Auxilius und Vulgarius. Quellen und Forschungen zur Geschichte des Papstthums im Anfänge des zehnten Jahrhunderts

Ernst Dümmler

 

V. BESCHREIBUNG DER BAMBERGER HANDSCHRIFT.

 

          - Gedicht an Papst Gregor V

 

 

Die Pergamenthandschrift der kön. Bibliothek zu Bamberg P III 20 (Cathedr. K 3) in gross Quart, als Miscellanea canonici iuris in dem Kataloge bezeichnet, wurde etwa gegen Ende des zehnten Jahrh. im unteren Italien, wie Inhalt und Schrift bezeugen, geschrieben. Sie besteht aus 115 Blättern, von denen jedoch nur 114 beziffert, eines zwischen f. 91 und f. 92 aus Versehen übersprungen worden ist. Der Codex erhielt, wie die übrigen Handschriften des Bamberger Domkapitels, im J. 1611 einen neuen schönen Schweinslederband mit rothem Schnitt, wodurch leider eine Anzahl Randglossen verstümmelt wurden. Er ist im übrigen sehr wohl erhalten und nur an wenigen Blättern (zumal f. 12, 13) wurmstichig. Das Pergament ist fast durchgängig gleichmässig stark und weiss, einige Blätter, wie f. 7, 10, 11 von etwas dünnerer Beschaffenheit.

 

Das Ganze besteht aus folgenden einzelnen Stücken:

f. 1 Vorsatzblatt mit der Ueberschrift De X Cordis [1] beginnt pinquante magis ac magis — iudica causam tuam Bruchstücke aus einer Streitschrift des Auxilius; 8 Zeilen mit der Ueberschrift Concilio niceni. Cum omnes apostoli — ordine sacre tonsure, f. 1' Dixit iustinianus. Non permittat dominus quod absit 23 Z. — et iterum Nolite tan —

f. 2 Gedichte, die Ueberschriften hier wie bei den folgenden roth, aber in Kursivschrift; Metrum adonium: Taliter inquam Rex animarum — Nosque redemit; Metrum paremiacum: O quam lacrimabile gestum — munera sumpsit, Metrum colophon: Deus et homo — ueneranda figura; Metrum pheregratium: Hoc signo ruit umbra — aufugit acta. In der Mitte dieser vier kleinen zusammengehörigen Gedichte ein Akrostichon in Gestalt eines schrägen Kreuzes,

 

 

(1) So lautet der Titel des neunten Sermo des h. Hieronymus.

 

 

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dessen vier mittelste und äusserste Buchstaben das Wort Crux ergeben, mit der Ueberschrift Eugenii Uulgarii; nochmals Eugenii Uulgarii crux ein gerade stehendes Kreuz; Eiusdem pyramida ad leonem imperatorem, f. 2' folgt die Pyramide selbst, aus 6 Hexametern aufgebaut, in denen durch Roth die Worte Aue cesar leo hervorgehoben sind, daneben Pyramidae expositio: Liquet orbem tripertitum unius imperii dominio unitum esse —

f. 3 siui glorioso subderet imperio; eine zweite Erläuterung mit der Ueberschrift Aliter: Triangula figura in alias figuras non resoluitur — f. 3' in medio octauum decimum; Ad eundem metrum anapesticum isosyllabum; Metrum asclepiadeum ad eundem —

f. 4; Metrum adonium ad eundem; Eiusdem de deo omnipotente: Rex erat unus in arce potens — Credo per omnia secla deum; De syllogismis dialecticae (danach 3 leere Zeilen); De thesin et ypothesin, beginnt f. 4' Est fandi uertex, cui forma subest quoque duplex — Personis quae fit certis causisque priuatis 20 Verse; ipotheticali: Si sol est et lux est — At non sol est igitur lux, Beispiele von Schlüssen, Ad atenolfum principem beneuentanae urbis, füllt

f. 5 aus; f. 5' ist leer geblieben,

f. 6 Apocatasticus dicitur uno loco consistens — f. 6' iuxta uarias qualitates boni malique fortunii, astrologische Betrachtungen, in denen Martianus autem doctissimus vorkommt; Ad ioliannem leuitam —

