Rezensionen

 

Martin Eggers, Das Erzbistum des Method. Lage, Wirkung und Nachleben der kyrillomethodianischen Mission, München (Kubon und Sagner, Slavistische Beiträge, 339) 1996, 176 S. (+ 10 Karten + 5 Abbildungen)

 

Johannes Reinhart  (Wiener Slavistisches Jahrbuch, Vol. 42 (1996), pp. 292-300)

 

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Diese Monographie stellt den zweiten Teil der Münchner Dissertation des Historikers Martin Eggers dar, die er 1991 bei Friedrich Prinz eingereicht hatte (15). Der erste Teil erschien bereits 1995 [1] und konzentrierte sich auf die historischen Aspekte der These des Autors. Die vorliegende Arbeit ist dem unlängst verstorbenen amerikanischen Historiker ungarischer Abkunft Imre Boba gewidmet, der seit Ende der sechziger Jahre in einer Reihe von Arbeiten zu beweisen versuchte, daß das Großmährische Reich der Mojmiriden nicht nördlich der Donau - in der Slowakei und in Mähren - lag, sondern in der heutigen Vojvodina. Darin hat er kaum Nachfolger gefunden, unter den Historikern war ihm nur der amerikanische Mediävist Charles R. Bowlus gefolgt. [2] E. nimmt in seinen Büchern die kritische Hälfte von Bobas Neuinterpretation an, d. h. er spricht sich ebenso gegen ein nördlich der Donau gelegenes Zentrum des Großmährischen Reiches aus, lokalisiert dieses aber nicht wie Boba in Sirmium (Sremska Mitrovica), sondern schlägt eine andere Stadt in der Theißebene vor, und zwar das mittelalterliche ungarische Bistum Csanád. Während sein Buch von 1995 der historischen Interpretation gewidmet ist, wird in der hier zu rezensierenden Arbeit die kirchenrechtliche und literarisch-kulturgeschichtliche Seite der Neuinterpretation nachgeliefert.

 

 

1. Eggers, M., Das „Großmährische Reich“ - Realität oder Fiktion? Eine Neuinterpretation der Quellen zur Geschichte des mittleren Donauraumes im 9. Jahrhundert, Stuttgart 1995.

Rezension des Buches durch H. G. Lunt in Speculum 71, 1996, 945-948. Kritische Stellungnahme bei Wolfram, H., Historické pramene a poloha (Vel’kej) Moravy, Historický Časopis 43/1, 1995, 4, Fn. 5 und idem, Salzburg, Bayern, Österreich. Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und die Quellen ihrer Zeit, Wien - München 1995, 87 ff.

 

2. S. sein Buch Franks. Moravians and Magyars. The Struggle for the Middle Danube 788-907, Philadelphia 1995.

 

 

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Das Buch teilt sich in zwei Großkapitel: 1. „Die Mission der Slawenlehrer und Methods Erzbistum“ (17-74) und 2. „Der kulturelle Aspekt der kyrillomethodianischen Mission und die Frage entsprechender Traditionen“ (75-135).

 

Der Autor nimmt naturgemäß häufig Bezug auf sein erstes Buch und kann die dort gebrachte Argumentation meist nicht wiederholen. Dies legt es nahe, das hier rezensierte Werk parallel zu dem ersten Buch zu lesen. Jedoch ist es in dieser Besprechung nicht möglich, näher auf das erste Werk einzugehen. Der Rezensent, der dem Autor bei der Neulokalisierung Großmährens in der Theißebene nicht beistimmen kann, sieht sich von dieser Aufgabe um so leichter entbunden, als der Wiener Mediävist Herwig Wolfram die Versuche einer Neulokalisierung in einem seiner letzten Bücher in magistraler und überzeugender Weise zurückgewiesen hat. [3] Was die historische Seite von E.’ Argumentation anlangt, sei aber immerhin angemerkt, daß seine Hypothese sich auf ganz unzuverlässige Quellen stützt, z. B. den Bericht des Priesters von Dioclea [4] oder die Pilgrimschen Fälschungen.

 

Der Autor hat eine große Anzahl von bibliographischen Positionen rezipiert, die verschiedenen Fachgebieten entstammen (Bibliographie auf den Seiten 149-175). Darunter sind auch solche in ungarischer und rumänischer Sprache, was sonst in diesem Zusammenhang leider nicht immer der Fall ist. Andererseits sind Publikationen in russischer Sprache recht spärlich vertreten, insgesamt habe ich nur fünf gezählt. Manche Zitate lassen es möglich erscheinen, daß die Kenntnis der slavischen Sprachen nicht zu den Stärken des Autors gehört. [5] Ist dies eine der Ursachen für seine eklektische bzw. mißverständliche Zitierung mancher angeführter Sekundärliteratur?

