loben [23]. Die Bulgaren sind “tote orbe terribiles” wie die Hunnen, deshalb “Egit de Hunnis”. Trotzdem hat Toluin sie vernichtet (neci dedit). Dass das Bild der ehemaligen allgemein gefürchteten Hunnen in allen diesen Stellen mitgespielt hat, ist unverkennbar. Es handelt sich hier also nicht um synonyme Ausdrücke, sondern um eine rein rhetorische Figur. Man darf daraus keinesfalls den trügerischen Schluss ziehen, dass die Bulgaren mit den Hunnen identisch wären, wie manche Forscher es getan haben [24], die merkwürdigerweise die überschwengliche Rhetorik übersehen hatten. Denn die Hunnen waren weder von Theoderich bzw. Pitzia zum ersten Mal besiegt, noch von Toluin vernichtet worden. Nach der für die Hunnen verhängnisvollen Nedaoschlacht (453) (s. S. 68) und nach den darauffolgenden Kämpfen, in denen die Ostgoten die Hunnen besiegt haben, wobei in einer der Schlachten Walamir, der Onkel Theoderichs, der Sieger war [25], Ereignisse, die Ennodius und Cassiodorus ohne Zweifel sehr gut gekannt haben müssen, abgesehen davon, dass in der Zeit, als die Lobrede verfasst wurde, das Reich der Hunnen nicht mehr existierte, könnte man schwerlich, sogar in rhetorischer Übertreibung, von dem Ostgotenkönig Theoderich als dem ersten Besieger der Hunnen sprechen. Die Bemerkung Ennodius’, dass das Volk der Bulgaren “prolixis temporibus solo bella consumavit excursu”, passt auch schlecht für die Hunnen, die durch regelmässige Kriege ein riesiges Reich gegründet hatten. Die Worte Ennodius’ und Cassiodorus Senators zeugen dafür, wie D. Detschew [26] bereits hervorgehoben hat,

 

 

22. Ennodii Opera 210, 22-211, 34

23. Cassiodor. Variae 240, 2-3

24. K. Zeuss, Die Nachbarstämme, 710, Zlatarski, Istorija I, 2, 36 ff., D. Detschew, Ursprung 20 b. Dagegen Kiessling RE 8, 2606: “Hier sind doch Hunnen und Bulgaren deutlich unterschieden”. Vgl. auch Burmov, Werke I 28, der den rhetorischen Anstrich erkannt hat.

25. Jordanis Getica 127, 12-21

26. op. cit. 206

 

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dass die Bulgaren damals kein neuangekommenes, sondern den Goten ein schon von früher her wohlbekanntes Volk gewesen sein müssen. Dazu stimmt die kurze Beschreibung ihrer Sitten bei Ennodius, die auf etwas bereits Bekanntes hinweist, sehr gut. Die Bezeichnung “Bulgaren” bei Ennodius und Cassiodorus Senator bezieht sich also auf kein anderes Volk als auf die Bulgaren selbst.

 

Im Jahre 505 kämpften die Bulgaren, nunmehr als Verbündete der Byzantiner, wieder gegen die Goten. In diesem Jahr rückte der byzantinische Heerführer Sabinianus, der Sohn des Sabinianus Magnus und Magister militum per Illyricum, gegen Mundo, der von seinem Sitz an der Donau aus dauernd die umliegenden Gebiete plünderte [27]. In dem Heer des Sabinianus, das nach Cassiodorus 10,000 Mann, nach Jordanes dagegen 2,000 zu Fuss und 500 zu Pferde zählte, befanden sich auch Bulgaren [28], wahrscheinlich als Föderaten. Der gotische Heerführer Pitzia, der kurz vorher mit den Bulgaren bei Sirmium gekämpft hatte, eilte dem bedrängten Mundo zu Hilfe. In der Schlacht bei Horreum Margi oder Margoplanum [29] wurden die Bulgaren in die Flucht geschlagen und Sabinianus wurde gezwungen, sich in die Burg Nato zurückzuziehen [30].

 

Nach der Niederlage bei Horreum Margi lösten die Bulgaren ihr Bündnis mit den Byzantinern auf und setzten ihre Einfälle in das Reichsgebiet weiter fort, die den Kaiser Anastasios veranlassten im Jahre 512 die sog. Lange Mauer zu errichten [31]. Gegen diesen Kaiser führte der Rebell Vitalian Truppen, die aus Hunnen und Bulgaren gebildet waren (ἔχων μεθ’ ἑαυτό πλῆθος θὕύννων καὶ Βουλγάρων) [32]. In der diesbezüglichen Nachricht sind also die beiden Völker deutlich unterschieden. Die hier erwähnten Hunnen hausten wohl in extrema minoris Scythias (s. hier S. 69).

 

 

27. Marcell. Com., Chron. 96, 23-29, Jordanis Getica 135, 6-18

28. Ennodii Opera 210, 39-211, 34

29. K. Jireček, Heerstrasse 18.; 162, Vulič RE 8, 2464

30. Stein II 146. Nato ist vielleicht Naissos.

31. Chron. Pasch. 609, Zonar., 144, 4 ff.

32. Chron. 402, 4, dazu Stein II 178-185; Bury, Later Empire I, Bd. 1, 447

 

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Nach Johannes Zonaras [33], der einzig darüber berichtet, überfielen die Bulgaren (519) abermals Illyricum. Die byzantinischen Feldherren, die ihnen entgegenzutreten wagten, schlugen die Bulgaren und vernichteten fast alle, wobei sie Zaubereien und Beschwörungen anwandten.

 

Marcellinus Comes [34] berichtet, dass Mundo 530, der inzwischen zu den Byzantinern übertrat und vom Kaiser Justinian I. zum Heermeister der illyrischen Truppen ernannt worden war [35], nach Thrakien zog, um die Bulgaren zu vertreiben, die das Land verheerten. Das gleiche Ereignis wird auch von Malalas [36] und Theophanes [37] erzählt. Ihr Bericht weicht aber beträchtlich von dem des Marcellinus ab. Bei Malalas findet das Ereignis um 529 statt, und er nennt die eingefallenen Barbaren Hunnen, bei Theophanes dagegen um 540. Der letztere bezeichnet ferner am Anfang des Berichtes die Barbaren als Bulgaren, am Ende jedoch als Hunnen. Ausserdem waren nach den byzantinischen Quellen die Hunnen bzw. die Bulgaren, diejenigen, die Mundo überfielen, als dieser nach Illyricum kam, um seinen Posten anzutreten. Sie wurden laut dieser Quellen vollständig geschlagen und vernichtet, nach Marcellinus dagegen fielen nur 500 Bulgaren. Nach den byzantinischen Quellen wurden die gefangenen bulgarischen bzw. hunnischen Führer nach Konstantinopel geschickt. Sie wurden dort zuerst dem Volk im Hippodrom vorgeführt und dann nach Armenien und Lazica gesandt. Der grosse Unterschied zwischen der Darsellung von Marcellinus Comes einerseits und der von Malalas und Theophanes andererseits legt die Vermutung nahe, dass es sich um zwei verschiedene Einfälle handelt, die kurz hintereinander erfolgt sind. Wenn es sich jedoch trotzdem um ein und dasselbe Ereignis handelt, so lässt sich die Erwähnung der Hunnen bei Malalas den Bulgaren bei Marcellinus und Theophanes gegenüber wohl so erklären,

 

 

33. Zonar., 140, 15 - 141, 4

34. Chron. 103, 4-10, dazu Stein II 308; Grafenauer Problémes 32-33

35. Stein II 156

36. Chron. 450, 10-451, 15, hierzu Bury, Later Empire I, Bd. 2, 296

37. Chronogr. 218, 31 - 219, 16

 

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dass der Verfasser der heutigen Version des Malalas die Bulgaren durch den bekannteren Begriff Hunnen [38] ersetzt hat. Wie dem auch sei, die Behauptung Malalas’, die auch Theophanes wiederholt, dass die Hunnen nach dieser Niederlage die Donau nicht mehr zu überschreiten wagten, bezieht sich nur auf die Zeit, in der Mundo am Leben war. Er kam bekanntlich 535 oder 536 bei Salona in Dalmatien um [39]. Denn die Bulgaren drangen 535 wieder in das Byzantinische Reich ein. Sie wurden jedoch von dem Patrizier Tzitta ( = dem Magister militum praesentalis Sittas) am Jatrusfluss besiegt [40]. Im Jahre 539 fielen zwei bulgarische Häuptlinge in Skythien ( = Scythia Minor) und Mösien (= Moesia Inferior) ein, denen Justin, der Heermeister von Mösien, und Baudarios (oder Baduarios), der Heermeister von Skythien entgegentraten. Der erstere wurde in dem Kampf getötet und die Bulgaren kamen verheerend bis Thrakien. Sie wurden aber von den Heerführern Konstantin (oder Konstantiolos), Godilas und Akum (oder Askum), der magister militum von Illyricum war, und ein christianisierter Hunne, der vielleicht ein pannonischer Bulgare war, umzingelt, geschlagen und ihre beide Häuptlinge getötet. Später aber wurden die byzantinischen Heerführer, als sie ermattet heimkehrten, von anderen Bulgaren überfallen und mussten die Flucht ergreifen. Die ihnen nachsetzenden Bulgaren nahmen die Heerführer Konstantin und Akum gefangen. Der eine wurde von dem Kaiser losgekauft, der andere dagegen von den Bulgaren abgeführt. Dieses Ereignis teilen Malalas (437, 18-438, 20) und Theophanes (217, 26-218, 17) mit. Der erstere nennt die Angreifer Hunnen, der zweite dagegen Bulgaren. Da die von Theophanes benutzte Version des Malalas bekanntlich eine andere und vollständigere war als diese, die auf uns gekommen ist, verdient sein Bericht mehr Glauben. Diese Bulgaren kamen jedoch, wie die geographische Reihenfolge der von ihnen heimgesuchten Provinzen deutlich zeigt,

 

 

38. s. Anm. 36

39. Stein II 309 und 344

40. Marcell. Com., Chron. ad an. 533, 3, dazu Stein II 308

 

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nicht von Pannonien, sondern aus den Gegenden des Asowischen Meeres und waren demnach keine pannonischen Bulgaren.

 

Die Einfälle der Bulgaren in das Reich wurden unter Justinian I. so häufig, dass Jordanes es für nötig hielt, sie in seinem Werk “Romana” mit folgenden Worten besonders zu vermerken:

 

“Das sind die Fälle des römischen Staates ausser den alltäglichen Einfällen der Bulgaren, Anten und Slawen” [41]

und

“Justinian leistete, häufig den Herulen, Gepiden und Bulgaren, die Illyricum oft verheerten, Widerstand mit Hilfe seiner Provinzverwalter, und schlug sie mutig” [42].

 

Fast das Gleiche berichtet der Geschichtsschreiber der justinianischen Epoche, Prokop, in der “Historia arcana”:

 

“Seit dem Justinian die Herrschaft über die Rhomäer übernommen hat, durchstreifen die Hunnen, Slawen und Anten fast jedes Jahr Illyricum und ganz Thrakien [43].

 

Der einzige Unterschied zwischen den Darstellungen der beiden Schriftsteller ist, dass bei Prokop die Hunnen anstelle der Bulgaren erscheinen. Dass sowohl Prokop, als auch Jordanes dieselben Einfälle gemeint haben, steht ausser Zweifel. Die Erwähnung der Hunnen bei Prokop, der die Bulgaren überhaupt nirgends in seinen Werken nennt, obwohl er sie ohne Zweifel gekannt haben muss, darf niemanden irreführen. Die Stelle bei Prokop kann weder als Beweis dafür, dass beide Quellen über verschiedene Einfälle berichten, noch dafür, dass die Bulgaren mit den Hunnen identisch sind, angeführt werden. Denn man kann schwerlich annehmen, dass Prokops Zeitgenossen Ennodius, Cassiodorus, Marcellinus Comes, Jordanes, Malalas und die unbekannten Quellen der späteren Autoren wie Fredegarius, Paulus Diaconus, Johannes Antiocheus und Theophanes, die über die Bulgaren berichten, nichts über die Hunnen wussten, so dass sie die Bulgaren nicht von ihnen unterscheiden konnten.

 

 

41. Romana 52, 10-11

42. ebenda 47, 20-22

43. Historia arcana 114, 15-115,2; 141,19-25, vgl. De aedif. 103,6-7; 115, 712; Bella II 354, 1-6, hierzu Bury, Later Empire I, Bd. 2, 296 f.

 

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Manche dieser Geschichtsschreiber wie z.B. Jordanes, der irgendwo in Niedermösien oder Kleinskythien gelebt hat (s. S. 70), kannten ihre zeitgenössischen Völker sehr gut. Prokop, dem wohlbekannt war, dass die Länder nördlich von Illyricum, jenseits der Donau, vor hundert Jahren zu dem grossen Reich Attilas gehörten, archaisiert [44] gewissermassen auch in diesem Falle, wenn er die von dort einfallenden Barbaren, die weder Goten noch Slawen noch Anten waren, einfach als Hunnen bezeichnet. Die Berichte der oben genannten lateinischen und byzantinischen Quellen, die mehr Vertrauen als Prokop verdienen, bezeugen einstimmig, dass Bulgaren und Hunnen für sie zwei verschiedene ethnische Begriffe waren.

 

Prokop berichtet, dass die Feldherren Martin und Valerian im Jahre 536/537 mit 1,600 Reitern in Italien ankamen, von denen die meisten Hunnen ( = Bulgaren), Slawen und Anten waren, die jenseits der Donau, nicht weit vom Fluss, ihre Wohnsitze hatten [45]. Im Jahre 539, wieder nach Prokop, überschritten die Hunnen mit einem grossen Heer die Donau, nahmen 32 Kastelle in Illyricum ein, verwüsteten das ganze Land von dem ionischen Meerbusen bis zu der Vorstadt Konstantinopels und kehrten mit grosser Beute und 120,000 Gefangenen in ihre Wohnsitze zurück [46]. Diese Hunnen waren offenbar wieder die Bulgaren. Dieselben fielen auch später häufig in das Byzantinische Reich ein. Bei einem dieser Einfälle kamen sie bis zu den Dardanellen, gingen sogar nach Kleinasien hinüber und kehrten wieder mit reicher Beute zurück [47]. Bei einem anderen Raubzug verheerten sie Illyricum, Thessalien und kamen bis zu den Thermopylen [48]. Im Jahre 544/545 verliessen sämtliche illyrischen Soldaten Italien und begaben sich in ihre Heimat, weil unter anderem die Hunnen (= die Bulgaren) eingefallen waren und ihre Frauen und Kinder in Sklaverei fortgeschleppt hatten [49].

 

 

44. Darüber s. Gy. Moravcsik, Byzturc II, 15-17

45. Bella II 130, 13-15, vgl. De aedif. 103, 5-6 ἔθνη γὰρ αὐτῃ γειτονοῦντα διακεκλήρωται Οὐννικά τε καὶ Γοτθικά.

46. Bella I 163, 8-21, hierzu Stein II 309 f.

47. ebenda I 163, 23-164, 9

48. ebenda I 164, 10-16; De aedif. 115, 7-12, dazu Stein II 310

 

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Marcellinus Comes berichtet, dass im Jahre 548 der byzantinische Feldherr Johannes, Sohn der Schwester des Vitalian, in Kampanien erfolgreiche Kämpfe mit den Goten führte. Eines Nachts hat ihn der Ostgotenkönig Totila überfallen und wegen des Verrates der Bulgaren, seiner Verbündeten, in die Flucht geschlagen [50]. Von dem gleichen Ereignis erzählt auch Prokop [51], der aber weder die Bulgaren, noch die Hunnen, noch einen Verrat erwähnt. Nach Prokop [52] verbot Kaiser Justinian den Heerführern Illyricums und Thrakiens die Hunnen ( = die Bulgaren) anzugreifen, als sie von ihren Raubzügen heimkehrten, da sie dem Reich als Bundesgenossen gegen die Goten und andere Feinde von Nutzen waren.

 

Den Worten ‘Ennodius’, die Bulgaren seien nach der Eroberung Sirmiums durch die Ostgoten, die sie zu Nachbarn des Theoderich machte, ihres eigenes Landes nicht mehr sicher [53], lässt sich entnehmen, dass sie in der Nähe von Sirmium lebten. Nach Prokop hatten die Hunnen, d.h. die Bulgaren, ihre Wohnsitze jenseits der Donau, nicht weit von ihrem Ufer [54]. Auf dieselbe Gegend weist der Umstand hin, dass die Bulgaren in den meisten Fällen in Illyricum einfielen oder im Zusammenhang mit Völkern und Ereignissen in diesem Gebiet erwähnt werden. Keiner ihrer Einfälle ist nachweisbar in Kleinskythien erfolgt, noch sind sie durch diese Provinz gezogen. Es ist überhaupt unwahrscheinlich, dass die Bulgaren ihre Einfälle von Wohnsitzen an der Küste des Schwarzen Meeres aus, durch Kleinskythien und Niedermösien bzw. Thrakien nach Illyricum unternommen haben, wobei sie die reichen Länder Thrakiens, die in der Nähe der Hauptstadt lagen, unbeachtet Hessen. Die pannonischen Bulgaren bewohnten wahrscheinlich einen Landstrich zwischen den Flüssen Donau und Theiss.

 

 

49. ebenda II 342, 9-20, hierzu Stein II 522

50. Marcell. Com., Chron. 108, 18-20

51. Bella II 414, 16-416, 22

52. Historia arcana 132, 25-133, 19

53. Ennodii Opera 211, 33-34

54. s. Anm. 45

 

85

 

 

Ob sie einen selbständigen Staat gebildet haben, oder sich in irgendeiner Form mehr oder weniger den Gepiden angeschlossen haben als deren Bundesgenossen sie oft erscheinen, lässt sich aus den Quellen nicht ersehen.

