Die Slaven in Griechenland

Max Vasmer

 

Kapitel II. Historische Angaben über das Eindringen von Slaven in Griechenland.

 

 

Eine Untersuchung slavischer Ortsnamen im griechischen Sprachgebiet kann sich auf die Tatsache stützen, daß eine slavische Invasion in das mittelalterliche Griechenland durch historische Nachrichten byzantinischer Geschichtschreiber erwiesen wird. Diese Nachrichten sind schon von Fall-merayer ausgiebig in seinen Schriften verwertet worden, deren Hauptverdienst gerade in der Zusammenstellung derartiger Zeugnisse besteht, mag man die von ihm daraus gezogenen Schlüsse billigen oder nicht. Später haben andere Gelehrte von hohem Rang diese historischen Daten öfters in Erinnerung, gebracht. Um nur die wichtigsten derartigen Arbeiten zu nennen, erinnere ich an Karl Hopf, Geschichte Griechenlands, in Ersch-Grubers Enzyklopädie Bd. 85 und 86, A. von Gutschmid, Literar. Centralblatt 1868 Sp. 638 ff. (= Kl. Schriften V 426 ff.), H. Geizer, Abriß der byzantinischen Kaisergeschichte, in Krumbachers Byzant. Literaturgeschichte2, S. 911 ff, L. Niederle, Slovanské Starožitnosti II 434 ff. und Manuel I, 108 ff., und die historische Untersuchung von A. Vasiljev, Slavjane v Grecii, im Viz. Vrem. V (1898), 404—338; 626—670, endlich Ensslin »Slaveneinfälle« Pauly-Wissowa Realenz. Reihe 2 Bd. 5 (1927) Sp. 697 ff.

 

Übereinstimmung herrscht heute unter den Sachkundigen darüber, daß in alter Zeit der Norden der Balkanhalbinsel keine slavische Bevölkerung hatte, sondern von indogermanischen Thrakern und Illyriern bewohnt war [1]. Doch auch diese Stämme spielen im Mittelalter, als die ersten Slaven die Balkanländer betraten, nur eine sehr geringe Rolle, weil bereits vor Beginn unserer Zeitrechnung die Römer sich im Norden der Halbinsel bis zum Schwarzen Meere ausbreiteten. Vgl. Jireček, Gesch. d. Bulg. 65 ff.

 

Wissenschaftlich nicht begründet erscheint mir freilich die Ansicht, daß slavische Stämme an den Einfällen der Goten und Eruler ins oströmische Reich in den Jahren 250—270 n. Chr. beteiligt waren, trotz der gegenteiligen Behauptung von Philippson, Peterm. Mitteil. 36 (1890), S. 2 ff. Ich vermag zu einer so frühen Zeit keine Slaven in den Balkanländern nachzuweisen. Vgl. auch Radonić, Glas Srpske Akademije 60 (1901), 204—214, und Krumbacher, BZ XI 262 ff.

 

 

1. Die umfangreichen Bücher von G. Tzenoff, «Die Abstammung der Bulgaren und die Urheimat der Slaven» Berlin 1930, sowie seine Geschichte der Bulgaren und anderen Südslaven, ebda. 1935, haben mit ernster Forschung nichts gemein, und es ist höchst bedauerlich, daß sie einen angesehenen Verleger gefunden haben, der noch rechtzeitig, aber leider vergeblich, vor diesen unerfreulichen Erzeugnissen nachdrücklichst gewarnt worden ist. Dazu vgl. treffend bereits Jireček, Gesch. d. Bulgaren 67 ff.

 

 

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Man hat früher auf Grund der Angaben eines Presbyters Theophilus (Bogomil), der als angeblicher Zeitgenosse Justinians I. ausgegeben wurde, slavische Herkunft des Kaisers Justinian I. in Erwägung gezogen. Einen derartigen Standpunkt vertritt noch K. Jireček, Gesch. d. Bulgaren 70 ff. Später hat sich herausgestellt, daß die Nachricht von des Kaisers slavischer Herkunft nur in dieser einzigen fragwürdigen Quelle zu finden ist, die von Jagić und Krumbacher, unter späterer Zustimmung Jirečeks, als eine im slavophilen Sinne unternommene Fälschung erwiesen wurde. Damit kann die Frage der slavischen Herkunft Justinians als erledigt gelten. Vgl. dazu Jagte, Archiv XI 300 ff., James Bryce und K. Jireček, The English historical Review II (1887) 657—686, und A. Vasiljev, Viz. Vrem. I 469 ff.

