Vorläufige Untersuchungen über den bairischen Bulgarenmord von 631/632
Heinrich Kunstmann 

 

Postscriptum

 

 

Bei weiter ausgreifenden Arbeiten zum gegebenen Themenkreis zeigte sich in buchstäblich letzter Minute, nach Abschluß nämlich der ersten Korrektur zu diesem Buch, daß der Münchener Historiker Wilhelm Störmer schon vor Jahren zum fraglichen Bulgarenmord bemerkenswerte Gedanken entwickelte [1], denen hier noch kurz einige eigene Überlegungen gewidmet seien.

 

Sie betreffen zur Hauptsache den Fredegar-Satz (157, 11-13) consilium Francorum Dagobertus Baioariis iobet, ut Bulgarus illus... in domum suam una nocte Baiuariae interficerint... , den Störmer so übersetzt: "...befahl Dagobert auf Rat der Franken den Baiern, daß in einer Nacht in (ganz) Baiern jeder in seinem Hause die Bulgaren töten solle..." Da Störmer aus eben diesem Satz zwei nicht unbedeutende Schlüsse zieht, seien seiner Übersetzung die alte deutsche von Otto Abel (Anm. 5) und die englische von Wallace-Hadrill gegenübergestellt: "...erließ Dagobert nach dem Rath der Franken das Gebot an die Baiern, sie sollten Jeder in seinem Hause jene Bulgaren... in einer Nacht umbringen..." / "...Dagobert took the advice of his Franks and ordered the Bavarians to kill the Bulgars... during the night in their homes..."

 

Unmißverständlich ergibt sich daraus zunächst, daß von (ganz) Baiern bei Fredegar nicht die Rede ist. Auch wenn Störmer (ganz) in Klammern setzt, ist kaum davon auszugehen, daß die bulgarischen Asylanten auf ganz Baiern verteilt wurden. Es sprechen doch, wie gezeigt werden konnte, mehrere Argumente dafür, daß der Bulgarenmord in unmittelbarer Nähe der bairisch-pannonischen Grenze begangen wurde.

 

Der zweite von Störmer aus dieser Fredegar-Passage gezogene Schluß ist anderer Art. Störmer glaubt annehmen zu dürfen, Fredegars Wendung consilium Francorum lasse darauf schließen, der fränkische Adel habe bei der Aktion gegen die Bulgaren mitgewirkt, ja sie vielleicht sogar angeregt. Doch Störmer geht noch einen Schritt weiter, indem er annimmt, "daß fränkische Adelige auch als Mittelsmänner in Bayern saßen", was ja wohl unterstellt, der fränkische

 

 

1. W. Stormer: Früher Adel. Studien zur politischen Führungeschicht im fränkisch-deutschen Reich vom 8. bis 11. Jahrhundert. Teil I. Stuttgart 1973, S. 204.

 

 

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Adel habe möglicherweise selbst aktiv in das Mordgeschehen mit eingegriffen. Störmers Folgerungen sind freilich nicht in jeder Hinsicht stichhaltig, da sich die Formel consilium (= consilio) Francorum nicht unbedingt und ausschließlich auf die fränkischen Großen, sondern ebensowohl auf Dagoberts consiliarii beziehen läßt. Nicht auszuschließen ist sogar, daß Fredegar es vermeiden wollte, auch noch andere Personen als Dagobert zu kompromittieren. Im Blick auf Dagoberts consiliarii ist namentlich an dessen maiordomus Aega (Ega) zu denken, der, nach Ausweis von Fredegar (151, 20), unter den neustrischen Großen einen hervorragenden, durch besondere Königsnähe ausgezeichneten Platz einnahm. Aegas große Karriere begann eben unter Dagobert, nachdem dieser das Gesamtregnum übernommen hatte [2]. Sowohl maiordomus als auch consiliarius war neben Aega allerdings auch Pippin der Ältere. Sein Majordomat begann früher, wohl schon 623/4, zu einer Zeit, da Dagobert noch unmündig war [3]. Die Formel consilium Francorum muß sich nicht allein auf die fränkischen Großen, sie kann sich sehr wohl auch auf des Königs consiliarii beziehen, in keinem Fall aber läßt sich aus ihr folgern, "daß der fränkische Adel bei der Aktion mitgewirkt hat".

 

Voller Bewunderung für den Scharfsinn des Historikers Störmer entnimmt man seinen weiteren Überlegungen über den bairischen Bulgarenmord aber auch die gewiß überraschende Erkenntnis, daß "diese grausame und barbarische Liquidation... an die Vorgänge am Hunnenhof im Nibelungenlied erinnert..." Wieder einmal scheint Terenz recht zu behalten: nullum est iam dictum, quod non sit dictum prius.

 

 

2. H. Ebling : Prosopographie der Amtsträger des Merowingerreiches. (Francia/Beiheft 2). München 1972, S. 38 ff. Ebling meint dagegen, Aega sei erst unter Dagoberts Sohn, Chlodwig II., zum maiordomus aufgestiegen. Die frühe beratende Funktion Aegas apostrophieren aber sowohl Fredegar als auch die Gesta Dagoberti: ... consilio Aegane... (162, 1) / ... Ega... qui fuerat consiliarius regis Dagoberti (422, 10).

 

3. A. Friese: Studien zur Herrschaftsgeschichte des fränkischen Adels. Der mainländisch-thüringische Raum vom 7. bis 11. Jahrhundert, Stuttgart 1979, S. 18 f.

 

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