Die innere Struktur der bulgarischen Volkswirtschaft


 
Land- und Forstwirtschaft

Bulgarien ist das Land der Klein- und Mittelbauern, die 90% der gesamten landwirtschaftlichen Betriebe ausmachen und die über 90% des unter dem Pflug befindlichen Bodens verfügen. 80% der Bevölkerung ge­hört dem Bauernstände an, während der Rest sich mit 8°/o auf Bergbau und Industrie und mit 12% auf Handel, Verkehr, Verwaltung und Kultus sowie freie Berufe verteilt. Von der 10,3 MilL Hektar betragen­den Gesamtfläche Altbulgariens waren 1938 44,2% (4,6 Mill. ha) landwirtschaftlich genutzt, was eine ste­tige Zunahme seit dem Weltkrieg bedeutet. Der weiteren Ausdehnung der landwirtschaftlichen Nutzfläche sind durch die gebirgige Natur des Landes, besonders in Südbulgarien, und durch das rauhe Klima in Nord­bulgarien, das die Fruchtbarkeit beeinträchtigt, natürliche Grenzen gesetzt.

Bulgarien hat keinen Großgrundbesitz im europäischen Sinne. Es hat die für seine innere Entwicklung lebenswichtige Frage der Bodenverteilung durch mehrere Agrarreformen nach 1878 im Rahmen des Mög­lichen gelöst. Die erste Agrarreform kurz nach der Staatsgründung ging zu Lasten des Bodenbesitzes der ehemaligen türkischen Grundherren, während die letzte Agrarreform unter Stambulijski den Gedanken des Arbeitslandbesitzes zu Grunde legte. Das Gesetz über den Arbeitslandbesitz stellte den Grundsatz auf, daß jeder bulgarische Bauer nur soviel Land sein Eigentum nennen dürfe, als er und seine Familie voll bestellen können. Wenn auch das Gesetz nicht überall sinngemäß durchgeführt wurde, so trat doch eine begrüßenswerte Umschichtung der Besitzverhältnisse ein, da eine Verringerung der Parzellenbetriebe und damit des bäuer­lichen Proletariats sowie eine Stärkung der wirtschaftlich wichtigen Mittelbetriebe erzielt werden konnte 1.

Aber die jetzige Besitzaufteilung ist für die notwendige Intensivierung der bulgarischen landwirtschaft­lichen Erzeugung, die sich bisher in allzu extensivem Rahmen bewegte, noch immer nicht befriedigend. Der vom ehemaligen bulgarischen Landwirtschaftsminister Bagrianoff 1939 aufgestellte landwirtschaftliche Vierjahresplan für Bulgarien sah für die über 1/2 Million von Zwergbetrieben mit weniger Boden als 3,5 ha eine Neuzuteilung von l Million ha Boden als notwendige Voraussetzung für die erforderliche Leistungssteigerung vor. Dieser fehlende Boden sollte durch Trockenlegung, intensive Bewässerung, Ausrodungen und Bodenver­besserungen in Etappen gewonnen werden.

Die Bodennutzung in Altbulgarien betrug bei einer Gesamtfläche von 10,3 Mill. Hektar in den Jahren 1937/38:


Bodennutzung in Bulgarien 1937/38
in 1000 ha
v.
der Gesamtfläche
H.
der landw. Anbaufläche
1. Landwirtschaftliche Anbaufläche
        a) Ackerland
            davon
            Getreide    
            Hülsenfrüchte, Kartoffeln und Gemüse 
            Industriepflanzen
            Futterpflanzen
            Wiesen   
            Weinland
            Obst-, Rosen- und Maulbeerpflanzungen
        b) Brachland
2. Forstfläche 
           davon holzerzeugende Fläche 
3 Weiden und sonstige Flächen 
4 559,3
4 081,8

2 776,9
203,7
350,4
271,1
307,5
114,8
55,2
479,7
3 333,1
2 795,3
2 422,2
44,2
39,6

