Die Slaven in Griechenland

Max Vasmer

 

Kap. VI: Allgemeines und sprachliche Stellung der Slaven Griechenlands

§ 1. Allgemeines

§ 2. Die Sprache

§ 3. Sprachliches Verhältnis zum Serbokroatischen und Bulgarischen

 

§ 1. Allgemeines. Nicht alle oben zusammengestellten Ortsnamen Griechenlands sind gleich alt. Selbst in einer Landschaft muß oft mit verschiedenen slavischen Siedlungswellen gerechnet werden, auch mit jüngerer Namengebung aus der Zeit kurz vor dem Untergang des Slaventums. Namen wie Δράβος und Βάρνη auf der Gallipolihalbinsel können spät dorthin gelangt sein. Ganz deutlich ist späte Übertragung solcher Benennungen wie Βόσνα (Rhaidestos), für die man die Türken verantwortlich machen kann. Slavische Ableitungen von türkischen Namen wie Χόζεψι, Χόσεψι (Joannina) beweisen ein Fortleben des slavischen Elementes bis in die Zeit der türkischen Herrschaft. Ableitungen von dem slavischen Worte für »Kirche« abg. crьky wie Τσαρκοβίστα, Τσερκοβίστα (Joannina), Τσερκίτσα (Arta), Τσερκούβιανα (Preveza) sehen nicht so aus, als gehörten sie der ältesten slavischen Siedlerschicht an. Man kann sie nicht verstehen ohne die Voraussetzung einer slavischen Missionstätigkeit in diesen Gebieten, die von Schülern der Slavenapostel nicht vor der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts betrieben worden sein kann. Verschiedene Namen lassen sich nur durch slavische Binnenkolonisation erklären. Wenn Μπέριτσικον (1376, Serrai) aus *Berьsko: Berъ »Berrhoia« stammt, dann wäre es durch Auswanderer aus jener westmazedonischen Stadt benannt. Πριλλάπεια (1346, Serrai) hängt wohl mit Prilěpъ zusammen. Συριάμον (Arkadien) erinnert an skr. Srêm Sirmium, hat aber die bulgarische Vertretung des ě. Will man die sprachliche Stellung der ältesten slavischen Besiedler Griechenlands bestimmen, dann müssen alle derartigen offenkundig später entstandenen Namen ausgeschaltet und nur die ältesten ON herangezogen werden.

 

Unter den ältesten slavischen Namen sind die sogen. Naturnamen, d. h. Bezeichnungen nach Baumarten, Schluchten, Wäldern, Bergen besonders zahlreich, auch die Sippennamen auf -ane. Beachtenswert sind die in mehreren Fällen festzustellenden Übersetzungen. Ich meine darunter Fälle wie Βοδενά (Belege oben S. 197) bulg. Voden, denen altes Ἔδεσσα entspricht. Das letztere ist als thrakisch mit phryg. βέδυ »Wasser« verglichen worden. Danach hat der Ort zu allen Zeiten vom Wasserreichtum seinen Namen gehabt. Das phthiotische Γαρδίκι entspricht seiner Lage nach dem alten Λάρισα, griech. auch Παλαιόκαστρον. Die Deutung von Λάρισα im Zusammenhange mit etrusk. laris (wozu Kretschmer, Glotta XI 284) har vielleicht einen Nutzen von der Feststellung, daß Γαρδίκι der Vorstufe von abg. Gradьcь entspricht und die Bedeutung »Burg« hatte. Der Bach Σούσιστα

 

 

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(Trikkala) wird a. 1336 (Mikl.-Müller V 272) als ξεροπόταμος bezeichnet, also ein »Dürrbach« für Griechen und Slaven. Einem dem Winde ausgesetzten Βετρινῖκον (Trikkala) steht in Τυφλοσέλι ein »warmer Ort« zur Seite.

