Kunst im Aufbruch

 

 

Dürers Graphik — Ihr Einfluß auf die Ikonographie der christlich-orthodoxen Kunst in der postbyzantinischen Periode

 

Assen Tschilingirov, Sofia

 

Vorträge der kunstwissenschaftlichen Tagung mit internationaler Beteiligung zum 500. Geburtstag von Albrecht Dürer (Karl-Marx- Universität Leipzig, 31 Mai bis 3. Juni 1971). Herausgegeben von einem Kollektiv unter Leitung von Ernst Ullmann

 

Karl-Marx-Universität Leipzig 1972

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48. Albrecht Dürer: Einkerkerung des Drachens und das Neue Jerusalem (1498)

49. Lucas Cranach d.
Ä (Werkstatt): Einkerkerun des Drachens (1522) (links oben)
50. Hans Helbein d. J.: Einkerkerun des Drachens (rechts oben)
51. Monogrammist I. F.: Einkerkerun des Drachens (1538) (links unten)
52. Wandmalerei vom Kloster Dionysion auf dem Berge Athos (rechts unten)

 

 

 

Eine Bewertung der Ikonographie [1] der sakralen Kunst des christlich-orthodoxen Ostens setzt die Kenntnis ihrer Rolle für diese Kunst voraus. Seit ihren Anfängen geht diese über den Rahmen einer subjektiven Widerspiegelung der Wirklichkeit hinaus, strebt im Dienst der Religion nach einer Objektivierung des Ideals. [2] Das Subjektive verschwindet fast völlig, die christlich-orthodoxe Kunst verwandelt sich in eine kollektive Kunst. Wenn es für uns heute auch nahezu unmöglich ist, die Namen ihrer Schöpfer ausfindig zu machen und die Gesetze zu entdecken, nach denen sie ihre Kunstwerke schufen, so liegt das nicht an der Zeit, die alle Spuren verwischt hätte. Derartige Urkunden waren nie vorhanden, wenigstens nicht bis zu den Beschlüssen des Konzils von Stoglav (Hundertkapitel) in Rußland 1551 und bis zum Erscheinen des Handbuchs für Malerei vom Berge Athos im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. [3] Dennoch gab es derartige Gestaltungsgesetze, wie sich an den Kunstwerken

 

 

1. Vgl.

Panotsky, E., Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst, in: Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, Berlin 1964, S. 85-97;

ders., Studies in Iconologie. Humanistic Themes in the Art of the Renaissance, New York 1939.

 

2.

Lazarev, V. N., Istorija vizantijskoj živopisi, T. I., Moskva 1947, S. 23-33;

Mathew, G., Byzantine Aesthetics, New York 1964, S. 1-11, 94 ff.,

Onasch, K., Die Ikonenmalerei, Grundzüge einer systematischen Darstellung, Leipzig 1969, S. 29 ff.

 

3. Vgl. u. a.

Golubinskij, E. E., Istorija russkoj cerkvi, II/1, II/2, Moskva 1900 f., S. 773-99, S. 372-74.

Ostrogorskij, G., Les décisions du „Stoglav" concernant la peinture d'images et les principes de l’iconographie byzantine, in: L'art byzantin chez les slaves, 2-ème recueil dédié à la mémoire de Théodore Uspenskij, Paris 1930;

Dionysius von Fourna-Agrapha, ἙΡΜΗΝΕΙΑ, Handbuch der Malerei vom Berge Athos aus dem handschriftlichen neugriechischen Urtext übersetzt, mit Anmerkungen von Didron d. Ä. und eigenen von Godeh. Schäfer, Trier 1855;

ἙΡΜΗΝΕΙΑ, Malerhandbuch des Malermönchs Dionysius vom Berge Athos, München 1960 (neue Ausgabe der Fassung von 1855 ohne Anmerkungen).

 

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ablesen läßt. Ein gründliches und aufmerksames Studium zeigt, daß trotz der Tradition, die sich wie ein roter Faden durch eine mehr als tausendjährige Entwicklung hindurchzieht, diese Kunst alle Schwankungen des mittelalterlichen religiösen und geistigen Lebens reflektierte. [4]

 

 

I.