 

Die Benützung der Fachliteratur sollte den Anforderungen der richtigen Zitierung und - soweit dies möglich ist - der Vollständigkeit genügen. Beides ist in dem rezensierten Werk häufig nicht der Fall. Im Enthusiasmus für seine Neulokalisierung zitiert E. nicht selten für eigene Hypothesen Gewährsleute, die diese gar nicht unterstützen. So z. B. wenn er u. a. Nada Klaić imputiert (47, Fn. 234), sie hätte nachgewiesen, „das dalmatinische Kroatien und das Fürstentum des Liudewit um Siscia (c. 820)“ wären „im Wirkungsbereich oberitalienischer Missionare gelegen.“ Bei Josip Kolanović findet man angeblich „einen Überblick über die erhaltenen glagolitischen Handschriften Kroatiens“ (94, Fn. 557), jedoch behandelt dieser nur die - sehr zahlreichen und wichtigen - Urkunden und die sowohl zahlenmäßig wie von ihrer Bedeutung her weit dahinter zurückstehenden Handschriften und Fragmente des Archivs von Kroatien. [6] Ivan Dujčev hat angeblich in zwei zitierten Arbeiten „überzeugend“ die Herkunft der tschechischen Formen Crha und Strachota für Kyrill und Method zurückgewiesen (119, Fn. 732). Dujčev schneidet die Frage in seinen zwei Aufsätzen überhaupt nicht an! Da E. eine kirchenslavische Kontinuität in Böhmen vom 9. Jh. an nicht ins Konzept paßt, will er die 2. Wenzelslegende erst nach Gründung des Sasauer Klosters 1032 entstanden sein lassen. Dafür ruft er als Zeugen Winfried Baumann an (122, Fn. 753). Dieser datiert sie aber gar nicht ins 11. Jh., sondern läßt dies nur als eine von zwei Möglichkeiten zu. [7]

 

 

3. Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich, 87-100 (Kapitel II.7. Moravien - Mähren oder nicht?).

 

4. E. zitiert immer wieder den Aufsatz von Steindorff, L, Die Synode auf der Planities Dalmae. Reichseinteilung und Kirchenorganisation im Bild der Chronik des Priesters von Dioclea, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 93, 1985, 279-324. Bedauerlicherweise geht er nie auf seine Einschätzung dieser Quelle, die seiner eigenen diametral entgegensteht, ein.

 

5. Ich führe auswahlsweise an: in der „Kronice české církevní“ (9; recte: in der „Kronika česká církevní“), die „Griechen“ („Грьки“) der Methodvita (48; recte: Грьци), цр(ь)к(ъ) пѫноньскѫѫ (63; recte: цр(ь)к(ъ)ве), Bischof von Veliča (70; recte: Velika), der Burgwall „Sveti Kliment“ bei Osvětimany ( 120; recte: svatý).

 

6. Kolanović, J., Glagoljski rukopisi i isprave u Arhivu Hrvatske. Slovo 32-33, 1983, 131-191.

 

7. Baumann, W., Die Literatur des Mittelalters in Böhmen. Deutsch-lateinisch-tschechische Literatur vom 10. bis zum 15. Jahrhundert, München - Wien 1978, 19: „Der ursprüngliche Text ist wohl um das Jahr 1000 entstanden, vielleicht aber auch erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts.“

 

 

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Daneben ist E. häufig nicht über den neuesten Forschungsstand unterrichtet. Auf S. 118 werden die Budapester glagolitischen Fragmente aus dem 12. Jh. erwähnt, und es stellt sich heraus, daß dem Autor die neueste Fachliteratur nicht bekannt ist. [8] Auf S. 119 spekuliert E. mit fragwürdigen Argumenten über das Alter des Offiziums zu Ehren der hll. Kyrill und Method, ohne zu wissen, daß diese Frage bereits vor zwanzig Jahren von Vojtěch Tkadlčík gelöst wurde. [9] Deswegen buchte er auch diese erst im 14. Jh. im Gefolge der Emautiner Periode des kroatischen Glagolitismus entstandenen Offizien als unmittelbares Zeugnis der aksl. Tradition (96). Weitere bedauerliche Versehen des Autors: die Erwähnung des kroat.-glag. Psalters des Theodosius von Nin (55, 90 u. 94) [10], das Missale von Baška (12. Jh.) wird als „erste größere Handschrift von Bedeutung" charakterisiert (94), in Wirklichkeit handelt es sich um heute verlorengegangene Pergamentstreifen [11], der Zakon sudnyj ljudem soll angeblich zuerst hsl. in der Ustjužskaja kormčaja bezeugt sein (79), in Wirklichkeit kommt er bereits in der Novgoroder kormčaja von 1280 vor. Nicht vertraut zeigt sich E. auch mit den neuen Forschungsergebnissen zur Nomokanonübersetzung (79): der russische Historiker Jaroslav N. Ščapov zeigte, daß die von der früheren Forschung dem Method zugeschriebenen Kürzungen erst in Rußland entstanden sind. [12] Für die Frage der Lokalisierung von Großmähren belanglos, aber nichtsdestoweniger unzutreffend ist die Behauptung, das Kroat.-Ksl. wäre im Prager Emauskloster „nach etwa 20 Jahren“ außer Gebrauch gekommen (114), kennen wir doch z. B. Übersetzungen von Werken Hussens aus der zweiten Dezennie des 15. Jh. [13]

 

Die 1. Wenzelslegende ist E. zufolge (121 f.) im Emauskloster entstanden. Dabei hat er nicht berücksichtigt, daß die älteste russ.-ksl. Hs. der Prólogvita, in der Entlehnungen aus der 1. Wenzelslegende Vorkommen, bereits aus dem 13./14. Jh. stammt. [14] In der 2. Wenzelslegende soll der hl. Wenzel angeblich „nur noch lateinische und griechische, aber keine slawischen Bücher mehr [lesen]“ (111, Fn. 671).

