Die Byzantinische Kunst

Wladimir Sas-Zaloziecky

 

IV. Byzantinisches Kunstgewerbe

 

1. Emailarbeiten  102

2. Elfenbeinarbeiten  104

3. Textilien  105

 

 

Im Unterschied zu abendländischen kunstgewerblichen Arbeiten bewahren die byzantinischen kunstgewerblichen Arbeiten eine hohe formal-künstlerische Qualität und zeichnen sich durch eine große technische Fertigkeit aus. Außerdem fallen sie durch einen stationären Konservativismus auf, der sich das ganze Mittelalter hindurch zäh erhält und den Fall Konstantinopels überdauert.

 

Die eigentlichen Wurzeln des byzantinischen Kunstgewerbes liegen in der spätantiken und altchristlichen Entwicklung, obwohl die Darstellungsstoffe und ihre sakral-hieratische Bedeutung über das spätantike und altchristliche Kunstgewerbe hinausreichen.

 

Im allgemeinen geht die Tendenz zur Flächigkeit, das Vermeiden plastischer Werke, optische Auflösungen und vor allem die Neigung

 

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zu koloristischen Effekten auf die altchristliche Kunst zurück. Neu

 

ist die Steigerung des Prunkhaften, Pompösen, das auf die Absichten des byzantinischen Hofes zurückgeführt werden kann.

 

Zeitlich und stilgeschichtlich können wir drei Hauptperioden des byzantinischen Kunstgewerbes unterscheiden: die vorikonoklastische und ikonoklastische Periode (6.-9. Jh.), die eigentliche mittelbyzantinische Periode in der makedonischen und komnenischen Zeit (9.—12. Jh.) und die spätbyzantinische Zeit, welche vom 13. bis 15. Jh. dauert (Farbtafeln III—V und Umschlagbild).

 

Im byzantinischen Kunstgewerbe wird das edle Material vorgezogen: Gold, Edelsteine, Email, Elfenbein und Seide. Diese Vorliebe für das edle Material läßt sich sowohl durch die ererbten spätantiken koloristischen Tendenzen als auch durch die Hervorhebung des Prunkhaften erklären.

 

 

1. Emailarbeiten

 

Eine besondere Rolle spielt im byzantinischen Kunstgewerbe das Email. Es ist in erster Linie das Zellenemail (email cloisonne), das breiteste Verwendung findet, wogegen das Grubenemail nur ausnahmsweise auftritt. Das byzantinische Zellenemail bildet eine direkte Fortsetzung der spätantiken Zellenverglasung.

 

Von den frühen, etwas plumpen Emailarbeiten der byzantinischen Ostprovinzen (Staurothek Fieschi-Morgan, Bereshopekreuz) führt der Weg über die schönen Evangelieneinbände der Markusbibliothek (Abb. 19) zu den Prachtarbeiten der Staurothek zu Limburg, welche laut Inschrift in den Jahren 948—959, d. h. in der Regierungszeit Konstantins VII. Porphyrogennetos und seines Sohnes Romanos, entstanden sind (Abb. 20 und Farbtafel III). Die Apostelfiguren der Limburger Staurothek zeichnen sich durch einen starken Farbenimpressionismus, der durch breite, kontrastierende Farbenstreifen hervorgerufen wird, aus. Einen ähnlichen Stil verrät auch eine Kreuzigung Christi aus dem Reliquar der Markusbibliothek in Venedig, ein Sardonyxkelch aus dem Schatz von San Marco mit einer Inschrift, höchstwahrscheinlich von Romanos II. oder Romanos Lekapenos, ferner Aposteldarstellungen der chachulischen Muttergottesikone aus dem migrelischen Kloster in Gelat.

 

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Um die Wende des 10.—11. Jh. wird dieser impressionistische Stil von einer mehr auf lineare Stilisierung und feine Dämpfung der Farben eingestellte Emailarbeit abgelöst. Diese Arbeiten könnte man als Arbeiten des »Schönen Stils« bezeichnen. Sie sind auch durch feinste Präzision der technischen Ausführung gekennzeichnet.

