Das
Volkstum
Der bulgarische Mensch ist das
Kind
der bulgarischen Erde. Sie beide zusammen bilden eine
unzertrennliche,
gewachsene Einheit, wie sie nur ganz selten in der Geschichte eines
Volkes
anzutreffen ist, ja, eines Volkes insbesondere, über dessen
Schicksal so
tragische Sterne standen. Das bulgarische Volk war 500 Jahre von der
europäischen
Völkerkarte weggewischt, nachdem es zweimal eine Großmacht
im Südosten gewesen
war, die das mächtige byzantinische Reich erzittern ließ.
Heute ist es eines
der kleinen, aber jugendstarken Völker unter den
europäischen Nationen.
Das heutige bulgarische Volkstum ist das Ergebnis einer Reihe von völkischen und rassischen Überlagerungen und Verschmelzungen, die das wechselvolle politische Schicksal des bulgarischen Lebensraumes hervorrief. Als im Jahre 679 die 30-40000 eine Turkmundart sprechenden Ur-Bulgaren („Protobulgaren") — als Teil eines nomadisierenden turkotatarischen Reitervolkes, das im Wolgagebiet ein Staatswesen errichtet hatte — die untere Donau überschritten, unterwarfen sie die dort siedelnden slawischen Massen und legten den Grundstein zum ersten bulgarischen Reich. Die slawischen Völkerschaften dieser Gebiete waren ihrerseits wieder bei ihrer Landnahme auf die balkanische Urbevölkerung — Thraker und Illy-rier - gestoßen und hatten sie im Laufe der Zeit weitgehend slawisiert. Die urbulgarische Herrenschicht vermochte diese gestaltlose Völkermasse, die schon mit dem oströmischen Christentum von Byzanz her in Berührung stand, zu einem festen und machtvollen Staats-wesen vor den Toren der oströmischen Hauptstadt zu organisieren.
Die Verschmelzung der Blutselemente der Eroberer mit der unterworfenen Bevölkerung ging schnell vor sich, einmal wegen der bedeutenden zahlenmäßigen Unterlegenheit der Urbulgaren und zum anderen infolge der schnell einsetzenden Christianisierung, die 865 formell durch Knais Boris vollzogen wurde wie auch - im Zusammenhang damit — die Übernahme der slawischen Sprache als Staatssprache. Aber der turkotatarische Blutsanteil dieser herrischen und kriegerischen Reiter, Nomaden und Staatsgründer, ist doch sehr wesentlich geblieben. Es ist kein bloßer leerer Mythos, wenn darauf hingewiesen wird, daß das bulgarische Volk diesem Blutserbe seine staatsbildenden Kräfte und seine soldatischen Tugenden verdankt, die es ohne Zweifel zu einer besonderen völkischen Erscheinung im Balkanraum stempeln. Auch die sprichwörtliche bulgarische dickköpfige Zähigkeit und die besonders von Fremden oft unbequem empfundene Hartnäckigkeit wird in diesem Blutserbe begründet szin. Daneben läuft die große bäuerliche Erbmasse der östlichen Südslawen und die der slawisierten balkanischen Urbevölkerung, die sich im wesentlichen aus dinarischen und mediterranen Rassebestandteilen mit nordischen und ostischen Beimengungen zusammensetzt. Das turko-tatarische Blutserbe findet man nur bei den Bulgaren, während sie die anderen Blutsbeimischun-gen mit den Serben und Albanern — hier überwiegt das dinarische Element — gemeinsam haben.
Auf alle Fälle heben sich die Bulgaren von den rein slawisch-östlichen Menschen in vielen entscheidenden Punkten ab. Die Erinnerungen an das nichtslawische Reich der großen Khane im Frühmittelalter sind gerade heute in der jungen Generation sehr wach. Sie, die einen Weg zu einer eigenständigen politischen Ideologie für das bulgarische Volk sucht, sieht in dem Reiter von Madara mehr als ein totes Symbol aus vergangenen Zeiten.
Dieses Rassebild spiegelt sich auch in dem bulgarischen Nationalcharakter wider, der ebenso vielfältig und widerspruchsvoll wie unausgeglichen ist, dunkel und behaftet mit unerforschlich tiefliegender Neigung zum jähen Wechsel, zu Hingebung und Mißtrauen, Gehorsam und Aufsässigkeit, Fleiß und Sichgehenlassen. Es liegt eine tragische Zwiespältigkeit im bulgarischen Menschen. Diese Erscheinung fällt nicht nur dem Fremden auf. Auch die Bulgaren selbst leugnen diese ihre Eigenschaften nicht und suchen selbst nach ihren Ursachen.