26,9
2,0
3,4
2,6
3,0
1,1
0,5
4,7
32,3
27,1
23,5
100,0
89,5

60,9
4,5
7,7
5,9
6,7
2,5
1,2
10,5
-
-
-

 
      Die neuen Gebiete vergrößern die Anbaufläche um etwa 10 Millionen Hektar, wovon das Ackerland selbst von der Gesamtanbaufläche mit Ausnahme der Süddobrudscha einen wesentlich kleineren Teil als in Alt­bulgarien einnimmt: Thrazien etwa 20%, Mazedonien etwa 25%, Süddobrudscha aber etwa 75%.

Das Hauptprodukt der bulgarischen Landwirtschaft ist Getreide, besonders Weizen, der mit 1,4 Millionen Hektar ein Viertel der gesamten Anbaufläche Altbulgariens einnimmt, und Mais. Erheblich geringer ist der Anbau von Gerste, Roggen und Hafer. Im Jahre 1938 wurden 2,15 Millionen Tonnen Weizen und 0,52 Mil­lionen Tonnen Mais geerntet. Die Erzeugung wird sich durch die neuen Gebiete wie folgt steigern: Weizen auf ungefähr 2,5 Millionen Tonnen, Mais gleichfalls auf ungefähr 2,5 Millionen Tonnen, Gerste auf über 0,5 Millionen Tonnen, Roggen auf fast 0,5 Millionen Tonnen und Gerste auf 0,2 Millionen Tonnen. An zwei­ter Stelle steht der Futterpflanzenanbau und an dritter der Anbau von Öl- und Industriepflanzen, Gemüse, Wein und Obst.

Unter der Einwirkung der Zerrüttung der Weltmarktpreise für Agrarerzeugnisse und der Anpassung an den deutschen Bedarf seit 1933 gehen die Bemühungen Bulgariens dahin, den Getreidebau auf das für den Eigenbedarf notwendige Maß zurückzuführen und dafür ertragreichere und auch exportfähigere Produkte, wie es Tabak, Obst, Gemüse, Öl- und Faserpflanzen sind, in stärkerem Maße anzubauen. Die Rückgewin­nung der Süddobrudscha, die einen ausgesprochenen Getreideboden hat, läßt eine beträchtliche Anbau­fläche in Südbulgarien, freiwerden, um die Erzeugung von Industriepflanzen zur Ausfuhr nach Deutschland zu steigern.

Der Tabakanbau ist zu einer der wichtigsten Einnahmequellen Bulgariens geworden. Die Ernte von 1940 war mit rund 50 Millionen Kilogramm um 10 Millionen Kilogramm höher als im vorhergehenden Jahre. Durch die neugewonnene Tabakanbaufläche in Thrazien ist Bulgarien zum einzigen europäischen Tabak­erzeuger orientalischer Provenienzen geworden. Man schätzt die Zukünftige Gesamtproduktion Bulgariens an Tabaken auf 80—90 Millionen Kilogramm jährlich.

Die Gewinnung von Rosenöl, mit dem Bulgarien in der Welt bekannt wurde, geht dagegen immer weiter zurück, nachdem die synthetischen Riechstoffe erzeugt werden. Heute werden immer mehr in den vielfach modern eingerichteten Destillierwerken Pfefferminzöl und andere industrielle Öle gewonnen, die gleichfalls ihren Weg nach Deutschland nehmen.

Auch die Viehzucht spielt eine erhebliche Rolle. 1939 entfielen auf Erzeugnisse der Tierzucht 16,7% des Gesamtwertes der bulgarischen Ausfuhr. Im flachen Donaugebiet herrscht die Rinder- und Schweinezucht vor; die ausgedehnten Weideflächen im gebirgigen Südbulgarien dienen hauptsächlich der Schafzucht. Nach der letzten Statistik stehen innerhalb der Viehhaltung die Schafe mit 8,8 Millionen Stück an der Spitze, jedoch ist der Wollertrag sehr niedrig und die Wolle sehr grob, so daß für bessere Wollwaren Einfuhr nötig ist. Es folgen Ochsen mit 1,5 Millionen Stück, Ziegen mit 0,9 Millionen, Schweine mit 0,9 Millionen und Pferde mit 0,5 Millionen Stück. Das in Bulgarien gezüchtete Ostbalkanschwein gewinnt steigende Ausfuhrbedeu­tung, Eine sich auf eine Kuhhaltung aufbauende Milchwirtschaft im deutschen Sinne betreibt man in Bulga­rien nicht.