 

Solange die Kunstwerke nicht durch die Persönlichkeit ihrer Schöpfer, durch das Subjektive, sondern durch das Objekt selbst bestimmt waren, solange die Kunstwerke mit ihrem Inhalt identifiziert wurden - wie das in der christlich-orthodoxen Kunst der Fall war -, spielte der Inhalt bzw. die Ikonographie die primäre Rolle bei der Entwicklung der christlich-orthodoxen Kunst. Von der Entstehung der christlichen Religion an bis ins späte Mittelalter hinein entwickelt sich die Ikonographie zu einem umfangreichen Komplex von Formen und Symbolen, wobei sich das Ausstrahlungszentrum vom christlichen Osten - Syrien und Palästina - seit dem 9. Jahrhundert nach Byzanz und nach der türkischen Eroberung 1453 nach Athos verlagert. Die Ausstrahlungskraft dieser Zentren - besonders der beiden ersten - war so stark, daß die im Osten und in Byzanz entstandenen ikonographischen Typen auch für den Okzident maßgebend wurden, ehe sie in einem länger währenden Prozeß modifiziert wurden und ihre spezifischen Merkmale verloren.

 

Der gesetzmäßige Prozeß der Herausbildung des Subjektiven in der Kunst, der mit ihrer Säkularisierung und Hinwendung zum Leben verbunden ist, wurde in Byzanz und in den christlich-orthodoxen Ländern seit ihrer Eroberung durch die Türken unterbrochen. Die Entwicklung wurde dadurch für fast vier Jahrhunderte gebremst, bis es im 19. Jahrhundert dem Bürgertum fast aller Balkanländer gelang, seine politische und ökonomische Unabhängigkeit zu erkämpfen.

 

Aber gerade in diesem Entwicklungsabschnitt der christlich-orthodoxen Kunst, der sogenannten „Postbyzantinischen Periode", entstehen und verbreiten sich die für ihre Entwicklung bestimmenden Tendenzen.

 

Die christlich-orthodoxe Kunst, die in den Mosaiken der orthodoxen Kirchen ihren durch eine extreme Stilisierung und Spiritualisierung charakterisierten Höhepunkt schon erreicht hatte, stand in der postbyzantinischen Periode vor der Alternative, entweder in der trockenen und leblosen Wiederholung des zur Schablone gewordenen Schemas abzusterben, oder, vom Leben und von den äußeren Einwirkungen inspiriert, Kraft für eine Weiterentwicklung zu finden.

 

 

4.

Babić, G., Les discussions christologiques et le décor des églises byzantines au XIIe siècle. Les évêques officiant devant l'Hétimasie et devant l'Amnos, in: Frühmittelalterliche Studien, Bd. 2, (West-)Berlin 1968, S. 368-86;

Golejzovskij, N. K., Isichazm i russkaja živopis 14.-15. vv., in: Vizantijskij Vremennik, XXIX, 1968, S. 196-210;

Onasch, K., Ketzergeschichtliche Zusammenhänge bei der Entstehung des antropomorphen Dreieinigkeitsbildes der byzantinisch-slavischen Orthodoxie, in: Byzantino-slavica, XXXI/2, 1970, S. 229-43.

 

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II.

 

Mit dieser kritischen Periode der Kunst des christlich-orthodoxen Ostens ist auch der Name Albrecht Dürer verbunden. Er ist tatsächlich der erste westeuropäische Künstler, der mit seinem Werk - direkt oder indirekt - die tausendjährige Tradition der Ikonographie im doppelten Sinne beeinflußt hat: als erster Künstler, der die Richtung der Einflüsse eindeutig umgekehrt hat, und als erste künstlerische Persönlichkeit, die sich auf Grund ihrer Ausstrahlungskraft, ihres Wirksamwerdens, von dem bis dahin wirkenden kollektiven Charakter der Traditionsschöpfung abhebt.

 

Sicher gab es einzelne abendländische Einflüsse in der christlich-orthodoxen Kunst auch vor Dürer, meistens wirkten sie aber auf einzelne Elemente der Ikonographie, die - von den orthodoxen Künstlern aufgenommen und verarbeitet - bald ihre charakteristischen Züge verloren, oder keine weitreichenden Veränderungen bewirkten. So blieb das im Handbuch der Malerei vom Berge Athos vorgeschlagene Schema für die Kreuztragung Christi, das von Martin Schongauers „Großer Kreuztragung" [5] ausgeht, ohne Verwirklichung in der christlich-orthodoxen Kunst. Ein anderes westeuropäisches Vorbild, der Kupferstich von Marcantonio Raimondi nach Raffaels „Kindermord zu Bethlehem" (entstanden um 1512), [5a] wurde zwar seit dem 16. Jahrhundert häufiger verwendet, verdrängte aber niemals die traditionelle Ikonographie dieser Szene.