Das bulgarische Volkstum besitzt eine erstaunliche Vitalität. Seit seiner Befreiung von der türkischen Herrschaft im Jahre 1878 hat es sich zahlenmäßig mehr als verdoppelt, obgleich es während dieser Zeit einige blutige und unglückliche Kriege führen mußte, die nicht zu dem ersehnten Ziel'— dem staatlichen Zusammenschluß aller Bulgaren — führten. Seine gesunde völkische Substanz, verbunden mit einem starken diesseitigen Zukunftsglauben, hat alle Schicksalsschläge ertragen und überwunden, wobei auch die Einheitlichkeit des Volkskörpers eine Rolle spielt.
Neben dem Staatsvolk leben im heutigen Bulgarien nach bulgarischen Angaben noch rund 470000 Griechen oder 5 °/o der gesamten Bevölkerung, rund 800 000 Türken oder 8 o/o der gesamten Bevölkerung und rund 30000 Rumänen oder 0,3 o/o der gesamten Bevölkerung. Ihnen folgen neben Juden noch einige unwesentliche andere Volkssplitter. Hier werden nach Kriegsende, nachdem die endgültigen Grenzen festgelegt worden sind, die Umsiedlungen einsetzen, um auch die Bereinigung der fremdvölkischen Streusiedlungen soweit als möglich zu erreichen, damit der neue Balkan die für seine friedliche Entwicklung notwendigen Grundlagen erhält. Die rund 150000 Pomaken, jene Bulgaren, die zu Beginn der Türkenzeit zum Islam übertraten und heute in der Hauptsache in den Rhodopen als Hirten und Tabakbauern leben, sind keine völkische Minderheit, sondern nur andersgläubige Bulgaren.
Der Hauptvertreter des bulgarischen
Menschen ist der Bauer, das Haupt der vielköpfigen
bäuerlichen Familie mit
ihrer traditionsgebundenen patriarchalischen Lebensweise. Trotz der
schnellen
Entwicklung der Städte blieb das Verhältnis zwischen Land-
und Stadtbevölkerung
im Durchschnitt 4:1. Das bäuerliche Element in allen seinen
typischen
Erscheinungsformen ist daher auch beim Städter und in der
bulgarischen
Führungsschicht der Ausgangspunkt ^alleh Seins und Werdens. Der
Sprung vom
studierenden Bauern-söhn, dessen Eltern im Heimatdorf im
Schweiße ihres
Angesichts dem kleinen Stück Land, das sie ihr Eigen nennen, die
notwendigen
Mittel zum Studium ihres Sohnes in der fernen Hauptstadt oder sogar im
Ausland
abringen, zum Politiker, Professor, Offizier, Beamten, Arzt, Ingenieur
und
Kaufmann ist meist das Alltägliche und zumindest nichts Besonderes
im
bulgarischen Leben der letzten sechzig Jahre seit der Befreiung.
Andererseits
hat aber auch jeder Städter irgendein Stück Land
draußen in der Provinz, einen
Weinberg mit einem kleinen Anwesen, wo er mit der bulgarischen Erde
ständig in
Berührung bleibt. Der bulgarische Bauer lebt einfach und
bescheiden, mit seiner
Scholle zu einer Einheit untrennbar verbunden, die er gegen jede Gefahr
und
Bedrohung bis zum äußersten zu verteidigen bereit ist. So
ist er auch zugleich
Soldat und Beschützer der bulgarischen Freiheit und Ehre. Bauern-
und
Soldatentum sind die beiden Energieformen, die das nationale
bulgarische Leben
antreiben und stets mit neuen Kräften versehen; sie sind die
beiden
Erscheinungen für ein Wesen! Wo immer der Deutsche die bulgarische
Grenze
überschreitet und mit dem bulgarischen Menschen in Berührung
kommt, wird er
sich irgendwie mit ihm verbunden fühlen, wird er mit Erstaunen
eine vielfältige
geistige Verwandtschaft und charakterliche Ähnlichkeit der beiden
Völker
feststellen.