Auxilius und Vulgarius. Quellen und Forschungen zur Geschichte des Papstthums im Anfänge des zehnten Jahrhunderts

Ernst Dümmler

 

II. DIE FORMOSIANISCHE STREITFRAGE.

 

 

Die Absicht der zu Gunsten des Papstes Formosus verfassten Streitschriften, die insgesamt erst zehn bis fünfzehn Jahre nach seinem Tode entstanden, richtet sich nicht vorzugsweise darauf, sein von den Nachfolgern verunglimpftes Andenken zu reinigen, sondern vielmehr seine durch die Synode Sergius III kassierten Weihen in ihrer Geltung aufrecht zu erhalten. Zur Unterstützung dieses unmittelbaren und praktischen Zweckes musste jedoch nothwendig die Persönlichkeit und apostolische Würde des Formosus in Schutz genommen werden. Eines hieng hier vom andern ab, wiewohl auch für den Fall, dass Formosus nicht rechtmässiger Papst war, sich vieles für die Geltung seiner Weihen sagen liess. Die beiden eben angedeuteten Hauptpunkte der Streitsache zerfielen wieder in eine Reihe einzelner Fragen, durch deren Entscheidung das Gesamturtheil bestimmt wurde.

 

Die Rechtmässigkeit der Wahl des Formosus zum römischen Bischöfe wurde von den Gegnern bestritten, weil er von Johann VIII zur Laienkommunion erniedrigt worden, weil er demselben in Bezug auf seine Verbannung und sein Verbleiben in dem Laienstande einen Eidschwur geleistet, den er später offenkundig gebrochen habe, weil er endlich sein Bisthum Porto widerrechtlich mit dem römischen vertauscht habe. Die beiden ersten Schwierigkeiten liessen sich leicht aus dem Wege räumen, denn abgesehen davon, dass gegen die Gerechtigkeit der von Johann ausgesprochenen Verurtheilung sich ernste Bedenken erhoben, [1] so war es auch gewis,

 

 

(1) Auxilius versucht namentlich die Flucht des Formosus aus seinem Bisthum durch das Beispiel des h. Athanasius zu rechtfertigen, er vermisst bei seiner Verurtheilung die gehörige Vorladung und Frist, ganz besonders aber macht er zu seinen Gunsten die exceptio spolii geltend, alles dies freilich nach Pseudoisidor.

 

 

19

 

dass der Papst Marinus den abgesetzten Bischof von Porto in seine frühere Würde wieder eingesetzt und von seinem Eide losgesprochen hatte. Unstreitig besass er als Papst das Recht zu lösen, wie Johann nicht minder das zu binden besessen hatte und von einem Meineide konnte also keine Rede mehr sein. [1] Ueberdies liess sich auf jenen erzwungenen Eidschwur eine Bestimmung Pseudoisidors anwenden, wonach derartige durch die Angst erpresste schriftliche Bekenntnisse der Bischöfe durchaus wirkungslos sein sollten. Viele Beispiele lehrten, wie auch frühere Päpste rechtmässig abgesetzte Bischöfe ebenso rechtmässig wieder eingesetzt hatten.

 

Beiweitem schwerer als diese beiden, wog der dritte Einwand in Betreff des üeberganges von einem Bisthum zum andern und zwar aus ehrgeiziger Absicht und hierauf vorzüglich fusste die Verurtheilung des Formosus. [2] Das Konzil von Nicäa (c. 15) sowie das dritte karthaginiensische Konzil (c. 38) hatten solchen Weehsel schlechtweg verböten, die Synode von Sardika (c. 1, 2) denselben zur Strafe der Ehrsucht mit Ausstossung aus dem geistlichen Stande und sogar mit Versagung der Laienkommunion bis zum Tode [3] bedroht, Papst Leo I endlich Verlust der bischöflichen Würde darauf gesetzt. Diesen klaren und zweifellosen Autoritäten entsprach in der That wohl noch die vorherrschende rechtliche Ueberzeugung des neunten Jahrhunderts. Papst Nikolaus versagte deshalb die Erhebung des Bischofs Formosus zum bulgarischen Metropoliten, Johann VIII citierte auf der Synode zu Troyes ausdrücklich jene älteren Kanones als Normen, [4] die Wahl des Papstes Marinus, der vorher schon Bischof war, wird von dem fuldischen Annalisten als

 

 

(1) Auxil. inf et def. c. 32 p. 51) lässt dies auch den Gegner zugeben : sicuti papa Marinus eumdem Formosum de iuramento, quod inuitus dederat, soluere potuit etc.

