König Ferdinand

 Von Professor Adolf Strauß.

 Um König Ferdinand als Diplomaten zu verstehen, muß man ihn als Menschen kennen. Nur wenn man die nicht gewöhnliche Fülle feiner rein menschlichen Werte kennt, läßt sich der Diplomat auf dem Königsthron richtig werten. König Ferdinand ist ein Gelehrter. Ein wissenschaftlicher Kopf, der sich in vielen Disziplinen umgetan und der sich namentlich für die Naturwissenschaft und insbesondere für die Botanik und Ornithologie spezialisiert hat. Seine botanischen Sammlungen gehören zu den bedeutendsten ihrer Gattung und als Ornithologe hat er für die Wissenschaft manches geleistet. Aus diesem Hang zum Gelehrtentum heraus ist auch seine kulturelle Tätigkeit in Bulgarien zu verstehen. Unter seiner Herrschaft blühte das bulgarische Schulwesen zu einer Höhe empor, die sich auch im Westen sehen lassen darf. Nicht selten inspizierte der König persönlich den Unterricht an den Hochschulen, wohnte den Vorträgen bei und gab den Professoren in seiner Disziplin manchen wertvollen Wink. Das naturwissenschaftliche Museum ist seine Schöpfung und seiner Initiative ist auch die Schaffung einer Lehrkanzel für Kunst an der Sofioter Universität zu danken. Er hat den Sinn für die bedeutenden Literaturen des Auslandes in Bulgarien geweckt und gehegt. Es gibt fast keinen bedeutenden Klassiker, der nicht auch durch tadellose Übersetzungen dem bulgarischen Volke zugänglich gemacht worden wäre. Eine seiner ersten Anregungen war auf diesem Gebiete die bulgarische „Faust"-Übersetzung. Auch für die dramatische Kunst zeigt er großes Interesse. Er hat das Nationaltheater in Sofia geschaffen, aber er betrachtete die ausländische Kunst nur als ein Ferment zur Hegung und Entwicklung der heimischen Kunstproduktion. Er war sich stets bewußt, daß ein Volk, eine Nation Ursprüngliches nur aus sich selbst heraus leisten könne, und deshalb förderte er die bulgarische Kunst, die eine Mischung byzantinischer und slawischer Elemente darstellt, mit großem Verständnis. Immer wieder aber zieht es ihn zur Naturwissenschaft zurück. Als Sultan Abdul Hamid ihn anläßlich seines Besuches in Konstantinopel nach seinen Wünschen fragte, erwiderte König Ferdinand: „Ich habe nur einen einzigen Wunsch: frei und ungestört in Kleinasien botanisieren zu dürfen."

König Ferdinand ist ein Mann umfassender Bildung. Er beherrscht alle europäischen Sprachen und gilt in seinem Lande als der hervorragendste bulgarische Redner. Er spricht mit seinen griechischen Untertanen Griechisch, mit seinen Spaniolen Spaniolisch. Seine deutsche Aussprache ist ein echtes Burgtheaterdeutsch. König Ferdinand ist ein gewiegter Menschenkenner. Er ist im Umgang überaus leutselig, liebt es aber, seine Umgebung bis auf die Nieren zu prüfen. Er hat Leute, die ihm in eigenhändigen Briefen mit dem Tode drohten, in den höchsten Ämtern angestellt, weil er der Überzeugung war, daß diese Männer auf ihren Posten etwas leisten können und weil er ihnen zur rechten Zeit zu verzeihen wußte. Das ist vielleicht das charakteristischste Merkmal seiner Menschlichkeit. Der Zar der Bulgaren ist von einer Toleranz, die ihn zu dem Beherrscher aller Neußen in wohltuenden Gegensatz stellt. Der König ist auch eine rastlose, unermüdliche Arbeitskraft. Seiner nächsten Umgebung ist es ein Rätsel, wann der Herrscher der Nachtruhe pflegt. Nicht selten ruft er nach Mitternacht die Referenten zur Arbeit in sein Appartement.   Bei meiner jüngsten Audienz wies der König lächelnd auf einen Aktenstoß, der etwa hundert Aktenstücke enthalten mochte,  und sagte (es war gegen Mitternacht): „Das wird alles noch jetzt erledigt."

