Kulturgeschichte im Prisma: Bulgarien vom Altertum bis 1878

Assen Tschilingirov

 

(1) Die Frühzeitkulturen

 

  1 Balkanlandschaft bei Belogradtschik
  2 Magura-Höhle in Nordwestbulgarien
  3 Felszeichnungen in der Magura-Höhle. Mittleres Paläolithikum
  4 Neolithisches Tongefäß. Nowa Sagora, um 5200 v. u Z.
  5 Anthropomorphes Gefäß. Gradeschniza, Ende des 6. Jahrtausends v. u. Z., spätes Neolithikum
  6 Boden eines Tongefäßes aus Gradeschniza (links) und Tonsiegel aus Karanowo (rechts). Um 5000 v. u. Z.
  7 Steinböcke. Goldbeschläge aus der Nekropole bei Warna, um 4500 v. u. Z.
  8 Tonfigur. Orsoja, um 1500 v. u. Z., Nationalmuseum Sofia
  9 Idol der lebenspendenden Großen Göttin. Bein mit Kupferblech, um 3000 v. u. Z., Museum Stara Sagora
10 Kopf eines Frauenidols. Gebrannter Ton, Karanowo, um 4000 v. u. Z., Bezirksmuseum Stara Sagora
11 Doppelseitige Statuette. Idol, gebrannter Ton, Stara Sagora, um 3000 v. u. Z., Bezirksmuseum Stara Sagora
12 Goldschatz von Wyltschi Tryn. Um 1500 v. u. Z., Nationalmuseum Sofia
13 Tongefäß mit geometrischer Verzierung. Gradeschniza um 3000 v. u. Z., Nationalmuseum Sofia
14 Modell eines Hauses. Gebrannter Ton, Karanowo, um 3000 v. u. Z., Nationalmuseum Sofia
15 Orpheus mit Thrakern. Rotfiguriger Krater, Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung

 

Als zu Beginn des historischen Zeitalters Europas - im frühen I. Jahrtausend v. u. Z. - die griechischen Kolonisten von Milet, Chalkis und Megara nach Norden zogen, stießen sie an der westlichen Schwarzmeerküste auf eine uralte Zivilisation, die bereits vor langer Zeit den Höhepunkt ihrer Blüte überschritten hatte. Obgleich von der Pracht der ehemals so verschwenderisch mit Gold und Silber geschmückten Königspaläste der Herrscher dieses Landes nicht sehr viel übriggeblieben war und ihr Glanz bereits nachzudunkeln begonnen hatte, erkannten die Griechen darin das Land ihrer Sagen wieder — die von den Argonauten seinerzeit entdeckte Welt der unvorstellbar reichen Priesterkönige. Wenn auch in ihrer äußeren Erscheinung Neugier erweckend und faszinierend, war diese neuentdeckte Zivilisation in ihrem Wesen dennoch unheimlich und geheimnisumwoben. Sie blieb für die Griechen unverständlich, bis ihre allerletzten Spuren verwischt waren. So übermittelten weiterhin nur Mythologie und Volkssagen die Erinnerung an die Märchenwelt der Priesterkönige und ihrer Paläste, deren Reichtum die Fremden blendete, und auch an die unzähligen blutigen Menschenopfer in ihren Heiligtümern.

 

Das Verdienst der Wiederentdeckung dieser uralten Zivilisation aus der vorgeschichtlichen Epoche Südosteuropas gebührt der neuzeitlichen Archäologie. Erst in den letzten Jahrzehnten kamen Zeugnisse zum Vorschein, die wesentliche Lücken in der frühesten europäischen Kulturgeschichte zu schließen beginnen.

 

So ist nun bekannt, daß schon unmittelbar nach der letzten Eiszeit in Südosteuropa eine Kultur entstand, die sehr bald bedeutende künstlerische Leistungen vollbrachte, wie die Tafelkeramik und die Idolplastik von Gradeschniza und Karanowo aus dem 4. Jahrtausend v. u. Z. Die Ausgrabungen während der siebziger Jahre in der archaischen Nekropole bei dem bekannten Schwarzmeerkurort Warna brachten Verwirrung in der Wissenschaft und stellten alle bisherigen Kenntnisse über die Chronologie der europäischen Frühgeschichte auf den Kopf. Die modernen und relativ zuverlässigen Methoden zur Ermittlung des Alters der archäologischen Funde, mehrmals überprüft und präzisiert, ergaben für die Blütezeit dieser bislang nur durch Volkssagen bekannten und von der Wissenschaft angezweifelten Zivilisation absolute Daten, die weit vor den gewagtesten Vorstellungen der Forscher lagen. So scheint es heute nunmehr gesichert zu sein, daß bereits im frühen 5. Jahrtausend v. u. Z., also in der Zeit, als in Mittel- und Nordeuropa die Natur nach der letzten Eiszeit noch