 

Die Sitten der pannonischen Bulgaren werden von Ennodius im Panegyricus an Theoderich ganz kurz beschrieben. Bei ihnen hatte derjenige mehr Geltung, der sich im Kriege besonders ausgezeichnet hatte [55]. Sie benutzten die Pferde nicht nur zum Reiten, sondern tranken auch ihre Milch [56]. Diese beiden Züge fehlen in der Beschreibung der hunnischen Sitten bei Ammianus Marcellinus [57] und Jordanes [58]. Ihre Kriegsführung bestand früher aus Einfällen [59]. Kosmas Indikopleustes, der um 547-549 schrieb und die Bulgaren ebenfalls von den Hunnen unterschied, führt sie unter den Völker, die Christen geworden waren, und zwar in folgender Abfolge an: Ἑρούλλων, Βουλγάρων, Ἐλλαδικῶν τε καὶ Ἰλλυριών, Δαλμάτων κτλ. [60] Wer diese christlichen Bulgaren gewesen sein mögen, lässt sich nur vermuten. Die beieinander genannten Heruler sind wohl diejenigen, die unter Anastasios (512) in Illyricum als Föderalen um die Stadt Singidunum angesiedelt wurden [61] und später unter Justinian I. Christen geworden sind [62]. Ähnlich verhält es sich wohl auch mit den Bulgaren. Sie dürften nur ein kleiner Teil der jenseits der Donau wohnenden Stammesgenossen gewesen sein, der sich als Föderaten auf byzantinischem Boden und sich als solche wie die Heruler überreden Hessen, Christen zu werden [63].

 

 

55. Ennodii Opera 205, 25-206, 3. Vgl. Tacitus, Germania VII: reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt.

56. ebenda

57. Ammian. Marcell. XXXI 2, 1-11

58. Getica 90, 14-91, 9

59. Ennodius loc. cit.: “natio..., quae...solo bella consumavit excursu.”

60. The Christian Topography of Cosmas Indicopleustes, edited by E.O.Winsted, Cambridge 1909, 119, 14-33. Über die Bedeutung der Helladikoi, s. Charanis Hellas 172, Anm. 111; derselbe, The Term Helladikoi in Byzantine Texts usw, in: ΕΕΒΣ 23 (1953) 615-620 und Observations 3.

61. Procop., Bella 21 213,10-12; 214, 21-24; 444, 8-10; Marcell. Com. ad an. 51 98, 21-22

62. Procop., Bella II, 213, 14-17, dazu Thompson, Christianity 68

 

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Die Bulgaren werden übrigens bei Jordanes auch mit den Herulern zusammen erwähnt [64].

 

Wann und woher sind die pannonischen Bulgaren in das Gebiet jenseits der Donau gekommen? D. Simonyi [65] nimmt an, dass diese Bulgaren unter dem Druck der Sabiren ihre Sitze jenseits der Wolga verliessen, “zuerst in das Donau-Theiss Zwischenstromland vordrangen und später (um 480) auch einzelne Gebiete Transdanubiens besetzten”. Nach P. Vaczy [66] sind die Bulgaren in Sirmium zwischen 466 und 482 erschienen. Der von Paulus Diaconus erwähnte Zusammenstoss der Bulgaren mit den Langobarden zu Beginn des 5. Jhs. am Nordrand der Karpaten (s. S. 75) legt jedoch die Vermutung nahe, dass die Bulgaren Untertanen der Hunnen waren, da sich am Anfang des 5. Jhs das ganze Karpatengebiet in den Händen der letzteren befand. Sie waren offenbar ein bulgarischer Stamm, der von den Hunnen von seinem Wohnsitz am Kuban weggerissen wurde und mit ihnen nach Westen gezogen war. Ob die pannonischen Bulgaren sich in der Aufzählung der Dengizich treu gebliebenen Stämme bei Jordanes [67] unter einem der Stammesnamen verbergen, lässt sich nicht feststellen.

 

Die Nachbarschaft der Bulgaren mit den Gepiden, Goten und Erulern erklärt das Vorkommen des bulgarischen Volksnamens als Personennamen bei den deutschen Stämmen, in verchiedenen Formen: Bulgar (7. Jh.), Bulgaranus (7. Jh.), Bulgariens (6. Jh.), Pulgar (8. und 9. Jh.), Pulcari und Polcari (9. Jh.) [68].

 

 

63. Nach Gy. Moravcsik, Studia Byzantina 252 und Mission 6-7 bezieht sich diese Nachricht auf die Bulgaren “am Nordufer des Schwarzen Meeres”.

64. Romana 47, 20-22

65. Simonyi, Die Bulgaren 239-245; dagegen Artamonov, Hazar 83

66. Angeführt bei Simonyi, Die Bulgaren 245 Anm. 64. Nach V.T. Sirotenko (s. A. Každan in Byz. XXXI, 1970, 328) erschienen die Protobuigaren allein, nicht in Bunde mit den Hunnen, um 475 im Donauraum. Die auf die Balkanhalbinsel in 5-6 Jh. eingewanderten Bulgaren wurden von der einheimischen Bevölkerung assimitliert.

67. Getica 128, 21-24. Nach Bury (Later Empire I, Bd. 1,434-435 und Bd. 2, 302) waren die panonnischen Bulgaren Onogunduren (s. hier auch S. 280).

68. Ιv. Sišmanov, Bălgarite v “Orlando furioso”, in: Bălgarski pregled, Jahrg. VI (1900), H. 8, 78-81; derselbe, Pregled 711-712; 713; D. Detschew 198-216; B. Primov. Balgarskoto narodnostno ime v Zapadna Evropa văv vrăzka s bogomilite, in: IIBI 6 (1956), 372 Anm. 1

 

87

 

 

Der Selbständigkeit der Bulgaren, was immer diese auch gewesen sein mag, machten die Awaren 567 ein Ende. In diesem Jahre schlugen sie, im Bündnis mit den Langobarden die Gepiden bekanntlich [69] vernichtend und eroberten ihr Land. Im folgenden Jahr Hessen sich die Awaren endgültig in Pannonien nieder. Durch den Untergang des Gepidenreiches gerieten die Bulgaren unter die awarische Herrschaft. Teile von ihnen und den Gepiden mussten jedoch Alboin, dem Langobardenkönig und Verbündeten der Awaren, nach Italien folgen. Die Ortschaften, die sie bewohnten, wurden nach ihren Volksnamen genannt [70].

 

Die unter der awarischen Herrschaft gebliebenen Bulgaren genossen, wie es scheint, eine gewisse Selbständigkeit. Im Jahre 595 wurde eine Schar von tausend Bulgaren auf Befehl des byzantinischen Heerführers Petros überfallen, als sie sich sorglos auf byzantinischem Boden westlich des Flusses Osam, offenbar in der Nähe der heutigen bulgarisch-jugoslavischen Grenze, aufhielten. In dem entbrannten Kampf schlugen die Bulgaren die Angreifer in die Flucht. Der Awarenchagan, unter dessen Botinässigkeit die Bulgaren sich befanden, erhob Einspruch gegen den Überfall, da die Byzantiner dadurch den Friedensvertrag verletzt hatten. Der byzantinische Heerführer entschuldigte sich damit, dass das aus Versehen geschehen sei [71]. Die pannonischen Bulgaren nahmen oft an den Raubzügen der Awaren in das Byzantinische Reich teil. Sie befanden sich auch in dem awarischen Heer, das 618 oder 622 erfolglos Thessalonike angriff [72]. Im Jahre 626 nahmen sowohl die unter der awarischen Herrschaft zurückgebliebenen Gepiden wie auch,

 

 

69. Schmidt, Ostgerm. 540-543

70. Paulus Diac., Hist. Lang. 87, 1-6. Schmidt, Ostgerm. 585 Anm. 1 nimmt ohne Grund an, dass die von Paulus Diac. genannten Bulgaren erst unter Grimoald nach Italien gekommen sein dürften.

71. Theophyl. 251,9-252,8

72. Acta S. Demetrii II 170-171. Für das Datum s. Burmov, Werke 1, 103-105; Barišič, Les Miracles 87-100

 

88

 

 

die Bulgaren an dem grossen Feldzug der Awaren gegen Konstantinopel teil [73].

 

Ein heftiger Streit brach nach Fredegarius [74] zwischen den Bulgaren und Awaren (631/32) um die Thronfolge aus, da ein Bulgare und ein Aware den Thron beansprucht hatten. Es entspann sich ein Kampf zwischen den beiden Prätendenten, der mit der Niederlage der Bulgaren endete. Die besiegten Anhänger des bulgarischen Prätendenten etwa 9,000, wurden mit Weib und Kind aus Pannonien vertrieben. Sie kamen zu dem König der Franken Dagobert mit der Bitte, sich in seinem Land ansiedeln zu dürfen. Er erlaubte ihnen in Bayern zu überwintern. Kurz darauf aber liess er sie alle in einer Nacht niedermetzeln [75]. Ob nur die Anhänger des bulgarischen Thronprätendenten oder überhaupt alle Bulgaren von den Awaren vertrieben wurden, lässt sich nicht feststellen. Die grosse Zahl der Vertriebenen, 9,000, legt aber die Vermutung nahe, dass, wenn nicht alle, so doch zumindest der grösste Teil der pannonischen Bulgaren gezwungen war, das Awarenland zu verlassen.

 

 

73. Georg. Pisidae Bellum Avaricum 197 und 909; ( = Giorgio di Pisidia, Poemi i, Panegirii epici ed. Pertusse, Ethal 1960 184-185 und 194-195) Σθλάβος γὰρ Οὕννω καὶ Σκύθης τῷ Βουλγάρῳ und Σθλάβων τε πλήθη Βουλγάροις μεμιγμένα

74. Chrom 157, 4-15

75. Fredegars Bericht endet mit der Bemerkung, dass dem Blutbad nur 700 Familien unter der Führung eines gewissen Alciocus entgingen und sich nach der windischen Mark retteten. Der Name Alciocus erinnert stark Alzeco, einen anderen Bulgarenführer, der sich nach Paulus Diaconus (Hist. Lang. 154,1-10) von seinem Volk getrennt und um 663 in Italien niedergelassen hat. V.N. Zlatarski (Ιstorija I, 1, 118-128) bestritt mit Recht die Identität der beiden Personen, die man gemeinhin annimmt, da die erzählten Ereignisse in verschiedenen Zeiten stattgefunden haben und deshald keineswegs identisch sein können. Dabei machte er darauf aufmerksam, dass der Schluss des Fredegarsberichtes, der von Alciocus erzählt, in Gesta Dagoberti I. regis Francorum (MGH, SRM II, 411, 1-11), die wörtlich den Fredegar wiederholen, fehlt. Das zeigt, dass der Schluss ein unter dem Einfluss der Erzählung des Paulus Diaconus entstandener Zusatz ist (Istorija I 1, 120 Anm.l). S. auch Artamonov, Hazar I 12

 

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Fredegar ist der letzte Chronist, der von den pannonischen Bulgaren spricht. Eine Spur von ihnen sind die, in dem zu Anfang des 7. Jhs. verfassten Strategikon des Maurikios erwähnten, Βουλγαρικὰ σαγία [76]. Hier her gehört wohl auch die Erwähnung des bulgarischen Volksnamen in einem Papyrus aus dem Anfang des 7. Jhs. [77].

 

 

76. Mauricii Strategicon ed. H. Mihăescu 314, 17

77. Gy Moravcsik, Byzturc. I 471 mit Lit.

 

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3. Die Einfälle der Slawen in das Byzantinische Reich

 

Allgemeine Literatur: K. Jireček, Serben 81-83; L. Niederle, Manuel I 111-114; Stein II 61 ; P. Lemerle, Invasions 282 ff.; A. Djakonov, Izvestija Ioanna Efesskogo i sirijskih hronik o slavjanach VI-VII v., in: Vestnik Drevnej Istorii 1946, 1,20 ff.; I. Dujčev, Balkanskijat jugoiztok prez părvata polovina na VI vek. Načalni slavjanski napadenija, in: Belomorski pregled I (1942), 229-270; B. Grafenauer, Nekaj vprašanj iz dobe naseljevanja južnih Slovanov, in: Zgodovinski časopis 4 (1950), 23-126; Fr. Barišič, O najstarijoj Prokopijevoj vesti o Slovenima, in: Zb. rad Viz. inst. 2 (1953) 25-31 ; R. Benedicty, Prokopios’ Berichte über die slawische Vorzeit, Beiträge zur historiographischen Methode des Prokopios von Kaisareia, in: JÖBG 14 (1965) 51-78; F. Dvornik, The Slavs, Their Early History and Civilization, Boston 1956; I. Nestor, Slavii pe teritoriul R.P.R. în lumina documentelor, in: SCIV, X (1959) 46-64, dagegen M. Comşa, Slavii pe teritoriul usw., ebenda 65-80; derselbe, Discutii în legătură cu pătrunderea şi aşezarea slavilor pe teritoriul R.P.R. in: SCIV XII (1960) 159-166; derselbe, Slavii de răsărit pe teritoriul R.P.R., si pătrunderea elemetului romanic în Moldova, in: SCIV IX (1958) 1, 73-76; derselbe, La pénétration des Slaves dans la territoire de la Roumanie entre le VI et le IX siècle à la lumière des recherches archéologiques, in: Slavia Antiqua 7 (1960); I. Nestor, L’établissement des Slaves en Roumanie, in: Dacia n.s. 5 (1961) 429-448; N. S. Deravin, Slavjane v drevnosti, Moskva 1946; W. Ensslin, Slaweneinfälle, RE III2 697-706

 

 

Zu Beginn des 6. Jhs. erschienen die Slawen an der mittleren und unteren Donau. Sie Hessen sich in den dortigen Ländern, von der Mündung des Sawaflusses bis Noviodunum [1], nieder und unternahmen zahlreiche Raubzüge über die Donau in das Byzantinische Reich, die mit der Besiedlung der Balkanhalbinsel durch sie endeten.

 

 

1. Jordan., Getica 63,1-2 hierzu Niederle, Manuel 1 47

 

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Jordanes beschliesst sein Werk “Romana” mit der Bemerkung, dass die Slawen neben den pannonischen Bulgaren und den Anten alltäglich in das Reich einfallen [2]. Das Gleiche behauptet auch Prokop in der “Geheimen Geschichte”. Er hebt besonders hervor, dass dies fast alljährlich geschah, seitdem Justinian I. den Thron bestiegen hatte, wobei die Verluste an Menschenleben so gross waren, dass die Länder wie die skythische Wüste aussahen [3].

 

Die Slawen haben bereits vor 530 oft die Donau überschritten und den Byzantinern grosse Schäden zugefügt [4]. Um 545 überschritt ein grosser Haufen der Slawen wieder die Donau, plünderte das byzantinische Gebiet und schleppte die Bewohner als Sklaven fort [5]. Drei Jahre später (548) fielen die Slawen über die Donau in das Byzantinische Reich ein und verwüsteten ganz Illyrien bis Epidamnos, wobei die byzantinische Feldheren keinen Kampf mit ihnen aufzuhehmen wagten [6]. Besonders verheerend war aber ihr Raubzug im Frühling 550. Die Slawen, deren Zahl nicht über 3,000 Mann war, überschritten die Donau ohne auf Widerstand zu stossen und erreichten den Fluss Hebros. Nachdem sie auch diesen Fluss ohne Mühe überschritten hatten, teilten sie sich in zwei Abteilungen. Die eine fiel in Illyricum ein, die andere rückte dagegen bis zum Tzurulum vor. Beide Abteilungen schlugen die byzantinischen Truppen und nahmen viele Festungen durch Belagerung ein. Die zweite Gruppe drang bis an die Südküste Thrakiens vor und eroberten die Stadt Topiros durch eine Kriegslist. Ihre Verwüstungen waren grauenhaft: sie wüteten auf unmenschliche Weise gegen alles Lebendige und führten viele Frauen und Kinder als Gefangene ab [7]. Im Sommer desselben Jahres überfluteten die Slawen in ungekannter Zahl das byzantinische Gebiet und lagerten vor Naissos.

 

 

2. Romana 52,10-11

3. Hist. arcana 114, 15-115, 2; 141, 19-25. hierzu Stein II 305-310

4. Procop., Bella II 354, 4-6

5. ebenda II 353, 5-8            6. ebenda II 423, 3-13, hierzu Stein II 523            7. ebenda 467, 11-471, 2; De aedif. 144, 16-20, hierzu Stein II 523

 

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Zur selben Zeit sammelte und ordnete der byzantinische Feldherr Germanus sein Heer in Serdica, das er nach Italien führen sollte. Die Slawen beabsichtigten diesmal Thessalonike und die Nachbarstädte zu erobern. Der Kaiser liess, durch diese Nachricht beunruhigt, Germanus sofort den Befehl zugehen, zuerst jene Städte zu veteidigen und die Slawen zurückzudrängen. Dieser byzantinische Feldherr hatte den Slawen sehr grosse Furcht eingeflösst, da er gleich nach der Thronbesteigung seines Onkels Justin (oder Justinian) [8] die über die Donau eingefallenen, stammverwandten Anten vernichtend zurückgeschlagen hatte. Das ist der einzige bekannte Einfall der Anten diesseits der Donau. Als die Slawen von seiner Anwesenheit in Serdica erfahren hatten, gaben sie ihre Absicht Thessalonike zu überfallen auf, überschritten aber alle illyrischen Gebirge und drangen in Dalmatien ein. Nach dem plötzlichen Tod des Germanus erhielten sie neuen Zuzug von jenseits der Donau und durchzogen das byzantinische Reich nach Belieben. Manche Byzantiner hegten den Verdach,Totilas habe sie durch grosse Summen bestochen und ihnen auf den Hals geschickt, um die Aufmerksamkeit des Kaisers von dem Gotenkrieg abzulenken. In drei Gruppen geteilt, zogen die Slawen umher und überwinterten im Lande, als ob es ihnen gehörte. Der Kaiser sandte ein Heer gegen sie aus, das bei Adrianopel auf eine Schar Slawen stiess. Die Slawen lagerten auf Anhöhen, die Byzantiner in der Ebene, einander gegenüber. Die byzantinischen Soldaten zwangen ihre Offiziere den Kampf zu eröffnen. Die Byzantiner wurden so gründlich geschlagen, dass sogar Konstantins Fahne dem Feinde in die Hände fiel. Daraufhin plünderten die Slawen die reiche Landschaft Astica und drangen bis an die Langen Mauern vor. Endlich gelang den Byzantinern ein Überfall, durch den sie viele Gefangene befreiten und auch Konstantins Fahne zurückeroberten.

 

 

8. Niederle, Manuel 161 Anm.3; Jireček, Serben 181 Anm. 2; H. Kallenberg, Germanus Justinians Vetter, nicht Neffe, in: Berliner Philologische Wochenschrift 35 (1915), 991-992; Stein II 222 Anm. 3

 

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Die übrigen Slawen aber brachten ihre Beute unbehindert in die Heimat [9].