 

(2) Sergius bezieht sich in dem Briefe an Amelius auf diesen Punkt allein, dgl. Liudprand (antap. I c. 30): Cum Portuensis esses episcopus, cur ambitionis spiritu Romanam uniuersalem usurpasti sedem?

 

(3) Wenn Auxilius (de ordinat, c. 11, 12) diese beiden Kapitel als Synodalschlüsse nicht will gelten lassen und sie nur dem Bischof Hosius von Cordova zuschiebt, so befindet er sich, wie Joh. Morinus (Comment. de sacris ordinationib. p. 283) ausführt, in offenbarem Irrthume.

 

(4) Hincmari ann. 878 (Scr. I, 507): ipso iubente lecti sunt in synodo canones Sardicensis concilii et decretum papae Leonis de episcopis sedes suas mutantibus, sed et Africani canones et ut non fiant episcoporum translationes. . pro Frotario Burdegalensi episcopo; vgl. Mansi XVII, 347, 350.

 

 

20

 

eine ungesetzliche bezeichnet [1] und selbst Johann IX, indem er die Wahl des Formosus als durch das Bedürfnis der Kirche geboten nachträglich rechtfertigt, erinnert an die alten Kanones. [2]

 

Was konnten die Anwälte des Formosus dem entgegen setzen? Cassiodor lieferte ihnen eine Reihe von Fällen, in denen in älterer Zeit eine solche Versetzung von Bischöfen stattgefunden hatte und gutgeheissen worden war, freilich nur in der griechischen Kirche. Noch werthvoller aber war für sie eine dem Pseudoisidor entlehnte Dekretale des Papstes Anterus, welche bei dringendem Bedürfnis und auf den Wunsch des Volkes die Verpflanzung in ein anderes Bisthum geradezu gestattete. [3] Auf diese unechte Verfügung berief sich Papst Hadrian II, als er dem vertriebenen Bischöfe Aktard von Nantes das Erzbisthum Tours überwies. [4] Ueberhaupt waren im fränkischen Reiche schon einige solcher Ausnahmen von der Regel zugelassen worden, wofür ich nur noch die Namen Ebbos und Frothars anführe. Daraus folgte freilich nichts für Rom, allein auch hier war Marinus von dem Bisthum Cäre auf den apostolischen Stuhl übergegangen und sein Nachfolger Stephan VI verteidigte diese im Abendlande unangefochtene Wahl gegen den Kaiser Basilius mit den nämlichen Waffen, [5] die später Auxilius für Formosus führte. Dass Ausnahmen von jenen alten Kirchengesetzen zulässig seien, konnte demnach füglich nicht bestritten werden und es handelte sich nur noch darum,

 

 

(1) Ann. Fuld. P. IV 482 (Scr. I, 397): Marinus, antea episcopus, contra statuta canonum subrogatus est.

 

(2) Conc. Rom. c. 3 : statuimus et omnino decernimus, ut id in exemplum nullus assumat, praesertim cum sacri canones hoc penitus interdicant et praesumentes tanta feriant ultione, ut etiam in fine laicam eis prohibeant communionem, quippe quod necessitate aliquotiens indulgetur, necessitate cessante in auctoritate sumi non est permissum.

 

(3) Für die Dekretale des Anterus (sowie Pelagius II) ist gleichfalls schon Cassiodori hist. tripart. 1. XII c. 8 benutzt; s. Decret. Pseudoisid. ed. Hinschius p. CXXIII.

 

(4) Am 26. Dez. 871 (Mansi XV, 852, J. 2238): dicente Antero papa in epistola sua, weiterhin folgen Beispiele et alios nonnullos, sicut tripartitae historiae series prodit, legimus pro temporis necessitate de una ecclesia fuisse mutatos in aliam. Auf Aktard bezieht sich Inf. et Def. c. 22 : Actardus quoque de Terraconensi (sic) episcopatu inthronizatus estin Tufonensi archiepiscopatu dante imperatore Carolo II et consentiente papa Adriano II.