 

 

8. Райнхарт, Й. - Турилов, А. А., Будапештский глаголический отрывок: древнейший славянский список жития Симеона Столпника, Slovo 39-40, 19891990, 37-44.

 

9. Tkadlčík, V., К datování hlaholských služeb o sv. Cyrilu a Metoději. Slovo 27, 1977 85-128.

 

10. Bereits am Anfang unseres Jahrhunderts wurde von Vatroslav Jagić deren Erwähnung als neuzeitliche Fälschung entlarvt (s. Jagić, V., Tomko Marnavić als Fälscher des angeblich im J. 1222 geschriebenen glagolitischen Psalters, Archiv für Slavische Philologie 33, 1912, 111-134).

 

11. Ähnliche Charakterisierung schon bei Vlasto. A. P., The Entry of the Slavs into Christendom, Cambridge 1970, 204: „No very early Glagolitic manuscripts of the Croatian church have survived. The earliest of importance is the fragmentary Baška Missal of the twelfth Century.“

 

12. Щапов, Я. H., „Номоканон“ Мефодия в Великой Моравии и на Руси, in: Г. Э. Санчук - Й. Поулик, Hrsg., Великая Моравия, ее историческое и культурное значение, Москва 1985, 238-253.

 

13. S. Ivšić, S., Još о dosad nepoznatim hrvatskim glagolskim prijevodima iz staročeškoga jezika, Slavia 6, 1927-1928, 50, 55-58.

 

14. S. Serebrjanskij, N. J., Proložní legendy o sv. Lidmile a o sv. Václavu, in: Vajs, J., Sborník staroslovanských literárních památek o sv. Václavu a sv. Lidmile, V Praze 1929, 47 ff.

- Gegen eine Verbindung der Verehrung des hl. Wenzel in Kroatien mit Emaus spricht außerdem die Existenz eines Reliquienschreins in Omišalj aus dem 13./14. Jh. (Fucić, B., Glagoljski natpisi, Zagreb 1982, 259, Nr. 290; Mareš, F. V., Średniowieczni święci czeszcy i polscy u głagolitów chorwackich, in: Basaj, M. - Boryś, W. - Popowska-Taborska, H., Hrsg., Slawistyczne studia językoznawcze [= FS F. Sławski], Wrocław-Warszawa-Kraków-Gdańsk-Łódź 1987, 191-195) und die fragmentarische Wenzelsliturgie in einem Triestiner Brevierfragment aus dem 13. Jh. (s. Pantelić, M., Fragmenti hrvatskoglagoljskoga brevijara starije redakcije iz 13. stoljeća, Slovo 41-43, 1993, 110).

 

 

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E. stützt sich bei dieser Wertung offenkundig auf die Nachricht aus dem VII. Kapitel des Textes, wo es heißt: на чюдодив'ныа разȣмы к’нигъ изыде, тако латиньски ı-ако и гречески. [15] Jedoch hieße dies den Satz überzuinterpretieren. Wenn man nämlich andere Stellen liest, kann man sie durchaus als Bestätigung der (kirchen-)slavischen Bildung des přemyslidischen Heiligen verstehen, vgl. VencNik IV: и его посланїем въ градъ нарицаемыи бȣдечь, к’ попиноу именем оученȣ, наоучити к’нигамъ оучїти данъ быст. [16] Nach der plausiblen Interpretation von Norman Ingham ist die Erwähnung des Griechischen der 2. Wenzelslegende eine späte russische Interpolation, der hl. Wenzel hätte bloß Latein und Kirchenslavisch gekonnt. [17] Ins Leere geht E.’ Versuch, die Kirchenslavisch-Studien des hl. Wenzel durch solche von „literarischen oder religiösen Schriften ... in einer slawischen Sprache ... in lateinischer Schrift“ zu ersetzen (111). Die von ihm zitierten Belege aus der Diözese Regensburg sind entweder sowieso altkirchenslavisch (die Sт. Emmeramer Glossen), oder es handelt sich um eine slavische Federprobe des 11. Jh. [18] !

 

Die Quellen, die über die Begebnisse rund um Kyrill und Method berichten, sind bekanntlich sehr spärlich. Dies macht die Heranziehung von sekundären Quellen erforderlich. E. unterscheidet fünf Arten von Evidenz (75 f.): 1. „Kontinuität von Bistümern, die zu Methods Erzdiözese gehörten“; 2. „kontinuierlicher Weitergebrauch der slawischen Liturgie“; 3. „Gebrauch der Glagolica“; 4. „Kult bestimmter Heiliger, entsprechende[r] Patrozinien und gegebenenfalls Ortsnamen“; 5. „Legendentradition um Kyrill und Method“. Diese Kriterien sind gut gewählt. E. versucht auf ihrer Grundlage, die traditionelle Lokalisierung von „Großmähren“ in Mähren und der Slowakei als unmöglich zu erweisen und sie im Sinn seiner Lokalisierung in der Theißebene bzw. in Slawonien und Bosnien zu interpretieren. Leider ist sein Urteil bei der Auswertung der Evidenz nicht ausgewogen. Auf der einen Seite erweist er sich als hyperkritisch, auf der anderen Seite kommt es zu einer teilweise recht phantasievollen Überinterprelation von Quellen. Auf S. 47 spricht er etwa von der „somit erwiesene[n] Zugehörigkeit Bosniens zum Amtsbereich Methods“. Worauf gründet sie sich aber? Auf der Nachricht der Chronik des Junius Restius (Džono Rastić; 1669 bzw. 1671-1735) zum Jahr 1189 (nicht 1193, wie E. schreibt [46]):