f. 7; Digestio sermonum; Ad gregorium consulem; Interpretatio sermonum; ohne Ueberschrift 2 Hexameter Si verum simile aut uerum — f. 7' probabile quondam; Sermonum interpretatio: Si coniunctio negatiua — quondam pro semper, grammatisch; Ad gregorium magistrum militum; Sermones interpretati: Quis pro qualis et pro quantus — leget et cetera; Caput de differentia calcis: Cals per s de calce —

f. 8 in calce id est in fine; Eugenius: His dictis gallum — ad hirna sacra; Petronius arbiter: Iam alumna creperam — unde crepusculum; Species comice anacreunticum coloplion.

f. 9; Saphicum adonium —

f. 10; Metrum parhemiacum tragicum — f. 10'; In laudem filii dei —

f. 11; Usque in quibus locis ante diluuium uenerint; Sermonum interpretatio f. 11' Glisco gliscis id est uigilo — regulariter non corrumpitur e.

f. 12 Gedicht zu Ehren des Papstes Sergius aus 34 Hexametern bestehend, der erste Rector terrarum rerum mentis moderator kehrt zugleich als siebzehnter und als letzter wieder,

 

 

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ausserdem wird er durch die Anfangsund die Endbuchstaben sämtlicher Verse gebildet; dsgl. von oben nach unten durch die mittelsten Buchstaben und noch zweimal durch die Diagonalen des in ein Quadrat eingeschlossenen Gedichtes, f. 12' Gedicht zu Ehren desselben Papstes in 10 Hexametern: die Anfangsbuchstaben ergeben Salue Sergi, die mittleren papa, die Endbuchstaben Summe rerum, jeder folgende Vers rückt in seiner Länge um einen Buchstaben über den vorhergehenden hinaus. Eine doppelte Erläuterung in etwas kleinerer Schrift schliesst sich an: Denique quia instar organici psalterii —

f. 13 quod supra scripta formula clarius monstrat. Nach einer leeren Zeile ohne Ueberschrift Roma caput mundi, die einzelnen Verse mit rothen Anfangsbuchstaben, f. 13' Christe preces intellege, dann nach einer leeren Zeile Salue papa noster salue Rhythmen mit übergeschriebenen Neumen, beides von einer andern Hand als das vorhergehende hinzugefügt, die Schrift ist sehr verblasst und gegen den vorderen Rand der Seite hin so abgerieben, dass manche Worte ganz verschwunden sind, andere nur errathen werden können. Dieses wahrscheinlich im J. 998 entstandene Gedicht [1] beweist, dass die übrige Handschrift vor diesem Zeitpunkte geschrieben worden sein muss. In dem bisher beschriebenen Theile des Codex sind f. 1, 6 und 13 von einer ganz anderen Hand als der Rest, mit blässerer Tinte und andern Abkürzungszeichen geschrieben, fügen sich aber dennoch vollständig in den Zusammenhang ein.

 

Der zweite und Haupttheil des Codex beginnt f. 14, dessen vordere Seite als Schmutzblatt dienend 2 Bruchstücke enthält: gere christos meos et in prophitis meis, nölite malignari — infidelis nec iustis cum iniustis, danach die Buchstaben U C. L. U. L. D und et ad scelera — iudica causam tuam, ein kleineres Stück des auf f. 1 enthaltenen, f. 14' beginnt mit den Worten Quis dabit capiti meo die erste ungedruckte Streitschrift für die Weihen des Papstes Formosus ohne Ueberschrift, die im Ganzen bis f. 43' reicht,

 

 

(1) Gregor V, an den es gerichtet ist, wurde Papst 3. Mai 996, krönte Otto III zum Kaiser 21. Mai und starb 18. Febr. 999. An den zweiten Römerzug Ottos im J. 998 möchte ich bei dem Gedichte deshalb lieber denken, als an den ersten, weil erst auf  jenem Gerbert die rechte Hand des Papstes heissen konnte, dessen Reformbestrebungen überdies immer kräftiger hervortraten ; vgl. Giesebrecht deutsche Kaiserzeit I, 704—710.