 

Als eine der ersten Erwähnungen der Slaven an der Donau ist bis jetzt das Zeugnis des Caesarius von Nazianz angesehen worden, das schon Müllenhoff DA II 367 in diesem Sinne gedeutet hat (nach ihm ebenso Vasiljev Viz. Vrem. V 406). Seit Justinians Regierungsantritt (527 n. Chr.) besitzen wir Nachrichten über die Ausdehnung der Slavenzüge jenseits der Donau.

 

Vgl. Prokop, Historia Arcana Kap. 18 (ed. Haury III 114): Ἰλλυριοὺς δὲ καὶ Θρᾴκην ὅλην, εἴη δ’ἄν ἐκ κόλπου τοὐ Ἰονίου μέχρι ἐς τὰ Βυζαντίων προάστεια, έν τοῖς Ἑλλάς τε καὶ Χερρονησιωτῶν ἡ χώρα ἐστίν, Οὗννοί τε καὶ Σκλαβηνοὶ καὶ Ἄνται σχεδόν τι ἀνὰ πᾶν καταθεόντες ἔτος, έξ οὗ Ἰουστινιανὸς παρέλαβε τὴν Ῥωμαίων ἀρχὴν, ἀνήκεστα ἔργα εἰργάσαντο τοὺς ταύτῃ ἀνθρώπους. An einer anderen Stelle bei Prokop, Bell. Goth. III 14 (ed. Haury II 353 ff.) wird von der Ernennung des Chilbudios zum Strategen durch Justinian (531) berichtet: τοῦτον βασιλεὺς τὸν Χιλβούδιον, ὅτε δὴ τέταρτον ἔτος τὴν αὐτοκράτορα εἶχεν ἀρχὴν, Θρᾴκης στρατηγὸν ἀνειπών, ἐπὶ τῇ τοῦ Ἴστρου ποταμοῦ φυλακῇ κατεστήσατο, φυλάσσειν, κελεύσας, ὅπως μήκετι τοῖς ταύτῃ βαρβάροις ὁ ποταμὸς διαβατὸς ἔσται, ἐπεὶ αὐτοῦ τὴν διάβασιν πολλάκις ἤδη Οὗννοί τε καὶ Ἄνται και Σκλαβηνοὶ πεποιημένοι ἀνήκεστα Ῥωμαίους ἔργα εἰργάσαντο. Ähnlich heißt es bei Prokop, Bell. Goth. III 40 (ed. Haury II 475 ff.) ... Σκλαβηνῶν ὅμιλος ὅσος οὔπω πρότερον ἀφίκετο ἐς Ῥομαίων τὴν γῆν. Ἴστρον τε ποταμὸν διαβάντες ἀμφὶ Νάϊσον (Niš) ἦλθον. Dieser Angriff sollte schon Thessalonike gelten.

 

Vasiljev, Viz. Vrem. V 408, nimmt an, daß an dem Bulgareneinfall im Jahre 539, der eine Verwüstung Illyriens und Thrakiens zur Folge hatte und sich bis zu den Thermopylen erstreckte, auch slavische Stämme beteiligt waren. Es heißt dann bei Prokop, Bell. Pers. II 4 (ed. Haury I 164): Οὕτω τε σχεδὸν ἅπαντας Ἕλληνας, πλὴν Πελοποννησιών, διεργασάμενοι ἀπεχώρησαν. Eine große Slaveninvasion fand ferner nach dem Zeugnis des syrischen Kirchenhistorikers Johannes von Ephesus († 585), Histor. Eccles. VI Kap. 25, im Jahre 577 statt. Die entsprechende Stelle seines Werkes lautet nach Jireček in der Übersetzung: »Im dritten Jahre nach dem Tode des Kaisers Justinian und nach der Thronbesteigung Tiberius des Siegreichen trat das

 

 

