Die protobulgarische Periode der bulgarischen Geschichte

Veselin Beševliev

 

I. DIE GRUNDLAGE

 

  1. Die Pflanzen- und Tierwelt  1

  2. Die administrative Einteilung  6

  3. Der Donau-Limes  8

  4. Das Heer  9

  5. Die Städte  12

  6. Die Strassen  22

  7. Die alte Bevölkerung  30

  8. Die sprachlichen Beziehungen  32

  9. Zur Frage der Romanisierung und Hellenisierung der Thraker  33

10. Das Fortleben der Thraker im 5. und 6. Jh.  39

11. Die Religion  50

12. Die Entvölkerung des Ostteils der Balkanhalbinsel  53

13. Barbarenansiedlungen im Ostteil der Balkanhalbinsel vom 3. bis 6. Jh.  60

 

 

1. Die Pflanzen- und Tierwelt

 

Allgemeine Literatur: Jireček, Bulgaren 31-44; Serben 1, 14-16; Kazarow, Beiträge 50-52; Thrace, in: The Cambridge Ancient History, vol. VIII, 544; Oberhummer, Thrake 401 ; N. Stojanov, Rastitelna pokrivka, in: Geografia 447-453; P. Drenski, R. Zimina und N. Boev, Životinski svjat, ebenda 485-488

 

 

Im Altertum und Mittelalter existierten mehr Wälder in der Osthälfte der Balkenhalbinsel als in der Gegenwart. Die Gebirge Hämus [1], Rhodope [2], Orbelos [3], Kerkine [4], und Pangaion [5] waren mit Urwäldern bedeckt. Viele Gegenden des Oberlaufes des Flusses Strymon waren dicht bewaldet [6] und lieferten Holz für den Schiffsbau [7]. An der Küste des Agäischen Meeres bei Zone wuchsen Eichen [8]. Zwischen Kypsela und dem Hebrosfluss in der Nähe des Meeres gab es ebenfalls Wälder [9]. Die Gegend östlich von der Mündung des Hebros war dagegen kahl [10]. Im Mittelalter erstreckten sich ausgedehnte Wälder von Braničevo bis zum Trajanstor in Sredna Gora, die unter dem Namen Sylvae Bulgarorum, Silva Bulgariae bekannt waren [11].

 

 

1. Liv. XL 22; Tacit. Ann. IV 47; Flor. I 39; Theophyl. 92, 4

2. Herodot. VII 11 1 ; Suet. Aug. 94. 6

3. Herodot. V 16

4. Thukyd. II 98

5. Claud. carm. III 336-337

6. Strab. VII 5, 12; Nikeph. Greg., Correspondance ed. R. Guilland, Paris 1627, 37, 9 und 39,24 f.

7. Thukyd. IV 108

8. Apoll. Rhod. Argon. I 28-29

9. Liv XXXIII 40            10. ebenda 4 I

11. Jireček, Heerstrasse 86 ff.; Zlatarski, Istorija II 226 und II 4-5

 

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Von Wäldern bei Serdick und Stoponion (bei Ihtiman) berichten auch byzantinische Quellen [12]. Es gab Wälder ebenfalls in der Donauebene bei den Flüssen Kebros (j. Cibrica) [13] und Lyginos (nicht identifiziert) [14]. In Securisca (j. Carkvica bei Nikopol) an der Donau bei der Mündung des Flusses Osam wurden Schiffe gebaut [15]. Das bestätigt eine Verordnung der Kaiser Honorius und Theodosios II. aus 412, wonach man am Limes der Moesia Inferior und Scythia d. h. längs des Donauufers von der Mündung des Osam bis zum Donaudelta Schiffe bauen und reparieren konnte [16]. Man bezog ohne Zweifel das nötige Holzmaterial aus den nahen Wäldern des Hinterlandes. Jordanes berichtet auch, dass der Wald der Gegend von Nicopolis ad Istrum am Fuss des Hämus reich an Holz war [17]. Von der heutigen Stadt Silistra bis Preslav erstreckten sich ebenfalls grosse und tiefe Wälder [18]. Wälder an der Donau erwähnt auch Nikephoros der Patriarch [19]. Um die antike Stadt Marcianopolis (j. Ruinen bei Devnja) gab es einen tiefen Wald, worin Wildschweine hausten [20]. Nach Skylitzes-Kedrenos war das Land zwischen Hämus und Istros bis zum Meer mit Wäldern bedeckt [21]. Von den ehemaligen ausgedehnten Wäldern dieses Gebietes zeugt auch seine mittelalterliche Benennung Καρβωνᾶς, Καρβουνᾶς “Kohlenland” bzw. “Land der Köhler” [22]. Aus dem Namen lässt sich entnehmen, dass dort Holzkohle gebrandt wurde. Der nördliche Teil von Skythien war dagegen Steppenland ohne Wald [23].

 

 

12. Leon Diak. 173

13. Dion Cass. 51, 24, 1-7

14. Arrian. An. I 2, 7

15. Theophyl. 294, 23-295, 2

16. Cod. Theod. VII 17,1

17. Getica 127, 9

18. Kedren. II 398, 14-16

19. Brev. 71, 1-2

20. Theophyl. 248, 17-23

21. Kedren II 594, 4-10

22. Beševliev, Zwei Bemerkungen 75-78

23. Ovid. Ep. I 3, 49-60, dazu Weiss, Dobrudscha 20

 

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Grosse Wälder waren auch am Unterlauf des Flusses Tiča [24] und an den Südabhängen des Hämus [25] vorhanden. Eine der beiden Anhöhen Abrolevas (j. Bakadžici) in Süd-Bulgarien hiess δασύς “bewaldet” [26]. In der Gegend von Konstantinopel soll es auch einen grossen Wald gegeben haben [27]. Das sog. Gebiet Astika, das zwischen den Flüssen Hebros und Tonzos (j. Tundža) und dem Schwarzen Meer lag, war mit Wälder bis Adrianopel bedeckt [28]. Der naheliegende Berg bei dieser Stadt war auch bewaldet [29]. In der Nähe von der sog. Langen Mauer existierten gleichfalls Wälder [30]. Das ganze Thrakien lieferte nach Theophrastos gutes Holzmaterial für den Schiffsbau [31].

 

Die meisten der erwähnten Wälder sind heute durch Schuld der Menschen arg gelichtet oder gänzlich vernichtet. Das zog üble Folgen nach sich. Der Wasserreichtum hat darunter besonders stark gelitten. Die Wassermasse der Flüsse wurde so gering, dass manche von ihnen wie Hebros [32] und Strymon [33], die in der Antike schiffbar waren, es heute wegen Wasserarmut nicht mehr sind. Manche Seen und Sümpfe verschwanden auch. Die klimatischen Verhältnisse haben sich dadurch ebenfalls bedeutend geändert.

 

Über die Pflanzenwelt, die in diesem Teil der Balkanhalbinsel im Altertum vorhanden war, bringt Theophrastos interessante Nachrichten in seinen naturwissenschaftlichen Werken [34].

 

 

24. Theophyl. 93, 25-94, 5            25. ebenda 92, 1-24

26. Theophan. 470, 18

27. Theophyl. 22, 17-19 und 239, 16-18            28. ebenda 103, 24

29. Zosim. II 22

30. Nikeph. 13, 17-20

31. Hist. pl. IV 5, 5

32. D. Cončev, Die Schiffbarkeit des Flusses Hebros - Maritza im Altertum, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Einest Moritz Arndt - Universität Greifswald, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe Nr. 1/2, Jahrg. VI, 1956/57, 137-139

33. Jor. Ivanov, Severna Makedonija, Sofia 1906, 12-13

34. De caus, pl. II 9, 1 -2; IV I 1,5; Hist. pl. III 3, 1 -2; 8, 7; IV 5,1-2; 4,7; 9,1 ; I I 12; 16,2 .3; V 7,2; VI 6,4; VIII 8,7; 9,1; IX 13,4; 15,3. S. noch Herodot. IV 74; Ovid. Ep. III 8; 9,1 ; Plin. NH XXII) 0, 27; XXV 8,83; Athen. II 62 a; XV 681 f.; Theophyl. 92, 19-20

 

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Sie war jedoch nicht sehr verschieden von der heutigen, sodass es sich erübrigt diese Nachrichten hier anzuführen. Die Bäume der verschwundenen Wälder der Donauebene und Ost-Bulgariens waren Quercus robur, Ulmus foliacea bzw. scabra und Fraxinus oxyphylla [35].

 

Die Tierwelt der Osthälfte der Balkanhalbinsel unterschied sich im Altertum und Mlittelalter dagegen beträchtlich von der der Gegenwart. Zwischen den Flüssen Nestos und Acheloos und um die Berge Pangaion und Kittos lebten Löwen, die bereits im I. Jahrh. nach Christi ausgestorben waren [36]. In Mösien gab es eine besondere Art weisser Bären [37]. Im Altertum und Mittelalter existierten zwei Arten wilder Horntiere: der Auerochse (Bos primigenius) mit langen Hörnern und der Wisent (Bison europaeus), beide heute ausgestorben. Nach Ausweis der antiken Autoren hausten die Auerochsen (βόες ἄγριοι) in der Nähe von Thessalonike, in Päonien, Maedica und Thrakien [38]. Manche Ortsnamen im heutigen Bulgarien wie Turija (Dorf und Fluss), die von für, der slawischen Benennung des Auerochsen, abgeleitet sind [39], zeugen von seinem Vorhandensein auch im Mittelalter. In den Wäldern Ost-Bulgariens gab es lange Zeit, Auerochsen wie aus dem Knochenmaterial der archäologischen Funde zu erschliessen ist [40]. Der Wisent (βόλινθος oder βόνασος) [41] ist im Altertum für Maedica und den Berg Messapion oder Hesainon bezeugt.

 

 

35. Geografija 451 125-459 ff., 472 f.

36. Herodot. VII 126; Aristot. de anim. hist. 606 B 14-17; Pausan. VI 5, 4-5; Xenoph. Cyneg. XI 1 ; Dion Chrys. Or. XXI J, dazu Steter in: RE XIII 969 f., Oberhummer ebenda VI A 401

37. Aristot. de mirab. auscult. 144; Pausan. Vll 17, 3

38. Herodot. VII 126; Aristot. de mirab. auscult. 29; Pausan. IX 21,2; Athen. XI 486, d-e

39. Škorpil, Mogili 97; Jireček, Serben I 15 und Anm. mit Lit.; Jor. Zaimov, Balgarski rečni imena, in: Bălgarski ezik, Heft 4-5, 1959, 365, 367

40. St. Ivanov, Vărhu edna nahodka ot Bos primigenius Bojan, ot kasnoistoričesko vreme u nas, in: Godišnik na Veterinaro-medicinski fakultet XXVI, 1949-1950, 335 f., derselbe Hranata ot životinski proizhod na obitatelite na južnata porta v Preslav, in: IAI XXII, 1959, 209-221

41. Belegstellen bei Detschew, Sprachreste 74 und 75 mit Etymologie

 

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Sein slawischer Name lautet z on b a r, zubar [42]. Davon wurden im Mittelalter Ortsnamen wie Zuber planina (Wisentberg) bei Trăn, Westbulgarien, abgeleitet.

 

Es gab noch Hirsche und Rehe im Rhodopagebirge [43] und in den nördlichen Ausläufern des Strandžaberges [44] sowie Eber wieder im Rhodopagebirge [45], in der Umgebung von Marcianopolis [46] und in der Nähe von Rhegion [47]. Verschiedene Wasservögel nisteten im Donaudelta [48] und Kraniche am Fluss Strymon [49]. In den Flüssen hausten Biber [50] und in den dichten Wäldern wilde Katzen, Luchse, Birkhühner, Fasanen u.a.

 

 

42. Jireček, Serben I 15 f.; Zaimov op. cit. 367

43. Philostr. III 16-17

44. Theophyl. 22, 10; 239, 17

45. Philostr. loc. cit.

46. Theophyl. 248, 17

47. ebenda 220, 4

48. Arrian. Peripl. 21

49. Claudian. carm. XV 472-476

50. Škorpil, Mogili 97-98; Jireček, Bulgaren 42; Zaimov op. cit. 359; Geografija 487

 

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2. Die administrative Einteilung

 

Allgemeine Literatur: Max Fluss, Moesia, in: RE XV 2350-2360, 2384-2390; Artur Betz, Thrake, in: RE VI A 452-458; Stein I passim; Lemerle, Invasions 265-273

 

 

Nach der Eroberung der Balkanhalbinsel von den Römern wurden die Länder südlich der Donau bekanntlich in folgende vier Provinzen eingeteilt: Moesia Superior, Moesia Inferior, Thracia [1] und Macedonia. Im 3. Jh. gründete Kaiser Aurelian auf dem Boden von Moesia Inferior und Thracia zwei neue Provinzen: Dacia Ripensis [2] und Dacia Mediterranea. Im Laufe des 4. Jhs wurden die Provinzen reorganiseiert und in kleinere Verwaltungsbezirke zerlegt [3]. Die ehemaligen Provinzen Moesia Inferior und Thracia bildeten eine Verwaltungseinheit die Diözese Thracia. Sie setzte sich aus folgenden sechs neuen Provinzen zusammen: Moesia Inferior (oder Secunda), Scythia Minor (oder Inferior), Haemimontus (oder Thracia Secunda), Thracia (oder Thracia Prima), Rhodope und Europa. Die Diözese Thracia gehörte zur Praefectura per Orientem [4]. Ihre Zivilverwaltung lag in den Händen eines Vicarius vir spectabilis, das militärische Oberkommando dagegen führte der Magister militum (equitum et peditum) per Thracias, der die Marschtruppen und die Garde befehligte. Die beiden Limesprovinzen, Moesia Inferior und Scythia Minor, unterstanden ausserdem je einem Dux, vir spectabilis, die in ihren Grenzabschnitten das Truppenkommando innehatten. Im 7. Jh. wurde die Provinzialverwaltung des byzantinischen Reiches aus militärischen Gründen reorganisiert.

 

 

1. Über die Grenze zwischen Thracia und Moesia Inferior s. B. Gerov, Severnata granica na provincija Trakija, in: IAI XVII, 1950, 11-33

2. Über diese Provinz ausführlich H. Vetters, Dacia Ripensis

3. Stein I 69-72

4. Stein T 132; Bréhier, Institutions 100-102

 

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Man schuf die sog. Themen [5], die anstelle der Provinzen traten. Das Thema Thrakien, das zur Abwehr gegen die Bulgaren unter Konstantin IV. gegründet worden war, umfasste die damaligen Überreste der ursprünglichen thrakischen Diözese.

 

Die Provinzen im westlichen Teil der Balkanhalbinsel wurden von der Reorganisation im 4. Jh. auch betroffen. Die Diözese Moesiarum, die ursprünglich aus elf Provinzen bestand, wurde später in zwei Diözesen geteilt: die Diözese Dacia und die Diözese Macedonia, die zur Praefectura per Illyricum gehörten. Die erstere Diözese setzte sich aus folgenden fünf Provinzen zusammen: Moesia Prima, Dacia Ripensis, Dacia Mediterranea, Dardania und Praevalitana et pars Macedonia Salutaris. Das militärische Oberkommando lag in den Händen des Magister militum (equitum et peditum) per Illyricum, vir illustris.

 

Die beiden Limesprovinzen Dacia Ripensis und Moesia Prima unterstanden wieder je einem Dux, vir spectabilis, die die Truppen in ihrem Grenzabschnitt befehligten.

 

Die Diözese Thracia und die Praefectura per Illyricum wurden von einander im Norden durch die Provincia Moesia Inferior gegen Dacia Ripensis und im Süden durch die Provincia Rhodope gegen Macedonia Prima hin abgegrenzt. Die Grenze begann an der Donau zwischen Asamus (in Moesia Secunda) und Utum (in Dacia Ripensis) und endete bei Topiros (in Rhodope) zwischen mutatio Pardis und mansio Acontisma (in Macedonia). Die Hauptstadt der Praefectura per Illyricum war zuerst Sirmium, später seit den Hunneneinfällen Thessalonike.

 

 

5. Ostrogorsky, Geschichte 80-83 mit Lit.; J. Karayannopoulos, Contribution au problème des “Thèmes” byzantins, in: L’Hellénisme Contemporain, 2 série, t.X, 1056, 455-502 mit Lit.; derselbe. Die Entstehung der byzimlmischen Themenordnung, München 1959 ( = Byz. Archiv 10), Bréhier, Institutions 121

 

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3. Der Donau-Limes

 

Allgemeine Literatur: Brandis in: RE 4, 2130-2132; Fabricius, Limes, in: RE 13, 572-581, besonders 634-650; Er. Swoboda, Forschungen am Obermösischen Limes, in: Akad. Wien, Schrift, d. Balkankomm. 10, 1939; Vetters, Dacia Ripensis 9-13; M. Vankov, Ostanki ot ukreplenata linija na rimljanite po dvata brjaga na Dunava ot Silistra do Svištov, in: Zadružen Trud, Sofia 1905; K. Škorpil, in: IRAIK X, 1905, 444-468; 519-524

 

 

Die Reichsgrenze an der Donau bis zu ihrer Mündung war, wie die am Rhein und Euphrat, seit dem I. Jh. n. Chr. durch eine längs des Flusses gebaute Verteidigungsanlage geschützt, die aus einer Uferstrasse, Grenzwegen, Wachtürmen, Wällen, Gräben, kleinen und grösseren Kastellen bestand. Die Städte, die an der Donau lagen wie Ratiaria, Oescus, Novae und Durostorum, waren in der Kaiserzeit Legionslager. Alles dies bildete den sog. Donau-Limes, die wichtigste Verteidigungslinie der Balkanhalbinsel gegen die von Norden kommenden Barbaren. In der späteren Zeit stellte sie jedoch kein Hindernis dar. Die wenigen Grenzsoldaten konnten keinen ernsten Schutz vor den Barbareneinfällen gewähren. Sie wurde nicht nur oft von verschiedenen einfallenden Stämmen überschritten, sondern viele Verteidigungsanlagen gerieten dadurch in Verfall am Ende des 5. Jh. Um sie wieder instand zu setzen entfaltete Kaiser Justinian I. eine grosse Bautätigkeit an dem Limes, worüber Prokop in seinem Werk “De aedificiis” ausführlich berichtet. Die alten Festungen wurden repariert, erweitert und ausgebaut. Gebaut wurden auch neue Kastelle und Türmen. Alles dies hat jedoch wenig zur Verteidigung der Donaugrenze beigetragen. Die später erfolgten Awareneinfälle haben die Limesanlagen überrant und teilweise zerstört. Darauf vermochten sie dem Reich keinen Schutz mehr zu bieten. Der Limes hatte seine Rolle bereits ausgespielt.

 

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4. Das Heer

 

Allgemeine Literatur: R. Grosse, Römische Militärgeschichte von Gallienus bis zum Beginn der byzantinischen Themenverfassung, Berlin 1920; Stein I 54-64; 72-73; 122-124; 237-241; II 85-89; 474-475; Bréhier, Institutions 334-403; L. Várady, New Evidence on Some Problems of the Late Roman Military Organisation, in: Acta Antiqua, t. IX, fasc. 3-4, 1961, 333-396; derselbe, Das letzte Jahrhundert Pannoniens, Amsterdam 1969, 376-476 und passim; D. Hoffmann, Das spätrömische Bewegungsheer und die Notitia dignitatum, Düsseldorf I (1969), II (1970)

 

 

Das alte römische Heer, das bekanntlich mit Ausnahme der Prätorianer an der Grenze stand, wurde von den Kaisern Diokletian und Konstantin I. neu organisiert. Die Grenztruppen wandelten sich zu einem in ständigen Garnisonen festliegenden, nur zu Verteidigungszwecken verwandtem Grenzheer um, das in 4. bis 6. Jh. als eine Miliz sesshafter Bauern erscheint. Die Grenzsoldaten waren in den Castra oder Castella des Limes verteilt und führten im 6. Jh. den Namen limitanei. Sie waren den duces unterstellt: dux Daciae Ripensis, dux Moesia Primae, dux Moesiae Secundae und dux Scythiae. Zu dem Grenzheer gehörte auch die Donauflotte, die aus leichten Wachtschiffen, sog. lusoriae, bestand [1].