König Ferdinand steht fast mit allen europäischen Herrscherhäusern in verwandtschaftlichem Verhältnis. Diese Verwandtschaften waren ihm in seiner Herrscherlaufbahn von großem Vorteil. Ferdinand von Koburg wurde, als er die Nachfolgerschaft Alexanders von Battenberg angetreten hatte, in Bulgarien niemals als ein Fremdling betrachtet. Ich selbst konnte nach der Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien, an der ich tätigen Anteil genommen, destätigen, daß der Koburger bei seinem Einzug in Bulgarien von dem bulgarischen Volke mit Ehrfurcht und Vertrauen begrüßt wurde. Ja, man kann sagen, das Vertrauen, das das bulgarische Volk dem jungen Honvedoberleutnant von damals entgegenbrachte, war tiefer und größer, als das der europäischen Nationen, die dem neuen Fürsten Patenschaft gestanden hatten. Und als sich dann später König Ferdinand in Tirnowo die Zarentrone aufs Haupt setzte, da wurde dieser Akt von der ganzen Welt als ein Ereignis von historischer Bedeutung gefeiert. Als Fürst Ferdinand die Regierung übernahm, war sein ganzes Land unter russischem Einfluß. Der Nimbus des Zarbefreiers strahlte noch übermächtig, das bulgarische Volk sah mit einer gewissen Ehrfurcht zu dem Petersburger Machthaber empor. König Ferdinand hat Bulgarien auf seine eigenen Füße gestellt. Er hat aus einem russischen Bulgarien ein bulgarisches Bulgarien gemacht, das bulgarische und nicht russische Interessen vertritt. Fetzt, nach dreißig Jahren, sieht er sein Riesenwerk von Erfolg gekrönt. Bulgarien hat das russische Joch endgültig abgeschüttelt, das größere Bulgarien ist gegen den Zaren im Entstehen begriffen. Dem bulgarischen Charakter hat sich König Ferdinand, wie selten ein stammesfremder Fürst, assimiliert. Bulgarisch sind fein hoher politischer Ernst, seine Zielfestigkeit, sein antiker Gleichmut im Ertragen des Unglücks und seine Würde in den Stunden des höchsten Triumphes. Bulgarien hat in den zwei Balkankriegen Stunden des höchsten Glückes und des tiefsten Kummers erfahren. In beiden Lagen haben sich Bulgarien und sein Herrscher der Geschichte in würdevoller Größe gezeigt. Es war in der ruhmreichen Zeit, da das bulgarische Heer zwischen Adrianopel und Tschataldscha stand. König Ferdinand erschien bei einem Brückenkopfe am Tschorlubach; auf der anderen Seite des Baches hatte sich der türkische Kriegsminister eingefunden.   Hier spielte sich eine Szene ab, die mir König Ferdinand selbst erzählte und die ich als Charakteristik seiner Persönlichkeit diesem Bilde einfügen will: „Ich sagte", so teilte mir der König mit, „dem türkischen Kriegsminister, daß es mir im Herzen wehe tue, einem so braven Volke wie dem türkischen mit dem Schwerte in der Hand entgegentreten zu müssen. Ich schätze die Türken sehr hoch und ich will ihnen hierfür auch einen Beweis geben. Ich sehe, wie das türkische Heer unter der Cholera leidet. Stellen sie hier, am Tschorlubache, der choleraverseucht ist, Wachen auf und verbieten Sie bei Todesstrafe, aus dem Bache zu trinken."   Der König erzählte mir noch, daß er eine große Menge Tee dem Feinde geschickt habe, damit die Cholerakranken gelabt werden könnten. In seinem eigenen Heere erwarb sich König Ferdinand bei der Bekämpfung der Cholera unvergängliche Verdienste.

