Die byzantinische Baukunst in den Balkanländern und ihre Differenzierung unter abendländischen und islamischen Einwirkungen

Wladimir Sas-Zaloziecky

 

III. Wiederbelebung bei Byzantinischen Kunstströmungen und wachsende Bedeutung Griechenlands

 

1. Die Rolle der byzantinischen Kreuzkuppelkirchen in den Ostbalkanländern (Bulgarien)  41

2. Die Rolle der Kreuzkuppelkirche in den Westbalkanländern (Serbien)  47

 

 

1. Die Rolle der Byzantinischen Kreuzkuppelkirchen in den Ostbalkanländern (Bulgarien)

 

Die klassische Gestaltungsform der mittelbyzantinischen Kirchenanlage, die Kreuzkuppelkirche, dringt in die Balkangebiete auffallend spät ein. Die lokale basilikale Bautradition war wohl die Ursache, daß die Kreuzkuppelkirche in der Zeit ihrer größten Ausbreitung in der mittelbyzantinischen Architektur, d. h. vom 9. bis 12. Jahrhundert, in Bulgarien nur sporadisch austritt. In den Westbalkangebieten, vor allem im byzantinischen Serbien — abgesehen von Mazedonien — kommt sie erst viel später, nicht vor dem 14. Jahrhundert, auf. Wir werden auf die Ursachen dieser Verspätung noch hinweisen.

 

Eine frühe Gruppe von verwandten Kreuzkuppelkirchen in den Balkanländern finden wir in Skripu in Griechenland (873—874), in Vodoča in Mazedonien (Ende des 9. Jahrhunderts), in der Kirche German am kleinen Prespasee (1006) und in der Johanneskirche in Mesembria in Ostbulgarien (10. Jahrhundert).

 

Es ist auffallend, daß sich alle diese Anlagen von der hauptstädtischen Kreuzkuppelkirche, wie sie etwa durch die Bodrum-Djami aus dem 10. Jahrhundert in Konstantinopel repräsentiert wird, unterscheiden (Taf. Va, 1—2). Die Kuppel ruht in allen Anlagen nicht auf selbständigen Pfeilern, sondern auf Mauern, welche die Seitenschiffe von dem Hauptschiff trennen. Wir können zwar in allen diesen Anlagen eine fortschreitende Emanzipierung der Pfeiler von dem Mauergefüge beobachten — am klarsten tritt diese Emanzipierung der Pfeiler in der spätesten Anlage in German am kleinen Prespasee zutage —, aber nichtsdestoweniger haben wir es in allen Bauten mit drei in die Tiefe verlaufenden tonnenüberwölbten Räumen zu tun, die nur in der Mitte von einer Kuppel und von quergestellten Tonnenarmen überschnitten werden. In einer hauptstädtischen Kreuzkuppelkirche des 10. Jahrhunderts (Bodrum-Djami) besitzen wir keine parallel verlaufenden tonnenüberdeckten Raumeinheiten,

 

 

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sondern ausgesprochene Pfeiler und für sich Bestehende Ecklösungen mit Querbogen, welche die einzelstehenden Pfeiler mit den Außenmauern verbinden. Dieser in die Augen springende Unterschied kann dahin zusammengefaßt werden, daß uns in Konstantinopel eine reife vierstützige Kreuzkuppelkirche entgegentritt, wahrend in den eigentlichen Balkanländern auf eine von Tonnen überdeckte basilikale Anlage eine Kuppel mit Quertonnen direkt aufgestülpt ist. Die reine Kreuzkuppelkirche mit ihren zentralistischen Tendenzen, der Übertragung des Seitenschubs der Kuppel durch Bogen auf die Außenmauern und der vollen Verselbständigung der Kuppel von den Innenmauern durch die Freiwerdung der Innenstützen hat sich im 10. Jahrhundert in den Balkanländern noch nicht durchzusetzen vermocht. Die basilikale Tradition mit ihren fließenden Tiefenraumtendenzen war in den Balkanländern so tief verwurzelt, daß der neue Typus der Kreuzkuppelkirche im 9. und 10. Jahrhundert noch ganz im Banne der basilikalen Gestaltung stand.

 

Dessen ungeachtet macht sich in den jüngeren Bauten dieser Gruppe (in der Johanneskirche in Mesembria, und vor allem in der Anlage in German, Taf. Va, 1—2), bereits ein stärkerer Einfluß der hauptstädtischen Kreuzkuppelkirche geltend. In der Anlage in German ist die Tiefenentwicklung der Schiffseinheiten stark zurückgegangen und aus den einheitlichen Mauerzügen scheiden „pfeilerähnliche" Stützen aus, wenn auch die Ecklösungen noch mit Tonnen überdeckt sind und den Charakter von Seitenschiffen nicht eingebüßt haben [1].

 

Äußerst dürftig — ähnlich wie in Skripu — ist die Außengestaltung dieser Anlagen. So zeigt die Johanneskirche in Mesembria eine undifferenzierte Blockmäßigkeit. Die großen abschließenden Bogen der Seitenwände, welche aus vorspringenden Wandpfeilern ruhen, bilden die einzige stärkere Gliederung im Bauganzen.

 

Gegenüber der Einfachheit dieser frühen Anlage bilden die beiden bedeutsamen Kreuzkuppelkirchen des 14. Jahrhunderts in Mesembria, die Pantokratorkirche und die Kirche Johannes Aleiturgitos (Taf. Va, 5), den Ausdruck eines erlesenen Geschmacks und eines im Ostbalkan nicht übertroffenen Reichtums [2]. In jeder Beziehung bilden sie eine Verfeinerung und Bereicherung gegenüber der Johanneskirche.

 

War haben vor uns den bereits ausgebildeten Typus der mittelbyzantinischen Kreuzkuppelkirche. In der Raumgestaltung offenbart sich eine vollkommene Befreiung der Kuppel von den schweren Mauer- oder Pfeilerstützen. Die Kuppel ruht in beiden Fällen aus Säulen, wodurch der Eindruck eines leichten Schwebens der Kuppel hervorgerufen wird.

 

 

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Der Seitenschub der Kuppel wird auf die Ecklösungen Überträgen, was sich besonders klar bei der zweiten, viel entwickelteren Anlage des Johannes Aleiturgitos zeigt, wo die Ecklösungen durch flache Kuppelgewölbe überdeckt werden (Taf. Va, 5). Auch sonst treten Unterschiede in der Raumgestaltung auf. Wahrend die Pantokratorkirche in die Länge gezogen erscheint und sehr schmale Nebenschiffe besitzt, nähert sich die Aleiturgitoskirche eher einem Quadrat, die Nebenschiffe sind breit, die basilikalen Tendenzen sind zugunsten einer weitgehenden Verräumlichung einer klareren Überschaubarkeit der Räume gewichen, wozu vor allem der mit einem flachen Kuppelgewölbe überdeckte Raum vor der Apsis beitragt. Die Schönheit klar überschaubarer, streng um eine Mitte verteilter und ineinanderklingender Räume schwebte der Raumgestaltung als höchstes Ziel vor. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß diese Raumgestaltung ihre nächste Entsprechung in der byzantinischen Hauptstadt besitzt [3].

 

Auch die Außendekoration beider Anlagen, die vor allem in der Aleiturgitoskirche (Abb. 5) ihren Höhepunkt erreicht hat, geht auf die hauptstädtische Dekorationsart zurück: die Nischendekoration der Apsis findet sich in dem Paraklission der Fetiseh-Djami in Konstantinopel, die Art des farbigen Inkrustationsstils im Tekfurserail daselbst wieder.

 

Genau wie im Tekfurserail finden wir in der Johannes Aleiturgitoskirche unten weiße Marmorwände, welche von horizontalen Ziegelschichten mit weißen Mörteldurchschuß begleitet werden (Abb. 5). Oben bei dem Ansatz der Bogenarchivolten erfolgt die höchste Steigerung dieser farbigen Dekorationsart. Die Bogenfelder sind mit roten Ziegelornamenten (Rosetten, Schachbrett-, Gitter- und Sternmuster) auf weißem Mörtelgrunde ausgefüllt, in den Archivolten wechseln marmorne Keilsteine mit Ziegeln, über den Archivolten läuft eine ununterbrochene bei den Ansätzen geknickte, breite Bordüre, welche mit grünen und blauen glasierten Scheiben geschmückt ist, in den Zwickeln sitzen von Ziegeln umrahmte Marmorsteinchen, eine Art von opus sectile (Abb. 5). Hier kommen auch Kreuze und gewellte Ornamente vor. Darüber sitzen se zwei ganz „unartikulierte", nach innen gekerbte, oben leicht geschweifte Kielbogenfriese. Eine horizontal verlaufende Bordüre schließt diesen reichsten Teil der Ornamentik ab. Erst darüber befindet sich ein farbiger in Marmor- und Ziegeltechnik ausgeführter Bogenfries. Ebenso spielerisch ist die Ornamentik der Apsis gestaltet. Breite Bordüren, deren Felder in derselben Ziegel-Mürtel-Technik ausgefüllt werden und Mäander-, Schachbrett-, Wellemunster usw. enthalten, wechseln mit zwei Rechen von teils runden, teils kielartig abgeschlossenen Bogenfriesen.

