Die Slaven in Griechenland
Max Vasmer
25. Thrakien
a) Gebiet von Xanthe
b) Gebiet von Ainos (Marica)
1. Βουλγάρ-κιοϊ / Ἑλληνοχώριον
c) Gebiet von Adrianopel
d) Gebiet von Saranda Ekklesiai (Kyrk Kilise)
e) Gebiet von Rhaidestos
f) Gebiet von Kallipolis (Galipoli)
Hier muß ich mich auf eine kleine Auswahl von Beispielen beschränken, da das bulgarische Material außerhalb der bulgarischen Reichsgrenzen hier nicht annähernd so reichhaltig zusammengestellt ist wie dasjenige für Mazedonien.
a) Gebiet von Xanthe
Folgende Namen sind mit Hilfe des Slavischen deutbar:
1. Βαλνάτοβα ON, Kr. Xanthe (Lex., wo dafür auch der Name Αἱμόνιον angeführt ist). Vom bulg. vъlna »Wolle«, *vъlnatъ »wollig«, skr. vȕnat »wollig« (Vuk).
2. Βονιάνον ON, Kr. Xanthe (Lex.). Vielleicht aus *Vodnjan-. Vgl. bulg. ON Vodńanci, skr. Vodna usw.
3. Γρατηνή ON, Kr. Komotene (Lex.). Als Grundform setze ich ein slav. *Gradьna von gradъ an. Vgl. skr. Gradna, Gradnja, poln. Grodno usw. Möglich wäre die Herleitung des griechischen ON auch aus einem *Gradina. Vgl. bulg. Gradine.
4. Μπραμτάκοβα ON, Kr. Xanthe (Lex.). Etwa aus slav. *Bradatovo, zu bradatъ »bärtig«.
5. Ντολοῦ ON, Kr. Komotene (Lex., wo auch ein zweiter Name Τάλης angegeben wird). Aus slav. dolъ »Tal«.
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6. Παρένα-Συρόκα ON, Kr. Xanthe (Lex.). Da der zweite Teil bestimmt slavisch ist, möchte ich den ersten Teil auch aus dem Slavischen erklären. Zu vergleichen wäre bulg. paren »gedämpft«, parenina »Brachacker«. Ich kann diese Wörter aber sonst in ON nicht nachweisen.
7. Ῥαδοβοῦς ON, Kr. Xanthe (Lex.). Etwa zu bulg. Radovo.
8. Σατνοβίτσα ON, Kr. Xanthe (Lex.). In der Bildung etwas abweichend ist der bulg. ON Šatkovica.
9. Συρόκα : in Παρένα-Συρόκα, auch Συρόκος genannt, Ort im Kr. Xanthe (Lex.). Es ist slav. štroka bzw. široko »breit«. Vgl. bulg. Široka, Široko, skr. Široka, Široko usw.
b) Gebiet von Ainos (Marica)
Als slavisch lassen sich folgende Namen in dieser Gegend nachweisen:
1. Βουλγάρ-κιοϊ (auch Ἑλληνοχώριον) ON, Kr. Didymoteichon (Lex.). Ein »Bulgarendorf«, enthält türk. bulγar und köi »Dorf«. Nach Altinov: Boulgar-Keuy.
2. Δελβοτζιάνους, ein προάστειον ἡ Δελβοτζιάνους, im Typikon des Kosmosoteira-Klosters bei Ainos (a. 1152), vgl. Izvest. Russk. Archeol. Instituta v Konstantinopolě XIII 52 (Hs. des 15. Jahrhunderts). Entspricht einem altslav. *Dьlbočane »Anwohner eines *Dьlboka-Gewässers oder Ortes«. Vgl. bulg. dъlb m. dъ́lběj »Vertiefung« usw., s. Berneker EW I 250 ff. In ON beachte man bulg. Dъlboki, Dъlboki Dol, Dъlbočica u. a.
3. Δομπράβα ON, Kr. Suflíu (Lex.). Gehört zu altbulg. dǫbrava »Wald, Eichwald«, bulg. dъbrava idem, skr. dùbrava. Zur Sippe vgl. Berneker EW I 215 ff. In ON läßt sich belegen bulg. Dъbravitě, Dъbravata, Dъbravi, sloven. Dobrava (sehr oft), skr. Dubrava (ebenfalls häufig).