 

Im Herbst 551 fiel ein grosser Slawenschwarm in Illyricum ein und hauste dort fürchterlich. Der Kaiser bot Truppen gegen sie auf, die aber so schwach waren, dass sie weder etwas gegen sie unternehmen, noch ihren Rückzug über die Donau verhindern konnten. Die Gepiden setzten die Slawen für ein Goldstück pro Kopf über [10]. Damit dergleichen nicht wieder Vorkommen konnte, schloss der Kaiser mit den Gepiden ein Bündnis. Bald darauf forderten die Langobarden ein Hilfsheer von dem Kaiser, das er ihnen gern schickte, da er die Gepiden beschuldigte, sie hätten, nach dem Abschluss des Vertrages, wieder einen Slawenzug zum Schaden der Byzantiner über die Donau befördert [11].

 

 

9. Procop., Bella II 475, 19-477, 11; 481, 10-483, 15, dazu Stein II 524-525

10. ebenda II 623, 22-624, 22, dazu Stein II 533-534

11. ebenda II 625, 10-15, dazu Stein II 534

 

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4. Die Einfälle der Kutriguren

 

Allgemeine Literatur: Zlatarski, Istorija I 1, 45-75; Moravcsik, Onoguren 104-109; derselbe, I, 66-67, II, 171-172; Lemerle, Invasions 286-287; Artamonov, Hazar 85-102; S. Szádeczky-Kardoss, Kutriguroi, in: RE Suppl. XXI (1970), 516-520

 

 

Die Einfälle der Slawen dauerten noch an, als die Ostländer der Balkanhalbinsel von anderen gefährlichen Feinden heimgesucht wurden. Die Gepiden, die mit den Langobarden auf dem Kriegsfuss standen, sandten Boten zu den Häuptlingen der Kutriguren, die am Westufer des Mäotischen Sees wohnten, mit der Bitte um Beistand gegen die Langobarden. Jene schickten ihnen sofort 22,000 Mann, die unter anderem Chinialon befehligten. Die Gepiden waren über ihre so schnell erfolgte Ankunft nicht sehr erfreut, da der Krieg wegen des Waffenstillstandes noch nicht unmittelbar bevorstand. Um sich von den unbequemen Gästen zu befreien, veranlassten die Gepiden (551) die Kutriguren, einen Streifzug in das byzantinische Gebiet zu unternehmen. Sie schafften ihre Verbündeten über die Donau ins Reich und Hessen sie auf die Byzantiner los. Die Kutriguren durchzogen plündernd das Land. Um sie zu zwingen, den Reichsboden zu verlassen, griff Kaiser Justinian I. zum beliebtesten Mittel der byzantinischen Politik. Er wiegelte die Utiguren am östlichen Ufer des Mäotischen Sees, Stammverwandte der Kutriguren, auf und bewirkte durch reiche Geschenke, dass sie über den Don zogen und in das Gebiet der Kutriguren einfielen. Unter der Führung von Sandilch schlugen sie die Kutriguren vernichtend und nur wenige von ihnen entkamen dem Tod. Während die beiden Brüderstämme sich untereinander befehdeten, gelang es den Byzantinern, die von den Kutriguren in die Sklaverei geschleppt worden waren, unbehelligt in die Heimat zurückzukehren. Chinialon, der Kutrigurenführer, wurde durch die Kunde von dem Vorgefallenen und durch reiche Geschenke bewegt, sich friedlich zurückzuziehen.

 

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Von den Kutriguren, die dem Schwert der Utiguren entgangen waren, siedelten 2,000 Mann mit Frau und Kind auf byzantinisches Gebiet über und wurden kaiserliche Schutzbefohlene. Sie wurden in Thrakien angesiedelt. Darüber geriet Sandilch in Zorn und schickte Gesandte an Justinian, um ihm darüber Vorwürfe zu machen. Die Gesandten wurden jedoch mit Geschenken überhäuft und beruhigt entlassen [1].

 

Sechs Jahre (551-558) herrschte Frieden in den Hämusprovinzen des Byzantinischen Reiches. Das Bündnis, das Justinian mit den Utiguren geschlossen hatte, war noch immer von Kraft und Sandilch, ihr Führer, bekam jährlich seine Geschenke. Zabergan, der neue Führer der Kutriguren, sah das mit Neid, fühlte sich beleidigt und unternahm einen gewaltigen Raubzug in die byzantinischen Gebiete, um nicht nur seine Macht zu zeigen, sondern auch den Kaiser dazu zu zwingen, ihm Tribut oder Geschenke zu senden. Im Winter 558 drangen die Kutriguren, denen sich auch Slawen angeschlossen hatten, unter der Führung des Zabergan über die eingefrorene Donau in Scythia Minor und Moesia Inferior ein, und erschienen in Thrakien ohne auf Widerstand zu stossen. Hier teilten sich die Kutriguren in drei Gruppen. Die erste fiel in Griechenland [2] ein und erreichte die Thermopylen, die aber so gut verteidigt wurden, dass sie sie weder überschreiten noch dem Lande grossen Schaden zufugen konnten. Die zweite Gruppe griff den thrakischen Chersones an. Sie wurden aber von dem jungen, begabten Feldherrn Germanus zurückgeschlagen. Auch der Versuch mit einer Flottille aus Schilfrohrflössen auf dem Seeweg in die Halbinsel einzudringen scheiterte. Eine Niederlage auf dem Lande zwang die Kutriguren sich endgültig zurückzuziehen. Die dritte Gruppe, an Zahl 7,000 Mann, zog, von Zabergan selbst geführt, nach Konstantinopel ohne auf Widerstand zu stossen, wobei sie das Land verwüstete, die Städte plünderte und die Bevölkerung wegschleppte.

 

 

1. Procop., Bella II 581, 19-589, 21, dazu Stein II 532-535

2. P. Charanis, On the Slavic Settlement in the Peloponnesus, in: BZ 46 (1953); derselbe, Hellas 174 ff. Lemerle, Monemvasie 13

 

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Die Kutriguren schlugen das gegen sie aufgebotene Heer, überschritten ohne Mühe die Lange Mauer und lagerten in Melantiada. Die Hauptstadt erlebte bange Stunden. Kaiser Justinian sah sich gezwungen, die Verteidigung der Stadt dem alten, erprobten Heerführer, dem greisen Belisar, anzuvertrauen. Es gelang ihm, einen Teil der Feinde zu besiegen und sie zu vertreiben. Dann brachen die Kutriguren das Lager bei Melantiada ab. Sie zogen sich in das Gebiet von Tzurulum, Arkadiopolis und Drusipara zurück. Zu ihnen stiessen auf die Truppen, die sich aus Griechenland und dem thrakischen Chersones zurückgezogen hatten. Die Kutriguren blieben in Thrakien bis August 559, als der Kaiser den Frieden wieder teuer erkaufen musste [3]. Die gefangenen Byzantiner wurden mit grossen Summen losgekauft. Dabei hetzte Justinian erneut die Utiguren auf dei Kutriguren. Sandilch überfiel die zurückkehrenden Kutriguren, erschlug viele von ihnen und nahm ihnen die Beute ab. Seitdem lebten die beiden Brüderstämme fortwährend in Fehde, kämpften gegeneinander und rieben sich gegenseitig auf [4]. Um 568 wurden sowohl die Kutriguren als auch die Utiguren von den Awaren unterworfen [5]. Sie wurden teilweise vertrieben, teilweise vernichtet. Der grösste Teil der Utiguren geriet jedoch unter die Botmässigkeit der Türken [6].

 

Fast alle, die sich mit der Geschichte der Protobulgaren befasst haben [7], identifizieren die pannonischen Bulgaren mit den Kutriguren, fuhren aber dafür keine direkten, überzeugenden Beweise an. Diese unbegründete Identität wurde mit Recht von D. Simonyi [8] abgelehnt, der darauf hinwies, dass die beiden Völker in verschiedenen Zeiten aufgetreten sind.

 

 

3. Charanis, Demography 10

4. Agath. 176, 31-197, 12; Menander EL 170, 1-171, 4; Malalas 490, 6-12; Theophanes 233, 4-234, 12, dazu Stein II 536-540

5. Menander EL 196, 18-23; 196, 29-197, 1

6. ebenda 206, 15-19

7. J. Marquart, Chronologie 85; Kiessling, RE 8, 2606 Zlatarski, Istorija I 1, 33-83; Geschichte 5-8; Runciman Empire 6; 15; Fehér, Beziehungen 76; Gy Moravcsik, Byzturc. I 108; derselbe, Studia 104; 106-109 ; Artamonov, Hazar 79 ff. und andere s. Moravscik, Byzturc. I 67

8. Die Bulgaren 240ff.

 

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Auch das Wenige, was wir aus der Geschichte der Kutriguren wissen, erlaubt nicht, sie mit den pannonischen Bulgaren zu identifizieren. Die Kutriguren bewohnten ursprünglich, nach dem Bericht des Agathias [9], das Gebiet östlich vom Mäotischen See und nördlich vom Fluss Tanais. Später setzten sie den Abfluss des Sees in das Schwarze Meer über, vertrieben die Goten, die jenseits des Sees wohnten, und siedelten sich in ihrem Gebiet, d.h. diesseits des Mäotischen Sees an, wo Prokop [10] sie kennt. Noch später breiteten sie sich von der Stadt Cherson bis zur Donaumündung aus [11]. J. Marquart [12] hat den Stammesnamen Κουτρίγουροι (bei Prokop), Κοτρίγουροι (bei Agathias) und Κοτράγηροι (bei Manander) [13] mit den Κότραγοι bei Theophanes und dem Patriarchen Nikephoros identifiziert, ohne jedoch auf die sprachlichen Beziehungen untereinander einzugehen. Der Form Κότραγοι steht auf alle Fälle Κοτράγηροι (Κοτραγ-ηροι) bei Menander am nächsten.

 

Ein dunkle Erinnerung an die ehemalige Übersiedlung der Kutriguren westlich von dem Asowischen Meer bzw. dem Fluss Don enthält die Nachricht des Theophanes [14] und Nikephoros [15], wonach Kotrag, ihr Stammesführer oder Heros eponymos (Κοτράγηροι = die Leute des Kotrag?), der hier als ein Sohn des Kubrat angegeben ist, den Don überschritt und sich diesseits des Flusses niederliess. Nach derselben Angabe waren die Kotragen ὁμόφυλοι der Bulgaren. Diese Verwandtschaft war aber, wie es scheint, nicht so eng, wie der Ausdruck τῶν Οὐννογουνδούρων Βουλγάρων καὶ Κοτράγων bei Theophanes zeigt. Es bestand ein merklicher Unterschied zwischen der Verwandtschaft der Unogunduren und der der Kotragen mit den Bulgaren:

 

 

9. Agath. 176, 31-177, 11

10. Procop., Bella II 505, 25-507, 11; 582, 1-2

11. ebenda II 508, 11-14; Agath. 177. 19-21

12. Chronologie 79; 89; Streifzüge 45; 503 und IRAIK 15 (1911), 12 f. mit Anm.

13. Belege und andere Formen bei Moravcsik, Byzturc. 171 f.

14. Chronographia 357, 22

15. Breviar. 33, 28

 

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die ersteren waren ein Bulgarenstamm, die letzteren dagegen nur mit ihnen verwandt bzw. verbündet. In der Kirchengeschichte des Syrers Zacharias Rhetor aus dem Ende des Jahres 555 werden die Bulgaren (b.w.r.g.r = Burgare) [16] als ein von den Kutriguren (k.w.r.t.r.g.r. = Kortrighar) [17] verschiedenes Volk angeführt. Damit stimmt die Bezeichnung der Kutriguren als ein hunnischer Stamm bei Prokop, Agathias und Menander gut überein. Das Verhältnis der Kotragen bzw. Kutriguren zu den Bulgaren war also nicht ethnisch, sondern politisch. Die Bulgaren und Kotragen haben einmal ein gemeinsames, grosses Reich mit dem Namen Bulgarien gebildet, wie man aus den Worten des Theophanes [18]: ἡ παλαιὰ Βουλγαρία ἐστὶν ἡ μεγάλη, καὶ οἱ λεγόμενοι Κότραγοι ὁμοφυλοι αὐτῶν καὶ οὗτοι τυγχάνοντες entnehmen kann [19].

 

 

16. Marquart, Streifzüge 356; Moravcsik, Byzturc. II 105 und Studia 104; Artamonov, Hazar 83 f. Hierzu H. Miyakawa und A. Kollautz, Abdelai in: Reallexikon der Byzantnistik, Bd. 189 gegen die Auffassung von Marquart op. cit. 503 und 506, wonach die Burgar Utiguren seien.

17. Moravcsik, Byzturc. II 172; Artamonov, Hazar 83 f.

18. Chronographia 357, 8-9, vgl. Nikephor. 33, 14-16

19. Gegen die Identität der Kutriguren und Utiguren mit den Bulgaren äussert sich A. Burmov, Werke 1 33-39. Vgl. Lemerle, Invasions 283 mit Anm. I zurückhaltend und Stein II 61 Anm. 4

 

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5. Das Auftreten der Awaren

 

Allgemeine Literatur: W. Tomaschek, Avares, in: RE II, 2264-2265, K. Jireček, Serben I 83-99; L. Hauptmann, Les rapports des Byzantins avec les Slaves et les Avares pendant la seconde moitié du Vl-e siècle, in: Byz. 4 (1927/28), 137-170; R. Grousset, L’empire 226-232; Stein II 541-545; G. Labuda, Chronologie des guerres de Byzance contre les Avares et les Slaves à la fin du Vl-e siècle, in; Byzsl. 11 (1950), 167-173; B. Grafenauer, Problémes 23-126; H.W. Haussig, Theophylakts Exkurs über die skythischen Völker, in: Byz, 23 (1952), 275-462; derselbe, Die Quellen über die zentralasiatische Herkunft der europäischen Awaren, in: Central Asiatic Journal 2 (1956), 21-43; Gy. Moravcsik, I, 70-76 (mit ausführlicher Bibliographie), II 51-53; Artamonov, Hazar 103-113; K.H. Menges, Introduction 20 ff.; A. Kollautz, Die Awaren, in: Saeculum V (1954) 2, 129-178 (mit ausführlicher Literatur), derselbe, Abaria, in: Reallexikon der Byzantinistik I (1969), 2-16; A. Kollautz - H. Miyakawa, Awaren I. und II; Boh. Zăšterová, Les Avares et les Slaves dans la Tactique de Maurice, Praha 1971; derselbe, Avari a Slované, in: Vznik a počátky Slovanu, Bd.2, Prag 1958, 19-54; Lemerle, Invasions 287-299; Liao 85 Anm. 11 mit Lit.

 

 

Gegen Ende der Regierung Justinians trat ein neues Volkselement in den Gebieten jenseits der Donau auf, das fast 60 Jahre lang teils allein, teils in Bündnis mit den Slawen Raubzüge in die Balkanländer des Byzantinischen Reiches unternahm und später sogar seine Existenz bedrohte. Das waren die Awaren, die einige Forscher mit den, aus den chinesischen Quellen bekannten, Žuan-Žuan, andere dagegen mit einem Teil der Ephtaliten für identisch halten. Sie erschienen nach vielen Wanderungen aus Ostzentralasien um 555 in dem Gebiet des Kaukasus. Von dort aus schickten sie Gesandte nach Konstantinopel, die dem Kaiser Justinian die Dienste ihres Volkes gegen die Feinde des Reiches anboten, unter der Bedingung,

 

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dass er ihnen viele kostbare Geschenke, Jahrgelder und fruchtbares Land zum Ansiedeln geben würde. Der Kaiser willigte ein und schloss mit den Awaren ein Bündnis. Darauf unterwarfen sie die, in der Gegend des Kaukasus und an der Nordküste des Schwarzen Meeres wohnenden, Sabiren, Onoguren, Utiguren und Kutriguren, verheerten das Land der Anten und drangen bis in die Umgebung der Donau vor [1].

 

Im Jahre 562 erschienen wiederum awarische Gesandte bei Kaiser Justinian, um von ihm des versprochene Land zum Niederlassen zu bekommen. Er bot ihnen die alten Wohnsitze der Heruler in Pannonien an. Die Awaren, die sich bereits in Skythien [2] d.h. im heutigen Bessarabien aufhielten dachten jedoch gar nicht daran es zu verlassen, da das Land ihnen sehr gut gefiel. Sie hatten die geheime Absicht, die Donau zu überschreiten und das Reich zu überfallen. Sie konnten jedoch ihre Pläne nicht ausführen, da der Kaiser rechtzeitig durch Verrat darüber informiert würde. Die Gesandten der Awaren wurden so lange in der Kaiserstadt zurückgehalten, bis die Donauverteidigung und -bewachung in guten Zustand gesetzt worden war.

 

 

1. Menander EL 442, 1-27; 442, 28-443, 28; Prisc., EL 586, 7-16; Theophyl. 258, 13-24; Theophan. 232, 6-13; Victor Ton., An. 563, 2, dazu Grousset, L’empire 227-228; Stein II 541-545

 

2. Menander EL 444, 2-18:

... ἐκεῖνοι Σκυθίας οὔτι ᾤοντο δεῖν ἔσεαθαι ἐκτός· αὐτῆς γὰρ δήπουθεν ἐσότι ἐφίεντο... ἂν ταύτῃ διαπεραιωθεῖεν τὸν Ἴστρον, εἴ γε διέλθοιεν τὸν ποταμόν, βούλονται πανστρατὶ ἐπιθέσθαι... οῦκ ἀνέξοιντο διελθεῖν τὸ ῥεῖθρον... φυλάξων τὰς διαβάσεις τοῦ ποταμοῦ...

 

In den angeführten Zeilen bezeichnet Menander mit. Σκυθία nicht Skythia Minor, wie manche annehmen (z.B. Stein II 543), sondern das Gebiet jenseits der Donau, (vgl. hier S. 69-72) wie aus dem Umstand zu ersehen ist, dass die Awaren die geheime Absicht hegten, die Donau zu überschreiten und in das Reich einzufallen. Nach der sog. Chronik von Monemvasia bekamen die Awaren von Kaiser Justinian I. die Stadt Durostorum zur Niederlassung (Lemerle, Monemvasie 9, 12-13: ἔλαχον παρ’ αὐτοῦ ἔχειν τὴν κατοίκησιν ἐν χώρᾳ Μυσίας ἐν πόλει Δωροστόλῳ τῇ νῦν καλουμένῃ Δρίστρᾳ). Wenn die Awaren hier nicht irrtümlich anstelle der Slawen stehen, wie das im ersten Teil der Chronik der Fall ist, könnte man dies als einen Beweis dafür gelten lassen, dass die Awaren sich tatsächlich vorübergehend in Scythia Minor aufgehalten haben. Nach Prokop aber befanden sich unter Justinian I. Slawen im Gebiet von Durostorum. (De aedif. 132, 18-22).