 

 

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Wir wollen diese Dekorationsart im Gegensatz zu anderen in den Balkanländern auftretenden Dekorationsarten als Inkrustationsstil Bezeichnen.

 

Der Haupteindruck dieses Inkrustationsstiles beruht auf der dekorativteppichartigen Wirkung der Wand. Er ist keine Neuerung auf bulgarischem und byzantinischem Boden. Wir haben Ansätze zum Inkrustationsstil bereits in der Basilika Aboba-Pliska und in den früheren Kirchenanlagen in Mesembria festgestellt. Er bildet ebenso eine ständige Begleiterscheinung der byzantinischen Architektur und dürfte noch auf die spatantike Architektur zurückgehen. Aber das Neue, das uns hier zum ersten Male entgegentritt, ist eine höchste Steigerung zur teppichartig-dekorativen Wirkung, was bereits an die islamische Dekorationsart erinnert, aber im Grunde genommen von der Byzantinischen Architektur der islamischen geschenkt und von ihr weiter ausgebildet worden ist. Und nun das Wichtigste, wie verhalt sich diese Dekoration zur Architektur?

 

Wenn wir den ganzen Unterbau der Johannes Aleiturgitoskirche bis zum oberen Bogenfries im Auge behalten, so merken wir, daß dieser dekorativ-farbige Riesensockel uns keinesfalls auf das vorbereitet, was er oben sozusagen auf „seinem Rücken" tragt; es könnte sich oben genau so gut ein weiterer Stockwerkaufbau oder irgendein anderer Aufbau erheben. Mit anderen Worten, zwischen dem unteren Sockel und dem oberen Aufbau besteht keine architektonische Beziehung. Beide Teile klaffen sozusagen auseinander. In der Pantokratorkirche war dieses architektonische Auseinandergehen noch nicht so kraß, da der Bogenfries die oberen Teile von den unteren nicht so messerscharf abgeschnitten hat. Auch haben sich einzelne Teile, wie z. B. die Querschiffe, starker von dem ganzen Baukörper abgehoben. In der Johannes Aleiturgitoskirche besteht keine Verbindung zwischen Sockel und Aufbau, die oberen Teile, vor allem die die Quertonnen andeutenden Seitenbogen sind wie abgeschnitten: sie besitzen keine Verlängerung nach unten, sozusagen keine „Füße", auf denen sie ruhen würden, keine architektonische Entsprechung, im Gegenteil die untere Reihe der Arkaden steht in einem direkten Widerspruch zu den oberen Seitenbogen, weil sie ganz aus der Achse verschoben erscheint. In einem ähnlichen, rein dekorativen Sinn ist die Apsis gelöst worden, und zwar hat sie durch die Blendarkaden und die schmale Nischenummantelung ihr Relief gänzlich eingebüßt.

 

Wir entnehmen daraus, daß der Inkrustationsstil die eigentliche Baustruktur der Anlage verschleiert und uns über die Innenraumverteilung im Unklaren läßt.

 

Widerspricht aber diese Verschleierung des Baugedankens und seiner struktiv-tektonischen Lösung nicht der byzantinischen Architektur?

 

 

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War sie doch gerade auf der Übereinstimmung zwischen Raumgestaltung und Außengestaltung aufgebaut.

 

Eine starke Lockerung dieser ursprünglich klaren Verhältnisse können wir an einigen späteren Byzantinischen Bauanlagen verfolgen, so an der Fassadenwand des Tekfurpalastes in Konstantinopel, dessen farbige Wanddekoration auffallende Übereinstimmungen mit den Kirchenfassaden in Mesembria aufweist. Wir finden hier eine ganz ähnliche Achsenverschiebung der Fenster zwischen dem ersten und zweiten Stock wie in Mesembria, so daß der untere Sockelaufbau und der obere Stockaufbau gleichsam auseinandergerissen werden [4]. Aber noch viel auffallender ist das Aufgeben des klaren Strukturgefüges bei der Außenvorhalle der Molla Gürani-Djami in Konstantinopel, wo die oberen Bogenabschlüsse unter den Kuppeln in einen direkten Gegensatz zu den unteren Bogenarkaden geraten und genau so wie in der Johanneskirche durch einen horizontalen Fries abgeschnitten und ohne eine Verlängerung nach unten in der Luft zu schweben scheinen. Nachweislich wurde die Vorhalle der Molla Gürani-Djami im 14. Jahrhundert erbaut und liefert uns den Beweis, daß diese wichtige Veränderung sich im Zeitalter der Palaiologen in Konstantinopel vollzogen hat und von dort auf die ostbulgarische Architektur übertragen worden ist. Das Überwiegen der farbigdekorativen Wirkung der Wand und die Verschleierung des klaren Baugedankens sind daher allgemeine Erscheinungen der spätbyzantinischen Architektur im Palaiologenzeitalter.

 

Es gibt aber noch eine wichtige stilistische Eigenschaft der Johanneskirche in Mesembria, die auch an anderen mesembrischen Anlagen anzutreffen ist, und die darin besteht, daß die unteren Blendarkaden die ganze Kirche ringsherum umgeben, keine Rücksicht auf die innere Raumgliederung nehmen und somit ebenfalls rein dekorative Bedeutung besitzen, so daß mau mit Recht ihre pseudokonstruktive Verwendung hervorgehoben hat. Diese Verwendung von pseudokonstruktiven Arkaden kommt noch in zwei basilikalen mesembrischen Anlagen vor, und zwar in der Paraskevikirche [5] und der Theodoroskirche. Hier spielen diese Blendarkaden eine viel organischere Rolle und beleben in rhythmischer Abfolge die lange Wand. Wir finden diese Art der farbigen Verblendung in breiter Schicht in vielen anderen bulgarischen Anlagen, so in Bačkovo, in der Johanneskirche in Stanimaka und vor allem in einer Gruppe von 17 einschiffigen basilikalen Anlagen in Trapezica (die schönste unter ihnen, die Demetriuskirche in Trapezica [6] ist die einzige, deren Apsis sich erhalten hat). Diese Art der vorgeblendeten Architektur, welche in gleicher Höhe ohne Rücksicht aus die Raumdisposition die Wand belebt und eigentlich durch den rhythmischen Fluß auf Tiefenwirkung,

 

 

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d. h. auf ein Abschreiten an den Fassadenwänden berechnet ist, geht auf byzantinische einschiffige Tonnenkirchen zurück [7].

 

Die Kreuzkuppelkirche halt ihren Einzug in Tirnovo, der Hauptstadt des zweiten bulgarischen Reiches (1186—1393). Wann sie dort zum erstenmal auftritt, ist schwer festzustellen, da die Erlöserkirche in Carevec sich nur im Grundriß, die Kirche der Vierzig Märtyrer in verändertem Zustand erhalten hat. Immerhin spricht vieles dafür, daß beide Anlagen Kreuzkuppelkirchen waren, die Kirche der Vierzig Märtyrer scheint nicht unähnlich den mesembrischen Anlagen gewesen zu sein. Die Kuppel ruhte auf vier Säulen. Sie wurde im Jahre 1230 vom Zaren Ivan Assen II. (1218 bis 1242) errichtet. Im heutigen umgebauten Zustand besitzt sie die Gestalt einer dreischiffigen Basilika. Die Säulen und Kapitelle sind aus älteren Anlagen als Spolien wieder verwendet worden. Die eine Granitsäule mit der berühmten Inschrift des Zaren Omortag stammt höchstwahrscheinlich aus Aboba-Pliska [8].

