Bulgarien und die Zentralmächte.

Von Dimitri Rizow, Kgl. Bulgarischem Gesandten in Berlin.

 
        Seit dem Beginn des großen europäischen Krieges hat Rußland sich nicht geniert, offen zu erklären, daß es diesmal für die Erwerbung Konstantinopels und der Dardanellen und die Umwandlung des Schwarzen Meeres in einen russischen See kämpfe. Diese russische Erklärung kam für jeden denkfähigen Bulgaren einer Proklamierung der Vasallenschaft Bulgariens gegenüber Rußland gleich. Denn: sobald Rußland einmal in Konstantinopel und an den Dardanellen ist, muß es auf ihre Verteidigung bedacht sein, und man weiß wohl, daß es sie zu Lande nur verteidigen kann, wenn es den großen bulgarischen Balkan militärisch und moralisch besitzt, das heißt durch militärische Okkupation oder durch Einsetzung einer neuen bulgarischen, Rußland blind ergebenen Dynastie. In beiden Fällen wäre Bulgarien der Vasall Rußlands. Und noch schlimmer. Da Bulgarien durch seine Religion, seine Sprache und seine Vergangenheit das Rußland nächststehende Land ist, so hätten für Rußland zwei oder drei bulgarische Generationen genügt, um es sich zu assimilieren, was auf den politischen und nationalen Selbstmord Bulgariens herauskäme.

Unter solchen Umständen hatte Bulgarien keine Wahl. Es konnte sein Geschick nur mit den Geschicken der beiden Zentralmächte und der Türkei verbinden.   Denn das bulgarische Problem wurde komplizierter und nahm eine solche Gestalt an, daß man es auf anderem Wege nicht lösen konnte. Und in der Tat, dieses Problem war jetzt ein dreifaches:

1. Es gilt, die nationale und politische Einigung des bulgarischen Volkes zu verwirklichen.

2.  Es gilt, nicht zu gestatten, daß Serbien größer als Bulgarien wird.

Und

3. es gilt, zu verhindern, daß Rußland sich Konstantinopels bemächtigt und das Schwarze Meer in einen russischen See verwandelt.

Es war das ein neuer historischer Weg für Bulgarien, in den es auf jeden Fall einlenken mußte, wenn es nicht unter der russischen Vormundschaft und unter dem serbischen Alpdruck während zweier oder dreier Generationen vegetieren und dann seine politische und nationale Existenz verlieren wollte.

 

Der Handel und die finanziellen Beziehungen zwischen Deutschland und Bulgarien.

 Vom Kgl. Bulgar. Finanzminister Dimitri Tontscheff.

 
        In dem Augenblick, da der deutsche und der bulgarische Soldat gemeinsam für teure Interessen ihres Vaterlandes kämpfen, da das friedliche Leben zwischen den Völkern zerstört ist, mag eine Darstellung von Handels- und finanziellen Beziehungen gegenstandlos und sogar unnötig erscheinen. Politische und militärische Errungenschaften und Erfolge stehen über allem und beanspruchen die ganze Aufmerksamkeit. Wir fragen uns nicht mehr, welche Erfolge nahe und ferne Völker im Gewerbe und Handel aufweisen, denn längst hat der normale Handel aufgehört, die Märkte sind längst geschlossen und der Verkehr ist unterbrochen.

Dieser Zustand kann aber nicht mehr sehr viel länger andauern.

Bald werden die Völker zu friedlicher Arbeit zurückkehren, sie werden ihre Handelsbeziehungen wiederherstellen; sie werden noch eifriger ihre Arbeit wieder aufnehmen und neue Güter und Reichtümer schaffen. Landwirtschaftliche Gebiete werden schnell ihre Erzeugnisse zum Austausch gegen Fabrikwaren versenden, man wird Anleihen suchen zum Aufbau des durch den Krieg Zerstörten, zur Erneuerung der Wirtschaftsmittel, zur Befestigung der Schulden. Dieser Austausch wird, wenigstens in der ersten Zeit, zwischen befreundeten Ländern geschehen; die Nähe und die Gleichheit der politischen und staatlichen Interessen wird diese Völker noch enger in ihren Handels- und finanziellen Beziehungen verbinden.