 

Ganz anders liegt der Fall bei Dürer; kaum ein anderes Werk hat eine solche Verbreitung gefunden wie sein Holzschnitt-Zyklus „Die Apokalypse". Im Jahre 1498 in zwei Fassungen - deutsch und lateinisch - erschienen, wird der Zyklus schon 1502 von Hieronimus Greif in Strassburg kopiert. [6]

 

Nach der zweiten Ausgabe des Dürerschen Zyklus 1511 erschien in den Jahren 1515/16 bei Allessandro Paganini in Venedig ein verkleinerter Nachdruck. [7] Eine außergewöhnliche Bedeutung für die Verbreitung hatte die Aufnahme von Umbildungen der Dürerschen „Apokalypse" aus der Cranach-Werkstatt in die erste Ausgabe der Bibelübersetzung Martin Luthers im September 1522 in Wittenberg (sog. „September-Testament"). [8] Die 14 Holzschnitte Dürers wurden auf 21 erweitert, wobei einige der komplizierten Kompositionen in je zwei

 

 

5. Bartsch, A., Le peintre graveur, Wien 1803 ff., Nr. 21; Künstle, K., Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. I., Freiburg/B. 1928, S. 444, Abb. 223.

 

5a. Bartsch, A., Le peintre graveur, a. a. O., Nr. 21; vgl. Richter, J. P., Abendländische Malerei und Plastik in den Ländern des Orients, in: Zeitschrift für Bildende Kunst, XIII, 1878, S. 205-10.

 

6. Dodgson, C., Zu den Copien der Dürerschen Apokalypse, in: Repertorium für Kunstwissenschaft, 25, 1902, S. 371-73.

 

7. Prince d'Eßling, Les livres à figures vénitiens de la fin du XVe siècle et du commencement du XVIe, Bd. I, Florenz - Paris 1907, S. 189 ff., Nr. 205.

 

8.

Schramm, A., Die Illustration der Lutherbibel, Leipzig 1923;

Zimmermann, H., Beiträge zur Bibel-Illustration des 16. Jahrhunderts, Strassburg 1924;

Schmidt, Ph., Die Illustration der Lutherbibel 1522-1700, Basel 1962;

Heydenreich, L. H., Der Apokalypsen-Zyklus im Athosgebiet und seine Beziehungen zur deutschen Bibelillustration der Reformation, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, H. 1, 2, Bd. 8, 1939, S. 1-40.

 

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Szenen geteilt wurden. Dieser neue Zyklus, bei dem das Kompositionsschema Dürers fast unverändert blieb, wurde für zahlreiche Ausgaben der Bibel bis ins 17. Jahrhundert maßgebend. Schon 1523, also ein Jahr nach dem SeptemberTestament, folgten die Ausgaben in Basel bei Thomas Wolf mit Holzschnitten nach Vorzeichnungen von Hans Holbein d. J., in Augsburg mit Holzschnitten von Hans Schäufelein und Hans Burgkmair und 1526 in Nürnberg mit Holzschnitten von Sebald Beham. [9] Alle diese Ausgaben folgen mehr oder weniger frei den nach der Dürerschen Apokalypse im September-Testament erschienenen Holzschnitten oder denen der Baseler Bibel.

 

In den nächsten Jahren erschienen zahlreiche neue Auflagen mit den Holzschnitten des September-Testaments und mit denen von Holbein. Nach ihrem Vorbild wurden neue Druckstöcke hergestellt; es sind mehr oder weniger genaue Kopien ihrer Vorbilder. [10] Verleger in Paris, Amsterdam, Augsburg, Strassburg, Lyon und weiteren Städten folgten dem Beispiel der Verleger in Wittenberg und Basel. [11] Allein bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts erreichte die Zahl der Bibelausgaben mit Illustrationen nach der Dürerschen Apokalypse Ausmaße, die bis heute noch nicht genau festgestellt werden konnten.