 

Beachtenswert ist auch die zahlenmäßige Verteilung der slavischen Namen in den einzelnen griechischen Landschaften. Die oben gebotene Übersicht der slavischen ON enthält auch solche, die früher fälschlich als slavisch bezeichnet wurden, daher haben die Zahlen der Namen in den einzelnen Gebieten nur relativen Wert. Trotzdem ist ihr gegenseitiges Verhältnis von Interesse: Joannina 334, Arta 44, Preveza 34, Akarnanien-Ätolien 98, Trikkala-Karditsa 120, Phthiotis 55, Larissa 38, Magnesia 15, Eurytanien 48, Phokis 45, Böotien 22, Attika 18, Euboia 19, Andros 2, Tenos nur 1 zufälliger ON Σκλαβοχώρι, Kerkyra 9, Leukas 4, Kephallenia 2, Zakynthos keine, Korinth 24, Argolis 18, Achaia 95, Elis 35, Triphylien 44, Arkadien 94, Messenien 43, Lakonien 81, Kreta 17. Bei diesen Zahlen muß allerdings noch berücksichtigt werden, daß oben für die epirotischen Landschaften ein viel größeres Material verwertet werden konnte als für die andern. Es ist aber trotzdem klar, daß der Osten Griechenlands weniger slavische Einflüsse aufweist als der Westen. Im Peloponnes sind Korinth und namentlich Argolis am schwächsten von der Slaveninvasion betroffen, in Mittelgriechenland Attika und Böotien. Wo die Küste für Landungen geeigneter war, wie in Osttbessalien, da sind vermutlich die Slaven schneller zurückgedrängt worden. An der schwer zugänglichen epirotischen Küste konnten sie sich länger halten. Auch in den vom Meere entfernten Gebirgsgegenden blieben sie länger, wenn es ihnen einmal gelungen war, dort einzudringen. Daher der schwache slavische Einschlag in den ON von Euboia, Magnesia, Larissa, der besonders auffällt gegenüber Trikkala-Karditsa, daher auch die vielen slavischen Namen in Arkadien und am Taygetos. Diese Verteilung des slavischen Elementes hat schon Fallmerayer im wesentlichen richtig erkannt, wenn man von seiner Beurteilung der Verhältnisse in Attika absieht. Vgl. auch Vasiljev, Viz. Vrem. V 638, Philippson, Petermanns Mitt. 36 S. 3.

 

Ortsnamenableitungen von slavischen Personennamen lassen sich, was mir ursprünglich entgangen war, auch in den peloponnesischen Landschaften feststellen. Bemerkenswert ist aber das völlige Fehlen der auf serbokroatischem Gebiet überaus zahlreichen Namen auf -ići (Bogdanovići, Ozrinići usw.), deren Entsprechungen wir auch bei den Westslaven begegnen. Vgl. poln. Wadowice u. dgl. Schon Jireček, Gesch. d. Bulg. 108 ff., hat auf die große Seltenheit des diesen Namen entsprechenden Typus auf -išti im Bulgarischen hingewiesen. Bei den von Personennamen abgeleiteten ON fällt auf, daß sie nicht selten slavische Bildungen auf -ovo darstellen, während der Personenname davor oft griechisch ist. Vgl. Ἀναστάσοβα 1. Achaia, 2. Messenien: Ἀναστάσιος, Ἀνδράνοβα (Eurytanien): *Ἀνδριανός, Κατσί-

 

 

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κοβο (Messenien): PN Κατςίκας, Κυρίτσοβα (Achaia): PN Κυρίτσης, Λασκάρεβο (Melenikon): PN Λάσκαρις, Λούτσοβος (Phokis): PN Λούτσιος : Λουκᾶς, Μαύροβο 1. Kastoria, 2. Florina: PN Μαῦρος, Γιαννάκοβον (Pella): PN Γιαννάκης, Γιαννάκος; Νίκοβα (Phthiotis), Νίκοβον (Lakonien): PN Νῖκος, usw. Solche Namen zeigen, daß die Slaven Griechenlands nach ihrer Bekehrung zum Christentum griechische Namen haben konnten, aber ihre Sprache beibehielten und mit slavischen Sprachmitteln davon Bezeichnungen für neubegründete Siedlungen schufen.

 

Die Frage, ob die in Griechenland eingedrungenen Slaven zahlreich waren oder nicht, läßt sich vom Standpunkte der slavischen Namenforschung mit ziemlicher Sicherheit beantworten: wenn unter den geographischen Namen sich so viele slavische gefunden haben, dann müssen die Eindringlinge in sehr großer Zahl aufgetreten sein. Das bestätigen auch historische Zeugnisse wie das oben S. 15 erwähnte über die Slavisierung ganz Griechenlands. Dazu könnte auch aus den Acta S. Demetrii (ed. Tougard S. 120) die folgende Stelle angeführt werden, die die Belagerung von Thessalonike schildert:

 

 

 