 

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nicht ganz erwacht war und die dortige Kultur sich im Stadium des Paläolithikums befand, hier im klimatisch günstigeren Südosten eine hochentwickelte Kultur zu ihrer Blüte gelangte - eine Kultur, die schon Metallverarbeitung und Klassendifferenzierung, ja sogar ein sakrales Schrifttum kannte und die zu hohen künstlerischen Leistungen fähig war.

 

1 Balkanlandschaft bei Belogradtschik

Wie das Rückgrat Bulgariens erstreckt sich das Balkangebirge von der westlichen bis zur östlichen Grenze - zum Schwarzen Meer. Es prägt die Landschaft und den Charakter der Einwohner und gibt der gesamten Halbinsel den Namen; darüber hinaus ist »Balkan« die Bezeichnung für Gebirge in diesem Land, wo hohe Berge und Hügel von allen Seiten die kleinen fruchtbaren Täler umschließen. Zahlreiche Burgen und Festungen beschützen die durch schmale, hohe Balkanpässe führenden Straßen — einige der wichtigsten Verkehrsverbindungen in der Antike und während des ganzen Mittelalters bis zur Neuzeit, denn hier verlaufen die Hauptwege von Mittel- und Nordeuropa zum Vorderen Orient. Griechen, Perser und Römer, Hunnen und Goten, Slawen und Protobulgaren, Kreuzritter und Normannen, Tataren und Türken ließen dieses Gebiet oft zum Brennpunkt der europäischen Geschichte werden.

 

 

Doch so plötzlich und unvorbereitet ist es zu dieser Zivilisation nicht gekommen - wenn uns auch ihr Auftreten voraussetzungslos erscheint.

 

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Zuvor blicken wir auf eine mehrere hunderttausend Jahre andauernde, sehr langsame Entwicklung zurück - die von dem frühen und mittleren Paläolithikum bis zum Spätpaläolithikum der letzten Eiszeit (40. bis 10. Jahrtausend v. u. Z.) reichte, als sich die Schneegrenze in den Gebirgen Bulgariens bis zu 2000 Meter Höhe senkte und sich die Lebensbedingungen durch das kontinentale Klima härter und ungünstiger gestalteten. Daß die Existenz der Menschen in dieser Zeit - so jämmerlich sie uns auch heute erscheinen mag — nicht völlig erlosch, zeigen viele Funde, die in den zahlreichen Höhlen der bulgarischen Berge von einer ununterbrochenen und sich über mehrere zehntausend Jahre erstreckenden Besiedlung zeugen.

 

In einer dieser Höhlen findet sich aber noch ein anderer Beleg - wohl der seltsamstem der ganzen Kulturgeschichte der Frühzeit Europas. Auf den Felsen in einem großen, einer Halle ähnlichen Raum der viele Kilometer langen Magura-Höhle im Karstgebiet des nordwestlichen Balkangebirges nahe Belogradtschik sind Zeichnungen zu sehen, die sich sowohl durch ihren Gegenstand als auch durch ihren besonders primitiven Stil von allen Felszeichnungen Westeuropas wesentlich unterscheiden. Als diese Zeichnungen in den dreißiger Jahren zum erstenmal der Wissenschaft bekannt wurden, hielten sie die meisten Forscher wegen der scheinbar sehr geringen künstlerischen Qualität für unbedeutend, gar für Fälschungen und Nachahmungen aus jüngster Zeit, wobei sie zwei der bedeutendsten Eigenarten dieser Zeichnungen übersahen, die erst in den sechziger Jahren während der Konservierungsarbeiten der bulgarischen Denkmalpflege aufgefallen sind. Die Reinigung des mit vielen späteren Zutaten und Unterschriften aus den letzten Jahren bedeckten Hintergrundes hat ergeben, daß die aus Vogelkot bestehende schwarzbraune Farbe der Zeichnungen eigentlich keine Konservierung erforderte - diese Farbe hatte sich selbst in ein Konservierungsmittel für die Felsoberfläche verwandelt und ihn, den Stein, vor dem äußerst langsam verlaufenden Prozeß der Sublimation bewahrt, so daß die mit Farbe bedeckten Stellen des Felsens jetzt konvex erscheinen und sich um mehrere Millimeter vom Hintergrund abheben.