 

 

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so zwar, dass f. 31' der erste Theil endet, fol. 32 ebenfalls ohne Ueberschrift Ut iam dudum in priori der zweite beginnt, dessen Anfang wie der des ersten durch eine grössere bunte Initiale hervorgehoben ist. Kapitel sind nicht hinzugefügt, nur durch ein Zeichen am Rande F und dem entsprechend durch einzelne rothe Buchstaben im Texte sind Abschnitte und namentlich längere Citate hervorgehoben. Bis f. 23' ist die Schrift ziemlich weitläufig und finden sich nur 23 Zeilen auf der Seite, von f. 24 an wird sie enger, so dass 28 Zeilen auf der Seite Platz gewinnen, f. 27' ist bis auf 3 Zeilen leer geblieben. Von f. 28 au enthält die Seite bis f. 37 wieder 23 oder 24 Zeilen, um sodann bis zuletzt auf 25 zu steigen. Auf f. 43' befindet sich dicht unter dem Schlüsse ohne Beachtung des Randes mit ganz kleiner Schrift, die sehr verblasst und hie und da fast erloschen ist, eine historische Notiz über die Päpste von Johann VIII bis auf Sergius III.

 

Unmittelbar darunter mit rotlier Schrift Incipit libellus in defensionem Stephani episcopi et praefatae ordinationis, der Text dieser Schrift reicht von f. 44 bis 59, grösstentlieils mit etwas gelblicherer und hellerer Tinte geschrieben, als das vorhergehende, 24 Zeilen auf der Seite, ebenfalls ohne Kapitel, doch sind Absätze und zumal Citate durch ein R am Rande hervorgehoben. Auf f. 59 schliesst sich mit wenig kleinerer Schrift das Schreiben Rodelgrims und Guiselgards an, auf der Rückseite ziemlich verblasst, doch noch leserlich.

 

f. 60 ist vorn leer geblieben, auf f. 60' folgt ohne Titel die Praefatiuncula: Prudens lector haec de scripturarum — posse non dubium est, dann Incipiunt capitula, im Ganzen 43 bis auf f. 62, hierauf beginnt f. 62' der Text Ablatio ex decretali epistola antherii papae bis f. 87'. Die Ueberschriften der Kapitel sind roth, jedes einzelne durch eine schöne bunte Initiale geziert. Auf der Seite stehen 23 bis 25 Zeilen. Auf f. S8 fängt mit der Ueberschrift Eugenii Uulgarii ohne vorangeschickte Kapitel der Text einer neuen Streitschrift an Regnante domino nostro ihesu christo bis f. 101'. Die Kapitelüberschriften roth, Initialen viel kleiner als in der vorhergehenden Schrift, Zeilenzahl ebenso. Auf f. 101' schliesst sich nach einer leeren Zeile an Incipit generale synodum de restauratione domni Formosi papae quae facta est apud Rauennatium urbem, c. 1 Sinodum tempore piae, 6 Kapitel bis f. 102'

 

 

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apostolica auctoritate sancimus, gedruckt als römische Synode bei Mansi coli, concilior. XVIII, 223, wo jedoch 12 Kapitel.

 

Mit f. 103 beginnt ein neuer Theil der Handschrift. Die Vorderseite ist leer geblieben, auf der Rückseite folgt Uulgarii in defensionem formosi papae (roth) dann Eugenius Uulgarius Petro diacono fratri et amico. Petis a me responderi super formosiana ca lamitate bis f. 110' igitur inest diuersitas, in 2 Kolumnen, mit je 22 Zeilen, am Rande kurze Bemerkungen, die auf den Inhalt hinweisen z. B. f. 108 Argumentum a persona, unter andern Titel und aus einer andern Handschrift herausgegeben von Mabillon (Analecta vetera p. 28—31). [1] Ohne Absatz schliesst sich auf f. 110' an Ad sergium papam eiusdem, f. 111 Ad eundem uersus; Metrum pheregratium ad eundem; Ad eundem metrum saphicum; f. 111' Ad eundem metrum parhemiacum; Epistolae superscriptio; epistola ad eundem — f. 113; eiusdem ad uitalem episcopum. Ueber dem letzten Briefe ist ein Bild gezeichnet: die Figur eines Priesters, der neben einem Altare stehend seine Arme bittend gegen die Sonne ausstreckt — f. 113'; Ad eundem uersus; Eiusdem ad theodoram — f. 114'; Eiusdem ad benedictum monachum; Metrum iambicum ad petrum salerne urbis episcopum; Boetii.