 

Es wurde ein besonderes Marsch-oder Feldheer, das sog. exercitus comitatensis oder comitatenses, comitatus geschaffen, das die eigentliche Kriegsarmee darstellte. Ihre Soldaten waren im Inland in den Städten verteilt, und mussten stets marschbereit sein. Die Kavalerie wurde auch verstärkt, reorganisiert und nahm einen wichtigen Platz in der Armee ein. Die alte Garde der Prätorianer wurde abgeschafft. An ihre Stelle traten die sog. Palatini die aus den vornehmsten Kavalerie- und Infanterieregimenten des Feldheeres gewählt waren.

 

 

1. Brandis in: RE 4, 2130

 

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Sie nahmen an den Schlachten teil wie das übrige Heer. Die persönliche Leibwache des Kaisers bildeten die sog. Scholen und Candidaten [2] die meist aus Barbaren rekrutiert wurden.

 

Der Oberbefehlshaber des Heeres war sowohl in der römischer als auch in byzantinischer Zeit immer der Kaiser. Seit Konstantin I. wurde das Oberkommando über das Feldheer geteilt. Die Infanterie befehligte Magister peditum, die Kavalerie Magister equitum. Wenn beide Kommandos in einer Hand vereinigt waren, lautete die Amtsbezeichnung Magister equitum et peditum oder utriusque militiae. Der Magister peditum war der Ranghöhere. Unter Theodosios I. erscheinen drei örtliche Heermeister: Magister equitum et peditum per Orientem, per Thracias und per Illyricum. Diese Heeresorganisation hat sich im ganzen noch bis ins 6. Jh. erhalten.

 

Eine besondere Gruppe bildeten die sog. foederati und Verbündten. Im 4. und 5. Jh. waren die ersteren zum Schutz der Reichsgrenzen verpflichtete, innerhalb der Grenzen mehr oder weniger unabhängig lebende barbarische Volksgruppen. Im 6. Jh. verstand man darunter Truppenteile, die aus barbarischen Söldnern bestanden.

 

Die Verbündeten waren ausserhalb der Reichsgrenzen lebende Barbarenstämme, die auf Grund eines dauernden Vertrages oder zu einem bestimmten militärischen Zweck vorübergehend aus freien Völkern angeworben waren. Sie wurden als σύμμαχοι oder ἄνσπονδοι bezeichnet [3].

 

Das römische Heer wurde ursprünglich bekanntlich aus römischen Bürgern rekrutiert. Mit der Zeit erfolgte die Rekrutierung immer mehr in den Provinzen, speziell im Lande des Standortes der einzelnen Truppen, so dass in die Armee nicht nur römische Bürger, sondern auch Barbaren kamen. Das gilt besonders für die Auxilien, die sich fast ausschliesslich aus den unter römischer Herrschaft stehenden Völkerschaften zusammensetzten.

 

 

2. Über die Candidaten s. hier S. 429 Anm. 225

3. D. Obolensky, The Principles and methods of Byzantine Diplomacy, in: XII CIEB - Rapports II. Belgrade 1961,57-58; Über das Föderatenwesen, s. auch E.K. Chrysos, Gothia Romana. Zur Rechtslage des Föderatenlandes der Westgoten im 4. Jh., in: Dacoromania 1 (1973) 52-64

 

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Auf diese Weise wurde das Heer allmählich barbarisiert. Diese Barbarisierung war noch grösser in der späteren Kaiserzeit durch die Aufnahme von Barbaren, hauptsächlich Germanen, in das Heer, und die Ansiedlung von fremden Stämmen an den Reichsgrenzen. Vornehme Ausländer wurden in immer steigender Zahl auf genommen, und gelangten zu den höchsten Kommandostellen. Nach einer zeitweiligen Militärherrschaft der Germanen, konnte sich das oströmische Reich von diesem Zustand befreien und behielt eine nationale Armee und Marine [4].

 

Das Eindringen der Barbaren in das Heer führte zu einem militärischen Niedergang. Das Exerziern liess besonders in barbarischen Truppenteilen nach. Die Disziplin lockerte sich auch stark. Seit dem 4. Jh. erhielten die Soldaten Naturalverpflegung (annona), Geldgeschenke (donativa) und Sold (Stipendium). Die missliche Finanzlage des Reiches erlaubte keine regelmässige Zahlung des Soldes. Das wirkte auf die Disziplin verhägnisvoll. Die Truppen weigerten sich oftmals zu kämpfen. Ihre Moral sank sehr tief. Sie verwandelten sich in Räuberbanden, die die Bürger und Bauern beraubten. Es kam auch zu Aufständen. Sie wollten dem Oberkommando nicht mehr gehorchen. Es gab Verrat und Desertierungen. Diese Misstände und Verfallerscheinigungen waren schwer zu beseitigen und erleichterten den einfallenden Barbaren die Erfolge.

 

 

4. Über die Marine s. L. Bréhier, La marine de Byzance du VIII au XI siècle, in Byz. XIX ( 1949), 1-16 und Institutions 404-429; H. Ahrweiler, La mer; H. Antonniadis-Bibicou, Etudce d'histoire maritime de Byzance, Paris 1966

 

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5. Die Städte

 

Allgemeine Literatur: C. Patsch, Beiträge zur Völkerkunde SO-Europas V/2, in: Sitzungsber. Wien, 217/1 passim; Gerov, Romanisierung II 17-120; III 307-326; derselbe, Westthrakien I 256-338: II 3-101: III 121-223; IV 3-54; F. Papazoglu, Gradovi; J. Weiss, Die Dobrudscha 41-84; Vetters, Dacia Ripensis 8 und passim; V. Velkov, Cities 85-133; derselbe, Das Schicksal der antiken Städte in den Ostbalkanländern, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Ges.-sprachw. R. XII, 1963), 839-843; derselbe, Die antike und die mittelalterliche Stadt im Ostbalkan (im Licht der neuesten Forschungen), in: Südosteuropa-Jahrbuch, Bd. 8, 1968, 23-34; derselbe, La construction en Thrace à l’époque du Bas-empire (d’après les écrits), in der polnischen Zeitschrift Archeologia X (1958) 124-138; V. Beševliev, Zur Kontinuität der antiken Städte in Bulgarien, in: Neue Beiträge zur Geschichte der alten Welt. II. Römisches Reich, Berlin 1965, 211-221 = Les cités antiques en Mésie et en Thrace et leur sort à l’époque du Haut moyen âge, in: Études Balkaniques 5, 1966, 207-220; derselbe, Zur Deutung der Kastellnamen in Prokops Werk “De aedificiis”, Amsterdam 1970; A. Mocsy, Municipale Gemeinde und ihre Territorien in Moesia Superior, in: Godišnjak Akad. Bosne kn. 3, 1967, 151-164; Fr. Dölger, Die Stadt

 

 

Im ausgehenden Altertum existierten nach Hierokles [1] in den Provinzen der Diözese Thracia und des Illyricums Dacia Ripensis, Dacia Mediterranea und Macedonia Prima 100 Städte. Davon befanden sich 26 im Gebiet des heutigen Bulgarien. Diese Zahl bestätigen z.T. die Konzilakten und späteren Bischofslisten, die zur Hieroklesliste noch vier Städte hinzufügen [2].

 

 

1. E. Honigmann, Le Synecdèmos d’Hiéroclès et l’opuscule géographique de Georges de Chypre, Bruxelles 1939

2. G. Purthey, Not ep. Mr. 7, S. 153, 73 und 160, 259-260 sowie S. 161, 266

 

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Die Glaubwürdigkeit der Konzilakten und Bischofslisten hinsichtlich der Anzahl der Städte beweist ein Erlass des Kaisers Zenon (474-491), wonach jede Stadt ihren eigenen Bischof haben sollte und niemand einer Stadt dieses Recht versagen durfte [3]. Demnach gab es im heutigen Bulgarien im ausgehenden Altertum 30 Städte. Diese Städte verteilen sich wie folgt. Auf Nord-Bulgarien entfallen 15, davon an der Donau entlang Bononia, Ratiaria, Oescus, Novae, Appiaria, Transmarisca und Durostorum, am Schwarzen Meer Acrae, Dionysopolis und Odessos, im Binnenland Castra Martis, Nicopolis ad Istrum, Abrittus, Marcianopolis und Zaldapa. Bei archäologischen Ausgrabungen in den letzten Jahren wurden zwei grosse antike Städte in Nord-Ostbulgarien entdeckt: die eine bei dem Dorf Vojvoda, höchstwahrscheinlich die nur bei Leo Diakonos (ed. Bonn 138, 24 - 139, 2) genannten Δίνεια, und die andere auf den Höhen von Šumen, die sich eventuell mit der nur bei Ptolemeios (3, 10, 6) erwähnten Stadt Δαούσδαυα identifizieren lässt. In Süd-Bulgarien befanden sich ebenfalls 15 Städte und zwar am Schwarzen Meer Mesembria, Anchialos, Deultum und Apollonia ( = Sozopolis), im Binnenland Pautalia, Serdica, Germania, Zapara, Nicopolis ad Nestum, Philippopolis, Diocletianopolis, Cabyle, Augusta Traiana ( = Beroia), Sebastopolis und Diospolis.

 

Die Ereignisse, die sich am Ende des 4. Jh. und im 5. und 6. Jh. auf der Balkanhalbinsel abgespielt haben, waren für das weitere Schicksal der Städte ihres Ostteiles folgenschwer. Die Stadt Cabyle, dessen Bischof Severus im Jahre 347 an der Synode von Serdica teilgenommen hat [4], wird zum letzten Mal im Jahre 378 in Zusammenhang mit dem Aufruhr der Goten erwähnt [5]. Ihr Name verschwindet nach diesem Datum für immer aus den Schriftquellen. Die Stadt wurde wahrscheinlich von den Goten vollkommen zerstört oder unter einem anderen Namen,

 

 

3. Cod. Just. I 3, 35. Vgl. Dölger, Die Stadt 80; 88

4. Mansi III col. 140: Severus episcopus a Cabula

5. Anim. Marcell. 31, II. 5

 

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vielleicht Sebastopolis, wiederhergestellt, da dieser Name anstelle von Cabyle in späteren kirchlichen Quellen als Bischofssitz auftritt [6]. Auch Sebastopolis scheint nicht lange Zeit bestanden zu haben.

 

Um 409 nahmen die Hunnen die Stadt Castra Martis ein [7] (s. hier S. 54), deren Bischof Calvus auch an der Synode von Serdica (347) teilgenommen hat [8].

 

Von den Hunneneinfällen im 5. Jh. sind die in den Jahren 441-442 und 447 besonders zu erwähnen (vgl. hier S. 54-55). Während des ersten Einfalls eroberten und zerstörten die Hunnen mehrere Städte, darunter Ratiaria und Philippopolis [9]. Unter dem zweiten litten vor allem die Städte Serdica und Marcianopolis [10]. Der Umstand aber, dass sich nach 454 Hunnen in Oescus, Utus, Almus und Castra Martis niedergelassen haben [11], zeigt, dass diese Städte noch immer bewohnbar waren. Dass Zenon, der Feldherr des Kaisers Leon I., mit seinen Truppen 469 in Serdica vor dem Alanen Aspar Zuflucht suchte [12], beweist, dass die von den Hunnen beschädigten Stadtmauern Serdicas bereits ausgebessert waren [13]. Die Stadt Novae scheint nicht viel unter den Hunnen gelitten zu haben, da die Goten des Theoderich von 474 bis 488 dort ihre Wohnsitze hatten.

 

Die durch die Einfälle Attilas zerstörten und beschädigten Städte und Ferstungen wurden vom Kaiser Justinian I. bekanntlich wiederhergestellt [14]. Unter den ausgebesserten Stadtmauern werden die von Serdica, Germania und Pautalia ausdrücklich genannt [15].

 

 

6. Parthey Not. ep. 7, 241; 8, 521; 9, 432; Georg. Cypr. 471 a

7. Sozom., P G 67, col. 1605 C - 1608 B

8. Mansi III col. 39: Calvus a Dacia ripensi, de Castro Martis

9. Prisc., EL 575, 10-576, 9; Theophan. 102, 20-24; Marcel. Com. ad. 441,3

10. Prisc., EL 576, 24-578, 35; Chron. Pasch., PG 92, 583, 9-15; 584, 3-5; Marcel. Com. ad 447

11. Jordan., Getica 126, 18; 127, 3

12. Cities 43 Anm 119 Theophan. 116, 30 f.

13. Velkov, Cities 43 η. 119 und Zur Geschichte der Stadt Serdica (Sofia) vom IV-IX Jh., in: Etudes historiques III, 1966, 53-60

14. Procop., De aedif. 125, 8-11

15. ebenda 106, 16

 

14

 

 

Die Befestigungen von Bononia hat man gleichfalls instand gesetzt [16]. Der Kaiser liess ferner die Zerstörungen in Ratiaria beseitigen [17], Castra Martis und Oescus mit neuen Mauern umgeben [18] und die Befestigungen der Städte Appiaria [19], Transmarisca, Durostorum [20], und Nicopolis ad Istrum wiederherstellen. Manches wurde auch in Abrittos Marcianopolis und Odessos ausgebessert [21]. In Süd-Bulgarien wurden endlich die Stadtmauern von Philippopolis, Beroia und Anchialos repariert [22]. Ausserdem wurden über 600 Kastelle und Befestigungen wiederhergestellt oder neu errichtet.

 

Am Ende des 6. Jhs hatten die Städte unter den Awaren zu leiden. Sie unternahmen oft Raubzüge in das Oströmische Reich und kamen sogar bis an die Stadtmauern von Konstantinopel (vgl. auch S. 116, ausführlich S. 120-123). Sie fielen immer in die gleichen Gegenden ein. Unterwegs eroberten, plünderten und äscherten sie viele Ortschaften und Städte ein. Im Jahre 585-586 nahmen sie die Städte Bononia, Ratiaria, Durostorum, Zaldapa, Marcianopolis und Anchialos ein [23]. Anchialos war von ihnen bei einem früheren Einfall schon einmal besetzt worden [24]. Zur gleichen Zeit oder etwas später fiel auch die Stadt Appiaria in ihre Hände [25]. Im Jahre 593 wurde Anchialos erneut von den Awaren erobert [26]. Einige Jahre später um 595 plünderten die Slawen die Städte Zaldapa, Aquae und Scopi [27].

 

Ob und inwieweit die von den Awaren verheerten Städte im heutigen Nord-Bulgarien wiederhergestellt wurden, ist unbekannt.

 

 

16. ebenda 129, 11; 148, 49            17. ebenda 129, 13            18. ebenda 130, 16-17            19. ebenda 148, 1

20. ebenda 132, 1-14            21. ebenda 148, 5; 8; 29            22. ebenda 145, 5; 147, 44

23. Theophyl. 54, 25-55,1; Theophan. 257, 1 ff.

24. Euagr. Hist. 228, 21-29; Theophan. 253, 10

25. Theophyl. 101, 10; Theophan. 253, 10

26. Theophyl. 227. 27; Theophan. 269, 22

27. Theophyl. 247, 15-16

 

15

 

 

Die Städte Castra Martis und Ratiaria werden in den Schriftquellen nach dam 6. Jh. nicht mehr erwähnt. Ratiaria, die Hauptstadt der Provinz Dacia Ripensis, erscheint zum letzten Mal bei Theophylaktos Simokattes im Zusammenhang mit den awarischen Einfällen [28]. Oescus, eine der grösste Städte derselben Provinz kommt bei Theophylaktos niergends vor, obwohl dieser Autor über die Ereignisse des 6. Jhs an der Donau ausführlich berichtet. Die Stadt hat wohl durch die früheren awarischen Einfälle stark gelitten, da der Stratege Petros im Sommer 601 sein Lager in der Festung Palatiolon aufschlug [29]. Diese Festung wird mit dem Brückenkopf Palatiolon bei Prokop [30] identifiziert, der nahe bei Oescus lag und gleichzeitig mit dieser Stadt vom Kaiser Justinian I. wieder aufgebaut wurde. Man darf also annehmen, dass Oescus von den Awaren so stark zerstört wurde, dass es dem byzantinischen Heer keine sichere Zuflucht bot. Oescus war auch kein Bischofssitz mehr, da sein Name in den Bischofslisten fehlt. Eine Bischofsliste aus dem 8. Jh., die einen älteren Zustand wiederspiegelt, erwähnt einen sonst unbekannten Bischofssitz Παλαιστήνη, der von G. Konidares mit Palastolon identifiziert wird [31]. Wenn die Identifizierung trifft, so wäre das auch ein Beweis für die Verödung von Oescus im Ausgang des Altertums.

 

Die Stadt Novae war 595 und 602 noch gut erhalten, da das byzantinische Heer dort in diesen Jahren Unterkunft finden konnte [32]. In den Bischofslisten wird die Stadt bis zum 9. Jh. als Bischofssitz angeführt [33].

 

 

28. Über die Geschichte von Ratiaria s. V. Velkov, Ratiaria (Eine römische Stadt in Bulgarien), in: Eirene V, 1966, 155-175; Prinosi kam istorijata na rimskite gradove v Bălgarija. I. Raciarija, in: Trudove Tarnovo II, (1965) 3-23 ; R. Hosek - V. Velkov, New antique finds in Ratiaria (Moesia Superior), in: Listy Filologické VI (LXXXI), 1958, H.l, 37-39

29. Theophyl. 292, 10; 294, 6

30. Procop., De aedif. 130, 23, dazu Jireček, Heerstrasse 159. Über den Brückenkopf Palatiolon s. D. Tudor, Les ponts romains du Bas-Danube, Bukarest 1974, 135-166.

31. Αἱ μητροπόλεις καὶ ἀρχιεπισκοπαὶ τοῦ Οἰκουμενικοῦ Πατριαρχείου καὶ ἡ “Τάξις” αὐτῶν, Bd. I. Athen 1934, 100, 555

32. Theophyl. 256, 14; 290, 6

33. Parthey, Not. episc. 161, 267; 180, 551 u.a.

 

16

 

 

Novae erscheint wohl in den Listen nach dem 7. Jh. nur deshalb, weil man ältere Vorlagen mechanisch abgeschrieben hat, oder seine Bischöfe waren nur in partibus, da keine andere Schriftquelle ihren Namen nach diesem Datum erwähnt. Es verhält sich ebenso mit den Städten Appiaria, Transmarisca, Abrittus und Zaldapa. Sie stehen in den Bischofslisten bis zum 9. Jh. [34] Sie kommen sonst in keiner anderen Quelle vor. Acre (j. Kaliakra) an der Küste des Schwarzen Meeres hat, wie es scheint, sehr früh seine Bedeutung als kirchliches Zentrum eingebüsst, da ihr Name in den Bischofslisten fehlt. Die Nachbarstadt Dionysopolis, gleichfalls am Schwarzen Meer, ist allerdings in mehreren Bischofslisten vom 7. bis 9. Jh. verzeichnet [35], war aber um diese Zeit wohl bereits sehr verfallen, da sie sonst in keiner anderen Quelle auftritt. Alle Schwarzmeerstädte haben jedoch ihre Bedeutung als Hafenplätze wegen deren günstigen geographischen Lage nicht verloren, obwohl manche von ihnen schon längst nicht mehr als Städte galten.

 

Im Binnenland erscheint Marcianopolis, die Hauptstadt der Provinz Moesia Inferior, zum letzten Mal in der Bischofsliste aus dem 7. Jh., dem sog. Verzeichnis des Epiphanios als Erzbischofssitz. In der etwas späteren Liste aus dem 8. Jh. [36] ist Odessos an ihre Stelle getreten. Marcianopolis kommt ebenfalls in keiner anderen Schriftquelle vor. Die Stadt Nicopolis ad Istrum war während der Awarenzüge, die sie nicht unmittelbar berührten, noch gut erhalten, da der byzantinische Stratege Komentiolos um 600 beabsichtigte sein Heer dorthin zu führen [37]. Diese Stadt fehlt in der ältesten Bischofsliste aus dem 7. Jh. Sie ist jedoch in der Liste aus dem 8. Jh. angeführt. Ihr Name ist aus unbekannten Gründen in der älteren Liste ausgelassen. Die Stadt war nach den Konzilakten schon 458 [38] und 518 [39] Bischofssitz. Nach dem 7. Jh. kommt die Stadt in den Quellen nicht mehr vor.