 

Der Wissenschaft war es bis heute nicht möglich zu bestimmen, in welchem Zeitraum der Felsen durch Sublimation 1 Millimeter seiner Oberfläche verlieren kann: dadurch wäre sonst das Alter dieser Zeichnungen zu ermitteln. Chemische und technische Methoden zur zuverlässigen Datierung erweisen sich als untauglich, da die Höhle mehrere zehntausend Jahre ununterbrochen besiedelt worden war; allerdings haben fließende Gewässer die Spuren der Ansiedler restlos verwischt. Wenn wir auch eine sichere Antwort auf die Frage der Entstehungszeit schuldig bleiben müssen, so fallen doch bei diesen Zeichnungen - wiederum im Unterschied zu allen anderen uns bekannten Felszeichnungen Europas, Afrikas, Asiens und Amerikas - neben der hier abgebildeten kultischen Prozession mit Priestern und Priesterinnen auch sonderbare Tierarten auf, deren Überleben bis in die vorletzte Eiszeit die Wissenschaft anzweifelt.

 

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2 Magura-Höhle in Nordwestbulgarien

 

 

Die großartige Architektonik der Magura-Höhle im westlichen Balkangebirge diente als eine Naturkulisse für das älteste Kunstdenkmal Bulgariens — die Felszeichnungen mit kultischen Szenen aus der Steinzeit. Eines der besonderen Merkmale aller bedeutenden Kunstwerke in diesem Lande läßt sich hier bereits feststellen: ihre enge Beziehung zur Natur, der unmittelbare Zusammenhang zwischen Kunst und Landschaft, der bis zur jüngsten Zeit für Bulgarien kennzeichnend ist.

 

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Stehen wir dann vor den ältesten Zeichnungen des Urmenschen? Vielleicht ja. Auf alle Fälle stellen diese Felszeichnungen ein überaus frühes Zeugnis für künstlerische Betätigung und für die gegenseitige Beeinflussung von Religion und bildender Kunst dar, die die ganze darauffolgende Kunstentwicklung bis in die Neuzeit prägen sollten.

 

Diese gegenseitige Abhängigkeit bestätigen auch die ältesten von Menschenhand in Bulgarien geschaffenen Gegenstände aus dem frühen Paläolithikum in der Batscho-Kiro-Höhle im östlichen Balkangebirge nahe dem Drjanowo-Kloster: die neben den groben Feuersteinwerkzeugen gefundenen Amulette aus Bein sind die ältesten Vorgänger der Idole aus Stein und Bein, mit denen viel, sehr viel später eine sicht- und spürbare Gestaltung des Unsichtbaren zu schaffen versucht wurde.

 

 

Mit dem Beginn der Erwärmung nach der letzten Eiszeit - in Bulgarien etwa 20000 v. u. Z. - verließ der Urmensch nach und nach die Berghöhlen und siedelte sich wiederum in den fruchtbaren Tälern der großen wasserreichen Flüsse wie Donau, Iskar, Mariza und Tundscha, aber auch entlang der Schwarzmeerküste an, wo Spuren auch vom frühen und mittleren Paläolithikum - vor der letzten Eiszeit - gefunden worden sind. Später entstanden dann die zahlreichen Siedlungen aus dem Mesolithikum und Neolithikum - wiederum an der Schwarzmeerküste, aber auch und vor allem in Nordwestbulgarien und im Südosten des Landes. Für die Wissenschaft war die Siedlung bei Karanowo in der Nähe von Sliwen in Südostbulgarien besonders aufschlußreich. Die sich bereits über mehrere Jahrzehnte hinziehenden Ausgrabungen ergaben die reichsten Funde einer ununterbrochenen Besiedlung innerhalb von mehr als 5 Jahrtausenden bis zum 2. Jahrtausend v. u. Z. Die Entwicklung der Keramik und der Metallverarbeitung, aber auch des sicheren Gespürs für die Schönheit der Form, die in diesem Zeitraum stattgefunden hat, veranschaulicht eine ganze Reihe genuiner Kunstwerke aus dieser von uns so weit entfernten Epoche. Doch auch hier, wie bei der uralten Zivilisation an der Schwarzmeerküste, stehen wir nicht vor dem Ursprung der Kunst.

