Bulgarische Volksbräuche.

 Von Geh. Justizrat Prof. Josef Kohler, Universität Berlin.

 
        Die Bulgaren zeigen in den Bräuchen ihres Lebens, insbesondere was die Ehe anbetrifft, viel Ähnlichkeit mit den germanischen Sitten und zeigen sich als ein Volk von ursprünglicher Kraft und Zucht, von gesunden Lebensformen und, trotz ihrer ernsten Anlage, von derjenigen Lebensheiterleit, welche notwendig ist, damit ein Volk die Schläge des Schicksals überwinden und in der fortschreitenden Kultur Großes leisten kann.

Die Heiratsformen selber sind, wie bei den Germanen, teils solche, welche auf die früheren Eheverhältnisse hindeuten, teils sind die Gebräuche religiöser Art, welche die ehelichen Verhältnisse verklären und allem, was das geschlechtliche Leben betrifft, eine höhere Weihe geben. Der Ehe geht eine Verlobung voraus, und zwar unterscheidet man gewöhnlich die kleine und große Verlobung. Erstere ist eine einfache Vorbereitung, während die große Verlobung bereits ein festes Verhältnis abschließt; wie bei den alten Germanen wird dabei ein Brautpreis bezahlt und hierdurch die Beziehung zwischen den beiden Familien fest und fast unverbrüchlich gestaltet, fast unverbrüchlich, denn es ist selten, daß eine Verlobung wieder auseinander geht, jedenfalls meist nur aus sehr triftigen Gründen und mit Erregung einer so allgemeinen Mißstimmung, daß dies als eine ungehörige Ausnahme erscheint. Von der Verlobung bis zur Trauung verstreicht oft eine längere Zeit, oft mehrere Jahre; namentlich pflegt der Bursche in der Zwischenzeit seine Heerespflicht abzudienen und sich für die selbständige Existenz vorzubereiten; dann findet die Trauung statt, eine Festlichkeit, die oft mehrere Tage lang dauert und eine Reihe der bedeutsamsten Züge enthält.

Die Bräuche eines Volkes, sei es, daß sie auf juristischem oder daß sie auf religiösem Grund gebaut sind, haben für die ganze Bevölkerung eine große Bedeutung; namentlich enthalten die religiösen Bräuche eine tiefinnerliche Weihe und gehen zurück auf jene Zeit des Natur- und Geisterkultus, in der man die ganze Welt von guten und bösen Geistern erfüllt glaubte und von den Erscheinungen der Natur annahm, daß sie mit der Geisterwelt zusammenhingen und mehr oder minder menschliche Züge an sich trügen. Alles tritt auf diese Weise mit dem Menschen in Verbindung; der Mensch lebt und webt innerhalb einer Fülle von geistigen Antrieben, und in der Natur verehrt er die Gottheit, die in der vertraulichsten Weise zu ihm spricht.

Was die juristischen Bräuche betrifft, so hängen sie mit älteren Zuständen des Rechtes zusammen; dahin gehören insbesondere alle die Bräuche, die auf den Frauenraub hindeuten. Der Frauenraub selber ist bei den Südslawen durchaus nicht unerhört, allerdings weniger in der Art, daß man die Frau wider ihren Willen fortschleppt, als in der Weise, daß die beiden Liebenden, wenn sie bei ihren Verwandten Schwierigkeit finden, miteinander das Weite suchen, worauf dann ihre Familien sich veranlaßt sehen, den entstandenen Riß möglichst wieder auszugleichen und durch eine regelrechte Trauung die Sache in Ordnung zu bringen. Namentlich wenn der Bräutigam nicht in der Lage ist, den Brautpreis beizubringen, greift er zu diesem Mittel, oder wenn etwa der Brautvater sich absolut darauf versteift, die Braut einem anderen zu geben. Wie bei den Germanen, so sind auch bei den Bulgaren die Bräuche, welche auf Entführung deuten, der mannigfaltigsten Art, so namentlich das Verstecken der Braut, die gesucht und geholt werden muß, sodann die Sitte, daß der Bräutigam mit einem ganzen Stabe von Brautführern und Gehilfen erscheint und daß die Braut oft mit scheinbarer Gewalt fortgeschleppt wird, daß sie sich wehrt, daß sie wehklagt; auch das kommt vor, daß die Hochzeitsgesellschaft im Brauthause konventionell die eine oder andere Sache fortnimmt (kleine konventionelle Diebstähle): alles dies deutet auf ehemalige Gewalt, auf früheren Brautraub hin.

Der Brautkauf aber findet sich, wie bereits bemerkt, in der Art, daß der Bräutigam dem Brautvater den baba haki, den Brautpreis bezahlen muß. Nicht selten wird aber der Braut ein Teil davon gegeben; man hängt ihr Geldstücke um den Nacken oder legt ihr Geld vor die Füße, und mitunter kommt es vor, daß der ganze Brautpreis der Frau sofort überreicht wird und so ein Frauengut bildet, ganz ähnlich wie bei den Germanen.

Als Mitgift bringt die Frau gewöhnlich nur eine Aussteuer mit, doch kommt es vor, daß ihr Vater auch noch Geld und Gut beisteuert; aber die Bräuche zeigen, daß der Brautvater dies doch nur als eine Art von Zwang empfindet. Wenn der Brautzug dem Bauthause naht, so verwehrt ein Bursche den Eintritt, oder der Pate der Braut stellt sich davor, bis der Brautvater entweder ein Stück Feld oder eine Summe verspricht, und man pflegt dann mit einer Axt in der Schwelle das Versprechen einzukerben. Im übrigen haben die Bulgaren keine Gütergemeinschaft; die Frau hat ihr Vermögen für sich und gibt es höchstens in ehemännliche Verwaltung.