 

Eine der interessantesten Umwandlungen des 21teiligen Apokalypse-Zyklus sind die Wandmalereien in den Athos-Klöstern, von denen die in der Vorhalle des Refektoriums im Kloster Dionysiou wohl die frühesten sind. Sie wurden vom Moldaufürsten Johannes Alexander IV. Lapuschneanu und seiner Gattin Roxandra gestiftet (sie regierten zwischen 1553 bis 1561 und 1563 bis 1568). Vermutlich sind sie ein Werk der kretischen Schule. [12]

 

Im Bereich der ostchristlichen und byzantinischen Kunst sind ältere Darstellungen der Apokalypse nicht bekannt, was auf die von der orthodoxen Theologie lange umstrittene Kanonisierung der Johannes-Apokalypse zurückzuführen ist. Obwohl mehrere Einzelheiten der Ikonographie gewisser symbolischer Szenen

 

 

9. Vgl. u. a. Muther, R., Die deutsche Bücherillustration der Gotik und Frührenaissance (1460-1530), 2 Bde., Leipzig 1884, Bd. 1, S. 199 ff. und Bd. 2, Taf. 194 ff., und 221-25; Schmid, A., Hans Holbein d. J., Bd. I, Basel 1948, S. 248 ff.

 

10.

Vögelin, S., Ergänzungen und Nachweisungen zum Holzschnittwerk Hans Holbein des Jüngeren, in: Repertorium für Kunstwissenschaft, H. 2, 1879, S. 162-90, H. 3-4, 1879, S. 312-38;

Schmid, A., Holbeins Tätigkeit für die Baseler Verleger, in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen, Bd. XX, 1899, S. 233-62;

Koegler, H., Ergänzungen zum Holzschnittwerk des Hans und Ambrosius Holbein, in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen, Beiheft zum XXVIII. Bd., 1907, S. 85-111.

 

11. Vgl. dazu: Mâle, E., L'art religieux de la fin du moyen-âge en France, Paris 1949; Réau, L., L'influence d'Albert Dürer sur l'art français, in: Bulletin de la Soicété des Antiquaires de France, Paris 1924.

 

12.

Millet, G., Monuments de l'Athos, I, Les peintures, Paris 1927, Taf. 206-209;

Renaud, J., Le cycle de l’Apocalypse de Dionysiou. Interprétation byzantine de gravures occidentales, Paris 1943.

Brunet-Dinard, H., Le Maître IF, inspirateur des fresques de „L'Apocalypse" de Dionysiou, in: Gazette des Beaux-Arts, 6. Per., T. XLIV. 1954/2 Dec., S. 309-16;

Buri, Fr., Holbein auf dem Athos, in: Basler Stadtbuch 1965, Jahrbuch für Kultur und Geschichte, Basel 1964, S. 39-51;

Huber, P., Athos. Leben-Glaube-Kunst, Zürich - Freiburg/B. 1969, S. 365-83.

 

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auf Bezüge zum Text der Apokalypse hinweisen, [13] kommen die Darstellungen der Apokalypse erst seit dem 16. Jahrhundert vor und nehmen bald einen festen Platz bei der Ausmalung der offenen Vorhallen von Klosterrefektorien und Kirchen ein.

 

Der Apokalypse-Zyklus im Kloster Dionysiou besteht aus 21 Wandbildern (185 X 95 cm), die dem Cranach-Holbeinschen Kompositionsschema folgen.

 

Das Problem der Entstehung dieser Wandbilder sowie des Weges, auf dem die Vorbilder in das Gebiet des christlich-orthodoxen Ostens gelangt sind, beschäftigt seit Jahrzehnten die kunsthistorische Forschung. Als erster äußerte der russische Archäologe Nikodim Kondakov im Jahre 1902 die Vermutung, daß die Ikonographie des Apokalypse-Zyklus in Athos vom Okzident beeinflußt worden sei. [13a] Im Jahre 1939 wurde dieses Problem von Heydenreich aufgegriffen; im Jahre 1943 folgte die umfangreiche Untersuchung von Renaud. [14] Im Jahre 1954 gelang es Brunet-Dinard, die unmittelbaren Vorbilder der Athos-Wandmalereien zu finden, [15] nämlich die Kupferstiche einer der vier Ausgaben der Bibel, die 1538 bei Régnault in Paris sowie 1541, 1542 und 1583 bei Gryphius in Lyon erschienen. [16] Sie sind mit dem Monogramm IF signiert. Der „Maitre IF", dieser angeblich „große unbekannte Rivale Holbeins" ist in der Tat aber einer seiner vielen Nachstecher, Jakob Faber, [17] der in Basel, Paris und Lyon tätig war. Einige seiner Kupferstiche sind signiert: „IF fort(e) H(ans) H(olbein)", oder „IF inv(entio) Holbeini".