 

 

34. ebenda 150 ff., passim            35. ebenda

36. C. de Boor, Nachträge zu den Notitiae episcopatuum, in: Zs Kirchengesch. XII (1890/91) 533

37. Theophyl. 268, 11

38. Mansi VII 546 = E. Schwartz, Acta vol. V. 32, 29

39. Mansi VIII 1048

 

17

 

 

Ihr Name erscheint erst im 15. Jh. wieder [40]. Der türkische Name des heutigen bulgarischen Dorfes Nikjup aus dem bulgarischen Nikopol, das nicht weit von den Ruinen der alten Stadt liegt, zeugt von ihrer Existenz im 15. und 16. Jh. [41]. Die Münzfunde vom Ruinenfeld, die keinen Hiatus aufweisen, zeigen, dass das Leben dort mindenstens bis zum 12. Jh. weitergegangen ist [42]. Im Jahre 1685 sah man nur noch gewaltige Ruinen von Nicopolis ad Istrum [43]. Die mittelalterliche Siedlung war wohl unbedeutend. Die Ausgrabungen in Abrittus brachten den riesigen Brand, der diese Stadt zerstörte, ans Licht. Später vom 8. bis 9. Jh. bestand eine neue, slawische Siedlung auf den Ruinen, die jedoch keinesfalls das Leben der alten Stadt fortsetzte. An ihre Stelle trat eine neue Stadt, das heutige Razgrad, die nicht sehr weit von den Ruinen liegt. Die meisten antiken Städte in Nord-Bulgarien verschwinden fast gleichzeitig aus den Schriftquellen. Ob sie alle zu Beginn des 7. Jhs. durch die Awareneinfälle oder aus anderen Ursachen in Verfall geraten sind, lässt sich nicht ermitteln.

 

Nach dem 7. Jh. blieben in Nord-Bulgarien anscheinend nur die Städte Bononia und Durostorum an der Donau und Odessos am Schwarzen Meer erhalten [44]. Jedenfalls erwähnen die späteren Quellen nur diese Städte. Die übrigen antiken Städte in Nord-Bulgarien waren infolge starker Zerstörung von ihren Bewohnern verlassen oder allmählich verfallen, da sie ihre wirtschaftliche, militärische und administrative Bedeutung verloren hatten, und fristeten als unscheinbare Ortschaften ein kümmerliches Dasein.

 

 

40. Jor. Ivanov, razkazi, 232; E. Kalužniacki, Über zwei noch unbekannte Abschriften der serbischen Annalen, in: Arch. slav. Phil XVI (1894) 63

41. At. Iliev, Turski izgovor na bălgarskite mestni imena, in; SPBAN, XIV, 1917, 105

42. T. Gerasimov, Moneti namereni pri razkopkite na grad Nikopol na Rosica v 1907 in: IAI 13, 1939, 340 f.

43. Eus. Fermendzin, Acta Bulgariae ecclesiastica, Zagrabiae, 1882, 300

44. V. Velkov, Beležki vărhu socialno-ekonorničeskoto razvitie na Odessos prez kasnoantičnata epoha, in; IVAD X, 1956, 109-117; Das Schicksal einer frühbyzantinischer Stadt zur Zeit der Völkerwanderung (Odessos-Varna am Schwartz en Meer), in: Akten München, 655-659. Weitere Literatur bei G. Mihailov, IGBulg. I, 79-82

 

18

 

 

Alle späteren Siedlungen, die in ihrer Nähe oder auf ihren Ruinen neu gegründet worden sind, tragen mit Ausnahme von Vidin aus Bononia [45] und Dristra aus Durostorum [46] neue Namen, z.B.: Balčik (Dionysopolis) [47], Tutrakan (Transmarisca), Devnja (Marcianopolis), Rjahovo (Appiaria), Svištov (Novae), Gigen (Oescus) usw. Diese Tatsache zeigt, dass kein direkter Zusammenhang zwischen den alten und neuen Siedlungen bestanden, sondern die von altersher günstige geographische, strategische, landwirtschaftliche und sonstige Lage immer wieder neue Ansiedler an dieselben Orte gezogen hat.

 

Ein ganz anderes Bild bietet Süd-Bulgarien. Von den ehemaligen 15 antiken Städten sind nur 6 hier nicht vorhanden: Deultum, Sebastopolis, Germania, Zapara, Nicopolis ad Nestum, Diospolis und eventuell Diocletianopolis. Nicht alle diese Städte sind aber im ausgehenden Altertum gleichzeitig verschwunden. Die Stadt Deultum [48] existierte bis zum 14. Jh., als sie entweder infolge der Türkeneinfälle oder wegen des Versandens der Lagune, an der sie lag, verödete [49]. In den italienischen Portolanen (14. und 15. Jh.) ist sie nicht als Hafenplatz verzeichnet.

 

Die Stadt Germania wird in einer Urkunde des Kaisers Basileios II. aus dem Jahre 1019 [50] und bei dem arabischen Geographen Idrisi 1153 [51] erwähnt. Ihr Name besteht jedoch in der Benennung des vorbeifliessenden Flusses Džerman fort. Nur die Städte Sebastopolis, Diocletianopolis, Zapara und Nikopolis ad Nestum sind verhältnissmässig früh verfallen.

 

 

45. Janos Melich, Beiträge zur Geschichte der bulgarischen Halbvokale, in: Sbornik V. N. Zlatarski, Sofia, 1925, 127-129. St. Romanski, Imenata na dva krujdunavski grada, in: Festschrift Miletič, Sofia 1933, 654-656

46. P. Mufačiev, Sădbinite na srednovekovnija Drastăr, in: Dobrudža, Sofia, 1947, 275-360; St. Romanski op. cit. 657-658

47. G. Mihailov, IGBulg. I, 49-51

48. G. Mihailov, IGBulg. III, 2, 204-205

49. Jireček, Reisen 774

50. Jor. Ivanov, Starini 552

51. B. Nedkov, Bălgarija i săsednite i zemi prez XII vek spored Idrisi, Sofia 1960, 41

 

19

 

 

Die beiden ersten werden allerdings bis zum 9. Jh. in den Bischofslisten [52] angeführt. Doch sind sie wohl bereits vor dem 9. Jh. aus unbekannten Gründen so in Verfall geraten, dass ihre Namen und Lagen aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden sind. Die Stadt Diocletianopolis, die neben Philippopolis und Berrhoe eine der grössten Städte im heutigen Süd-Bulgarien gewesen zu sein scheint, lässt sich allem Anschein nach mit den eindrucksvollen Ruinen von Stadtmauern und Kirchen im jetzigen Badeort Hisarja nördlich von Plovdiv am Fusse des Gebirges Sredna Gora identifizieren [53]. Sie ist in den Bischofslisten bis zum 10. Jh. verzeichnet. Nach dieser Zeit war die Stadt entweder nicht mehr Bischofssitz oder wurde umbenannt [54]. Das Leben ging aber dank der dortigen Heilbädern bis zum heutigen Tage weiter, so dass die Stadt Diocletianopolis aus der Liste der verschwundenen Städte zu streichen ist. Die Stadt Zapara erscheint in den Quellen um 553. Sie ist wohl Ende des 6. Jh. verfallen [55]. Nicopolis ad Nestum wird als Bischofssitz in den Listen bis zum 9. Jh. angeführt [56]. Laut drei Urkunden aus dem Jahre 1329 war diese Stadt bis zu jenem Zeitpunkt dem Erzbischof von Serrhai unterstellt [57]. Ob die Nachricht sich wirklich auf die Stadt Nicopolis ad Nestum, die um diese Zeit wahrscheinlich bereits in Trümmern lag, oder auf das benachbarte Nevrokop bezieht, das den Namen des alten Nicopolis als Eparchiesitz übernommen hat, sei dahingestellt. Von 15 antiken Städten südlich des Hämusgebirges dürften also nur 4 im ausgehenden Altertum bzw. im Mittelalter zugrunde gegangen sein.

 

 

52. Parthey, Not. episc. NrNr 1; 7; 8; 9

53. V. Beševliev, Wo lag der Bischofssitz Diocletianopolis in Thrakien, in: Linguistique Balkanique IX, 1964, 49-56

54. Jireček, Heerstrasse 156

55. V. Beševliev, Zur Deutung 102

56. Parthey, Not. opisc. 58, 57; 148, 62; 153, 57; 164, 62

57. C. E. Zacharie v. Lingenthal, Jus graeco-romanum III, Leipzig 1857, 687 f., Nov. XL, dazu K. Jireček, Das Christliche Element in der topographischen Nomenclatur der Balkanländer, in: Sitzngsber. Wier Bd. 136 ( 1897) 76-77; P. Lemerle, Philippes 274

 

20

 

 

Weder die Zerstörungen der alten Städte nördlich des Hämusgebirges durch die Barbareneinfälle, noch die ethnischen Veränderungen wären von entscheidender Bedeutung für deren Fortleben in späteren Zeiten gewesen, wenn nicht ein grosses, weittragendes Ereignis auf der Balkanhalbinsel die Lage der Dinge von Grund aus verändert hätte — die Gründung des bulgarischen States im Jahre 681. Der neue Staat hat den Ostteil von Moesia Inferior und in den folgenden Jahrzehnten auch den Westteil der gleichen Provinz mit Dacia Ripensis für immer dem Byzantinischen Reich entrissen. Wiederhergestellt wurden nur die antiken Städte, die südlich des Hämusgebirges lagen, immer noch Orte des Reiches waren, nicht zugrunde gingen und ihre ursprüngliche Bedeutung bewahrt haben.

 

21

 

 

 

6. Die Strassen

 

Allgemeine Literatur: R. J. Forbes, Notes on the History of ancient roads and their construction, 2 ed., Amsterdam 1964, ch. XI, 115-168; C. Jireček, Heerstrasse; derselbe, in AEM X, 1886, 85-104 und 129-209; Bulgarien 1-31 und 357 -546; Vl. und Kar. Škorpil, Beležki, Br. Škorpilovi, Pametnici 28-80; dieselben, Severoiztočna Bălgarija v geografičesko i arheologičesko otnošenie, in: MSb. III (1890) 15-16; IV (1891) 119-129; 131-142; 343f.; VIII, (1892) 31-58; K. Škorpil, Nekotorije iz dorog vostočnoj Bolgarii, in: IRAIK X, 1905, 443-502; derselbe, Strategičeski postrojki v Cernomorskata oblast na Balkanskij poluostrov, in: Byzslav II, 1930, 197-230, III, 1931, 11-32; Starobălgarskata săobštitelna mreža okolo Preslav i krepostite po neja, in: BIB 11/2, 1929, 80-111; W. Tomaschek, Zur Kunde der Hämus-Halbinsel, II. Die Handelswege im 12. Jahrhundert nach den Erkundigungendes Arabers Idrïsï, in Sitzungsber. Wien Bd. 113(1886) 285-373; Iv. Velkov, Stari rimski pătišta i selišta v dnešnite bălgarski granici, in: BIB 11/4, 1929, 44-71; Yanko Todorov, Le grandi Strade Romane in Bulgeria, in: Le grandi Strade del mondo Romano II, Roma 1937; V. Avramov, Plisca-Preslav I-III, Sofia 1929; derselbe: Vojnata na Bălgarija s Vizantija v 1190, Sofia, 1929; derselbe, Trajanovijat păt ot Karpatite prez Dunava i Balkana za Plovdiv, in: IBAD IV (1914), 226-240; P. Mutafčiev, Starijat drum prez “Trajanovata vrata”, in: SpBAN LX (1937) 19-148; P. Deliradev, Starite patišta v Sofijsko, in: Spisanie na Săjuza na populjarnite banki XX (1941) 9, 18-36; derselbe, Prinos, passim ; L. Dinev, Selišnata oblast po Iskărskija prolom, in: GSU if XXXIX (1942/43) 38-43 und Beilage I; G. Ajanov, Stari pătista i selišta kraj tjah prez Strandža i Sakar, in: IAI XV (1946) 94-113; H. Vetters, Dacia Ripensis, passim; B. Gerov, Romanisierung, passim und Westthrakien I 56-57; 64-65; 85-92; II 73-96; V. Velkov, Cities 192-196, derselbe, Pătista po zapadnoto Černomorie v predrimskata epoha (VI-I vek), in: IVAD XIV (1963) 25-34;

 

22

 

 

V. Beševliev, Latinskite mestni imena ot Mizija i Trakija, in: IAI (1955) 279-303; derselbe, Bemerkungen über die antiken Heerstrassen im Ostteil der Balkanhalbinsel, in: Klio 51 (1969) 483-495; derselbe, Zur Deutung, passim; Lemerle, Invasions 273-277; D. Angelov, Săobštitelno-operacionni linii i osvedomitelna služba văv vojnite i vanšno-političeskite otnošenija meždu Bălgarija i Vizantija prez XII-XIV vv., in: IBID XXII-XXIII (1948) 214-248; V. Tăpkova-Zaimova, Les voies romaines dans les régions bulgares à l’époque médiévale, in: Acta antiqua Philippopolitana. Studia historica et philogica, Serdicae 1963, 165-172

 

 

Die antiken Siedlungen waren in römischer Zeit durch ein Strassennetz miteinander verbunden, das nur teilweise in den erhaltenen römischen Itinerarien verzeichnet ist. Dort sind nur die wichtigsten Militärstrassen angegeben. Die übrigen Strassen lassen sich aufgrund archäologischer Funde wie Pflasterreste und epigraphischer Denkmäler und aus den Marschrouten des römischen Heeres oder der Barbarenzüge feststellen.

 

An der Donau entlang lief eine Strasse, die in TP und IA verzeichnet ist. Sie diente dem Donaulimes und verband die folgenden grösseren Donaustädte miteinander: Singidunum, Margus, Viminacium, Dorticum, Bononia, Ratiaria, Almus, Cebrus, Augustae, Oescus, Utus, Asamus, Securisca, Dimum, Novae, Iatrus, Sexagintaprista, Appiaria, Transmarisca, Duros- torum, Sucidava, Axiopolis, Capidava, Carsium, Troesmis, Dinogetia, Noviodunum, Ad Stoma. Diese Straše von Singidunum etwa bis zum Sucidava, benutzten die Awaren bei ihren Einfällen in das Byzantinische Reich. An der Donauuferstrasse erwähnt Theophylaktos Simokattes noch zwei Städte: Palastolon [1], d.h. den Brückenkopf Palatiolon (s. hier S. 16), und Theodorupolis [2]. Diese Stadt, die auch Prokop [3] kennt, ist wohl mit dem heutigen Svištov identisch [4].

 

 

1. Theophyl. 292, 10 und 294, 6

2. ebenda 249, 18

3. Procop. De aedif. 131, 21

4. V. Beševliev, Heerstrassen 494

 

23

 

 

Nach dem Untergang der byzantinischen Herrschaft an der Unteren Donau verlor die Uferstrasse ihre Bedeutung und spielte nach dem 8. Jh keine Rolle mehr.

 

Die alten Binnestädte in Nord-Bulgarien waren gleichfalls durch eine Strasse verbunden, die in TP mit den Stationen Melta (j. Loveč) [5], Nicopolis ad Istrum und Marcianopolis verzeichnet ist [6]. Sie war wohl keine wichtige Militär- sondern nur eine Verkehrstrasse.

 

Durch Süd-Bulgarien verlief die in allen antiken Wegweisern verzeichnete, berühmte Heerstrasse [7] von Singidunum an der Donau fast diagonal über Horreum Margi, Naissos, Remesiana, Turres, Serdica, Esco amne, Burgaraca, Egerica (Helice, Skupion), den Pass Succorum claustra (angustiae) oder Succi (Σούκεις), Trajanstor [8], Bessapara [9], Philippopolis, Ranilum, Pizos, Arzos, Hadrianopolis, Ostudizos, Burtudizos, Drusipara, Tzurulon, Perinthos nach Konstantinopolis [10]. Eine Abzweigung der Strasse verband Philippopolis über Ranilum, Beroe, Cabyle, Aquae Calidae mit Anchialos am Schwarzen Meer (s. TP). Auf dieser Strasse gelangten die Awaren 587 von Mesembria nach Beroe, das sie erfolglos angriffen. Von Beroe zogen sie nach Diocletianopolis weiter, das sie wieder vergeblich belagerten [11]. Die Strasse führte also von Beroe weiter nach Westen [12]. Von Diocletianopolis begaben sich die Awaren nach Philippopolis, das sie auch nicht einnehmen konnten. Beide Städte waren also durch eine Strasse miteinander verbunden. Von Philippopel zogen die Awaren durch das sog. Astica weiter nach Adrianopel.

 

 

5. Nach K. Škorpil IRAIK X, 482 die Ruinen bei Čomakovci

6. vgl. K. Škorpil IRAIK X, 469-482

7. Grundlegend K. Jireček, Heerstrasse

8. P. Mutafčiev, Starijat păt prez “Trajanova vrata”, in: Sp. BAN 55 (1937) 19-148

9. G. Mihailov, IGBulg. III, 1, 178. S. auch D. Cončev, Rimskijat păt Philippopolis-Tugugerum-Bessapara, in: GNAM Plovdiv II, 1950, 69-83

10. Die kleineren Stationen sind hier ausgelassen.

11. Über die Reste dieser Strasse s. Škorpil, Beležki 102; Pametnici 48; D. Cončev, Rimskijat păt Philippopolis-Carassura i razklonenieto mu pri Ranilum, in: GNBM Plovdiv 1940-1941, Sofia 1942, 40-60, besonders 54-57

12. Th. Tafel, De via Romanorum militari Egnatia, Tubingae 1842 und De viae Romanorum militaris Egnatiae parte orientale, Tubingae 1841

 

24

 

 

In Dyrrachium begann wieder eine wichtige Strasse in Richtung West-Ost, die das Adriatische Meer mit Konstantinopel verband. Das ist die berühmte Via Egnatia, die die folgenden wichtigeren Stationen bis nach Konstantinopel hatte: Dyrrachium, Lychnidus, Heraclea, Cellae, Edessa, Pella, Thessalonice, Apollonia, Amphipolis, Philippi, Neapolis, Acontisma, Topirus, Maxianopolis (Porsulis), Aenos, Syrascellae, Apros, Perinthos (Heraclea), Selymbria, Atyra, Regium, Constantinopolis (s. TP. IA, IB, RA) [13].

 

Ausser diesen bekannten Strassen mit der Richtung West-Ost, existierten mehrere Querbzw. Transhämusstrassen mit allgemeiner Richtung Nord-Süd, die die wichtigsten Siedlungen nördlich und südlich des Hämusgebirges miteinander verbanden oder ihnen den Zugang zum Aegäischen Meer erleichterten.

 

Aus dem Moravatal führte die Strasse Viminacium, Naissus, Ulpiana, Scupi, Stobi, Thessalonice in das Vardar- und Strumatal [14]. Eine andere Strasse ging von Bononia über Castra Martis nach Horreum Margi [15]. Ratiaria war mit Naissos durch eine diagonale Strasse über Conbustica, Timacum minus und Timacum maior verbunden (TP) [16]. Aufgrund archäologischer Funde lässt sich feststellen, dass vier Transhämusstrassen in der Antike Serdica mit der Donauebene verbanden. Sie verliefen westlich von dem Iskardurchbruch. Eine von ihnen führte über den Petrohanpass nach Serdica [17]. Eine andere Transhämusstrasse verband Oescus mit Serdica über den Arabakonakpass [18].

 

Von Serdica aus führte eine Strasse über Aelea, Pautalia, Tranupara, Astibus, Stobi, Euristo, Ceramiae nach Heraclea (RP; RA) [19].

 

 

13. H. Vetters, Dacia Ripensis 7; Miller, IR 571-573; P. Lemerle, Invasions 276

14. H. Vetters, Dacia Ripensis 7; 11

15. ebenda 8; 14

16. B. Gerov, Westthrakien II 90-93 mit Lit.

17. H. Vetters, Dacia Ripensis 8; B. Gerov, Westthrakien II 89

18. B. Gerov, Westthrakien I 237-241 mit Lit.

19. ebenda 197 mit Anm. 1 und 243 f.

 

25

 

 

Bei Aelea zweigte eine Strasse nach Süden zum Aegäischen Meer ab, die Serdica mit Thessalonike verband. Sie verlief in dem tiefeingeschnittenen Strumatal über Heraclea Sintica und Sirrhae [20]. Von Pautalia führte eine Strasse über Germania nach Philippopolis [21].