Die religiösen Bräuche aber zeigen die mannigfaltigsten Züge, ganz so wie sie sich bei den Germanen und bei anderen indogermanischen Stämmen um das Heiratsinstitut hemmranken. So die Nahrungsverbindung: die Brautleute trinken oder essen zusammen; vor allem aber findet sich bei den Bulgaren das Mehlsieben: es wird bei dem Bräutigam und bei der Braut Mehl gesiebt, und beides wird vereinigt, um den Brautkuchen zu backen. Eine andere Sitte ist die Kleiderknotung: die Hände der Brautleute werden mit Tüchern umwunden und diese zusammengebunden, eine Sitte, welche in der Welt außerordentlich verbreitet ist und sich auch bei den alten Azteken vorfindet. Alle diese Bräuche deuten darauf hin, daß die Brautleute seelisch vereinigt werden, daß sie sich gleichsam zu einem Wesen gestalten und daß ihre Verbindung eine untrennbare sein soll. Andere Bräuche sollen tue guten Geister heranlocken; so namentlich die Getreidebeschüttung: man schüttet Getreide über die Brautleute, oder die Braut selbst wirft Getreidekörner auf das Brauthaus und auf die Umstehenden. Wie man die guten Geister heranzieht, so sucht man die bösen Geister abzuwenden. Man bemalt die Augenbrauen der Braut und auch das Haaropsei zur Versöhnung der Geister findet statt, allerdings nicht wie bei manchen anderen Völkern in der Weise der Haarschur, wohl aber in dem feierlichen Rasieren des Bräutigams bei Kerzenlicht und bei festlichen Brautgesängen, wobei dann die abrasierten Haare aufbewahrt zu werden pflegen. Oder es wird der Brautweg mit Dornen eingezäunt, denn Dornen halten die üblen Genien zurück.

Vor allem aber ist es der Naturkultus, der uns in die Welt der guten Geister versetzt. Die Sonne wird als Lichtspenderin verehrt, indem die Heirategesellschaft sich der Sonne zuwendet; auch die Blumen spielen eine große Rolle: Basilikumblume, Geranium, Rose (der Brautschleier wird auf einen Rosenhag gelegt); und der Apfel, das Bild der Liebe, wird dem Bräutigam entgegengeworfen oder über das Brauthaus geschleudert. So werden auch Tannenbäume aufgepflanzt und mit Blumen und Früchten verziert, und die Fahne, die nichts anderes ist als ein Bild des Baumes, — eine Fahne mit grün angestrichenem Schaft mit roten und weißen Wimpeln — wird herumgetragen oder aufgesteckt. Hierbei spielt auch der Farbensymbolismus eine große Rolle: Alles ist weiß gekleidet, die Hörner der Ochsen, welche den Brautwagen ziehen, werden mit weißen Tüchern umwunden, weiße Teppiche werden ausgelegt; denn weiß zieht die guten Geister an. Aber auch der Liedeszauber der roten Farbe spielt eine Rolle: der Brautschleier ist rot, die Hüte der Brautführer sind mit roten Tüchern umwunden, alles wie bei germanischen Bräuchen. Auch die Übung, daß die Braut und der Bräutigam einander Tücher schenken, oft Tücher intimen Gebrauches, findet sich; denn in solchen Tüchern werden alle Wünsche und zarten Empfindungen mit übertragen, und man glaubt, daß darin ein Zauber liegt, welcher die Seele des Liebenden umstrickt.

Auch Wasser und Feuer spielen eine Rolle. Wasser wird über die Hände gegossen, die Braut wird am Brunnen des Hauses gereinigt. Überhaupt wird der Brunnen des Hauses, ebenso Schwelle und Herd und alle Stätten, an denen sich die häusliche Arbeit abspielt, verehrt; die Braut bringt ein Opfer dar, man umwandelt den Brunnen, den Herd, das Brautpaar: die Umwandlung als rhythmische Bewegung ist bei allen Völkern eine Huldigung an die Geisterwelt. Auch das ist bedeutsam, daß bei dem feierlichen Horotanz nicht gesprochen werden darf, so daß der Tanz eine rituelle Bedeutung annimmt: bei dem Ritus muß heiliges Schweigen herrschen.

Die Bräuche, welche auf die eheliche Verbindung hindeuten, haben bei den Völkern einen doppelten Sinn. Bald gilt sie als etwas Unheiliges, was man hinausschiebt oder jedenfalls verhüllt, und so besteht vielfach der Brauch der sogenannten Tobiasnächte, indem das eheliche Leben erst einige Zeit nach der Ehe beginnen darf. Dies kommt bei den Bulgaren selten vor. Oder es wird die eheliche Verbindung als ein sozial bedeutsamer und von der Geisterwelt geweihter Akt betrachtet und daher in den Ritus der ehelichen Bräuche eingefügt: die Brautleute begeben sich, von dem Paten oder der Patin geleitet in das Brautgemach, die Kerzen, die hier brennen, werden nachher gelöscht und aufbewahrt bis zum Leichenbegängnis, wo ihr Licht die düstere Szene begleitet.