§ 2. Die Sprache der in Griechenland eingedrungenen Slaven muß Merkmale hoher Altertümlichkeit besessen haben. Darin sehe ich den Wert dieses Sprachmaterials für die slavische Sprachforschung. Die sogen. Liquidametathese war noch nicht durchgeführt, daher die nicht wenigen Beispiele vom Typus tart, talt, tert, telt in ON und Lehnwörtern. In einigen Namen ist die sogen, dritte Palatalisierung der Gutturale noch nicht eingetreten (Schema: -iko- zu -ьcь usw.). Die sogen, reduzierten Vokale des Slavischen (ь, ъ) hörten die Griechen noch als ι, ου. Sie hatten sich also nur wenig von ihrem urslavischen Lautwert entfernt. Für erhaltene urslavische Nasalvokale (ę, ǫ) haben sich ebenfalls Beispiele in ON und Lehnwörtern gefunden. Bei den Entsprechungen von urslav. ъr, ьr, ъl, ьl läßt sich noch die ursprüngliche Lautvertretung Vokal + Liquida nachweisen, andererseits entspricht urslav. rъ, rь, lъ, lь in den ältesten Beispielen des Griechischen die Lautfolge Liquida -+- Vokal. Anlautendes urslav. A- (Avorъ usw.) hat in den ältesten Namen noch keinen j-Vorschlag erhalten. Anlautendes E- erscheint ebenfalls ohne ein sekundär entwickeltes j-. Das urslavische y wurde in verschiedenen Lehnwörtern und ON von den Griechen durch ου wiedergegeben, was seinem ursprünglichen Lautwert nahekommt. Beweise für alle diese Behauptungen, die eine sehr altertümliche Sprache der Slaven in Griechenland annehmen lassen, finden sich oben in Kap. IV. Daß der Aufenthalt der Slaven auf griechischem Boden, namentlich im Epirus,

 

 

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von größerer Dauer war, kann dadurch erwiesen werden, daß ihre Sprache besonders in den nördlichen Landschaften auch Veränderungen ausgesetzt gewesen ist. So finden sich neben noch nicht umgestellten -tart-, -talt- Fällen andere, in denen die Lautfolge -trat-, -tlat-, -trět-, -tlět vorliegt. Neben Erhaltung reduzierter Vokale als u, i finden sich Beispiele mit e für ь, o für ъ, neben ερ für ьr zeigt unser Material auch einen Wandel von urspr. ьr in αρ bzw. ουρ, neben der ältesten Vertretung von ǫ durch o + Kons. läßt sich auch eine spätere Wiedergabe durch α + Kons. feststellen, für urslav. y zeigen spätere Entlehnungen dessen Umgestaltung zu i usw. Auch dafür Beispiele in Kap. IV.

 

 

§ 3. Sprachliches Verhältnis zum Serbokroatischen und Bulgarischen

 

Schon früher ist versucht worden, die Frage der ethnischen Zugehörigkeit der griechischen Slaven zu klären, indem man zur Lösung dieses Problems die in den ON vorliegenden Stammesnamen zu verwerten sich bemühte. In der Tat läßt sich eine Anzahl von Namen nachweisen, in denen die Stammesnamen der Kroaten, der Serben und Bulgaren vorliegen. Dazu gehört: Χαρβάτι in Argolis und Attika sowie Χαρβάτα im Kr. Chaniá auf Kreta. Nicht in Abrede zu stellen ist der Zusammenhang dieser Namen mit slav. *chъrvat- »Kroate«, und doch wäre die Meinung verkehrt, die Slaven Griechenlands seien mit den Kroaten gleichzusetzen, denn derselbe Name läßt sich zu häufig auch bei andern slavischen Stämmen nachweisen. Den gleichen Namen führt nämlich außer den Kroaten: 1. ein westslavischer Slavenstamm bei Korbetha unweit Weißenfels und Halle (vgl. dazu Ed. Schulze, Kolonisierung und Germanisierung 19). 2. ein Stamm in Mazedonien (Kr. Bitolj), dort heißt ein Ort Hrvati. 3. ein slovakischer Stamm, vgl. slovak. ON Chorváty, Chorvatice. 4. ein slovenischer Stamm in Kärnten, an der Mur bei Leoben. 5. ein Land nördlich der Karpaten. Vgl. russ. Chorvate, unter den ostslavischen Stämmen in der Laurentius-Chronik. 6. Zu beachten ist auch im kaschubischen Gebiet Charwatynia an der Reda, Kr. Neustadt (Słown. Geogr. I 548). Nach diesen Beispielen ist es klar, daß dieser Stammesname bei den alten Slaven in den verschiedensten Gegenden verbreitet war und daß durch ihn allein eine nähere Zugehörigkeit der Slaven in Griechenland zu den heutigen Kroaten nicht erwiesen werden kann.