 

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3 Felszeichnungen in der Magura-Höhle. Mittleres Paläolithikum

 

 

Die Höhlenmalerei Bulgariens gehört zur frühesten Phase der europäischen Kunst. Die primitiven, doch stark expressiven Darstellungen zeigen Prozessionen und kultische Handlungen, dazu längst ausgestorbene Arten der Fauna aus der Vorgeschichte, die wir von keinen anderen Kunstwerken kennen.

 

 

Bereits die ältesten Werke der bemalten und mit Kanneluren verzierten Tafelkeramik sowie die Figuren aus Ton und Bein mit phantastischen oder auch sehr realistischen Formen von Karanowo, Gradeschniza und Esero, ebenso von Duwanli bei Plowdiw zeigen eine sehr hoch entwickelte Synthese zwischen Funktionalität und Schönheit in Form und Dekor. Sie sind auf jeden Fall alles andere als primitiv und unvollkommen.

 

Nicht weniger verblüffend wirken auf uns das nur wenige Zentimeter große Tonsiegel aus Karanowo und das ebenfalls sehr kleine Tongefäß aus Gradeschniza. Beide, in weit voneinander getrennten Ortschaften gefunden, sind jedoch mit Hilfe unterschiedlicher chemischer und technischer Methoden völlig übereinstimmend in die gleiche Zeit - die zweite Hälfte des 4. Jahrtausends v. u. Z. — datiert worden. Beide Stücke sind mit ähnlichen Zeichen einer geheimen Sakralschrift verziert,

 

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die bisher noch nicht entziffert werden konnten, doch in der Wissenschaft als früheste Zeugnisse einer Schrift in Europa anerkannt werden. Das Zeitalter ihrer Entstehung oder zumindest der Kulturschicht, der sie angehören - falls sie nicht aus einer noch älteren Epoche überkommen sind -, entspricht bereits der frühen Kupferzeit Bulgariens, in der eine noch größere Mannigfaltigkeit der Formen und des Dekors bei der Keramik durch den nicht minderen Formenreichtum der wenigen erhaltenen, aber überaus prachtvollen und schönen Waffen, Geräte und Gefäße aus Metall überschattet wird.

 

4 Neolithisches Tongefäß. Nowa Sagora, um 5200 v. u Z.

 

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Daß es sich hier keineswegs um zufällige Funde oder um importierte Gegenstände handelt, bezeugen Gußformen, die man in den ehemaligen Werkstätten gefunden hat, wie auch die sich häufig wiederholenden charakteristischen Formen und Dekore, die sich von den aus anderen Gebieten und Ländern bekannten wesentlich unterscheiden.

 

Etwas früher, als diese prächtigen Metallerzeugnisse entstanden sein sollen, um die Wende vom 5. zum 4. Jahrtausend v. u. Z., wurden auch die ersten nachweisbaren Kupfergruben in Südostbulgarien erschlossen (Aibunar und Chrischteni, Bezirk Stara Sagora). Kupfer, Zinn, aber auch Gold und Silber gewann man mit für unsere Begriffe ziemlich primitiven Methoden, doch bei weitem in ausreichenden Mengen, so daß wir heute berechtigt von einer Gesellschaft reden dürfen, die für ihren alltäglichen Bedarf die Farbmetalle voll nutzte und das Metallhandwerk bis zur höchsten Perfektion aller Techniken des Goldschmiedens und des Kupfergusses beherrschte. Eine noch vor weniger als zehn Jahren nicht vorstellbare hohe Anzahl von Beweisen hierfür erbrachten die kürzlich freigelegten Gräberfelder der archaischen Nekropole bei Warna. Aus den bisher mehr als zweihundert erforschten Fürstengräbern der ersten Hälfte des 5. Jahrtausends v. u. Z. kam eine für Europa ganz ungewöhnliche Menge von Goldschmuck und -applikationen mit anthropomorphen und zoomorphen Formen ans Licht. Auch hier verblüffend die schönen synthetischen Formen - wie beispielsweise die kleinen Goldfiguren der Steinböcke, für die wir nichts Vergleichbares aus einer so frühen Zeit irgendwo auf der Welt benennen können. Die noch weiter andauernden Forschungen brachten bereits erstaunliche Angaben über eine hochentwickelte Gesellschaft mit sozialer Differenzierung und schon zu diesem frühen Stadium der europäischen Geschichte völlig herausgebildeten Klassen.