 

„Questo arcivescovo Bernardo fu quello, che consecrò Radagost, vescovo di Bossina,... Nè sapendo le lettere latine, nè altre, eccetto le slavoniche, quando fece il giuramento della fedeltà ed obedienza al suo metropolitano, lo fece in lingua slava, la quale per antico privilegio gode questo beneficio, avuto dal pontefice Giovanni VIII, nell’anno 880.“ [19]

 

Daraus auf ein erhaltenes Archiv des bosnischen Bischofs — als Rechtsnachfolger der Erzdiözese Methods! — zu schließen, in dem sich Johannes’ VIII. Brief „Industrię tuę“ vom Juni 880 erhalten hätte, ist ein Kabinettstück der Phantasie. Nicht nur, daß dort keine Rede von einem solchen Privileg ist, am Ende des Briefes wird nur der liturgische Gebrauch des Slavischen erlaubt, muß es doch befremden, daß ein des Lateinischen nicht mächtiger Bischof ein lateinisches Archiv besitzt (89). Kurz darauf (49; vgl. auch 80) will er die im Bereich des Patriarchats von Aquileia entstandene lateinische Vorlage der Kiewer Blätter als Hinweis auf die enge Beziehung Aquileias, und nicht der bairischen Bistümer, zu Sventopulks südslavischem Territorium werten.

 

 

15. Vajs, op. cit., 94.

 

16. Vajs, op. cit., 90.

 

17. Ingham, N., War die heilige Ludmila Erzieherin des heiligen Wenzel?, in: Ars philologica slavica (FS H. Kunstmann), München 1988, 205-213.

 

18. S. Bosl, K., Probleme der Missionierung des böhmisch-mährischen Herrschaftsraumes, in: M. Hellmann - R. Olesch - B. Stasiewski - F. Zagiba, Hrsg., Cyrillo-Methodiana. Zur Frühgeschichte des Christentums bei den Slaven (863-1963), Köln - Graz 1964, 33.

 

19. Nodilo, S., Hrsg., Chronica Ragusina Junii Restii (ab origine usque ad annum 1451) item Joannis Gundulae (1451-1484), Zagreb 1893 (Monumenta spectantia historiam slavorum meridionalium. Scriptores, Vol. II). 63.

- Vgl. auch Nodilo, N., Prvi ljetopisci i davna historiografija dubrovačka, Rad JAZU 65, 1883, 122: „nu kad pročita tri prve knjige njegova djela, na svoju žalost uvigja, da ono Rastić obeća mazno na prazno. Za staro doba, ne samo da ovaj nema pred sobom ljetopisaca suvremenih, pošto ne može da ih ima;...“

 

 

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Allein die Berücksichtigung des Titels einer der zitierten Arbeiten Gambers („Das Meßbuch Aquileias im Raum der bairischen Diözesen um 800“) hätte dies verhindern können! Leider wird diese „Erkenntnis“ dann später dazu genützt, die südslavische Provenienz der Übersetzung der Kiewer Blätter zu erweisen (116).

 

Oft ist E. zu unkritisch in der Sekundärliteratur ausgesprochenen Meinungen gefolgt. Angeblich sprechen Erdbeben, die in der griechischen Klemensvita bzw. 2. slavischen Naumsvita erwähnt werden, für Sirmium und gegen die „Marchauen“ (62). Schwer verständlich, da gerade um Brünn ein Erdbebenherd liegt. [20] Eine oft zitierte Feststellung, daß nämlich das Altbulgarische auf der Synode von 893 zur „Reichssprache“ des bulgarischen Reichs wurde, finden wir auch bei E. (79, 82 f., 88). Diese Tatsache ist quellenmäßig nicht gesichert, außerdem gibt es im 1. bulgarischen Reich keine altbulgarischen Urkunden. [21] Mißverständlich ist auch die Formulierung, die kyrillische Schrift wäre „im westlichen Bulgarien (Makedonien) ... 993 vom Zaren SamuiJ durch ein Edikt eingeführt“ worden (89).

 

Leider ist E. der, wie die ausgewählten Beispiele gezeigt haben, nicht in der slavischen Philologie zu Hause ist allzu schnell bereit, einer in der Sekundärliteratur geäusserten Meinung zuzustimmen, wenn sie mit seiner Hypothese konform geht. Das hat zur Folge, daß er eine Meinung, die seiner Hypothese zuwiderläuft, bereits als erledigt betrachtet, wenn sich irgendjemand einmal dagegen ausgesprochen hat. So sagt er etwa auf S. 107: „Während die Befürworter einer echten kyrillomethodianischen Tradition natürlich die Anzahl dieser „Bohemismen“ zu maximieren suchen, haben die Opponenten dieser Denkschule an der dabei geübten Methode herbe Kritik geübt.“ Wichtig ist hier, auf den Unterschied zwischen „Moravismen" in aksl. Texten und „Bohemismen“ in den tschech.-ksl. Texten, die ja nur in russ.-ksl. und südslav., v. a. kroat.-ksl. Abschriften auf uns gekommen sind, hinzuweisen. So wurden zwar in einigen von E. zitierten Arbeiten die Bohemismen der tschech.-ksl. Evangelienhomilien Gregors des Großen, auf die — ausgehend von den Arbeiten des russischen Philologen Sobolevskij [22] — F. V. Mareš [23] und der Autor dieser Zeilen [24] aufmerksam gemacht haben, kritisiert, ein Kernbestand ist aber auch bei Anlegung strengster Kriterien schwer zu negieren. Ich meine solche Wörter, die nur im (Alt-)Tschechischen Parallelen haben wie gorekati ‘flere’ (ač. hořekati), g ‘Teil der Kelter’ (č. mda. hus[a]), obъchytiti ‘apprehendere’ (ač. obchytiti), otučьněti ‘pinguescere’ (ač. otučněti), плъть2 ‘fluxus’ (ač. plet ‘ratis, classis’). [25]