4. Δραγαβάσταν χωρίον im Typikon des Kosmosoteira-Klosters bei Ainos (1152), s. Izvestija Russk. Archeol. Inst, v Konstantinopolě XIII 71 (Hs. des 15. Jahrhunderts). Lautliche Schwierigkeiten macht Zurückführung auf ein bulg. *Dragoměsto, weniger wegen des α für ě als wegen des β statt m. Vgl. oben Δραγαμέστον S. 70.
5. Κλοκοτινίτζα (var. Κολοκοτινίτζα) ON »ad Hebrum sita«, Georg. Akropol. I S. 42, 9, Κλοκοτινίτζα in Synopsis Sathas 474,17. Zugrunde liegt ein slav. *Klokotьnica. Vgl. bulg. Klokotnica (St. Zagora).
6. Κούρσοβο ON, Kr. Didymoteichon (Lex.). Die bulgarische Entsprechung kann ich nicht mit Sicherheit feststellen. Vielleicht ist der Ort identisch mit Altinovs 173: Krouchevo. Dann ist es ein slav. *Kruševo »Birnenort« bzw. Krušovo wie oben S. 218.
7. Νεβοσέλους ein προάστειον ἡ Νεβοσέλους im Typikon des Kosmosoteira-Klosters bei Ainos (1152, Hs. 15. Jahrhundert), s. Izvest. Russk. Archeol. Instit. v Konstantinopolě XIII 52. Heutige Lage mir unbekannt.
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Zu dem oben S.199 Nr. 48 erwähnten Namen Νεβοσέλους mit griechischer Anlehnung an νέος. Vgl. bulg. Novo Selo (sehr oft).
8. Στανόν ON, Kr. Suflíu (Lex.). Der Ort heißt auch Κισσέκιοϊ. Zugrunde liegt bulg. stan »Nachtlager, Rastort«, skr. stȃn »Sennerei, Wohnung« (Vuk). Vgl. sloven. ON Stan und Στανόν ON bei Georg. Akropol. I S. 169 20; Synopsis Sathas 544, 15.
9. Τζερνίκου χωρίον im Typikon des Kosmosoteira-Klosters bei Ainos (1152) s. Izvest. Russk. Archeol. Instit. v Konstantinopolě XIII 52 (Hs. des 15. Jahrhunderts). Heutige Lage mir unbekannt. Vgl. bulg. ON Cъrnica, skr. Crnik. Oder besser von einem mgriech. Τσέλνικος, aus slav. čelьnikъ »praefectus«, wozu Vasiljevskij ŽMNPr 1881, JuU, 273 und G. Meyer, Ngr. Stud. II 61.
10. Τζεχοβᾶ : τὸ χωρίον τοῦ Τζεχοβᾶ im Typikon des Kosmosoteira-Klosters bei Ainos (1152), s. Izvest. Russk. Archeol. Instit. v Konstantinopolě XIII 52 (Hs. 15. Jahrhundert). Vgl. sloven. Čehovec.
11. Τραύα ON, Kr. Didymoteichon (Lex.). Zu slav. trava »Gras«. Vgl. sloven. ON Trava.
c) Gebiet von Adrianopel
Auch hier bedarf es keines Nachweises slavischer Bevölkerung, da sie in weitem Umfange heute noch auf diesem Gebiet vorgefunden wird. Ich beschränke mich auf einige Namen, die durch die griechische Wiedergabe slavischer Laute oder aus andern Gründen von Interesse sind.
1. Βάλτος ON, Kr. Adrianopel (Lex.). Am wahrscheinlichsten durch Griechen übertragenes ngriech. βάλτος wie oben S. 22.
2. Βίσα, auch Μποσνάκιοϊ genannt, Ort im Kr. Adrianopel (Lex.). Der zweite Name gehört zu skr. Borna »Bosnien« und osman. köi »Dorf«. Den ersteren möchte ich zweifelnd zu skr. vı ̑s m. »Bergspitze« stellen. Vgl. übrigens bulg. Vis-Kjoj (Tutrakan).