 

Von Serdica aus gingen drei Strassen nach Osten zwischen dem Balkangebirge und Sredna Gora [22].

 

Eine Transhämusstrasse verband Oescus über Melta und den hohen Pass von Trojan mit Philippopolis [23]. Sie war den Einheimischen unter dem Namen die Trajanstrasse bekannt [24], der sich im heutigen Stadtnamen Trojan erhalten hat. Der Bergteil der Strasse war, wie es scheint, seit dem Anfang des 6. Jhs nicht mehr benutzt worden und deshalb wohl verfallen [25]. Bei Melta teilte sich die Strasse. Ein Teil führte in Richtung Norden nach Novae. Diese Stadt war mit Beroe und Philippopolis über Nicopolis ad Istrum und den Šipkapass wieder durch eine Transhämusstrasse verbunden, deren Spuren teilweise zwischen Nicopolis ad Istrum und Δισκοδουρατεραι (j. Gostilica) noch vor kurzem sichtbar waren [26]. Von Philippopolis ging eine Strasse in Richtung Süden nach Nicopolis ad Nestum über das Rhodopegebirge. Von dort aus setzte sich die Strasse weiter nach Süden fort und erreichte Via Egnatia [27]. Philippopolis war durch eine oder mehrere Strassen auch direkt mit der Via Egnatia bzw. dem Aegäischen Meer verbunden, deren Spuren an mehreren Stellen im Rhodopogebirge noch sichtbar sind. Eine von ihnen führte wohl über die heutigen Ortschaften Hvoina, Čepelare, Ustovo

 

 

20. ebenda 241-242, S. auch BCH XXIV (1900) 547            21. ebenda 1188

22. V. Beševliev, Heerstrassen 484 f. und Anm. 4 mit Lit., dazu noch D. Nikolov, Novi danni za pătja Filipopel-Eskus, in: Festchrift Dečev 285-288; D. Tsontcev, La voie romaine Philippopolis — Sub Radice, in: Latomus XVIII, 1959, 154-170

23. Theophyl. 290, 2 und 4: τὴν λεγομένην Τραϊανοῦ τρίβον

24. ebenda 289, 22-290, 16

25. V. Beševliev, Heerstrassen 484 mit Anm. 3

26. B. Gerov, Westthrakien I 208 f.; 216; V. Beševliev, SpätIn Nr. 232

27. P. Deliradev, Prinos II 120; 125-126; 145; 325

 

26

 

 

und erreichte Via Egnatia bei Topiros [28]. Eine direkte Strasse verband Beroia mit Hadrianopolis über Castra Iarba und Burdipta (IA) [29] Von Cabyle führte eine Strasse westlich von Tundža an dem Fluss entlang nach Hadrianopolis (IA) [30]. Von dieser Stadt aus ging eine Strasse am rechten Ufer des Hebrus entlang über Plotinopolis nach Traianopolis und Aenos (TP).

 

Von Durostorum ging wieder eine Transhämusstrasse nach Adrianopel, die in der Zeit des ersten bulgarischen Reiches eine sehr grosse Rolle gespielt hat. Sie verlief nach Süden über Dineia (j. Ruinen bei Vojvoda), die antike Siedlung bei Šumen, den Pass Verigava (j. Riš) [31], Goloe, Markellai (j. Karnobatski Hisar) [32], östlich von Tundža, zwischen den beiden Anhöhen δασὺς Ἀβρολέβας und γυμνὸς Ἀβρολέβας (j. die beiden Bakadžik) nach Versinikia (j. Ruinen bei Malamirovo). Von dort überquerte sie αἱ Κλεισούραι (j. die Derventhöhen) und erreichte über Probaton Hadrianopolis. [33] Diese Strasse war durch eine Brücke über den Tundžafluss zwischen Elhovo (früher Kazalagač) und Izgrev (früher Hasanbegli) mit der Strasse Cabyle - Hadrianopolis verbunden [34].

 

Eine Strasse verband Durostorum mit Marcianopolis über Palmatis (TP), Gizidina, Equestris, Adina und Tilicium [35]. Zwischen Durostorum und Abrittus sowie zwischen Marcianopolis und Odessos existierten auch Strassen.

 

 

28. K. Škorpil, IRAIK X, 539-540

29. Škorpilovi Izsledvanija 59-61; Pametnici 59-61; IRAIK X, 540; C. Ajanov, Stari pătišta i selišta usw., in: IA1 15, 1946, 96 f.; V. Beševliev, Heerstrassen 491

30. Škorpil, IRAIK X, 564; V. Beševliev, Bemerkungen 69-75

31. Škorpilovi, Pametnici 71-80; K. Škorpil, in IVAD VII, 1921, Anhang 19-20; Starobălgarska săobštitelna mreža usw., in; BIB II 2, 1929, 82-86; 95-97: IRAIK X 503-517; 563-565; K. Jireček, Fragmente 146; At. Ignatiev, Stari pătišta v Karnobatsko, in; IAI 4, 1926/27, 291-295; G. Ajanov, Stari pătišta i selišta usw., in; IAI 15, 1946, 96-97

32. Beschreibung der Ruinen bei K. Jireček, Fragmente 153-155; Škorpil, IRAJK X, 513-514 mit Taf. CXIII 4 und 5; 564

33. Škorpilovi, Izsledvanija 60-61; Pametnici 60; G. Ajanov, op. cit. 96-97 VI

34. V. Beševliev, Nordost-Bulgarien 63; Heerstrassen 493 f.

35. Škorpil, IRAIK X, 492-502

 

27

 

 

Aufgrund archäoligischer Funde ist festgestellt, dass Marcianopolis mit Noviodunum an der Donau über Ulmetum, Tropaeum Traiani, Zaldapa, Pistus, Scopi und Aquae verbunden war [36]. Von Zaldapa führte eine Strecke nach Sucidava an der Donau [37].

 

Die Strasse Durostorum - Marcianopolis setzte sich nach Süden von der letzten Stadt über das Hämusgebirge nach Anchialos fort (TP, IA, RA). Sie verlief über folgende Stationen: Panysos, τῆς Προκλιανῆς αἱ διαβάσεις [38] bzw. αἱ Πύλαι τοῦ Αἵμου [39], Scatris oder Scatrina, Sabulente canalium, Calvomuntis und Lividurgos [40].

 

Von Anchialos ging eine Strasse nach Perinthos (Heraclea) über Deultum, Sadame, Tarpodizum, Utsurgas, Caenophrurium (TP) [41]. Von Tarpodizum zweigte eine Strecke nach Ostodizum (später Nike) ab, wo sie in die Hauptstrasse Singidunum - Constantinopolis mündete.

 

Die Donauuferstrasse setzte sich von der Mündung des Flusses nach Süden als Schwarzmeerküstenstrasse nach Konstantinopel fort. Die wichtigsten Stationen waren (TP, RA): Histria, Tomi, Callatis, Tirizis (Akre, j. Kaliakra), Bizone, Dionysopolis, Odessos, Erite, Templum Jovis, Mesembria, Anchialos, Apollonia (später Sozopolis), Thera, Buaticum (oder Burtinus, sp. Agathopolis), Tinias, Salmydessos, Phileas, Thimea, Sycae, Constantinopolis.

 

 

36. V. Beševliev, Heerstrassen 493

37. Theophyl. 227

38. Malchos, EL 167, 18-19. Das von Prokop (De aedif. 149, 27) erwähnte Kastell Φοσσᾶτον war wohl identisch mit αἱ Πύλαι τοῦ Αἵμου und dem χάραξ des Theophylaktos Simokattes (90, 8-11 und 91, 25-26, vgl. auch 227, 1-2). Vgl. auch V. Beševliev, Zur Deutung 142. Maurikios erklärt φοσσάτον durch χάραξ (Strategicon ed. Mihăescu 40, 14: καταγραφή χάρακος ἤτοι φοσσάτου; 244, 26 ὁ χάραξ, τουτέστιν τὸ φοσσάτον, dazu Η. Mihăescu, Les éléments latins des “Tactistrategica” de Maurice-Urbicius usw., in: RESEE VII, L969, H. 2, 273-274

39. V. Beševliev, Heerstrassen 485-488

40. ebenda 490

41. K. Škorpil, IRAIK X 525-527; V. Beševliev, Heerstrassen 488-490

 

28

 

 

Ausser den angeführten Strassen waren noch mehrere andere vorhanden, die die Hauptstrassen oder die kleineren Ortschaften miteinander verbanden oder die Wege verkürzten.

 

Die zahlreichen Barbareneinfälle, die Kriege in Kleinasien, die inneren Unruhen und die schlechte wirtschaftliche Lage erlaubten dem Byzantinischen Reich am Ausgang des 6. Jhs und während des 7. nicht mehr das alte, aus der römischer Zeit geerbte Strassennetz auf der Hämushalbinsel in guten Zustand zu halten und eventuell nötige Reparaturen vorzunehmen. Nach dem Untergang der byzantinischen Herrschaft zwischen der Donau und dem Hämusgebirge verfielen die alten Verwaltungs-, Militär- und Wirtschaftzentren. Dadurch wurden auch die Verbindungsstrassen mehr und mehr vernachlässigt und verloren ihre Bedeutung. Für das spätere Schicksal des Oströmischenreiches haben sich jedoch die alten Strassen als verhängnisvoll erwiesen. Die von Norden her in das Byzantinische Reich eindringenden Barbaren wie Goten, Hunnen, Awaren, Slawen usw. benutzten gern die römischen Haupt- und Nebenstrassen bei ihren Einfällen. Sie erleichterten ihnen, trotz den vielen Strassenkastelle, sonstigen Festungen und Sperren, ihre Raubzüge bzw. ihre Niederlassung auf Balkanhalbinsel bedeutend, da sie ihnen die Ortschaften und Städte zugänglicher machten.

 

29

 

 

 

7. Die alte Bevölkerung

 

Allgemeine Literatur: W. Tomaschek, Die alten Thraker. I. Übersicht der Stämme, in: SBAW 128, 1893, IV 1-130; II. Die Sprachreste, ebenda 130, 1893, II 1-70 und 131, 1894,11-103; C. Kazarov, Beiträge und Thrace, in: Cambridge Ancient History VIII 534-560 und 781-783; N. Jokl, Thraker, in: Eberts Reallexikon der Vorgeschichte XIII 277-298; Eug. Oberhummer, B. Lenk, W. Brandenstein, Art. Betz und G. Kazarow, Thrake, in: RE VI A, 393-552; M. Fluss, Moesia, in: RE XV 2350-2412; D. Detschew, Sprachreste, Ι.Ι. Russu, Die Sprache der Thrako-Daker, Bukarest 1969 (mit Lit.); K. Jireček, Serben 13-58; P. Mutafčiev, Bulgares et roumains dans l’histoire des pays Danubiens, Sofia 1932, 80-107 ; E. Stein I 2-7; H. Vetters, Dacia Ripensis 16-18; B. Gerov, Romanisierung, passim; Westthrakien, passim; L’aspect éthnique et linguistique dans la région entre le Danube et les Balkans à l’époque romaine (Ier-IIIe s.), in: Studi Urbinati, n.s. Urbino 1959, Nr. 1-2, 173-191 ; und Keltische Spuren in Westthrakien, in: Studien zur Geschichte und Philosophie des Altertums, Budapest 1968, 349-355 ; P. Lemerle, Invasions 265-308; V. Velkov, Die Stadt 232-249; A. Mócsy, Untersuchungen zur Geschichte der römischen Provinz Moesia Superior, in: Acta Archaeologica 11, 1959, 283-307; V. Beševliev, Untersuchungen 69-137

 

 

Die ältesten, historisch bezeugten Bewohner der Osthälfte der Balkanhalbinsel waren bekanntlich die zahlreichen thrakischen Stämme, die die Grundbevölkerung Thrakiens und Moesia bildeten. Seit dem 7. Jh. v. Chr. wurden griechische Kolonien an der Küste des Schwarzen Meeres gegründet [1], deren griechische Bevölkerung bis zum Einbruch der neuren Zeiten fast unangetastet geblieben war. Ziemlich spät waren die Kelten in die Halbinsel eingedrungen.

 

 

1. Chr. M. Danoff, Die griechische Kolonisation, RE, Suppl. XI 1055-1092

 

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Sie hinterliessen wenige oder keine nennenswerten Spuren in der Grundbevölkerung. Von ihnen stammen jedoch mehrere Ortsnamen und archäologische Funde. Ein entscheidender Wendepunkt, nicht nur in der politischen Geschichte Thrakiens und Mösiens, sondern auch in ethnischer und sprachlicher Hinsicht, war ihre Eroberung durch die Römer und ihre Verwandlung in römische Provinzen. Die Einquartierung der römischen Legionen in verschiedenen Orten an der Donau bzw. ihre Dislokation und das Stationieren der kleineren Einheiten in Lagern, des Donaulimes, der Einzug römischer Behörden und Beamten in die urabanisierten alten Städte wie Ulpia Ratiaria und Oescus, die neugegründeten Nicopolis ad Istrum, Marcianopolis und andere Städten wie Novae, Durostorum usw., die Niederlassung der aus Italien Eingewanderten Kolonisten, Gutbesitzer, Kaufleute u.dgl., die Ansiedler von verschiedenen römischen Provinzen wie Gallien, Illyrien usw., die Freigelassene sowie die einheimischen romanisierten Elemente wie Soldaten, Vereranen u.dgl., die durch die lateinische Sprache miteinander verbunden waren, brachten oder hatten bestimmte römische Traditionen und Sitten. Dieses Völkergemisch gab der Stadtbevölkerung mit der Zeit ein besonderes Gepräge. Diese ging durch den Nivellierungsprozess meistenfalls in der Griechisch oder Lateinisch sprechenden Masse auf.

 

31

 

 

 

8. Die sprachlichen Beziehungen

 

Aus dieser römischen oder romanisierten bzw. unter römischen Einfluss und Kultur stehenden Schicht, die keinesfalls zahlreicher als die nicht romanisierte Bevölkerung Mösiens war, stammen hauptsächlich die lateinischen offiziellen und privaten Inschriften in dieser Provinz. Das Balkangebirge bildet ungefähr die Grenze der lateinischen Inschriften [1]. Südlich davon überwiegen die griechischen Inschriften. Die letzteren fehlen jedoch nicht ganz nördlich des Balkans. Das Corpus der griechischen Inschriften von G. Mihailov (IGBulg II, Sofia 1958) zeigt deutlich, dass ihre Zahl, die nach Osten steigt, nicht sehr gering war. Im Gebiet des Schwarzen Meeres sind die lateinischen Inschriften selten. Die meisten in Scythia Minor und Odessos gefundenen altchristlichen Inschriften aus dem 5. und 6. Jh. sind griechisch. Von 121 aus der Nord-Dobrudžna stammenden Inschriften [2] sind nur 68 lateinisch. Davon sind 2 Zweisprachig und 6 haben liturgischen Inhalt. Ein Teil der griechischen Inschriften wurden von Kleinasiaten gesetzt. Von 70 in Varna ( = Odessos) gefundenen Inschriften [3] sind nur 8 lateinisch. Auch hier stammt ein Teil der Inschriften von Leuten, die aus Kleinasien gekommen sind. Besondere Beachtung verdient die griechische Inschrift des Bischofs von Durostorum Dulcissimus [4], dessen Name lateinisch, die Sprache der Inschrift dagegen griechisch ist. Demnach war die Umgangssprache in den erwähnten Gebieten im 5. und 6. Jh. vorwiegend griechisch.

 

 

1. K. Jireček, Serben I, 38-39; H. Mihăescu, Die lateinische Sprache in Südosteuropa, in; Zeitchrift für Balkanologie, Jahrg. VI., 1968, H. 2,128-136

2. I. Bărnea, Scythia Minor 65-112; Quelques considérations sur les inscriptions de la Scythie Mineure, in; Dacia n.s. t. I (1957) 268-288; Em. Popescu, Die spätgriechischen Inschriften aus Klein-Skythien, in: Dacia, n.s. t. XI, (1967) 163-176; Inscriptiile din secolele IV-XIII deseoperite în România, Bukarest 1976, 35-292

3. V. Beševliev, SpätIn Nr 87-144 und 248-251; dazu Edin nov starohristianski nadpis ot Varna, in; INM Varna V (XX), 1969, 232-3; Grabinschrift einer Phrygerinaus Kikidadonin Odessos, in Klio, Bd. 52, 1970, 25-26

4. ebenda Nr. 107

 

32

 

 

 

9. Zur Frage der Romanisierung und Hellenisierung der Thraker

 

Die Bedeutung der romanisierten Schicht und der lateinischen Verkehrs - bzw. Reichssprache wurde so stark überschätzt, dass man die ganze einheimische Bevölkerung nördlich des Balkan Gebirges, in Scythia Minor und sogar in Thrakien, für vollständigt romanisiert erklärte. J. Thunmann [1] hat diese Ansicht zuerst geäussert. Sie fand später viele Anhänger, unter denen W. Tomaschek [2] und J. Jung [3] in früher Zeit und J. J. Russu [4] zuletzt besonders zu erwähnen sind. Diese Ansicht wurde auch von anderen Gelehrten besonders in Rumänien ganz (N. Jorga), teil - oder zeitweise (K. Jireček, G.I. Kazarov) vertreten [5].

 

Als einer der Hauptbeweise für die Romanisierung der Bevölkerung der östlichen Hälfte der Balkanhalbinsel, der bei jeder Gelegenheit angeführt wird, gelten die Worte τόρνα oder ρέτορνα und φράτερ. Sie wurden bekanntlich von byzantinischen Soldaten während eines nächtlichen Feldzuges gegen die Awaren 587 in der Nähe von Anchialos an einen Maultierbesitzer gerichtet, er sollte zurückkehren und die verschobene Last seines Tieres zurechtlegen. Die Worte wurden von den übrigen Soldaten missverstanden; sie hielten sie irrtümlich für einen Rückzugsbefehl und glaubten, sie seien von dem Feind angegriffen worden. Das rief unter ihnen eine grosse Panik hervor, und alle fingen an τόρνα zu rufen.

 

 

1. Über die Geschichte und Sprache der Albaner und Vallachen, Leipzig 1774, 339 f. und 360

2. Über Brumalia und Rosalia nebst Bemerkungen über die Bessischen Volksstämme, Sitzungsber. Wien LX, (1869) 351-404; Zur Kunde der Hämushalbinsel, ebenda Wien 1882, 478-498; Die alten Thraker 1, 10-11 ; 76-80 und 110

3. Die romanischen Landschaften des römisches Reiches, Innsbruck 1881, 371-378 und 480; Römer und Romanen in den Donauländern, Innsbruck, 18872, 10 und 101

4. Die Sprache der Thrako-Daker, Bukarest 1967, 293 und 241 f.

5. P. Mutafčiev, Bulgares, passim; V. Beševliev, Personennamen 92-124

 

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Nach Theophylaktos Simokattes (100, 3-24), der den Vorfall erzählt, seien die Worte in ἐπιχωρίῳ γλώττῃ nach Theophanes (258, 15-16), der dasselbe nacherzählt, in τῇ πατρώα φωνῇ gerufen. Die Anhänger der These der Romanisierung nehmen an, dass diese Ausdrücke die Muttersprache der Soldaten oder des Maultierbesitzers waren, deren ethnische Herkunft und Geburtsort völlig unbekannt sind, von den Anhängern der Romanisierung jedoch ohne zwingende Gründe und Beweise a priori für einheimisch gehalten werden. Es ist jedoch bewiesen, dass mit den erwähnten Ausdrücken das Latein als Reichs - spräche bezeichnet ist [6]. Was das Wort τόρνα anbelangt, hat bereits K. Jireček [7] darüber folgendes geschrieben: “Das Wort wurde wegen der Bemerkung der beiden Chronisten, es sei in der Muttersprache der Soldaten... gerufen, in unseren Zeiten irrtümlich als ein rumänischer Sprachrest betrachtet.” Τόρνα = torna war in Wirklickeit ein lateinisches Kommandowort für den Rückzug [8]. Der Zusatz φράτερ = f rater bei Theophanes war als Anrede unter den Soldaten gebräuchlich [9]. Die erwähnten lateinischen Worte sind also kein Beweis für die Romanisierung der Einheimischen.