Hiernach sind die Bräuche der Ehe den germanischen Bräuchen sehr verwandt; dagegen zeigen die Sitten, die sich bei Gelegenheit der künstlichen Verwandtschaft abspielen, neue und überraschende Züge. Wir finden hier die Milchverwandtschaft, d. h. die Verwandtschaft zwischen Kind und Amme, die aber wohl durch den Islam eingeführt worden ist. Christlich dagegen ist das Verwandtschaftsinstitut der Patenschaft: Pate und Patin spielen eine große Rolle im Leben des Kindes; sie gelten als geistige Eltern, und insbesondere bei der Eheschließung geben sie der Braut das Geleite. Auch Adoption findet sich, namentlich aber die Blutsbrüderschaft. Sie war auch bei den Germanen verbreitet, ist aber hier längst erloschen und in keines unserer germanischen Gesetze übergegangen; dagegen ist sie bei den Südslawen noch eine lebensvolle Einrichtung. Wir treffen sie hier bald in der Gestalt der wirtlichen Blutsvereinigung, meist aber in verchristlichter Weise, indem auf die Brüderschaft das Sakrament genommen wird oder der Priester vor dem Altar die Brüder umschlingt und ihr Verhältnis weiht. Eine altheidnische Form war es, daß die beiden Blutsbrüder sich in einer heiligen Nacht in dem Walde trafen, wo die geweihte, von den Geistern gesuchte Pflanze wuchs. In verchristlichter Weise findet sich die Form in der Art, daß beide eine gemeinsame Wallfahrt machen oder daß sie im Kloster einen geweihten Gang entlanggehen oder sich sonst bei einer rituellen Handlung begegnen. Solche Blutsbrüderschaft schließt man nicht nur aus allgemein brüderlicher Liebe ab, sondern auch um dem Antrieb religiöser Empfindüngen zu genügen oder um sich vor bösen Geistern zu schützen: wenn von zwei Kindern, welche im nämlichen Monat geboren sind, das eine stirbt, so herrscht vielfach der Glaube, daß das tote das lebende nachziehe, und um dies zu verhindern, legt man dem Toten irgendein Symbol ins Grab und schließt mit einem Lebenden Blutsbrüderschaft ab; denn dadurch wird das verhängnisvolle Band mit dem Toten vollkommen gelöst.

        Ein Volk, in dessen Sitten wir so vieles von unserem eigenen Wesen wiederfinden, muß uns doppelt anziehen, und wir Deutschen freuen uns lebhaft des neuen Bundesgenossen.

Bulgarische Musik

Von Kapellmeister Heinrich Weiner, Charlottenburg.

 
        Das bulgarische Musikleben ist verhältnismäßig jungen Datums, und sein Erwachen ist erst von dem Zeitpunkte an zu verfolgen, als das bulgarische Volk vor 35 Jahren seine Freiheit erlangt hatte. Bis dahin gab es daselbst als Musikinstrumente nur die „Kawal", „Gaida" und „Tambura", auf ihnen begleitete man Volkslieder, die sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbten. Sonst war weder von Musik, noch von einer Musikliteratur die Rede. Solange die Türken im Lande herrschten, bestanden weder Schulen, in denen die Tonkunst auf Grundlage eines Notensystems gelehrt worden wäre, noch Komponisten. Die türkische Regierung hatte den Musikunterricht niemals verboten, aber auch in keiner Weise, weder pekuniär, noch sonstwie, unterstützt. Die Gemeinden, die den Musikunterricht in ihren Schulen emführen wollten, mußten es auf eigene Kosten tun. Soweit sich die Schulen mit Gesangsunterricht überhaupt befaßten, erstreckte sich dieser nur auf die Pflege der griechischen Kirchenmusik (Psaltyta) und die Heranbildung von Kirchensängern.

Schon nach einem Vierteljahrhundert seit der genannten politischen Amwälzung hatte Bulgariens Kulturarbeit verhältnismäßig große, ja staunenswerte Erfolge aufzuweisen, die sich auf alle Kunstzweige erstreckten. Die rasche Entwicklung der Musik, insbesondere der nationalen, ist auf die hohen Verdienste des damaligen Unterrichtsministers Dr. Schischmanow, eines hochgebildeten und ideal veranlagten Förderers der Künste und Wissenschaften zurückzuführen. Den Grundstein zum musikalischen Ausbau bildeten die Militärkapellen. Wie anderwärts, waren sie auch in Bulgarien die ersten und einzigen musikalischen Kulturträger. Sie erfüllen auch heute noch eine wichtige und segensreiche künstlerische Mission, obgleich Sofia nun auch schon bei seinem prächtigen Nationaltheater ein gutes Opernorchester besitzt. In dem Maße, als Gesang und Musik im Schulunterricht Aufnahme fanden, wuchs auch das musikalischeVereinsleben in Bulgarien, wo heute in allen Städten Gesangß oder Musikvereine tätig sind, die auch treffliche Solokräfte zur Mitwirkung heranziehen. In der Haupt- und Residenzstadt Sofia gibt es auch schon einen Kammermusikverein, der regelmäßig volkstümliche Konzerte veranstaltet, die von einem kunstliebenden dankbaren Publikum zahlreich Besucht werden. Aberhaupt geht die Landeshauptstadt in der Musikpflege mit leuchtendem Beispiel voran. Außer zahlreichen Musik- und Gesangvereinen entfalten daselbst hervorragende Tonkünstler aus der Fremde ihre Tätigkeit.