 

Zu den berühmtesten Arbeiten dieses neuen Stils gehören die sog. Emails aus der Sammlung Zvenigorodskoj, heute Pierpont Morgan. Sie bestehen aus elf Rundmedaillons mit der Darstellung Christi, Mariä, von Aposteln, Heiligen und Evangelisten. Sämtliche Medaillons stammen aus dem georgischen Kloster Dschumati in Ghurien. Der Stil der Medaillons spricht für ihre byzantinische hauptstädtische Tradition und für ihre Entstehung zu Beginn des n. Jh. Die charakteristische Eigenart dieses Stils liegt in der überaus feinen Stilisierung der Gewänder und in der zartesten Modellierung der Gesichtszüge, die aus einem rosa-bräunlichen Inkarnat im transluziden Email bestehen. Die nächsten Stilparallelen bilden einige Emails der Sammlung Botkin, jetzt Sammlung Kahn (Medaillon mit Christus, Deesis) und einige Rundmedaillons der Pala d’Oro in der Markuskirche in Venedig.

 

Gegen Mitte des n. Jh. läßt sich eine gewisse Vergröberung dieses »Schönen Stiles« in der Budapester Monomachkrone (1042 bis 1050) und später an einigen Emails der berühmten Pala d’Oro in Venedig verfolgen. Laut Inschrift ist die Pala d’Oro 1105 vom Dogen Odelafro Faliero neu aufgerichtet und dann 1209 und 1345 erneuert worden. Von dem byzantinischen Kaiserpaar ist der Kopf des Kaisers in den des Dogen Odelafro Faliero verwandelt worden. Die Kaiserin Irene ist nicht näher identifizierbar. Aus dem 12. Jh. dürften der thronende Christus mit den Aposteln und die darüberbefindlichen Engel stammen. Sie bilden etwas abgeschwächte Ausläufer des »Schönen Stiles«, während einige Darstellungen der Feste (Tod Mariä, Pfingstfest, Himmelfahrt) später entstanden sein dürften, weil eine schematischere Stilisierung und kontrastierende Farbengebung sich hier bemerkbar machen (Abb. 21).

 

Spätbyzantinische Emailarbeiten zeichnen sich durch eine Buntheit des Kolorits, gröbere Technik, aber stärkere Ausdruckskraft eines Faltenstils in gebrochenem Zickzackmuster aus. Zu ihm gehören ein emaillierter Buchdeckel der Münchener Schatzkammer, höchstwahrscheinlich aus dem 13. Jh., Festdarstellungen der ehemaligen Sammlung Botkin und die venezianischen Nachbildungen

 

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byzantinischer Emails in der Pala d’Oro, vor allem die Evangelisten, Darstellungen aus dem Leben des hl. Markus und die kleinen Festdarstellungen. Auch die Emails des Bügels der Stephanskrone (ursprünglich in der Budapester Schatzkammer) verraten italienische Provenienz mit byzantinischem Einschlag.

 

 

2. Elfenbeinarbeiten

 

Die weite Verbreitung byzantinischer Elfenbeinarbeiten beruht ebenfalls auf der spätantiken und altchristlichen Tradition. Für die Darstellungen religiösen Inhalts, hauptsächlich Hausaltäre, wurde die Form von Diptychen oder Triptychen gewählt, deren Ausgangspunkt die Konsulardiptychen (Abb. 23) oder altchristliche Lipsanotheken gebildet haben.

 

Eine neue Gattung tritt in den byzantinischen Elfenbeinkästchen zutage, die profane Darstellungen (Verolikästchen, London, South Kensington Museum; Florenz, Museo Nazionale; Pisa, Museo civico) oder sakrale Themen (Darmstadt, Landesmuseum; Florenz, Museo Nazionale) enthalten. Die Kästchen mit profanen Darstellungen mythologischen Inhalts verraten einen starken antikisierenden Charakter und dürften um die Wende des 9./10. Jh. entstanden sein.

 

Zu den schönsten Elfenbeinarbeiten gehören die Diptychen, Triptychen oder Bucheinbände. Sie stehen der monumentalen byzantinischen Kunst näher als die Elfenbeinkästchen. Die Form dieser Elfenbeinarbeiten ist verschieden. Bald sind es größere Flügelaltärchen mit einer Deesis in der Mitte, bald bescheidenere Werke mit einer stehenden oder thronenden Maria oder einer Kreuzigung Christi. Leider sind die Datierungen dieser Elfenbeinarbeiten noch immer schwankend.