 

Als einen weiteren Beweis für die Existenz einer romanisierten Bevölkerung in Thrakien und Mösien werden die lateinischen Ortsnamen betrachtet, die in den Itinerarien, Kastellverzeichnissen bei Prokop und auch sonst auf treten [10].

 

 

6. Γ. Κόλιας, Τόρνα — ἐπιχώριος γλώσσα, in: ΕΕΒΣ 14, 1938, 295-299; V. Beševliev, Personennamen 59 und 101

7. Die Romanen 18, s. auch Arch. slav. Phil. 15, 1893, 99

8. M. Gyóni, Az allitólagos legrégil roman nyelvemelék, in: Arehivum Philologicum 66, 1942, 1-11, vgl. BZ 42, 1942, 306; Κόλιας op. cit.; zuletzt H. Mihăescu, Les termes de commandement militaires latins dans le “Strategicon” de Maurice, in: Revue de Linguistique, t. XIV, Nr, 3, 1969, 269 Nr. 39 und RESEE VII, 1969, Nr. 2, 278. Anders aber kaum richtig P. S. Nasturel, Torna, toma, fratre o problema de istorie si de linguistica, in: SCIV VII, 1-2, (1956) 179-188; Quelques mots de plus à propos du τόρνα, τόρνα, φράτερ de Théophylacte et de Théophane, in: Byzantinobulgarica IL 1966, 217-222, gänzlich verfeht I. Bărnea, Dobrogei II, 1968, 433-435

9. Fr. Dölger, Die “Familie” der Könige im Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch 1940, 410 Anm. 43

10. W. Tomaschek, op. cit. 62; J. Jung, Römer, 101 Anm, 3; Landschaften. 373; K. Jireček, Heerstrasse 8; Romanen 20

 

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Es handelt sich um Fälle wie Castra Martis, Praesidium Pompei, Horreum Margi im Gebiet von Naissus und Remesiana oder Dorionibus, Monteemno, Esco amne, Λουποφαντάνα, Σπέλογκα, Σεπτέκασας u.a. Die lateinischen Stadtnamen bezeugen den militärischen Ursprung der Ortschaften [11]. Die Strassenstationen und Kastelle haben offensichtlich lateinischen Namen und zeugen auch von römischem Ursprung. Sie zeigen, dass diejenigen, die sie errichtet haben, Latein sprachen oder sich zumindenst des Lateins als Umgangssprache bedienten. Die meisten lateinischen Ortsnamen wurden aber nicht von der einheimischen Bevölkerung, sondern von den römischen Verwaltungsbehörden bzw. dem römischen Heer, deren offizielle Sprache selbstverständlich die lateinische war, ersonnen und durchgesetzt [12]. Das lässt sich auch aus den zusammengesetzten Namen wie Ἰουλιόβαλλαι, Μαυροβάλλε, Λουποφαντάνα, Ῥιγινοκάσστελον erschliessen, die eine sprachliche Eigentümlichkeit aufweisen: der Kompositionsvokal ist nicht -i- wie im klassischen und Vulgärlatein, sondern -o- wie z.B. im Griechischen [13]. Daraus ist zu entnehman, dass diese Ortsnamen in einer Umwelt entstanden sind, deren Sprache nicht die lateinische war.

 

Dass die lateinische Sprache die offizielle, die Reichsprache [14], und die griechische die Umgangssprache war, bezeugen deutlich folgende Stellen aus den Justiniansnovellen: Nov. LXVI 1, 2:

τῆς μὲν τῇ Ἐλλήνων φωνῇ γεγραμμένης διὰ τὸ τῷ πλήθει κατάλληλον, τῆς δὲ τῇ Ρωμαίων ὕπερ ἐστὶ καὶ κυριωτάτη διὰ τὸ τῆς πολιτείας σχῆμα,

und Nov. VII, 1:

... καὶ οὐ τῇ πατρίῳ φωνῇ τὸν νόμον συνεγράψαμεν, ἀλλὰ ταύτῇ δὴ τῇ κοινῇ τε καὶ Ἐλλάδι, ὥστε ἅπασιν αὐτὸν εἶναι γνώριμον διὰ τὸ πρόχειρον τῆς ἑρμηνείας.

 

Joannes Lydus berichet, dass die Verordnungen und Berichte der Behörden nach alter Sitte in lateinischer Sprache verfasst wurden [15],

 

 

11. K. Jireček, Serben 38

12. Ausführlicher V. Beševliev, Personennamen 94-100; Zur Deutung 54-62

13. V. Beševliev, Zur Deutung 52-53

14. E. Stein I 295-296

15. De magistr. ed. R. Wunsch, Lipsiae 1903, 158, 26-159, 6: Νόμος ἄρχαῖος ἦν, πάντα μὲν τὰ ὁπωσο[τν πραττόμενα παρὰ τοῖς ἐπάρχοις τάχα δὲ καὶ ταῖς ἄλλαις τῶν ἀρχῶν, τοῖς Ἰταλῶν ἐκφωνεῖσθαι ῥήμααιν.

 

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obwohl die Bewohner der Diözese Europa vorwiegend Griechen waren [16]. Priscus berichtet, dass die Gefangenen, die aus Thrakien stammten, griechisch sprachen und dass das Lateinische nur als Verkehrssprache gebraucht wurde [17]. Nach einer Prophezeiung des Fonteius, die Joannes Lydus [18] anführt, wird das Glück ( = Fortuna) dann die Römer verlassen, wenn sie ihre Muttersprache verlernen. Diese Prophezeiung zeigt, wie fest man sich an das Herkömmliche in Byzanz hielt. Die Griechen haben sich sogar den Namen Ῥωμαῖοι beigelegt, der bis zum heutigen Tag in der Bezeichnung ρωμαϊκά für die neugriechische Sprache geblieben ist.

 

Der Umstand, dass viele Inschriften Mösiens und Thrakiens in lateinischer Sprache verfasst sind, wurde auch als Beweis für die Romanisierung der Einheimischen angeführt [19]. Aus dieser Tatsache lassen sich jedoch keine zwingenden Schlüsse auf die Sprache der ganzen Bevölkerung ziehen. M. Gelzer [20] bemerkt mit Recht:

 

“Man darf sich infolgedessen über die lateinischen Sprachkenntnisse der romanisierten Provinzen während der Kaizerzeit keine übertriebenen Vorstellungen machen. Latein war die Schriftsprache: wer eine Inschrift setzte, schrieb lateinisch. Die grossen Bevölkerunsschichten, die das nicht konnten, bleiben für uns stumm, und ausserdem besagt der Umstand, dass jemand einige konventionelle Formeln einmeisseln liess, nicht, dass der Betreffende im täglichen Leben Lateinisch sprach”.

 

 

16. ebenda... καίπερ Ἕλληνας ἐκ τοῦ πλείονος ὄντας. Über den Versuch des Johannes von Kappadokien die lateinische Sprache in der Administration durch die griechische zu ersetzen s. Stein II 438-439

17. EL 135, 14 f.:

ξύγκλιδες γὰρ ὄντες πρὸς τῇ σφετέρᾳ βαρβάρῳ γλώσσῃ ζηλοῦσιν ἢ τὴν Οὔννων ἢ τὴν Γότθων ἢ καὶ τὴν Αὐσονίων, ὅσοις αὐτῶν πρὸς Ρωμαίους ἐπιμιξία· καὶ οὐ ῥᾳδίως τις σφῶν ἑλληνίξει τῇ φωνῇ πλὴν ὧν ἀπήγαγον αἰχμαλώτων ἀπὸ τῆς Θρᾳκίας καὶ Ἰλλυρίδος παράλου.

18. De magistr. ed. Wünsch 130 f.: τότε Ρωμαίους τὴν Τύχην ἀπολείψειν, ὅτε αὐτοὶ τῆς πατρίου φωνῆς ἐπιλάθωνται.

19. W. Tomaschek, Zur Kunde 62 f.; J. Jung, Landschaften. 271 f.

20. Das Römertum als Kulturmacht, in: Hist. Z. 126, 1922, 204, vgl. auch. A. Lippold - E. Kirsten in Reallexikon für Antike und Christentum IV (1957) 160: “Den Grad der kulturellen Romanisierung darf man jedoch nicht überschätzen.”

 

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Hier ist noch hinzuzufügen, dass die Inschriften meistens nicht von den Betreffenden verfasst, sondern bei den Schriftkundigen bestellt und von den Steinmetzern ausgeführt wurden.

 

Der Romainisierungsprozess hat an erster Stelle die Stadtbewohner betroffen. Viele von diesen Quasi-Römern oder Romanen strebten nach der Hauptstadt der oströmischen Reiches, wo sie leichter Lebensunterhalt fanden. Zur Zeit der Barbareneinfälle in die Donauprovinzen flohen sie massenhaft in die entlegeneren und ruhigeren Landschaften des Reiches [21], da sie nicht wie die Bauern als Landwirte oder Viehzüchter an die Scholle gebunden waren.

 

Nicht andrers liegen die Dinge auch mit der Hellenisierung der Bevölkerung südlich des Hämus. Die Hauptfaktoren für die Hellenisierung eines fremden Volkes waren bekanntlich das Gymnasium und das Ephebenwesen. Beide Einrichtungen gab es in Thrakien nur in den grossen Stadtzentren wie Adrianopel, Philippopel, Odessos u.ä., zu denen vor allem die wohlhabenden Leute Zutritt hatten. Die breite Volksmasse, besonders die Bauern, blieben diesen Einrichtungen fern, sodass sie keiner direkten und intensiven Hellenisierung ausgesetzt war.

 

Die griechischen Inschriften Thrakiens weisen weder einzelne thrakische Wörter, noch phonetische oder grammatische Eigentümlichkeiten auf, die der thrakischen Sprache zugeschrieben werden könnten. Mit Ausnahme des Wortes “midne” in einer lateinischen Inschrift und des wohl thrakischen Ersatzes der griechischen Tenues aspiratae durch reine Tenues in ἐπυτίο = ἐφιππίῳ (IGBulg II 553), Καλλίμορπος = Καλλίμορφος (ebenda II 696) und τυγάτηρ = θυγάτηρ (BCH 24, 1900, 307) haben sowohl die griechischen als auch die lateinischen Inschriften keine Besonderheiten, die ausserhalb der historischen Entwicklung der beiden klassischen Sprachen liegen.

 

 

21. P. Mutafčiev, Bulgares usw. 92-107

 

37

 

 

Die Namen der thrakischen Gottheiten und ihre lokalen Beinamen sowie manche thrakischen Personennamen sind dagegen in verschiedenen phonetischen Formen überliefert, z.B: Ζβελθιουρδος, Ζβελσουρδος, Ζβελθουρδος usw. (Detschew, Sprachreste 177), Ζυμδρηνος, Ζυμεδρηνος, Ζυμζδρηνος, Ζυμυδρηνος, Ζυλμυζδρηνος, Ζυλμυζρηνος (ebenda 195 f.) usw., Σαλδοβυσηνος, Σαλτοβυσηνος, Σαλδοοισσηνος, Σαλδοουισηνος, Σαλδοουενος usw. (ebenda 412 f.). Die Inschriften wurden offenbar in der griechischen Sprache von Leuten verfasst, die keine Thraker waren. Sie kannten die nötigen epigraphichen Formeln bzw. die griechische Sprache gut, aber nicht die phonetischen Feinheiten des Thrakischen. Manche Formen können allerdings, durch die Unzulänglichkeit des grieschischen Alphabets die fremden Laute genau wiederzugeben, erklärt werden. Die übrigen verraten jedoch den Ausländer, der des Thrakischen nicht mächtig war. Die Sprachen der Inschriften aus Thrakien waren also nicht die der breiten Volksmasse.

 

38

 

 

 

10. Das Fortleben der Thraker im 5. und 6. Jh.

 

Die Thraker haben an ihrem alten Glauben bis zum Ausgang des 4. Jhs und vielleicht darüber hinaus festgehalten. Der Kult der einheimischen Gottheiten war besonders lebendig und zäh in den zahlreichen, über das ganze Thrakien und Mösien verstreuten thrakischen Heiligtümern. Es sind bisher über 40 Heiligtümer nur des sog. Thrakischen Reiters bekannt. Hinzu kommen noch unzählige Heiligtümer verschiedener anderer thrakischer Gottheiten in Batkun, Dinikli, Kopilovci, Ognjanovo, Varvara, Zlatna Panega u.a.m. Nach dem Übertritt der Thraker zum Christentum wurden sie nicht einfach verlassen, gerieten in Vergessenheit oder wurden allmählich zu Ruinen, sondern wurden, wie die archäologischen Funde zeigen, durch Feuer und Schwert zerstört. Das beweist, wie stark die Thraker an dem Glauben ihrer Väter festhielten. Fünfundzwanzig Verordnungen des Codex Theodosianus (De paganis, sacrificiis et templis XVI 10, 1-25) vom Jahre 321 bis 435 verboten bei Todesstrafe die Ausübung der heidnischen religiösen Riten und Gebräuche sowie die Unterhaltung ihrer Stätten [1]. Die in den thrakischen Heiligtümern gefundenen Münzen zeigen, dass sie am Ausgang des 4. Jhs unter den Kaisern Valens, Theodosios I. und Arcadios zu Grunde gingen [2].

 

Der Stamm der Besser wurde erst im Jahre 396 durch Niketas, den Bischof von Remesiana, zum Christentum bekehrt. Johannes Chrysostomos [3] berichtet in einer im Jahre 399 gehaltenen Rede, dass die Thraker die Heiligen Schrifften in ihre Sprache übersetzt hätten. Diese Nachricht, und es besteht kein Grund ihre Glaubwürdigkeit zu bezweifeln,

 

 

1. Vgl. Stein I 132; 145; 163; 173; 200-201; 211-214 dazu F.W. Deichman, Frühchristliche Kirchen in antiken Heiligtümern, in: Archäol. Jahrb. 54,1939, 105-136.

2. V. Beševliev, Personennamen 70-71 mit Lit.

3. Migne PG, 500-501: καὶ Σκύθαι καὶ Θρᾷκες καὶ Σαυρομάται .. πρὸς τὴν οἰκείαν ἕκαστος μεταβαλόντες γλῶτταν τὰ εἰρημένα φιλοσοφοῦσι ταῦτα.

 

39

 

 

da sie mit anderen Zeugnissen vom Fortleben der thrakischen Sprache an Ende des Altertums übereinstimmt, bezeugt, dass ein grosser Teil der Thraker, hauptsächlich die Bauern, wenig oder gar nicht Lateinisch bzw. Griechisch verstand, die Sprachen, in denen die christliche Lehre gepredigt wurde. Diese Nachricht wird auch durch eine Stelle bei Gregorios von Nyssa (+ 394) bestätigt, wonach das Wort “Himmel” thrakisch anders als im Griechischen und Lateinischen lautete [4]. Dies Wort im Munde eines Kirchenvaters ist offenbar ein der christlichen Religion, z.B. dem Gebet “Vater unser”, entnommener Termiuns, der indirekt vom Vorhandensein liturgischer Texte und Gebete in thrakischer Sprache zeugt. Nicht minder wichtig in dieser Hinsicht sind die Nachrichten von dem Vorhandensein eines hessischen Mönchtums und besonderer hessischen Klöster im 6. Jh. in Palestina, in denen der Gottesdienst in der Sprache der Besser d.h. der Thraker abgehalten wurde. In der von Theodoros von Petra (um 536) verfassten Lebensbeschreibung des Mönches Theodosios (+ 529) wird berichtet, dass man in einer der Kirchen des Klosters Kutila, das am Ostufer des Jordan, nahe dem Toten Meer gebaut war, in hessischer Sprache zelebrierte [5]. In der Lebensbeschreibung des heiligen Sabbas wird ferner erzählt, dass die hessischen Mönche in Palestina tatkräftig an den Origenistischen Streitigkeiten um 540 [6] teilgenommen haben und einer von ihnen sogar heldenhaft gefallen ist [7]. Nach Itinerarium Antonini Placentini [8] im Sinaikloster gab es um 570 drei Äbte, die unter anderen Sprachen auch Bessisch konnten.

 

 

4. Migne PG 45, 1045 D: ἡμεῖς οὐρανὸν τοῦτο λέγομεν, Σαμαίμ ὁ Ἑβραῖος, ὁ Ρωμαῖος κέλουμ, καὶ ἄλλως ὁ Σύρος, ὁ Μῆδος, ὁ Σκύθης, ὁ Θρᾷξ, ὁ Αἰγύπτιος.

5. Der heilige Theodosios. Schriften des Theodoros und Kyrillos herausg. von H. Usener, Leipzig 1890, 45, 4-12: ... ἑτέραν δὲ ἔνθα κατὰ τὴν οἰκείαν γλῶσσαν γένος Βεσσῶν τῷ ὑψίστῳ τὰς εὐχὰς ἀποδίδωσιν. Nach Johannes Moschos gab es eine Klause neben dem Kloster der Besser (Migne PG 87. 3, 3025 B): ἐλθὼν εἰς Σούβιβα τῶν Βέσσων... Δεῦρο ἕως τοῦ μοναστηριού Βεσσῶν (sic).

6. Darüber Stein II 392-395

7. Kyrillos von Skythopolis, Ed. Schwarz, Leipzig 1939, 193, 24-194, 9: ... οἱ Βέσσοι τοῦ Ἰορδάνου... κατά τε τῶν Βέσσων... Θεόδουλος τις Βέσσος...

8. Ρ. Geyer, Corpus script. eccles. latin., t. 39, 1898, 183: sunt tres abbates scientes linguas, hoc est latinas et graecas, syriacas et aegyptiacas et bessas.

 

40

 

 

Endlich erscheint unter den Unterschriften einer Eingabe der syrischen Geistlichen in den Akten des Konstantinopeler Konzils von 536 auch die eines Andreas, Abtes des Klosters der Besser [9], das nach R. Janin [10] im westlichen Teil Konstantinopels nahe an der Kirche des Heiligen Mocios lag [11].

 

Die Geschichtsschreiber des 4. Jhs Eutropius (6, 10), Rufus Festus (9) und Ammianus Marcellinus (14,11,15; 27,4, 12) sowie Jordanes (Romana 28, 16) berichten, dass Hadrianopolis auch Uscudama hiess. Nach letzterem Geschichschreiber trug Philippopolis auch den Namen Pulpudeva (Romana 28, 16; 37, 5). Diese Stadtnamen sind ohne Zweifel einheimisch, d.h. thrakisch [12], die die thrakische Bevölkerung anstelle der offiziellen gebrauchten. Ein indirektes Zeugnis für die Existenz der hessischen, d.h. thrakischen Sprache im 6. Jh. unterschiedlich von der lateinischen, liefert wieder Jordanes, der bekanntlich im Vulgärlatein, d.h. in der Sprache seine Werke verfasst hat, die auch die Thraker annähernd gesprochen haben müssten, wenn sie tatsächlich romanisiert wären. Er lebte in Scythia Minor oder Mösien und war infolgedessen im Stande die Verhältnisse im Ostteil der Balkanhalbinsel gut zu kennen. Er teilt mit, dass die Donau in der Sprache der Besser Hister hiess [13]. Wenn die Sprache der Besser das Vulgärlatein, in welchem Jordanes schrieb, und nicht eine besondere Sprache wäre, hätte er kaum die Bezeichnung lingua Bessorum gebraucht.

 

Der Sophist Himerios (300-380) berichtet, dass im 4. Jh. noch Nachkommen der ehemaligen thrakischen Könige in Philippopel vorhanden waren.

 

 

9. Schwartz, Acta t. III (1940). Coll. Sabaitica 34, 29: Ἀνδρέας ἐλέει Θεοῦ πρεσβύτερος καὶ ἡγούμενος μονῆς τῆς ἁγίας ἐνδόξου θεοτόκου καὶ ἀειπαρθένου Μαρίας τῆς τῶν Βεσσῶν.

10. Les monastères nationaux et provinciaux à Byzance, in: Echos d’Orient XXXII 1973, 431 und La géographie ecclésiastique de l’Empire Byzantin I, t. III, Paris 1953 s.v. Βεσσῶν

11. Vgl. V. Beševliev, Personennamen 84-85 mit Lit.

12. D. Detschew, Sprachreste 349 und 377

13. Getica ed. Mommsen 75, 16: qui lingua Bessorum Hister vocatur.

 

41

 

 

In der Rede, die er anlässlich der Hochzeit seines Schülers Severus hielt, teilt er nämlich mit, dass die Braut eine Thrakerin, und zwar von königlichem Geschlecht ist und ihre Verwandten die höchsten Stellen unter den Thrakern einnahmen [14]. Nach dem Historiker Dexippos stammte der Verteidiger des Marcianopolis gegen die Goten im Jahr 238 oder 248 vom Geschlecht der Nachkommen des letzten thrakischen Königs Roimetalkes ab [15].