 

Weitere Angaben über die Lebensbedingungen in dieser Gesellschaft lieferten die Funde aus Keramik: Kinderspielzeug, Miniaturmodelle von Wohnhäusern und Heiligtümern, sogar auch von kultischen Szenen mit mehreren kleinen Tonfiguren der Priester, Altäre und Weihgaben. Die Tafelkeramik gelangte zu einer Mannigfaltigkeit in Form und Dekor, die bis in die Neuzeit in Bulgarien nicht wieder erreicht wurde. Zahlreiche tier- oder menschenähnliche Gefäße traten auf, die auf uns gelegentlich mit ihrer synthetischen Formsprache wie moderne Plastiken wirken. Der strenge geometrische Kannelurendekor aus dem Neolithikum wird von durchaus modern anmutenden, phantasiereichen, freien oder symmetrischen, abstrakten wie naturalistischen, manchmal auch polychromen Zeichnungen ab gelöst. Einen beträchtlichen Anteil der Funde bilden die unterschiedlich großen Idolfiguren aus Metall, Bein und Stein, die den Kulturschichten der Hügel von Karanowo und Esero bis zur späteren Kupferzeit hin angehörten.

 

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5 Anthropomorphes Gefäß. Gradeschniza, Ende des 6. Jahrtausends v. u. Z., spätes Neolithikum

 

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6 Boden eines Tongefäßes aus Gradeschniza (links) und Tonsiegel aus Karanowo (rechts). Um 5000 v. u. Z.

 

 

7 Steinböcke. Goldbeschläge aus der Nekropole bei Warna, um 4500 v. u. Z.

 

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8 Tonfigur. Orsoja, um 1500 v. u. Z., Nationalmuseum Sofia

 

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Kultische Funktionen besaßen aber auch die meisten Tongefäße und vor allem die Geräte und Gefäße aus Metall - Kupfer, Gold und Silber. Den ersten Platz beansprucht hier zweifellos der Goldschatz von Wyltschi Tryn - neben dem wesentlich späteren, aber nicht minder prunkvollen Schatz von Panagjurischte der sensationellste archäologische Fund in

 

9 Idol der lebenspendenden Großen Göttin. Bein mit Kupferblech, um 3000 v. u. Z., Museum Stara Sagora

Die Darstellung ist sehr primitiv und äußerst stilisiert, die Formen - vor allem die Schenkel und die Brust - sind über- betont, während Augen, Mund und Glieder durch Punkte und Linien gekennzeichnet werden.

 

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Europa aus diesem Jahrhundert, 1924 bei Ackerarbeiten auf einem Feld in Mittelbulgarien entdeckt, wo er jahrtausendelang wenige Zentimeter unter der Bodenfläche begraben lag.

 

Der fast 12,5 Kilogramm wiegende und aus dreizehn Goldgefäßen bestehende Schatz ist einmalig in der Kunstgeschichte - nicht nur durch sein ungemein wertvolles Material: hochkarätiges Gold mit Bernstein- und Silberinkrustationen. Einmalig ist ebenfalls seine besonders kunstvolle Verarbeitung unter Anwendung kompliziertester Techniken wie Niello und Silberinkrustation, die außergewöhnliche handwerkliche Fertigkeiten erfordern. Schwierig ist die Einordnung dieser Gegenstände in die Geschichte des Kunsthandwerks; innerhalb der vielen Jahrhunderte zwischen dem späten 3. und dem frühen 1. Jahrtausend v. u. Z. schwankt die Datierung. Dieser Schatz ist zugleich auch das einzige uns überkommene Zeugnis des frühen Sonnenkultes, der im 2. Jahrtausend v. u. Z. den finsteren, mit blutigen Menschenopfern verbundenen Mondkult ablöste, und stammt vermutlich aus einem der bedeutendsten Heiligtümer des Sonnenkultes - vielleicht sogar aus seinem Hauptzentrum, dem mit dem Schleier des Geheimnisses umhüllten Mittelpunkt der Orphischen Mysterien, über dessen Existenz wir lediglich aus wenigen, dem Pythagoras zugeschriebenen Hinweisen unterrichtet sind.