In den Musikschulen regen sich viele fleißige Hände. Fünf Lehrerpädagogien befassen sich mit der gründlichen Ausbildung von Volkserziehern in der Gesang- und Instrumentallehre zum Zwecke der Unterrichtserteilung in den Volksschulen. Die in den Mittelschulen wirkenden Musiklehrer verdanken ihre Ausbildung größtenteils Konservatorien des Auslandes. Das gesamte Lehrwesen wird vom Unterrichtsministerium mit der größten Sorgfalt und Strenge überwacht. Auch in den Mädchen-Gymnasien ist der Gesang Gegenstand des Unterrichts, und in den Oberklassen der Knaben-Gymnasien tritt als Lehrfaktor der Chorgesang hinzu, an manchen dieser Institute, namentlich in Sofia, auch das Orchesterspiel, das schon die schönsten Erfolge gezeitigt hat.

Vor mehr als zehn Jahren wurde in Sofia, vom Unterrichtsministerium moralisch und materiell unterstützt, eine für später als Konservatorium geplante Musikschule gegründet, in der die tüchtigsten Lehrkräfte, namentlich die treffliche Sängerin Frl. Stojanow, die Herren Naumow, Wiesner u. a. angestellt wurden. Daneben pflegen Privatmusikschulen in Sofia und in den größeren Landstädten die musikalische Ausbildung im Gesang, Klavier- und Violinspiel.

Das Vereinsleben zieht immer weitere Kreise. Seit dem Sommer 1904 existiert in Sofia ein Musikerverband, dessen Mitglieder — Musitlehrer, Kapellmeister und ausübende Tonkünstler — sich die rationelle Musikpflege in Bulgarien zum Ziel gesetzt haben. Diesem Verbände verdankt die erste bulgarische Musikzeitung (Muzikalen Vjestnik) ihr Entstehen. Der Musikerverband propagiert in diesem Organ die systematische Hebung und Förderung der musikalischen Bildung, die Bulgarien in den Stand setzen soll, auf dem Gebiete der Tonkunst mit den europäischen Kulturstaaten erfolgreich in Wettbewerb zu treten.

Die bulgarische Musitliteratur ist zurzeit noch in den ersten Stadien des Werdegangs und fußt vorerst auf dem Volkslieds. Allein darin liegt unstreitig die Bürgschaft einer erfreulichen, gesunden Entwicklung, wie dies bei allen Nationen, deren Musikbestrebungen der Pflege des Volksliedes die kräftigste Förderung verdanken, beobachtet werden kann.

Auch dem bulgarischen Musikunterricht in den Schulen mit Lehrbüchern von Bojdanow, Nikolajew, Paunow u. a. liegt das Volkslied zugrunde. Auf diesem Gebiete hat das Unterrichtsministerium einen bedeutsamen Schritt vorwärts getan, indem es vor einigen Jahren eine Sammlung bulgarischer Volkslieder herausgab, die den bekannten südslawischen Volksliedersammlungen von Ludwig Kuba und J. Machan entnommen wurden. Das Ministerium blieb jedoch dabei nicht stehen und schrieb Prämien aus für weitere Liederbeitrage aus allen Lanbesteilen. Auf diese Weise sollte ein möglichst vollständiger bulgarischer National-Liederschatz entstehen, aus dem die Tonkunst des Landes neue Nahrung schöpfen könnte. Das volkstümlichste dieser Nationalgesänge, das allbekannte „Schumi Maritza" (“Schäume, Maritza!“) lasse ich hier in einfacher Melodie mit deutscher  Übersetzung des Textes folgen:


Dieser Marsch wurde zum ersten Male von den bulgarischen freiwilligen Bataillonen im russisch-türkischen Krieg im Jahre 1878 bei der Erstürmung des Schipkapasses gesungen und ist seither zum Nationallied geworden.

Auch die Melodie des Kriegsmarsches, der auf Befehl des Fürsten Alexander vor und nach der Schlacht bei Sliwnitza von allen Kapellen gespielt wurde und das bulgarische Kriegslied „V boj stupat" („Auf in den Kampf“) enthält, sei hier teilweise wiedergegeben:


Einige charakteristische Volksweisen aus dem reichen Schatz der bulgarischen Nationalgefänge mögen hier noch Platz finden:



Ein besonderes Interesse nahmen die Volkstänze in Anspruch, namentlich der „Choro" und „Das Spiel mit dem Bären". Der aus Griechenland eingeführte „Choro" ähnelt den provenzalischen Farandolen. Eine Schaar junger Mädchen, etwa 25, halten sich bei den Händen und bewegen sich anmutig in einer Art Reigen, während die Vortänzerin dazu singt. Bei dem „Spiel mit dem Bären" verfolgen junge Mädchen einen Mann, der sich in ein Bärenfell gehüllt hat.