Der Krieg kann noch andauern, aber er kann nicht ewig währen. Die Tage der Arbeit und des Austausches der Erzeugnisse werden schnell kommen. Die befreundeten Staaten müssen daher ihre Kräfte in der Erzeugung und im Verbrauch gut kennen lernen. Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Bulgarien können nicht erst nach Eintritt des Friedens verstärkt werden, sondern schon bei der ersten unmittelbaren Berührung, sofort nachdem ein freier Verkehrsweg zwischen beiden Ländern geschaffen ist. Durch den Handel werden wir uns noch näher kennen lernen, werden wir unsere Freundschaft noch enger gestalten.

Umfassendere Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Bulgarien sind noch nicht alt, aber in jedem Jahre haben sie sich gesteigert. Vor einem Vierteljahrhundert hat Deutschland für ungefähr 5 Millionen Lewa jährlich Waren nach Bulgarien eingeführt, und Bulgarien nach Deutschland kaum für 1 Million. 25 Jahre später war die deutsche Einfuhr nach Bulgarien auf 54 Millionen Lewa gestiegen, und die bulgarische Ausfuhr nach Deutschland auf 20 Millionen Lewa. Bis 1906 hatte Deutschland mit dem bulgarischen Staat oder bulgarischen Gemeinden keine Anleihe abgeschlossen. Die erste Anleihe in Deutschland ist mit der Gemeinde Sofia 1906 auf den Betrag von 35 Millionen Lewa abgeschlossen worden, die erste Staatsanleihe von 500 Millionen Lewa 1914. Die statistischen Angaben, die für die Handels- und finanziellen Beziehungen zwischen Deutschland und Bulgarien hier folgen, zeigen uns, daß den beiden Ländern eine gute Zukunft vorbehalten ist und daß diese Beziehungen schon in kurzer Zeit eine wesentliche Steigerung und Entwicklung erfahren werden.

 

I. Allgemeine Beträge für Einfuhr und Ausfuhr zwischen Deutschland und Bulgarien.

 

 

Einfuhr*)

Ausfuhr

Im ganzen Außenhandel

Einfuhr

Ausfuhr

 

aus

aus

Bulgariens

aus

nach

 

Deutschland

Bulgarien

 

 

 

 

Jahre

nach Bulgarien

nach

Deutschland

Einfuhr

Ausfuhr

Deutschland in Prozent.

Deutschland in Prozent.

 

in

in

in

in

der ganzen

der ganzen

 

Lewa

Lewa

Lewa

Lewa

Einfuhr

Ausfuhr

1891

4 916 761

1 044 921

81 348 150

71065 085

6.04

1.47

1892

8 297 120

13 016 180

77 303 007

74 640 354

10,73

17,44

1893

12 060 058

15 818 460

90 867 900

91 463 653

13,27

17.30

1894

12 098 553

11 951 960

99 229 193

72 850 675

12,19

16.41

1895

8 758 935

13 428 148

69 020 295

77 685 546

12,69

17.28

1896

8 589 863

20 453 746

76 530 278

108 739 977

11,22

18,81

1897

10 623 657

7 784 811

8.5 994 236

59 790 511

12,65

13,02

1898

9 390 544

7 18143!

72 730 250

66 537 007

12,91

10,79

1899

8 543 088

3 696 138

60 178 079

53 467 099

14,20

6,91

1900

5 614 989

5 766 190

46 342 100

53 982 629

12.12

10,68

1901

9 828 539

8 798 701

70 044 073

82 769 759

14,03

10,63

1902

8 555 634

10 608 986

71246 492

103 684 530

12,01

10.23

1903

10 917 949

9 277 997

81802 581

108 073 639

13,35

8,58

1904

19 976 482

12 216 031

129 689 577

157 618 914

15,40

7,75

1905

21 030 505

11 708 920

122 249 938

147 960 688

17,20

7,9!