 

Der Name der Serben ist ebenfalls mehrfach in unsern Ortsnamen vertreten. Wir finden ihn in τὰ Σέρβια, einem ON 1. in Thessalien, 2. in Elis. Ferner in Σερβέϊκα ON in Lakonien, Σέρβον ON in Arkadien, Σερβιανά 1. in Elis, 2. in Joannina. Σερβωτά Trikkala, wohl auch Ζερμπίστα (Messenien), Ζερμπίτσα (Lakonien) u. a. Auch hier kann an einem etymologischen Zu-

 

 

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sammenhang mit skr. srb, altslav. *sьrb- »Serbe« nicht gezweifelt werden. Trotzdem beweist diese Etymologie allein nicht, daß die griechischen Slaven mit den Serben von heute besonders nahe verwandt waren, denn auch dieser Stammesname ist zu weit verbreitet. Er begegnet bekanntlich bei den west-slavischen Sorben als osorb. serb, nsorb. serb. Besonders zu beachten ist wegen ihres Alters (XI. Jahrhundert) die Erwähnung des thessalischen Σέρβια in Kekaumenos' Strategikon (ed.Vasiljevskij-Jernstedt) S. 28, 12: Σέρβεια πόλις ἐστὶν ὀχυρὰ ἐν Βουλγαρίᾳ [1]. Von Bedeutung für die Beurteilung der Beweiskraft des Serbennamens ist dann auch das Vorkommen desselben in Ortsnamen Bulgariens und Mazedoniens. Man beachte: Sъrbica ON Kr. Kičevo, Sъrbjani daselbst, Sъrbenica ON Kr. Vratca, Sъrbljanica daselbst, Sъrbolaška ON Kr. Tъrnovo, Sъrbci ON Kr. Bitolj. Außerdem ist dieser Stammesname auch in polnischen ON zu finden: Sierbowice im Kr. Olkusz (Słown. Polski Geogr. X 586), endlich auch ostslavisch in Serby ON 1. Kr. Balta am Dniestr, 2. im Kr. Mohilev, Podolien, 3. im Kr. Novograd, Wolhynien. Die russischen Beispiele können aus jüngerer Zeit stammen. Unter diesen Umständen ist es gewagt, allein aus dem Vorkommen des Serbennamens in griechischen Ortsnamen Schlüsse auf die Stammeszugehörigkeit dieser Slaven zu ziehen. Wie im Falle Χαρβάτι können wir auch hier nur feststellen, daß es sich um einen an verschiedenen Stellen der Slavenwelt begegnenden Namen handelt.

 

Recht verbreitet ist in unseren ON auch der Name der Bulgaren, bulg. bъlgarin. Wir finden ihn als Βούργαρο im westlichen Kreta, Βούλγαρα e. Bergname in Ätolien, λίμνη τοῦ Βούλγαρη in Akarnanien, Βουλγαρέλι ON im Kr. Arta, Βουλγαρινή ON im Kr. Larissa, Βουργάρ Berg in Thessalien, Βούλγαρι e. ON urk, 1333 in der Chalkidike, Βουλγάρο auf Thasos usw. Bekanntlich ist dieser Stammesname von einem an der unteren Donau verbreiteten Stamm der turkotatarischen Bulgaren ausgegangen. Er würde also eindeutig auf eine Übertragung durch den östlichen Teil der Balkanslaven hinweisen, wenn nicht die Möglichkeit bestehen würde, daß es sich hier teils um Benennung nach einem einzigen Bulgaren, wie bei λίμνη τοῦ Βούλγαρη, teils um Ansiedlungen von Kriegsgefangenen handelt. Zur Erklärung von einem einzelnen Bulgaren ist zu beachten, daß Βούλγαρος als Zu- und Familienname sich ebenfalls belegen läßt. Vgl. Moritz, Zunamen II 35. Die Möglichkeit, daß Kriegsgefangenenansiedlungen bei den Βούλγαρο-Namen eine Rolle spielten, wäre bei den Bergnamen nicht sehr wahrscheinlich. Man wird aber gut tun, auch die bulgarische These nur zu vertreten, wenn zu ihren Gunsten auch andere Beweise beigebracht

 

 

1. Daß nicht alles ähnlich Klingende auch wirklich etymologisch hierher gehört, zeigt uns der ON Σέρβα auf Chios, den Amantos Ἀθηνᾶ 27 S. 43 überzeugend als älteres Σέλβα aus ital. Selva = lat. silva erklärt hat. Dazu vgl. mehrere Selva, skr. Silba in Dalmatien, worüber Skok, Naša pomorska terminologija S. 17.