 

Ein Blick auf die äussere Beschaffenheit lehrt, dass f. 14—102 der Handschrift ursprünglich für sich ein Ganzes bildeten, da die Schrift durchweg eine sehr ähnliche ist, so dass sie, wenn nicht von Einem, so doch von einigen sich nahestehenden Schreibern herrührt. Zwischen dem ersten (f. I—13) und dem letzten (f. 103—114) Theile des Codex aber, der sich von dem Haupttheile durch kleinere Schrift unterscheidet, waltet insofern eine innere Uebereinstimmung ob, als die Hand, welche das letzte Stück durchgehends geschrieben hat, wenigstens auf f. 2—5 mit voller Sicherheit wiedererkannt wird und auf 2, 3' und 4 ebenso wie dort die Seite in 2 Columnen spaltet. Die schlechte Beschaffenheit von f. 13' sowie die Einfügung eines jüngeren Gedichtes gerade an dieser Stelle erklärt sich daraus, dass hiermit früher eine Handschrift geschlossen haben muss, während andrerseits die Vorderseite von

 

 

(1) Die von mir angeführten Stellen dieser Schrift habe ich sämtlich nach unserem Codex berichtigt, da Mabillons Abdruck zwar nicht schlecht, aber keineswegs ganz fehlerfrei ist.

 

 

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f. 14 deutlich als Schmutzblatt gedient hat. In dem Mittelstücke sind die Initialen mit bunten Farben ausgemalt, in den beiden andern Abteilungen nur vorgezeichnet und höchstens hie und da mit einigem Roth verziert. Zwei an Umfang sehr ungleiche Handschriften sind also hier in der Weise vereinigt, dass die kleinere von beiden zerstückt und wahrscheinlich gerade ihre zweite Hälfte vorangebunden worden ist. Aus der Gleichartigkeit des Inhaltes — denn der grössere Codex enthält bereits eine Streitschrift des Eugenius Vulgarius, der kleinere die andere sowie Briefe und Gedichte desselben — sowie aus der der gleichen Zeit angehörigen Schrift, lässt sich jedoch schliessen, dass beide von Anfang an zusammengehört haben und auch wohl lange vor ihrem jetzigen Einbande zusammengebunden waren. Durchweg ist durch senkrechte Linien ein innerer und äusserer Rand, bei den zwiefachen Columnen auch noch ein mittlerer gegen die Schrift abgegrenzt. Als Interpunktionen erscheinen ·,· statt des Punktes, ferner . oder . / letzteres dem Comma entsprechend. Fragezeichen kommen nur einige Male vor, meist ist die Frage durch ein über das erste Wort des Satzes, namentlich des fragende Pronomen gesetztes 2 angedeutet. Ueber dem e und 0 steht häufig ein Längezeichen ( ^ ) und beim Beginne des Satzes oft, aber nicht immer grosse Buchstaben. Das æ wird überall durch ein geschwänztes e wiedergegeben, das nur äusserst selten für ein e steht, für b ist mehrmals fälschlich u geschrieben (z. B. uestia, uasis, siui , in zusammengesetzten Worten wird statt b vor t stets p gesetzt, d ist in solchen Fällen überall mit dem folgenden m assimiliert, also ammodum (wofür nur einmal admodum verbessert ist), amministrare und sogar ammittere. Für connectere dagegen steht conectere u. s. w. Dies beweist, ebenso wie die Züge der Schrift (die mit dem Cassineser Codex des Widukind sowie mit der Urhandschrift des Leo von Ostia grosse Aehnlichkeit [1] hat), für die italienische Heimat des Schreibers. Frühzeitig aber muss der Codex über die Alpen nach Bamberg gewandert sein, denn in dem von Ruotger unter dem Abte Wolfram von Michelsberg (1112—1123) entworfenen Kataloge

 

 

(1) Diese Aehnlichkeit würde gut zu dem oben (S. 30) vermuteten Zusammenhange des Auxilius mit Monte Cassino passen.