Das bulgarische Volkslied spielt auch in den meisten, bisher erschienenen ernsteren Kompositionen für Orchester, Gesang, Klavier und andere Instrumente die Hauptrolle. Eine stattliche Anzahl Tonsetzer, zum Teil auch fremder Herkunft, unter ihnen Bozinow, Bukovestliew, Christew, Georgiew, Zermar, Kaucky, Krstew, Manolow, Naumow, Iwanow und Gabriel Sebek, ist im Lande volkstümlich geworden. Wenn sich ihre Werke noch nicht der allgemeinen Verbreitung erfreuen, so liegt das hauptsächlich an dem Mangel an größeren Orchestern und einer rationellen Vertriebsorganisation. Infolgedessen werden größere einheimische Tonschöpfungen nur verhältnismäßig selten dem Publikum zu Gehör gebracht. Es kommt hinzu, daß nur wenig Musikverleger (darunter Kasarow in Sofia und Edrew in Kazanlik — ein dritter,   Galunsky   in  Philippopel,   stellte seine  Tätigkeit ein —) bestehen. Jedoch befassen sich schon mehrere Firmen — u. a. Roglew in Rustschuk, Bazajtow in Sofia und Nitsche in Varna — mit dem Notendruck. Es wurden auch schon Preise für die besten Kompositionen ausgeschrieben, darunter einer für die gelungenste Vertonung einer Festkantate bei der Enthüllung des Denkmals Alexanders II.

Unterdessen geschieht das Möglichste, um auf der Bühne des herrlichen Nationaltheaters zu Sofia, das unweit des Königspalastes errichtet ist, die bekanntesten Werke des modernen Spielopern-Repertoires an mehreren Tagen der Woche in durchaus würdiger Wiedergabe heimisch zu machen, und zwar soweit wie möglich, gerade mit bulgarischen Kräften, die sich durch nichts so ermuntert und zu immer höheren Leistungen angespornt fühlen, als durch die überaus liebevolle, geradezu unermüdliche Patronanz des Königs und der königlichen Familien

       König Ferdinand ist ja von Hause aus ein begeisterter Musikfreund, der seinen persönlichen Einfluß auf die wachsende Entwicklung der Musikpflege in Bulgarien stets geltend gemacht hat. Es findet auch kein namhaftes Künstlerkonzert in Sofia ohne seine persönliche Anwesenheit statt, und so mancher konzertierende Virtuose aus dem Auslande kann sich rühmen, des Königs Gast bei Hofe gewesen zu sein.

        So wirken in dem jungen, ruhmvollen Königreiche alle Faktoren zusammen, um dem Musikwesen einen kräftigen Aufschwung zu verleihen, sodaß es mit dem allgemeinen kulturellen Streben des Volkes gleichen Schritt hält. Eine Gewähr dafür liegt allein schon in der innigen Liebe der Bulgaren zu ihren Volksgesängen.


Das bulgarische Schrifttum.

Von Dr. Georg Adam.

 
        Jahrhundertelang schien das bulgarische Volk aus dem Buche des Lebens gestrichen, kaum sein Name noch wurde in Europa genannt. Verschollen war auch das bulgarische Schrifttum, das doch zu den Zeiten des gelehrten und klugen Zaren Simeon (888—927) ein „goldenes Zeitalter“ erlebt hatte, obzwar es sich nicht aus dem Banne der byzantinischen religiösen Literatur hatte lösen können. Lebendig aber blieb durch alle Zeit der unveräußerliche Schatz der Volksdichtung; da sang das Bauernvolk in den Tälern des Balkan bei der Arbeit auf den Feldern, am Abend in den Spinnstuben seine Lieder von den schlichten Freuden und Leiden des Tages, von den Taten der Hajduken, der Räuber in den Bergen, oder alte Mären von dem Riesenhelden Krali Marko; es hielt in der langen Zeit der Dämmerung seinen Geist aufrecht an jenen Liedern, die nicht nachstehen jenen serbischen, die in Deutschland keine geringeren Fürsprecher fanden als Goethe, Herder, Grimm.

Lange bevor das Land zu politischer Selbständigkeit gelangte, begann der bulgarische Geist sich bewußt zu neuem Leben zu regen. Da schrieb in der Einsamkeit eines Klosters auf dem Berge Athos der Mönch Paisij in der zweiten Hälfte des l8. Jahrhunderts eine Geschichte des bulgarischen Volkes, in der er durch die Erinnerung an ihre vergangene und vergessene Größe in seinen Landsleuten das Bewußtsein des eigenen Wertes zu wecken suchte. Ganz allmählich fingen nun einfache Lehrer auf dem Dorfe an, Grammatiken zu schreiben, kleine Liederbücher zusammenzustellen, hie und da gar selbst ein gut gemeintes freies Lied zu wagen. Um die Aufzeichnung der Volkslieder mühten sich eifrig die Brüder Dimitr und Konstantin Miladinoff vom Ufer des Ochridasees, deren Sammlung mit Unterstützung des kroatischen Bischofs Stroßmajer im Jahre 1861 in Agram erschien.

Der Erste, der nachhaltig und führend die eigenen Bestrebungen der Bulgaren auf dem Gebiete der Literatur aufnahm, war Petko Slawejkoff (1829 bis 1895), den das bulgarische Volk mit dem Ehrennamen „Großvater Slawejkoff“ nennt; gewiß ist ihm reines dichterisches Streben nicht abzuerkennen, sein praktischer Zweck aber war, mit seinen bulgarischen Liedern die griechischen und türkischen aus den Büchern und den Gemütern zu verdrängen. Wollte er vor allem durch den Kampf um die kirchliche Unabhängigkeit gegen die griechische Geistlichkeit sein Volk zur Selbständigkeit leiten, so erhoben sich bald neben ihm stürmischere Geister, die zu den Waffen riefen und den Kampf gegen die türkische Herrschaft verkündeten, so Georg Rakowski, Ljuben Karaweloff und der romantische Dichter-Held Christo Boteff, der ander Spitze einer Insurgentenschar im Jahre 1876 den Tod fand. Mit ursprünglicher Kraft entströmten seine Lieder der Kämpferseele, entflammten die Jugend und rissen die Gefährten stürmend mit sich fort; um des Kampfes willen für sein Volk, um stolzer Hajduk zu werden, verließ er die geliebte Mutter, rief er der Braut zu:

 

Du hast eine Stimme so jugendschön,

Doch hörst du das Lied, das der Berg uns singt?