 

Leider hat sich auch die schönste Kreuzkuppelkirche in Tirnovo, die Peter-und-Pauls-Kirche, nicht erhalten, da sie einem Erdbeben im Jahre 1913 zum Opfer gefallen ist. Ihre Kuppel ruhte auf vier Säulen, und auch der Raum vor dem Altar war durch Säulen von den Nebenschiffen getrennt. Das Hauptschiff und die Nebenschiffe münden unmittelbar in die Apsisräume (Taf. Va, 4). Statt Eckräumen sind überall Tonnen in den Nebenschiffen verwendet worden. Dadurch kam die Verräumlichung in der Tiefenrichtung zustande. Von den mesembrischen Anlagen unterschied sich die Peter-und-Pauls-Kirche auch durch ihre Außengestaltung. Der Kuppeltambour war aus Ziegeln errichtet und besaß keine Säulchen an den Ecken. Die Wände besaßen keine umlaufenden Blendarkaden wie in Mesembria oder in den einschiffigen Kirchen von Trapezica. Die seitlichen Arkaden, welche bis zu den Dachabschlüssen reichten, zeigten eine rein byzantinische, wenn auch pseudokonstruktive Gliederung, nämlich eine Dreierkomposition mit dominierender Mittelarkade über den Eingängen. Die Marmorkapitelle bildeten Spolien. Zwei von ihnen verraten frühbyzantinische Kämpferformen mit stilisierten Blättern.

 

Die Anlage, welche in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts verlegt wird, schließt sich auffallenderweise nicht den ostbulgarischen Bauten in Mesembria an. Sie hat byzantinische Einwirkungen auf einem anderen Weg erfahren, und zwar vom Südwesten aus Griechenland durch mazedonische Vermittlung. Dafür sprechen die räumlich in der Tiefenrichtung sich entwickelnden Schiffe, die Form der einfachen Kuppel, die in Griechenland und Mazedonien zu Hause ist,

 

 

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die Ziegeltechnik und vor allem die Byzantinische Dreiarkadengliederung der Seitenfassaden.

 

Diese Feststellung weist uns auf einen zweiten Kulturstrom hin, von dem Bulgarien seit der Einverleibung der mazedonischen Gebiete erfaßt worden ist: die byzantinischen Kultureinflüsse aus Griechenland über Mazedonien. Dieser Weg der Kulturübertragung war nicht weniger wichtig als der unmittelbare byzantinische Einfluß, ja vielleicht noch viel wichtiger, da er neben dem griechisch-byzantinischen Kulturgut auch abendländische Einwirkungen vermittelt hat.

 

Die westbulgarischen Gebiete besitzen ein ganz anderes kunstgeschichtliches Antlitz als Ostbulgarien. Wir können das an einigen Beispielen von Kreuzkuppelkirchen feststellen. Sie sind wegen ihres provinziellen Gepräges vom entwicklungsgeschichtlichen Standpunkt weniger wichtig als die von uns bereits behandelten Bauten. Wir stellen daher nur summarisch fest, daß Anlagen, wie sie durch die Kirche in Koluša bei Küstendil (wohl aus dem 12. Jahrhundert) am besten vertreten werden, sich der griechisch-mazedonischen Richtung eng anschließen [9]. Es sind reine Ziegelbauten mit breiten weißen Mörtelschichten, die auf eine ganz verschiedene Farbenwirkung der Außenwände eingestellt sind als die ostbulgarischen Anlagen im Inkrustationsstil. Auch die Gliederung der Wände im Dreiarkadensystem sowie die Verwendung von Ziegelbogen, Nischen und Säulchen an der Kuppel beweisen, daß diese Anlagen dem Kreise der byzantinisch-mazedonischen Bauweise angehören. Es scheint, daß auch einige einfache Kuppelbauten ohne Nebenschiffe und Mittelstützen, bei denen die wuchtigen Tonnen ein Kreuz bilden (Boboševo, Separevska Banja) und vor allem die durch ihre Fresken berühmte alte Kirche in Bojana bei Sofia (11. Jahrhundert) sich diesem Kunstkreis anschließen [10].

 

Die westbulgarischen Anlagen leiten uns zu den byzantinisch-mazedonischen über und zur Erörterung ihres Einflusses auf die Westbalkangebiete. Die Berührung mit diesem Gebiet hat sich äußerst fruchtbar nicht nur für die bulgarische, sondern, wie wir gleich sehen werden, auch für die serbische Architektur erwiesen.

 

 

2. Die Rolle der Kreuzkuppelkirche in den Westbalkanländern (Serbien)

 

Wir haben bereits in der letzten Phase der raszischen Schule, dort, wo sie sich scheinbar der gotischen Architektur am engsten anschließt, ein Wiederauftauchen byzantinischer Bauideen beobachtet: in Dečani. Aber Dečani liegt abseits des großen Weges der historischen Auseinandersetzung zwischen dem Westbalkan und Byzanz,

 

 

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die sich seit dem 14. Jahrhundert in Mazedonien und dem byzantinischen Serbien in dem Gebiet zwischen dem oberen Vardar und Kosovo Polje vollzogen hat. Dečani ist nur ein Reflex dieses baugeschichtlichen Prozesses, der sich bereits vorher unter Milutin zu vollziehen beginnt und in dem Augenblick mit voller Kraft einsetzt, als zum erstenmal ein gewaltiger serbischer Vorstoß nach dem Südosten, d. h. in der Richtung nach Mazedonien beginnt. Im Jahre 1283 wird Milutin Herr von Skoplje; das Gebiet von Polog, Ovče Polje, Bregalnica, d. h. ganz Nordmazedonien, wird dem serbischen Staate einverleibt. Sehr bald macht sich die Einverleibung eines von byzantinischer Kultur durchtrankten Gebietes in der Geschichte der Architektur bemerkbar [10a]. Es genügt ein Blick auf die wichtigsten Stiftungen Milutins, wie die großen Anlagen von Prizren (Fünfkuppelkirche Ljeviška, 1307—1309), Staro-Nagoričino (1312—1313), Gračanica (1313—1315), oder auf einfachere Anlagen wie die Nikitakirche in Čučer (1308—1318), ferner auf eine Reihe von stilverwandten Bauten, wie die Muttergotteskirche in Kučevište (1321 bis 1331), Štip (1332), Ljuboten (1337), und ein Vergleich mit den raszischen Anlagen, um von der großen Wandlung überrascht zu werden, die sich in dieser Zeit vollzogen hat.

 

Wir können zweifelsohne ein Abrücken von der romanischen und gotischen Formenwelt und eine Annäherung an die byzantinische Architektur beobachten, aber bei näherem Zusehen müssen wir feststellen, daß diese Annäherungen an Byzanz keine bloße Übernahme ver byzantinischen Bauformen bedeuten, sondern daß dieselben von Grund aus neu verarbeitet werden.

 

Den zwei stilverwandten monumentalen Anlagen in Staro-Nagoričino und Gračanica liegt das Vorbild einer voll entwickelten byzantinischen Kreuzkuppelkirche zugrunde (Taf. VII, 2, 3). Alfo ein vollständiger Bruch mit der raszischen Schule und ein Anschluß an Byzanz? Das Problem ist viel komplizierter, als es auf den ersten Blick erscheint.

 

Die Annäherung an die Kreuzkuppelkirche mit zentraler Kuppel über der Kreuzung der Haupttonnen, das Hervorheben der vier Kreuzarme durch rund abgeschlossene Seitenbogen, d. h. die Rückkehr zum byzantinischen „Vierfassadentypus", sowie das Betonen der Ecklösungen durch Eckkuppeln, das Gleichgewicht der Baumassen, die sich um die Hauptkuppel herum gruppieren, sind zweifelsohne dem Geist der byzantinischen Architektur entsprungen. In dieser Beziehung können wir sogar eine Steigerung des byzantinischen Baugedankens von Staro-Nagoričino bis Gračanica beobachten. Staro-Nagoričino (Taf. VII, 2) ist in die Länge gezogen und besitzt nur eine halbrunde Apsis, es fehlt die Zusammenfassung der Seitenfassaden,

 

 

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das Dreiersystem der großen Bogenarkaden ist nicht in voller Ausbildung angewandt, während in Gračanica die blockmäßige Anlage mit dem echt byzantinischen Dreiersystem den Eindruck einer Geschlossenheit im Geiste der byzantinischen Architektur hervorruft (Abb. 6). Die Ursachen dieser Verschiedenheit liegen jedoch zum Teil darin, daß in Staro-Nagoričino ein alter basilikaler Bau in der Zeit Milutins zu einer Kreuzkuppelkirche umgebaut worden ist und seine Grundmauern teilweise bis zur oberen Fensterhöhe belassen worden sind [11]. Nur die ganzen oberen Aufsätze mit Seitenbogen, Gewölben und Kuppeln sind neu dazugebaut worden, während sich in Gračanica der neue byzantinische Baugedanke ganz unbehindert entfalten konnte.