 

 

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findet sich bereits De Formosiana Calamitate lib. I (Schanuat vindemiae litter. I, 51), eine Angabe, die wohl unzweifelhaft auf unsere Handschrift zu beziehen ist. Es ist hiernach nicht unwahrscheinlich, dass entweder K. Heinrich II selbst dieselbe etwa von seinem dritten Römerzuge mitgebracht oder dass schon Otto III sie besessen, aus dessen Nachlass sie dann Heinrich nebst andern Büchern seiner Lieblingsstiftung schenkte. [1]

 

Nachdem der Codex später, und zwar jedenfalls · vor 1611, ebenso wie der Richers aus dem Besitze der Michelsberger Benediktiner in den des Bamberger Domkapitels und von diesem 1803 an die königliche Bibliothek übergegangen war, blieb er dort lange unbeachtet hegen. Die Erwähnung, die Jäck in seiner Beschreibung (S. 141 N. 1120) der Handschrift im J. 1831 zu Theil werden Hess: Stephani sancti (!) in defensionem libellus, konnte über den wirklichen Inhalt derselben nur gänzlich irreführen; in seinen Schriftmustern berücksichtigte er sie nicht. Erst als im J. 1846 Conrad Rosshirt die Bamberger kanonistischen Handschriften durchmusterte, fiel ihm auch die unsrige in die Hand; er entdeckte darin auf den ersten Blick „sehr viele pseudoisidorische Stellen“ und fügte bei einer kurzen Notiz in den Heidelberger Jahrb. für Liter. (39. Jahrgang 1846 S. 903) [2] die richtige Bemerkung hinzu: „eine Handschrift, die man erst durch und durch untersuchen muss.“ Dieser Wahrnehmung leistete er keineswegs hinlänglich Folge, als er den Codex nach Heidelberg zur Benutzung erhalten und den Ertrag desselben 1849 in seiner Schrift „Zu den kirchenrechtlichen Quellen des ersten Jahrtausends und zu den pseudoisidorischen Decretalen“ veröffentlichte. Ausser einer ganz flüchtigen und ungenauen Beschreibung des Codex (S. 17—19) wurden daselbst einige Stücke aus der ersten unbetitelten Streitschrift, d. h. meist nur die darin enthaltenen Citate (f. 19'—24) abgedruckt (S. 20—26), sodann unvollständig der Brief Rodelgrims und Guiselgards (S. 27), endlich und hauptsächlich die dritte Streitschrift (f. 60'—85),

 

 

(1) Vgl. über die Herkunft der Bamberger Handschriften Giesebrecht Gesch. der deutschen Kaiserzeit 3. Ausg. J, 846, 870, II, 592—93, Hirsch Heinrich II, II, 102—112.

 

(2) Besonders abgedruckt: Von den falschen Decretalen und von einigen neuen in Bamberg entdeckten Hand sehr., Heidelberg 1847.

 

 