 

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Den zurückkehrenden Gesandten nahm der Heerführer Justinus auf Befehl des Kaisers ihre Waffen ab. Über diese Handlungen des Kaisers war der Khagen der Awaren, der tüchtige Bajan sehr erzürnt, obwohl er die üblichen Geschenke erhalten hatte. Seitdem begann die Feindschaft zwischen den Byzantinern und den Awaren [3].

 

Gleich nach dem Tode Justinians (565) schickte der Khagan der Awaren Gesandte zu dem neuen Kaiser Justin II. (565-578), die die Abtretung Sirmiums, und die bis dahin den Kutriguren und Utiguren von Justinian gezahlten Jahrgelder von ihm verlangten. Sie führten als Grund dafür an, dass der Khagan jene Stämme unterworfen habe. Die Forderung der Awaren wurde zurückgewiesen [4].

 

Im Bunde mit den Langobarden griffen die Awaren (567) die Gepiden an und eroberten ihr Land, in welches sie danach ihren Hauptsitz verlegten. Durch den Zusammenbruch des Gepidenreiches gerieten auch ihre bisherigen Bundesgenossen, die pannonischen Bulgaren, unter die Botmässigkeit der Awaren, deren Reich sich nun von der Elbe bis zum Kaukasus und von der Ostsee bis zur Adria erstreckte.

 

 

3. Menander EL 442, 1-443, 9; 443, 29-444, 31, dazu Stein II 543-544

4. ebenda 195, 26-198, 10, dazu Stein II 544-545

 

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6. Die awarischen Eroberungen diesseits der Donau

 

Die Feindseligkeiten zwischen den Awaren und Byzantinern begannen gleich nach der Eroberung des Gepidenlandes. Die Awaren griffen 568 ohne [1] Erfolg die Stadt Sirmium an. In demselben Jahr sendete der Khagan 10,000 Krieger der von ihm unterworfenen Kutriguren nach Dalmatien, um es zu verheeren. Gleichzeitig überschritt er selbst die Donau und hielt sich in dem früheren Gepidengebiet diesseits der Donau auf. Er verlangte von Kaiser Justin II. die Erfüllung seiner früher gestellten Forderungen, die aber auch diesmal zurückgewiesen wurden. Im Jahre 570 wurden die Awaren von dem Feldherrn Tiberios, dem zukünftigen Kaiser, geschlagen [2]. Darauf wurden lange Zeit ergebnislose Verhandlungen zwischen den Awaren und Byzantinern geführt. Der Feldherr Tiberios begann 573 wieder einen Krieg mit ihnen, der mit seiner Niederlage endete. Justin II. musste den Frieden durch hohe Tributzahlungen erkaufen [3].

 

Als die unabhängigen Slawenstämme zu Beginn der Regierung des neuen Kaisers Tiberios (578-582) die untere Donau überschritten und plündernd in Griechenland einfielen, sah sich der Kaiser gezwungen den Khagan der Awaren, Bajan, um Hilfe zu bitten. Die Awaren drangen über die Donau vom byzantinischen Gebiet aus in das Land der Slawen ein und verwüsteten ihre Siedlungen [4]. Im folgenden Jahr, nachdem der Khagan die Jahrgelder bekommen hatte, zog er mit einem gewaltigen Heer aus und kam bis zum Fluss Sawa, über den er eine Brücke bauen liess. Er forderte die Abtretung Sirmiums, die Kaiser Tiberios verweigerte.

 

 

1. Nach Tibor Nagy (Studia Avarica II: Az avar-bizánci kapcsolatok 2. szakaszanak /567-82 idöredjéhez = La chronologie de la deuxième phase /567-82/ des raports avaro-byzantins, in: Antiquitas Hungarica 1948, 131-149) im Jahre 567.

2. Menander EL 459, 26-460, 11, Johann. Biclar. Chron a.a. 5 70

3. Menander EL 460, 12-17

4. ebenda 208, 11-210, 2

 

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Dann begannen die Awaren die Stadt zu belagern, die ihnen der Kaiser (582) endlich unter schweren Bedingungen abtreten musste [5]. Damit war das Schicksal der byzantinischen Donauprovinzen entschieden. Seitdem war die Donaugrenze des Reiches fortwährend gefährdet und der Friede mit den Awaren durch ständig erhöhte Tributzahlungen erkauft.

 

 

5. ebenda 471, 25-477, 18; 220, 6-221, 11

 

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7. Die awarischen Einfälle in das Reich und die byzantinischen Defensivoperationen

 

Im Jahre 582 bestieg Maurikos (582-602) den byzantinischen Kaiserthron [1]. Der langjährige persische Krieg, den er als Erbe von der vorigen Regierung erhielt, beanpruchte seine ganze Aufmerksamkeit. Kaum zwei Jahre waren seit dem Friedenschluss von 582 verflossen, als der Khagan der Awaren eine Erhöhung der Jahrgelder von 80,000 auf 100,000 verlangte. Die Forderung wurde zurückgewiesen und die Awaren fielen in das Reich ein, eroberten Singidunum und zerstörten Viminacium und die Festung Augusta an der Mündung des Flusses Ogosta. Sie erreichten Anchialos am Schwarzen Meer, und plünderten diese Stadt und ihre Umgebung. Der nahe liegende Badeort Aquae Calidae (j. Burgaski bani) [2] blieb jedoch verschont, da die Frauen des Khagans dort badeten [3]. Zum Khagan in Anhialos sandte der Kaiser den Senator Elpidios und den Scribon Komentiolos, um mit ihm über den Frieden zu unterhandeln. Er wollte jedoch nichts davon hören, und drohte sogar die Lange Mauer zu zerstören [4].

 

Im folgenden Jahr (585) erklärte sich der Kaiser bereit die Jahrgelder zu erhöhen und der Frieden wurde wiederhergestellt, dauerte aber nur kurze Zeit [5].

 

Die Awaren griffen die Byzantiner nicht offen an, sondern hetzten die ihnen untertänigen Slawenstämme auf, in das Reich einzufallen.

 

 

1. Euagrii HE 228, 21-29; Theophyl., 46, 10-14. Das Jahr dieses Awareneinfalles ist strittig. Nach Hauptmann, (Les rapports 159), ist es 584, nach Grafenauer, (Problémes 55), dagegen 582.

2. s. B. Angelov, Hidrologični i arheologični beležki za okolnosta na grad Anhialo, in: Vodosnabdjavane i kanalizacia (Zeitshrift des Vereins der bulgarischen Fachmänner im Wasserversorgungs- und Kanalisationswesen, Jahrg. III 1 (1939) 1-11

3. Theophyl. 46, 12-47, 11

4. ebenda 47, 1 1-48, 5            5. ebenda 51, 17-52, 10

 

105

 

 

Die Slawen verheerten grosse Gebiete und drangen bis zur Langen Mauer vor. Nach Michael dem Syrer, dessen Bericht offensichtlich auf Johannes von Ephesos zurückgeht1 [6], haben die Slawen Anchialos und sein Bad, d.h. Aquae Calidae, zerstört. “Sie fanden dort jene Purpurkleider, die Anastasia, Gattin Tiberios”, der Kirche daselbst geweiht hatte, als sie das Bad besuchte. Diese Kleider nahm der Khagan und legte sie sich an, indem er sprach: “Ob der Kaiser der Römer will oder nicht will: mir ist jetzt das Kaisertum gegeben worden” [7]. Endlich wurden die Slawen von dem byzantinischen Feldherrn Komentiolos zurückgeschlagen. Er erschien am Fluss Erginia (j. Ergene), überraschte sie und tötete viele von ihnen. Darauf, gegen Ende des Sommers 585, kam er nach Adrianopel, wo er auf den Slawenführer Ardagastos stiess. Dieser führte grosse Scharen von Slawen, viele Gefangene und reiche Beute. Beider Festung Ansinon, deren Lage unbekannt ist, begann Komentiolos einem erbitterten Kampf mit den Slawen. Diese zogen sich langsam zurück, ergriffen die Flucht und verliessen die Landschaft Astica [8].

 

Zu Beginn des Herbstes 585 brachen die Awaren offen den Frieden, aus folgendem Anlass: Ein awarischer Schamane, der sog. Bookolabras, war wegen eines schweren Vergehens zu den Byzantinern geflohen, und der Khagan verlangte seine Auslieferung. Dies Verlangen wurde vom Kaiser nicht erfüllt, was der Khagan zu einer Verletzung des Friedens erklärte. Seine Scharen fielen verheerend und plündernd über Scythia Minor, Moesia Inferior und Europa her. Sie nahmen die Städte Aquae, Bononia, Ratiaria, Appiaria, Durostorum, Zaldapa, Tropaeum Traiani, Marcianopolis und Pannasa ein [9].

 

 

6. F. Altheim und R. Stiehl, Michael der Syrer über das erste Auftreten der Bulgaren und Chazaren, in: Byz. XXVIII (1958) 109 f.

7. Es handelt sich hier um eine Art Schadenzauber, darüber s. Frazer, Der goldene Zweig 15 f. und besonders 53 f.; Thumwald, Zauber, in: Eberls Reallexicon XIV 483 f.; Ed. Stemplinger, Aberglaube 68 f.

8. Theophyl. 52, 10-53, 11

9. ebenda 53, 12-55, 7

 

106

 

 

Der Feldherr Komentiolos wurde gegen die Awaren geschickt. Der Kaiser hatte ihn zum Oberbefehlshaber der Armee in Thrakien, d.h. zum Magister utriusque militiae, ernannt. Er liess das Heer sich in Anchialos versammeln. Darauf, schied Komentiolos 4,000 Man aus dem Heer als untauglich aus, und liess sie im Lager, wohl in dem sog. Πύλαι τοῦ Αἵμου an der Heerstrasse Anchialos - Marcianopolis, (s. S. 28) zurück, um es zu bewachen. Das übrige Heer, das aus Elitetruppen bestand, wurde in drei Abteilungen eingeteilt. Die eine Abteilung, unter der Führung des Feldherrn Kastos, schlug die Awaren bei der Stadt Zaldapa. Die andere, unter dem Befehl des Feldherrn Martinos, überraschte den Khagan selbst bei der Stadt Tomi in Scythia Minor und griff ihn siegreich an. Die dritte Abteilung, unter Komentiolos’ Befehl, blieb in Marcianopolis als Nachschub. Die Awaren unternahmen einen erfolgreichen Gegenangriff und zwangen das ganze byzantinische Heer sich fluchtartig zurückzuziehen. Sie nahmen auch den Feldherrn Kastos mit einem grossen Teil seines Heeres gefangen. Sie gingen auf die parallellaufende Transhämusstrasse, die nach Mesembria führte (s. hier S. 28), eroberten diese Stadt und drangen verheerend und plündernd in Thrakien vor. Der byzantinische Oberbefehlshaber benutzte dagegen die Transhämusstrasse Marcianopolis-Anchialos (s. S. 28) und stieg vom Hämusgebirge über Sabulente Canalium nach Calvomuntis und Lividurgos (wohl Livii burgos) hinunter. In der Ebene von Anchialos bemerkte Komentiolos den Awarenkhagan mit einem Teil seines Heeres und schickte sich an ihn anzugreifen. Es kam jedoch zu keiner Schlacht. In der Nacht, als die byzantinischen Truppen befehlsmässig nach der Landschaft Astica marschierten, verschob sich die Last eines Maultieres. Die Soldaten, die das sahen, begannen dem Tierbesitzer das ihnen wohlbekannte und geläufige Kommandowort für Rückzug “torna” (darüber s. S. 33-34) zu zurufen, damit er zurückkehrte und die verschobene Last zurechtlegte. Das Wort wurde von den übrigen Soldaten, die weit von der Stelle entfernt waren und von dem Vorfall keine Ahnung hatten, missverstanden. Sie hielten es für einem Rückzugsbefehl und wähnten sich von den Awaren angegriffen.

 

107

 

 

Das rief eine grosse Panik unter ihnen hervor, und sie ergriffen die Flucht. Inzwischen begaben sich die Awaren nach der Stadt Beroia, die sie vergeblich belagerten. Gegen ein kleines Lösegeld hoben sie die Belagerung auf. Von dort gingen sie nach der Stadt Diocletianopolis (j. Hisarija), deren Belagerung auch ergebnislos verlief. Darauf zog der Khagan nach Philippopel. Auch diese Stadt vermochte er nicht einzunehmen. Dann begab er sich durch die Wälder des Astica nach Adrianopel. Er umzingelte die Stadt mit seinen Truppen. Das neue vom Kaiser entsandte Heer befreite die Stadt von der Belagerung und brachte den Awaren eine schwere Niederlage bei, worauf sie sich zurückzogen [10]. Einer awarischen Abteilung gelang es jedoch bis zur Langen Mauer vorzudringen und den Taxiarchen Ansimuth, den Führer des Fussvolkes in Thrakien, gefangen zu nehmen [11].

 

Im Jahre 588 verheerten die Slawenscharen wieder die thrakischen Länder [12].

 

Etwa vier Jahre herrschte Ruhe in den Donauprovinzen. Im Jahre 592 tauchte das Gerücht in Konstantinopel auf, dass die Awaren erneut beabsichtigen, das Reich zu überfallen. Diesmal entschied sich Kaiser Maurikios selbst gegen sie auszuziehen. Er begab sich nach Anchialos, wo er sein Lager aufschlug. Nach 15 Tagen kehrte er in die Hauptstadt zurück, weil die Awaren sich ruhig verhielten [13].

 

Im folgenden Jahr schlug der Khagan der Awaren dem Kaiser vor, den Waffenstillstand zu verlängern. Da der Kaiser davon aber nichts hören wollte, nahm er den Krieg wieder auf. Er befahl den Slawen viele Kähne zu bauen, um die Donau zu überqueren. Die Einwohner von Singidunum verbrannten jedoch die berreits fertigen Kähne. Deshalb überfielen und belagerten die Awaren die Stadt. Die Belagerung wurde aber bald auf Befehl des Khagan aufgehoben. Er selbst kam inzwischen nach Sirmium, wo er sein Lager aufschlug, und befahl den Slawen widerum Kähne zu bauen, um den Fluss Sawa zu überqueren.

 

 

10. ebenda 90, 1-105, 7

11. ebenda 94, 15-21; 98, 26-28; Euagrii HE 228, 21-29

12. Theophyl. 116, 26-117, 1

13. ebenda 218, 8-225, 12

 

108

 

 

Nachdem die Kähne fertig waren, drangen die Awaren in das byzantinische Gebiet ein und erreichten bald Bononia. Als der Kaiser dies erfuhr, sandte er ein Heer, unter dem Befehl des Magister militum per Thracias Priskos, gegen sie. Eine vorausgeschickte Reiterabteilung von 1,000 Mann, unter der Führung des Feldherrn Salvianus, besetzte eiligst die sog. Pässe der Prokliane (τῆς Προκλιανῆς τὰς διαβάσεις) im Hämusgebirge und lagerte in den dortigen Befestigungen, die an der Strasse Marcianopolis - Anchialos lagen (vgl. hier S. 28). Diese Festungen waren offenbar ein bedeutendes Hindernis, die die Awaren vergeblich einzunehmen versuchten. Da der Khagan selbst mit einem grossen Heer vor den Festungen erschien, erschrak Salvianus und zog sich zurück. Erst dann überschritt der Khagan die Hämuspässe und kam über Sabulente Canalium in Anchialos an. Von dort begab er sich nach Drusipara. Unterwegs steckte er die berühmte Kirche des Märtyrers Alexander in Brand und lagerte nicht weit von der Stadt Drusipara, die er nicht einzunehmen vermochte. Darauf setzte der Khagan seinen Feldzug fort und erreichte Herakleia. Dort schlug er das Heer des Befehlshabers Priskos, der sich über Didymoteichon nach Tzurulum zurückzog. Der Khagan, schloss durch einem fingierten Brief irregeführt, Frieden für eine kleine Geldsumme [14].

 

 

14. ebenda 225, 23-23«, 12

 

109

 

 

 

8. Die byzantinischen Strafexpeditionen gegen die Slawen jenseits der Donau

 

Der im Jahre 591 mit den Persern geschlossene Friede erlaubte nunmehr dem Kaiser Maurikoios seine volle Aufmerksamkeit auf die Ereignisse auf der Balkanhalbinsel zu richten. Er verwendete bisher seine Streitkräfte nur zur Verteidigung. Jetzt ging er zum Angriff über. Im Frühling 594 sandte der Kaiser ein grosses Heer unter der Führung des Befehlshabers Priscus über die Donau gegen die unabhängigen Slawenstämme, die im Bunde mit den Awaren oder selbständig Einfälle in das Reich unternahmen. Das byzantinische Heer versammelte sich bei Herakleia. Von dort zog es über Druzipara nach Durostorum. Hier wurden Schiffe gebaut, auf denen Priscus den Fluss überquerte. Er überraschte die Slawen, die, eben von einem Raubzug zurückgekehrt, in tiefem Schlaf lagen, und richtete ein Blutbad unter ihnen an. Ihr Häuptling Ardagastos entkam mit Mühe dem Tod, indem er über einem Fluss schwamm. Die Byzantiner verheerten sein Land und nahmen viele gefangen, die sie nach Konstantinopel schickten. Bei der Verteilung der Beute entstand eine Meuterei unter den Soldaten, die Priscus leicht beschwichtigen konnte. Die kleine Schar Byzantiner, die die Beute nach der Hauptstadt bringen sollte, wurde von den Slawen überfallen. Sie wurden jedoch blutig zurückgeschlagen. In den folgenden Tagen drang Alexander, ein Offizier von Priscus bis an den Fluss Elibakia (j. Jalomiţa) vor, den er überschritt. Bald stiess er auf Slawen, die sich aber bei seinem Anblick gemäss ihrer Gewohnheit in den nahen Sümpfen und im Wald versteckten. Die byzantinischen Soldaten setzten ihnen nach. Sie wären zugrunde gegangen, wenn Alexander sie nicht schleunigst aus dem Sumpf zurückzogen hätte. Er versuchte darauf die Feinde durch Feuer zu vernichten. Der feuchte Morast konnte aber kein Feuer fangen. Die Slawen wären unbehelligt geblieben, wenn ein Gepide den Byzantinern nicht die Zugänge zum Morast verraten hätte. Nun erst konnten die Byzantiner die Slawen ergeifen.

 

110

 

 

Es stellte sich heraus, dass die gefangenen Slawen dem sog. Rex Musokios untertänig und von ihm auf Kundschaft ausgeschickt waren. Sie hatten ihre Wohnsitze jenseits des Flusses Paspirios (j. Buzău ?). Auf Anstiften des bereits erwähnten Gepiden überschritten die Byzantiner den Fluss, überraschten nachts die schlafenden Slawen und töteten die meisten, wobei ihr Fürst Musokios in Gefangenschaft geriet [1].