 

Aber abgesehen von diesen Abweichungen spiegeln sich in beiden Anlagen Stileigentümlichkeiten wider, welche den ihnen zugrunde liegenden byzantinischen Baugedanken paraphrasieren. Es kommt noch dazu, daß die Vorbilder, welche die Architekten Milutins vor sich sahen, nicht aus der byzantinischen Hauptstadt stammten, sondern aus dem byzantinischen Mazedonien, aus Saloniki oder Griechenland. Es sind also Vorbilder aus zweiter Hand, die sich entweder wie in Saloniki stärker an die byzantinische Hauptstadt anlehnen, oder wie in Mazedonien byzantinische Einflüsse mit lokalgriechischen Baugepflogenheiten verschmolzen haben. In ihrer Auswahl standen jene Baumeister daher nicht vor reinen Schöpfungen der byzantinischen Architektur, sondern vor Schöpfungen, die selbst bereits lokal gefärbte Umarbeitungen waren.

 

In den zwei monumentalsten Anlagen in Staro-Nagoričino und Gračanica steht zwar der Einfluß Salonikis im Vordergrund, aber auch hier mischen sich genug andere Stilelemente, sowohl griechische als auch traditionsgebundene serbische, die zu einer Einheit verschmelzen und diesen Bauschöpfungen einen besonderen Reiz der Originalität verleihen.

 

Die alte Kreuzkuppelkirche in Nerezi (1164) auf mazedonischem Boden und die berühmte Apostelkirche in Saloniki (1311—1314) haben als Vorbilder den Erbauern von Staro-Nagoričino und Gračanica vorgeschwebt. Aber gleichzeitig wachsen beide Anlagen über ihre Vorbilder so weit hinaus, daß sie keineswegs als bloße Ableger der griechisch-byzantinischen Anlagen bezeichnet zu werden brauchen.

 

Staro-Nagoričino schließt sich enger an Nerezi an. Beide Anlagen machen im Vergleich mit Gračanica einen „archaischen" Eindruck, da sich die Nebenschiffe mit den Eckkuppeln von dem Baukern nicht so weit lösen wie in Gračanica. Verschieden in beiden Anlagen sind dagegen die Außenbehandlung der Mauern, die Proportionen und die Raumgestaltung.

 

 

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Alles Schwere, Kompakte, Dumpfe, Gedrungene, das eine altere Entwicklungsstufe in Nerezi verrat, ist einem freieren, leichteren, aufgelösteren Aufbau in Staro-Nagoričino gewichen (Taf. VII, 2).

 

Gračanica dagegen schließt sich viel enger der Apostelkirche in Saloniki an (Taf. VII, 1, 3. Abb. 6). Die Überwindung der mittelbyzantinischen Gebundenheit sowohl in der Raumgestaltung als auch in dem Verhältnis der Baumassen zu einander im Außenbau ist beiden Anlagen gemeinsam. In der Apostelkirche wird der dreischiffige Kernbau nicht von Seitenschiffen umgeben, sondern von Umgängen sozusagen ummantelt. Die Ecklösungen mit den Kuppeln befinden sich nicht in unmittelbarer Nähe der Hauptkuppel, sondern in den äußersten Enden der Umgänge (Taf. VII, 1). Sie haben ihre konstruktive Gebundenheit aufgegeben, sie wirken nicht mehr als Entlastung des Seitenschubs der Kuppel. Dadurch macht die Hauptkuppel den Eindruck, als ob sie ganz frei in den Raum hineingestellt worden wäre. Gleichzeitig ist der Raum um die Kuppel herum quadratisch gestaltet, und das Hauptschiff ist beinahe ganz unterdrückt worden. Dieser quadratische Raum wird um so mächtiger von dem Vertikaldrang der Kuppel beherrscht. Noch stärker kommt diese Loslösung der Kuppel und das Aufgeben der Gebundenheit am Außenbau zum Vorschein. Die Eckkuppeln befinden sich nicht mehr in den Eckräumen zwischen den Querschiffsarmen, sondern springen vor die Querschiffsarme weit heraus. Dadurch ist die blockmäßig-geschlossene Einheit einer byzantinischen Kreuzkuppelkirche gesprengt. Wir können diesen Unterschied besonders gut beobachten, wenn wir die echte mittelbyzantinische Lösung von Nerezi mit der Apostelkirche vergleichen. Man kann daraus entnehmen, welche Wandlung sich in der Palaiologenkunst im Vergleich zu der mittelbyzantinischen Kunst vollzogen hat.

 

Diese Loslösung von der mittelbyzantinischen Gebundenheit hat die ganze Außengestaltung von Grund aus verändert. Die kristallinische Geschlossenheit des Bauganzen mußte einer mehr malerischen Komposition der Baumassen weichen. Die Nebenkuppeln schmiegen sich nicht mehr eng an die Hauptkuppel an, sondern werden durch breite Raumzonen von ihr getrennt. Malerische Überschneidungen der Kuppeln kommen aus. Diese Überwindung der mittelbyzantinischen Geschlossenheit führt aber noch eine weitere folgenschwere Neuerung mit sich: den Bruch der aufs Gleichgewicht eingestellten Proportionierung der Baumassen. Die Nebenkuppeln liegen nunmehr viel tiefer als die zentrale Kuppel, sie reichen eigentlich nur bis zum Fuß der Hauptkuppel. Und das Wichtigste: die einzelnen Kuppeln befreien sich von dem ihnen auferlegten harmonisierenden Zwang und können sich nun ungehindert der Höhe nach entwickeln; der Bruch mit der alten „byzantinisch klassischen" Proportionierung hat eine freie Entfaltung des Höhendranges ermöglicht.

 

 

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Wir sind durch das kühne Sichhinwegsetzen über alle Proportionsgesetze der in die Höhe schießenden Kuppel der Apostelkirche geradezu überrascht und müssen zugeben, daß sie tatsächlich einen Wendepunkt in der Geschichte der byzantinischen Architektur bildet. Wie wir noch sehen werden, hat diese Verselbständigung des Höhendranges in der ganzen Architektur der Balkanländer weit über das Gebiet des byzantinischen Serbien hinaus bis in die entlegensten Winkel Nordwestrumäniens eine entscheidende Rolle gespielt.

 

Alle erwähnten Stilerrungenschaften der Palaiologenarchitektur, wie sie ihren reifen Niederschlag in der Apostelkirche gefunden haben, wurden in Gračanica eifrigst aufgegriffen (Abb. 6). Die Eckkuppeln haben mit der Konstruktion der mittleren Kuppel nichts Gemeinsames. Sie rücken vor die rückwärtigen Tragebogen der Querschiffe ebenso wie in der Apostelkirche. Und vor allem ist genau derselbe Bruch mit der Harmonie der Proportionen wie in Saloniki zu beobachten: die Eckkuppeln reichen nur bis zum Fuß der mittleren Kuppel. Die Mittelkuppel erhebt sich ganz unbeschwert in die Höhe, sie verkörpert sozusagen den nunmehr frei sich entfaltenden Höhendrang. So weit schließt sich Gračanica den neuen Stilbestrebungen der Palaiologenarchitektur an. In einzelner Formgestaltung übernimmt sie auch die Form der Kuppeltamboure ihrer Vorgängerin, die sich wiederum den der byzantinischen Hauptstadt abgelauschten Tambouren anschließt.

 

Aber darüber hinaus bildet Gračanica wiederum etwas Neues, und zwar sowohl in der Raumauffassung als auch in der Raumgestaltung. In der Raumgestaltung hat der Vertikalaufbau der Kuppel die Apostelkirche in Saloniki weit übertroffen. Das Auge wird in dem relativ schmalen Raum in eine schwindelnde Höhe emporgeführt. Dazu tragen vor allem die überproportionierten Pfeiler bei (Taf. VII, 3). In der Apostelkirche waren es noch Säulen, welche die Kuppellast getragen und ihr noch ein wenig statisches Sicherheitsgefühl verliehen haben. Hier wird dieses Gefühl durch steil emporschießende, relativ schlanke Pfeiler vollkommen überwunden. Schlanke dreiteilige Fenster durchbrechen hoch oben unter dem Kuppeltambour die inneren Querschiffswände; sie beleuchten diese oberste Raumzone und tragen zu ihrer Entstofflichung bei. Keine byzantinische sphärenartige Raumharmonie umfängt uns im Innern, sondern ein über alle Gesetze der Raumharmonie sich erhebender Höhendrang. Es ist wohl kein Zufall, daß man die Lockerung der mittelbyzantinischen Proportionsgesetze in Gračanica so willfährig aufgegriffen hat.