 

Die Geschichte des Orpheus, die wir aus viel späteren Überlieferungen der Neuplatoniker entnehmen, ist von einem Mythos umwoben, der nur sehr spärliches Licht über diese historische Persönlichkeit wirft. Denn Orpheus war eine der bedeutendsten Figuren in der Religionsgeschichte der Menschheit, ihm wird die entscheidende Reform in der altgriechischen Religion und die Neugründung einer Mysterienreligion zugeschrieben, aus der die Eleusinischen Mysterien hervorgegangen sind. Laut Überlieferung kam Orpheus in einem Tempel der Sonne zur Welt, in einem Heiligtum in den Bergen von Thrakien. Thrakien - so nannten die Griechen das Gebirgsland im Norden, ein Name, der vielleicht von dem phönizischen Wort Rhakhiva, das Firmament, abstammt und sinnbildlich dieses Land mit seinen Bergen bezeichnete, wo »in der Himmelshöhe, nahe der Hebrosquelle« die geheimnisvollen, für die meisten Menschen unzugänglichen Sonnenheiligtümer lagen. Zu dieser Zeit der Finsternis - es war das Zeitalter von Moses, über 12 Jahrhunderte vor Christus — herrschte über dem ganzen Land die Furcht vor der Mondgöttin Hekate, der man mit blutigen Opferorgien huldigte. Die mächtigen Könige des Landes unterstützten den Kult als Mittel für noch größere Machtausübung. Die ganz wenigen Anhänger des Sonnenkults waren in die unzugänglichen Bergheiligtümer geflüchtet, wo Orpheus, der Oberpriester und Erneuerer dieses Kultes, die Sonnenreligion wieder zum Aufstieg führte. In dem unvermeidbaren Zweikampf beider Religionen siegte der »mit seiner melodischen Stimme und mit dem bezaubernden Spiel der Saiten seiner Harfe alle Wildtiere zähmende« Orpheus.

 

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10 Kopf eines Frauenidols. Gebrannter Ton, Karanowo, um 4000 v. u. Z., Bezirksmuseum Stara Sagora

 

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11 Doppelseitige Statuette. Idol, gebrannter Ton, Stara Sagora, um 3000 v. u. Z., Bezirksmuseum Stara Sagora

 

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12 Goldschatz von Wyltschi Tryn. Um 1500 v. u. Z., Nationalmuseum Sofia

 

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13 Tongefäß mit geometrischer Verzierung. Gradeschniza um 3000 v. u. Z., Nationalmuseum Sofia

 

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14 Modell eines Hauses. Gebrannter Ton, Karanowo, um 3000 v. u. Z., Nationalmuseum Sofia

Eins der vielen in den Siedlungshügeln Bulgariens aufgefundenen Modelle von Wohnhäusern, die als Votivgaben den Heiligtümern geopfert wurden. Das kleine und primitive Lehmhaus besitzt nur einen einzigen Raum und einen Zugang auf der vorderen schmalen Seite; die Wände sind mit magischen Ritzzeichen versehen.

 

 

Als Opfer der Mänaden - von ihnen in tausend Stücke zerrissen — ist er in seinem Mythos auferstanden, und er lebte weiter in der Mysterien- religion der hellenischen Antike. Er lebte weiter auch im Volksepos, ebenso in der Musik und in den Tänzen, die in vielen entlegenen Orten Bulgariens - vor allem in den Gebirgsgegenden im Süden des Landes - Jahrtausende überdauert haben und aus einem Altertum stammen, dessen Spuren sonst längst verwischt sind.

 

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Das Ende des Mondkultes fällt auch mit dem Ende der Herrschaft der mächtigen Priesterkönige und ihres prunkvollen, doch sich allein auf Tyrannei und Furcht stützenden Reiches zusammen. Von seinem Untergang sind wir sehr wenig unterrichtet, und über die Ursachen dafür gibt es nur Hypothesen. In vielen Hügelsiedlungen im Inneren der Balkanhalbinsel wurde die kontinuierliche Entwicklung im letzten Viertel des 2. Jahrtausends v. u. Z. unterbrochen. Das ist die Zeit der großen ethnischen Verschiebungen im ganzen Südosten Europas, die Zeit der Herausbildung des thrakischen Ethos, die eine neue Phase der Geschichte Bulgariens eröffnet.

 

15 Orpheus mit Thrakern. Rotfiguriger Krater, Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung

 

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