 

(5) Mansi XVI, 423 (von Jaffé übersehen): quicunque dicunt Marinum fuisse antea episcopum ac proinde non potuisse ad aliam sedem transferri, ostendant illi id aperte. . diuina prouidentia praenoscens ecclesiae dei utilitatem in sede principis apostolorum Petri illum collocauit (folgen mehrere Beispiele aus Cassiodor.)

 

 

21

 

ob die in dem einzelnen Falle vorliegende eine berechtigte oder unberechtigte sei, d. h. ob Formosus bloss aus unlauterem Ehrgeize oder aus wahrer Hingebung für das Wohl der Kirche [1] sein Bisthum verlassen habe. Auf diese Frage liess sich nicht leicht eine unumstösslich sichere Antwort geben, doch fiel wenigstens der Umstand schwer ins Gewicht, dass Geistlichkeit und Volk von Rom ohne jeden äusseren Zwang den Bischof von Porto einmütig zum Papste gewählt und ihn trotz seines scheinbaren Widerstrebens unter allgemeiner Zustimmung eingesetzt hatten. Der in Rom herrschenden Ueberzeugung gemäss erklärte daher Johann IX diese Wahl, welche die ganze Christenheit anerkannt hatte, für eine der berechtigten Ausnahmen. [2]

 

Vorausgesetzt nun die Wahl des Formosus wäre dennoch eine unrechtmässige gewesen, durfte ihn nach einer mehr als fünfjährigen durchaus unbestrittenen Regierung sein Nachfolger Stephan absetzen und verurtheilen ? Päpste, so liess sich einwenden, konnten nach einem ziemlich allgemein anerkannten Rechtsgrundsatze [3] überhaupt nicht von Menschen gerichtet werden, da Gott sie seinem Gerichte allein Vorbehalten hatte. Die Sinnlosigkeit der Verurtheilung eines Verstorbenen, der schon zum himmlischen Gerichte abberufen war, bedurfte überdies keines besonderen Beweises, doch fand sich Johann IX veranlasst, auf seiner römischen Synode ein ausdrückliches Verbot gegen Todtengerichte zu erlassen! [4] Der erstere Einwand vermochte indessen die Gegner sicherlich nicht zu widerlegen, denn wenn Formosus in ihren Augen nichts weiter als ein unrechtmässiger Usurpator war,

 

 

(1) Vulgarius in defens. Formosi (ed. Mabillon p. 29): hic enim dum . . uidisset gentem suam patriamque humiliari ac deiectum pati, elegit zelo ductus potius mori, quam funditus rem puplicam euerti et turpiter uidere maculari: eine doch wohl etwas phrasenhafte Entschuldigung!

 

(2) Conc. Rom. c. 3: Quia necessitatis causa de Portuensi ecclesia Formosus pro uitae merito ad apostolicam sedem prouectus est etc.

 

(3) Die Invect. p. LXXI bezieht sich dafür auf des Ennodius libell. apologetic. pro synodo (Sirmondi opp. varia V, 1638), auf die erdichteten Akten der Synode von Sinuessa im J. 303 (s. Döllinger Papstfabeln S. 49), Vulgarius auf die letzteren und die von Pseudoisidor oft benutzte Stelle Isidors (Synonym. 1. II n. 86).

 

(4) Concil. Rom. c. 1 . . ne ulterius praesumatur fieri de quolibet spiritus sancti iudicio interdicimus, quia ad iudici um uocari mortuus non potest, cum persona quae ad iudicium uocatur, ideo uocatur, ut aut fateatur obiecta aut conuincatur obiectis et in omnibus patet, quia mortui cadauer per se nec respondere nec satisfacere potest.

 

 

22

 

so Stand es seinem rechtmässigen Nachfolger auch frei, ihn unter Mitwirkung der römischen Klerisei für einen solchen zu erklären und die rechtlichen Konsequenzen dieser Erklärung zu ziehen.