 

Der unbekannte Verfasser des Werkes Strategikon über die Kriegskunst empfiehlt die Winterzeit für die Feldzüge gegen die Slawen, weil dann die Bäume ohne Laub sind und daher kein Versteck bieten, der Schnee die Spuren der Fliehenden verrät, die mangelhaft bekleideten, fast nackten Slawen unter der Kälte leiden und die gefrorenen Flüsse leicht zu passieren sind [2]. Sei es aus diesem Grund oder aus einem anderen Anlass, dass Kaiser Maurikios dem Heer befahl jenseits der Donau zu überwintern. Die Soldaten weigerten sich jedoch aus Angst vor der Kälte und den Slawenstämmen dem Befehl zu gehorchen. Das zwang den Befehlshaber das Lager abzubrechen [3]. Er sah auch ein, dass das Überwintern im feindlichen Land manche Gefahren in sich birgt. Als er sich anschickte die Donau zu überqueren, erfuhr er, dass der Khagan das byzantinische Heer zu überfallen beabsichtigte und den Slawenstämmen befohlen hatte die Donau zu überschreiten. Der Khagan war über die Erfolge der Byzantiner sehr erzürnt und verlangte einen Teil der Beute. Er hoffte wahrscheinlich, dass die Slawen das byzantinische Heer besiegen und vernichten würden. Vielleicht haben die Slawen den Khagan auch beschuldigt, ihre Vernichtung durch die Byzantiner geduldet und untätig zugesehen zu haben. Um den Khagan zu beschwichtigen, überliess Priscus ihm die gefangenen Slawen. Erst dann erlaubte der Khagan den byzantinischen Truppen sein Land zu passieren und ungehindert nach Hause zurückzukehren [4].

 

 

1. Theophyl., 230, 13-238, 19

2. Mauric., Strateg, ed. Mihăescu 282, 4-8

3. Theophyl., 239, 3-15

4. ebenda 242, 8-245, 19

 

111

 

 

Das eigenmächtige Handeln des Priscus bzw. die Verweigerung des Befehls jenseits der Donau zu überwintern, missfiel dem Kaiser anscheinend und er wurde seines Amtes enthoben. Zum Magister utriusquae militiae per Thracias wurde Petros, der Kaiserbruder, ernannt.

 

Im Jahre 595 sandte der Kaiser erneut ein Heer gegen die Slawenstämme jenseits der Donau, diesmal unter der Führer des Petros, wahrschernlich um sie zu unterwerfen, was Priscus nicht getan hatte. Zuerst begab sich der neue Befehlshaber von Herakleia über Druzipara nach Odessos und dann nach Marcianopolis. Gleich nach der Ankunft in dieser Stadt befahl er tausend Soldaten nach Norden vorauszueilen. Sie stiessen unterwegs auf sechshundert Slawen, die mit der Beute von den geplünderten Städten Zaldapa, Aquae und Skopi beladen, heimkehrten. Beim Anblick der byzantinischen Soldaten ermordeten die Slawen einen Teil der Gefangenen und fügten ihre Wagen zusammen. In deren Mitte stellten sie die Frauen und Kinder. In dem Gefecht wurden die Slawen besiegt und niedergschlagen. Inzwischen bekam Petros vom Kaiser den Behehl sich in der Diözese Thrakien aufzuhalten, da die Slawen nach Meldungen einen Feldzug gegen die Hauptstadt zu unternehmen beabsichtigten. Um die Donauübergänge zu beobachten und zugleich die Nordgrenze der Diözese in Schutz zu nehmen, zog Petros mit dem Heer über das Kastell Pistus und die Stadt Zaldapa zur Donau. Als er den Fluss erreichte, zog er auf der Donauuferstrasse (s. hier S. 23) zur Westgrenze der Diözese. Er passierte die Kastelle Jatrum und Latarkion und blieb zwei Tage in Novae. Von dort zog er nach Theodorupolis Nach einem ganz kurzen Aufenthalt in dieser Stadt setzte er den Marsch fort und gelangte über Securisca nach Asamus, der letzten Stadt der Diözese nach Westen hin, bei der er sein Lager aufschlug. Diese Stadt besass eine kleine, eigene Miliz zum Schutz vor den Slawen, die oft ihre Umgebung heimsuchten. Petros, dessen Wohlgefallen die Stadtmiliz erregte, wollte ihre Soldaten mit Gewalt seinem Heer einverleiben. Das brachte das Städtchen in Aufruhr und der Befehlshaber musste fortziehen. [5]

 

 

5. ebenda 245, 21-251, 8 hierzu Fr. Dölger, Die Stadt 86

 

112

 

 

Er kam an das Ufer der nicht weit entfernt fliessenden Donau und sandte Kundschafter über den Fluss. Sie fielen aber den Slawen in die Hände und verrieten ihnen seine Pläne. Piragastos, der Anführer der Slawenschar, legte sich im Wald bei den Flussübergängen in den Hinterhalt. Die über den Fluss entsandten tausend Soldaten wurden geschlagen. Dann befahl Petros dem Heer die Donau in kleinen Gruppen gleichzeitig zu überqueren und die Slawen anzugreifen. Diese hatten sich am Ufer entlang aufgestellt und erwarteten die Feinde. Die Byzantiner beschossen die Slawen aus den Boten mit Pfeilen und sie wichen zurück. Ein Pfeil traf ihren Anführer Piragastos tödlich und die Slawen ergriffen die Flucht. Die byzantinischen Truppen setzten den fliehenden Slawen nach und besiegten sie aufs neue. Da die Byzantiner aber keine Reiterei hatten, konnten sie den Feind nicht mehr verfolgen.

 

Bei ihrem Vorrücken gerieten sie in eine wasserlose Landschaft, da ihre Wegweiser sich verirrten. Das ganze Heer wäre vor Durst umgekommen, wenn ein gefangener Slawe ihm nicht den Fluss Elibakia gezeigt hätte. Die Slawen beschossen die Byzantiner vom gegenüberliegenden Ufer aus, als diese aus dem Fluss Wasser schöpften oder tranken. Um sie zu verjagen überquerten die Byzantiner den Fluss. Sie wurden jedoch von den Slawen angegriffen, erlitten eine schwere Niederlage und mussten ihr Heil in der Flucht suchen [6].

 

In dem Bericht des Theophylaktos Simokattes, der hier gekürzt wiedergegeben ist, dürften die Zeitangaben von Petros’ Marschroute kaum richtig sein. Die Stelle, wo die byzantinischen Truppen die Donau überschritten haben, wird auch nicht genannt. Die wasserlose Landschaft ist ohne Zweifel das heutige Steppengebiet Baragan zwischen den Flüssen Jalomiţa (Elibakia) und Donau. Die Übergangsstelle soll sich nach dem Wortlaut des Theophylaktos irgendwo in der Nähe von Asamus etwa in Securisca befunden haben.

 

 

6. ebenda 252, d-254, 18

 

113

 

 

Von dort über die Donau zu der Steppe Baragan ist es ein sehr langer Weg, der über viele Flüsse führt, sodass die byzantinischen Truppen kaum an Wassermangel zu leiden gehabt hätten, wenn sie die Donau in der Nähe von Asamus überschritten hätten. Daher ist der Bericht des Theophylaktos entweder nicht vollständig oder die Übergangstelle lag in der Nähe von Durostorum.

 

114

 

 

 

9. Die Kämpfe der Byzantiner mit den Awaren bis zum Fall Maurikios

 

Wegen der Niederlage jenseits der Donau wurde Petros durch Priscus ersetzt. Zu Beginn des Frühlings 596 erschien Priscus mit seinem Heer in der Stadt Obere Novae. Hier erfuhr er, dass die Awaren die Stadt Singidunum angegriffen hatten, ihre Mauer niederrissen und die Bevölkerung zu entführen gedachten. Nachdem Priscus mit dem Khagan erfolglos über Singidunum verhandelt hatte, sandte er Truppen zu dieser Stadt, die sie von der Belagerung befreiten. Der Khagan, darüber erzürnt, erklärte die Friedensverträge für ungültig und fiel in Dalmatien ein [1].

 

Fast über 18 Monate war nichts zwischen den Awaren und Byzantinern, die sich zu der Donau im Gebiet von Singidunum aufhielten, vorgefallen. Im Winter 599/600 überfiel der Khagan die Stadt Tomi in Moesia Superior [2]. Priscus eilte der bedrängten Stadt zu Hilfe und schlug dort sein Lager auf. Beide Heere standen sich den ganzen Winter gegenüber ohne etwas Feindliches zu unternehmen. Im Frühjahr gingen sie friedlich auseinander [3].

 

Im Jahre 600 erfuhr der Khagan, dass Komentiolos mit einem Heer in Nikopolis ad Istrum ankommen sollte. Auf diese Nachricht hin zog er mit seinen Truppen gegen den byzantinischen Heerführer. Komentiolos kam ihm aus der Hauptstadt entgegen und erschien über Sucidava in Jatrum [4], in dessen Nähe die Awaren bereits vorgerückt waren.

 

 

1. Theophyl., 254, 18-20; 262, 15-266, 13

2. Über diese Stadt, die verschieden von der gleichnamigen in Scythia Minor ist, s. Beševliev, Zur Deutung 109 f.

3. Theophyl., 267, 1-268, 9

4. Über dies Kastell s. Joh. Irmscher in Klio, Bd. 38(1960), 292-294; G. Bockisch in Spectrum, Jahrg. 9 (1963) Heft 10, 360-366

 

115

 

 

In der sich entfesselnden Schlacht wurden die byzantinischen Truppen aus unbekanntem Grund von dem Heerführer selbst den Awaren ausgeliefert, von diesen geschlagen und in die Flucht gejagt. Die Awaren überschritten den Fluss Iatrus und verfolgten das byzantinische Heer bis zu den Hämuspässen. Hier leisteten die Verfolgten Widerstand und die Awaren stellten die Verfolgung ein. Inzwischen traf Komentiolos über Druzipara und die Lange Mauer in der Hauptstadt ein. Die Awaren rückten allmählich vor und erreichten die Stadt Druzipara, die sie verheerten und wo sie die wiederhergestellte Kirche des Heiligen Alexander erneut niederbrannten. Bald darauf brach die Pest unter den feidlichen Truppen aus der viele Awaren, darunter auch sieben Söhne des Khagan, zum Opfer fielen, worüber er sehr betrübt war.

 

Die Anwesenheit der Awaren rief in Konstantinopel eine so grosse Panik hervor, dass manche sogar daran dachten nach Chalkedon auszuwandern. Der Kaiser selbst besetzte die Lange Mauer mit Truppen und sandte einem Boten zum Khagan mit einem Friedensantrag. Dieser willigte ein und der Friede wurde nach kurzen Verhandlungen unter folgenden Bedingungen geschlossen: die Jahrgelder sollen von 100,000 Goldstücken auf 120,000 erhöht werden. Die Grenze zwischen den Awaren und Byzanz sollte der Donaufluss sein, den Byzantinern wurde jedoch das Recht eingeräumt, ihn zu überqueren, wenn sie Feldzüge gegen die Slawen unternahmen [5].

 

Der in Druzipara geschlossene Friede dauerte nicht lange. Im Sommer desselben Jahres (600) begab sich Komentiolos mit einem neuen Heer nach Singidunum, um sich dort den Truppen des Heerführers Priscus anzuschliessen. Gleich nach seiner Ankunft wurde der Friede auf Befehl des Kaisers aufgelöst und das byzantinische Heer zog nach Viminacium. Es gelang ihm die Awaren, die die Flussübergänge bewachten, zurückzudrängen und die Donau zu überqueren. Die Byzantiner verjagten die Awaren und schlugen ihr Lager jenseits des Flusses auf. Diese kehrten jedoch bald zurück und griffen das byzantinische Lager an. Priscus eilte über die Donau, drang tief in das Land der Awaren vor,

 

 

5. Theophyl., 271, 5-273, 11

 

116

 

 

schlug sie vernichtend in fünf Schlachten und erreichte den Fluss Theiss. Dort lieferten sich die beiden Gegner einen erbitterten Kampf, der mit dem Sieg der Byzantiner endete. An dem Kampf nahmen auch viele Slawen teil. Den Byzantinern fielen auch viele Awaren, Slawen und nicht wenige der anderen Stämme in die Hände, die nach Tomi in Moesia Superior gesandt, aber bald auf Geheiss des Kaisers befreit wurden, da es dem Khagan gelang den Kaiser zu betrügen. Komentiolos, der andere Heerführer, der sich inzwischen von einer Krankheit erholte und nicht an den siegreichen Kämpfen teilgenommen hatte, kam über Novae auf der Transhämusstrasse, die Oescus mit Philippopolis verband (s. hier S. 26), in letzterer Stadt an, wo er überwinterte. Im Frühjahr kehrte er von dort zur Hauptstadt zurück [6].

 

Im Jahre 601 ernannte Kaiser Maurikios wiederum seinen Bruder Petros zum Magister militum per Thracias. Der neue Befehlshaber zog im Frühling mit seinem Truppen nach Palastolon (s. hier S.16) an der Donau, wo er sein Lager aufschlug und den Sommer verbrachte. Im Herbst desselben Jahres begab er sich nach Dardanien und schloss mit dem awarischen Heerführer Apsich Waffenstillstand. Darauf kehrte Petros nach Adrianopel zurück.

 

Im Sommer 602 verliess Petros auf Befehl des Kaisers diese Stadt und begab sich wieder zur Donau, um einen Feldzug über den Fluss gegen die Slawen (κατὰ τῆς Σκλαυηνίας) [7] zu unternehmen. Sein Unterbefehlshaber Guduin überschritt die Donau, schlug viele Slawen in Kampf und nahm auch viele Gefangene. An den Kämpfen nahmen auch die Anten als byzantinische Verbündete teil. Sie besetzten, plünderten und brannten die Wohnsitze der Slawen nieder [8].

 

 

6. ebenda 285, 3-290, 27 Darüber Jireček, Serben 113f.; Charanis, Observasions 11-13; Lemerle, Philippes 115 Anm.

7. Theophyl. 293, 2. Diese Bezeichnung des Slawenlandes erscheint hier zum ersten Mal.

8. Die Nachricht des Mihael des Syrers (Byz. XXVIII, 1958, 109 und 113 f.) von dem Überfall der Anten auf die Slawen bezieht sich wohl auf diesen Fall.

 

117

 

 

Diese Erfolge der Byzantiner missfielen widerum dem Khagan, und er sandte Truppen, unter der Führung von Apsich, gegen die byzantinischen Verbündeten, die Anten, um sie zu vernichten. Seitdem verschwindet der Name der Anten aus den Schriftquellen.

 

Um dieselbe Zeit würde eine grosse Menge Awaren dem Khagan untreu und lief eilig zum Kaiser über. Dieser Vorfall beunruhigte den Khagan zutiefst, erschreckte ihn heftig und er suchte Mittel und Wege, die Überläufer zurückzubringen.

 

Der Kaiser befahl dem Heerführer Petros, mit seinem Heer auch im Lande der Slawen zu überwintern. Da das Heer sich aber vor einem Aufenthalt auf feindlichem Boden fürchtete, lehnte es sich auf, zog über die Donau zurück und kam in Palastolon an. Von dort begaben sich die Truppen über Asamus nach Securisca. Hier schlug die schlechte Stimmung der Soldaten ein wenig um und sie begannen Boote zu bauen, um die Slawensiedlungen von Securisca über den Fluss anzugreifen. Zu ihrem Unglück fielen starke Regen und gleichzeitig trat Kälte ein. Die Soldaten verfielen wieder in ihre frühere üble Stimmung, weigerten sich die Donau zu überschreiten, verlangten nach Hause zurückzukehren und dort zu überwintern. Da der Kaiserbruder auf die Ausführung des kaiserlichen Befehls bestand, enstand eine Meuterei unter den Soldaten und sie riefen den Centurio Phokas zu ihrem Anführer aus, indem sie ihn auf einem Schild erhoben. Der Befehlshaber Petros suchte sein Heil in der Flucht [9].

 

 

9. Theophyl., 292, 9-296, 16

 

118

 

 

 

10. Die letzten Einfälle der Awaren und ihre erfolglose Belagerung Konstantinopels

 

Allgemeine Literatur: A. Pernice, L’imperatore Eraclio, Saggio di storia bizantina, Firenze 1905, 137-148; Kulakovski, Istorija III, 79-87; N. H. Baynes, The Date of the Avar Surprise, in; BZ 21 (1912), 110-128; E. Tevjašov, Osada Konstantinopolja avarami i slavjanami v 626 g., in: Zurnal Minist. Nar. Prosv. 52(1914) 229-235; F. Barišič, Le siège de Constantinople par les Avares et les Slaves en 626, in: Byz. 24 (1954), 371-395; derselbe, Car Foka (602-610) i podunavski avaro-sloveni, in: Zb. rad. Viz. Inst. Nr. 4 (1956), 73-88; P. Lemerle, Quelques remarques sur le règne d’ Héraclius, in: Studi medievali III 1 (1960) V. Grumel, La défense maritime de Contantinople du côté de la Corne d’Or et le siège des Avars, in: Byz. 25 (1964), 217-233; A. N. Stratos, Τὸ Βυζάντιον στὸν Z αἰῶνα, II, Athen 1966, 491-542; Iv. Dujčev, Il mondo Slavo e la Persia nell’alto medioevo, in: Medioevo II 372-399

 

 

Phokas liess sich in der Hauptstadt zum Kaiser (602-610) krönen und den gestürtzten Maurikios mit seinen Söhnen hinrichten. Bald darauf eröffnete der Perserkönig Chosrau IL, der sich als Rächer seines “Vaters” Maurikios ausgab, wieder die Feindseligkeiten gegen Byzanz. Um sowohl den Persern entgegenzutreten, als auch seine Herrschaft zu festigen schloss Phokas, die Jahrgelder erhöhend, 604 Frieden mit den Awaren [1]. Der Friede war auch den Awaren und Slawen sehr willkommen, da die siegreichen byzantinischen Kriegsoperationen jenseits der Donau gegen die ersteren (600) [2] und gegen die letzteren (602) beiden Völkern schwere Verluste zugefügt hatten [3]. Inzwischen war der tüchtige Khagan Bajan gestorben und an seine Stelle trat der älteste Sohn, dessen Name unbekannt ist.