 

 

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In Raszien war bereits, wie wir gesehen haben, die Gotik zu Hause, wir wissen bereits, wie stark sie den Vertikaldrang der raszischen Anlagen (Arilje ist ein besonders bezeichnendes Beispiel) beeinflußte und wie wenig sie sich um byzantinische Proportionsgesetze kümmerte. Ist es daher ein Wunder, daß eine „latente" Gotik sich in Gračanica der Vertikaltendenzen der Palaiologenarchitektur bemächtigt und dieselben weit über die Vorbilder hinaus steigert und sublimiert? Wir merken auch noch das Nachklingen der raszischen Schule in einer schüchternen Konzession an die Querschiffslösung, die sich in der Raumwirkung bemerkbar macht und die in der Apostelkirche nicht vorhanden war: die seitlichen Querarme öffnen sich gegen den Kuppelraum und werden wenigstens auf der einen Seite von den äußeren Seitenschiffen und Wänden abgeschlossen.

 

Nicht minder groß ist der Unterschied in der Außengestaltung. Zu allererst in der Steigerung der Höhenproportionen. Nicht nur die Kernanlage wird wie in Saloniki in die Höhe gezogen, sondern auch die Wände der Nebenschiffe und der Unterbau der Eckkuppeln, die außer den Tambouren noch einen mit Blendbogen versehenen Sockel erhalten. Man gewinnt den Eindruck, daß der ganze Unterbau in die Höhe gezogen worden ist und daß sich von dieser erreichten Höhe die oberen Teile wieder nur allmählich und stufenweise emporheben. Wir stehen wie vor Riesenstufen, die unsere Blicke staccando hinaufführen. In der Apostelkirche wurden die Höhenunterschiede von den Umgängen und Eckkuppeln zum Mittelbau und zur Mittelkuppel übersprungen. In Gračanica kein Sprung, sondern ein Wachsen, das von allen Seiten der Mitte zu konzentrisch alle Bauteile erfaßt und in der Mitte ausklingt. Schlanker sind auch die Tamboure. Wachsen ist gotisches Stilgut. Wir haben eine latente Gotik in der Raumgestaltung entdeckt. Ist es ein Wunder, wenn der Gesamteindruck der Außengestaltung der Kirche in Gračanica uns an eine gigantische gotische Fiale erinnert? Die Ineinanderschachtelung der steigenden Riesenaußenbogen der beiden Querschiffsabschlüsse, d. h. die Wiederholung derselben Motive in perspektivischer Verkürzung nach oben, das Wachstum und die Auslösung in einer pyramidalen Form, entspricht das nicht alles Gesetzen, nach denen eine gotische Fiale oder ein mit Fialen umgebener gotischer Turm gestaltet wird? Daß hier tatsächlich gotische Formen angewendet wurden, beweisen die spitzbogigen rückwärtigen oberen Querschiffsbogen. Zu ihnen stehen die halbkreisartig geschlossenen Wellenlinien Der unteren Bogen der Seitenwände in Kontrast und bereiten aus den pyramidalen Ausklang oben vor (Abb. 6).

 

Die Anlage in Gračanica erscheint somit als eine schöpferische Umgestaltung der Palaiologenarchitektur Salonikis im Geiste einer, hier bereits durch die raszische Schule vermittelten „latenten Gotik".

 

 

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Und zuletzt noch der Unterschied in der eigentlichen Wandbehandlung. In beiden Anlagen, d. h. in Saloniki und in Gračanica, haben wir es mit einer Wandbehandlung zu tun, die sich von dem Inkrustationsstil der mesembrischen Bauten deutlich unterscheidet. Wir wollen diese Wandbehandlung als zellenartige Wanddekoration bezeichnen. Sie unterscheidet sich vom Inkrustationsstil dadurch, daß die einzelnen Quadern nun nicht nur in horizontaler Richtung, sondern auch in vertikaler von Ziegeln und weißem Mörtel eingefaßt werden. Die Technik erinnert mutatis mutandis an das Zellenemail: die Goldstege entsprechen den Ziegeln und Mörtelschichten, wahrend das eigentliche Email die farbigen Steine bilden. Ferner fehlt in der zellenartigen Wanddekoration eine schichtenartige Lagerung von mehreren Quader- und Ziegelschichten, wie wir sie in den byzantinischen hauptstädtischen und in den von ihnen beeinflußten mesembrischen Anlagen finden. Überhaupt spielt die Verbindung von farbigen Quadern und Ziegeln hier eine größere Rolle als in den mesembrischen Bauten, wo die Farbigkeit zwar auch aufgetreten ist, aber doch nicht in dem Maße wie in Saloniki und Mazedonien. Anderseits bestehen wiederum Unterschiede zwischen Saloniki und Gračanica in der Wandauflösung. Im Gegensatz zur Apostelkirche, wo ein bunter Wechsel der verschiedensten teppichartigen Motive die Tympana der Fenster und die blinden Arkaden fallt, wiederholt sich in Gračanica in allen Fenstern dasselbe Motiv von Zickzackbändern. Die bunte, reiche, gleichzeitig aber auch unruhige Teppichwirkung wurde hier nicht angestrebt. Die lapidare Wirkung der Steinquadern, welche den Haupteindruck bestimmen, wurde durch die Ziegeldekoration der Fenster zwar belebt, aber nicht in Unruhe verfetzt. Aus Ziegeln sind auch die großen Fassadenbogen und die Kuppeltamboure ausgeführt. Dadurch wird die Leichtigkeit der oberen Abschlüsse betont.

 

Worauf sind diese Unterschiede zurückzuführen? Die Apostelkirche in Saloniki macht eher einen warmen, dabei stark dekorativen Eindruck. In dieser bunt-farbigen Auflösung der Wände entspricht sie der letzten Phase in der Entwicklung der nordgriechischen Architektur [12]; die Anlage in Gračanica macht durch die zellenartige Ziegeleinfassung von Steinquadern eher einen lapidar-farbigen Eindruck.

 

Auf lapidar-farbigen Eindruck sind sowohl Denkmaler mittelbyzantinischer und der lokalgriechischen Architektur berechnet, wogegen die von der romanischen und gotischen Architektur beeinflußten raszischen Bauten reine Quaderbauten sind. Es ist in unserem Fall schwer zu entscheiden, woher Diese Wandbehandlung in Gračanica Eingang gefunden hat.

 

 

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Die farbigen Quaderschichten könnten eher für Raszien sprechen, die zellenartige Wandbehandlung für Griechenland [13].

 

Und zuletzt noch ein wesentlicher Unterschied. Das Dreiersystem der großen Bogen an den Seitenfassaden mutet in Gračanica echt Byzantinisch an. Die Wellenbewegung der Giebelabschlüsse erweckt den Eindruck, als ob diese Bogen den Abschluß der Tonnengewölbe bildeten und somit im Sinne der byzantinischen Architektur die Klarheit der räumlichen Gestaltung nach außen zum Ausdruck brachten. Das ist aber eine visuelle Täuschung. Zwar schließt der mittlere Bogen tatsächlich die Tonne des Querarmes ab, aber die beiden Seitenbogen sind nur maskierte Scheinfassaden, „Attrappen", hinter denen sich keine von innen nach außen verlaufende Tonnengewölbe befinden, sondern parallel zur Mauer verlaufende Seitenschiffe und die von einer Kuppel überdeckten quadratischen Eckräume. Es ist also eine jeder byzantinischen architektonischen Logik direkt widersprechende Lösung, die wir in den byzantinischen Bauten vergeblich suchen würden [14]. Hand in Hand damit geht die unkonstruktive Verbindung der großen Seitenbogen mit den Wandpfeilern. Der mittlere Tonnenabschluß besitzt überhaupt keine Wandpfeiler. Der Seitenbogen gleitet sozusagen an den Wänden ab. Dafür sitzen gerade die pseudokonstruktiven Bogen der Seitenwände auf Wandpfeilern, aber ebenfalls nicht mit ihrer vollen Breite. Dazu kommt, daß diese Wandpfeiler als solche selbständig behandelt worden sind, indem sie beim Bogenansatz durch einen Fries, der außerdem noch auf der Wand der mittleren Seitenfassade fortgesetzt wurde, horizontal abgeschlossen wurden. Die byzantinische Wandbehandlung kennt keine gliedernden Wandpfeiler. Sie kennt nur ein reliefartig in Flächen sich absetzendes Zurückweichen der Wand. Somit erscheint auch dieser Versuch einer prononcierteren Wandgliederung als ein Fremdkörper in der byzantinisierenden Fassade, wohl ein Nachklang der raszischen romanischen Gliederung der Wände.