Es kam die Zeit des Unglücks. Es war nach dem Bukarester Frieden, als ich vor dem König erschien. In dieser Zeit stand er vielleicht auf der höchsten sittlichen Höhe seiner Herrscherlaufbahn, aber trotz der entsagungsreichen Stimmung lebte in ihm die feste Zuversicht auf eine bessere Zukunft. Er war ruhig und gefaßt, er wußte, daß er die bulgarische Nation einer Reife entgegengeführt hatte, die antimonarchische Wirren und Revolutionen ausschloß. Das bulgarische Volk ertrug sein Mißgeschick mit Heroismus, denn es fühlte, daß die Zeit der endgültigen Abrechnung kommen müsse. In jenen Tagen des gemeinsamen Wehs haben die bulgarische Nation und ihr Herrscher einander vollkommen verstehen gelernt. Das bulgarische Volk ist sich dessen bewußt, daß es in seinem Herrscher eine Persönlichkeit besitzt, die sich das Vertrauen der Nation durch schier übermenschliche Arbeit, durch Zielbewußtsein und Entsagung verdient hat.

Als oberster Kriegsherr ist der König der Bulgaren Liebling seines Heeres. Erst seit seinem Regierungsantritte kann überhaupt von einem regulären, disziplinierten bulgarischen Heere gesprochen werden. Als er den Fürstenthron bestieg, hatte Rußland in perfider Weise das bulgarische Heer vernichtet, indem es sämtliche russischen Offiziere zurückzog. So war das bulgarische Heer ohne Offiziere geblieben. König Ferdinand schuf ein gebildetes Offizierkorps und sicherte ihm auch die nötige Autorität. Er ist der Vater und Lehrer seines Heeres, der die Armee mit ungeheurem Fleiß bis zu der heutigen, von der ganzen Welt anerkannten Höhe emporgebracht. König Ferdinand selbst befaßt sich mit Vorliebe auch mit militärischen Studien. Er unternimmt nie eine Reise, ohne eine kleine militärische Bibliothek mitzuführen. Wer mit dem König zu reisen Gelegenheit hatte, der mußte stets über die Menge von Landkarten staunen, die im bunten Durcheinander im Salonwagen verstreut lagen. In dreißigjähriger mühevoller Arbeit hat er sein Land politisch und militärisch für die großen entscheidungsvollen Stunden der Gegenwart erzogen. Er kann der letzten Entscheidung ruhigen Gewissens und mit der unerschütterlichen Hoffnung auf vollen Erfolg entgegensehen. Politisch und militärisch ist die Saat König Ferdinands in die Halme geschossen. Das größere Bulgarien rüstet sich in jubelnder Zuversicht, die herrliche glorreiche Ernte einzuheimsen.



Aus der Jugendzeit des Königs Ferdinand.