 

Andererseits hat André de Vincenz keineswegs die Existenz eines ksl. Schrifttums im Böhmen des 11. Jh. geleugnet. Dieses hat in seinem Modell im Gegenteil eine wichtige Rolle, soll es doch alle traditionell als aksl. Entlehnungen des Tschechischen

 

 

20. S. Lehner, M., „Und das Unglück ist von Gott gemacht...“. Geschichte der Naturkatastrophen in Österreich, Wien 1995, 82.

 

21. S. zu der Frage Preinerstorfer, R., Altkirchenslavisch oder ..., in: G. Holzer, Hrsg., Croatica - Slavica - Indoeuropaea (= Festschrift für R. Katičič zum 60. Geburtstag) Wien 1990, 197.

 

22. Соболевский, А. И., Материалы и исследования в области славянской филологии и археологии, Сборник ОРЯС LXXXVIII/3, 1910.

 

23. Mareš, F. V., Česká redakce církevní slovanštiny v svétle Besěd Řehoře Velikého (Dvoieslova), Slavia 32. 1963, 417-451.

 

24. Reinhart, J., Methodisches zu den lexikalischen Bohemismen im Tschechisch-Kirchenslavischen am Beispiel der Homilien Gregors des Großen, Wiener Slavistisches Jahrbuch 26, 1980, 46-102.

 

25. Der von E. zitierte Josip Hamm (Methodisches zu Fragen kirchenslavischer Textrekonstruktionen, Wiener Slavistisches Jahrbuch 27, 1981, 15-25) hat hier teilweise die Prinzipien der Eruierung lexikalischer Isoglossen mißverstanden. So impliziert die Existenz des Adjektivs tučьnъ keineswegs automatisch diejenige des Derivats otučьněti (S. 23), genauso weist das von ihm angeführte kroat. pluto ‘Kork’ eben gerade nicht die in tsch.-ksl. plъtь und (a)č. plet / plť vorliegende archaische Schwundstufe zum Verbum pluti ‘schwimmen’ auf.

 

 

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(bzw. im weiteren Sinn der übrigen westslavischen Sprachen) veranschlagten Wörter erklären. [26] Dagegen sollen alle Übereinstimmungen im religiösen Wortschatz der westslavischen Sprachen nicht, wie bisher meist angenommen, auf dem Einfluß des Aksl. beruhen, sondern „aus dem Wortschatz der zeitlich früheren westlichen Slavenmissionen stammen“. [27] Diese Kritik versuchte de Vincenz in einem weiteren Aufsatz, den E. ebenfalls erwähnt, etwas näher zu begründen. [28] Er leugnet z. B. den griechischen Ursprung solcher Wörter (bzw. Syntagmen) wie ѵъ imę, blagosloviti, prorokъ, sotona. Sie sollen ihm zufolge aus dem Lateinischen stammen. So sagt er zu sotona: „sotona kann zwar aufgr. satanās, aber auch auf mittellat. satanās oder auf ahd. satanās (Kluge) zurückgehen." [29] In Wirklichkeit beweist der Akzent auf der Ultima eindeutig die Herkunft des Wortes aus dem Griechischen. [30] Auch andere Lexeme sind sicher nur unter Zuhilfenahme eines griechischen Einflusses zu erklären, wie etwa der gemeinslavische Name für den Sonntag, nedělja. [31] Eine weitere Tatsache stellt sich ebenso de Vincenzs Hypothese vom Ursprung des übereinstimmenden westslavischen religiösen Wortschatzes aus den früheren westlichen Slavenmissionen entgegen. Er hat offenkundig übersehen, daß eine kleine Anzahl von vulgärlateinischen bzw. romanischen Entlehnungen der slavischen Sprachen nur vom Balkan bzw. aus dem Norditalienischen stammen kann. Es sind dies Wörter wie križь ‘Kreuz’, žid(ovin)ъ ‘Jude’ usw. Interessanterweise ist židъ auch im polab. zad fortgesetzt. Schließlich sind auch die von Janusz Siatkowski eruierten, nicht über das Alttschechische vermittelten Paläobulgarismen des (Alt-)Polnischen ein Hinweis auf den Einfluß des Aksl./Abg. bei den Westslaven. [32]

 

Wie längst in den Handbüchern des Aksl. zu lesen ist, finden sich in den aksl. Hss. sporadisch phonetische und morphologische Eigenheiten, die man am ehesten als Einfluß des „mährischen Aksl.“ wertet, die sogen. Moravismen. Die wichtigsten sind ro- aus *or- [33], c, z für *tj, *dj, [34] šč für *stj [35] und das Verbalpräfix vy- [36].