1906

16 224 543

15 409 730

108 474 373

114 573 356

15,-

13,40

1907

19 660 448

17 021 884

124 661 089

125 594 697

15,8

13,6

1908

20 847 445

11 626 286

130 150 642

112 356 997

l6,-

10,4

1909

29 214 932

13 523 462

160 429 624

111 433 683

18,21

12.13

19I0

34 120 199

14 218 297

177 356 723

129 052 205

19,24

11,02

1911

39 836 757

23 911 569

199 344 808

184 633 945

19,98

12,41

1912

43 526 253

24 583 882

213 110 269

156 406 624

20.43

15,72

1913

37 079 215

16 884 162

171 251 052

93 204 639

2l, 65

18,12

1914

53 841 196

20 159 733

241 490 314

154 424 990

22,29

13.12


* 1 Lew in Friedenzeiten – 1 Franc

 
ll. Einfuhr und Ausfuhr zwischen Deutschland und Bulgarien

nach Art der Waren.

 
A. Einfuhr aus Deutschland nach Bulgarien.

 

Art

1891

1896

1901

1906

1907

1908

1909

1910

I911

1912

der Waren

 

 

 

Wert in Tausenden Lewa

 

 

 

 

Chemikalien .

7,9

61,9

512,0

171,1

317,6

333,0

339,9

373,7

416,0

430,3

Farben und Lacke   ....

121,0

196,9

277,8

538,4

625,0

5l9,8

699,5

778,7

1162,1

1170.7

Medikamente

49,9

120,2

194,3

229,5

276,0

263,0

328,2

417,2

474,7

438,3

Metalle und Metallwaren

 

Bedarf d. Papierindustrie und Papierwaren. . . .

1681,7

 

 

49,7

2657,3

 

 

113,1

1638,8

 

 

143,4

3274,1

 

 

350,6

4697,4

 

 

549,4

5106,3

 

 

561,6

5953,7

 

 

512,5

7577,7

 

 

598,6

8204,5

 

 

790,0

9926,3

 

 

680,3

Felle u. Fellwaren....

288,7

506,2

462,8

1008,1

980,0

962,3

1030,8

1265,7

1840,7

1624,0

Gewebe   . . .

901,8

2685,3

2934,4

5228,3

5995,0

6237,7

7622,8

7869,9

9396,4

9736,2

Eisenbahnwagen, Wagen u. Schiffe

164,8

386,9

1145,6

595,5

525,6

1278,6

2191,8

2359,0

2853.2

1668,0

Maschinen, Instrumente und Geräte.

585,5

800,1

1712,4

3043,8

3683,5

3458,7

7821,7

8021,6

10377,7

11412,6

Kleine Waren u.   Schmuck-Gegenstände.

 

Gegenstände der Literatur und   Kunsterziehung, .

176,7

 

 

 

18,9

181,5

 

 

 

47,8

94,5

 

 

 

53,0

418,8

 

 

 

195,6

388,1

 

 

 

222,3

317,3

 

 

 

231,5

468,6

 

 

 

271,5

480,4

 

 

 

398,4

587,7

 

 

 

340,7

537,9

 

 

 

308,5

 

B. Ausfuhr aus Bulgarien nach Deutschland

 

Art

l89l

1896

1901

1906

1907

1908

1909

1910

1911

1912

der Waren

Wert in Tausenden Lewa

Nahrungsmittel aus Tieren   . . .

7,9

11,5

2016,7

6834,0

6373,8

3979,9

6694,4

6541,7

10807,1

11380,0

Körnerfrüchte und Erzeugnisse daraus

 

Früchte,   Gemüse, Sämereien     und Pflanzen.

804,9

 

 

-

19824, 2

 

 

14,l

6016,8

 

 

93,4

6065,9

 

 

14,9

9336,8

 

 

22,5

6168,0

 

 

19,1

4414,6

 

 

142,7

4846,6

 

 

121,9

7088,5

 

 

442,5

6448,9

 

 

800,1

Parfümerien

1,8

386,8

231,3

317,8

689,3

689,3

l 089,2

1407,0

2723,0

4383,6

Felle u. Fellwaren. . . .

193,0

138,6

l42,1

157l,7

349,1

140,1

568,3

561,5

753,1

1013.7

 

In Deutschland abgeschlossene Staats- und Gemeindeanleihen.