 

 

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werden können [1]. Wichtig ist dabei die Feststellung Mladenovs, Izv. na Nar. Etnogr. Muzej VII, 47, daß die griechische Form Βούργαρος aus βούλγαρος bei den Sarakatsanen und Aromunen als Bezeichnung für die slavische Bevölkerung Mazedoniens gebraucht wird. So gestatten die Stamraesnamen allein noch keine Entscheidung der Frage nach der Zugehörigkeit der Slaven Griechenlands zu den Serbokroaten oder Bulgaren.

 

Viel wichtiger für die Entscheidung ist die Beacntung sprachlicher Kriterien, darunter namentlich der lautlichen. Unbedingte Voraussetzung ist dabei allerdings eine gewisse sprachwissenschaftliche Schulung und Orientiertheit in der Ortsnamenforschung. Beides fehlt in den Erörterungen Lavrovs ŽMNPr 1901, August, S. 484 ff., der in seiner Besprechung des oben S. 5 erwähnten Buches von Pogodin versucht hat, Beweise serbischer Herkunft der Slaven in Griechenland beizubringen. Er glaubt den serbischen Anteil an dieser Besiedlung erweisen zu können durch Beibringung von Belegen mit u an Stelle von urslav. ǫ, die hauptsächlich aus Zusammensetzungen mit skr. kuća »Haus«, abulg. kǫšta bestehen. Seine Beispiele sind sehr unglücklich gewählt. Ich bestreite überhaupt das Alter der von ihm angenommenen ON mit -kǫšta, weil sie theoretisch konstruiert sind und auf serbokroatischem Gebiet selten und jung sein dürften. Gegen die Lavrovschen Deutungen lassen sich auch andere gewichtige Einwände ins Feld führen. Der Name Γαρδικάκι ist eine einwandfreie neugriechische Deminutivbildung zu Γαρδίκι (s. oben S. 5) und kann nicht auf ein monströses slavisches *Gardikući, das angeblich aus nicht existierendem *Gardikǫći entstanden sein soll, zurückgeführt werden. ON wie Κρυοκούκκι, Χουνδοκούκκι haben trotz L. nichts mit *Krivokući, *Chudokući zu tun, denn slav. chudъ geht auch nicht auf *chǫdъ zurück. Neben Κρουκούκκι findet sich in Griechenland mehrfach Κριεκούκι in ON, das ist aber alb. krüe »Kopf« + kuk' »rot«, also eine Ableitung von einem alb. PN. Ebenso gehört Χουνδοκούκκι zu alb. hundε »Nase, auch Vorgebirge« + kuk' »rot«. Ganz fraglich ist slavische Herkunft von Κούκκιαρη. Ich kenne kein skr. *Kućari, höchstens Kućane, Kućani. Unklar ist mir, wieso Γλουμπουτσάρι im Epirus ein Serbismus sein soll. Wenn eine Grundform *Glǫbočari angenommen wird, spricht nichts für serbische Herkunft dieses Namens, zumal nordgriech. unbetontes ου auf ο zurückgehen kann. Auch die sonst von Lavrov in Griechenland vorausgesetzten Sippennamen auf -ići vermag ich nicht anzuerkennen. Seine eigene Beweisführung spricht gegen L., wenn er den Titel des Metropoliten von Philippopel: ἔξαρχος πάσης Εὐρώπης καὶ Δραγοβιντίας auf eine - ići-Bildung

 

 

1. Anders denkt darüber Stadtmüller HX IX (1934) 140–169, der die bulgarische Theorie nur durch Hinweis auf Namen wie Λίμνη Βουλκαριά sowie auf die angebliche Seltenheit von Entsprechungen für -ανη und -ιστα im Serbokroatischen stützt. Die Suffixe -ane und -išče lassen sich oft genug im Skr. nachweisen und sind fast in allen slavischen Ländern zu finden. Ihre Lautgestalt enthält auch nichts Charakteristisches für einen slavischen Sprachstamm.