 

 

26. de Vincenz, A., Die altkirchenslavischen Elemente des westslavischen Wortschatzes und das sog. cyrillo-methodianische Erbe in Böhmen, in: K. Trost - E. Völkl - E Wedel, Hrsg., Symposium Methodianum, Beiträge zur internationalen Tagung in Regensburg (17. bis 24. April 1985) zum Gedenken an den 1100. Todestag des hl. Method (Selecta Slavica 13), Neuried 1988, 593-598 (hier: 598).

 

27. de Vincenz, Die altkirchenslavischen Elemente, 597.

 

28. de Vincenz, A., Zum Wortschatz der westlichen Slavenmission, in: R. Olesch - H. Rothe, Hrsg., Slavistische Studien zum X. Internationalen Slavistenkongrecß in Sofia 1988, Köln-Wien 1988, 273-295.

 

29. de Vincenz, op. cit., 288.

 

30. Дыбо, В. А., Славянская акцентология, Москва 1981, 178 f. (2.3.4.); Ушаков, В. Е., Акцентологический словарь древнерусского языка XIV века, Москва 1982, 310: сатанà, сaтани́нъ (120г), сатанинò (149в), сатаниноу̂ (1846); 338: сотоны̀ (137в); Hock, W., Der Rexionsakzent im mittelbulgarischen Evangelie 1139 (NBKM), II: Akzentwörterbuch, München 1992, 486-7 (сатанà, сатанѫ̀, сатанóѧ); čak. sotonȁ.

 

31. Vgl. Moszyński, L., Kto i kiedy ustalił słowiańskie nazwy dni tygodnia, in: Litterae slavicae medii aevi. München 1985 (= FS F. V. Mareš), 225: „Niezależnie jednak od interpretacji słowotwórczej i chronologicznej wyraz ten łączyć należy ze środowiskiem bałkańskim, nie zaś karynckim.“

 

32. Gemeint sind solche Wörter wie apoln. miłosirdy ‘barmherzig’, sąmnienie/sumnienie ‘Zweifel; Gewissen’, zbawiciel ‘Erlöser, Heiland’, s. Siatkowski, J., Altbulgarische Einflüsse auf das Allpolnische, Die slavischen Sprachen 2, 1982, 121-129; idem, Przedcyrilometodejska i starobułgarska terminologia chrześciańska w języku polskim, in: idem, Czesko-polskie kontakty językowe. Warszawa 1996, 203-216. Kritisch dazu de Vincenz, op. cit., 279.

 

33. Diels, P., Altkirchenslavische Grammatik, 1, Heidelberg 1932, 60, § 14, Anm. 5; Vaillant, A., Manuel du vieux-slave. Tome 1: Grammaire, Paris 21964, 48, § 28; Zusammenfassung aller Moravismen bei Večerka, R., Staroslověnština, Praha 1984, 18 ff. (§8).

 

34. Diels, op. cit., 131, § 49, Anm. 2,3; Vaillant, op. cit., 63, § 38.

 

 

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Manche davon sind auch in anderen aksl. Hss. als den Kiewer Blättern und den Prager Fragmenten belegt. Zum Teil stellen die erwähnten Erscheinungen keine exklusiven westslavischen Isoglossen dar (das Ostslavische spare ich hier natürlich aus): so kommt ro- auch in bulgarischen Dialekten, vi- auch in nordčakavischen und slowenischen Dialekten vor. Da aber manche auf das Westslavische beschränkt sind, [37] ist es am einfachsten, auch die übrigen ebenso zu interpretieren.

 

Es ist sehr kühn, wenn jemand, der etwa das Jat für „urslawisches langes *e, *ia und *jat’“ hält bzw. von einem „glagolitischen Zeichen „ЖD““ spricht (83), Hypothesen auf dem Gebiet der slavischen Philologie und Sprachwissenschaft aufstellt. Auf Grund der Unterschiede zwischen aksl. (bzw. abg.) Texten der sog. Ochrider und Preslaver Schule folgert er, daß das makedonische (Thessaloniker) Aksl. in Mähren nicht verständlich gewesen wäre (84). Ihm zufolge soll über Sázava im 11. Jh. „erstmals auch kyrillomethodianisches Gedankengut von Rußland nach Böhmen gelangt[e]“ sein (112). Völlige Unkenntnis der paläographischen und sprachlichen Besonderheiten der Kiewer Blätter - diese beinhalten übrigens nicht sieben Seiten, sondern sieben Blätter (115) - verrät E., wenn er sie durch Kleriker des ersten Zagreber Bischofs Duh abgeschrieben sein lassen will (117). Nicht klar wird, was E meint, wenn er schreibt, daß sich die Gräzismen des Aksl. besser mit der neu bestimmten südslavischen Lokalisierung „Moravias“ vertrügen als mit derjenigen im heutigen Mähren (85). Einerseits wurden sie sowieso immer mit der vorkyrillomethodianischen bzw. altbulgarischen Phase des Aksl. in Verbindung gebracht, andererseits zeigt gerade das Aksl. bzw. Russ.-Ksl, daß sich etablierte Fremdwörter lange halten konnten (z. B. Entlehnungen aus dem Althochdeutschen). Naiv wirkt die Versicherung, daß die Verwendung der Kiewer Blätter im südslavischen Raum auch deswegen plausibel sei. da zwar südslavische, aber keine tschechischen Mönche auf dem Sinai bezeugt seien (117). Daß die Kiewer Blätter vor ihrem Aufenthalt im Orient im südslavischen Raum gebraucht wurden, geht doch bereits aus dem ersten Blatt hervor, dessen Rektoseite nach weit verbreiteter Ansicht in Kroatien beschrieben wurde. [38]