 

Somit hat die Gegenüberstellung der Apostelkirche in Saloniki mit der Anlage in Gračanica erwiesen, daß wir es hier keineswegs mit einer Replik zu tun haben, sondern mit einer freien Schöpfung, die zwar die Apostelkirche zum Ausgangspunkt der neuen Baugestaltung genommen hat, aber dieselbe durch freie Wahl ganz verschiedener Formen aus der griechischen und raszischen Architektur in einem neuen Geiste ganz umgeschmolzen hat.

 

Dieselbe Verschmelzungstendenz spiegelt sich in den bescheideneren einkuppeligen Anlagen wie in Kučevište und Čučer wider. Hier haben sich die Akzente nur insoweit verschoben, als außer den Saloniker Einwirkungen die griechischen bzw. mazedonischen LokalEinflüsse sich etwas stärker bemerkbar machen.

 

 

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Den Prototyp dieser Anlagen, an den sie sich bloß angelehnt haben, bildet die berühmte Klemenskirche in Ochrid, welche im Jahre 1294/95 von dem großen Heteriarchen Andronikos II. Palaiologos, Progonos Sgouros errichtet wurde (Taf. Va, 3). Sie gehört zu dem Typus der einfachen dreischiffigen Kreuzkuppelanlagen ohne Eckkuppellösungen. Sie selbst ist bereits eine Mischung der über Saloniki vermittelten hauptstädtischen und der lokal-griechischen bzw. mazedonischen Architektur. Der allgemeine Grundgedanke, die geräumige Vorhalle, die klare Raumgestaltung, ferner die Tambour- und Kuppelform mit Säulchen und Zahnfries gehen auf die Saloniker Vorbilder zurück. Dagegen ist die Wandbehandlung, ferner die stark ausgeprägte Giebelform der Querarme griechischen Ursprungs. In der Wandbehandlung überwiegt die reine Ziegelornamentik, d. h. aus Ziegeln und Ziegelplatten werden die Mäander, Schachbrettmuster usw. zusammengestellt. Auffallend ist die Behandlung der Apsis. Sie besteht aus Blendarkaden, die von unten bis zum Dach reichen. Scheinbar eine lokal-griechische Abwandlung, denn in Byzanz werden gewöhnlich Blendarkaden oder Nischen zur Belebung der Nischenwände in mehreren Reihen übereinander gestellt. Die rein dekorative Wirkung der Blendarkaden wird durch den Zahnfries hervorgerufen, der die Arkaden von unten bis zum Bogenscheitel umgibt. Der Zahnfries spielt überhaupt eine große Rolle, er krönt alle Dachabschlüsse und Giebel und tritt in drei Reihen an den Bogenleibungen der Kuppel auf. Man gewinnt den Eindruck, als ob dadurch die den Bau abschließenden Linien besonders hervorgehoben werden sollten.

 

Ein Zug der lokal-griechischen Bauschule spiegelt sich vor allem in dem dreieckartigen Giebelabschluß und in dem klaren Sichabzeichnen der kreuzartigen Querarme, die ein sanftes Abgleiten der Dachflächen verursachen und der ganzen Anlage den Eindruck einer breiten horizontalen Lagerung verleihen. Von der Apsisseite macht der breit gelagerte Giebelabschluß den Eindruck einer klassisch griechischen Tempelbekrönung. Die strenge Gliederung der Seitenfassaden, das reliefartige Sichabsetzen des mittleren Bogens, die rund abgeschlossene, durch Zahnfriese besonders betonte Seitenschauwand der Vorhalle gehen auf hauptstädtische bzw. Saloniker Anregungen zurück.

 

Deutlich ist der Einfluß der Klemenskirche in der Muttergotteskirche in Kučevište und in Čučer zu spüren. Aber das Vorbild wird abgewandelt und mit anderen Stiltendenzen vermischt, so daß stets neue eigenartige Schöpfungen entstehen.

 

In Kučevište klingt das Ochrider Vorbild vielleicht noch am stärksten nach [15]: in dem klaren Sichabzeichnen der Querarme, in der gleichen Behandlung der horizontal abgeschlossenen Ecklösungen,

 

 

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dem Dreiersystem der großen Bogen der seitlichen Schauseiten und vor allem in den Giebeldreiecken der Querschiffswände. Verschieden dagegen ist die Behandlung der Apsis. Sie lehnt sich eher an die Apostelkirche in Saloniki an.

 

Der auffallendste Unterschied zur Klemenskirche zeigt sich in einer ganz verschiedenen Proportionierung der Anlage. Die Breitlagerung ist aufgegeben, und die Vertikaltendenz geht über die der Klemenskirche und der anderen mazedonischen Anlagen hinaus und ist ein Niederschlag der latenten gotischen Stilabsicht, die wir in Gračanica festgestellt haben und die wiederum auf Raszien hinweist.

 

Zu unserer Gruppe gehört noch die in der Nahe von Skoplje befindliche Nikitakirche in Čučer. Ähnlich wie in Staro-Nagoričino haben wir es hier mit einem Umbau einer alten, vor dem Jahre 1282 entstandenen byzantinischen Anlage zu tun. Etwas gedämpfter klingen auch hier noch die in der Klemenskirche von Ochrid verkörperten Bauideen aus, so in der allgemeinen Raumgestaltung, der Kuppel- und Giebelbehandlung. Vor dem Umbau Milutins war die Anlage der Klemenskirche in Ochrid oder ihr anverwandten Anlagen noch ähnlicher, denn die heutige Zusammenfassung der Seitenfassaden unter ein gemeinsames Giebeldach ist keineswegs ursprünglich. Ursprünglich haben die Querschiffsarme eine eigene Dachüberdeckung und eigene Giebelabschlüsse gehabt, und die Ecklösungen waren mit parallel zur Hauptachse der Kirche verlaufenden, nach vorn abfallenden Dächern bedeckt, ähnlich wie in der Klemenskirche [16].

 

Das allgemeine Bild der Bauentwicklung in der Zeit Milutins wird durch die Einverleibung Mazedoniens bestimmt, das durch seine alteingewurzelte griechisch-byzantinische Kultur auf den Norden einwirkt. Es entsteht dadurch eine serbisch-byzantinische Baukunst, in der die byzantinischen Anregungen aus Saloniki, die lokal-griechischen und die mazedonisch-griechischen, mit den vom Westen, von der Adriaküste sich ausbreitenden romanischen und gotischen Tendenzen zu einer Einheit verschmelzen.

 

Die Ausdehnung des serbischen Staates nach dem Süden, die Verlegung der Hauptstadt nach Skoplje und die Krönung von Milutins zweitem Nachfolger, Stephan Dušan (1331—1355), daselbst zum Zaren der Serben und Griechen hat eine weitere intensive Durchdringung der serbischen Architektur durch byzantinische und griechische Vorbilder zur Folge gehabt. Der Baustil der Klosterkirche in Lesnovo knüpft an die vorhergehende Architekturentwicklung aus der Zeit Milutins an [17]. Geht die Grundtendenz auf die Klemenskirche zurück, so sind anderseits wieder stärkere byzantinische Einwirkungen in den abgerundeten Seitenfassaden erkennbar, die vertikale Streckung der ganzen Anlage geht auf dieselben Ursachen zurück wie in Kučevište.

 

 

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Dazu kommen noch neue Stileigenschaften in der Wandgliederung. Die mittlere Arkade der Seitenfassade verrät in ihrer klaren Gliederung und konstruktiven Bedeutung byzantinische Anregungen. Dagegen sind die beiden Paare der vorgeblendeten Arkaden, welche die mittlere Arkade flankieren, rein dekorativ behandelt (Abb. 7).

 

Das bedeutendste Baudenkmal, welches mit der Bautätigkeit Stephan Dušans zusammenhängt, die Erzengelkirche bei Prizren, ist zugrunde gegangen. Die Ruinen wurden erst im Jahre 1927 bloßgelegt und bilden wiederum eine Überraschung [18]. Die Raumgestaltung der Anlage ist eine treue und reine Nachbildung einer byzantinischen dreischissigen Kreuzkuppelkirche mit vorgelegter Vorhalle (Taf. VII, 4). In der strengen, konstruktiv bis ins letzte durchdachten Raumgestaltung übertrifft die Anlage ihre Vorgängerinnen aus der Zeit Milutins wie z. B. Staro-Nagoričino und Gračanica, die starke Abweichungen von der logischen Strenge einer byzantinischen Konstruktion aufgewiesen haben. Die einzige Abweichung von der hauptstädtischen Architektur bildet das Fehlen der Ecklösungen und eine Streckung der ganzen Anlage in der Längsrichtung, was durch den Einfluß der lokalgriechischen Architektur erklärt werden könnte.