 Von Kgl. bulgar. Wirkl. Geh. Rat von Fleischmann

 
        König Ferdinand, der nun im 56. Lebensjahre steht und seit 28 Jahren Bulgariens Herrscher ist, erblickte in Wien, im Palais Coburg, auf der Seilerstatte, das Licht der Welt als fünftes und letztes Kind des Prinzen August von Sachsen-Coburg-Gotha und dessen Gemahlin Klementine, Prinzessin von Orleans. Der Vater starb schon im Alter von 63 Jahren, die Mutter aber erst im 90. Lebensjahre. Von seiten seiner Eltern erhielt Prinz Ferdinand die denkbar sorgfältigste Erziehung und Pflege. Seine Jugendjahre verbrachte er in Wien, und während des Sommers weilte er mit seinen Eltern auf den großen Gütern seines Vaters in Osterreich und Ungarn. Dazwischen wurden häufige Reisen nach Frankreich, England und dem Orient unternommen, wohin auch der junge Prinz schon mitreiste. Seine geistigen Fähigkeiten waren schon frühzeitig erwacht und wurden durch die Reisen noch mehr gestärkt, so daß er sich auch später aller jener gewonnenen Eindrücke lebhaft erinnerte. Mit fünfeinhalb Jahren erhielt er den Schreiber dieser Zeilen, einen Bayern, der hellte noch in seinem Dienste als Privat sekretär steht und dem er rührende Liebe bewahrt hat, zum Erzieher. Die
Konstitution des Prinzen war in der frühesten Jugend von zarter Natur, kräftigte sich aber mit den Jahren immer mehr. Sein Geist aber war schon frühzeitig sehr lebhaft, daßer interessierte er sich für alles, was um ihn vorging. Besondere Liebe und Hingebung hatte er für einzelne Unterrichtsfächer, so für Geschichte mit ihren Nebenfächern Genealogie und Geographie, ferner für Naturwissenschaften und neuere Sprachen. Außerordentlich gründliche Kenntnisse eignete er sich in den Naturwissenschaften an, so daß er selbst Fachleute und Männer der Wissenschaft oft in Verwunderung setzte. Es war eben nicht bloß Liebhaberei bei diesem Studium, sondern ernste, wissenschaftliche Arbeit. Die Anregung zu diesen Studien gab vorzugsweise der Aufenthalt auf dem Lande, im Gebirge, auf Reisen, der Besuch der botanischen und zoologischen Gärten, Museen usw. Wie freute er sich, wenn er im Frühlinge die ersten Blumen, Schmetterlinge oder eine seltene Pflanze, eine Orchidee oder ein längst gesuchtes Farrenkraut auf luftiger Höhe an einer Felswand entdeckte! Diese Pflanzen wurden dann sorgfältig ausgegraben, zu Hause gereinigt und aufmerksam gepflegt. Stunden gingen darüber hin, bis alles in Ordnung war. Da kannte er keine Ermüdung. Bis nicht die letzte Blüte vertrocknet und abgefallen war, durfte keine Blume aus dem Glase entfernt werden. Und dann wurden erst noch die verwelkten Pflanzen samt der Wurzel — wenn der Prinz in der Ferne war — sorgfältig in Kisten verpackt, die nach dem Garten am Palais Coburg in Wien wanderten, später aber nach Sofia in die Hofgärten, wo diese Reste neu auferstehen und sich weiterentwickeln sollten. Der Hofgärtner in Sofia, ein biederer Tiroler, schüttelte bisweilen den Kopf, wenn er den Inhalt solch einer Kiste bekam. Aber seiner geschulten und sorgsamen Hand glückte meistens das Experiment. Die selbe aufmerksame Behandlung wurde auch den Schmetterlingen und Vögeln zuteil. Zeuge ist jetzt das naturwissenschaftliche Hofmuseum in Sofia, welches alle Tiere nach ihrer Tötung oder ihrem Absterben präpariert aufnimmt. Dieses Museum ist das Werk des Königs und verdient wegen seiner Reichhaltigkeit und seltenen Exemplare die höchste Beachtung.

Außer diesem Museum schuf der König auch einen zoologischen Garten, den ersten auf der Balkaninsel, mit vielen verschiedenen Tieren, besonders mit prächtigen und seltenen Vögeln, darunter den rarsten Arten von Fasanen, die akklimatisiert und in den Auen freigelassen werden. So gibt es bei Philippopel eine große Insel in der Maritza, auf der sich diese buntgefiederten Hühnervögel, wie Gold-, Silber-, Geheiligter Fasan (Fasanus veneratus), in Menge befinden und wie unsere Fasanen gejagt werden. Es ist ein herrlicher Anblick, diese schmucken Vögel im Wald und Gebüsch frei daßerschreiten oder fliegen zu sehen. Obgleich ein solches Unternehmen auf große Schwierigkeiten und Kosten stieß, ließ sich der König davon nicht abschrecken. Seine Ausdauer, verbunden mit einer feinen und scharfen Beobachtungsgabe für die notwendigen Bedingungen dieser Tiere, brachte glücklichen Erfolg.

Aber auch die anderen in der Jugend gepflegten Lieblingswissenschaften finden noch heute des Königs regstes Interesse. Kommt z. B. bei Tisch ein geschichtliches Thema zur Sprache, so verlängert sich alsdann die Tischzeit um ein beträchtliches. Der König vergißt das Essen und Trinken und vertieft sich gründlich in das Thema, spricht selbst darüber und regt deständig an, Sein ausgezeichnetes Gedächtnis unterstützt ihn dabei aufs beste. Der Haus-Hofmeister steht dann mit seinem nächsten Gerichte vor der Tür und erwartet das Zeichen zum Weiterservieren; mittlerweile sieht er verzweifelnd, wie sein „Auflauf" von Minute zu Minute eine bedenklichere Miene annimmt und schließlich gar nicht mehr hoffähig ist.