Und hörst du der Armen Schmerzensgestöhn?

Sieh, das ist das Lied, das mein Herz bezwingt,

Das fort mich reiht in stürmender Flut

Zu jenen, die ächzen in Tränen und Blut.

 

O laß deine Lieder, vergiftet sind sie!

Und lausche der Berge klagendem Klingen

Und lausche des tobenden Sturms Melodie,

Wie Worte an Worte sie reihen und singen,

Ein Lied von der Vorzeit leuchtenden Tagen

Ein Lied von des Heute Leiden und Klagen.

 

Um dieselbe Zeit ließen Wojnikoff und Drameff in ihren historischen Dramen die Kämpfe und Siege der Bulgaren früherer Zeiten anspornend vor den Augen der Gegenwart erstehen.

Nach der Befreiung sah das bulgarische Volk das moderne Leben vor sich offen, vorwärts getrieben von neuen Wünschen, Plänen und Hoffnungen. Wohin nun? Zur Kultur! Und es begann ein emsiges Schaffen, ein hastiges Streben und Suchen, das natürlich nicht ohne Schwanken hie und da vor sich gehen konnte. Die Periode der ersten Zeit nach der Befreiung vertreten in der Literatur Männer, welche die letzten Jahre der wilden Kämpfe noch selbst mitgelebt, denen es aber vergönnt war, mit ihrem Volke hinüberzugehen in die Zeit der Unabhängigkeit und der freien Entwicklung. Sie bilden heute die Gruppe der Alten. Der hervorragendste Name ist hier Iwan Wasoff (geboren 1850), der populärste lebende bulgarische Dichter; er hat in seinem Romane „Unter dem Joch" ein farbenreiches Gemälde des Lebens und Kampfes des Bauernvolkes aus den letzten Jahren der Türkenzeit entworfen, hat die Taten des serbisch-bulgarischen Krieges gefeiert, dem Schmerz um das Schicksal der unerlösten mazedonischen Brüder herzlichen Ausdruck verliehen und auch zuletzt in den Balkankrieg sein Volk treu begleitet. Ein Bild aus Mazedonien gibt:

 

                                            Das Lied in der Nacht.

 

Ochrida schläft...   Als wär's vom Grab verschlungen.

Es ruhen Mann und Weib in dumpfem Traum.

Da tönt durch's stille Haus, erst hörbar kaum,

Ein Freiheitslied, von Kindermund gesungen.

 

Frau, heiß sie schweigen — ruft der Mann erschreckt,

Getroffen von des Liedes Zauberkraft,

Geh, geh ... nein, wart noch ... ach, Verderben schafft

Uns solches Lied, das Sturm und Donner weckt.

 

Was soll das Lied? schnell, mach ein End' dem Singen!

Wollen sie Ketten meinen Händen bringen?

Geh...Wart... Laß mich die Worte nur verstehen...

 

O weh! mit Angst packt mich die Melodie,

Furchtbare Worte... doch wie wohl tun sie...

O Heilger Gott, sei gnädig ihrem Flehen!

 

Weniger in Romanen als in einer ganzen Reihe kleinerer Erzählungen suchte Wasoff dem neuen Leben beizukommen, so recht zu Hause aber fühlt er sich im Schöße der Berge des Balkan, deren Schönheit und Zauber er mit treuherziger Liebe und Schlichtheit besingt, oder wenn er sich zurückzieht in die ruhmreichen Zeiten der Vergangenheit, um in historischen Romanen und Dramen die alte bulgarische Zarenherrlichkeit erstehen zu lassen.

Weniger nationale Eigenart findet sich bei seinem Schaffensgenossen KonstantinWelitschkoff (gest. 1907), dessen Lyrik vorwiegend unter italienischem Einflüsse geblieben ist; um die Vermittlung der europäischen Literatur hat sich Welitschkoff durch seine von feinem Verständnis zeugenden Übersetzungen reiche Verdienste erworben. Inbissigen satirischen Dichtungen verfolgt Stojan Michajlowski (geb.  1856)  das  Leben und die Zustände seines Landes.

Ein satirischer Ton klingt auch in den „unwahrscheinlichen Geschichten von einem zeitgenössischen Bulgaren" des humorvollen Aleko Konstantinoff (1863 bis 1897), der seinen Baj Ganju, d. h. Gevatter Ganju, den im ganzen Lande sprichwörtlich gewordenen Typus des ungebildeten Bulgaren, in „Europa", in Wien, Dresden, Prag, in allerlei komischen Erlebnissen, die bald an Tartarin, bald an Onkel Bräsig erinnern, zu Hause aber als skrupellosen Geschäftspolitiker zeigt.