 

Hatte Heydenreich darauf aufmerksam gemacht, daß möglicherweise eine von den vielen Kopien oder Nachahmungen der Holbeinschen Apokalypse den Athos-Wandmalereien als Vorbild dienen konnte, [18] so hat Brunet-Dinard diese Kopie identifiziert. Hinter der Kopie stehen jedoch die von Holbein übernommenen Kompositionen Albrecht Dürers, und gerade sie sind das Ausschlaggebende.

 

 

13. Vor allem in der Ikonographie des Jüngsten Gerichts. Vgl. dazu:

Brenk, B., Tradition und Neuerung in der christlichen Kunst des ersten Jahrtausends, Studien zur Geschichte des Weltgeschichtsbildes, Wien 1966, Register: Apokalypse, Hetoimasia;

Réau, L., Iconographie de l'art chrétien, Bd. II/2, Paris 1957, S. 663 ff.;

Flemming, J., Der Lebensbaum in der altchristlichen, byzantinischen und byzantinisch beeinflußten Kunst, Habilitationsschrift, Jena 1963, S. 25 ff.

 

13a. Kondakov, N. P., Pamjatniki christijankogo iskusstva na Afone, S. Peterburg 1902, S. 88.

 

14. Heydenreich, L. H., Der Apokalypse-Zyklus im Athosgebiet... a. a. O., (insgesamt); Renaud, J., Le cycle de l'Apocalypse de Dionysiou, a. a. O. (insgesamt).

 

15. Brunet-Dinard, H., Le Maitre IF . . ., a. a. O. (insgesamt).

 

16. Brunet-Dinard erwähnt nur die Ausgaben von 1538, 1542 und 1583. Aus dem Katalog des British Museums ist es aber zu entnehmen, daß bei Gryphius schon 1541 eine illustrierte Bibelausgabe, identisch mit der Ausgabe von 1542, erschienen ist (Biblia insignum historiarum simulachris. . . illustrata, B. Mus. Gen. Cat.: 1409. h. 5).

 

17.

Schmid, A., Holbeins Tätigkeit für die Baseler Verleger, a. a. O. (insgesamt), Koegler, H., Ergänzungen... a. a. O.;

ders., Art. Jakob Faber in: Thieme-Beckei Künstlerlexikon, Bd. 11, Leipzig 1915, S. 150-52; vgl. auch

Bock, E., Die deutsche Graphik, München 1922, S. 49).

 

18. Byzantinische Zeitschrift, H. 1, 1955, S. 176.

 

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In seiner Studie über das Holzschnittwerk Holbeins meint Vögelin, Holbein sei nicht vom Dürer-Zyklus, sondern von den in Cranachs Werkstatt entstandenen Holzschnitten zum September-Testament ausgegangen. [19] Genauso müssen wir auch unmittelbare Einflüsse der Apokalypse Dürers auf die Kupferstiche des Meisters IF ausschließen. Alle Abweichungen von dem Schema Holbeins bei den Illustrationen der Regnault-Gryphius-Bibel, die später auch von den Malern in Athos aufgenommen worden sind (wie beispielsweise die Himmelspforte in der zweiten Szene), können durch eine Korrektur der Holbein-Vorbilder im Zusammenhang mit dem Text der Apokalypse einfach erklärt werden. Man darf auch nicht außer acht lassen, daß eine ständige Verkleinerung zwangsläufig zu einer gewissen Vereinfachung der Kompositionen führte. [20] Als der Stecher für die Regnault-Gryphius-Bibel die Illustrationen noch einmal verkleinern sollte - entsprechend dem Oktav-Format dieser Bibel-Ausgaben - hat er (vermutlich den Anweisungen seines Verlegers folgend) gewisse Änderungen vorgenommen. Besonders charakteristisch in diesem Sinne ist die letzte Szene des Dürer-Zyklus:

48

49 50

51 52

„Die Verschließung des Drachens und das Himmlische Jerusalem". Im September-

Testament ist diese Komposition in zwei geteilt. Diese Teilung wird in allen

Apokalypse-Zyklen, einschließlich der Wandmalereien in Athos, beibehalten.

In der Illustration der Regnault-Gryphius-Bibel wird die erste von den beiden („Die Verschließung des Drachens") noch vereinfacht: Die großartigen Berge und Felse verschwinden völlig, es bleiben nur die beiden Hauptpersonen sowie die Hölle mit den eindrucksvollen hochsteigenden Flammen.