Große Bedeutung hat die bulgarische Geflügelzucht. 1939 wurden 12,8 Millionen Stück Geflügel gehal­ten. Eine Verdreifachung wird für möglich gehalten. Acht modern eingerichtete Geflügelschlachthöfe die­nen in der Hauptsache Exportzwecken. Eier nehmen 1939 in der Ausfuhr mit 512 Millionen Lewa die zweite Stelle — nach dem Tabak — ein. Der Fischerei kommt eine beträchtliche Bedeutung zu, vor allem durch die Ausbeutung des fischreichen Ägäischen Meeres. Auch die Bienenzucht ist weit verbreitet. Die bulgarische Seidenraupenproduktion nimmt in Europa nach Italien den zweiten Platz ein.

Ein anderer, für die Zukunft wichtiger Zweig der bulgarischen Volkswirtschaft ist die Forstwirtschaft. Der Waldbestand beträgt trotz des jahrhundertelangen Raubbaues unter der Türkenherrschaft 32,3%, die Holz erzeugende Fläche 27,l% der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Die bulgarische Forstverwaltung hat sich mit der Einführung einer planmäßigen Bewirtschaftung in den letzten 20 Jahren ein großes natio­nales Verdienst erworben, an dem die Kolonnen des Arbeitsdienstes einen wesentlichen Anteil haben. Für die weitere Entwicklung der bulgarischen Forstwirtschaft ist es von großer Bedeutung, daß es gelingt, den Viehfraß — vor allem der Ziegen — am Niederholz zu verhindern.

Die wirtschaftliche Nutzung der Wälder ist durch den Mangel an Waldwegen und durch ungenügende Straßen- und Bahnverhältnisse erschwert. Der umständliche Transport macht die Holzausfuhr preismäßig unmöglich. Selbst für den Inlandbedarf sind viele Holzsorten zu teuer, so daß z. B. Papierzellstoff einge­führt werden muß. Die forstwirtschaftliche Lage Bulgariens ist durch den Erwerb der neuen Gebiete vor­erst nicht gebessert worden. Im Gegenteil, sie bilden für die ersten Jahre ein Holzzuschußgebiet.

Das Ziel der zukünftigen Entwicklung der bulgarischen Landwirtschaft muß eine wesentliche Steigerung der Erzeugung sein, damit die bulgarische Landwirtschaft ihre Aufgabe im Rahmen der gesamten bulgari­schen Volkswirtschaft und der europäischen Großraumwirtschaft erfüllen kann. Welche Möglichkeiten die Intensivierung der Landwirtschaft in Bulgarien noch hat, geht aus einem Vergleich der Hektarerträge im Durchschnitt der Jahre 1933—1937 in Bulgarien und Deutschland hervor. Sie betrugen in Bulgarien (in Klammern die deutschen Hektar ertrage) bei Weizen 11,9 (22,2) dz, Roggen 10,6 (17,1) dz, Mais 12,8 (21,7) dz, Kartoffeln 66,8 (164,0) dz und Zuckerrüben 181 (303) dz. Auch ein Vergleich der Viehdichte läßt dasselbe erkennen. So kamen auf 100 Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche in Bulgarien 13 Rinder, in Deutschland (Altreich) 69, in Bulgarien 28 Schweine je 100 Hektar Ackerland, in Deutschland 121. Da­gegen kommen auf 17 Schafe je 100 Hektar in Deutschland 125 in Bulgarien und auf 9 Ziegen in Deutsch­land 18 in Bulgarien.