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fluchwürdige Volk der Slaven auf und überfiel ganz Hellas, die Umgebung von Thessalonike und ganz Thrakien. Sie eroberten viele Städte und Festungen, verheerten, brandschatzten, plünderten und beherrschten das Land und hausten darin frei wie In ihrer Heimat. Das dauerte durch vier Jahre, solange der Kaiser mit den Persern kriegte; dadurch hatten sie freies Spiel im Lande [bis Gott sie hinauswarf] [1]. Ihre Plünderungen erstreckten sich bis zur äußersten Mauer; alle kaiserlichen Herden wurden von ihnen zur Beute gemacht. Bis heute sitzen und ruhen sie in den römischen Provinzen ohne Sorge und Furcht, plündernd, mordend, brennend; sie sind reich geworden, besitzen Gold und Silber, Herden von Rossen und viele Waffen; besser als die Römer haben sie Krieg führen gelernt.« Vgl. dazu Gutschmid, Lit. Centralblatt 1868 Sp. 641, Jireček, Gesch. d. Bulg. 88, und Vasiljev a.a.O. V 409. Besonders beachtet werden muß hier die Feststellung, daß die Slaven »bis heute« noch dort sitzen.

 

Auf ein ähnliches Ereignis um 577 bezieht man die Schilderung des Menander Protektor, Hist. ed. Bonn. S. 327, wo es heißt: ... κατὰ δὲ τὸ τέταρτον ἔτος Τιβερίου Κωνσταντίνου Καίσαρος βασιλείας ἐν τῇ Θρᾴκῃ ξυνηνέχθη τὸ Σκλαβηνῶν ἔθνος μέχρι που χιλιάδων ἑκατόν Θρᾴκην καὶ ἄλλα πολλὰ ληΐσασθαι. Über die Darstellung dieser Plünderung Thrakiens durch Avaren in andern Quellen zu der gleichen Zeit vgl. Zeuß, Die Deutschen 625, Vasiljev, Viz. Vrem. V 410 ff., und Ensslin a. a. O. Sp. 701. Auf das Jahr 585 bezieht sich eine Nachricht über einen Avareneinfall bei Euagrios, Histor. eccles. VI 10 (= Migne, Patrologia Graeca Bd. 86 Sp. 2860): Τούτων ὧδε χωρούντων, οἱ Ἄβαρες δὶς μέχρι τοῦ καλουμένου μακροῦ τείχους διελάσαντες, Σιγγιδόνα, Ἀγχίαλόν τε καὶ τὴν Ἑλλάδα πᾶσαν, καὶ ἑτέρας πόλεις τε καὶ φρούρια ἐξεπολιόρκησαν καὶ ἠνδραποδίσαντο, ἀπολλύντες ἅπαντα καὶ πυρπολοῦντες, τῶν πολλῶν στρατευμάτων κατὰ τὴν Ἑῴαν ἐνδιατριβόντων.

 

Aus dieser letzteren Schilderung hatte schon Fallmerayer geschlossen, daß das Griechentum im Jahre 589 vernichtet worden sei, denn in einem Συνοδικὸν γράμμα des Patriarchen Nikolaos II. an den Kaiser Alexios Komnenos (XΙ. Jahrhundert) wird aus Anlaß des griechischen Sieges über die Avaren bei Patras (805 oder 807) festgestellt, daß dieses barbarische Volk 218 Jahre lang den Peloponnes beherrscht habe, so daß kein Rhomäer es wagte, seinen Fuß dorthin zu setzen. Vgl. das Zitat aus Rallis-Potlis, Σύνταγμα τῶν θείων καὶ ἱερῶν κανόνων V 72 bei Vasiljev a. a. O. V 637. Dazu auch Hopf bei Ersch-Gruber 85 S. 99 und Niederle, Manuel I, 109. Mit dieser Nachricht ist die Beschreibung, der Verwüstung Griechenlands durch die Slaven bei Menander Protektor, Histor. (ed. Bonn.) S. 404 ff. zu vergleichen,

 

 

1. Die eingeklammerten Worte werden von Gutschmid, Kl. Schriften V 433, ganz anders aufgefaßt. Vgl. auch Vasiljev, Viz. Vrem. V 409. Die Worte passen auch nicht zu der gesperrten Stelle weiter unten.

 

 

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denn es lässt sich auch sonst nachweisen, daß die Slaven im Verein mit Avaren oder Bulgaren die Balkanländer heimsuchten. Vgl. auch Jireček, Gesch. d. Bulg. 87.