An der Spitze der eigentlichen modernen bulgarischen Literatur steht Pentscho Slawejkoff, der Sohn Petko Slawejkoffs (geb. 1866). Ersteht in vielen Seiten seines Wesens und seiner Werte dem Deutschen Verständnis am nächsten. Selbst zu Sinnen und Träumen geneigt, fühlte er sich in natürlicher Folge nach Deutschland gezogen, wo er sich, in Leipzig und Berlin, die Werke Deutschen Geistes zu eigen machte; hier verfehlte auch die Philosophie Nietzsches auf ihn nicht ihre Wirkung. Zu ihm sprechen in Schaffensschmerzen und Lebensqualen ringende Gestalten wie Beethoven, Lenau, Shelley, Michel Angelo. Neben solchen Dichtungen in seinen „Epischen Liedern" und der Sammlung von der „Insel der Seligen" stehen andere, die ihn als den treuesten Sohn seines Volkes zeigen; bald läßt er es wie unmittelbar zu Worte kommen, wie in seinen aus der Volksdichtung schöpfenden „Weihnachtsängern" und „Hochzeitsliedern", bald besingt er in feierlichem Ernst die stolze Schönheit seines Balkan und die Leiden seiner Kinder, gedenkt der vergessenen Helden, die für das Vaterland gefallen sind, bald gibt er mit liebevollem Gefühl für das Kleinste zarte. Naturstimmungen voll milder Melancholie:

 

Gar bitter hat die Nacht geweint,

Heimlich, wie eine Waise weint,

Daß ihrer nicht achtet der lichte Tag,

Nicht achtet, was da kränken mag

Ihr Herz, und daß ihr Antlitz mild

Der schwarzen Trauer Ebenbild ...

 

Und als das Frührot aufgestiegen,

Sieht rings man auf der Erde liegen

Einen Teppich, Tränenperlentau:

und in jedem Tropfen auf der Au

Spiegelt der Tag sich stolz und licht —

Und geht dahin und achtet ihrer nicht.

 

Als sein Lebenswerk betrachtete Pentscho Slawejkoff das große Epos „Das Lied des Blutes" („Krwawa pesn“), in dem er nach dem Vorgange des polnischen Dichtergenius Adam Mickiewicz, der das Nationalepos „Pan Tadeusz" schuf, den Befreiungskämpfen seines Volkes und dem ganzen bulgarischen Leben jener Zeit ein Denkmal zu setzen trachtete; im Eingange, dem „Präludium", feiert er den „alten Vater Balkan", den Schützer seines Volkes:

 

Die Stirn gefurcht, umwallt von Nebelflor,

Neckt weit und stolz der Balkan sich empor.

In hohem Heldentraum entrückt der Welt,

Ein alter Krieger, der die Wache hält

Dort ob dem jungen Kriegsvolk, dessen Lager

Sich unabsehbar breitet....

 

Pentscho Slawejkoff war der Erste, der ein ursprüngliches Bulgarentum mit höchster europäischer Geisteskultur in seinen Dichtungen zu einem eigenen Neuen verschmelzen konnte. And so stark ist dabei das Bulgarische in ihm, daß selbst sein Bild des Übermenschen einen Zug annimmt aus jenen byzantinischen Heiligenbildern, die seit Jahrhunderten im Dämmer, der bulgarischen Kirchen schimmern. Eines der letzten Werke Pentscho Slawejkoffs, er starb im Jahre 1912, ist eine Sammlung von Übersetzungen deutscher Dichter von Goethe bis Ricarda Huch.

Ein ganz anderes Temperament, stürmischer, aber auch unstet, tritt uns in Kiril Chriftoff (geb. 1875) entgegen, der den überernsthaften Leuten seine „heilige Devise" „Weib und Wein" keck entgegenwarf.

 

Gleichwie im Traum die Tage ihm verflogen —

Fort in die Welt beim ersten Tagesgraun!

Denn jung war er. Des Meeres Sturm und Wogen

Vermocht' er nicht vom Ufer nur zu schaun.

 

Er eilte fort, hinaus in wilder Fahrt

Zu unbekannten Landen und Gestaden,

Wo stets ein froher Kreis sich um ihn schart,

Und lockend immer Wein und Weiber laden.

 

Und Jahr auf Jahr entflieht in tollem Jagen.

Ein Traum war es, ein Traum aus Märchenland —

Und Leben doch. Und ohne Geiz und Zagen

Gibt seine Jugend er mit voller Hand,

 

Nie kann Genügen ihm das Leben schaffen.

Denn an die Erde klammert sich sein Sinn.

Da plötzlich fühlt er seinen Arm erschlaffen

Und drohend tritt das Alter vor ihn hin.

 

Es kommt ein Tag — verwundert sucht sein Blick:

Was will mir dieses unbekannte Land?

Das Schiff macht halt — die Alten läßt's zurück —

Und weiter fliegt's, der Ferne zugewandt.

 

Da erst wird sich sein trunkner Sinn bewußt,

Die Wirtlichkeit erkennt des Greises Blick —

Doch nicht reut ihn der Jugend wilde Lust

Und ohne Klage trägt er sein Geschick.