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doch unter Weglassung des Schlusses (S. 63—90). Alle diese Stücke, besonders die ersteren beiden, wimmeln von den gröbsten und sinnlosesten Lesefehlern, die wohl nicht so sehr aus Nachlässigkeit als aus Unkenntnis der Schrift entsprangen. [1] Dieser Art der Veröffentlichung entsprachen die darauf gebauten Schlüsse. Obgleich Kosshirt wohl erkannte, dass unser Codex auf die Zeit des Papstes Formosus (891—896) hinwiese, so hielt ihn dies dennoch nicht ab, darin eine Quelle für den um ohngefähr ein halbes Jahrhundert älteren Pseudoisidor zu entdecken. Und zwar sollen die darin vorkommenden pseudoisidorischen Stücke aus griechischen Chroniken geschöpft sein, welche jene päpstlichen Dekretalen bereits aufgenommen hatten (S. 20, 52, 57). Der Beweis dieser ganz erstaunlichen Behauptung wird theils in einer Stelle der Vorrede Pseudoisidors (c. 2 p. 17 ed. Hinschius) gesucht, in der aber nur von den Akten der griechischen Synoden und ihren unter einander abweichenden lateinischen Uebersetzungen die Rede ist, [2] theils in dem Umstande, dass eben unser Codex sich „gewöhnlich“ oder „überall auf griechische Chroniken“ bezieht. Worin aber bestehen diese vielversprechenden Beziehungen? Darin, dass dreimal in drei verschiedenen Streitschriften (f. 24, 48, 63') eine und dieselbe Stelle aus der bekannten Chronographie des Theophanes übersetzt wird, um darzuthun, dass am 11. Aug. 715 unter K. Anastasius II der Bischof Germanus von Cyzikus als Patriarch nach Konstantinopel versetzt wurde. Wenn somit dies ganze Gebäude zusammenstürzt und für die Entstehung Pseudoisidors sich gar nichts aus dem Bamberger Codex ergibt, so bemerkte überdies noch Richter (Lehrb. des Kirchenrechts 5. Aufl. S. 7 7), dass die von Rosshirt als neu herausgegebene Streitschrift das bekannte schon von Morinus, Mabillon u. a. edierte Werk des Auxilius de ordinationibus sei. Dieser wohlbegründeten Berichtigung ist allerdings hinzuzufügen, [3]

 

 

(1) Für quoniam setzt R. regelmässig quum, für uel häufig et oder ut u. s. f.; oft sind Worte ausgelassen, die er nicht lesen konnte. In seiner ersten Mittheilung (S. 906) führt er schon eine Stelle aus dem Codex (f. 54) fehlerhaft an, die nichtsweiter als ein Satz aus der Vorrede Pseudoisidors ist.

 

(2) Dies bemerkte schon Weizsäcker (die pseudoisidorische Frage in v. Sybels Zeitschr. f. Gesch. III, 47).

 

(3) Hierauf hat Wasserschieben aufmerksam gemacht, in dem Art. Pseudoisidor (Herzogs Realencyklopädie XII, 339).

 

 

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dass unser Codex eine um sechs Kapitel erweiterte Redaktion jener Schrift darbietet.

 

Unter den berührten Umständen konnte Rosshirt von dem Funde, welchen er zuerst gemacht, wenig Ruhm ernten, sein Verdienst an der Sache wurde durch die schlechte Ausbeutung des entdeckten Schatzes fast aufgehoben, ja der Codex musste durch ihn geradezu in Miskredit kommen. Mich hat zunächst nicht seine Publikation darauf hingelenkt, sondern mein Kollege Paul Hinschius, der die Handschrift für seine kritische Ausgabe Pseudoisidors berücksichtigt und sich die ungedruckte Schrift des Eugenius Vulgarius daraus abgeschrieben hatte. Nachdem mir durch eine genaue Untersuchung des gesamten Inhaltes klar geworden war, dass derselbe für die Entwickelung des Kirchenrechtes zwar ohne erhebliche Wichtigkeit, desto werthvoller aber für die römische Kirchengeschichte und die gelehrte Litteratur Italiens zu Anfänge des zehnten Jahrhunderts sei, beschloss ich nach diesen Gesichtspunkten alles ungedruckte, so weit es irgend Interesse bieten konnte, vollständig herauszugeben. Die längeren Citate aus bekannten und gedruckten Autoren schloss ich, um Raum zu sparen, in der Regel aus: ich habe sie jedoch überall nachgewiesen und die meist sehr beträchtlichen Abweichungen der Handschrift (B) von den Drucken unter dem Texte bemerkt. Von dem geistigen Eigenthume der Verfasser selbst ist durchaus nichts verkürzt worden. Bei den Anführungen aus Pseudoisidor habe ich nur die Abweichungen von der Bamberger Handschrift desselben nach der von Hinschius mitgetheilten Vergleichung angegeben. [1]

 

Im Anschlüsse an unsere Mittheilungen aus dem Bamberger Codex lasse ich noch einige Stücke verwandten Inhaltes aus der