 

Das einzige Detail der veröffentlichten Illustrationen der Regnault-Gryphius-Bibel, das eine Parallele nur in der entsprechenden Illustration des SeptemberTestaments hat - der geflieste Boden in der bei Dürer fehlenden Szene „Die Messung des Tempels" - ist kein ausreichender Beweis dafür, daß das September-Testament dem Illustrator der Regnault-Gryphius-Bibel und noch weniger den Athos-Malern bekannt war.

 

 

III.

 

Bis in die jüngste Zeit hinein beschäftigt die Forschung die Frage, auf welchem Wege die nach dem Apokalypse-Zyklus Albrecht Dürers entstandenen Bibelillustrationen nach Athos gelangt sein könnten. Die meisten Hypothesen gehen davon aus, daß es sich um eine deutsche Übersetzung der Bibel handelt, durch deren Vermittlung die Vorbilder Dürers nach Athos gelangt sind. [20a] Die zeitlichen Grenzen dieses Geschehens werden - entsprechend der umstrittenen

 

 

19. Vögelin, S., Ergänzungen und Nachweisungen . . ., a. a. O., S. 178.

 

20. Die Apokalypse-Holzschnitte Dürers sind zwischen 395 X 284 mm und 391 X 284 mm groß, die des September-Testaments 235 X 160 mm. Die Holzschnitte in der Basler Bibel nach den Vorzeichnungen Holbeins 125 X 80 mm. Die Kupferstiche in der Regnault-Gryphius-Bibel sind 82 X 52 mm groß.

 

20a. Heydenreich, L. H., Der Apokalypse-Zyklus im Athosgebiet . . ., a. a. O., S. 27 ff., Huber. P., Athos . . ., a. a. O., S. 379-82; Buri, Fr., Holbein auf dem Athos, a. a.O. (insgesamt).

 

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Datierung des Athos-Wandmalereien – [21] in die Mitte des 16. bis hinein ins 17. Jahrhundert gelegt.

 

Seit langem steht aber fest, daß als Vorbild für die Athos-Wandmalereien keine deutsche Bibel, sondern eine französische Ausgabe des Vulgatatextes gedient hat, und zwar entweder die von Régnault in Paris 1538 edierte oder eine der drei bei Gryphius in Lyon 1541, 1542 und 1583 gedruckten Ausgaben. Als wahrscheinlicher erscheint jedoch eine der Gryphius-Bibeln wegen der intensiven geschäftlichen und persönlichen Beziehungen des Verlegers mit Venedig: Die Kontakte zwischen Athos und Venedig bleiben, wenn auch sehr eingeschränkt, während der türkischen Herrschaft bestehen; insofern kann eine solche Bibel durchaus von Venedig nach Athos gelangt sein.

 

Eine sehr interessante Tatsache ist bis jetzt allen Forschern entgangen. Das British Museum besitzt ein Exemplar der bei Gryphius im Jahre 1542 gedruckten Bibel, die Eigentum Melanchthons war und Randbemerkungen von seiner Hand enthält. [22] Ob dieses Exemplar in einem Zusammenhang mit der Entstehung des Apokalypse-Zyklus in Athos steht, kann man noch nicht sagen; diese Tatsache aber mag ein Beispiel für die komplizierten internationalen Beziehungen im ausgehenden Mittelalter sein, als deren eines Ergebnis die Athos-Wandmalereien nach Anregungen Albrecht Dürers entstanden sind.

 

Der Apokalypse-Zyklus des Kloster Dionysiou wurde in das Handbuch für Malerei vom Berge Athos aufgenommen und diente seinerseits nunmehr als Vorbild für mehrere Apokalypse-Zyklen in Athos und auf dem Balkan. Kurz nach Dionysiou entstand der Apokalypse-Zyklus im benachbarten Kloster Dochiariou, um 1632 bis 1654 im Kloster Xenophôntos, 1719 in der Portaitissa-Kapelle der Großen Láwra, 1765 im Kloster Philothéou, 1767 im Kloster Karakállou, 1783 im Kloster Xeropotámou, 1795 im Kloster Iwiron, 1817 im Kloster Zográphou und 1852 in dem Katholikon der Großen Láwra, ein Werk des berühmten bulgarischen Malers aus der Zeit der bulgarischen Nationalen Wiedergeburt, Zacharij Zograf. [23]

 

 