3. Βίστιρος, auch Μπουγιουνλοῦ, Ort im Kr. Drongylion (Lex.). Wohl slav. bystrъ »klar, hell, schnell«, bulg. bistъr »hell, durchsichtig«, skr. bȉstar »klar«, zur Sippe s. Berneker EW I 113. Vgl. skr. ON Bistar, bulg. Bistъr.
4. Γραβία ON, Kr. Makra Gephyra (Lex.). Wohl eine griechische Benennung nach ngriech. γραβία von γράβος »Weißbuche«, wozu s. G. Meyer, Neugr. Stud. II 24. Vgl. auch oben S. III Nr. 7.
5. Δέβρη, Kr. Adrianopel (Lex.). Gehört zu slav. dьbrь »Schlucht«. Vgl. oben S. 181.
6. Δομπάν und Δόμπανον zwei Orte im Kr. Drongylion (Lex.). Etwa zu bulg. ON Dъben, Dъbene.
7. Δραγάτσι ON, Kr. Makra Gephyra (Lex.). Gehört wohl als griechische Benennung zu δραγάτης »Feldhüter, Waldhüter, auch Weinberghüter«, dial.
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δραγάτς, dasselbe, Velvendos, Ἀρχεῖα I 2, 84. Dieses letztere Wort hält G. Meyer, Neugriech. Stud. II 26, für eine Ableitung von slav. draga »Tal«, doch ist diese Deutung sehr zweifelhaft wegen formeller Schwierigkeiten. Alte Belege erweisen δραγάτης als vorslavisch. Vgl. Glotta VII 337, XI 244 und XV 70 ff.
8. Μπάρα ON, Kr. Adrianopel (Lex.). Gehört zu bulg., kslav. bára »Sumpf, Pfütze«, skr. bȁra »Lache, Pfütze, Wiese«, wozu S. 163 Nr. 30.
9. Στάνη ON, Kr. Makra Gephyra (Lex.). Gehört zu bulg. stan. Vgl. oben S. 233.
10. Τύρνοβον, auch Ταυρόκωμον, Ort im Kr. Makra Gephyra (Lex.). Es ist ein »Dornenort«, vgl, bulg. Tzrnovo usw.
d) Gebiet von Saranda Ekklesiai (Kyrk Kilise)
Hierfür gelten ebenfalls die am Eingang des vorigen Abschnittes gemachten Bemerkungen. An slavischen Namen erwähne ich:
1. Βελίκα ON im Kr. Siderochorion (Lex.). Es ist auszugehen von slav. Velika »groß«. Vgl. oben S. 161.
2. Κοφτζάς ON, Kr. Saranda Ekkl. (Lex.). Am nächsten steht bulg. ON Kovčaz (Tъrnovo).
3. Μικρόσοβον oder Μούκροσον ON, Kr. Siderochorion (Lex.). Als »feuchter Ort« zu vergleichen mit bulg. ON Mokreš.
4. Ποριανή ON, Kr. Vrysis (Lex.). Wohl von einem Einwohnernamen slav. *Borjane zu borъ »Wald«.
5. Σέρβη und Ζέρβη ON, Kr. Bizye (Lex.). Gehört anscheinend zum Serbennamen Vgl. bulg. ON Sъrbe (Tъrnovo). Ζέρβη ist volksetymologisch angelehnt an ζερβός »links«.
e) Gebiet von Rhaidestos
An slavischen Namen sind mir folgende aufgefallen:
1. Ἀγώργιανη ON, Kr. Nea Anchialos (Lex.). Von slav. *Gorjane bzw. *Ogorjane.
2. Ἀφτσάρι, auch Ἀζάριον ON, Kr. Rhaidestos (Lex.). Es ist zu vergleichen skr. Ovčari, Ovčare, auch Ōvčār »Berg in Serbien« (Vuk), bulg. Ovčarci, Ovčarovo. Die Namen gehören zu skr. òvčȃr »Schäfer«, bulg. ovčár idem. Vgl. auch Miklosich, Bildung 294.
3. Βέλα ON, auch Βελῆ μεσσέ, Ort im Kr. Tyroloe (Lex.). Wohl von slav. Běla, zu bělъ »weiß«, das häufig in ON begegnet, s. Miklosich, Bildung 224 ff.