 

 

(1) Diese Bamberger Handschr. des Pseudoisidor P I 8, beschrieben von Hinschius (Decretales Pseudo-lsidorianae p. XLIV, Doves Zeitschrift für Kirchenrecht III, 1, 126) aus dem 10. Jahrh. enthält nach einer Privatmittheilung desselben auf f. 141—146' ebenfalls die Schrift des Auxilius de ordinationibus, die ohne Ueberschrift, Vorrede und Inhalt sogleich mit der Ablatio ex decretali Antherii papae beginnt. Der Umfang ist derselbe wie in den Ausgaben, doch werden die einzelnen Kapitel nicht gezählt und in c. 40 sind einige Lücken. Zwei eigenthümliche Zusätze dieser Handschrift hat Rosshirt (S. 63, 66) mitgetheilt. Die Hand ist die nämliche wie in den vorangehenden Dekretalen.

 

 

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Handschrift der Merseburger Dombibliothek Nr. 104 in klein Quart aus dem zehnten Jahrhundert nachfolgen. Inmitten einer Kanonensammlung, von der sowohl am Anfänge, wie am Schlüsse mehrere Blätter fehlen (vgl. darüber Waitz in Pertz Archiv VIII, 668) finden sich auf f. 47 und 4S 3 Synodalschlüsse Johanns VHI über den Bischof Formosus von Porto, welche Emil Ludwig Richter in dem Marburger Prorektoratsprogramm vom 10. Sept. 1843 (p. 4—8) zum erstenmale herausgegeben hat. Bei der grossen Seltenheit dieses Abdruckes (dessen Besitz ich ebenfalls nur der Güte des verewigten Herausgebers verdanke) schien es angemessen, die drei Aktenstücke nach nochmaliger genauer Vergleichung der leider arg verwahrlosten Handschrift hier anzuschliessen, obgleich sich gegen den Werth derselben gewichtige Bedenken erheben. Schon Hefele (Conziliengesch. IV, 517) machte darauf aufmerksam, dass unter den 35 (vielmehr 36) Bischöfen, die das Verdammungsurtheil zu Troyes unterschreiben, sich eine Reihe entschieden falscher Namen befindet. [1] Das Datum des 14. September lässt sich schwer mit den Angaben der andern Quellen vereinigen, wonach wir diesen Beschluss der Synode schon in den August setzen würden. Auffallend ist auch, dass der König Ludwig als Veranstalter der Synode erscheint und dieselbe in erster Linie unterschreibt, sowie dass die zu Ponthion im Sommer 876 wiederholte Verdammung des Formosus völlig mit Schweigen übergangen wird. Wenn aber einmal das dritte Stück Argwohn erregt, so müssen wir auch die beiden ersten mit um so grösserer Vorsicht prüfen. Da ist es denn allerdings sehr befremdlich, dass, während im Uebrigen der Synodalschluss vom 19. April grösstentheils wörtlich mit dem Briefe Johanns VIII vom 21. April über dieselbe Synode überein stimmt, in jenem dem Bischof Formosus eine letzte Frist von zwei Monateil,

 

 

(1) Erzb. von Vienne war damals Otram nicht Bennom (Bernoin ?), B. v. Paris nicht Heldebold, sondern Engelwin († 884 , B. v. Chartres Gislebert nicht Aimo, B. v. Troyes Otulf nicht Bodo, B. v. Macon Lantbert statt Berner, B v. Nevers Abbo nicht Emino (Mansi coli. conc. XVII app. 188), Erzb. v. Tours Adalard nicht Everard, B. v. Limoges Anselm nicht Isaak, B. v. Angers Dodo nicht Arnald, B. v. Senlis Hadebert nicht Herpoin, B. v. Beauvais Odo nicht Honorat, B. v. Laon Iledenulf nicht Dido, B. v. Langres Isaak († 880) nicht Gaido, B. v. Verdun Berard nicht Atto. Viele von den Namen sind offenbar entstellt, aus dem Erzbischof von Tours ist ein Bischof gemacht.