 

Dadurch erklärt sich die Verwechslung von Slaven und Avaren, die sich in Ausdrücken zeigt wie bei Konst. Porphyrogen. De admin. Imperio Kap 29 (ed. Bonn. S. 127, 6 ): οἱ ἐκεῖθεν τοῦ ποταμοῦ Σκλάβοι, οἱ καὶ Ἄβαροι καλούμενοι oder daselbst (S. 126, 10): εὗρον ἔθνη Σκλαβικά, ἄοπλα ὄντα, ἅτινα καὶ Ἄβαροι ἐκαλοῦντο. Vgl. dazu weitere Stellen bei Amantos Ἑλληνικά II 99.

 

Vasiljev a. a. O. und Amantos, Ἑλληνικά II 99 ff., führen Stellen aus Theophylaktos Simokatt. und Theophanes, Chronik an, die auf gemeinsame Kriegshandlungen der Avaren und Slaven hinweisen. Ein Brief des Papstes Gregor des Großen an Bischof Maximos von Thessalonike vom Jahre 600 zeigt die Besorgnis des Papstes wegen des Vordringens der Slaven gegen Thessalonike. Vgl. Vasiljev a. a. O. 413. Dazu auch Jireček, Gesch. d. Bulg. 90 ff.

 

In des Bischofs Isidor von Sevilla Chronik (Migne, Patr. Lat. 83 Sp. 1056) wird festgestellt, daß die Slaven unter Kaiser Heraclius’ Herrschaft Griechenland den Römern geraubt haben. Heraclius dehinc quintum agit imperii annum. Cuius initio Sclavi Graeciam Romanis tulerunt. Vgl. auch Vasiljev, Viz. Vrem. V 413, Ensslin bei Pauly-Wissowa Reihe II Bd. V Sp. 704.

 

A. von Gutschmid, Liter. Centralbl. 1868 Sp. 638 ff. hat ferner auf die Nachricht des syrischen Chronisten Thomas Presbyter von Emesa hingewiesen, der einen slavischen Seeangriff im Jahre 623 n. Chr. auf Kreta sowie andere griechische Inseln bezeugt. Diese Nachricht ist auch von andern Gelehrten nicht bestritten worden. Vgl. Šišmanov, Bъlgarski Pregled IV Nr. 3 S. 79, E. Rohde, BZ VI 475 ff., Vasiljev a. a. O., Ensslin a. a. O. 705 und B. Schmidt, Volksleben der Neugriechen 13. Als Hopf die Ansichten Fallmerayers bekämpfte, war ihm diese wichtige Quelle entgangen. Vgl. Vasiljev a. a. O. V 654. Die Annahme liegt sehr nahe, daß der Raubzug gegen Kreta von den peloponnesischen Landschaften ausgegangen ist. Vgl. Gutschmid a. a. O., Vasiljev a, a. O., Šišmanov u. a. Der bulgarische Gelehrte hat a. a. O. S. 80 auch eine Nachricht des Paulus Diaconus über Slavenangriffe gegen das östliche Ufer Italiens in Erinnerung gebracht, bei denen Apulien verwüstet wurde. Auch dieser Zug muß von Griechenland seinen Ausgang genommen haben. Vgl. Jireček, Gesch. d. Bulg. 92 ff.

 

So kann die Ansicht, daß Slaven schon im 6. Jahrhundert die peloponnesischen Länder erreicht und sich nicht auf die Nordprovinzen beschränkt haben, wie A. von Gutschmid hervorhebt, sich auf die Zeugnisse des Johannes von Ephesus, Menander Protector und Euagrios berufen. Gutschmid bezeichnet es als eine unnötige Konzession Hopfs an ein neueres Vorurteil gegen Fallmerayer, wenn dauernde Niederlassung und Besitznahme des

 

 

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eigentlichen Griechenlands durch die Slaven erst seit 750 angenommen wird, und folgert: »Also hat sich (nach Thomas Presbyter) die Slavenfluth bis zu den äußersten Enden der griechischen Welt gewälzt, deren unvermischt hellenisches Geblüt selbst Fallmerayer nicht in Zwefel zu ziehen gewagt hatte!« So Literar. Centralbl. 1868 Sp. 640.