 

Seit dem 4. Jh. lässt sich ein Auftreten des thrakischen Elements in höheren und wichtigen Stellungen beobachten, das wohl dem eingetretenen Nivellierungsprozess im Oströmischen Reich zu verdanken ist. Unter Konstantin, dem Grossen war Valerius Rometalca dux von Aegypten, der Tebais und beider Lybien (GIL 3, 12073). Im Jahre 365 schloss sich der Tribun Rumitalca dem Usurpator Procopios an [16] und wurde von ihm zur cura palatii ernannt [17]. Eine Grabinschrift aus dem Jahre 392 erwähnt den Thraker Brizinus, der wohl maior procurator in Italien war [18]. Um 433 erklärte sich der byzantinische Heerführer Dionysios, der Abstammung nach ein Thraker war, bereit als Gesandter zu den Hunnen zu gehen [19]. Er war im Jahre 429 Konsul und magister militum per Orientem [20]. Auch die Kaiser Marcianus (450-457) und Leon I. (457-474) [21] waren Thraker.

 

 

14. Himerii Declamationes et orationes rec. A. Colonna, Romae 1951, Or. IX 13, 83, 150-157: γένος τῇ μὲν νύμφη Θρακῶν τὰ πρῶτα, αὐτόχθονες οἶμαι τινες καὶ εἰς βασιλείους τύχας τὰς ἄνω ρίζας ἀναβιβάζοντες. Dazu V. Velkov, Kăm văprosa za ezika i bita na trakite prez IV v. in: Sbornik Dečev 731-741

15. V. Beševliev, Die Personennamen 25, und Anm. 39. Jetzt Chr. Habicht, Beiträge zur Prosopographie der altgriechischen Welt, Chiron 2 (1972) Nr. 13 Maximus von Marcianopolis. Ein Spross des thrakischen Königshauses als Verteidiger der Stadt gegen die Goten.

16. Darüber Stein I 175-176

17. Ammian. Marcell. 26, 8, 1-3

18. Diehl, ILChr. I Nr. 582

19. Priscus EL I 121, 12: Διονύσιος δὲ τοῦ Θρακίου γένος

20. D. Seeck, RE 5, 915 Nr. 89

21. Migne PG 86, 3485 D: Μαρκιανός... ἦν μὲν Θρᾷξ τὸ γένος; Malalas XIV 369, 2: ὁ ... Λέων ὁ μέγας ὁ Βέσσος und Jordan. Rom. 43,16: Leo Bessica ortus progenia.

 

42

 

 

Der Bischof von Odessos, dessen Unterschrift unter der Antwort auf ein vom Kaiser Leon im Jahre 458 an den Erzbischof von Marcianopolis gerichtetes Sendschreiben steht, trägt den wohlbekannten thrakischen Namen Dizas oder Dittas [22]. In Vercela, Norditalien, fand man die Grabplatte des Presbyters Marcellinus, der aus dem Land der Besser stammte [23]. Nach einer Grabinschrift von Stara Zagora, Süd-Bulgarien, war der Thraker Flavius Moco, gebürtig aus Artacia de vico Calso, domesticus [24]. Beide Inschriften gehören ins 5. Jh. Mindenstens zwei Feldherren unter Anastasios (491-518) waren Thraker: Zemarchos [25] und Vitalian [26], der Führer des Aufstandes 514-518. Der thrakische Personenname Zemarchos scheint in dieser Zeit sehr beliebt gewesen zu sein. Diesen Namen trugen mehrere hohe Würdenträger: ein Comes Orientis [27], ein Eparch der Stadt Konstantinopel [28], ein byzantinischer Diplomat unter Justin II. [29] ein Tribun um 590 [30], ein primicerius in einer Grabinschrift aus Aquileia [31] u.a.m.

 

 

22. Schwartz, Acta il vol. 5, 32,2 und 18 = Mansi VII 546 D E; 790

23. Diehl, ILChr. II Nr. 3441... Bessorum in partibus ortus

24. Beševliev, SpätIn. Nr. 192. Über Flavius s. Van de Vyuer in Revue beige de Philol. et d’hist. XVI 40 Amn. 4: “une appellation honorifique qui correspond en anglais à sir suivi du prénom”, dagegen aber kaum richtig Stein 11 793-794; jetzt A. Moscy, Der Name Flavius als Rangbezeichnung in der Spätantike, in: Akte des IV. Internationalen (Kongresses für griechische und lateinische Epigraphik. Wien 1964, 257-263; V. Beševliev, Personennamen 58, mit Anm. 10 und besonders Franco Niccolai, La diffusione del gentilizio “Flavius” nel Basso Impero e nei Regni Barbarici, Milano 1946

25. Theophan. 146, 5; 235, 15

26. Malalas 402, 3 f.: Βιταλιανὸς ὁ Θρᾷξ; Euagrios, Migne PG 86, 2696: Βιταλιανὸς θρᾷξ γένος.

27. Theophan, 235, 13; 237, 1

28. G. Schlumberger, Mélanges d’archéologie byzantine, Paris 1895, 24 Nr. 5 und 320 Nr.3

29. Menandr. EL 192, 16 ff.

30. MGH Epist. I ed. L.M. Hartmann, Berolini 1891: clarissimus tribunus Zemarcus.

31. Diehl ILChr. 1 Nr. 488 A

 

43

 

 

Die Kaiser Justin I. [32], Justinian I. [33], Justin II. [34], Tiberius I. [35] und Phokas [36] waren von thrakischer Abstammung. Die Gefährten des Kaisers Justin I., in deren Begleitung er nach Konstantinopel kam, waren auch Thraker und einfache Bauern (γεωργοί). Sie trugen die thrakischen Namen Ζίμαρχος und Διτύβιστός [37].

 

Mehrere byzantinische Feldherren im 6. Jh. waren auch Thraker. Der bekannteste unter ihnen war der berühmte Heerführer Belisarios, der aus Germania (j. Separeva Banja in Südwest-Bulgarien) stammte [38]. Einer seiner Leibwächter führte wieder einen thrakischen Namen Βοραΐδης [39]. Der Name war in dieser Zeit sehr verbreitet. So hiessen ein Presbyter aus Serdica [40], der Sohn eines Tribunen von Adrianopel [41], einer der Vettern Justinians I. [42] u.a.m.

 

Ein Feldheer unter Justinian I. trug den thrakischen Namen Βούζης [43]. Denselben Namen (Βούσας) hatte der Militärchef der Stadt Appiaria in Mösien im Jahre 587 [44]. Eine griechische Grabinschrift von Varna wohl aus dem 6. Jr. erwähnt einen Comes Dudis [45].

 

Die einheimischen Namen der obigen Feldherren verraten ihre thrakische Herkunft.

 

 

32. Chron. Pasch. 611,11 f.: Ἰουστῖνος ὁ Βενδαρίτης ὁ Θρᾷξ; Malalas 410, 2: Ἰουστῖνος ἀπὸ Βεδεριάνης ὤν Θρᾷξ

33. Malalas 425, 1 f. καὶ αὐτὸς δὲ ὢν Θρᾷξ ἀπὸ Βεδεριάνης.

34. Theophan. 241 26 f.: Ἰουστῖνος ὁ ἀνεψιὸς Ἰουστινιανοῦ... ἦν δὲ τῷ γένει Θρᾷξ

35. Euagrios, Migne PG 86, 2813: Τιβέριος θρᾷξ μὲν γένος; Theophan. 249, 24

36. Johannes von Antiochia, FHG V 37: ἦν δὲ τῳ γένει Θρᾷξ

37. Detschew, Sprachreste 144 und 188

38. Procop. Bell. I 363, 16 f.

39. ebenda 383, 14 und Detschew, Sprachreste 80

40. Beševliev, SpätIn. Nr. 12

41. J. Ebersold, Mission archéologique de Constantinople, Paris 1921, 52 Nr. 9

42. Procop. Bell. 1 133, 7-8; II 433, 11-13

43. ebenda I 60, 5 f

44. Theophyl. 102, 13 f

45. Beševliev, SpätIn. Nr. 89

 

44

 

 

Prokop führt mehrere Militärpersonen mit lateinischen und griechischen Personennamen an, die er ausdrüklich als Thraker (Θρᾷξ oder Θρᾷξ γένος) bezeichnet, z.B.: Φλωρέντιος Θρᾷξ (Procop. Bell. I 76, 13), Ἰμέριος Θρᾷξ (ebenda 528, 18), Πέτρος Θρᾷξ (ebenda 545, 17), Βαρβατίων Θρᾷξ (ebenda II 346, 4-6). Auf dieselbe Weise werden die Feldherren Komentiolos und Johannes Mystikon unter Mauricios (582-602) als Thraker von Euagrios bezeichnet [46]. Das thrakische Element war also im 6. Jh. sehr stark in den Kommandostellen des byzantinischen Heeres vertreten.

 

Dies darf uns nicht befremden, da die Thraker von alters her als ausgezeichnete Krieger und ihr Land als ein unerschöpflicher Vorrat an tüchtigen Soldaten für die römischen Legionen und später für das byzantinische Heer galten. In der zwischen 350 und 353 verfassten “Totius orbis descriptio” wird dies besonders hervorgehoben: “Thracia provincia... maximos habens viros et fortes in bello” [47]. Dasselbe wurde auch von Justinian I. in einer seiner Novellen vom Jahre 535 unterstrichen [48]. Das starke Heranziehen der Thraker zum Kriegsdienst war eine der Hauptursachen für die Verminderung des thrakischen Elements im Ostteil der Balkanhalbinsel.

 

Die Teilnahme thrakischer Kontingente an verschiedenen Kriegszügen im 5. und 6. Jh. wird in den zeitgenössischen Quellen oft ausdrücklich erwähnt. Gegen die rebellischen Isaurier [49] sandte Kaiser Anastasios um 492 ein Heer, das aus Bessern, Goten und Skythen bestand [50], und im Jahre 505 gegen die Perser [51] wieder ein Heer aus Goten, Bessern und anderen in Thrakien wohnenden Stämmen [52].

 

 

46. Euagrios, Migne PG 86, 2848: Ἰωάννην Θρᾷκα γένος; 2868; Κομεντίολος Θρᾷξ γένος

47. C. Müller GGM II 523

48. Nov. 26: Ἐκεῖνο τῶν ἄνωμολογημένων ἐστὶν ὅτιπερ, εἴ τις τὴν Θρακῶν ὀνομάσειε χώραν, εὐθὺς συνεισέρχεται τῷ λόγω καὶ τις ἀνδρείας καὶ στρατιωτικοῦ πλήθους καὶ πολέμων καὶ μάχης ἔννοια.

49. Darüber Stein II 81-84

50. Malalas 393, 12 f.: μετὰ πλήθους Σκυθῶν καὶ Γοτθικῆς καὶ Βεσσικῆς χειρός.

51. Stein II 92-101

52. Theophan. 145, 17-20: στρατιὰ Γότθων τε καὶ Βέσσων καὶ ἑτέρων Θρακίων ἐθνῶν.

 

45

 

 

Prokop vermerkt ständig die Teilnahme der Thraker an den Perser- und Gotenkriegen unter Justinian I. [53]. Dass Thraker in allen diesen Fällen kein geographischer Begriff, sondern eine Volksbezeichnung war, geht deutlich aus folgender Stelle bei Prokop hervor:’ einer der Römer, namens Burkentios, von Geburt ein Besser, vom Regiment des Armeniers Narses...” [54] Der hier Erwähnte war also ein Römer, was seine Staatsangehörigkeit anbelangt, der Abstammung nach ein Besser d.h. Thraker, hiess Burkentios und diente unter dem Heerführer Narses. Der thrakische Name Burkentios und die Gegenüberstellung von Besser und Armenier bürgen für die Richtigkeit der Prokopianischen Angaben [55].

 

Die Thraker wohnten bis zur Einwanderung der Slawen vorwiegend in den Dörfern und abgelegenen Berglandschaften. In den grösseren Städten standen sie unter dem starken Einfluss der griechischen und römischen Kultur, sodass viele von ihnen mit der Zeit griechische bzw. römische Sitten und Sprache annahmen und in der hellenisierten bzw. romanisierten Masse aufgingen. Von allen thrakischen Stämmen hat sich der Name der Besser am längsten erhalten. Er ist sogar eine allgemeine Bezeichnung für die Thraker geworden und tritt in den Schriftquellen fast bis in das 6. Jh hinein auf. Die Besser waren besonders berühmt als Goldgräber. Dieses Gewerbe wird oft von verschiedenen Schriftstellern des 4. Jhs hervorgehoben [56]. Die thrakischen Bergleute wurden besonders schwer mit Steuern belastet, sodass sie sich gezwungen sahen ihre Stätten zu verlassen und in den nachbargebieten Zuflucht zu suchen [57].

 

 

53. Bella I 243, 23-244, 3; II 170, 1-8; 197, 4-5; 203, 15-17; 322, 17-21

54. ebenda II 265, 17-18: μετὰ δὲ τῶν τινα Ῥωμαίων, Βέσον γένος Βουρκέτιον ὄνομα, ὑπὸ Ναρση τεταγμένον τω Αρμενία)

55. Weitere Beispiele bei V. Beševliev, Personennamen 81-83

56. s. Latinus Pacatianus, Pan. Theodos. 28; Claudianus, De consul. Manlii Theodori 38; Paulinus von Nola, Migne PL 61, 488, 213 ff. und Vegetius, Epit. IV 24

57. Ammian. Marcell. 31, 6, 6

 

46

 

 

Kaiser Valentinian I. (364-375) erliess deshalb einen Befehl, in dem er verordnete, dass alle Thraker, die nach Illyrien und Makedonien geflohen waren, an ihre Geburtsstätten zurückgebracht werden sollten [58].

 

Am Ende des 6. und zu Beginn des 7. Jhs verschwinden die Thraker auf einmal aus den Schriftquellen. Die Ursache war nicht, dass sie alle plötzlich hellenisiert bzw. romanisiert wurden, oder, dass die Quellen diese Epoche spärlich fliessen und wortkarg sind, sondern dass sie durch die eingewanderten Slawen, die um diese Zeit fast die ganze Balkanhalbinsel überflutet und besiedelt haben, teilweise vertrieben, vernichtet oder aufgesogen wurden. Dass die Slawen tatsächlich die Thraker noch auf der Halbinsel vorfanden und mit ihnen im Verkehr standen, beweist die heutige Toponymie Bulgariens. Der gotische Geschichtsschreiber Jordanes berichtet [59], dass die von dem makedonischen König Philipp II. gegründete und nach ihm genannte Stadt in Thrakien Philippopolis früher Pulpudeva geheissen hat. Woher diese Nachricht bei Jordanes stammt ist unbekannt. Dieser Name kommt sonst nirgends vor. Der erste Teil Pulpu- stellt eine thrakisierte Form des griechischen Φίλιππο- dar, da die griechischen Tenues aspiratae im Thrakischen als Tenues und nicht wie im Makedonischen als Mediae erscheinen, z.B. ἐπιπίο = ἐφιππίῳ (s. oben S. 37 [60]), maked. Jedoch Βίλιππος = Φίλιππος [61]. Der zweite Teil -deva ist eine spätere Form von dava = πόλις [62]. Pulpudeva ist also eine thrakische Halbübersetzung des griechen Φιλιππόπολις. Man hat schon längst erkannt, dass der heutige bulgarische Name der Stadt Plovdiv nicht von der griechischen Form, sondern von dem thrakischen Pulpudeva herkommt [63].

 

 

58. Cod. Theodos. X 19, 7

59. Romana ed. Mommsen 28, 16: Pulpudeva, quae nunc Philippopolis; 37, 4-5: que dicebatur Pulpudeva, Philippopolim reconstruens nominavit.

60. G. Mihailov, La langue des inscriptions grecques en Bulgarie, Sofia 1943, 65

61. A. Thumb, Handbuch der griechischen Dialekte, 2. Aufl. von E. Kiekers, Heidelberg 1932, 9; Ed. Schwyzer, Griechische Grammatik I München 1939, 69-70

62. vgl. V. Beševliev, Zur Deutung 34

63. K. Kalužniacki, Zur Geschichte der bulgarischen Bennennung der Stadt Philippopel, in: Arch. slav. Phil. 16 (1894) 594-596; K. Jireček, Zum Namen Plodin, oder Plovdiv, ebenda 596-600 und Reisen 133 Anm. 14; J. Popovič, Die Einwanderung der Slaven in das Oströmische Reich im Lichte der Sprachforschung, in: Zs. Slav. IV 5 (1962) 712; zuletzt V. Beševliev, Personennamen 89 mit Anm. 142; G. Mihailov in Studia Balcanica 5, Sofia 1971, 319. G. I. Kazarow, Über die Namen der Statt Philippopel, in: Ph W 1901. Nr 50;

 

47

 

 

Der Name Plovdiv unter den Formen Plăpădiv, Plodiv ist, bereits im 11. und 12. Jh. belegt [64].

 

Die Slawen haben also den Stadtnamen nicht von ihren griechisch sprechenden Einwohnern, sondern von der umliegenden, thrakisch sprechenden Bevölkerung, mit der sie zuerst in Berührung kamen, erfahren. Einen ähnlichen Fall stellt Borui, der altbulgarische Name der heutigen Stadt Stara Zagora in Süd-Bulgarien, dar. Das ist wieder die slawische Form des alten thrakischen Stadtnamens Βέροια, Βερόη. Der altgriechische Laut b ( = β) ist bekanntlich im 2. Jh. nach Chr. zum Spiranten v geworden. Wenn die Slawen den Namen von den Griechen übernommen hätten, müsste man eine Form mit v -Laut im Bulgarischen erwarten, vgl. Veria in Griechenland aus Beroia, doch slaw. wieder Ber. Hierher gehört auch der Flussname Ἕβρος, der unter der slawisierten Form Ibar als Benennung des Oberlaufes des Flusses noch fortlebt.

 

Auf einen Fortbestand der thrakischen Bevölkerung über das 6. Jh. hinaus in abgelegenen Berglandschaften, in denen die Thraker sich verhältnissmässig lange Zeit erhalten haben oder in welche sie von den eingewanderten Slawen getrieben wurden, muss man aus dem Umstand schliessen, dass die Flüsse Jantra, Marica, Mesta, Tundza, Tiča, Močurica (früher Azmak dere) u.a. in ihrem Oberlauf die alten Namen in slawisierten Form noch bewahrt haben [65]: Eter, Jetar aus Ieterus, Ibar aus Ἕβρος, Nestenica aus Νέστος, Taža aus Τόνζος, Panis und Panuca aus Pannysis, Πάνυσος, Marcil, Marsil aus Μαρκέλλαι [66].

 

 

64. V. Beševliev, Antičnata toponimija 346 f.

65. V. Beševliev, Personennamen 88-90 mit Lit.; Vgl. auch Jireček, Reisen 806 Anm. 36 über Mesembria-Nesebr.

66. Derselbe, Ein verkannter thrakischer Ortsname, in: IIBE XVI, 1968, 75-77; zu Κέλλαι = Cilae s. noch G. Kazarov, Contribution à la géographie de l’ancienne Thrace, in: Eos XXXII, 1929, 143-144. Über die Deutung Iv. Dujčev, Markellai- Marcellae, untoponyme latin méconnu, in: RESEEIV 3-4 (1966) 371-375 s. Gérard Taverdet, Au sujet du toponyme “Markellai- Marcellae, ebenda VII 2 (1967) 397-399. Seine Erklärung ist kaum wahrscheinlich. Über die Erhaltung thrakischer Flussnamen s. noch Jireček, Reisen 115 Anm. 24 und 216 mit Anm. 23.