 

Der Streit über die Wirkungen der Leichensynode, so mochte man alle weiteren Erörterungen abschneiden, ist ein völlig müssiger, weil gegen dieselbe nicht bloss Papst Theodor II aufgetreten ist, sondern Johann IX zuerst in Rom, dann in Ravenna [1] ihre Akten förmlich kassiert und das Andenken des Formosus hergestellt hat. Die Gegner suchten hierauf wohl den Charakter der Ravennatischen Synode zu verdächtigen, [2] welche die andere Partei fast wie eine allgemeine ansah, sie behaupteten, dass Johann IX nur durch Verdrängung des rechtmässigen Papstes Sergius auf den apostolischen Stuhl gelangt sei — obgleich man nicht bis zu einer völligen Aufhebung seiner Handlungen fortschritt —, endlich und hauptsächlich aber stellte man der Autorität des einen Papstes die des andern gegenüber und es musste schliesslich der Lebende doch Recht behalten über den Todten.

 

Hier gelangen wir nun zu dem zweiten Hauptpunkte, zu dem eigentlich praktischen Momente der ganzen Streitfrage, nämlich ob Sergius III befugt war, selbst wenn er mit gutem Grunde die Wahl des Formosus für eine ungesetzliche hielt, die von ihm ertheilten Weihen zu kassieren und ob er ferner befugt war, die von Formosus schon einmal geweihten Geistlichen zur abermaligen Ordination zu zwingen. Das Verfahren seines Vorgängers Stephans VII war nämlich insofern doch noch ein milderes gewesen, als er die Formosianer nur degradierte, nicht aber wider ihre bessere Ueberzeugung ihnen eine zweite Weihe aufnöthigte. [3] Die Anhänger des Sergius beriefen sich zunächst auf den Vorgang Stephans IV, da er im J. 769 den Eindringling Constantin II,

 

 

(1) Auxilius ebenso wie Vulgarius beziehen sich nur auf die Synode von Ravenna, ohne die vorangehende römische zu erwähnen, ohne Zweifel, weil jene viel zahlreicher besucht und durch die Anwesenheit des Kaisers ausgezeichnet war, doch mag auch eine Verwechselung stattfinden, weil auf f. 101 die römischen Schlüsse als ravennatische bezeichnet werden.

 

(2) Auxilii inf. et def. c. 29 (p. 50): Inf. . . quod non sincera concordia, sed auri copia institutum est ideoque pro nihilo ducendum est. Def. .. quod delatis muneribus tale quid in illa synodo statutum fuerit, probare minime poteris.

 

(3) Auxil. in defens. Form. app. vgl. 1. I c. 10.

 

 

23

 

der als Laie mit bewaffneter Hand den päpstlichen Stuhl bestiegen und dreizehn Monate inne gehabt hatte, nicht bloss geblendet auf einer Synode absetzen liess, sondern auch alle von ihm Geweihten entsetzte und nochmals ordinierte. [1] Diesem Ereignis aus einer nahe liegenden gewaltthätigen Zeit standen viel ehrwürdigere Autoritäten der älteren Kirche entgegen. Es konnte darauf hingewiesen werden, dass selbst die geistlichen Handlungen eines Judas Ischarioth [2] nach seinem Verrathe noch ihre Geltung behielten, aber auch der heilige Papst Leo hatte verfügt, dass die von Afterbischöfen ertheilten Priesterweihen bei deren Absetzung dennoch sollten bestehen bleiben. Der Papst Anastasius erkannte die Weihen des Ketzers Acacius an, desgleichen Innocentius die des Bonosus und das Nicänische Konzil beraubte die Katharer, die in den Schoss der Kirche zurückkehrten, nicht ihres geistlichen Grades. Nicht anders wurde es mit den Ordinationen des auf unrechtmässige Weise erhobenen Patriarchen Anatolius von Konstantinopel gehalten, sowie mit denen der Päpste Liberius [3] und Vigilius, von denen nach der herrschenden Ueberlieferung jener sich durch Ketzerei befleckte, dieser durch die schändlichsten Ränke seinen Vorgänger Silverius ins Elend brachte. Nach allen diesen gewichtigen Beispielen lief das Verfahren Stephans IV und Sergius III der herrschenden Praxis der alten Kirche durchaus zuwider und musste als eine unerhörte Neuerung verworfen werden. [4] Noch unerlaubter aber war es und durch die Autorität der apostolischen Kanones und Gregors I verpönt, dass Geistliche für denselben Grad,

 

 

(1) Auxilii inf. et def. c. 4 p. 42 : ut in pontificali libro legitur.