Wenn ich mit dieser kurzen Darlegung auch in die spätere Zeit des Königs hineingeraten bin, so wollte ich damit nur andeuten, wie ernst und umfassend der König noch heute die Wissenschaften behandelt, womit er oft große Gelehrte überrascht.

Nach dieser Abschweifung wieder zur Zugendzeit des Prinzen zurückkehrend, sei noch seiner großen Reise gedacht, die er im Alter von 18 Jahren mit seinem Bruder, dem Prinzen August, zu wissenschaftlichem Zwecke nach Brasilien unternahm, heimwärts auch Afrika Besuchend, wo beide Prinzen Gäste des Sultans von Marokko waren. Von dieser Reise brachte er viele wissenschaftliche Schätze aus der Botanik nach Hause, die in einem zweibändigen, mit herrlichen Abbildungen geschmückten Werke beschreiben sind.

Außer dieser Weltreise machte er auch früher und später große Reisen durch Europa, um seinen Wissensdurst und seine Kenntnisse zu bereichern.

Zweimal wurde er von seinem Onkel, dem Herzoge Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha, zu diplomatischen Missionen berufen, welcher Aufgabe er sich mit großem Interesse und diplomatischem Talente entledigte.

Sobald der Prinz seine allgemeinen wissenschaftlichen Studien beendet hatte, begann er das Studium der Militärwissenschaften, die von Fachlehrern der k. k. Kadettenschule in Wien erteilt wurden. Nach vorzüglich bestandener Prüfung an dieser Schule wurde ihm die besondere Aus-zeichnung zuteil, von Seiner Majestät dem Kaiser von Österreich zu dem glänzenden Resultate beglückwünscht zu werden. Nun trat der Prinz am 27. April 1881 als Leutnant in das 11. k. k. Husarenregiment ein, zu dessen Chef er im Jahre 1907 von Seiner Majestät ernannt wurde. Aus Gesundheitsrücksichten lieh er sich später in ein Jägerbataillon versetzen, trat aber, als seine Gesundheit es erlaubte, als Oberleutnant wieder in ein Honved-Husarenregiment ein, wo er bis zu seiner Erwählung zum Fürsten von Bulgarien, die am 7. Juli 1837 erfolgte, verblieb.

Was der Prinz als Fürst und König seinem Lande Bulgarien wurde, wird eine kundigere Hand schildern. Soviel sei bemerkt: wenn heute Bulgarien hochgeschätzt, anderseits gefürchtet ist, so verdankt es dies seinem Könige, der durch seine weise Führung und kraftvolle Energie Bulgarien groß und gefürchtet machte. Möge Bulgarien dessen immer in Dankbarkeit gedenken!


 Zar Fedinand und die Naturwissenschaft.

 Von Prof. Dr. Heck, Direktor des Zool. Gartens, Berlin.

 
        Es war vor langen Jahren an einem Sommer-Sonntagnachmittag, an einem „billigen" Sonntag; der ganze Garten, alle Tierhäuser voll Menschen. Da wird mir der Besuch des Herrschers der Bulgaren gemeldet, und ich eile dem hohen Herrn hocherfreut entgegen. Meine Freude war um so größer und innerlicher, als ich schon viel von der lebhaften und fachverständigen Anteilnahme Ferdinands I. an der Tierwelt und Tierkunde gehört hatte; zugleich befiel mich aber eine gewisse Beklommenheit, wie sich wohl die Führung des hohen Besuches in dem Menschengewühl abwickeln würde.   Aber letztere Schwierigkeit wurde ich indes sofort beruhigt.

Der Fürst bewegte sich mit einer Selbstverständlichkeit und leutseligen Rücksichtnahme zwischen den Volksmassen, wollte nicht, daß seinetwegen irgend jemand zurückgedrängt würde, und seine Erscheinung wiederum flößte überall einen so natürlichen Respekt ein, daß freiwillig Platz gemacht wurde, wohin wir kamen.