 

48

 

 

Eine ganze Reihe der heutigen bulgarischen Ortsnamen sind nicht slawischen Urspungs, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach von den Thrakern geerbt. So z. B. ist der heutige Name Marica des alten Hebrosflusses trotz der Endung -ica nicht slawisch [67]. Er war offenbar von den Slawen vorgefunden worden und stammt wiederum von der alten thrakischen Bevölkerung. Ein ähnlicher Fall ist auch der Flussname Rosica aus älterem Rosita [68]. Diese Namen verdanken ihre heutige Existenz nicht einer schriftlichen Überlieferung, sondern dem lebendigen Verkehr der eingewanderten Slawen mit den Einheimischen. Hierher gehören auch die Flussnamen Iskăr [69], Arda [70], Erma, Rezovska reka [71], Panega [72], Paneka [73] u.m.a.

 

 

67. St. Mladenov, Imenata na deset bălgarski reki, in: SpBAN X, 1915, 53 ff.; V. Beševliev, Antičnata toponimija 273 ff.; J. Zaimov, Bălgarski rečni imena, in: Bălgarski ezik, 1959, H. 4-5, 359-368; I. Duridanov, Illyrische Flussnamen in Serbien, in: LB 6, 1963. 113 mit Lit.

68. V. Beševliev, Antičnata toponimija 343

69. D. Dečev, Die antike Herkunft des bulgarischen Flussnamens Iskar, in: Festschrift Salač, 1955, 118-121

70. V. Velkov, Über den antiken Namen des Flusses Arda, in: ΠΒΕ XVI, 1968, 79-85

71. Vl. Georgiev, Rečni imena usv., in: Bălgarski ezik, 1959, H. 4-5, 353-355; B. Gerov, Westthrakien I 217 Anm. 4

72. St. Mladenov, op. cit. 56-60

73. P. Deliradev, Prinos II, 126. Hierher gehört nach G.I. Kazarov (IB AI XV, 1946, 167.) auch der Stadtname Pirdop, der zu Burdapa, Burdopes, Burdipta (Detschew, Spruchreste 81) zu stellen sei.

 

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11. Die Religion

 

Allgemeine Literatur: A. v. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, 2 Bde4, Leipzig 1924; J. Zeiller, Les origines chrétiennes dans les provinces danubiennes de l’empire romain, Paris 1918; derselbe. L’expansion du christianisme dans la péninsule des Balkans du Ier au Ve siècle, in: Revue Internationale des Études Balkaniques, 1934-1935, 415-419; H. Delahaye, Saints de Thrace et de Mésie, in: Anal. Boli., XXXI, 1912, 255-273; R. Netzhammer, Die christlichen Altertümer der Dobradscha, Bucarest 1918; I. Bărnea, Quelques considérations sur les inscriptions chrétiennes de la Scythie Mineure, in: Dacia n.s., t.I, 1957, 268-288; Fr. Halkin, Trois textes grecs inédits sur les Saintes Hermyle et Stratonice, martyrs à Singidunum, in: Anal. Boll., LXXXIX, 1971, 5-45; V. Beševliev, SpätIn; E. Popescu, Inscripţiile nsw., passim ; H. Leclercq, Illyricum, in: F. Cabrol-H. Leclercq, Dictionnaire d’archéologie chrétienne et de liturgie, t. VII (1926) 90-180. Weitere Literatur in Reallexikon für Antike und Christentum, IV, Stuttgart, 1957, 156-189 s.v. Donauprovinzen von A. Lippold-E. Kirsten

 

 

Die Religion der Bevölkerung im Ostteil der Balkanhalbinsel war offiziell seit dem Anfang des 4. Jhs das Christentum wie in den übrigen Teilen des Römischen Reiches. Das Edikt von Mailand 313 gab dem christlichen Glauben Daseinsrecht und stellte ihn dem Heidentum gleich [1]. Aus einem gewöhnlichen Glaubensbekenntnis wurde das Christentum bald zu einer Staatsreligion und mit der Zeit ein mächtiges, politisches Mittel. Das ethnisch heterogene Römische und später Byzantinische Reich vereinigte nun nicht nur die römische Staatsidee, sondern auch und zwar fester der Gedanke an einen einzigen christlichen Glauben und eine Kirche mit dem religiösen und politischen Zentrum Konstantinopel.

 

 

1. Stein I 92-93; 96-100

 

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Das Byzantinische Reich versuchte nicht nur andere christliche Volker und ihre Herrscher durch das Christentum in eine gewisse Abhängigkeit von ihm zu bringen, sondern strebte auch danach den christlichen Glauben unter benachbarten und fernen barbarischen Stämmen zu verbreiten, um sie in den Kreis seines politischen und kulturellen Einflusses einzuschliessen [2].

 

Das Christentum fasste ziemlich früh festen Fuss im Osteil der Balkanhalbisel. Bereits vor dem Konzil von Nikaia (325) waren christliche Gemeinden in Singidunum, Ratiaria, Durostorum, Noviodunum, Tomi und anderen Orten vorhanden. Nach Ausweis des Lactancius [3] gab es im Dorfe Romulianum an der Donau auch Christen. Das Christentum war 396 auch den Thraker auferlegt (s. S. 39) [4].

 

Kaum war der christliche Glaube als Staatsreligion anerkannt als Streitigkeiten über das Wesen Christi ausbrachen [5]. Laut der Lehre des Alexandriners Arios ist der Sohn dem Vater nicht gleich und nicht wesenseins (ὁμοούσιος). Das erste von Konstantin I. einberufene und geleitete ökumenische Konzil von Nikaia (325) stellte das Dogma auf, dass der Sohn dem Vater wesensgleich sei, und verurteilte die arianische Lehre [6]. Es vermochte aber den Arianismus nicht aus der Welt zu schaffen. Noch weniger glückte dies dem in Serdica (345) abgehaltenen Konzil [7]. Es kam sogar zu einer Spaltung der Teilnehmer und die Arianer organisierten gleichzeitig ein Gegenkonzil in Philippopel. Unter dem Kaiser Constantius (337-361) gelangte der Arianismus an die Macht [8]. Erst durch Eintreten des Kaisers Theodosios I. (379-395) für das nikäische Glaubensbekenntnis (Konzil von Konstantinopel 381) war das Schicksal des Arianismus besiegelt [9].

 

 

2. Gy. Moravcsik, Christianity 248-249

3. De mort. persecut. 11,1

4. Thompson, Christianity 64-65

5. Stein I 100-103; 108-110

6. ebenda 1 105-108; 134-137; 150-153            7. ebenda 1 135-136            8. ebenda 1 153-154; 173-175            9. ebenda 1 197-22

 

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Während der Kirchenkämpfe wurden viele Bischöfe vertrieben, verbannt oder wiedereingesetzt. Die Gläubigen waren auch gespalten und in Kämpfe miteinander geraten. Die sozialen und nationalen Unterschiede traten ganz hinter den religiösen zurück.

 

Die Westgoten lernten am Nordufer der Donau und am West- und Nordrand des Schwarzen Meeres das Christentum zuerst in seiner arianischen Form kennen. Der Gote Ulfila wurde in Konstantinopel (343) zum arianischen Bischof der Goten geweiht. Auf ihren weiteren Wanderungen in Thrakien nahmen die Goten den christlichen Glauben in arianischer Form als Nationalreligion an [10]. Noch lange nach dem Zusammenbruch des Arianismus in Byzanz waren die meisten germanischen Stämme Anhänger des arianischen Glaubensbekenntnisses.

 

Im 5. Jh. wurde die christliche Kirche wieder durch die religiösen Auseinandersetzungen zwischen den sog. Monophysiten und Monotheieten stark erschüttert [11]. Das vom Kaiser Markian (450-518) im Jahre 451 berufene Konzil in Chalkedon konnte keinen Ausgleich schaffen. In den folgenden Dezennien wurde der Kampf noch erbitterter. Kaiser Anastasios (491-518), der ein überzeugter Anhänger der Monophysiten war, ergriff, nach vielen erfolglosen Versuchen den Kirchenfrieden zu erhalten und eine Einigung zu erzielen, offen die Partei der Monophysiten. Seine Entscheidung rief gefährliche Unruhen in der Haupstadt hervor. Unter dem Vorwand die gefährdete Orthodoxie zu verteidigen erhob Vitalian, der Befehlshaber der Föderaten in Thrakien sich gegen Kaiser und rückte zwischen 513 und 515 dreimal mit Heer und Flotte gegen die Hauptstadt vor [12]. Für diese Erhebung waren die religiösen Gründe nicht die einzigen, aber sie zeigen, wie stark das gemeine Volk des Ostteils der Balkaninsel an den religiöen Zwistigkeiten teilnahmen, da es dem Rebellen gern folgte. Unter Justin I. (518-527) wurde die Orthodoxie wiederhergestellt.

 

 

10. ebenda I 186; Thompson, Christianity 63; 68 ff.; 72; H.E. Giesecke, Die Ostgermanen und der Arianismus, Lepzig 1939

11. Stein I 300-315; 355; II 20-25; 31-39

12. ebenda II 177-185; 191-192

 

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12. Die Entvölkerung des Ostteils der Balkanhalbinsel

 

Allgemeine Literatur: Drinov, Werke I 7-16; P. Mutafčiev, Bulgares 63-107; C. Patsch, Rimljani i varvari na Balkanu, in: Knjiga o Balkanu II, Belgrad 1937, 62-76; Stein I und II, passim ; Lemerle, Invasions 277-281; V. Velkov, Cities 21-59; V. Tăpkova-Zaimova, Promeni.

 

 

Seit dem 4. Jh. litten die Bewohner der Städte und ihrer Umgebung, die neben den Einheimischen vorwiegend Römer und Griechen, bzw. romanisierte oder hellenisierte Ansässige waren, am meisten und an erster Stelle unter den Barbareneinfällen. Im Herbst 376 durchzogen die wegen der Missetaten der römischen Behörden in Aufstand geratenen Goten [1], die kurz vorher mit Erlaubnis des Kaisers auf byzantinisches Gebiet gekommen waren, um sich dort anzusiedeln, die Länder der thrakischen Diözese, und verheerten und ermordeten alles, was ihnen in die Hände fiel [2]. Im folgenden Jahr wiederholte sich dasselbe in noch grösserem Ausmass. Sie verwüssteten alle Länder der thrakischen Diözese von der Donau bis an das Rhodopengebirge [3]. Die Verheerung setzte sich auch 378 fort [4], wobei der Kaiser Valens selbst im Kampf mit ihnen umkam. Am 3. Oktober 382 wurde ein Friedensvertrag mit den Goten in Konstantinopel geschlossen. Sie bekamen Land zum Ansiedeln im Gebiet zwischen der Donau and dem Hämus, genossen volle Autonomie, sowie Steuerfreiheit und dienten dem Kaiser als Föderalen unter ihren eigenen Führern gegen erhöhte Jahrgelder [5].

 

 

1. Darüber Stein I 188-190

2. Ammian. 6, 7; Eunap., EL 597, 4-11; Zosim. 194, 8 ff.

3. Ammian. 8, 5-8; Sozom., HE (Migne PG 68) 1413 B; Zosim. 196;

4. Ammian. 11,2; Philostorg., HE 124, 1-13

5. Stein I 194; Lemerle. Invasions 278; E.K. Chrysos, Gothia Romana, In: Dacoromania I (1973) 52-64

 

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Am Ende des 4. Jhs. wirkten sich die inneren Kämpfe und Kriegszüge der Goten Alarichs, ebenfalls verderblich auf die Bevölkerung des Ostteiles der Balkanhalbinsel aus [6]. Um dieselbe Zeit suchte die Landbevölkerung vor dem Gotenführer Gainas Zuflucht in den befestigten Städten [7]. Die von verschiedenen Barbarenstämmen angerichteten Schäden und Zerstörungen sind von Hieronymos, wenn auch übertrieben in krassen Farben dargestellt [8].

 

Seit dem Anfang des 5. Jhs. begannen die Hunnen [9] in das Byzantinische Reich einzufallen und es zu verheeren. Um 409 überschritt der Hunnenhäuptling Uldin die Donau, nahm durch Verrat Castra Martis in Mösien ein und verheerte von dort aus die thrakischen Länder [10].

 

Nach einer verhältnismässig langen Ruhe fielen die Hunnen unter der Führung der Brüder Bleda und Attila 441 und 442 in das Byzantinische Reich ein und eroberten die Städte Margos, Naissos, Serdica und Singidunum [11]. Nur der 443 geschlossene Friede rettete die byzantinischen Gebiete vor weiterer Verheerung und Vernichtung. Vier Jahre später (443) überschritt Attila von neuem die Donau. Am Fluss Utus wurde das byzantinische Heer geschlagen und die Horden Attilas zogen mordend und raubend durch das Land. Nach einer Quelle [12] wurden über 70 Städte davon betroffen, unter ihnen Naissos, Serdica, Marcianopolis und

 

 

6. Zosim. 252, 2-4, vgl. Vetters, Dacia Ripensis 36-38

7. Zosim. 273, 6-16; Stein I 231; 235-237

8. Migne PL 22, 344-345, col. 600; 25, 676, col. 1340 D - 1341 A

9. Sozomen., HE (Migne PG67) 1580C-1581 A; s. auch Marquart, Streifzüge 391-373

10. ebenda 1605 C-1608 B; Cod. Theod. V 6, 3; Stein I 247; Vetters, Dacia Ripensis 39; Altheim, Hunnen II 186

11. Prisc., EL 123, 15; 124, 124, 11-14; 575, 22-576, 9 und 21-23; Marcell. Com. ad 441,3, dazu Vetters, Dacia Ripensis 40-43; T. Nagy, Les campagnes d’Attila aux Balkans et la valeur du témoinage de Jordanès concernant les Germains, in: Acta Antiqua, t. IV. fasc. 1-4, 1956, 251-260

12. Callinici de vita Hypatii liber, edd. Siminarii philolog. Bonnensis sodales, Lipsiae, 12, 108

 

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Thermopolis ( = Aquae Calidae) [13]. Nur Städtchen Asamus vermochte ihnen zu widerstehen [14]. Nach Priscos [15] wurde Naissos völlig zerstört und entvölkert. Der Friede wurde noch dasselbe Jahr unter schweren Bedingungen wiederhergstellt. Die Grenze zwischen den Hunnen und dem Byzantinischen Reich wurde bei dem zerstörten Naissos festgesetzt. Ausserdem verlangte Attila, dass die Bevölkerung des von ihm eroberten und an ihn abgetretenen Landes von Pannonien bis Novae in einer Breite von fünf Tagereisen entvölkert wurde [16]. Der Tod Attilas 453 befreite das Byzantinische Reich endgültig von der hunnischen Gefahr.

 

Allerdings verheerten die Hunnen auch nach diesem Datum die thrakische Diözese, bildeten jedoch keine wirkliche Gefahr mehr. Im Winter 466/467 überschritten die Hunnen unter der Führung Hormidac die eingefrorene Donau und kamen bis Serdica, wo sie geschlagen wurden [17], und zu Beginn der Regierung Zenons fiel eine grosse Zahl Hunnen in Thrakien ein [18].

 

Von nun an hatte die Bevölkerung des Ostteiles der Balkanhalbinsel mehr unter den Ostgoten zu leiden, die sich als Föderaten in der Diözese Thrakien aufhielten und eine wichtige Rolle im politischen Leben des Reiches spielten. In den Kämpfen ihrer Führer mit der Reichsregierung oder miteinander um die Macht verwüsteten sie nicht selten das Land und beraubten die Bevölkerung. Im Jahre 472/73 nahm einer ihrer Führer, Theoderich Strabon, Arkadiopolis ein und verheerte das ganze Thrakien [19].

 

 

13. Chron. Pasch. 586, 3-5; Thekhan. 103-14-103, 56; Marcell. Com. ad 447; Jordan., Romana 42, 22-24; über Thermopolis = Aquae Calidae s. K. Jireček, Reisen 758 anm. 18

14. Prisc., EL 577, 27-578, 35; Altheim, Hunnen IV 291

15. ebenda 124, 11-14

16. ebenda 579, 25-33, vgl. Stein I 292; Altheim, Hunnen IV 292-293

17. Sidonius Apollinaris, Paneg. IL MGH Auct. Ant. VIII, 179, dazu Ensslin in RE 12, 1953. Nach Altheim, Die Hunnen I 81, war Hormidac ein Sarmate oder Alane und sein Name iranisch, nach Fehér, Beziehungen 13, dagegen ein hunnischer Häuptling. Várady, Pannonia 334

18. Euagrii HE 100, 6-13; Theophan. 120, 9-12

19. Stein I 361

 

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Im Jahre 478 schloss der andere Theoderich, der Amaler, ein Bündnis mit Theoderich Strabon und verwüsstete das Rhodope-Gebiet [20] und später Stobi in Makedonien [21]. Der Umstand, dass der Kaiser Zenon ihm das Angebot machen liess, ihm Land zum Ansiedeln in Pautalia in Illyricum zu überlassen um ihn zu besänftigen [22], sowie die Worte Theoderichs, dass er nahe bei Klein-Skythien zu bleiben beabsichtigte, wenn der Kaiser ihn nicht gegen Theoderich Strabon auszuziehen aufgefordert hätte [23], zeugen von der Existenz verödeter Länder in diesen Gebieten im 5. Jh. Derselbe Theoderich erschien von neuem 486 oder 487 in Thrakien und kam verheerend bis Rhegion [24]. Im Jahre 488 verliess er mit den Ostgoten für immer die Balkanhalbinsel und begab sich nach Italien.

 

Das war aber nicht das Ende der Leiden für die Bevölkerung des Ostteiles der Balkanhalbinsel. Die Einfälle der pannonischen Bulgaren, der Slawen, Awaren und Kutriguren, die im 6. Jh. stattfanden, gingen mit grossen Verwüstungen, Plünderungen und Menschenentführungen gepaart. Darüber weiter unten.

 

Nach Agathias waren Skythien und Mösien 559 öde Länder [25]. Die Nachrichten von der Entvölkerung mancher Gebiete sind allerdings nicht ganz frei von kleineren bzw. grösseren Übertreibungen. Sie werden jedoch teilweise durch amtliche Urkunden bestätigt. Ein Erlass des Kaisers Zenon erwähnt ausdrücklich wiederhergestellte Städte. Derselbe Erlass teilt mit, dass Scythia Minor oft unter den Barbareneinfällen zu leiden hatte [26]. In einem Gesetz des Kaisers Anastasios aus dem Jahre 505 wird hervorgehoben, dass die Bauern durch die Einfälle der Barbaren ruiniert waren [27].

 

 

20. Malch., EL 169, 3-9

21. ebenda 155, 8-13, dazu Stein II 10-13            22. ebenda 156, 30-157, 1            23. ebenda 160, 29-33

24. Johann. Antioch. 138,10-24; Theophan. 131,2-13; Marcell. Com. ad 487

25. Hist. 177, 26-28

26. Cod. Just. I 3, 35

27. ebenda X 27, 2,3: ἐν Θρᾳκῇ γὰρ, ἐπειδὴ οὐκ εἰς ὁλόκληρον εἰσφέρεται τὰ δημόσια, διὰ τὸ προφάσει τῶν βαρβαρικῶν ἐφόδων ἐλλατωθῆναι τοὺς γεωργοὺς κτλ.

 

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Eine Novelle Justinians I. aus dem Jahre 538 gestattet Martinus, dem Bischof von Odessos, Kirchengegenstände zum Loskauf von Gefangenen zu verkaufen. In derselben Novelle werden die Befürchtungen geäussert, dass die Weinberge in der Umgebung von Odessos könnten den Barbareneinfällen ausgesetzt sein [28]. Mit einer anderen Novelle aus 544 wird den Kirchen in Odessos und Tomi das Recht auf Enteignung der Immobilien zum Loskauf von Gefangenen eingeräumt [29].

 

Die Entvölkerung wurde nicht nur von den Barbareneinfällen, sondern auch von Epidemien, Erdbeben, Überschwemmungen, Missernten u. dgl. verursacht. Besonders folgenschwer war aber die schlechte wirtschaftliche Lage der armen Bevölkerung und ihre Ausbeutung durch den Staat und die Privatpersonen. Sie zwangen einzelne Personen oder ganze Gruppen ihren Geburtsort zu verlassen und anderswo ihren Lebensunterhalt zu suchen oder sich den einfallenden Barbaren anzuschliessen. Über die Zeit des Kaisers Diokletian berichtet Lactancius, dass die Zahl der Nehmenden so hoch wie die der Gebenden gestiegen war, dass infolge der masslos hohen Steuern die Kräfte der Kolonen erschöpft waren, die Felder verödeten und das Bebauungsland sich in Wald verwandelte [30]. Im Jahre 376 schlossen sich die Ortseinwohner und Gefangenen den aufständischen Goten an, die ihnen die reichen Dörfer zur Plünderung zeigten, sowie auch eine grosse Anzahl von Goldgräbern, da sie die drückenden Steuern nicht ertragen konnten [31]. Um das Elend der verarmten Bevölkerung zu erleichtern und die Flucht von der Scholle zu beseitigen, schaffte Kaiser Theodosios I. die Kopfsteuer in Thrakien ab und fesselte die Kolonen an die Scholle [32].