 

Bezeichnung der Anleihe

Ursprünglicher Betrag Lewa

Hiervon im Umlauf am l. August 1915

Lewa

5% Anleihe der Stadt Sofia, abgeschlossen mit der Berliner Handels-Gesellschaft, Berlin 1906 . . .

 

5% Staatsanleihe, abgeschlossen mit der Direktion der Diskonto-Gesellschaft, Berlin I9l4.........

35 000 000

 

 

 

500 000 000

33 397 000

 

 

 

250 000 000

 

Möge der Leser bei obigen Zahlen etwas verweilen; er wird aus ihrer Sprache verstehen, daß die Zukunft gute wirtschaftliche und Handelsbeziehungen in Aussicht stellt. Und diese Beziehungen werden auch politisch gefestigt werden.                            D. Tontschew.


 

Bulgariens leitende Staatsmänner.


 
Von R. von Mach, kgl. bulg. Oberstleutnant a. D., Balkanberichterstatter

der Kölnischen Zeitung.

 
        In unserem demokratischen Bulgarien kann es keine Diktatoren geben. So machtvoll auch einzelne Persönlichkeiten sich über die Menge erheben und Spuren ihres Wirkens hinterlassen mögen, so sind sie doch stets von dem Empfinden des Volkes getragen gewesen, das sie emporgehoben oder über sich erhalten sich geduldet hat. Stambolow, der mächtige Volkstribun der achtziger und des Anfangs der neunziger Fahre, war der Ausdruck des Bulgarischen Volkswillens, auch gegen Rußland die Freiheit und Unabhängigkeit des Landes zu verteidigen. Und als dieses Ziel in seiner Erreichung sicher wurde und damit die straffe, schroffe Art Stambolows entbehrlich wurde, da war auch der Rücktritt Stambolows von der Leitung der Staatsgeschäfte möglich, vielleicht erforderlich geworden.

Die heutigen Zeiten ähneln denen, da Stambolow in Bulgarien das Ruder führte. Es gilt heute wie damals die Freiheit und Unabhängigkeit des Landes zu verteidigen. Vor allem gegen Rußland, dessen Mißgunst die Ursache der Beraubung Bulgariens durch seine Nachbarn 1913 gewesen ist und das 1916 sich geweigert hat, wenigstens Serbien zur Herausgabe des Raudes zu zwingen. Weil die bulgarische Volksseele sich gegen diese Mißhandlung erhebt, sind Männer emporgetrieben worden, denen das Volk die Führung in ernsten Tagen anvertraut, von denen das Volk weiß, daß in ihnen die Kraft und der Wagemut ruhen, nach nüchterner, umsichtiger Erwägung die ganze Volkskraft zur Erreichung des Zieles einzusetzen. In diesen Tagen der Gefahr haben sich die Bulgaren aller Parteien aneinandergeschlossen und erkennen bis auf wenige Ausnahmen willig an, daß die rechten Männer an den rechten Plätzen sind.

Als leitende Staatsmänner müssen wir die Führer der drei Regierungsparteien ansehen, der Liberalen (Radoslawisten), der Jungliberalen (Tontschewisten) und der Nationalliberalen (Stambolowisten).

Dr. Wassil Radoslawow, der Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen, ist schon vor 29 Jahren mit dem selben Amt betraut worden. Es war die Zeit der Stürme nach der Abdankung des ersten bulgarischen Fürsten Alexander I., des Battenbergers. Entthronung, Rückkehr und freiwillige Abdankung drängten sich in die Zeit weniger Wochen zusammen. An Stelle des selbst auf Kosten Bulgariens zur Aussöhnung mit Rußland bereiten Fürsten trat die Regentschaft Stambolow-Mutkurow-Shiwkow, in der Stambolows Wille herrschte, der Wille zum Kampf gegen einen unerbittlichen Gegner, der Wille zum Siege. Stambolow schrieb damals die Verse:


Herr, mein Gott, du mußt uns hören!

Das im Kampf sich treu bewährt,

Lösch nicht aus des Volkes Namen,

Weil es seine Freiheit ehrt!

 
Herr, mein Gott, du mußt uns hören!

Soll Bulgarien untergehn,

Laß der Feinde Siegestaumel

Kein Bulgarenauge sehn!