21. Die Datierung der Wandmalerei in der Säulenvorhalle des Refektoriums im Kloster Dionysiou während der Regierungszeit Johannes Alexander IV. Lapuscheanu und seiner Gattin Roxandra bezieht sich auf zwei Notizen - in der Handschrift „Vatopedinus 1037" und im „Proskynetárion" von Johannes Komnenós, Snagov-Walachei 1701 (ein Reiseführer für den Athospilger), in denen die Stifter der Wandmalereien des Refektoriums „innen und außen" erwähnt wurden. Die unterschiedliche Datierung dieser Wandmalereien kommt meistens aus der Unkenntnis dieser zweier Urkunden sowie aus der falschen Kombination anderer Inschriften, die sich auf andere Bauten beziehen. Am wahrscheinlichsten erscheint für die Entstehung des Apokalypsen-Zyklus in Dionysiou doch die Zeit kurz nach 1553. Der Apokalypsen-Zyklus in Dochiariou entstand unmittelbar nach Dionysiou.

 

22. Br. Mus. Gen. Cat.: C. 51 e. 3. Der fehlende Erscheinungsort (Lyon) ist irrtümlicherweise als Paris angegeben.

 

23. Zacharij Zograf (1810-1852) besaß eine sehr große Sammlung abendländischer Graphiken aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, die er zum Teil vermutlich von seinem Vater, dem Gründer der samokovischen Malerschule, Christo Dimitrov (um 1740 bis 1819), geerbt hat, sowie eine 1712 in Nürnberg erschienene Bibel mit Illustrationen von Christophor Weigel (1654-1725).

 

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1722 wurde der erste rumänische Apokalypse-Zyklus nach dem Vorbild der Athos-Wandmalereien in Bukarest in der Kretulescu-Kirche geschaffen, gefolgt von der Kirche Grigorie Ranite in Kronstadt und im Kloster Suçeaviţa.

 

In Bulgarien entstand der erste Apokalypse-Zyklus 1840 im Kloster Sveta Petka Moldavska, gefolgt von den Apokalypse-Zyklen im Rila-Kloster 1842, Iskrec-Kloster 1846, Trojan-Kloster 1847/48, Preobraženie-Kloster 1849.

 

Keine so große Ausbreitung hatte der Apokalypse-Zyklus Albrecht Dürers in der postbyzantinischen Miniaturmalerei. Die im 17. Jahrhundert in einem nordgriechischen Kloster entstandene Handschrift mit Illustrationen nach dem Vorbild von Dürer, die sogenannte Elizabeth Day McCormick Apokalypse [24], findet Widerhall nur in drei anderen Handschriften, in denen vier der Apokalypse-Illustrationen kopiert wurden.

 

In Rußland ist der Weg der Nachbildungen des Apokalypse-Zyklus von Albrecht Dürer komplizierter. Die ersten Monumental-Wandmalereien in Jaroslawl - im Nartex der Eliaskirche (1680), in der Kirche Nikolaus' des Wasserträgers 1691 und in der Kirche Johannes des Täufers (1694-1695) - entstanden durch die Vermittlung der frei nach Dürer kopierten Illustrationen des 1650 in erster Ausgabe und 1674 in zweiter Ausgabe erschienenen „Theatrum biblicum" von Jan Vischer (die Bibel des Piscator). [25] Die Bibel des Piscator beeinflußte sehr stark die Ikonographie anderer Festzyklusszenen, etwa in der Kiewer Dreifaltigkeitskirche. Von Kiew gehen alle Vorbilder der Bibel des Piscator nach Serbien und der Vojvodina über. Unter ihrem Einfluß stehen die Wandmalereien in der Kirche des Kloster Krušedol, in der Koimesiskirche in Novi Sad und im Kloster Boćani. [26]

 

Die Illustrationen von Jan Vischer wurden auch vom russischen Podlinnik übernommen, wo sie sich mit anderen, in Rußland entstandenen Tendenzen vermischten. Von dort wurden diese Vorbilder über Ikonen und Bilderbogen verbreitet. Besonders interessant ist ein Bilderbogen von 1698 — das Werk des russischen Volkskünstlers Wassilij Koren; er ist wiederum eine Umformung des Vorbildes Albrecht Dürers. [27]

 

 

24. Willoughby, H. R., The Elizabeth Day McCormick Apokalypse, Vol. I, Chicago 1940.

 

25.