 

 

1. Theophan. 292; Fr. Dölger, Regesten 152

2. Paulus Diacon. 125, 10-13

3. Barišič, Car Foka 85

 

119

 

 

Der Exarch Afrikas Herakleios machte der blutigen und unfähigen Herrschaft Phokas ein Ende. Die Awaren benützten sogleich den Thronwechsel, um sich von dem Friedenseid zu entbinden. Kaum hatte der neue Kaiser (610-641) die Regierung angetreten, als die Awaren (611) erneut die Provinz Europa verheerten [4].

 

Im Jahre 617 fielen sie wieder in Thrakien ein und drangen bis zur Langen Mauer vor. Um den Frieden wiederherzustellen verabredete der Kaiser eine Zusammenkunft mit dem Khagan in Herakleia. Er beabsichtigte dort durch verschiedene Veranstaltungen einen tiefen Eindruck auf den neuen Khagan zu machen, der Nachfolger seines älteren Bruders war, und dessen Name wieder unbekannt ist. Das Zusammentreffen wäre für den Kaiser aber beinahe verhängnisvoll ausgegangen: der Khagan legte ihm einen Hinterhalt und er musste sein Heil in der Flucht suchen. Den Awaren fielen aber viele Byzantiner in die Hände. Darauf kehrten die Feinde zurück, nachdem sie Thrakien verwüstet hatten [5]. Wohl um dieselbe Zeit verheerten sie auch einen Teil von Pannonia Inferior, Dacia mediterranea und ripensis, Dardania sowie manche andere Landschaften und belagerten Naissos und Serdica. Zahllose Flüchtlinge aus diesen Ortschaften suchten Rettung hinter der Mauer der Stadt Thessalonike [6].

 

 

4. Theophan., 299, 31-300, 3

5. Chron. Pasch. 712, 9-713, 14; Theophan. 301, 26-302, 4; Nikeph. 12, 29-14, 10 = Orosz 20, 176-21, 205

6. Tougard 128 Nr. 46 und 130 Nr. 48, hierzu Charanis, Demography 10. Auf diese Einfälle bezieht sich vielleicht auch folgende Nachricht des Johannes von Nikiu:

 

“And in regard to Rome it is recounted that the kings of (this) epoch had by means of the barbarians and the nations and the Illyrians devastated Christian cities and carried off their inhabitants captive, and that no city escaped save Thessalonica only; for its walls were strong, and through the help of God the nations were unable to get possession of it. But all the province was devastated and depopulated.”

(R. H. Charles, The Chronik of John, bishop of Nikiu, translated from Zotenberg’s ethiopic text, London 1916, 175-176, Cap CIX, 18).

 

K. Jireček, Romanen 26 nahm an, dass “alwarikon” im Original Awaren heissen soll, von Marquart, (Ausdrücke 19 Anm. 10) abgelehnt. Über die Datierungsversuche der in diesem Text erwähnten Einfälle s. Grafenauer, Problémes 75-76; Barišič, Les Miracles 93-95 und Car Foka 81-82 und 87-88.

 

120

 

 

Dem Kaiser gelang es endlich (619), zu einem sehr hohen Preis, einen Frieden mit ihnen zu schliessen [7].

 

Der langwierige Offensivkrieg, den die Perser seit dem Ergreifen der Macht von Phokas führten, brachte das byzantinische Reich in grosse Gefahr. Die Perser waren bis Chalkedon vorgedrungen. Nach der Reglung der Verhältnisse mit den Awaren begann Herakleios sich auf eine Gegenoffensive vorzubereiten. Er übertrug dem Patriarchen Sergios und dem Patrikier Bonos die Regentschaft für seinen unmündigen Sohn Konstantin und zog 622 mit dem Heer gegen die Perser. Der Kaiser hatte einige grosse Erfolge zu verzeichnen, die jedoch zu keinem endgültigen Sieg führten. Er war bereits bis an die persischen Grenzen vorgedrungen, als ein Awareneinfall ihn noch im gleichen Jahr zum Rückzug in die Hauptstadt zwang [8]. Der Frieden wurde bald, durch die Erhöhung der Jahrgelder, wiederhergestellt, und Herakleios kehrte zu seinem Heer zurück.

 

Der Krieg zog sich in die Länge und die Perser gingen sogar zum Gegenangriff über. In den Awaren fanden sie neue Verbündete, mit denen sie (626) ein Bündnis eingingen. Die Verbündeten rüsteten sich, Konstantinopel von zwei Seiten anzugreifen. Der persische Heerführer Sahrbaraz durchzog Kleinasien, nahm Chalkedon ein und schlug sein Lager der Hauptstadt gegenüber auf. Der Khagan der Awaren zog seinerseits mit einem gewaltigen Heer von Awaren, Slawen, Bulgaren und Gepiden mit Pferden und Wagen gegen Konstantinopel. Als die Awaren Adrianopel erreichten, versuchte die Regentschaft vergeblich, sie zum Rückzug zu überreden. Am 29. Juni erschien die Vorhut der Awaren, etwa 30,000 Mann bei Melantiada. Eine Schar von ihnen drang bis zu den Syken vor und verständigte sich durch Feuersignale mit den Persern am asiatischen Ufer des Bosporus.

 

 

7. Theophan. 302, 15-21 ;

8. Pernice, Eraclio 12; Kulakovski, Istorija III 65 Anm.4

 

121

 

 

Am 29. Juli traf auch der Khagan mit dem Hauptheer verbrennend und verheerend vor der Stadtmauer ein, und begann die Stadt vom Lande und von der See aus zu belagern.

 

Am 31. Juli stellte er den grösseren Teil des Heeres vor der Mitte der Stadtmauer auf. Die Slawen nahmen Stellung vor den übrigen Teilen der Mauer. Die Waffen der Angreifer glänzten in der von Osten strahlenden Sonne. Den Angriff eröffneten die leicht bewaffneten slawischen Fusssoldaten, hinter denen jedoch wieder Fusssoldaten in Harnischen standen. Eine kleine Anzahl Kriegsmaschinen wurde auch in Tätigkeit gesetzt. An den folgenden Tagen wurden viele Kriegsmaschinen dicht nebeneinander gestellt und 12 hohe Holztürme mit Lederverkleidung vorgeschoben. Das Fussvolk führte den Kampf. Der Awarenkhagan konnte aber keinen Erfolg erzielen. Alle seine Angriffe wurden blutig zurückgeschlagen.

 

Der Patrizier Bonos hörte seinerseits nicht auf, den Khagan dazu zu überreden, den Tribut und noch manche Kostbarkeiten in Empfang zu nehmen und abzuziehen. Der Khagan willigte nicht ein und verlangte die Übergabe der Stadt, die ihre Einwohner nur mit dem, was sie am Leibe trugen, verlassen sollten. Diese Forderung wurde selbstverständlich abgelehnt.

 

Die Slawen hatten eine grosse Menge Einbäume mitgebracht, die im Goldenen Horn zu Wasser gelassen wurden. Die Einbäume, die die Stadt von der Wasserseite aus bestürmen sollten, konnten auch nichts erreichen. Sie wurden überall zusammen mit ihrer slawischen Bemannung von den byzantinischen Kriegsschiffen vernichtet. Unter den vielen Leichen der gefallenen Slawen fand man auch Frauen.

 

Als der Khagan einsah, dass der Versuch die Stadt zu erobern misslang, steckte er die Belagerungsmaschinen in Brand und zog sich, die Umgebung verbrennend, zurück. Nach der Osterchronik verliessen die Slawen zuerst das Kampffeld [9].

 

Die Niederlage der Awaren bei Konstantinopel hatte verhängnisvolle Folgen für sie. Sie zogen sich für immer in ihr Land zurück.

 

 

9. Chron. Pasch. 716, 9-726, 10; Georg. Pisid., Bell. Avar. 16-541 ; Theodor. Synkel., Hom. 300, 13-317, 36; Anonym. Oratio historica (= Migne PG 92, 1353-1372); Theophan. 315, 7-24; 316, 16-26; Nikeph. 17, 16-19, 2

 

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Ihre Macht, die bis dahin für unbesiegbar galt, wurde erschüttert. Die zahlreichen Slawenstämme, die dem Awarenkhagan botmässig waren, erhoben sich nun gegen ihn. Nach einer dunklen Kunde fand zwischen den Awaren und Slawen um 629 ein Kampf statt [10].

 

Die Slawen, die sich inzwischen diesseits der Donau angesiedelt hatten, bildeten nunmehr eine Schranke zwischen dem Awarenland und dem Byzantinischen Reich und die Awaren hörten auf, eine Gefahr für Byzanz zu sein. Seit dieser Zeit verschwindet ihr Name fast ganz aus den byzantinischen Quellen. Im Jahre 676/677 erschien eine awarische Gesandtschaft in Konstantinopel, um Kaiser Konstantin IV. zu seinem Triumph über die Araber zu beglückwünschen [11]. Die Hauptgefahr für die Donauprovinzen des Byzantinischen Reiches waren nunmehr die Slawen.

 

 

10. Georg. Pisid. Restitutio crucis 78-81 (= Georgio di Pisidia, In restutionem S. Crucis, ed. Pertusi 228-229): Πάρθοι δὲ Πέρσας πυρπολοῦσι καὶ Σκύθης Σκλάβον φονεύει καὶ πάλιν φονεύεται καὶ τοῖς ἑαυτῶν ᾑματωμένοι φόνοις πολλὴν ἔχοθσι φύρσιν εἰς μίαν μάχην. Hierzu Fr. Barisič, in Vizantiski izvori za istorju naroda Jugoslavije I, Beograd 1955, 158, Anm. 21.

11. Theophan. 356, 2-8

 

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11. Die Einwanderung der Slawen in Griechenland und in das Gebiet von Thessalonike

 

Allgemeine Literatur: M. Drinov, Zaselenie Balkanskago poluostrova Slavjanami (Drinov, Werke I, 143-316, auch 16-30); Niederle, Manuel VI 104-111; Zlatarski, Istorija I 1, 7-19; derselbe, Naseljavane Slovena na Balkanskom Poluostrovu, in: Knjiga o Balkanu I (1936) 82-100 und Die Besiedelung der Balkanhalbinsel durch die Slaven, in: RIEB II (1936) 358-375; Jireček, Bulgaren 50-65 (dazu Ergänzungen 14-29); derselbe, Serben I 81-109; K. Amantos, Σκλάβοι, Σκλαβησιάνοι καὶ βάρβαροι, in: Πρακτικὰ τῆς Ἀκαδημίας Ἀθήνων 7 (1932) 331-339; Μ. Vasmer, Die Slaven in Griechenland, Berlin 1941; K. Amantos, Οἱ Σκλάβοι εἰς τὴν Ἑλλάδα, in: Byz ngr. Jbb. 17 (1944) 210-221; D. Zakythenos, Οἱ Σλάβοι ἐν Ἑλλάδι. Συμβολαὶ εἰς τὴν ἱστορίαν τοῦ μεσαιωνικοῦ ἑλληνισμοῦ, Athen 1945, P. Lemerle, Philippes 113-118 und Invasions 293-305; A. Djakonov, Izvestija Joana Efesskogo i sirijskih hronik o slavjanah VI-VII vekov, in: VDI1 (1946), 20-34; S. Pagulatos, Οἱ Σλάβοι ἐν Πελοποννήσῶ μέχρι τοῦ Νικηφόρου A (805 μ.X.), Athen 1948; P. Charanis, On the Question of the Slavonie Settlements in Greece during the Middle Ages, in: Byzslav 10 (1949) 254-258; derselbe, The Chronicle of Monemvasia and the question of the Slavic settlement in the Peloponnesus, in: BZ 46 (1953) 91-103; derselbe, Ethnic changes in the Byzantine Empire in the seventh Century, in: Dumbarton Oaks Papers 13 (1959), 25-44; derselbe, Observations on the Byzantine Empire, in: Thirteenth International Congress of Byzantine Studies, Oxford 1966, Main Papers XIV; B. Grafenauer, Problémes; A. Bon, Le Péloponnèse byzantin jusqu’en 1204, Paris 1951, dazu P. Lemerle, Une province byzantine: le Péloponnèse, in: Byz. XXI (1951) 341-354; A. Maricq, Note sur les Slaves dans le Péloponnèse et en Bythinie et sur l’emploi de “Slave” comme appellatif, in: Byz XXII (1952), 337-355; A. Burmov, Slavjanskite napadenja sreštu Solun v “Čudesata na sv. Dimităr” i tjahnata hronologija, in: Werke 1, 77-121;

 

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Fr. Barišič, Les Miracles; derselbe, Car Foka; derselbe, “Monembasijska” hronika o doseljavanju Avaro-slovena na Peloponez 587, in: Godišnjak dr. Bosne kn. I, 1965, 95-109; derselbe, Proces slovenske kolonizacije Istočnog Balkana, in: Akademija nauka i umjatnosti Bosne i Hercegovine, Posebna izdanja XII, Centar za Balkanološka ispitivanja, kn. 4, Sarajevo, 1969, 11-27; P. Lemerle, La Chronique improprement dite de Monemvasie: le contexte historique et légendaire, in: REB XXI (1963), 5-49; G. Labuda, Die Einwanderung der Slaven auf den Balkan im 6.-7. Jahrhundert, in: XIe Congrès Intern. des Sciences Historiques, Stockholm, 1960. Résumés des communications, 80-82; I. Nestor, La pénétration des Slaves dans la péninsule Balkanique et la Grèce continentale, in: RESEE I (1963) Nr. 1-2, 41-67; K. Amantos, Αἱ Σλαβικαὶ Ἐπιδρομαί, in: 1067-1071 ; I. Popovič, Die Einwanderung der Slaven in das Oströmische Reich im Lichte der Sprachforschung, in: Zeitschrift für Slawistik, IV (1964) H.5,705-721; A.A. Vasiljev, Slavjane v Grecii, in: Vizantijski vremenik V (1898) 408-438 und 626-670; L. Niederle, Manuel I 108-111; P. Charanis, Hellas 161-176 und Observations 1 ff., besonders 13-34; V. Tăpkova-Zaimova, Promeni 67-109

 

 

In dem letzten Viertel des 7. Jhs. fielen die Slawen allein oder im Verein mit den Awaren nicht nur vorübergehend in die byzantinischen Donauprovinzen ein, um zu rauben, sondern auch mit der Absicht sich dauernd in manchen Orten, besonders im Gebiet von Thessalonike und in Peloponnesos, niederzulassen. Etwa zwischen 614 und 618 besetzten die Slawen alle Länder der Osthälfte der Balkanhalbinsel [1].

 

Im vierten Jahr der Regierung des Tiberios als Cäsar, d.h. 578, plünderten etwa 100,000 Slawen Thrakien und Griechenland [2].

 

 

1. Fr. Barišič, Proces 25-27

2. Menandor EL 208, 11; 469, 2-5. Über das Datum s. A. Djakonov, VDI (1946), 1, 33; Fr. Barišič, Proces 19

 

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Drei Jahre später (581) unternahmen die Slawen, offenbar wieder im Verein mit den Awaren, einen gewaltigen Feldzug in das byzantinische Reich, worüber der syrische Kirchenhistoriker Johannes von Ephesos [3] folgendes berichtet:

 

“HISTORIA XXV, de populo Sclavinorum, et de vastatione quam in Thracia anno 3° regni regis Tiberii sereni fecerunt. - Anno 3° mortis lustini regis et regni victoris Tiberii populus maledictus Sclavinorum egressi Hellada totam et regiones Thessalonicae et totius Thraciae parcurrerunt, et urbes et castra multa expugnaverunt, et terram vastaverunt et incenderunt et captivos ex ea abduxerunt et in ea dominati sunt, et in ea ut in sua dominorum modo iam tempus quattuor annorum impavide considunt. Et adhuc pro eo quod rex bello Persarum occupatus est, et copias suas omnes ad Orientem misit, hac de causa hi in terra grassati sunt et in ea consederunt; et in ea ad praesens diffusi sunt, donec Deus eos deiciet. Vastant vero et incendunt, et captivos adducunt, ita ut usque ad murum exteriorem et regis armenta omnia milia multa et cetera alia abducant. Et iam et usque adhuc etiam, quod est annus 895, se collocant ac considunt, et in regionibus Romanorum securi et impavidi otiantur, dum captivos abducunt et occidunt, et incendunt. Et divites facti sunt et aurum et argentum lucrati sunt, et armenta equorum, et arma multa, et pugnare melius quam Romani didicerunt, homines simplices qui extra silvas et loca densa virgultorum se ostendere non audebant, et arma quid sint praeter duo vel tria λογχάδια, quod hastae, nesciebant.”

 

Nach dieser Nachricht hielten sich die Slawen also über vier Jahre im Gebiet von Thessalonike und in Griechenland bzw. Peloponnes auf. Es lässt sich jedoch nicht feststellen, ob die Slawen auch nach 584 noch in den byzantischen Ländern sassen oder verjagt wurden, da die modernen Übersetzungen des syrischen Originals in diesem Punkt nicht übereinstimmen.

 

 

3. Johannis Ephesini Historiae ecclesiasticae pars tertia, Versio, Lovani 1936, 248, 27-249, 15 (CSCO, Scriptores Syri, Séries tertia, tomus III)

4. Kirchengeschichte des Johannes von Ephesos. Aus dem Syrischen von J.M. Schönfelder, München 1862, 255

 

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Nach der Übersetzung von J. Schönfelder [4] blieben sie “bis Gott sie hinauswarf”, nach der von R. Payne Smith [5] dagegen: “... as far as God permits them” [6]. Aus manchen anderen Quellen lässt sich jedoch entnehmen, dass sie auch nach diesem Jahr in Griechenland und im Gebiet von Thessalonike geblieben sind.

 

Auf dasselbe Ereignis bezieht sich eine kurze Notiz des Johannes Biclarensis [7]: “Im fünften Jahr der Regierung Tiberios’ verheerte das Geschlecht der Slawen Illyricum und Thrakien”.

 

Mit dem Bericht des Johannes von Ephesos werden auch einige andere Nachrichten verbunden, deren Datierung jedoch strittig ist. An erster Stelle steht die Nachricht des Kirchenhistorikers Euagrios, wonach die Awaren zwei Mal bis zur sog. Langen Mauer, alles verheerend und verbrennend, eindrangen, Singidunum, Anchialos und ganz Hellas, sowie andere Städte und Kastelle eroberten und ihre Bevölkerung entführten, da die meisten byzantinischen Truppen im Osten kämpften [8]. Die Nachricht wird 582 [9], 584 [10] und 585 [11] datiert. Manche Anspielungen auf frühere slawische Einfälle in das Gebiet von Thessalonike bzw. auf slawische Ansiedlung in den sog. Miracula S. Demetrii werden von Fr. Barišič [12] wohl richtig auf den Bericht des Johannes von Ephesos bezogen. Sehr strittig ist die Datierung folgender zwei Nachrichten in derselben Quelle.