Und wir kamen überall hin! Denn so viel merkte ich schnell: das war nicht der übliche Sehenswürdigkeitsbesuch, bei dem das Wichtigste ist, daß man vorher erfährt, wie lange die Sache dauern darf; vielmehr mußten jetzt der Berliner Zoo und ich zeigen, was wir haben und können, bis aufs Letzte, wie das sonst nur der gründlichste Fachgenosse verlangt. Wenn aber das Zeigen immer eine Freude ist, wie groß war sie erst in diesem Falle! Ich vergaß darüber, über unausgesetzter, angelegtester Rede und Gegenrede ganz die Zeit, und als der hohe Gast mir schließlich im Nilpferdhause mit huldvollen Worten zum Abschied einen Gegenstand in die Hand drückte, war es schon so dämmerig, daß ich gerade noch eine rote Kapsel erkennen konnte, deren ehrenden Inhalt ich ahnte. Zeitweise war ich schon vorher im Gesprach der Empfangende gewesen, und im Großen Vogelhaus tauschten sich vollends die Rollen. Da, vor den dreifach übereinander getürmten Einzelkäsigen der Hunderte und Aberhunderte verschiedener Arten von Papageien und anderen fremdländischen Vögeln, erfuhr ich jetzt selber, was mir der alte, volkstümliche Vogelkundige und Vogelpfleger Karl Ruß immer gesagt hatte: „Freuen Sie sich, wenn mein hoher Gönner aus Bulgarien einmal zu Ihnen kommt! Dann werden Sie ein gekröntes Haupt kennen lernen, das zugleich ein ganz zünftiger, ausgelernter Ornithologe und an treffsicherer Kennerschaft gar manchmal uns allen über ist!" So war es wirklich. Der hohe Herr kannte und nannte z. B. auf den ersten Blick alle Webervögel, auch in dem sperlingsfarbigen Zwischenkleide, in dem sie für die allermeisten Menschen einer wie der andere aussehen. Ruß hatte mir aber auch erzählt, daß er ein für allemal den Auftrag hatte, alle Seltenheiten und Neuheiten, die in ausländischen Stubenvögeln auf den Vogelmartt kamen, zu kaufen und, nachdem er sie beobachtet und begutachtet, nach Wien ins Palais Coburg zu schicken, wo Prinz Ferdinand schon als Schüler eine Sammlung lebender Vögel unterhielt und selbst pflegte, die ihresgleichen suchte. Gleiche Hingabe wurde einer ganz bedeutenden Schmetterlingssammlung gewidmet, Pflanzen- und Gesteinkunde ebenfalls durchaus fachmännisch betrieben. Und als natürliche Folge wuchs aus dieser Naturforscherneigung und -begabung eine Reise nach Brasilien hervor, die Prinz Ferdinand mit seinem Bruder August im Jahre 1879 machte und die reiche Früchte für die Sammlungen brachte.

Schon 1874 wurde Prinz Ferdinand Mitglied der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft und zwar ganz zünftiges ordentliches Mitglied, wie jeder wirkliche Jünger der wissenschaftlichen Ornithologie. Als solcher fühlt sich der hohe Herr mit Stolz; das hat er noch ganz ausdrücklich bei der letzten Audienz ausgesprochen, die er als Gast unseres Kaisers dem Vorsitzenden und Schriftführer der Gesellschaft, unseren bekannten Berliner Ornithologen Schalow und Neichenow gewährte. Diese Audienz wurde sofort zur wissenschaftlichen Debatte lebhaftester und eingehendster Art und dauerte zwei Stunden, obwohl im Vorzimmer die Besucher sich drängten; im Verlauf der Unterhaltung holte Zar Ferdinand auch den Bericht des letzten Internationalen Ornithologenkongresses herbei; er hatte ihn als Reiselektüre mitgeführt. Eine neue besonders schöne und merkwürdige Wildtaubenart, die der neuerdings viel genannte Sammelreisende Grauer vom Albert-Eduard-See mitgebracht hatte, war dem gekrönten Fachmann schon nichts Neues mehr; er hatte die erste Gelegenheit benutzt, um sie sich nebst anderer Ausbeute Grauers im Wiener Hofmuseum anzusehen.