Von der Notwendigkeit der Intensivierung der bulgarischen landwirtschaftlichen Erzeugung, besonders seit der neuen deutschen Handelspolitik und der Steigerung der bulgarischen Bedürfnisse an Fertigwaren, ist man auch in bulgarischen verantwortlichen Kreisen überzeugt. Aber erst seit 1937 wurde dieses Wollen durch eine Reihe besonderer Maßnahmen, erstmalig durch den ehemaligen Landwirtschaftsminister Bagrianoff, in die Tat umgesetzt. Bagrianoff und sein Nachfolger Kuscheff (bis März 1942) stellten eine Reihe von Plänen auf, die im wesentlichen folgende Ziele ins Auge faßten:

1. Umfassende Bodenneugewinnung und Bodenverbesserung.

2. Hebung der Hektar ertrage, vor allem durch Zurverfügungstellung von gutem Saatgut und Lieferung moderner (deutscher) Landwirtschaftsmaschinen sowie stärkere Hinzuziehung von künstlichem Dünger.

3. Weitere verstärkte Umstellung der agrarischen Erzeugung und ihre Anpassung an Deutschlands gestei­gerten Bedarf, vor allem durch den erweiterten Anbau von Öl- und Faserpflanzen sowie Gemüse und Obst.

4. Verbesserung der Viehzuchtt in der Hauptsache der Schweinemast, der Seidenraupen- und Bienenzucht.

5. Anlage von landwirtschaftlichen Industrien, die an Ort und Stelle die erzeugten Produkte konservie­rend verarbeiten. (Hierdurch würde der bulgarische Bauer sehr viel neue Exportmöglichkeiten nach Deutschland erhalten.)

6. Schulung und Erziehung der landwirtschaftlichen Bevölkerung.

Die bulgarischen Bauern sind in der Hauptsache durch die Marktordnung Deutschlands in die Lage ver­setzt worden, derartige weitgehende Pläne aufzustellen und die für ihre Durchführung notwendigen mate­riellen Mittel aufzubringen. Der deutsche Markt kauft im allgemeinen die gesamte Ernte der neu, bzw. verstärkt angebauten Produkte zu angemessenen Preisen ab. Der stetige deutsche Bedarf läßt keine der ge­fürchteten Konjunkturschwankungen aufkommen. Der bulgarische Erzeuger erhält einen Festpreis, was für ihn erhöhte Einnahmen zur Folge hat. Der Plan von Bagrianoff sah sogar eine Verdoppelung des Ein­kommens der bulgarischen Bauernschaft vor, das heute im Durchschnitt nur 6000 Lewa jährlich, das sind rund 200 RM, für jeden Bauern beträgt, als sein Endziel vor. Durch die verstärkte Kaufkraft der Land­bevölkerung wird die ganze bulgarische Volkswirtschaft belebt, was auch im Interesse Deutschlands liegt.

Es ist zu hoffen, daß, nachdem die durch die neuen Gebiete veränderten Verhältnisse in organischer Weise in den alten Planungen berücksichtigt worden sind, die beschriebenen Maßnahmen zur praktischen Durchfüh­rung gelangen, denn diese großzügigen, nach erprobten Vorbildern auf Grund der bulgarischen Verhältnisse ausgearbeiteten Pläne scheinen geeignet, Bulgarien einer neuen wirtschaftlichen Blüte entgegenzuführen, wo­bei Deutschland ihm helfen wird.


1 Die Betriebe über 10 ha verringerten sich von 18,9% auf 14,8%, die Betriebe unter 2 ha verringerten sich von 32,0% auf 24,1%, die Betriebe von 2—5 ha erhöhten sich von 24,5% auf 32,8%, die Betriebe von 5—10 ha erhöhten sich von 24,5% auf 28,3% der landwirtschaftlichen Gesamtbetriebe Bulgariens.


[Back]  [Index]  [Next]