 

In der Nacht vom 22 auf den 23. September eines nicht genannten Jahres unter dem Kaiser Maurikios, erschien ein gewaltiges Heer von etwa 100,000 Slawen auf Befehl des Awarenkahgan

 

 

5. The third Part ot the Ecclesiastical History of John Bishop of Ephesus now first translated, Oxford 1860, 432

6. Über die verschiedenen Übersetzungen s. A. Djakonov, VDI (1946) 1, 32-33; B. Grafenauer, Problémes 52; P. Lemerle, Invasions 290; I. Nestor, Les Slaves 50; G. Ostrogorsky, Geschichte 69 Anm. 3; K. Jireček, Ergänzungen 23-24. Über Hellas - Pelopones s. Charanis, Hellas 161 und Observations 1-3

7. Johannes Biclar., Anno V Tiberii (p.216, 14)

8. Euagr., HE 228, 21-29.

9. B. Grafenauer, Problémes 55

10. L. Hauptmann, Les Raports 159; Gy. Moravcsik, I 258

11. M. Vasmer, Die Slaven 13

12. Proces 21

 

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in aller Eile vor dem Kastell der Heiligen Matrona ausserhalb der Stadt Thessalonike, das es irrtümlich in der Dunkelheit für die Stadt selbst hielt. Bei Anbruch des Tages erkannten die Slawen ihren Irrtum, stürzten sich auf die Stadt und versuchten die Mauer mit Leitern zu ersteigen. Als der Versuch misslang, begannen sie die Stadt zu belagern. Erst dann merkten die Stadtbewohner wie gross das feindliche Heer war und bekamen einen unbeschreiblichen Schrecken. “Sie sahen zum ersten Mal barbarische Truppen. Denn die Feinde hatten bis dahin niemals so nahe belagert, und viele Bürger mit Ausnahme der in den Legionen gedienten Soldaten kannten sogar ihr Aussehen nicht.” Gegen die Mauer wurden verschiedene Belagerungsmaschinen geschoben. Doch alle Mühe des Barbarenheeres war umsonst. Nach siebentägiger erfolgloser Belagerung mussten die Slawen abziehen [13].

 

Laut der zweiten Nachricht erschienen 5,000 erlesene slawische Krieger am 27 Oktober eines wieder nicht genannten Jahres auf der Ebene vor der Kirche der Heiligen Matrona.

 

“Sie hätten kaum eine so dichtbevölkerte und bedeutende Stadt wie Thessalonike angegriffen, bemerkt der Verfasser der Quelle, wenn sie nicht an Macht und Kühnheit diejenigen übertrafen, die jemals gegen die Stadtbewohner gekämpft hatten.”

 

Als es ganz hell wurde, öffneten mehrere Bürger die Stadttore und griffen die Feinde an. Nach einem harten, den ganzen Tag dauernden Kampf, wurden die Slawen vertrieben [14].

 

Der erste Angriff, der in der Quelle nach dem zweiten erzählt wird, wird von K. Jireček [15], W.N. Zlatarski [16], Grafenauer [17], Fr. Barišič und manchen anderen [18] im Jahre 586,

 

 

13. Tougard 88-98

14. ASS 138 D-141 A

15. K. Jireček, Serben 89

16. Istorija I 1, 13

17. Problémes 57

18. Les Miracles 56-64, s. noch 11 und 60-61

 

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und von H. Grégoire [19], A. Burmov [20], P. Lemerle [21] und manchen anderen [22] in 597 datiert. Der zweite Angriff, der in der Quelle als erster angegeben ist, wird von 581-584 von W.N. Zlatarski [23], in 584 von Fr. Barišič [24], vor 597 von H. Grégoire [25] und in 609 von B. Grafenauer [26] und A. Burmov [27] datiert. Von den vorgeschlagenen Datierungen sind die daten 597 für den ersten Angriff und 609 für den zweiten die wahrscheinlichsten. Demnach ist auch die von A. Burmov und P. Lemerle vorgeschlagene Änderung der in der Quelle angegebenen Folge der beiden Angriffe annehmbar.

 

In Peloponnes siedelten sich die Slawen, nach der sog. Chronik von Monemvasia, unter dem Kaiser Maurikios in seinem sechsten Regierungsjahr, d.h. 587/8, an und waren dort zweihundertundachtzehn Jahre frei bis zum vierten Regierungsjahr des Kaisers Nikephoros I., d.h. 805/6 [28] Die peloponnesischen Slawen überfielen von ihrer neuen Heimat aus im Jahre 623 Kreta und andere griechische Inseln [29].

 

In den ersten Jahren des siebenten Jahrhunderts befand sich das Gebiet von Thessalonike bereits in den Händen der Slawenstämme Draguviten, Sagudaten, Belegeziten, Vaiuniten, Berziten [30], Rhynhinen und Strymonien [31].

 

 

19. L’origine 106

20. Werke I 89-94

21. Invasions 294

22. s. Anm. 18

23. Istorija I 1, 13

24. Les Miracles 49-55

25. L’origine 106

26. Problémes 73-76

27. Werke I 94-96

28. P. Lemerle, Monemvasie 10; 16 34; Fr. Barišič, “Monemvasijska” 94-109

29. Thomas Presbyt.: Anno 934 (= 623) ingressi sunt Sclavi Cretam aliasque insulas et ibi comprehensi sunt beati a Quennesre e quibus circiter viginti viri interfecti sunt, s. N.H.Baynes, The Date of the Avar surprise, in: BZ 21 (1912) 11

30. Über diese Stämme s. L. Niederle, Manuel I 106; M. Vasmer, Die Skaven 85; 176-178

31. Tougard 118

 

129

 

 

Etwas östlich von ihnen in dem Rhodopa-Gebirge sass der slawische Stamm Smoljanen [32]. Die um Thessalonike wohnenden Slawenstämme verheerten zwischen 612 und 620 [33] Thessalien und die anliegenden Inseln, die griechischen Inseln, die Kykladen, Achaia, Epiros, den grösseren Teil des Illyricums und einen Teil Asiens. Viele Städte und Landschaften verloren damals ihre Bevölkerung [34].

 

In der Einleitung zum zweiten Buch der Miracula S. Demetrii bemerkt sein unbekannter Verfasser, dass der Bischof Johannes, der Autor des ersten Buches, nicht alle Belagerungen der Stadt Thessalonike erzählt habe, und er nun das Versäumte nachholen wird, bevor er die Ereignisse seiner Zeit beschreibt [35]. Er beginnt mit folgendem Bericht. Unter der Führung des Slawenhäuptlings Chatzon (Χάτζων) griffen die slawischen Nachbarstämme die Stadt Thessalonike an und belagerten sie vom Lande und vom Meer aus. Am vierten Tag nach ihrer Ankunft bestürmten sie die Stadt gleichzeitig mit Kriegsmaschinen und Booten. Sie wurden jedoch mit schweren Verlusten zurückgeschlagen. Ihr Führer Chatzon geriet selbst in Gefangenschaft und wurde gesteinigt [36]. Diese Belagerung wird verschieden datiert. Sie fand nach B. Grafenauer [37] 615, nach Fr. Barišič [38] 616 und nach A. Burmov [39] 620 statt. Auf Grund neuer, eingehender Untersuchungen kam P. Lemerle [40] zuletzt jedoch zu der Überzeugung, dass diese Belagerung mit jener aus 597 identisch sei und ihre Beschreibung eigentlich einen zweiten, ergänzenden Bericht über die erstere darstelle.

 

 

32. F. Dvornik, Les slaves 13 und 237 f.

33. Über das Datum s. B. Grafenauer, Problémes 75-76 zwischen 612 und 615; Fr. Barišič, Les Miracles 95 zwischen 614 und 615 und A. Burmov, Werke I 104 im Jahre 620

34. Tougard 118

35. PG 116, 1323-24 Nr 16, vgl. auch 1336 Nr. 68

36. Tougard 118-128

37. Problémes 81

38. Les Miracles 95

39. Werke I 105

40. L’annuaire du collège de France, 68e année (1968-1969). Résumé des Cours de 1967-1968, 474

 

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Der unbekannte Verfasser berichtet über eine zweite, wieder von dem Bischof Johannes nicht erzählte Belagerung. Die Slawen, die ihren früheren Misserfolg weder vergessen, noch erdulden konnten, überredeten den Awarenkhagan mit vielen Geschenken, Thessalonike zusammen mit ihnen zu überfallen und einzunehmen, wobei sie versprachen ihm die ganze Beute zu überlassen. Der Khagan willigte gern ein und erschien im Sommer persönlich mit einem gewaltigen Heer aus vielen ihm untertänigen Völkerschaften, darunter auch Bulgaren (s. hier S. 88), und Kriegsmaschinen vor der Stadtmauer. Nach einer 33 Tage dauernden, erfolglosen Belagerung schlossen die Angreifer einen Frieden mit der Stadt und zogen ab [41]. Auch für diese Belagerung sind verschiedene Datierungen vorgeschlagen. Der unbekannte Verfasser bemerkt ausdrücklich, dass der Khagan den Feldzug nach zwei Jahren unternommen hat [42], ohne jedoch zu sagen, von welchem Zeitpunkt an diese zwei Jahre zu zählen sind. Man nimmt gewöhnlich an, dass die zwei Jahre nach der Belagerung durch Chatzon zu rechnen sind, und datiert dem entsprechend die zweite Belagerung in 617 [43], 618 [44] und 622 [45]. Zuletzt hat P. Lemerle [46] die Meinung geäussert, dass es sich wieder um die Belagerung von 597, wegen mancher Ähnlichkeiten oder doch um eine andere in der Zeit des Bischofs Johannes wegen mancher Unterschiede, handelt. Dieser Bericht ist nach P. Lemerle verdächtig.

 

Kurz vor 645 schloss Kaiser Konstans II. (641-668) einen Frieden mit den Slawenstämmen um Thessalonike, den sie aber nur dem Scheine nach einhielten. Perbund, der Rex des Slawenstammes von Rhynchinos (τοῦ τῶν Ῥυγχίνων ῥηγός, τούνομα Περβούνδου), entschloss sich im Verein mit den Slawen von Strymon, die Stadt Thessalonike zu erobern und begann sich für dies Unternehmen zu rüsten.

 

 

41. Tougard 128-140

42. ebenda 130: μετὰ διετῆ χρόνον

43. B. Grafenauer, Problémes 81

44. Fr. Barišič, Les Miracles 100

45. A. Burmov, Werke 1 105

46. S. Anm. 40

 

131

 

 

Der Kaiser, dem das gemeldet wurde, befahl der Stadtbehörde von Thessalonike den Slawenfürsten, der sich in der Stadt befand, festzunehmen und ihm gefesselt zu schicken. Als der Kaiserbefehl aus geführt war, erschien eine slawische Gesandtschaft vor dem Kaiser mit der Bitte, Perbund das Leben zu schenken und ihn freizulassen. Konstans II., der sich 654 zudem bevorstehenden Krieg mit den Arabern rüstete und auf der Hämushalbinsel Ruhe haben wollte, versprach ihr, den Slawenfürsten nach dem Kriege zu befreien. Er erlaubte ihm vorläufig sich in der Hauptstadt frei zu bewegen. Perbund nutzte diese Freiheit aus, um die Stadt heimlich zu verlassen und versteckte sich in einem Landgut bei der Stadt Bizye (τῆς πόλεως τῶν Βιζυτανών), das einem Kaiserdolmetscher gehörte, mit dem er Freundschaft geschlossen hatte. Das plötzliche Verschwinden Perbunds aus der Hauptstadt erfüllte den Kaiser mit grosser Sorge. Er befahl, ihn überall zu suchen und die Stadtausgänge scharf zu beobachten. Alles war vergeblich. Perbund, der zu den Slawenstämmen, die sich nicht weit nördlich von der Stadt Bizye befanden (πλησίον τυγχάνονται ἑτέρων Σκλαβίνων ἐθνῶν), fliehen und sich dorthin retten konnte, blieb ruhig in seinem Versteck, da er zu seinen Stammesgenossen bei Thessalonike zurückkehren und sein Vorhaben ausführen wollte. Man hat ihn aber zufällig entdeckt und nach Konstantinopel zurückgebracht. Dort versuchte er wieder auszureissen, was ihm aber nicht gelang, und wurde deshalb hingerichtet. Sein Mord rief einen unbändigen Zorn unter den Slawen hervor. Die Slawenstämme von Strymon und Rhynchinos sowie die Sagudaten begannen zwei volle Jahre fast ununterbrochen die Umgebung von Thessalonike zu verheeren und setzten die Stadt unter Belagerung. Die ausgedehnte Belagerung und die Speculationen mit den Nahrungsmitteln verursachten einen grossen Hunger. Die Bewohner magerten zum Skelett ab. Am 25 Juli, Indiktion fünf (τῇ εἰκάδι πέμπτῃ τοῦ Ἰουλίου μηνός, ἰνδικτιῶνος πέμπτῃ = 647) [47], griffen die Rhynchinen und Sagudaten, denen sich auch Draguviten anschlossen, die Stadt zu Lande und zur See an. Der Sturm dauerte drei Tage.

 

 

47. Über die verschiedenen Datierungen s. P. Lemerle, Invasions 302

 

132

 

 

Die inzwischen unter den Slawen ausgebrochenen Zwistigkeiten machten die Belagerung unwirksam. Sie artete in einzelne, zusammenhanglose Angriffe aus und wurde schliesslich aufgehoben. Bald darauf liessen sich die Slawen von Strymon und Rhynchinos auf Seeraub ein. Sie überfielen die Inseln, die Meeresenge von Hellespontos, die Küste von Parion und Prokonnesos und beraubten einzelne Schiffe [48].

 

Kaiser Konstans II. konnte gegen die Slawen nichts unternehmen, da die Kämpfe mit den Arabern in Asien ihn sehr in Anspruch nahmen. Er richtete seine Aufmerksamkeit erst dann auf die Slawen, als die Lage in Arabien, wegen des dort ausgebrochenen Bürgerkrieges, eine für Byzanz günstige Wendung nahm.

 

Im Jahre 658 zog der Kaiser gegen die Slawen von Strymon durch Thrakien und Macedonia Prima auf der berühmten Strasse Via Egnatia. Die Slawen besetzten rechtzeitig die Pässe und befestigten Orte, wahrscheinlich bei Akontisma. Ihnen schlossen sich auch andere Slawenstämme an. Es gelang dem Kaiser aber ihre Abwehr zu durchbrechen, er schlug sie in die Flucht und nahm viele gefangen. Die Slawen mussten einen Frieden schliessen [49]. Die meisten von ihnen unterwarfen sich dem Kaiser und wurden tributpflichtig. Ein Teil wurde jedoch, wie es scheint, nach Kleinasien ausgesiedelt [50]. Im Jahre 665 waren 5,000 Slawen zu den Arabern übergelaufen und bekamen Sitze in Syrien [51].

 

 

48. Tougard 148-182

49. ebenda 182-184 und Theophan. 347, 6-7

50. L. Niederle, Manuel I 114-115

51. Theophan. 348, 16-20

 

133

 

 

 

12. Die Besiedlung der Osthälfte der Balkanhalbinsel durch die Slawen

 

Allgemeine Literatur: K. Jireček, Bulgaren 55-65; Ergänzungen 14-29; Serben 69-103; Niederle, Manuel 103-104; Ιv. Dujčev, Balkanskijat jugoiztok prez părvata polovina na VI vek - Načalni slavjanski napadenija, in: Belomorski pregled I (1942) 229-270; Fr. Barišič, Car Foka 73-88; Proces 11-27; derselbe, Prisk kao izvor za najstariju istoriju Južnih Slovena, in: Zb. rd. Viz. inst. 1 (1952) 52-63; C. Cankova-Petkova, Sur l’établissement des tribus slaves du groupe bulgare au sud du Bas Danube, in: Études historiques, IV (1968) 143-166; dieselbe, L’établissement des slaves et protobulgares en Bulgarie du Nord-est actuelle et le sort de certaines villes riveraines du Danube, ebenda V (1970) 219-239

 

 

Die Slawen drangen früher in den Ostteil der Balkanhalbinsel als in die übrigen Teile ein. Die Länder jenseits der Donau waren bereits im 5. Jhr. von ihnen besetzt. Nach einem Bericht sollen in Dakien 25 Völker der Slawen gewohnt haben, die später über die Donau gingen und sich andere Länder in Thrakien und Makedonien erwarben [1]. Ihre Hauptsitze befanden sich am linken Donauufer gegenüber den byzantinischen Grenzstädten Durostorum, Novae, Securisca, Asamum und Palatiolum (an der Iskermündung) und zwischen den Flüssen Elibakia (j. Jalomita), Paspirios (j. Buzău?) und der Donau. Ihr Land wurde von den Byzantinern Slavinia (Σκλαυηνία) [2] genannt [3], das von den reichen byzantinischen Donauprovinzen durch diesen Flüsse getrennt war.

 

 

1. K. Patkanov, Iz novogo spiska geografii, pripisivaemoi Moiseju Horenskomu, in: Zurnal MNP, 226 (1883) 26

2. Theophyl. 293, 2, vgl. auch Anm. 7 auf S. 100

3. Über die archäologischen Funde in Rumänien s. M. Comşa, Slavii pe teritoriul R.P.R. in secolele VI-IX in lumina cercetârilor arheolocica, in: SCIV X (1959) 1, 65-80 und Discutii in legâturâ cu pâtrunderea şi asezarea slavilor pe teritoriul R.P.R., ebenda XI (1960) 1, 159-166

 

134

 

 

Die Donau war kein ernstes Hindernis für die raubgierigen Slawen und sie wurde oft von ihnen überschritten.

 

Die Einfälle der Slawen in das byzantinische Reich fanden unter Justinian I. fast jedes Jahr statt und richteten ungeheuere Schäden an [4]. Um die Slawen daran zu hindern, die Donau zu überschreiten und Schaden zu verursachen, ernannte Justinian I. (530/31) Chilbudios zum Magister militum per Thracias [5]. Zum gleichen Zweck, wie Prokop ausdrücklich betont [6], liess Justinian nicht nur die etwa 80 Limesfestungen von Singidunum bis zum Donaudelta [7], sondern auch die über 600 im Binnenland, reparieren, erweitern und neu errichten. Doch alles war umsonst. Prokop, der Geschichtsschreiber der Justinians Epoche, berichtet, dass die Slawen allein schon von 545 bis 550 drei grosse, verheerende Raubzüge in das Reich unternahmen und viele Menschen und Beute fortschleppten (darüber s. hier S. 92-94).