 

(2) Die Hinweisung auf Judas ist aus dem Schreiben des Papstes Anastasius an den K. Anastasius c. 7 entlehnt: desselben Argumentes bedient sich auch noch Liudprand (antap. I c. 30).

 

(3) Dass Auxilius hinsichtlich der Ketzerei des Liberius sich im Irrthume befindet, bemerkt Joh Morinus (a. a. 0. p. 284), freilich aber wurde er hiebei durch die gewichtigsten Autoritäten verführt; vgl. Düllinger Papstfabeln S. 106—120.

 

(4) Morinus (a. a. O.) weist darauf hin, dass im J. 964 Johann XII ganz ebenso wie Sergius über seinen Vorgänger Leo VIII und dessen Weihen urtheilt und zwar unter Berufung auf Stephan IV (Mansi XVIII, 473, 474), allein abgesehen davon, dass Leo streng genommen in der That ein Usurpator war, so wird doch der Papst Oktavian auch wohl schwerlich als kanonistische Autorität gelten können. Wiewohl Morinus (II, 86) sich für die Wiederholung zweifelhafter Weihen erklärt, so gibt er doch zu, dass diese Frage in der älteren Kirche eine sehr streitige war.

 

 

24

 

den sie schon einmal empfangen, zum zweitenmale geweiht werden sollten. Es lag auf der Hand, welche heillose Verwirrung der Gewissen daraus hervorgehen, wie viele Unschuldige davon betroffen werden mussten, wenn man die Weihen des Formosus, folglich auch die Johanns IX, Benedikts IV und anderer Päpste, sowie überhaupt ihre geistlichen Amtshandlungen insgesamt für ungiltig erklären wollte. Der Erfolg konnte nur eine allgemeine Verwüstung und Entheiligung gleichsam der italienischen Kirche sein.

 

Aus den bisher entwickelten Streitpunkten entsprangen noch einige Fragen allgemeinerer Art, nämlich ob man verpflichtet sei, den Vorgesetzten, insbesondere dem päpstlichen Stuhle selbst wider Recht und Gewissen sklavischen Gehorsam zu zollen und endlich bei wem die letzte Entscheidung zu suchen sei, wenn zum Aergerniss aller Gläubigen die Nachfolger des Apostelfürsten unter einander hadernd sich gegenseitig absetzen und ihre Schlüsse aufheben. Diese Fragen mussten wohl auftauchen, wenn man sah, dass dieselben Bischöfe, die Formosus gewählt und anerkannt hatten, ihn auf Geheiss Stephans VII absetzten, dann unter Johann IX ihn feierlich wiederherstellten, um ihn schliesslich nach dem Willen Sergius III für einen ewig Verdammten zu erklären. Und dieselben Päpste Stephan und Sergius, die ihrem Vorgänger ein verdammungswerthes Verbrechen daraus machten, aus Ehrgeiz von einem kleineren Bisthum zu dem römischen übergegangen zu sein, hatten sich das gleiche Vergehen in einer viel unzweifelhafteren Weise zu Schulden kommen lassen, ob sie auch den Versuch machten, [1] diesen Vorwurf durch eine rechtliche Fiktion von sich abzulehnen. Wenn Johann X, wie es scheint, die Verfügungen des Sergius aufrecht erhielt, [2] so traf ihn der gleiche Vorwurf in noch erhöhtem Masse, da er von Bologna nach Ravenna, von Ravenna nach Rom übergesiedelt war.

 

 

(1) Die Angaben des Auxilius, wonach unter Formosus Stephan Bischof von Anagni, Sergius von Cäre war, halte ich für glaubwürdig, da sie nicht wohl erfunden sein können. Mit den Weihen des Form fiel eben auch ihre eigene bischöfliche Weihe.