 

Einen antikisierenden Charakter verraten das Triptychon mit der Deesisdarstellung und Aposteln mit der Inschrift des Konstantin aus dem Palazzo Venezia in Rom und ein stilverwandtes Reliquiar, dessen Entstehung in die Zeit Nikephoros II. Phokas (963—969) fallen dürfte.

 

Weitere Elfenbeinarbeiten verraten eine stärkere Gewandstilisierung. Stilistisch gruppieren sie sich um das Triptychon von Harbaville (Paris, Louvre), das zu den schönsten Arbeiten dieser Art gehört (Abb. 22).

 

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Das Elfenbein mit der Darstellung einer Krönung des Kaiserpaares Romanos IV. und Eudokias (1068—1071) (Paris, Cabinet des Medailles) ist nicht unähnlich dem Triptychon von Harbaville, obwohl das Gesicht Christi und die Faltengebung den Stil des 10. Jh. noch nicht ganz abgestreift haben (Abb. 26). Die nächsten Stilparallelen zu Harbaville bilden die Aposteldarstellungen in Venedig, Wien und Dresden, eine Madonna (ohne den Flügel) der Sammlung Spitzer, Paris, und die Madonna des erzbischöflichen Museums in Utrecht. In dem Triptychon mit der Kreuzigung des »Cabinet des Medailles« in Paris und im Kaiser-FriedrichMuseum in Berlin sind eine Verflachung des Reliefs und abstrakte Faltenbehandlungen vorhanden, die auf den Ausgang des 11. Jh. hinzuweisen scheinen.

 

Eine gewisse Vergröberung macht sich in den Elfenbeinarbeiten des 12. Jh. bemerkbar (sitzende und stehende Muttergottes der Sammlung Stroganov, Rom). Am Ausgang der Entwicklung stehen Arbeiten mit einer Verflachung des Reliefs, aber starken Licht- und Schattenwirkungen und Verräumlichungstendenzen, die auf abendländische Einflüsse hinweisen, wie z. B. in der Elfenbeintafel des thronenden Christus in Ravenna (13.—14. Jh.).

 

 

3. Textilien

 

Einer besonderen Vorliebe erfreuten sich in Byzanz Prachtstoffe, die in den kaiserlichen Textilmanufakturen (in Konstantinopel, Griechenland, Zypern und Sizilien) fertiggestellt wurden. Es sind meistens Seidenstoffe mit Purpurhintergrund, bei denen dunkelrote, violette und tief dunkelblaue Töne überwiegen (Abb. 25).

 

Aus der vorikonoklastischen Periode hat sich nur das wenigste erhalten (ein Kaiserstoff aus Mozac in Lyon und Gandersheim). In den Reiterstoffen herrscht meistens ein heraldischer Wappenstil. Die Medaillons mit flechtbandartiger Verschlingung erinnern an spätantike Mosaiken.

 

Die Blütezeit der byzantinischen Textilkunst fällt ins 10. bis 12. Jh. Eine besondere Rolle spielen hier Tiermotive (Löwen-, Greifen-, Adler- und Elefantenstoffe).

 

Zu den schönsten Beispielen dieser Gattung gehören die Löwenstoffe in Siegburg (921—931), Fragmente in Deutz und Düsseldorf

 

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(976, 1025) und der schöne Elefantenstoff aus dem Karlsschrein in Aachen, der laut Inschrift in den kaiserlichen Werkstätten in Zeuxippos in Konstantinopel um 1000 entstanden ist. Sehr verbreitet waren sog. Adlerstoffe, welche als Kaiserembleme dienten (Purpurstoff des Kunstgewerbemuseums in Berlin, in Vieh, in der Eusebiuskirche in Auxerre).

 

Im 12. Jh. treten byzantinische Seidendamaste auf (Falke). Ihre Wirkung beruht auf dem Kontrast matter und glänzender Flächen, die Ornamentmotive verlieren an plastischer Wirkung und heben sich als dunkelflächige Muster vom lichteren Hintergrund ab (Siegburg, Greifenstoff aus dem South Kensington Museum in London).

 

Es sind sicher orientalische Einflüsse in den byzantinischen Seidenstoffen vorhanden (Elefantenstoff in Aachen), aber sowohl die Seidenweberei als auch heraldische Motive und Flechtbandmedaiilons treten bereits im 6. Jh. auf, wie die Seidenstoffe aus dem Vatikan und aus dem Museum Cluny in Paris beweisen.

 

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