 

So sehen wir den Dichter von stürmendem Verlangen nach Leben aus der engen Heimat getrieben, an italienischer Sonne erhitzt in glutvollen Liebesliedern schwelgen, sehen den Heimgekehrten die ewig frischen Feldblumen der Volksdichtung spielend zu einem Feenstrauhe binden oder mit sarkastischem Lächeln dem Alltagstreiben seiner, Landsleute zuschauen. Als Neues, zum Teil von einer Reise nach Deutschland mitgebracht, läßt der nachdenklicher gewordene Dichter ein „Intermezzo" folgen, ein Buch der Visionen, durch das „die Liturgie der Ewigkeit" klingt. In den „Zaren-Sonetten" findet er zur Erde zurück und in sein Vaterland, das so arm ist und doch so reich an gläubig gehegten stolzen Träumen. Auch auf dem Gebiete des Dramas hat sich Kiril Christoff versucht und hat besonders mit dem Versdrama „Bojan der Zauberer" nächst den historischen Schauspielen Wazoffs auf der Bühne des im Jahre 1907 eröffneten Sofianer Nationaltheaters einen beträchtlichen Erfolg erzielt.

Eine düstere Färbung tragen die nicht minder formvollendeten Dichtungen von Peju Jaworoff (1877—1914), um deren erhabene und wilde Träume, bevölkert von Schatten und Dämonen, verhalten durchzittert von irdischer Leidenschaft, Klang und Bewegung der Worte harmonisch sich schmiegt. In seiner „Hajdutensehnsucht" gibt er poetisch stimmungsvolle Schilderungen seiner Erlebnisse als mazedonischer Freischärler, der Streifzüge durch die Berge, seiner Begeisterung, Hoffnungen und Enttäuschungen. In jener kampfesfrohen Zeit sang er sein Hajdutenlied:

 

Der Tag, der Tag verrinnt, in heimlichen Gehegen,

Die Nacht, die Nacht beginnt, auf unbekannten Wegen —

Hab' Vater nicht noch Mutter,

Kein Vater wird mir fluchen,

Kein Mutteraug' mich suchen,

Hei, meine Berge, Fels und Gestein,

Rot funkelt, rot

Von Stambul der Wein!

 

Dem Feinde bittrer Feind, nur Haß um Haß soll walten.

Dem wackren Freunde Freund, und Treue treu gehalten —

Hab' Bruder nicht noch Schwester,

Kein Bruder rühmt sich mein,

Es klagt kein Schwesterlein,

Hei, blanker Säbel, treu meiner Hand,

Zu Feuer wird Wasser

In Odrin(1) gebrannt!

 

Im Himmel Gottes Macht, dort oben, droben weit,

Des stolzen Kaisers Pracht, währt ewig seine Zeit?

Hab' weder Liebchen, weder Braut,

Daß sie nach mir verlangte,

In Tränen um mich bangte.

Hei. du mein feuriges Lieb, mein Gewehr,

Schlank sind die Mädchen

Am weißen Meer!(2)

 

In letzter Zeit hat sich Jaworoff dem Drama zugewandt, indem er charakteristische Gestalten und Konflikte der modernen Zeit auf die Bühne brachte.

Dem von Pentscho Slawejkoff gewiesenen Wege zur Volksdichtung ist in besonderer Weise Petko Todoroff (geb. 1879) gefolgt. Seine Skizzen und Idyllen zeigen das bulgarische Volk nicht im kleinlichen Leben des Alltags, seine Menschen und ihre Erlebnisse haben stets etwas Außergewöhnliches, Feierliches an sich. Häufig nimmt Todoroff Form und Stoff fast unverändert aus den Sagen und Märchen des Volkes. Doch indem die Gestalten durch das Herz des Dichters gehen, vertiefen sich ihre Erlebnisse an philosophischem Gehalt und werden zu Symbolen des Menschengeschicks. Diese seine eigene Art hat Todoroff auch in dramatische Form zu fassen gesucht, so in seinem „Kirchenbau", „Die Bergfee" u. a.

Eine fest gegründete Kraft lebt in Anton Straschimiroff (geb. 1875), der in Erzählungen und Dramen in der schlichten und doch so ausdrucksvollen Sprache des Volkes zu Herzen gehende Bilder aus dem Leben des Dorfes zu entwerfen weiß. Ganz und fest auf der Erde steht Elin-Pelin. Seine Welt ist und bleibt das Dorf, und jedes seiner anspruchslosen Geschichtchen ist für den Leser einen Tag auf dem Lande wert.

Aufs engste verbunden mit der modernen literarischen Bewegung Bulgariens ist der Name K. Krsteffs, der sich nicht nur als verständnisvoller Kritiker die größten Verdienste erworben hat, sondern auch durch die Herausgabe der Zeitschrift „Der Gedanke" (Misl), die siebzehn Jahre lang den Sammelpunkt der besten Kräfte des jungen Bulgariens bildete.

1) Adrianopel.
2) Das ägäische Meer.




Bulgarische Lyrik

 Deutsche Übertragung zweier Volksdichtungen von unbekannten Verfassern

 

1.

 Das Mädchen hat versperrt die Tür.

Auf daß sie öffne, was geb ich ihr?

Ich gab ihr süße Trauben,

Den Eintritt Zu erlauben.

Sie öffnete auch nicht die Tür,

Als schönes Obst ich reichte ihr,

Doch vor einem schönen Jungen

Die Tür ist aufgesprungen.

 

2.

          Eiche, dunkle Eiche

In des Waldes Grund,

Sieh, dein Laub, das bleiche,

Welkt Zu früher Stund.

Ich auch welke, leide

Noch an fahren jung.

Warum schwinden beide

Wir dahin so jung?

Nebel senket nieder

Schwer sich auf mein Haupt,

Nimmer frohe Lieder

Tonen da heraus.

Sonnen zwei einst schienen

Mir so warm und hehr,

Keine doch von ihnen

Wärmt und leuchtet mehr.