 

Im Abschnitt „2.4.4. Heiligenkult, Patrozinien und Ortsnamen kyrillomethodianischer Prägung“ geht E. auch auf die Bezeugung der Namen Kyrill, Method, Klemens und Demetrius in Böhmen und Mähren ein. Er stellt auf S. 119 fest: „F. V. Mareš hat mit diesen beiden Namen (Crha und Strachota - J. R.) sowie mit „Klemens-“ und „Demetrius"-Formen zusammengesetzte Toponyme in Böhmen und Mähren aufgelistet und als Beweis für eine kyrillomethodianische Tradition gewertet, was jedoch gleichfalls abzulehnen ist.“ Schade, daß sich E. nicht die Mühe genommen hat, diese „Ablehnung“ zu begründen, sind doch die itazistischen Namensformen à la Klimětice (Ostböhmen; bezeugt seit 1379), Klimkovice (Nordböhmen; bezeugt seit 1322), Mitrovice (Mittelböhmen; bezeugt seit 1358 bzw. 1414), Mitrov (Mähren; bezeugt seit 1357) am ehesten als Erbe der großmährischen Zeit zu erklären. [39]

 

Man kommt also bei Bewertung von E.’ Überprüfung der textologischen, linguistischen und philologischen Evidenz zum Schluß, daß seine Kritik nicht überzeugt. Dies erklärt sich nicht nur aus seiner mangelnden Kompetenz in diesen Gebieten, sondern auch daher, daß für ihn offenkundig das Resultat seiner Überprüfung bereits von vornherein feststand.

 

Zum Darstellungsstil ist anzumerken, daß E. manche bloß vermuteten Sachverhalte als Tatsache hinstellt. Etwa wenn er Bosnien dem Amtsbereich Methods zuordnet (47) oder von einem bosnischen Fürstentum Sventopulks und seiner Vorfahren spricht (50).

 

 

35. Diels, op. cit., 137, § 51. Anm. 9; Vaillant, loc. cit.

 

36. Diels, op. cit., 282, § 135; Vaillant, op. cit., 337, § 243 („un trait, d’origine orientale“).

 

37. Völlig unbegründet sind E.’ Zweifel an der exklusiv tschechischen Vertretung von *tj, *dj als c und z (116). Das Sorbische mit der gleichen Vertretung kann hier aus historischen Gründen außer Betracht bleiben.

 

38. S. zuletzt Pantelić, M., О Kijevskim i Sinajskim listićima. Slovo 35, 1985, 5-56.

 

39. Mareš, F. V., La tradizione cirillo-metodiana nei paesi cechi alla luce dei toponimi, in: Filologia e letteratura nei paesi slavi. Studi in onore di Sante Graciotti, Roma 1990, 29-33.

 

 

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Auch in anderer Hinsicht ist die Schilderung für einen Historiker oft sehr phantasievoll. So soll Pannonien bis zur dinarischen Wasserscheide gereicht haben (23), Sventopulks Liebe zur lateinischen Liturgie erkläre sich aus seinen „engen Verflechtungen ... mit Aquileia“ (49), Methods Grab soll sich in der heute zerstörten, ältesten Kirche in Csanád befunden haben (68; u. a. deswegen, da „die Ausmaße der Gruft ... für den Lokalfürsten Ajtony ... zu großzügig“ gewesen wären) [40]. Durch keine Quellennachrichten gestützt ist die Annahme einer Teilung von Methods Erzdiözese nach seinem Tod in einen nördlich der Drau-Donau-Linie gelegenen Nordteil, der Wiching zufiel, und einen Südteil, deran Theodosius von Nin fiel (71). Aber auch an inneren Widersprüchen fehlt es nicht. Auf der einen Seite folgt E. Bowlus in der Vermutung eines Anspruchs Methods auf die „gesamte bairische Kirchenorganisation“ (33), um dies kurz darauf wieder in Abrede zu stellen (45). Die Nachricht der Methodvita (cap. 13) über eine Verstimmung des byzantinischen Kaisers gegenüber Method wird kurz nacheinander sowohl mit Serbien (51 f.) wie mit Kroatien (54 f.) in Verbindung gebracht. Nachdem spekuliert wurde, daß die kyrillische Schrift im 11. Jh. von Rußland nach Böhmen gelangte (112; ähnlich 114), wird kurz darauf vom dortigen Gebrauch der glagolitischen Schrift berichtet (118). [41]

 