 

 

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in diesem dagegen nur von 20 Tagen zugestanden wird. Die zweimonatliche Frist passt zwar recht gut zu der zweiten Synode der Merseburger Handschrift vom 30. Juni, steht aber mit dem unzweifelhaft echten Schreiben des Papstes in unlösbarem Widerspruche. [1] Jene zweite Synode in der Peterskirche, von der wir sonst freilich nichts wissen, würde an sich nicht unglaubhaft sein, wenn sie nicht in so verdächtiger Gesellschaft aufträte. Ich wage hiernach nicht, von diesen Aktenstücken weiteren Gebrauch zu machen, die vielleicht ein späterer Gegner des Formosus mit Benutzung echter Quellen als Belege seiner Verurtheilung angefertigt hat.

 

* * *

 

          (Gedicht an Papst Gregor V)

 

Als Anhang zu der Beschreibung des Bamberger Codex lasse ich hier sogleich die auf f. 13' enthaltenen Verse auf Gregor V und Otto III folgen, weil sie mit dem übrigen Inhalte keinen Zusammenhang haben. Die nur unsicher gelesenen oder bloss errathenen Buchstaben sind durch kursive Schrift hervorgehoben.

 

Christe preces intellege, Romam tuam respice, (f. 13')

Romanos pie renoua, Uires Romae excita.

Surgat Roma imperio, Sub Ottone tertio!

 

Salue, papa noster, salue, Gregori dignissime

Cum Ottone te augusto Tuus Petrus excipit.

Coniunctis ad sublimia Ipse te humilia.

E domo sponsae exiens, Sicut sponsus rediens

5 Antiqui patris munera Repetis quam dulcia

S . . . . . . . . . firmius Ut fidelis filius. Christe.

 

Sanctum Petrum sequeris, Laudes Petri erigis

Romana iura recreas, Romae Romam reparas

 

 

(1) Darauf wies bereits Richter (a. a. O. p. 5 n. 24) hin, ohne einen Ausweg vorzuschlagen. Das Schreiben Johanns (Mansi XVII, 236, J. 2270), dessen Abweichungen ich unter dem Texte angebe, müsste jedenfalls dem Fälscher Vorgelegen haben, der auch von der Verurtheilung zu Troyes Kunde erhalten hatte, sowie von dem Inhalte des dort geleisteten Eides.

 

 

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. . . . . . . . . to effici Gloria imperii

10 . . . . . . . to ualeat, Semper bene habeat.

Qui (a) Galliae te abstulit Teque Romam attulit

. . . . . fecit maximum, Inaltauit brachium. Christe.

 

. . . . . . . . . os in ecclesiis In sanctis monasteriis

Tu es magister omnium, Tu componis populum

15 . . . . . . . . . reddis uarias . . . . g . . s soluis animas.

. . . . . . rat Otto tercius Peruigil et strenuus,

Qui (b) secundum apostolum Curam habet corporum.

Ad salutem peccantium Fert inimicum gladium. Christe

 

S . . . . . . . . . a Antiochia Te colit per omnia

20 Antiqua Alexandria Tibi currit anxia

. . . . . . . . . ecclesiae Sunt in tua serie.

Babilonia ferrea Et aurata Graecia

Ottonem magnum metuunt Collis flexis seruiunt.

Mundo . . . . . . . er imperat, Quem rex regum liberat. Christe

 

25 Exulta papa nobilis Maiestatê nominis

Sedem primam condecoras Sedulo (c) iam releuas

Tua claret prudentia In Gerberti dextera.

Gaude papa, gaude caesar, Gaudeat ecclesia

Sit magnum Romae gaudium, Iubilet palatium.

30 Sub caesaris potentia Purgat papa secula. Christe

 

Uos duo luminaria Per terrarum spacia

Illustrate ecclesias, Effugate tenebras

Ut unus ferro uigeat, Alter uerbo tinniat.

S . . . s . . . a domne erige, Agnum dei prospice

35 Te deus fecit maximum Et Petri auxilium

Quos in tua gloria Habe in memoria. Christe.

 

 

(a) cui B.

(b) cui B.

(c) sedulam B.

 

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