 

Unterm Jahre 657 berichtet Theophanes, Chron. I 347 (ed. de Boor): Τούτῳ τῷ ἔτει ἐπεστράτευεν ὁ βασυλεὺς κατὰ Σκλαβίας καὶ ᾐχμαλώτευσε πολλοὺς καὶ ὑπέταξεν. Vgl. auch Kedrenos I 761. Dazu Jireček, Gesch. d. Bulg. 93. Später muß die Slavenbesiedlung des Peloponnes weitere Fortschritte gemacht haben, denn die Vita des hl. Willibald, Bischofs von Eichstätt, berichtet, daß der Bischof (etwa 723—728) von Syrakus aus reiste und: ad urbem Manafasiam (= Monembasia) in Slawinia terrae kam. Vgl. Vita S. Willibaldi ed. Holder-Egger (Mon. Germ. Hist. SS XV 80 ff. nach freundlicher Mitteilung R. Holtzmanns). Siehe dazu auch A. von Gutschmid, Lit. Centralbl. 1868 Sp. 641, und Vasiljev a. a. O. 415. Ungefähr im Jahre 730 werden in einer Vita des heil. Pancratius von Taormina in Sizilien, nach Vasiljev (a. a. O.), Avaren aus der Gegend von Athen erwähnt. Unter Konstantin V. Kopronymos (741—775) wird Griechenland von einer Epidemie heimgesucht, die große Verheerungen unter der Bevölkerung anrichtete. Die Folge war, daß in den von Menschen entblößten Gegenden Slaven sich ausbreiteten. Darauf bezieht sich die viel besprochene Äußerung des Konst. Porphyr., De thematibus II (ed. Bonn. 53, 18): ἐσθλαβώθη δὲ πᾶσα ἡ χώρα καὶ γέγονε βάρβαρος, ὅτε ὁ λοιμικὸς θάνατος πᾶσαν ἐβόσκετο τὴν οἰκουμένην, ὁπηνίκα Κωνσταντῖνος ὁ τῆς κοπρίας ἐπώνιμος σκῆπτρα τῆς τῶν Ῥωμαίων διεῖπεν ἀρχῆς. Weiter berichtet der purpurgeborene Herrscher, der Dichter Euphemios habe auf einen Peloponnesier Niketas, der sich seiner vornehmen Herkunft rühmen wollte, die Worte gedichtet: γαρασδοειδὴς ὄψις ἐσθλαβωμένη »verschmitzt aussehendes Slavengesicht«. So stark slavisch gemischt erschien den Zeitgenossen die peloponnesische Bevölkerung im 8. Jahrhundert. Es darf unter ἐσθλαβώθη natürlich keineswegs völlige Slavisierung verstanden werden, sondern der Ausdruck ist, wie Krumbacher richtig bemerkt hat (BZ X 368), ähnlich aufzufassen, wie wenn heute jemand von einer deutschen Stadt behauptete, sie sei »ganz verjudet« gewesen. Gutschmid, Liter. Centralbl. 1868 Sp. 641, macht zu der Stelle: ἐσθλαβώθη πᾶσα ἡ χώρα καὶ γέγονε βάρβαρος usw. die sehr treffende Bemerkung, durch diese Worte werde vorausgesetzt, daß das slavische Element schon vor der Pestepidemie dagewesen sei und nur nach den infolge der Seuche entstandenen Verheerungen die hellenische Bevölkerung erdrückt habe.

 

In den letzten Jahrzehnten des 8. Jahrhunderts hören wir von Feldzügen, die von byzantinischen Feldherren gegen die Slaven in Griechenland unternommen werden. Der Feldherr Staurakios zieht 783 über Thesalonike

 

 

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nach Griechenland. Es kommt zu Kämpfen im Peloponnes, bei denen er reiche Beute und viele Gefangene macht; 784 kehrt er nach Konstantinopel zurück. Vgl Theophanes, Chron. (ed. de Boor) I S. 456 ff.: Τούτῳ τῷ ἔτει εἰρυνεύσασα Εἰρήνη μετὰ τῶν Ἀράβων καὶ ἄδειαν εὑροῦσα ἀποστέλλει Σταυράκιον τὸν πατρίκιον καὶ λογοθέτην τοῦ ὀξέος δρόμου μετὰ δυνάμεως πολλῆς κατὰ τῶν Σκλαυινών ἐθνῶν. Καὶ κατελθὼν ἐπὶ Θεσσαλονίκη καὶ Ἑλλάδα ὑπέταξε πάντας καὶ ὑποφόρους ἐποίησε τῇ βασυλείᾳ. Εἰσῆλθε δὲ καὶ ἐν Πελοποννήςῳ καὶ πολλὴν αἰχμαλωσίαν καὶ λάφυρα ἤγαγε τῇ τῶν Ῥομαίων βασιλείᾳ. Ähnlich Kedrenos (ed. Bonn.) II S. 21.