 

(2) Die Invect. in Rom. ist, wie der Herausgeber schon bemerkte, unter Johann X abgefasst, der sanctam Romanam et apostolicam ecclesiam nefariis ausibus usurpauit. Düret hat bei seiner Bekämpfung Liudprands diese wichtige Quelle übersehen.

 

 

25

 

Solchen Päpsten gegenüber darf uns die frei mütige Erklärung nicht Wunder nehmen, dass der blosse Besitz des Stuhles Petri noch kein Anrecht auf einen himmlischen Thron gebe, dass der rechte Nachfolger Petri auch Nachfolger seiner Tugenden sein müsse und dass man den unrechtmässigen Geboten wölfischer Oberhirten auf die Gefahr der Exkommunikation hin den Gehorsam weigern dürfe. Als einzig berechtigten Austrag aber dieser unheilvollen Zwistigkeiten schlugen die Verteidiger des Formosus die Berufung eines allgemeinen Konzils und zwar unter Mitwirkung der Staatsgewalt vor, [1] denselben Ausweg mithin, der sowohl im eilften als im fünfzehnten Jahrhundert allein geeignet war, die Kirche aus unheilbarer Spaltung zur Einheit zurückzuführen.

 

Welche von den beiden streitenden Parteien in dieser Sache die höhere Gerechtigkeit für sich hatte, selbst wenn das Kirchenrecht der andern einige Hinterthüren offen liess, kann für uns nicht dem geringsten Zweifel unterliegen und es bleibt ein eitles Bemühen aus blinder Verehrung für den Stuhl Petri die Handlungsweise des Sergius, der ja übrigens ein thatkräftiger Mann gewesen sein mag, oder gar das sinnlose Wüten Stephans VII rechtfertigen zu wollen. [2] Auch hat die Nachwelt im Sinne der unterdrückten Partei entschieden, indem später Niemand dem vielgeprüften Formosus seinen Platz im Papstkataloge streitig machte. Noch im Laufe des zehnten Jahrhunderts kamen jene alten Kirchengesetze, die ihm keine Ruhe im Grabe gelassen, gegen die Versetzung von Bischöfen, als eine lästige und unpraktische Schranke, hauptsächlich wohl durch den Einfluss Pseudoisidors, ganz ausser Gebrauch.

 

 

(1) Inf. et Def. c. 28 (p. 50): proinde necesse est, ut auctore deo congregetur uniuersale concilium et ad instar magni Constantini intersit regis praesentia et tunc istiusmodi scandalum sedabitur et ecclesiae pax instaurabitur; vgl. c. 30.; De ordinat. c. 38 (40): in sacro ordine, quo consecrati sumus, permanentes praestolamur uniuersalis concilii aequissimum examen; In defens. Steph. episc. c. 4, 8.

 

(2) Morinus, der Auxilius den Vorwurf macht, dass er sich parum considerate über die päpstliche Gewalt ausdrüeke, will an dem Todtengerichte Stephans nur gerechte Strenge anerkennen: non secus ac ii laudantur, qui vilis principibus aut cognatis atque etiam filiis sontibus non pepercerunt sed de eorum criminibus iuxta leges vindictam sumpserunt (!). Hefele (Conciliengesch. IV, 552) folgert aus der Synode des Sergius gegen die Formosianer, dass er nicht „so schlecht“ gewesen sein könne, wie Liudprand ihn schildert. Sogar eine blosse Phrase aus seiner Grabschrift (amat pastor agmina cuncta simul) muss zu seiner Rechtfertigung dienen.

 

 

26

 

Die Geschichtschreiber, die zuerst diese Ereignisse berührten, sind Formosus günstig gesinnt [1] und das römische Volk bewahrte ihm eine theilnehmende Erinnerung.

 

 

(1) So die Ann. Fuld. 896, Liudprand. ant. I c. 31: Quantae autem esset auctoritatis quantaeque religionis papa Formosus fuerit, hinc colligere possumus etc.; Benedicti chron. c. 29: Quanta et qualia intentio inter Romanos et Formosus papa modo taceamus.

 

[Previous] [Next]

[Back to Index]