 

 

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zurückführt und schließlich die Quelle in einem Flußnamen Δρογοβίτης sieht. Ein Dragovica kann ebensogut die Grundlage gewesen sein, und es ist dann kein - ići-Serbismus in Ostbulgarien (!) notwendig. Unbegründet ist auch Lavrovs Annahme eines ursprünglichen engeren Verhältnisses zwischen Serben und mazedonischen Slaven. Die bulgarischen Beziehungen bei den letzteren hält er willkürlich für jünger als die serbischen. Die Geschichte der Vertretungen von urslav. ě, ti̯, di̯ in den mazedonischen Dialekten beweist genau das Gegenteil von Lavrovs Behauptungen. Ich mußte dieser wenig durchdachten Theorie hier so viel Raum widmen, weil sie durch Niederle, Sl. St. II 434 ff. und Manuel I III ernster genommen wird, als sie es verdiente. Gegen Lavrov wenden sich neuerdings Seliščev, Slav. Alb. 281 ff., und Jokl, Slavia XIII 635 ff. Vgl. auch schon früher Mladenov, Period. Spisanie 63, 286–291 und Bulg. Spr. 34 ff. Will man in unserm Falle die Entscheidung treffen zwischen Serben und Bulgaren, so muß man namentlich auf lautliche Kriterien in den ON Wert legen. Als serbisches Merkmal (skr. -ići) kann ich aber die Stammesnamen auf -ῖται nicht gelten lassen, weil ihnen ebensogut ein gemeinsüdslav. -iti̯- wie ein serbisches - zugrunde liegen kann. Auf ein derartiges -iti̯- muß ja auch die bulgarische Vertretung -ištь zurückgehen. Die -ίτης, -ῖται-Namen beweisen in dieser Frage besonders wenig, weil sie ebensogut griechische Ableitungen wie slavische sein können.

 

Viel wichtiger als die Stammesnamen sind für die Entscheidung der Frage nach der sprachlichen Stellung der Slaven in Griechenland, wie gesagt, die sprachlichen, besonders die lautlichen Kriterien. Unter ihnen erweisen sich die folgenden als besonders aufschlußreich:

 

 

1. Der Akzent solcher Fälle wie: Δολό (Joannina), Δολοί (Lakonien): ostbulg. dolъ́t, skr. dȏ, dȍla, sloven. dȏl; Δομποῦς (Böotien): ostbulg. dъbъ́t, skr. dȗb, G. dȗba, sloven. dȏb, russ. dúb, G. dúba; Βρεστόν (Triphylien): bulg. brěst, skr. brı̏jest, čech. břest, russ. bérest. Ferner λογγός »Wald, Dickicht« neben dem älteren λόγγος. In ON findet sich Λογγός auf Kerkyra, in Phthiotis und Triphylien, Λόγγος in Achaia. Es entspricht ostbulg. lъgъ́t, skr. lȗg, lȗga, sloven. lȏg, russ. lúg, lúga, čech. luh. Das weitverbreitete σανόν, σανός »Heu« ist u. a. auch auf den Ionischen Inseln im Gebrauch. Es gehört zu skr. ̏jeno, sloven. senȏ, ostbulg. sěnó. Dazu zu stellen ist wohl auch στογός »Heuschober« (Zakynthos): skr. stȏg, russ. stóg, stóga, čech. stoh, ostbulg. *stogъ́t. Bekanntlich sind diese Fälle mit urslav. Fallton anzusetzen, der im Bulgarischen bei den Formen mit postpositivem Artikel nach dem Wortende zu verschoben ist. Diese Tendenz fehlt dem Serbokroatischen, wo im Gegenteil die stokavischen Mundarten den Akzent nichterster Silben sogar nach dem Anfang zu um eine Silbe verschieben. Das čakavische Serbokroatisch dagegen hat die urslavische Akzentstelle bewahrt. Eine Verschiebung alter fallender Intonationen auf die folgende Silbe entspricht den

 

 

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Tendenzen des Bulgarischen, widerspricht aber denen des Serbokroatischen. Wir finden sie außerdem im Slovenischen, das aber hier außer Betracht bleiben muß, weil die andern Kriterien nicht slovenisch sind.