 

Einen Slavenaufstand gegen die Byzantiner veranstaltete der Archont der Βελζητία in Thessalien im Jahre 799. Auch diese Auflehnung hatte keinen Erfolg. Vgl. die Quellenzitate bei Vasiljev a. a. O. Ein weiterer Aufstand, der größeren Umfang annahm, wurde von den Slaven im Peloponnes Anfang des 9. Jahrhunderts unternommen, wobei es zu einer Belagerung von Patrai durch die Slaven kam. Den Sieg der griechischen Sache erklärte das Volk durch das wunderbare Eingreifen des Apostels Andreas. Vgl die ausführliche Schilderung bei Konst. Porphyr., De admin. imper. Kap. 49 (ed. Bonn. S. 217 ff.). Diese Schlacht bei Patrai, die um 805—807 stattfand und mit einem Siege der Griechen endete, bedeutete eine Wendung im Leben der peloponnesischen Slaven. Mit der Selbständigkeit der Slaven Achaias ist es nun vorbei, die achäischen Slaven werden jetzt Leibeigene der Metropole Patras, später spielen nur noch die Slavenstämme des Taygetos, die Μιληγγοί und Ἐζερῖται, eine bedeutendere Rolle. Siehe Hopf bei Ersch-Gruber 85 S. 99 und Vasiljev a. a. O. 426. Kopitar und Hopf hatten die Tzakonen für slavisierte Griechen gehalten. Diese Ansicht ist mit Hilfe sprachwissenschaftlicher Argumente widerlegt worden von Hatzidakis, Einleitung 8 ff., Thumb IF IV 195 ff. und Krumbacher, Byz. Liter. I 103. Es kann ergänzend hinzugefügt werden, daß auch der tzakonische Wortschatz nur sehr wenige slavische Lehnwörter enthält. In dem reichhaltigen Wörterbuch von Deffher, das slavischen Deutungen gegenüber eine ablehnende Haltung zeigt, finde ich nur: ἀστράχα »Dach« aus slav. strěcha (trotz Deffner nicht von griech. ἄστρακον), ferner tzakon. βιρέ »kleine Pfütze«, zu epirot. βιρό n. στάσιμον ὕδωρ, aus slav. viρъ, dann κορύτα »Trog« aus slav. koryto und ζβάρνα »Egge« aus slav. *borna, bulg. skr. brana.

 

Die Bewohner der Maina hat man ebenfalls zu Unrecht slavischer Herkunft verdächtigt. Sprachlich spricht nichts dafür, historisch aber bezeugt das Gegenteil die deutliche Äußerung des Konst. Porph., De admin. imper. Kap. 50 (ed. Bonn. S. 224): Ἰστέον ὅτι οἱ τοῦ κάστρου Μαίνης οἰκήτορες οὐκ εἰσὶν ἀπὸ τῆς γενεᾶς τῶν προρρηθέντων Σκλάβων, ἀλλ᾽ ἐκ τῶν παλαιστέρων Ῥωμαίων... Zum Namen der Μαίνη , Μάνη vgl. Georgakas Idg. Jahrb. 24 (1940) S. 239.

 

 

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Unter Kaiser Theophilos (829—842) finden wiederum Slavenaufstände im Peloponnes statt, die erst unter Michael III. (842—867) unterdrückt werden. Die geringen Abgaben, die den Milingi und Ezeritae auferlegt werden, zeigen, daß man von einer Beherrschung des von ihnen bewohnten Berglandes noch weit entfernt war. Vgl. die Schilderung bei Konst. Porph,, De admin. imperio, Kap. 50 (ed. Bonn. S. 220 ff.).

 

Man nimmt an, daß die Μιλληγγοί und Ἐζερῖται bis zur Türkenzeit ihr Volkstum bewahrt haben, während bei den arkadischen Slaven um Skorta die Sprache seit der Frankenherrschaft verstummt sein dürfte. Vgl. Philippson, Petermanns Mitteilungen 36 (1890) S. 10, und Vasiljev, Viz. Vrem. V 423.