 

Nicht immer kehrten die in das Reich eingedrungnen Slawenscharen zurück. Manche von ihnen blieben versteckt auf dem Reichsboden, um weiter zu rauben oder sich dauerhaft niederzulassen. Bereits lange vor 553 bzw. 555 sassen oder befanden sich Slawen in der Nähe von Ulmetum in Scythia Minor und weiter südlich bei Adina in Moesia Inferior. Sie lagen auf der Lauer in der Umgebung dieser Kastelle, überfielen fortwährend die dort Wohnenden bzw. Reisenden und machten die umliegenden Orte unsicher [8]. Nach Prokop sassen viele Barbarenstämme in der Nähe von Anchialos [9] und der Städte Philippopolis, Beroia, Adrianopolis und Plotinopolis [10].

 

 

4. Procop. Arcana 114, 15-116, 4; 141, 18-142, 15; Jordan. Romana 52, 10-11

5. Procop. Bella II 353, 21-354, 6

6. Procop. De aedif. 103, 4-9

7. K. Jireček, Heerstrasse 61

8. Procop. De aedif. 132, 18-22; 133, 4-11

9. ebenda 102, 10-11            10. ebenda 145, 8-9

 

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Ob sich unter ihnen auch Slawen befanden [11], ist möglich, aber nicht sicher.

 

Die Slaweneinfälle setzten sich auch unter den Nachfolgern Justinians fort. Im Jahre 574 fielen die Slawen in das Reich ein und beraubten unter anderem auch Thrakien [12]. Besonders häufig und verheerend waren die Einfälle unter Maurikios, die Slawen allein oder im Verein mit Awaren unternahmen. Sie fielen 585, von den Awaren aufgehetzt, unter der Führung von Ardagastos in Thrakien ein und kamen bis zur Langen Mauer. Bei der Festung Ansinon wurden sie jedoch geschlagen und mussten zurückkehren (s. hier S. 106).

 

Nach dem Friedensschluss mit Persien (591) sandte Kaiser Maurikios drei Expeditionen gegen die Slawen über die Donau, um sie zu bestrafen und unschädlich zu machen. Priscus, unter dessen Befehl die erste Expedition gestellt wurde, überschritt 594 die Donau, wahrscheinlich bei Durostorum, überrumpelte den Slawenführer Ardagastos in seinem Lager und verheerte sein Land. Musokios, der Rex eines anderen Slawenstammes, der den Leuten des Ardagastos zu Hilfe kommen wollte, geriet durch Verrat in Gefangenschaft (s. hier S. 111). Diese erfolgreiche Strafexpedition erschreckte die Slawen jedoch gar nicht und sie fuhren auch weiterhin fort, die Donau zu überschreiten und das byzantinische Gebiet zu verheeren. Im nächsten Jahr (595) wurden die Städte Zaldapa, Aquae und Scopi in Scythia Minor erneut von den Slawen geplündert (s. hier S. 112). Über vierzig Jahre hausten also Slawen in Scythia Minor [13]. Die zweite Strafexpedition, unter dem Befehl des Petros (595), endete mit einer Niederlage der byzantinischen Truppen, obwohl sie am Anfang Erfolg hatte und sogar der Slawenhäuptling Pirogastos getötet wurde (s. hier S. 113). Die dritte Expedition, wieder unter dem Befehl des Petros (602), hatte keine besonderen Erfolge und endete mit der Meuterei der byzantinischen Truppen (s. hier S. 118).

 

 

11. V. Tăpkova-Zaimova, Promeni 68

12. Menander EL I 469, 2-5

13. Gegen die irrige Auffassung von I. Nestor, Slaves, wonach die Slawen erst unter Phokas in die Länder diesseits der Donau einwanderten, s. P. Charanis, Demography 11 Anm. 3

 

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Während der langwierigen und gefährlichen Perserkriege des Kaisers Herakleios in Asien (610-629) blieb die Balkanhalbinsel ohne die Fürsorge des Reiches, und da die Macht der Provinzverwalter und der Stadtbehörden sehr gering war, nutzten die Slawen die Gelegenheit aus, um nicht nur ihre Raubzüge über die Donau in die ihnen gegenüberliegenden byzantinischen Provinzen fortzusetzen, sondern sich dort auch dauerhaft niederzulassen. Nach der Vernichtung der ganzen Bootsflotte der Slawen bei der Belagerung Konstantinopels (626) befahl der erzürnte Awarenkhagan, diejenigen Slawen, die sich aus den Booten gerettet hatten, niederzuschlagen. Diese ruchlose Tat hat, die übrigen Slawen sicher tief verletzt, und sie zogen nach der gescheiterten Belagerung als erste ab [14]. Diese Slawen kehrten vielleicht nicht mehr in ihre jenseits der Donau liegenden Wohnsitze zurück und liessen sich auf byzantinischem Boden nieder. Der Abfall der Slawen von den Awaren fand wohl nicht ohne Kämpfe statt [15]. Im Jahre 645 befanden sich ihre Wohnsitze bereits nicht sehr weit von der Stadt Bizye, vielleicht im Strandzagebirge (s. hier S. 132).

 

Die Hauptstämme der Slawen in dem Gebiet zwischen der Donau und dem Hämusgebirge waren um 680 die Severen und der Stamm der Sieben Geschlechter [16]. Die Severen sassen im ganzen Vorland der Nordabhänge des Hämusgebirges und hatten den Vorderteil des Verigavapasses in ihren Händen [17]. Wie weit sie sich nach Norden hin erstreckten ist unbekannt. Pliska und Preslav [18], die ältesten slawischen Siedlungsnamen in Bulgarien, stammen wahrscheinlich von ihnen.

 

 

14. Chron. pasch. 724, 7 - 725, 8

15. Georg. Pisid. Restitutio crucis 78-81

16. Theophan. 359, 12-17, dazu Iv. Dujčev, Obedinenieto na slavjanskite plemena v Mizia prez VII v., in: Festschrift Drinov, Sofia 1960,417-428. Über die Severen s. Niederle, Manuel I 219-220

17. V. Beševliev, Zu Theophanis Chronographia 359, 5-17, in: Polychordia-Festschrift Fr. Dölger, Amsterdam 1967, 57

18. R. Trautmann, Die Elb- und Ostsseslavischen Ortsnamen I, 1948, Berlin ( = Abh.Berlin, 1947 Nr. 7), 48; M. Vasmer, ESRI 251; über Pliska ebenda 397-398

 

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Der Stamm der Sieben Geschlechter hatte wohl seinen Sitz im Nordosten zum Donaustrom hin.

 

Eine dunkle Kunde von der Landeinhahme der Slawen in Nordostbulgarien hat sich in einer anonymen bulgarischen Chronik aus dem 11. Jh. erhalten, wonach die Bulgaren (d.h. die Slawen) das karwunische Land (j. Dobrudža, vgl. hier S. 2) von der Donau bis zum Schwarzen Meer besiedelten, das die Römer und Hellenen seit 130 Jahren verlassen hatten, und ihr erster Zar Slav hiess [19].

 

Die ausgedehnten Wälder und die damals vorhandenen Sümpfe des südlichsten Teiles von Scythia Minor und des östlichen von Moesia Inferior (s. hier S. 3) boten ausgezeichnete Bedingungen zur Niederlassung der von jenseits der Donau eindringenden Slawenstämme. In diesem Gebiet waren nur drei alte, befestigte Städte Durostorum an der Donau, Odessos am Schwarzen Meer und Marcianopolis im Binnenland vorhanden, die, besonders die letzte, damals weder wagten noch im stände waren, den von nicht sehr weit her einfallenden und wohnenden Slawen entgegenzutreten. Die Bewohner des flachen Landes und der übrigen festen Plätze konnten keinen ernsten Widerstand leisten. Sie wurden einfach dem mächtigen Slawenstrom preisgegeben. Sie mussten ihre Länder verlassen und Rettung hinter der Mauer der grösseren Städte suchen. Marcianopolis konnte kaum Unterkunft bieten, da es von früher her stark gelitten hatte. Die Landbevölkerung floh meistenfalls nach Odessos oder nach Thrakien. Hier und da sind wohl manche geblieben, die irgendwie einen Modus vivendi mit den Eindringlingen gefunden haben. Im allgemeinen schalteten und walteten die Slawen nach Belieben im besetzten Gebiet. Sie vermieden allerdings die grösseren, noch gut erhaltenen und verteidigungsfähigen Orte und gründeten ihre Siedlungen fern von ihnen in geeigneten Gegenden. Eine solche neue Siedlung war Pliska, die spätere Hauptstadt des ersten bulgarischen Reiches.

 

 

19. S. hier Anhang 498 ff.

 

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Mit dem Verschwindender alten Bevölkerung gerieten die alten Orts-, Fluss- und Bergnamen in Vergessenheit. An ihre Stelle traten neue, slawischen Namen. So bekam der Fluss Pannysis bzw. Pannisos den slawischen Namen Tiča (s. hier S. 48). Nur in den Berglandschaften blieben manche alten Namen haften, da die Überreste der alten Bevölkerung sich dort länger erhalten haben.

 

Ob und in wieweit die nach dem siegreichen Abschluss der Perserkriege 628 in Byzanz eingetretenen Ereignisse, wie das Vordringen der Araber in Kleinasien (634), die man vergeblich in der verlorenen Schlacht am Jarmuk (636) aufzuhalten versuchte, die monophysitische Bewegung in der Kirche und die Familienangelegenheiten dem Kaiser Herakleios erlaubten, sich mit der neuentstandenen Lage in den europäischen Gebieten des Reiches zu befassen, lässt sich nicht feststellen. Die sich in Kleinskythien, Mösien und Thrakien angesiedelten Slawen gaben auch keinen Anlass dazu. Sie bedrohten weder Konstantinopel noch eine andere grosse Stadt direkt. Sie versuchten, im Gegensatz zu ihren Stammesbrüdern um Thessalonike, keine bedeutende Stadt anzugreifen oder einzunehmen bzw. sich auf Seeraub einzulassen, sondern verbreiteten sich, wie es scheint, langsam und ruhig über die bereits von früher her verödeten Länder des Ostteiles der Balkanhalbinsel. Die Regierung konnte zunächst gegen die schon sesshaft gewordenen Slawenstämme nichts unternehmen. Sie über die Donau hinauszuwerfen war ein schwieriges und wohl aussichtloses Unternehmen. Man musste sich mit ihrer Anwesenheit irgendwie abfinden. Die Slawen wurden wohl zu Verbündeten bzw. limitanei oder foederati erklärt und der Grenzschutz wurde ihnen anvertraut. Denn sie waren eine sichere Abwehr gegen zukünftige Awaren- und andere Barbareneinfälle. Die Slawen haben wohl gern den Grenzschutzdienst angenommen und unter Bewahrung ihrer Freiheit die Hoheitsrechte des byzantinischen Kaisers anerkannt. Aus der Bemerkung des unbekannten Verfassers des zweiten Buches der Miracula S. Demetrii, wonach Perbund zu den Slawen, die nicht weit von Bizye sassen, fliehen und sich dorthin retten könnte, lässt sich entnehmen, dass diese Slawen eine gewisse Selbständigkeit genossen haben müssen.

 

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Die Reichsregierung hoffte wohl dabei, dass die Verbreitung der byzantinischen Kultur und Lebensweise sowie des Christentums unter den Slawen, sie mit der Zeit enger an das Reich binden, und später aus ihnen treue byzantinische Untertanen machen werde. Ob und wie tief die byzantinische Kultur auf die Slawen Einfluss ausgeübt hat, ist unbekannt. Was das Christentum dagegen betrifft, hat die Kirche der grösseren Städte Odessos und Durostorum ohne Zweifel dafür gesorgt, dass Prediger zu den Slawen gesandt wurden [20]. Die Erfolge waren anfänglich nicht sehr gross, doch gross genug, um das Christentum unter den Slawen Fuss fassen zu lassen. Die allmähliche Verbreitung des christlichen Glaubens unter ihnen spielte später eine entscheidende Rolle bei seiner Annahme als Staatsreligion in Bulgarien.

 

 

20. Vgl. Gy. Moravcsik, Mission 12-14; derselbe, Byzance et le christianisme hongrois du moyen âge, in: Corsi di cultura sull’ arte ravennate e bizantina, Ravenna 1969, 314-316

 

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13. Die Lebensweise der Slawen

 

Allgemeine Literatur: K. Jireček, Bulgaren 66-71; Ergänzungen 30-33; derselbe, Serben 69-77 und 160-170; L. Niederle, Manuel; B. Grafenauer, Problémes 97-111; Fr. Barišič, O najstarijoj Prokopijevoj vesti o Slovenima, in: Zb. rad. Viz. Inst. 2 (1953) 25-31; R. Benedicty, Prokopios’ Berichte über die slavische Vorzeit. Beiträge zur historiographischen Methode des Prokopios von Kaisareia, in: JOB XIV (1965) 51-78; Gy. Moravcsik, La Tactique de Léon le Sage comme source historique hongroise, in: Acta Historica 12 (1952), 170; Boh. Záštérová, Les Avares et les Slaves dans la Tactique de Maurice, Rozpravy 81, Sesit 3, Praha 1971; A. Brückner, Slawen und Litauer, in: Religionsgeschichte II (1925) 506-539

 

 

Über die Sitten und die Lebensweise der Slawen haben Prokop [1] und Maurikios [2] zwei ziemlich ausführliche Berichte hinterlassen, die sich ohne Zweifel in erster Linie auf die Slawen jenseits der Donau beziehen.

 

Die Slawen waren nach Prokop hochgewachsene und starke Männer. Ihre Haut- und Haarfarbe war weder blond noch schwarz, sondern eher rötlich. Sie lebten in Roheit und Dürftigkeit und starrten von Schmutz. Sie vertrugen nach Maurikios leicht Hitze, Kälte, Nässe und Hunger. Sie waren mangelhaft bekleidet. Manche Slawen zogen gegen die Feinde nur mit Hosen aus. Die Slawen besassen viele und verschiedene Haustiere und bauten Getreide, meistens Hirse und Weizen, an. Die slawischen Wohnungen waren nach Prokop dürftige Hütten, weit voneinander getrennt [3]. Sie hatten nach Maurikios viele Ausgänge.

 

 

1. Procop., Bella II 357, 9-358, 33

2. Mauricii Strategicon ed. H. Mihăescu, 276, 25-290, 20

3. Über die archäologischen Funde in Bulgarien und die diesbezügliche Literatur orientiert kurz Z. Važarova, Bălgarskijat narodnosten oblik prez srednovekovieto v svetlinata na arheologiceskite danni (VI-XI v.), in: Părvi kongres na Bălgarskoto istoričesko družestvo, I (1972) Sofia, 393-405

 

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Die Slawen wechselten oft die Wohnsitze. Sie lebten in Wäldern, an Flüssen, Sümpfen und unzugänglichen Seen. Das gleiche berichtet auch Jordanes [4]. Die Dörfer lagen an den Flüssen.

 

Die Slawen waren ein freiheitsliebendes und trotziges Volk, das nicht unter der Botmässigkeit eines Mannes stand. Sie Hessen sich auch keineswegs von anderen unterwerfen. Jeder Stamm hatte seinen Anführer (ῥῆγες, ἄρχοντες), und sie lebten nicht immer mit einander in gutem Einvernehmen. Die wichtigsten und schwierigsten Angelegenheiten berieteten sie jedoch nach Prokop gemeinsam. Aus der Bemerkung des Jordanes [5], dass es bei den Slawen verschiedene Sippen (varias familias) gab, und der Erwähnung von slawischen Sippen bzw. Geschlechtern (γενεαί) bei dem anonymen Verfasser des zweiten Buches der Miracula S. Demetrii ist zu entnehmen, dass die Stämme der Slawen sich in viele Sippen gliederten, was die Benennung “der Stamm der Sieben Geschlechter oder Sippen” (τὰς ... ἑπτὰ γενεὰς) [6] bei Theophanes bestätigt.

 

Die Slawen waren nach Maurikios sehr gastfreundlich. Sie behielten die Gefangenen nicht immer in Sklaverei. Diese wurden nach einer bestimmten Zeit entweder gegen ein Lösegeld freigelassen und durften heim kehren, oder konnten als freie Menschen unter ihnen bleiben. Nach Prokop [7] ermordeten die Slawen diejenigen Gefangenen, die sie nicht mit sich schleppen konnten, jedoch grausam. Die Witwen durften nicht wieder heiraten, sondern begingen Selbstmord.

 

Die Slawen verehrten nach Prokop nur einen Gott, den Blitzschleuderer, den sie für den alleinigen Herr über alles hielten und dem sie Ochsen und andere Opfertiere darbrachten. Daneben erwiesen sie den Flüssen, Nymphen und anderen Dämonen göttliche Ehren, opferten ihnen und benutzten diese Opfer zu Orakelsprüchen.

 

 

4. Jordan. Getica 63, 2-3: hi paludes silvasque pro civitatibus habent

5. ebenda 62, 16

6. Tougard 118, Nr.37: ἔχοντες τὰς ἑαυτῶν γενεᾶς μετὰ καὶ τῆς αὐτῶν ἀποσκευῆς

7. Procop. Bella II 469, 25-471, 2

 

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Ins Feld rückten die meisten zu Fuss mit kleinen Schilden und Wurfspiessen (vgl. die Nachricht von Johannes von Ephesos auf S. 126). Panzer trugen sie nicht. Maurikios fügt noch hinzu, dass sie hölzerne Schiessbogen und kleine vergiftete Pfeile gebrauchten. Sie griffen ihre Gegner, im Hinterhalt lauernd [8], in bewaldeten, engen und abschüssigen Geländen an. Bei dem Angriff auf die ersten ihrer Siedlungen flohen sie alle in die Wälder und Sümpfe, machten Ausfälle aus dem Dickicht und lockten die Feinde hinein, wie in eine Falle [9]. Wenn sie überrascht wurden, tauchten sie ins Wasser, lagen dort auf dem Rücken, atmeten durch Schilfrohre und blieben unter Wasser bis die Gefahr vorüber war. Die Slawen kannten keine Schlachtordnung und kämpften nicht gern in offenen Gegenden [10].

 

 

8. Vgl. ebenda 468, 26-469, 15

9. Vgl. Menander EL 209, 6-7: ἐς τὰ λάσια δὲ καὶ κατηρεφῆ τῆς ὕλης καταπεφευγότων; Theophyl. 236, 1-15; 254, 7-10

10. Vgl. Procop. Bella II 468, 15:

 

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