 

 

2. Die Vertretung des urslav. ě durch ’a ist ebenfalls bulgarisch, nicht serbokroatisch, wo dafür e, je (ije), i vorliegt. Wenn daneben auch griech. ε für ě erscheint, so ist das die Wiedergabe des älteren slav. ē. Die Beispiele für griech. α an Stelle von urslav. ě sind oben S. 269 ff. zusammengestellt worden. Sie finden sich in Mazedonien (Kozani, Florina, Berrhoia, Chalkidike), Joannina, Arta (wenig), Akarnanien-Ätolien (selten), Trikkala-Karditsa, Larissa, Phthiotis. In Lehnwörtern haben wir α in χράνος »Meerrettich« : *chrěnъ; σανόν, σανός »Heu« (u. a. auch Ionische Inseln): *sěno; κολιάνιτσα »Gelenkleiden« in Arkadien aus *kolěnica, γκασιανίτσα »Raupe« (Doris): *gο̨sěnica. Auch diese Vertretung des ě ist nicht serbokroatisch, sondern altbulgarisch. Auch Fälle wie ἀστριάχα : strěcha usw. könnten hierher gehören. Ich übergehe sie abnr, weil vor a ein ē auch auf aromunischem Gebiet zu a werden konnte. Beweisen läßt sich indessen bei ἀστριάχα aromuniscne Vermittlung nicht.

 

 

3. Die Vertretung von urslav. ti̯, di̯ war im Bulgarischen št, žd, im Serbokroatischen ć, đ. Die griechischen Lehnwörter bieten das bulg. št nur in μπιστερή »Höhle«: peštera. In Ortsnamen haben wir Γράσδανη (Epirus), Κορίστιανη (daselbst), Μπεστινίκα (Larissa), Μέσδανι (Trikkala). Hierher gehört wahrscheinlich auch Βόστιτσα (Achaia), wenn zu ovoštь gehörig, was wegen des alten Namens Σελινοῦς nahe liegt. Formen wie Κορύτιανη (Joannina, Preveza) sind ganz vereinzelt und können höchstens als Spuren eines späteren serbischen Einflusses gedeutet werden, läßt sich doch historisch feststellen, daß Stefan Dušan im dritten Jahre nach seiner Krönung zum Kaiser der Serben und Griechen ganz Epirus und Thessaüen besetzt (1348). Sein Bruder Symeon proklamiert sich nach dessen Tode (gest. 1355) zum Kaiser in Kastoria und schlägt seine Residenz als Kaiser der Serben, Rhomäer und von ganz Albanien in Trikkala auf. Vgl. Jireček, Archiv 33, 588.

 

 

4. Die Nasalvokale haben in Griechenland das nasale Element im allgemeinen nicht eingebüßt. Sichere Belege für u aus urslav. ǫ lassen sich nicht beibringen. Ein Fall wie Σουδενά geht nicht auf *Sǫdьna zurück, sondern ist aus Στουδενά: slav. *Studena entstanden.

 

 

5. Es hat keinen Zusammenfall der beiden reduzierten Vokale gegeben, wenn von Vokalassimilationen abgesehen wird. Die Vertretungen von ъ, ь sind den bulgarischen Entsprechungen ähnlich. Nirgends begegnen für ъ, ь Laute, die an die serbokroatische Entwicklung zu a erinnern könnten.

 

 

6. Bei anlautendem E- zeigt sich kein j-Vorschlag wie im Serbokroatischen. Dieses Fehlen eines j- hat Parallelen im Altbulgarischen. Vgl. oben S. 291.

 

 

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7. Es fehlt ein l-epentheticum, was in Nordgriechenland besonders auffällt. Wiederum ist dies eine Übereinstimmung mit dem Bulgarischen. Denn das Serbokroatische hat nicht nur das alte l-epentheticum bewahrt, sondern auch noch in sekundären Verbindungen von Labial + j ein neues l-epentheticum entwickelt.

 

 

8. Das Fehlen von Ortsnamen, die den skr. -ići-Namen entsprechen könnten.

 