 

 

28. Just. Nov. LXV (p. 339) 1-36

29. ebenda CXX (p. 588) 4-8

30. Lactancii de mort. 7, 3

31. Ammian. XXXI 6, 5-6

32. Cod. Just. XI 52, I

 

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Gegen Ende der Regierung des Kaisers Arkadios gaben sich Sklaven und Deserteure für Hunnen aus und raubten alles in Thrakien, was sie im Freien fanden [33]. Priskos berichtet, dass er am Hofe Attilas einem Griechen begegnete, der ihm als Grund für sein Verbleiben bei den Hunnen die unerträglichen Steuern, den Missbrauch der Gesetze und die Bestechlichkeit der Richter in Byzanz angab [34]. Nach Prokop [35] verliessen die Bauern Justin, der zukünftige Kaiser, Zimarchos und Ditybistos ihren Geburtsort und gingen in die Hauptstadt um im Heer zu dienen, da sie die Armut nicht ertragen konnten. In einigen Novellen Justinians werden die Ausbeutung, Bestechlichkeit des Verwaltungsapparates und die unerträglichen Lebensverhältnisse als Ursache der Flucht aus den Provinzen hervorgehoben. Ein anschauliches Bild der damaligen Zustände entwirft folgende Stelle einer Novelle aus 535:

 

“Die Flucht aus den Provinzen beginnt. Priester und Ratsherren der Munizipien, Kohortalen und Landbesitzer, Bürger und Bauern strömen hier zusammen, sie alle wehklagen und tadeln mit Recht die Diebstähle und die Misshandlung der Verwalter usw.” [36]

 

Dasgleiche berichtet eine andere Novelle aus demselben Jahr im Zusammenhang mit der Schaffung des Amtes “Praetor Thraciae”:

 

“Wir wollen nicht, dass unsere Untertanen das Land verlassen, und von den Ortsbehörden missachtet hierher laufen” [37].

 

Eine dritte Novelle wieder aus demselben Jahr hebt die Ausbeutung der Bauern durch die Wucherer in Moesia Secunda (d.h. Inferior) hervor:

 

“Wir haben erfahren, dass manche in der Provinz, die du verwaltest, die Missernte wahrnehmend, sich erdreisteten, einigen Bauern sehr wenig Korn zu leihen und ihnen für ihr ganzes Land abzunehmen, ein Teil der Bauern entfloh infolgedessen, andere dagegen starben vor Hunger und dass ein schreckliches Verderben, nicht kleiner als ein barbarischer Überfall, eingetreten war” [38].

 

 

33. Zosim. 227, 17-22

34. Prisc., EL 135, 26-136, 27; Eunapii fr. ed. Boiss. 100, 27-101, 22

35. Procop., Arcana 38, 5-16

36. Just. Nov. VIII 64, 5-66, 41, vgl. G. Kolias, Amter- und Würdenkauf im früh- und mittelbyzantinischen Reich, Athen 1939

37. ebenda XXVI, cap. III            38. ebenda XXXII 239, 25-240, 18 und XXXIV, 241, 1-28

 

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Und es geschieht nicht nur das, sondern es brechen auch Stadtaufstände und Volksunruhen aus. Die Zerstörungen in den Städten und übrigen Siedlungen wurden nach dem Rückzug der Barbaren bald behoben, wie aus den archäologischen Funden und manchen Inschriften ersichtlich ist. Eine rege Bautätigkeit wird für die Zeit der Kaiser Anastasios [39] und Justinian bezeugt. Die Reparaturen konnten jedoch bei der die Barbareneinfälle fürchtenden Bevölkerung kein Vertrauen erwecken oder sie beruhigen. Sie zog, wie es scheint, vor den gefährdeten Orten fort. In Thessalonike gab es im 7. Jh. Flüchtlinge aus Naissos, Serdica, Donau-Ländern, Pannonien und Dardanien [40]. Ein Teil den Einwohner von Durostorum floh vor den Barbareneinfällen sogar nach Ankona, Italien, wohin er die Reliquien des Märtyrers Dasios von Durostorum mitbrachte [41].

 

 

39. Malalas 409, vgl. I. Bărnea, Contributions to Dobrudja History under Anastasios I., in: Dacia n.s. IV, 1960, 363-374; derselbe, Nouvelle contribution à l’histoire de la Dobrudja, ebenda XI, 1967, 355-356; Em. Popescu, O inscriptie de la Anastasius I descoperita la Histria, in: Studii clasice VIII, 1966, 197-206

40. Miracula S. Demetrii ed. Tougard 128 § 46; 130-132, § 48

41. F. Cumont, Le tombeau de S. Dasius de Durostorum, in: Anal. Bolland. XXVII, 1908, 369-372; J. Zeiller, Les origines chrétiennes dans les provinces Danubiennes, Paris 1918, 112

 

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13. Barbarenansiedlungen im Ostteil der Balkanhalbinsel vom 3. bis 6. Jh.

 

Als Folge der Flucht der Bevölkerung, vor den Barbareneinfällen und wegen der misslichen sozialen und wirtschaftlichen Zustände, entstanden öde Gegenden in manchen Gebietendes Ostteiles der Balkanhalbinsel, besonders in den Donaulandschaften, die die römischen Kaiser daher sehr früh mit neuer Bevölkerung, vorwiegend Barbaren, zu besiedeln begannen [1]. Durch die Ansiedlung von Barbaren ersetzten sie einerseits die alte verschwundene Bevölkerung, andererseits hielten sie auf diese Weise die gefährlichen Barbaren in ihren Händen. Der Umstand selbst, dass im Verlauf von mehreren Jahrhunderten Barbaren im Ostteil der Balkanhalbinsel angesiedelt werden konnten, zeugt seinerseits vom Vorhandensein menschenleerer Länder. Bereits im Jahre 272 siedelte Kaiser Aurelian die besiegten Karpen dieseits der Donau an. Einige Jahre später 278 bekam ein Teil der in Illyricum und die Diözese Thrakien eingefallenen, aber besiegten Sarmaten, Goten und anderen germanischen Stämmen vom Kaiser Probus Sitze auf römischem Boden. In der Diözese Thrakien wurde im Jahre 280 eine grosse Anzahl, angeblich 10000, Basternen angesiedelt, die die römischen Gesetze übernahmen [2]. Zusammen mit ihnen wurden Gepiden, Greutungen und Vandalen angesiedelt, die sich gegen die Römer erhoben und grossen Schaden angerichtet haben. Sie wurden aber vom Kaiser Probus geschlagen [3]. Im Jahre 282 fielen in Illyricum Sarmaten ein, die vom Kaiser Carus besiegt und von denen 20000 auf römischem Gebiet angesiedelt wurden. In den verödeten Ländern der thrakischen Diözese siedelte Diokletian 290 die besiegten und gefangenen Saracinen an [4].

 

 

1. P. Charanis, Transfer 141 ff. und Demography 10-11

2. Zosim. 61, 19-21

3. Scriptores Hist. Aug. 18, 1-3

4. Ammian. 14, 4, 1-6; Paneg. Constantio 5, 21, dazu Betz RH 6 A 469

 

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Auf Verfügung desselben Kaisers Hessen sich in dem Grenzgebiet die besiegten und gefangenen Bastarnen, Sarmaten und Karpen 295-296 nieder [5]. Die Quellen teilen den Ort ihrer Niederlassung nicht mit. Das war aber aller Wahrscheinlichkeit nach das Donaugebiet. Ammianus Marcellinus [6] erwähnt 368 ein vicus Carporum in Scythia Minor, das wohl mit der genannten Niederlassung in Verbindung steht.

 

Die Ansiedlung der Barbaren diesseits der Donau setzten sich auch im 4. Jh. fort. Ein unbekannter Stamm bekam 303 Sitze irgendwo in Thrakien [7]. Konstantin der Grosse schlug 323 die von Rausimod geführten Goten und verteilte die Gefangenen auf die Städte [8]. Derselbe Kaiser erlaubte 334 den Sarmaten, Goten und anderen Stämmen, deren Zahl sich angeblich auf über 300,000 belief, sich in Thrakien, Skythien, Makedonien und Italien niederzulassen [9]. Die Bewohner einer Stadt des persischen Gebietes Adiabene siedelten 343 nach Thrakien über [10]. Besonders erwähnensewert ist aber die Niederlassung der sog. Gothi minores im Jahre 348. Aus religiösen Ursachen — sie waren Christen arianisches Bekenntnisses — siedelten sie sich, von ihrem Bischof Ulfila geführt, mit Erlaubnis der byzantinischen Regierung im Gebiet von Nicopolis ad Istrum in Berglandschaften am Fusse des Hämus an. Diese Goten waren eine arme landwirtschaftliche Bevölkerung, die bis zur Mitte des 6. Jhs. erwähnt wird. Um 561 gaben sie den Arianismus auf [11]. Die Niederlassung der Goten Ulfilas, die nach Jordanes sehr zahlreich (populus inmensus) waren, bezeugt einerseits, dass das Gebiet, wo sie sich ansiedelten, tatsächlich sehr entvölkert war, da sie sich dort niederlassen konnten, andererseits aber,

 

 

5. Eutrop. IX 24, 2; Oros. VII 25,12, dazu Patsch, Carpi in RE 3, 1606-1610

6. Ammian. 27, 5, 5

7. Lactant. de mort. 38, 6. Nach Schmidt, Ostgerm. 244 wahrscheinlich Karpen

8. Zosim. 85, 13-86, 13

9. Anonym. Vales. 6, 32

10. Liban. 18, 206 ff.,; 59, 77-86, vgl. Stein I 137, Anm. 36

11. Philostorg. 17, 3-18, 14; Jordan. Getica 127, 5-11, dazu Schmidt, Ostgerm.; Vetters, Dacia Ripensis 25; E.A. Thompson, The Visigoths in the time of Ulfila, Oxford 1966 (n.v.)

 

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dass sie nicht im Verlauf von über 200 Jahren trotz die nahen Nicopolis ad Istrum ihr Volkstum bewahrt haben, ohne sich zu romanisieren oder hellenisieren. Die römische bzw. griechische Kultur hat also aufgehört einen nenneswerten Einfluss auf dieses Gebiet ausserhalb der Stadtmauern auszuüben.

 

Nach dem Friedenschluss 382 blieben die meisten Westgoten, die mit der Erlaubnis des Kaisers Valens 376 die Donau überschritten, sich dann erhoben und den Byzantinern bei Adrianopel 378 eine vernichtende Niederlage beigebracht hatten, als Föderaten auf byzantinischen Reichsboden (s. hier S. 53). Im Jahre 401 verliessen sie unter der Führung von Alarich die Balkanhalbinsel und zogen nach Italien [12].

 

Das fremde ethnische Element spiegelt sich auch in den nicht zahlreichen Grabinschriften aus dem 4. Jh., auf die wir gestossen sind, wieder [13]. Das verraten nicht nur manche Personennamen wie Μάλχος (Beševliev, SpätIn. Nr. 8), Ζηνόβις (ebenda Nr. 210), u.dgl., sondern auch die ethnische Bezeichnung wie civis Ambianensis (ebenda Nr. 6), Ἀντιοχεύς (ebenda Nr. 210), Σύρος (ebenda Nr. 8) u.dgl., sowie die Verwendung des gotischen Wortes “brutus” statt nurus in zwei Inschriften aus Nord-Bulgarien [14].

 

Die Niederlassung der Barbaren diesseits der Donau dauerte auch im 5. und 6. Jh. an. Nach dem Tode Attilas 453, als das Hunnenreich zerfiel, siedelten sich Sarmaten, Zemandrer und ein Teil der Hunnen in Castra Martis, die Skyren, Sadagarier und manche Alanen aber, unter der Führung von Kandak, in Scythia Minor und Moesia Inferior an [15]. Die letzteren erhielten sich bis zur Mitte des 6. Jhs. Die Rugier und manche andere Stämme baten um die Erlaubnis zur Niederlassung in Bizye und Arcadiopolis.

 

 

12. Stein I 248; Vetters, Dacia Ripensis 35-38

13. V. Velkov, Zur Frage der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung in den Städten Thrakiens in der Spätantike, in: Neue Beiträge zur Geschichte der Alten Welt II, Römisches Reich, Berlin 1965, 267-280

14. Vetters, Dacia Ripensis 17 f.

15. ebenda 43. über die Sadagaren s. J. Harmatta, Das Volk der Sadagaren, in: Bibliotheca Orientalis Hungarica V, Budapest 1942-1947, 17-28

 

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Es kamen auch viele Hunnen auf den römischen Boden, unterwarfen sich dem Kaiser und bekamen dort wohl als Föderaten Wohnsitze.

 

Theoderich, der Amaler, wurde, nach dem Tode seines Vaters [16], Alleinherrscher der Ostgoten und liess sich als Föderate in einem Teil von Dacia Ripensis und Moesia Inferior mit dem Zentrum Novae nieder [17]. Seine Herrschaft erstreckte sich im Osten, wie es scheint, bis nach Marcianopolis [18]. Theoderich siedelte sich wahrscheinlich in dem selben Gebiet an, in dem Attila 447 von der Regierung in Konstantinopel verlangte, die Bevölkerung von dort zu entfernen (s. S. 55 ). Dieselben Orte haben auch die Hunnen vorher besiedelt (s. oben). Ihre alten Bewohner waren wahrscheinlich tatsächlich ausgesiedelt. Der Umstand, dass sich nicht weit von Novae im Inneren des Landes die Goten Ulfilas befanden (s. oben), spielte villeicht eine Rolle, als Theoderich diese Stadt als Zentrum seiner Herrschaft wählte. Der Fall Theoderichs stellt den ersten Versuch dar einen neuen Staat, wenn auch aus Goten-Föderaten, zwischen der Donau und dem Hämus innerhalb der Grenzen des Byzantinischen Reiches, zu gründen. In dieser Hinsicht erscheint er als Vorläufer des späteren Bulgarischen Staates. Im Jahre 488 wanderten die Ostgoten nach Italien aus. Nur ein kleiner Teil blieb als Föderaten im byzantinischen Dienst [19], auf der Balkanhalbinsel. Die gotischen Siedlungen, die man bei Ausgrabungen im Gebiet von Pleven, und zwar in Sadovsko kale, Golemanovo kale und in anderen umliegenden Orten, entdeckt hat, gehörten ihnen wahrscheinlich. Sie wurden in der Zeit der Awareneinfälle zerstört [20].

 

 

16. Vetters, Dacia Ripensis 44-45; Stein I 337; 356-357; II 10-15; 54-55

17. Marcell. Com. ad 483: Theodoricus rex Gothorum ... Ripensis Daciae partem Moesiaeque inferioris cum suis satellitibus pro tempore tenuit. Vgl. auch ad 487; Anonym. Vales. II 42 (12, 8-9); 49 (14, 16-18); Johann. Antioch., Exc. Insid. 138, 10-24

18. Malchus, EL 167, 16-18: ... αὐτὸν μὲν Θευδέριχον ἔδοξε κινήσαντα τὴν αὐτοῦ δύναμιν ἐν Μαρκιανοῦ πόλει τὴν πᾶσαν ἱδρυμένην εἰς τὸ εἴσω ἐλαύνειν.

19. Procop. Bella I 37, 7-8; II 83, 17 19

20. I. Welkov, Eine Gotenfestung bei Sadowetz (Nordbulgarien), in: Germania Jhrg. 19, April 1935, H.2, 149-158; Vetters, Dacia Ripensis 49-57

 

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Unter dem Kaiser Anastasios wurden Isaurier in Thrakien angesiedelt [21]. Nach Prokop [22] wohnten in Apros Langobarden und bekamen 2,000 Kutriguren in der Diözese Thrakien Wohnsitze [23].

 

Vom Vorhandensein fremder ethnischer Elemente im Ostteil der Balkanhalbinsel im 5 und 6. Jh. zeugen auch einige Grabinschriften aus dieser Zeit [24]. Eine Grabinschrift aus Tomi war zum Andenken von Αταλα υἱὸς Τζειουκ aufgestellt [25], der ein Bogenschütze (sagittarius) war. Beide Namen sind türkisch. Es handelt sich wohl um türkvölkische Föderaten. Zwei andere Grabinschriften wieder aus Scythia Minor erwähnen die Namen Gaionas (Tomi) [26] und Γιβαστης (Axiopolis) [27], die wohl den gotischen Föderaten gehören. Aus Odessos stammen zwei Grabinschriften [28], die auch germanische Personennamen z.B. Ρικιθας enthalten. In einer Grabinschrift aus einem unbekannten Ort (wahrscheinlich Nord-Bulgarien) steht der Name Alziola [29], der keltisch oder germanisch ist. In einer Grabinschrift von Serdica erscheinen die orientalischen Personennamen Casatecus und Sambation, deren Träger Soldaten eines Kastells waren [30]. Schliesslich zeigen mehrere Grabinschriften von Odessos, dass eine zahlreiche, blühende Kolonie von Kleinasiaten, vorwiegend Syrer, in dieser Stadt existierte, die hauptsächlich aus Kaufleuten, Handwerkern, Kürschnern, Reedern usw. bestand, und ihre Eingenart noch im 6. Jh. wohl dank dem ständigen Zuzug aus Kleinasien bewahrt hat [31].

 

 

21. Stein II 84

22. Bella II 636, 16-17

23. ebenda II 585, 20-586, 8; 636, 24 - 637, 2

24. V. Velkov, Zur Frage usw., s. hier Anm. 13

25. Netzhammer 104; Bărnea in Dacia I. 1957, 286

26. Netzhammer 106; Bărnea op. cit. 285

27. Netzhammer 121; Bărnea op. cit. 284 f.

28. Beševliev, SpätIn. Nr. 91, 92, 112

29. ebenda Nr. 246            30. ebenda Nr. 7

31. V. Velkov, Kleinasiaten und Syrer in den Balkangebieten während der Spätantike (IV.-VI. Jh.), in: Études historiques II, 1965, 19-31

 

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Die alte, durch Barbareneinfälle, Flucht in die grossen Städte, Naturereignisse, Seuchen u.dgl., stark reduzierte Bevölkerung Mösiens und Skythiens wurde durch die Barbarenansiedlungen in die Enge getrieben und verwaschen. Ihre Reste in den entlegenen Ortschaften wurden von den Wellen des slawischen Meeres am Ende des 6. und während des 7. Jhs. endgültig verschlungen oder ausgerottet. Die alte Bevölkerung, die griechisch sprach, hat sich nur in den grösseren Städten der Schwarzmeerküste wie Tomi, Odessos u.dgl. erhalten.

 

Als die Bulgaren im 7. Jh. das Land zwischen der Donau, dem Hämusgebirge und dem Schwarzen Meer in Besitz nahmen, fanden sie in diesem Gebiet griechische Geistliche vor [32]. Diese Tatsache zeugt ihrerseits davon, dass das romanische bzw. romanisierte Element bereits verschwunden war. Das bestätigt auch der Umstand, dass die Bulgaren ihre Inschriften nicht in lateinischer, sondern in griechischer Sprache verfasst haben, die nicht die Literatur-, sondern die Volkssprache, d.h. die Sprache der vorslawischen, Vorgefundenen Bevölkerung war.

 

 

32. Anastasii Bibliothecarrii Historiae de vitis Romanorum pontificum (PL 128) 634:

 

“Vicarii Orientalium patriarcharum Bulgaris dixerunt: Quando vos illam patriam cepistis, cuius potestatis subdita erat, et utrum Latinos an Graecos sacerdotes habuerit, dicite? Legati Bulgarorum dixerunt: Nos illam patriam a Graecorunt potestate armis evicimus, in qua non Latinos sed Graecos sacerdotes reperimus”.

 

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