 

Die größten Überraschungen bilden jedoch die überreichen Skulpturreste, die hier gefunden worden sind. Das Portal war abgetreppt, seine Gewände, Leibungen und Kapitelle mit reichem plastischem Schmuck versehen. Der Stil der gefundenen Reste verrät eine Mischung von byzantinischen, romanischen und gotischen Formen, und zwar in einer Formensprache, wie wir sie auffallend ähnlich in den raszischen Portalen z. B. in Studenica und vor allem in Dečani vorgefunden haben [19]. Neu ist auch ein profilierter Sokkel, der unten die ganze Anlage umgibt, ferner Fragmente von Freistatuen im Innern [20], von skulptierten Stifterbildnissen im Tympanon und von Fußbodenmosaiken mit Tierdarstellungen im opus sectile [21].

 

Gerade durch diesen reichen plastischen Schmuck unterscheidet sich die Erzengelkirche Dušans von den Anlagen Milutins, die einen außerordentlich spärlichen Gebrauch von Skulptur gemacht hatten, und sie beweist, daß die serbische Architektur in der Zeit ihrer größten Ausdehnung nach dem griechisch-byzantinischen Süden nicht etwa ganz byzantinisiert worden ist, sondern auch weiterhin den Zusammenhang mit der abendländischen Kunst bewahrt hat, ja, daß sie die ihr zugrundeliegende künstlerische Absicht einer abendländischen-byzantinischen Synthese eher vertieft als aufgegeben hat.

 

Für die Vielfältigkeit und Reichhaltigkeit der hier zutage tretenden Lösungen spricht wiederum das Auftauchen von Baugestaltungen, die in einem bis dahin nicht dagewesenen Purismus die voll ausgebildete und ausgereifte Fülle eines byzantinischen Bauorganismus übernehmen,

 

 

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wie z. B. in der Anlage von Matejić (Taf. VII, 5). Diese Anlage, welche wohl erst nach dem Tode Dušans (1355) von seiner Gemahlin Helena errichtet worden ist, mutet wie ein Schlußstein in dem Werke des serbischen Herrschers an, der in seinen hochfliegenden Plänen von der Übernahme des byzantinischen Imperiums auf der Balkaninsel träumte [22]. Der Bau macht den Eindruck, als ob die Witwe Dušans diese byzantinischen Träume in Stein umgesetzt hätte und ihnen ewige Dauer verleihen wollte.

 

Die Klosterkirche in Matejić bei Kumanovo bildet nicht nur die reinste, sondern auch die monumentalste Anlage im byzantinischen Stil auf serbisch-byzantinischem Gebiet.

 

Fest in sich geschlossen, gravitätisch und machtvoll in ihrer kubisch blockmäßigen Wirkung, gleichzeitig harmonisch in der gleichmäßigen Verteilung der Baumassen, vor allem der vier Eckkuppeln, nicht übermäßig erhöht, da die schwere mittlere Kuppel und die abschließenden Abrundungen der mächtigen Seitenbogen der Querarme das leichte Emporstreben dämpfen, wirkt die ganze Anlage wie die reine Verkörperung eines byzantinischen Baugedankens. Man braucht nur die beiden monumentalen Schöpfungen Milutins in Staro-Nagoričino und Gračanica mit ihr zu vergleichen, um zu sehen, daß hier in den allgemeinen Zügen und Linien der Geist der byzantinischen Architektur sich viel reiner, viel unverfälschter erhalten hat. Obwohl das Höhenverhältnis der Nebenkuppeln zur Hauptkuppel ein ähnliches ist wie in der Apostelkirche in Saloniki, ist das Verhältnis der Nebenkuppeln zu dem Gesamtbauorganismus enger und geschlossener als in der Apostelkirche. Nur an der Westfassade, am Vorhallenbau treten die Kuppeln vor das etwas verkürzte Hauptschiff vor und erinnern an die gelockerten Seitenfassaden der Saloniker Anlage. Gegenüber diesen strengen byzantinischen Zügen fallen einige lokale Eigentümlichkeiten der griechisch-mazedonischen Architektur wie z. B. die auf farbige Effekte berechnete, aus Ziegeln und Mörtel bestehende zellenartige Dekoration der Bogenfelder, die blinden eingelassenen Nischen über den Portalen, die Fensterform der Apsis, ferner das kleine, setzt nicht mehr existierende Portal der Fassadenseite, das leicht abgetreppt mit Pfeilern und einem Bogenaufsatz versehen war [23], weniger ins Gewicht, da sie den byzantinischen Gesamteindruck zu verwischen nicht imstande waren.

 

Rein byzantinisch sind auch die klare innere Raumdisposition mit Ecklösungen, die Trennung des Vorhallenraumes vom Hauptschiff und die Gliederung der Wände durch Wandpfeiler am Außenbau,

 

 

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welche von dem hier so beliebten pseudokonstruktiven Prinzip Abstand nehmen und die Raumgestaltung klar abzeichnen.

 

Die Wände sind ziemlich nachlässig behandelt und bestehen aus unregelmäßigen Steinlagen mit breitem Mörtelverputz. Millet sieht darin eine Neigung zu malerischer Wandbehandlung, wie er sie auch in Mistra in der Panagia Brontochion feststellt und aus Konstantinopel ableitet [24].

 

Die Kirche in Matejić bildet somit den Höhepunkt in der Aneignung byzantinischer Bauformen in dem sogenannten byzantinischen Serbien, d. h. in dem Gebiet am oberen Vardar, wo die serbische Expansion mit der byzantinisch-griechischen Kultur heftig zusammengeprallt ist. Sichtlich hat man sich in diesem Bau von der eigentlichen raszischen Baukunst am weitesten entfernt. Der „Byzantinisierungsprozeß" der serbischen Baukunst hat sich hier am stärksten durchgesetzt.

 

Aber diese enge Berührung mit der byzantinischen Kultur sollte nicht allzulange dauern, da das Reich Dušans einer baldigen Auslösung im Süden entgegenging und bald darauf die vordringende türkische Invasion zu einer Verlagerung der schöpferischen Kräfte in nordwestliche Gegenden, in das Moravatal, nötigte.

 

Nachträge

 

Kap. III.

Wiederbelebung bei byzantinischen Kunstströmungen und wachsende Bedeutung Griechenlands

 

 

Die Rolle der byzantinischen Kreuzkuppelkirche in den Ostbalkanländern (Bulgarien)

 

Eine Reihe von Kreuzkuppelkirchen ist neuerdings in Bulgarien ausgegraben worden. Drei verschiedene Bautypen sind hier vertreten und zwar eine reich entwickelte Kreuzkuppelkirche des Konstantinopler Typus (zwei in Avradak bei Preslav, eine in Bial-Briag bei Preslav und eine an der Brücke Tiča bei Preslav) eine einfachere Kreuzkuppelkirche mit einer Apsis (in Pliska) und eine Kreuzkuppelkirche mit einer Apsis und nur zwei Säulenstützen (in Preslav).

 

 

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Den schönsten Typus bildet die Anlage in Avradak in Preslav (Kirche Nr. 1, vgl. Vera Ivanova, Razkopki na Avradaka v Preslav, Razkopki i Proučvanija, Sofia 1949, S. 13—39 und Abb. 75, Taf. I). Die Vollkommenheit in der Durchbildung der architektonischen Formgestaltung übertrifft alle bisherigen Anlagen in Bulgarien. Einige Dekorationsmotive (Kapitell, Abb. 9) erinnern an dalmatinische Dekorationen. Die Kirche dürfte vor dem 10. Jh. errichtet worden sein, da sie im Jahre 972 zerstört wurde. Einen vereinfachten Typus dieser hauptstädtischen Anlage bilden die Klosterkirche in Avradak (ebda., S. 47—61) und die Kirche an der Brücke über die Tiča, die in die zweite Hälfte des 10. Jh.s datiert werden (vgl. Stanko Stančev, Tri novootkriti cerkvi v Preslav, S. 91 bis 93, Abb. 23).

 

Die neuentdeckte Kirche in Bial-Briag schließt sich diesem obgenannten Typus an, weist jedoch in der Gliederung der Außen- und Innenwände halbsäulenartige Dienste auf, die an die Konstantinopler Anlage (Bodrum Djami) auffallend erinnern. Sie wird in die erste Hälfte des 10. Jch.s datiert (vgl. Vera Ivanova, Dve cerkvi na Bial-Briag v Preslav, S. 149—155).