 
Laß zerstampft von Feindesrossen

Und zerstückelt von Geschossen —

Rächer laß uns auferstehen!

 
        Um diesem Fluge der Gedanken zu follgen, um diesen Willen Tat werden zu lassen, bedurften die Regenten eines sich eignenden Ministerpräsidenten. Die Wahl fiel auf einen 27jährigen Mann, der soeben seine Studien auf Deutschen Hochschulen beendet hatte und in sein Vaterland zurückgekehrt war: den Doktor der Rechte Wassil Radoslawow. Ich lernte ihn damals kennen und sehe genau seine Gestalt vor mir. Er war ein schlanker, blonder Mann, um dessen Lippen gern ein etwas spöttisches Lächeln zuckte; in seinem offenen Blick lag Kampfesfreude und Siegeszuversicht. Wenn er zum Volke sprach, so warf er den Kopf zurück; eine schwere Faust ballte sich, bereit, Widerstrebende zu zerschmettern. Er war der Mann, den man brauchte. Damals zog allmählich in das Gefühl des Bulgaren nicht ohne Überraschung die Erkenntnis ein, daß Bulgarien auch ohne Rußland leben und gedeihen konnte, sogar gegen Rußland. Das war damals sehr neu.

Als Prinz Ferdinand von Coburg 1887 die Regenten ablöste, war Radoslawows Aufgabe erfüllt; er trat zurück, und es war natürlich, daß der bisherige Regent Stambolow nunmehr als Ministerpräsident der erste Ratgeber des neuen Fürsten wurde.

Später ist Radoslawow noch mehrmals politisch hervorgetreten; er blieb der Führer der liberalen Partei und hat stets an den Grundsätzen festgehalten, dem russischen Volke die Dankbarkeit des Bulgaren für die gebrachten Opfer zu wahren, die Zudringlichkeiten der russischen Staatskunst ohne Zorn, aber auch ohne Erbarmen zu bekämpfen.

Radoslawow führt das einfache, schlichte Leben des Bulgaren der alten Zeit; wie er selbst seine Bildung deutscher Wissenschaft verdankt, so hat er für seine Kinder das gleiche bestimmt; deutsch ist in seinem Hause diejenige fremde Sprache, die am liebsten gesprochen und am besten verstanden wird.

Ein einflußreicher Mitarbeiter Radoslawows ist der Finanzminister Dimiter Tontschew, der Führer der Jungliberalen. Wesentliche Unterschiede in den Grundsätzen der Parteien Radoslawows und Tontschews gibt es nicht; mehr als einmal tauchte die Absicht auf, beide Parteien zu vereinigen. Tontschew ist um ein Jahr jünger als Radoslawow. In den achtziger Jahren, als alle neuen Kräfte Bulgariens jung waren — die altern in der Türkenzeit erwachsenen waren den neuen Anforderungen gegenüber hilflos — war Dimiter Tontschew mit 26 Jahren Vorsitzender der Sobranje. Er hatte vorher in Rußland und Frankreich seine Studien beendet. Der junge Vorsitzende erwies sich als ein unverfrorener, umsichtiger Redner, der in feiner, verbindlicher Form die bittersten Wahrheiten sagen und seine Gegner, bevor sie die Waffen streckten, lächelnd zur Verzweiflung bringen konnte. Eng an die Regentschaft und an Radoslawow angeschlossen, leitete er die Wahl des zweiten Fürsten, des Prinzen Ferdinand von Coburg, und begab sich dann nach Ebental, um dem Prinzen den Beschluß des bulgarischen Volkes mitzuteilen. Im bulgarischen Staatsarchiv ruhen seine Berichte über den Eindruck, den der Prinz auf ihn gemacht hatte, Berichte, aus denen die Gabe sicherer Beobachtung und schneller Erkenntnis des Charakters spricht. Diese Gaben haben sich auch später nicht verleugnet. So oft Tontschew berufen wurde, ein Ministeramt auszuüben, wußte er Spuren einer Tätigkeit zu hinterlassen, die auf fortschrittlichen Ausbau der bulgarischen Verwaltung gerichtet war.