 

Zum Christentum traten die Slaven von Patrai Anfang des 9. Jahrh. über, die Μιλληγγοί und Ἐζερῖται aber erst in der 2. Hälfte des 9. Jahrh. Vgl. Vasiljev a. a. O. 423 ff. Unter dem Kaiser Romanos I. Lekapenos (919—944) wurde der Vater des später bekannten Bischofs Liudprand von Cremona auf der Reise nach der byzantinischen Hauptstadt von Slaven im Gebiet von Thessalonike überfallen, wußte sich aber ihrer zu erwehren. Genaueres dazu bei Vasiljev a. a. O. 424. Unter derselben Regierung fand wieder ein Aufstand der Μιλληγγοί und Ἐζερῖται statt, der vom März bis November 941 dauerte. Aus dem 10. Jahrh. sind uns aus Heiligenleben verschiedene Raubüberfalle lakonischer Slaven bekannt, wozu Vasiljev a. a. O. 426 ff. Belege gibt.

 

Für die Slavenfrage in Griechenland sind ferner mehrere Nachrichten des Strabo-Epitomators von Bedeutung: Καὶ νῦν δὲ πᾶσαν Ἤπειρον καὶ Ἑλλάδα σχεδὸν καὶ Πελοπόννισον καὶ Μακεδονίαν Σκύθαι Σκλάβοι νέμονται. Vgl. Müller, Geographi Graeci Minores II S. 574. Derselbe Epitomator spricht von der Bevölkerung in Elis und bemerkt dazu: Νῦν δὲ οὐδὲ ὄνομά ἐστι Πισατῶν καὶ Καυκώνων καὶ Πυλίων· ἅπαντα γὰρ ταῦτα Σκύθαι νέμονται, s. Müller, Geogr. Graeci Minores II S. 583. Die Bezeichnung Σκύθαι für die Slaven ist natürlich historisch nicht berechtigt, sie hat sich aber im Mittelalter gerade bei Schriftstellern, die gern altgriechische Völkernamen gebrauchten, eingebürgert. Aus den beiden angeführten Stellen des Strabo-Epitomators müssen wir schließen, daß in vielen Teilen Griechenlands die slavische Bevölkerung recht stark vertreten war, so z. B. auch in Elis. Später haben wir über die peloponnesischen Slaven nur spärliche Nachrichten. Wenn im 12. Jahrhundert Michael Akominatos die Verderbtheit der athenischen Umgangssprache hervorhebt und seiner Gemeinde deswegen Vorhaltungen macht, so braucht das, trotz Vasiljev, Viz. Vrem. V 433, nicht als ein Hinweis auf slavische Einflüsse in dieser Mundart aufgefaßt zu werden. Ebenso leicht möglich ist es, daß der Athener Erzbischof die in ihren Formen stark veränderte Sprachform damit gemeint hat, die ihm zu weit von dem klassischen Vorbilde entfernt schien.

 

 

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Philippson hat, Peterm. Mitteilungen 36 (1890) S. 5, die auch sonst oft von anderer Seite wiederholte Behauptung aufgestellt, das Neugriechische habe eine starke Beeinflussung durch Slavismen erfahren. Diese Behaptung läßt sich durch sprachwissenschaftliche Beweise nicht stützen, denn es gibt nut wenige slavische Lehnwörter von weiterer Verbreitung im Neugriechischen [1]. Wichtiger ist eine andere Ferstellung dieses Gelehrten (a. a. O. S. 4), daß »bis zum 11. Jahrhundert der ganze Peloponnes mit Ausnahme des westlichen Arkadiens und des Taygetos, hellenisiert war«. Mitte des 13. Jahrhunderts wurden die Μιληγγοί am Taygetos von den Franken bekämpft und unterworfen. Sie müssen aber auch danach noch stark gewesen sein, denn 1293 gelingt ihnen sogar die Besetzimg der Stadt Kalamata. Vgl. Hopf a. a. O. 273, Vasiljev a. a. O. V 436.

 

Ende des 14. Jahrhunderts versucht Venedig, die Slaven in der Maina gegen den griechischen Despoten Theodoros von Mistra in Bewegung zu setzen. Vgl. Hopf bei Vasiljev, Viz. Vrem. V 437.