 

Noch provinzieller wirkt die Kreuzkuppelkirche mit einer Apsis und vier Pfeilerstützen in Pliska (vgl. Stamen Michajlov, ebda. Kirche Nr. 24, Abb. 14, D. S. 185—187). Die kleine Anlage in Preslav (Nr. 3), wo die Kuppel nur auf zwei Säulen und zwei Wandpfeilern ruhte, bildet auch einen vereinfachten Typus, verrät aber eine sehr seine Durchbildung der architektonischen Details. Sie wird ins 10. Jh. datiert (vgl. Stanko Stančev, Tri novorazkriti cerkvi v Preslav, ebda. S. 79—86, Abb. 8).

 

 

1. Über die Datierung und stilistische Bestimmung dieser Bauten vgl. die aufschlußreiche Studie M. Maurodinovs, L'apparition et l'evolution de l'église cruciforme dans l’architecture byzantine: Atti del V Congresso Internazionale degli Studi Bizantini, Rom 1936, 243 ff., der wir uns in Bezug auf die Balkangebiete anschließen.

 

2. Maurodinov, Église à nef unique et l'église cruciforme, S. 101, datiert die Pantokratorkirche in den Anfang des 14. Jh.s auf Grund ihrer stilistischen Ähnlichkeit mit der Fetiehdjami in Konstantinopel und die Kirche des Johannes Aleiturgitos ins Ende des 14. Jh.s. Obwohl ein stilistischer Unterschied zwischen diesen beiden Anlagen besteht, ist die Ansetzung der zweiten Anlage doch zu spät.

 

3. Vgl. die Kilisse-Djami, die Südkirche des Pantokratorklosters und das Paraklesion der Fetiehdjami (Pammakaristos) in Konstantinopel.

 

4. Wir finden auch die untektonische Verbindung von Archivolten der Blendnischen wieder, die in die Archivolten der Bogen einschneiden (Ansicht des Palastes von der Stadtseite).

 

5. A. Rachenov, Églises de Mesembria. Sofia 1932, S. 34 bis 35. R. rekonstruiert die Paraskevikirche mit einer Kuppel, wofür wenige Anhaltspunkte vorliegen. Innenpfeiler an den Wänden hatten auch die Anlagen in Trapezica ohne Kuppeln zu besitzen.

 

6. V. Dimov, Razkopki na Trapezica v Tŭrnovo: Bul. de L'Instit. arch. bul. V (1915), S. 112 ff. Die Anlagen find durch ein Erdbeben bis auf die Fundamente zerstört worden.

 

7. Daß die Verwendung an den Seitenwänden auch in anderen byzantinischen Gebieten vorkommt, beweisen einige Anlagen auf der Insel Chios. Hier treten sie sowohl in basilikalen Bauten (Johannes Halkios, vgl. Orlandos, Monuments byzantins de Chios, Athen 1930, Taf. 52) als auch in Kuppelkirchen auf (Sikelia, ebda Taf. 47 und die Kirche in Krina ebda Taf. 34).

 

8. Vgl. die Rekonstruktion bei Maurodinov, Église, Abb. 112.

 

9. Maurodinov, ebda S. 106 und Filow, Geschichte, S. 58. F. datiert die Anlage ohne zwingende Gründe in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts.

 

 

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10. Vgl. die einschiffigen griechischen Einraumbasiliken bei Argos (Theodorenkirche) und in Sofikon, Antoniuskirche (Kreuzarme mit Kuppel) in „Der Peloponnes", Athen 1944, Abb. 10, 11 und weitere Beispiele S. 229

 

10a. In der letzten Zeit werden in der serbischen kunsthistorischen Literatur zwei Gebiete von einander geschieden: Kosovo-Metochia und Mazedonien. Vgl. Derocco, a. a. O., S. 150—206 und Aufzählung der wichtigsten Kirchenbauten Kosovo-Metochias, ebda, S. 157—159. Aber abgesehen von geringen stilistischen Unterschieden gehören beide Gruppen einer gemeinsamen mit der griechisch-byzantinischen Architektur verwandten Stilrichtung an.

 

11. G. Bošković, Deux églises de Milutin: Staro-Nagoričino et Gračanica: L'art byzant, chez les Slaves Bd. I., S. 195 bis 206. Der alte ursprüngliche Bau zeigt in der Formgestaltung und Mauertechnik Ähnlichkeiten mit der Georgskirche in Mlado-Nagoričino. Wenn die neue Datierung der Anlage von Mlado-Nagoričino ins 16. Jh. zu Recht besteht und kein Umbau vorliegt, dann handelt es sich um eine lokale Bautradition. Vgl. N. Maurodinov, Archeologični i chudožestveno-istorični izsledvania iz Makedonia: Makedonski pregled, god. XIII. Bd. II (1942), S. 5—15.

 

12. G. Millet, L'école grecque, S. 258—267. Schöne Beispiele dieser zellenartigen Wundbehandlung in der Nikolauskirche und der Kyriotissa in Verria (Mazedonien).

 

13. G. Millet, L'école grecque, S. 223—224. Beispiele in Attika, Argolidis, Lakonien.

 

14. G. Millet, L'ancien art serbe: Les églises S. 104.

 

15. Die Marienkirche in Kučevište wurde nach G. Bošković, L'art medieval en Serbie et en Macedoine, Belgrad, S. 73, 1321 bis 1331 errichtet.

 

16. Die Kirche wurde 1341 vom Despoten Oliver errichtet. 1349 wurde die monumentale Vorhalle angebaut. Vgl. M. N. L. Okunev : Lesnovo: L'art byzantin chez les Slaves Bd. I, S. 223.

 

17. Žarko Tatić, Arhitektonski spomenici u skopskoj Crnoj Gori III. Sv. Nikita: Bulletin de la societe scient. de Skoplje 1933; 128—134, — F. Mesesnel, Živopis crkve sv. Nikite u skopskoj Crnoj Gori: Godišnjak skopskog fil. Fakulteta I, Skoplje 1930, S. 139—140, — V. Ćorović, Darivanje sv. Nikite Banjanskog Hilandaru: Bulletin, Skoplje XIX, 1938, S. 53 bis 58. Die Kirche wurde 1309—1316 von Milutin erneuert, das Kloster mit Schenkungen bedacht. Die Hauptformen des Umbaus aus der Zeit Milutins haben sich erhalten. Die Kirche wurde laut Inschrift am Südportal 1584 nochmals erneuert (das Datum ist nicht sichergestellt). Diese Anbauten wurden durch eine moderne Restaurierung entfernt.

 

18. Radoslav M. Grujić , Otkopavanje svetih Arhangela kod Prizrena: Bulletin de la societe scientif. à Skoplje III, 1928, 239 ff. Vgl. auch Vasić, Žiča-Lazarica S. 85—88 und Derocco, et. a. O., S. 91. Die Kirche ist in den Jähren 1347(8)—1351(2) errichtet worden.

 

 

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19. Vgl. Rankengeflechte der Portallaibungen (Grujić, a. a. O., Abb. 24) und eine Mischung von gotischen Knospenkapitellen mit byzantinischen Akanthusranken ebda. Abb. 26—28.

 

20. Vgl. Grujić, a. a. O., Abb. 29—31, 34. G. identifiziert die Statue mit Stephan Dušan. Jedenfalls ist die Anbringung von Statuen im Kircheninnern eine ausgesprochen westliche Sitte und bildet eine Ausnahme sowohl in der byzantinischen, wie auch in der serbischen Kirchenarchitektur.

 

21. Derocco, Architecture, Abb. 194—195. Die Mosaikfußböden in opus sectile bilden ebenfalls eine Seltenheit in serbischen Kirchen. Wir finden sie in Griechenland und Mazedonien (Veljuša). Am nächsten stehen unseren Pavimenten die süditalienischen Fußbodenmosaiken (San Adriano, Bari, Insel Tremiti). Berteaux, L'art dans l'Italie meridionale 1904, Abb. 209, 210, 211, S. 483—487 f.

 

22. Okunev, Bulletin de la societe scient. à Skoplje Bd. VII—VIII (1930), S. 89. Die Vollendung der Anlage ist durch das Stifterbildnis gesichert, welches Helena und ihren Sohn Uroš mit dem Modell der Kirche wiedergibt. Helena ist als Witwe gekennzeichnet. Der Bau muß also nach 1355 beendet worden sein. Vgl. auch Derocco, a. a. O., S. 181.

 

23. G. Millet, L'art serbe, S. 120—122, Abb. 125.

 

24. Ebda. S. 122.

 

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