Von ganz besonderer Bedeutung ist das Wirken dieses Mannes in den letzten Jahren gewesen, seitdem er bei der Berufung Radoslawows in dies Kabinett eingetreten war, 1912. Es handelte sich nicht allein um finanzielle Fragen; es handelte sich um sorgfältige Beobachtung des politischen Horizontes, um sicheres Erkennen der Zeichen, um klaren Ausblick in die Zukunft und ihre Möglichkeiten. Der Weltkrieg drohte, er zog herauf, er brach aus. Als der Ministerrat unter Vorsitz von Radoslawow Bulgariens Stellung zu den Ereignissen zu bestimmen hatte, da war Tontschew oft dem Minister-Präsidenten ein wertvoller Ratgeber und Berichterstatter, eine Stütze im Getriebe der Paiteipolitik und ein stets zuverlässiger, über manche Vornen seines Weges hinwegschreitender Freund.

Auch im Hause Dimiter Tontschews, wie überhaupt sehr vieler bulgarischer Familien, hat das Deutsche eine gute Stätte. Die jüngere Generation spricht es vollendet gut.

Der Führer der dritten Regierungspartei, der nationalliberalen Stambolowisten, ist der Minister Dobre Petkow. Er steht auf dem Boden des Gründers der Partei, Stefan Stambolows, deren Kampf um Bulgariens Einheit und Unabhängigkeit eine scharfe Spitze gegen Rußland niemals verbergen wollte. Die Überlieferung der Partei hatte es so gewollt. Indessen ist die Partei stets in der Abwehr geblieben und hat einen Angriff auf Rußland so wenig wie die andern Parteien auf ihr Programm gesetzt.

Dobre Petkow war früher aktiver Offizier; er bekleidete im Heere den Grad eines Majors und hat als solcher an dem Kriege gegen die Türkei 1912 teilgenommen. Er ist ein überzeugter Anhänger einer den Mittelmächten freundlichen Politik und hat dieser Gesinnung schon früh deutlichen Ausdruck gegeben, zu einer Zeit, als die Regierung als solche sich noch nicht ausgesprochen hatte. Der Ruf, ein guter Freund seiner Freunde und ein guter Feind seiner Feinde zu sein, ist bei Dobre Petkow wohlbegründet.

Es ist noch, obgleich nicht als Führer einer politischen Partei, der Minister des Innern, Christo Popow, zu erwähnen, weil sein Amt heute von besonderer Wichtigkeit ist. Christo Popow war einer der glänzendsten Offiziere des bulgarischen Heeres, ein Mann gediegener militärischer Kenntnisse, äußerster Triebkraft und Entschlossenheit und persönlicher Tapferkeit. Als Bulgarien 1885 seinen ersten Krieg gegen Serbien führte, kehrte Popow aus Rußland zurück, wo er die Generalstabs-Akademie besuchte. Er wurde als Hauptmann zum Kommandeur des 1. Sofia-Infanterie-Regiments Fürst Alexander ernannt und konnte bei Sliwnitza den jungen Fahnen die ersten Lorbeeren erwerben. Später gab er durch sein stürmisches Vordringen in die rechte Flanke der Serben südlich Pirot den Ausschlag für die zweitägige Schlacht von Pirot. Als Fürst Alexander 1886 entthront werden sollte, war Popow mit seinem Regiment nach Sliwnitza entsandt worden; die Verschwörer trauten dem treuen, tapferen Manne nicht. Und nach der Entthronung erschien tatsächlich Popow mit seinem Alexander-Regiment und warf das Reich der Verschwörer über den Haufen. Später, durch Ränke aus dem Heere vertrieben, studierte er in Frankreich die Rechte und wurde ein gesuchter Anwalt in Sofia. Daß Radoslawow diesen allgemein geachteten, prächtigen Mann zum Minister des Innern gemacht, beweist, daß eine feste Hand die Zügel innerer Ordnung Bulgariens halten soll. Es wird nicht gespaßt werden, und die Zeiten sind auch wahrlich nicht danach.