Die soeben angeführten Merkmale bzw. das Fehlen anderer beweisen die enge Verwandtschaft der Slaven Griechenlands mit den Bulgaren und ihre nahe Beziehung zur Sprache der Slavenapostel. Überemstimmungen mit dem Serbokroatischen sind uns, abgesehen von dem nicht eindeutigen Κορύτιανη, nicht begegnet. Wenn unser Ergebnis zugunsten der bulgarischen Theorie ausgefallen ist, dann läßt sich das durchaus in Einklang bringen mit der allgemeinen Siedlungsbewegung der Slavenstämme in Mazedonien und Albanien. Die schönen Untersuchungen von A. Seliščev über die Slaven in Albanien [1] haben gezeigt, daß ein Zusammenhang der Slaven in Albanien mit dem serbokroatischen Sprachgebiet nur im Norden Albaniens bei Škodra (Skutari) besteht. Das Slaventum Südalbaniens ist mit diesem nördlichen Gebiet nicht in Verbindung zu bringen und zeigt sprachliche Beziehungen zum bulgarischen Sprachgebiet. Slavische Ortsnamen sind nach Seliščev zahlreich im Epirus und Thessalien sowie an den Flußläufen der Vojusa, des Osum, Devol, Semeni und oberen Škumbi, dann nordöstlich davon am Schwarzen Drin, besonders an dessen oberem und mittlerem Lauf mit bulgarischen Merkmalen. Dagegen fehlen slavische Namen fast vollständig nördlich des unteren Škumbi, am Arzen, Išmi, Mati und am vereinigten Drin, also etwa von Elbasan nördlich bis über Alessio hinaus. Erst am See von Škodra wird die Nomenklatur wieder slavisch. Danach können die Slaven in Südalbanien und im Epirus unmöglich aus dem serbokroatischen Gebiet gekommen sein, sondern sind von Osten aus Mazedonien eingedrungen. Das Ergebnis der Forschungen über die Slaven Albaniens befindet sich also in Übereinstimmung mit unseren Schlüssen über die sprachliche Stellung der Slaven in Griechenland. Daß es nicht wenige Slaven waren, die in die byzantinischen Provinzen einbrachen, zeigt die von ihnen zurückgelassene große Zahl geographischer Namen. Anders als die Germanen der Völkerwanderungszeit vermochten aber diese Slaven, wie schon Fallmerayer [2] gesehen hat, die großen Städte Konstantinopel, Thessalonike, Korinth, Patrai nicht einzunehmen. Auch die Schlösser und Dardanellen von Naupaktos und die Felsenburg von Monembasia

 

 

1. Vgl. A. M Seliščev, Slavjanskoje naselenije v Albanii, Sofia 1931 (mit ausführlicher Karte), auch desselben Verfassers Aufsatz im Maked. Pregled IX, Nr. 2 (1933) S. 53 ff., bes. 62 ff.

 

2. Fragmente 484 u. 527.

 

 

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konnten sie nicht erobern. Für die Beurteilung der Slavenspuren im thrakischen und mazedonischen Küstenland ist Jirečeks Feststellung (Archiv 15, 99) zu beachten: »im 7. Jahrhundert war Thessalonike die Zufluchtstätte der nördlichen Provinzialen. Das Reich verlor die Donauprovinzen, Dardanien und das Innere Mazedoniens und behauptete . . . Thessalien und Serres mit der Küste Mazedoniens«. Daß die Wiedergräzisierung des von den Slaven überfluteten Gebietes von solchen Orten ihren Ausgang genommen hat, muß angenommen werden. Sie muß zum großen Teil sehr früh erfolgt sein, weil so altertümliche slavische Formen wie Γαρδίκιν, Σαλμενῖκον, Ἀβαρῖνον usw. vorliegen. Dieses sprachwissenschaftliche Ergebnis stimmt zu dem historischen, wozu Geizer, Zschr. f. wiss. Theologie 35 (1892) 430 ff., der den Anfang der Wiedergräzisierung des Peloponnes in die Zeit der Kaiserin Irene (2. Hälfte des VIII. Jahrhunderts) setzt. Von einer Vernichtung des Griechentums kann keine Rede sein. Ein längeres Fortleben der slavischen Bevölkerung muß am Taygetos, dann namentlich im Epirus angenommen werden, wo zu den vielen geographischen Namen auch recht viele slavische Lehnwörter kommen. Sonst ist aber, entgegen der Meinung Fallmerayers, die neugriechische Sprache sehr wenig vom Slavischen beeinflußt. Nur ganz vereinzelte slavische Lehnwörter erfreuen sich allgemeiner Verbreitung im Griechischen. Für die byzantinische Staatskunst wird es immer ein rühmliches Zeugnis bleiben, daß sie sich dieser großen Gefahr trotz anderer nicht geringerer Bedrohungen im Osten so schnell zu erledigen gewußt hat. Für die Zähigkeit der griechischen Kultur aber ist nicht weniger bezeichnend, daß unmittelbar nach dieser Zeit größter Erschütterungen im Mutterlande durch griechische Geistliche die Bekehrung nördlicher Slavenstämme zum Christentum in die Wege geleitet wurde und mit ihr verbunden ein Siegeszug des griechischen Geistes, dessen Folgen Jahrhunderte überdauert haben.

 

 

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