4. Βόσνα ON, Kr. Selybria (Lex.). Zu skr. Bosna »Bosnien«.
5. Δέβαινα ON, Kr. Rhaidestos (Lex.). Entspricht wohl einem slav. *Děvina. Vgl. bulg. Děvene, sloven. Devina.
6. Ζέλη ON, Kr. Tyroloe (Lex.). Gehört anscheinend zu sloven. Zelče.
7. Καδίνοβον ON3 Kr. Malgaron (Lex.). Bei K. Kadijno Selo. Eine Ableitung vom türk. Lehnwort, bulg. kadija »Richter, Kadi«. Die Bildung
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ist slavisch. Die Endung -ovo ist darin eigentlich nicht angebracht, da -ino die Beziehung zum ersten Teil des Wortes bereits andeutet. Vermutlich ist -ovo analogisch nach den im Slavischen häufigen -ovo Namen eingeführt.
8. Μπόκρουβα ON, Kr. Malgaron (Lex.). Etwa zu bulg. pókrov »Dach, Schutz«.
9. Πράφτσα, auch Πρασιά ON, Kr. Malgaron (Lex.). Wohl zu slav. *Pravica. Vgl. bulg. ON Pravec.
10. Σάρνιτς ON, Kr. Malgaron (Lex.), heißt auch Σάρνη. Der erstere Name sieht slavisch aus. Seine Deutung ist schwierig.
11. Τημένιον ON, Kr. Malgaron (Lex.). Man könnte an kslav. timěnь̂je »lutum« (wozu Miklosich EW 356) als Quelle des Namens denken, aber da der Ort auch Τσιμέν-Δερέ heißt, was offenbar osman. čemen »Rasen« und dere »Schlucht« ist, wäre es auch denkbar, daß Τημένιον als eine »korrektere« griechische Form für »vulgäres« Τσιμέν eingetreten ist. Ein anderes Τημένιον, in Mazedonien, kenne ich nur aus Dimitsas 198, der es mit dem Namen der πρῶτοι βασιλεῖς τῆς Μακεδονίας, der Τημενίδαι in Verbindung bringt. Die letzteren werden im Altertum von dem Herakliden Τήμενος in Argos abgeleitet. Nach diesem heißt eine Burg in Argos Τημένιον. Der Anklang dieses altbelegten Namens an den modernen, der weitab von Mazedonien liegt, ist m. E. nur ein zufälliger.
f) Gebiet von Kallipolis (Gallipoli)
Hier lassen sich folgende Slavenspuren feststellen:
1. Βάρνη oder Βαρνίτσα ON, Kr. Kissane (Lex.). Gehört anscheinend zu slav. vranъ »corvus, niger«, wozu Miklosich, Bildung 338. Vgl. bulg. Varna.
2. Γιάλοβα Ort an Stelle des alten Sestos, Kr. Madytos (Lex.). Vgl. bulg. Jalovo, Jalovica, skr. Jalovik, zu kslav. jalovъ »unfruchtbar«, bulg. jálov, skr. jȁlov, sloven. jálov usw., wozu Berneker EW I 443 ff. und Kretschmer, Archiv 27, 236.
3. Γραβοῦνα oder Γραβοῦσα ON, Kr. Kissane (Lex.). Zugrunde liegen könnten Ableitungen der slavischen Benennung der »Weißbuche« grabъ. Für den ersten Namen könnte die Grundform ein *Grabyni »Weißbuchengegend« sein, vgl. russ. Medynь, Gorynь, V'azynь (von vęzъ »Ulme«). Zur zweiten Form des griechischen Namens vgl. skr. Grabušić.
4. Δράβος ON, Kr. Madytos (Lex.). Die anklingenden slavischen Namen hängen mit dem Namen der Drau zusammen, der nicht slavisch sein kann, weil er schon bei Plinius als Draus vorkommt. Vgl. sloven. Dravci, Dravica, Dravlje u. a. Den Namen Dra(v)us betrachte ich als illyrisch. Siehe Zschr. V 363 ff.
Die obigen Deutungen von Nr. 1 und 4 scheinen auf eine spätere Ansiedlung von Slaven hinzuweisen.
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