Bulgariens Geschicke ruhen heute in der Hand seiner Heerführer. Die Erfolge auf den Schlachtfeldern zeigen uns, daß die Wahl der militärischen Führer gut gewesen ist und daß der tapfere bulgarische Soldat und Offizier Bundesgenossen sind, auf die wir stolz sein müssen. Die Erfolge zu verwetten, Bulgariens Zukunft politisch zu sichern, wird die Aufgabe der Minister sein, in erster Linie der Führer der drei bulgarischen Regierungs-Parteien.



Deutsch-bulgarische Kulturgemeinschaft.

 Von Prof. Dr. Rudolf Eucken, Geh. Rat, Universität Jena.

 
        In glänzender Weise bewährt sich in diesen Tagen die deutsch-bulgarische Waffengemeinschaft, mit Stolz und Freude verfolgen auch wir Deutsche den Siegeslauf unserer bulgarischen Freunde. Mit solchen Gefühlen verbindet sich notwendig der Wunsch, daß die Gemeinschaft sich auch ins Innere wende, daß sich eine fruchtbare Wechselwirkung von Kultur zu Kultur entwickeln möge. Wir Deutsche wissen, daß, so jung auch der gegenwärtige Aufschwung Bulgariens ist, das Volk eine ruhmreiche Geschichte hat, daß es im Mittelalter zweimal ein mächtiges Staatsgefüge bildete, und daß seine kriegerische Tüchtigkeit allgemein anerkannt war; wir wissen auch, daß seine Sprache und Literatur starken Einfluß auf die slawische Welt geübt hat. Ja es hat auch eine eigentümliche religiöse Bewegung, die der Bogomilen, hervorgebracht und damit stark auf die westlichen Völker gewirkt. Schwerlich hätte diese Bewegung so tief eingreifen können, wäre durch sie nicht ein damaliges Bedürfnis weiter Kreise befriedigt; jedenfalls legt sie deutliches Zeugnis dafür ab, wie ernst dieses Volk es mit den religiösen Fragen nahm. Dann kam eine lange Zeit des Druckes, die alle geistige Tätigkeit lähmte; dieser Druck war namentlich deshalb gefährlich, weil er nicht nur ein äußerer, politischer, sondern auch ein innerer war, indem das kirchliche Leben ganz und gar unter den Einfluß des Griechentums kam. Daß die Bulgaren nach einer solchen Hemmung von mehreren Jahrhunderten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so rasch in einen nicht nur politischen, sondern auch kulturellen Aufstieg kamen, ist in hohem Grade bemerkenswert, es bezeugt aufs sicherste, wie große geistige Kraft und Elastizität diesem Volke innewohnt. Auch ist bezeichnend, daß seine nationale Wiedergeburt von der Literatur und von der Schule ausgegangen ist. Die bulgarische Nationalbewegung hob nämlich ein mit einem Büchlein „Slaveno-bulgarische Geschichte von den bulgarischen Völkern, Czaren und Heiligen", das der Mönch Paysij 1762 auf dem Berge Athos schrieb und worin er den Bulgaren die glorreichen Tage ihrer Vergangenheit lebhaft vor Augen stellte; ein weiterer Markstein ist die Gründung einer selbständigen bulgarischen Schule in Gabrowo (1835); wie klein waren diese Anfänge, und wie viel hat seitdem in kurzer Zeit Bulgarien auf dem Gebiete der Bildung erreicht! Vor allem ist ein auf die modernen Methoden gegründetes Schulsystem mit aller heute üblichen Verzweigung ausgebildet, und es zeugt dabei für die Solidität des Volkes, daß es von unten nach oben hin baute, daß es zunächst für tüchtige Volksschulen Sorge trug und dann erst durch die höheren Schulen hindurch zur Spitze einer Universität und Akademie gestrebt hat; andere Völker haben es umgekehrt gemacht. Weiter aber wurden Museen eingerichtet (ein ethnographisches, ein archäologisches, ein naturhistorisches), literarische Gesellschaften gebildet, welche sich namentlich die Sammlung des reichen Schatzes von Volksliedern und Märchen zur Aufgabe machten; der König Ferdinand ging dabei mit fördernder Anregung voran. Vor allem aber wurden Volksbibliotheken angelegt und Vereine für Volksbildung ins Leben gerufen. Auch Kunst und Kunstgewerbe kamen in Aufschwung, sie fanden in einem kräftigen und ungebrochenen Volkstum wertvollste Motive, schon 1896 wurde in Sofia eine Kunstschule gegründet.