Kommen wir zur Schlußfolgerung. Es ist unbestritten, daß primäre historische Quellen, also gleichzeitige Annalen und Dokumente, die Hauptlast bei der Lokalisierung des Herrschaftsgebiets der slavischen Fürsten Rastislav und Sventopulk sowie des Wirkungsgebiets des Erzbischofs Method und seines Bruders Konstantin/Kyrill im 9. Jh. tragen müssen. Trotz ihrer geringen Zahl und der darin enthaltenen lückenhaften Nachrichten, die außerdem nicht immer eindeutig zu interpretieren sind, ist es unmöglich, die heutigen westslavischen Länder Mähren und Slowakei hier als Kernländer auszuschließen, wie dies E. im Gefolge Bobas tun will. Sein Vorschlag, das Zentrum „Großmährens“ (bei ihm: „Moravia“) in der Theißebene zu lokalisieren, ist auf einem Ausschlußverfahren gegründet, kann aber keine positive Evidenz für sich beanspruchen. Insbesondere geht die eindeutige Nennung von Marosvár/Csanád als Morava ab. [42] Dies heißt freilich nicht, daß nicht auch die Theißebene in irgendeiner Form zum Regnum des Sventopulk gehört haben kann [43], jedoch nur in der weiteren Interpretation des Terminus „Mähren“. [44] Der Anerkennung der Theißebene als Zentrum „Moravias“ stellt sich die Besetzung dieses Gebiets durch die Magyaren kurz nach der Landnahme (896) entgegen. Dies hat zwar E. durchaus gesehen, seine Versuche, die Ungarn bis 907 an diesem Gebiet vorbeiziehen zu lassen, müssen aber als gescheitert betrachtet werden. [45]

 

Gegenüber den direkten historischen Quellen hat die von Eggers benützte kirchengeschichtliche, kulturgeschichtliche, linguistische und literarische Evidenz nur untergeordnete Bedeutung. Trotz seiner Anstrengungen lassen sich westslavische Spuren in etlichen aksl. Handschriften, so geringfügig sie auch sein mögen, nicht leugnen.

 

 

40. Für den Steinsarkophag des hl. Gerhardt hält es Barta, G. et al., Kurze Geschichte Siebenbürgens, Budapest 1990, 164.

 

41. So ist es auch nicht erstaunlich, daß er von der Existenz der glagolitischen Schrift im Kloster Sázava nichts weiß. vgl. Mareš. F. V., Česká redakce církevní slovanštiny, 421, 448. Vgl. auch Večerka, Staroslověnština. 35 (§ 18): „Závažný je v otázkách o původu písma i fakt, že památky ukazující na přímou souvislost s naším územím, Kyjevské listy a Pražské zlomky hlaholské, jsou psány hlaholicí, kdežto existence cyrilice u nás je dosud ne zcela jistá.“

 

42. Die „urbs Morisena“ ist phonetisch doch recht weit entfernt, bei der „civitas Marouwe“ des Lampert von Hersfeld ist nur die ungefähre Lage bekannt (100). - Abwegig sind die onomastischen Spekulationen bei Eggers, Das „Großmährische Reich“, 155 f.

 

43. Vgl. z. B. Havlík, L. E., Svatopluk veliký, král Moravanů a Slovanů, Brno 1994, 82 und die Karte auf S. 85-6.

 

44. So prinzipiell auch Eggers, Das „Großmährische Reich“, 262: „wobei auch dieser Begriff (nämlich „Moravia“ - J. R.) ja durch Sventopulks Großreichbildung eine Ausweitung erfahren hatte.“

 

45. Eggers, Das „Großmährische Reich“, 312 ff., bes. 316. - Sieh dagegen z. B. Barta, G. et al., Kurze Geschichte Siebenbürgens, 112 f.

 

 

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Ebensowenig sind großmährische Spuren in den böhmischen Ländern und in der Slowakei wegzudiskutieren. Dies betrifft v. a. sprachliche Spuren des Aksl. in den westslavischen Sprachen, Spuren von griechisch vermittelten Ortsnamen in den böhmischen Ländern, kirchenslavische bzw. kirchenslavisch beeinflußte, in Böhmen entstandene Schriftdenkmäler. Diese sekundäre Evidenz stützt also trotz aller Einwände und Hyperkritik die von den meisten Historikern eruierte Lokalisierung der Kemgebiete „Großmährens“ in Mähren und der Slowakei. [46]

 

Es bedarf keiner großen prophetischen Gabe um vorherzusagen, daß Eggers’ Lokalisierungsvorschlag noch weniger Chancen auf eine breite Anerkennung besitzt als derjenige seines Vorgängers Boba. Denn obwohl er sich oft als zünftigerer Historiker erweist als jener, befindet er sich in der unbequemen wissenschaftsgeschichtlichen Position, daß die Leugnung des nördlich der Donau gelegenen „Großmährens" schon von Boba besetzt ist und eine weitere Hypothese sich hier wohl noch schwerer durchsetzen läßt.

 

 

Johannes Reinhart (Wien)

 

 

46. Aus philologischer Sicht verliert die Lokalisierung Großmährens in Mähren und der Slowakei an Relevanz, wenn man mit Horace G. Lunt - entgegen Boba und Eggers — dem großmährischen Reich, wo immer sein ursprüngliches Zentrum gelegen hat,, eine späte tschechische und slowakische Phase zugesleht: „Svätopolk / Zwentibald can be associated with Slovak and Czech lands only after 870." (s. Lunt, H. G., Cyril and Methodius with Rastislav Prince of Morava: Where were they?, in: FS Zimin, Moskau 1997 [im Druck], 15). Eggers, M., Das „Großmährische Reich", 286 rechnet erst ab 890 mit einer Eingliederung Böhmens in Sventopulks Reich. Zur Erzdiözese Methods hätte weder Böhmen noch Mähren je gehört, sondern bloß das Gebiet um Nitra seit 873 (s. Karte 6 des besprochenen Werks).

  

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