 

Der Dichter Mazaris, ein Nachahmer des Lukian und Zeitgenosse Michaels des Paläologen (1391—1425), spricht von der Mischbevölkerung des Peloponnes und nennt darunter auch die Σθλαβῖνοι, s. Philippson a. a. O. S. 9. Die Slaven am Taygetos und bei Tainaron werden im 15, Jahrhundert von Laonikos Chalkondyles (ed. Darkó), Historiae 131, 14 ff., erwähnt, wo auch ihre Verwandtschaft mit anderen Slavenstämmen festgestellt wird. Die Venezianer nannten noch Ende des 15. Jahrhunderts einige Landschaften des Peloponnes Sclavonia; z. B. heißt es bei Sathas DI I298: ad partes Zachonie seit Sclavonie. Damit soll allerdings nicht gesagt werden, daß dei Name Tsaconia aus Sclavoma gedeutet werden kann, wie das Philippson versucht hat. Den Namen Tsakonia aus dem Slavischen zu erklären besteht keine Möglichkeit.

 

Schließlich ist noch als Zeugnis aus dem 15. Jahrhundert für das Fortleben der Slaven am Taygetos eine Stelle aus der Schilderung einer Reise des Laskaris Kananos nach Deutschland und den nordischen Ländern zu erwähnen, deren Entstehung von Vasiljev (Buzeskul-Festschrift S. 397 ff) in die Jahre 1412—1418 gesetzt wird. Der Grieche schildert dort auch die Umgegend von Lübeck und nennt jenes Land Σθλαβουνία. Er fügt dann eine Bemerkung über die Verwandtschaft der lübeckischen Slaven mit den Zygioten im Peloponnes hinzu: Ἀπ᾽ αὐτῆς τῆς ἐπαρχίας ὑπάρχουν οἱ Ζυγιῶται οἱ ἐν Πελοποννήσῳ· ἐπεὶ ἐκεῖσε ὑπάρχουν πλεῖστα χωρία, ἅτινα διαλέγονται τὴν γλῶσσαν τῶν Ζυγιωτῶν. Vgl Vasiljev a. a. 399. Zu dem Namen Ζυγιῶται verweist der russische Historiker auf den Namen Sigo de la Chacoigne für den Taygetos in der französischen Fassung der Chronik vor Morea, welchen er mit griech. Ζυγός = Taygetos gleichseht. Vgl. auch

 

 

1. Vgl. auch Krumbacher BZ X, 368 und Kretschmer Lesb. Dial. 429 ff.

 

 

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Sathas, Doc. Inédits I S. XXII. Wenn der griechische Reisende diese Ζυγιῶται für besonders nahe Verwandte der Lübecker Slaven hält, dann läßt sich diese Theorie sprachwissenschaftlich nicht halten. Trotzdem dieses Zitat ein Fortleben der slavischen Sprache bei den Taygetos-Slaven. Vgl. auch Beneševič, Byz.-Neugr. Jahrb. VIII 400.

 

Seit dem 15. Jahrhundert kommen unter Einfluß des im Norden der Balkanhalbinsel immer mehr zunehmenden türkischen Druckes Albanerscharen nach Griechenland, die sich nicht nur in Epirus, Akarnanien, Ätolien, Thessalien, Mittelgriechenland, Attika, auf Euboia, Salamis, Poros, Hydra, Spetsai festsetzen, sondern auch in peloponnesischen Landschaften bis nach Messenien ausbreiten. Dazu Gerland, Quellen 69 und sonst. Über ihre Verbreitung in Neugriechenland vgl. die gründlichen Feststellungen Philippsons, Petermanns Mitteilungen 36 (1890) S. 7 ff. und besonders S. 33 ff [1]. Seit dem Erscheinen dieses neuen ethnographischen Elements nehmen die Nachrichten über die Slaven in Griechenland offenbar ein Ende. Die Slaven müssen teils im albanischen Volkstum, noch mehr aber durch Einfluß von Kirche und Schule im Griechentum aufgegangen sein.

 

Nach dem Vorstehenden darf behauptet werden, daß vom 6. christl. Jahrhundert bis zum 15. Jahrhundert in Griechenland bis in die südlichen Teile des Peloponnes slavische Bevölkerung historisch bezeugt ist, und aus diesem Grunde muß der Versuch unbedingt berechtigt erscheinen, den slavischen Einflüssen in den Ortsnamen Griechenlands nachzugehen. Das soll in den beiden folgenden Kapiteln geschehen.

 

 

1. Dazu auch Lambros, Ἡ ὀνοματολογία τῆς Ἀττικῆς καὶ ἡ εἰς τὴν χώραν ἐποίκησις τῶν Ἀλβανῶν, Παρνασσός-Ἐπετηρίς I (1897) S. 156—192.

 

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