So ward gewaltiger Ernst und Eifer an die Aneignung von Wissen und Bildung gesetzt und das aus dem eigenen Streben des ganzen Volkes heraus. Das alles aber erfolgte in jugendlicher Frische, aus einem starten Hunger und Durst nach geistiger Nahrung, nicht aus träger Gewohnheit, wie leicht bei alternden Völkern.

Es muß uns Deutschen eine aufrichtige Freude sein, daß ein geistig so kräftig aufstrebendes Volk eine enge Beziehung zu uns suchte. Es geschah das besonders auf dem Gebiet des Unterrichts, diesem Heiligtum der Bulgaren, aber auch andere Fächer, so z. B. das Studium der Landwirtschaft, zogen manche Bulgaren nach Deutschland. Diese bulgarischen Studenten haben sich durchgängig durch ihre Tüchtigkeit, ihren Fleiß, ihre Anhänglichkeit die Schätzung der akademischen Lehrer erworben. Wie deutsche Bildung in Bulgarien selbst geschätzt wird, dafür sei die Tatsache angeführt, daß die deutsche Schule in Sofia, die 1887 mit 7 Schülern eröffnet wurde, jetzt nicht weniger als 272 hat, darunter 183 Bulgaren. Wir können nur wünschen und hoffen, daß diese Beziehungen sich noch weiter ausbilden mögen. Gerade jetzt, wo wir Deutsche so viel Haß und Neid in der Welt erfahren, berührt es uns wohltuend, daß unsere Kultur eine so freundliche Aufnahme und warme Schätzung bei diesem tüchtigen und jugendfrischen Volke findet.

Zugleich aber dürfen wir darauf vertrauen, daß die gegenseitige Verbindung auch den Bulgaren zum Segen gereichen wird. Wie heute die Dinge liegen, ist es für ein kleines Volk eine Notwendigkeit, sich dem größeren Kulturkreise anzuschließen; wie viele Vorzüge aber der Anschluß an den Deutschen, den germanischen Kulturkreis heute bietet, das bedarf keiner Erörterung. Die deutsche Kultur ist frei von aller Enge und Abgeschlossenheit, sie hat den offensten Sinn für alles Große und Gute, was irgendwo und irgendwann erschien, sie ist eifrig bestrebt, es ansich zu ziehen und in sich aufzunehmen; aus solchem Streben wurden der Deutschen Sprache alle Schätze der Weltliteratur durch vortreffliche Übersetzungen zugeführt und damit auch allen vermittelt, welche zur Deutschen Sprache und Kultur in Beziehung treten. So konnte vor kurzem ein hochangesehener türkischer Staatsmann sagen, wenn ganz Europa unterginge, aber die deutsche Literatur erhalten bliebe, so würde man alles Wesentliche aus ihr wieder herstellen können.

Mit solcher Universalheit hängt eng zusammen, daß es nicht in der Deutschen Art liegt, Fremdes verständnislos abzuweisen oder gar zu unterdrücken, sondern daß der Deutsche dazu neigt, sich liebevoll in den fremden Lebenskreis zu versetzen, ihn in seiner Eigentümlichkeit anzuerkennen, in ihm möglichst heimisch zu werden. Daß sich ohne Gefährdung der eigenen Art mit der Deutschen Kultur in enge Verbindung treten läßt, das zeigt z. B. das kernhafte Volk der Finnen. Keiner anderen Kultur steht es so nahe wie der Deutschen, aber zugleich hat es die Eigentümlichkeit seines eigenen Wesens vollauf gewahrt.

So dürfen wir hoffen, daß zu gegenseitiger Förderung sich mehr und mebr eine deutsch-bulgarische Kulturgemeinschaft ausbilden wird. Verheißungsvolle Anfänge dazu sind heute schon gemacht, in Deutschland sowohl wie m Bulgarien. Hoffen wir, daß solche Bestrebungen immer weiteren Boden gewinnen zu gegenseitigem Wohl.