Pokrovskij, N., Stennye rospisi v dřevních chramach grečeskich i russkich, in: Trudy XII. Archeologičeskogo s'ezda v Jaroslavle, Bd. I, Moskva 1890, S. 128;

Tarabrin, I., Biblija Piskatora v istorii russkoj pis'mennosti i iskuisstv, in: Trudy XV. Arch. s'ezda v Novgorode, Bd. I, Moskva 1911, S. 107-108;

Karger, M., Iz istorii zapadnych vlijanii v drevnerusskoj živopisi, in: Materijaly dlja russkogo iskusstva. Bd. I. Leningrad 1928, S. 66-67;

Sačavec-Fedorovič, E., Jaroslavskie stenopisi i Biblija Piskatora, in: Russkoe iskusstvo XVII.veka, Leningrad 1929, S. 85-108.

 

26. Vgl.: Michajlović, R., Uticaj zapadnoevropske ikonografije na kompozicije „Udovićina leptá" i „Izgnanje trgovaca iz chrama" u srpskom sklikarstvu XVIII veka, in: Zbornik za likovne umetnosti (ZLU), Bd. 2, Novi Sad 1966, S. 291-303; ders., Ikonografija manirističke predstavepriče o pravednom Jani, in: ZLU, Bd. 3, Novi Sad 1967, S. 217-232.

 

27. Rovinski, D., Russkije narodnyje Kartinki, S.Peterburg 1881, Koren Nr. 31.

 

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IV.

 

Renaud hat sehr ausführlich den Prozeß der formalen Umwandlung der Holbeinschen - bzw. Dürerschen - Prototypen bei den Athos-Wandmalereien untersucht. [28] Sie unterscheidet drei Kategorien:

1) die Vermischung (fusion): die abendländische Form wird durch eine ähnliche ersetzt, die im byzantinischen ikonographischen Repertoire vorhanden ist, (beispielsweise Engel);

2) die Übernahme (acceptation) : die Entleihung abendländischer, im byzantinischen ikonographischen Repertoire nicht vorhandener Motive (beispielsweise Lamm Gottes, apokalyptische Tiere) und

3) die Auswechslung (substitution) : überall, wo feste byzantinische Typen in der Ikonographie vorhanden sind (beispielsweise Christus der Älteste der Tage, die Gottesmutter, Johannes der Theologe).

 

Daß dieser Umwandlungsprozeß mit den Mitteln der byzantinischen Kunst - formal und stilistisch - verwirklicht wird, ist eine Selbstverständlichkeit, die von den Grundsätzen der in dieser Zeit immer noch lebendigen byzantinischen Ästhetik und Tradition ausgeht. Obwohl die große Tradition der symbolischen Formgestaltung in der byzantinischen Kunst, wonach die abgebildeten Szenen eine symbolische Interpretation des Evangeliums darstellten, während der postbyzantinischen Periode zum größtenteil aufgegeben und durch die narrative, erzählerische Formgestaltung ersetzt wurde, behielten immer noch viele Symbole ihre Bedeutung als eine selbständige Interpretation des Evangeliums und nicht als seine Illustration. Insofern ist es kein Wunder, daß die Athos-Wandmalereien eindrucksvoller und geistvoller als ihre unmittelbaren Vorbilder wirken und ihrem Urvorbild, den Holzschnitten Dürers, näher kommen.

 

In der Zeit seit der ersten Veröffentlichung der Apokalypse Albrecht Dürers bis zum Erscheinen des September-Testaments und der Baseler Bibel mit den Holzschnitten nach den Vorzeichnungen Cranachs und Holbeins sowie ihren zahlreichen Kopien vollzieht sich in Deutschland ein großer Umwandlungsprozeß, der seinen unmittelbaren Widerhall auch in der Kunst findet. Wilhelm Fraenger hat diesem Prozeß eine aufschlußreiche Studie gewidmet: „Wandlungen eines Albrecht-Dürer-Bildes vor und bei seinem Eintritt in die Massenkunst"; er spricht nicht ohne Grund von einer fortschreitenden Trivialisierung der Kunst nach Dürer. [29]

 

Denselben Prozeß können wir später auch in der postbyzantinischen Kunst beobachten. Am längsten hat sich das Kompositionsschema erhalten; wenn auch in der Malerei des 19. Jahrhunderts stilistisch von den Vorbildern nichts übrig geblieben ist, der Aufbau der Kompositionen des Dürer-Cranach-HolbeinApokalypse-Zyklus bleibt im wesentlichen jedoch immer bestehen.

 

 

28. Renaud, J., Le cycle de l'Apocalypse, a. a. O., S. 201-209.

 

29. Fraenger, W., Deutsche Vorlagen zu russischen Volksbilderbogen des 18. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für historische Volkskunde, Bd. II. Berlin 1926, S. 153 ff.

 

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