Solche Einzelzüge ließen sich gewiß noch viele anreihen, wie z. B. die zoogeographische Abhandlung Ferdinands I. über die Einwanderung des Rosenstars in Bulgarien, die in den Mitteilungen des Dresdener Museums erschienen ist. Sie fügen sich alle zu demselben Bilde, beweisen alle dasselbe: daß nämlich der bulgarische Zar nicht nur der weise Staatsmann und kulturfördernde Herrscher seines Landes und Volkes ist, als den die Welt ihn kennt und wertet, sondern völlig unbeschadet dessen auch ein ebenso hervorragender Naturwissenschafter, der kraft seiner fachmännischen Kenntnisse jeden Augenblick eine leitende Stelle an einem Museum oder Zoologischen Garten einnehmen und ausfüllen könnte.

Solche naturwissenschaftlichen Liebhabereien, Neigungen und Fähigleiten, beim gewöhnlichen Sterblichen sind sie eine edle Geistesblüte, für die Allgemeinheit aber ohne Belang: beim Herrscher werden sie zum Kultursegen für sein Volk. So in Bulgarien. Vor mir liegt ein stattlicher Band aus dem Jahre 1907: „Collections du Musée d’Histoire naturelle de Sa Majesté Ferdinand I. Roi des Bulgares.“ Er beweist es. Dank der Sammler- und Forschernatur seines Zaren besitzt Bulgarien in seiner Hauptstadt Sofia heute ein Museum für Naturkunde, und ich darf hinzufügen auch einen Zoologischen Garten, die sich mit entsprechenden Anstalten Westeuropas messen können. Genau erinnere ich mich noch, mit welcher Freude, aber durch ein gewisses Staunen noch erhöhter Freude seinerzeit auf der jährlichen Tierversteigerung im Antwerpener Zoologischen Garten von den versammelten Tiergärtnern und Tierliebhabern aller Herren Länder der bulgarische Jägermeister Kurzius begrüßt wurde, der Leiter des königlichen Zoologischen Gartens in Sofia. Und wir freuten uns dann immer mehr, je mehr wir sahen, wie flott und zielbewußt er nach den Weisungen seines hohen Herrn kaufte, obwohl uns dadurch manches entging. Wußten wir doch, daß all die schönen Fasane und das andere Getier von ihrem neuen Besitzer auf dem Throne fern im Osten in ihrem Wert und wissenschaftlichen Interesse voll und ganz geschätzt werden würden!

        Und heute können wir es schon aus den statistischen Zahlen Bulgariens ablesen, wie weit dieser Geist des Lernens und Lehrens, dieser echte Kulturarbeitsgeist des Herrschers bereits ins Volk gedrungen ist, mit dem ernsten Streben dieses tüchtigen Volkes sich begegnet und vereinigt. Kaum jemals hat mir etwas so imponiert, wie kürzlich die Nachricht, daß am Tage, nachdem eine mazedonische Stadt von den Bulgaren eingenommen war, sofort dort eine bulgarische Schule eröffnet wurde. Bulgarien gibt heute für Unterricht 25 Millionen aus, beim Regierungsantritt Ferdinands I. waren es noch keine 2! Heute gibt es aber in Bulgarien auch nur noch zwei Menschen vom Hundert, die nicht lesen und schreiben können. Die Schule, die Wissenschaft ist doch das beste „Mütterchen", sie macht ihre Söhne stark. Das weiß im ganzen Osten kein Fürst und kein Volk so gut, wie Zar Ferdinand und seine Bulgaren. Und die verdienten Früchte dieser Erkenntnis sind ihnen sicher. Jetzt schon und in der Zukunft erst recht. Es hat den Bulgaren wahrlich keinen Schaden gebracht, daß auf ihrem Throne ein zünftiger Naturwissenschafter sitzt.




Königin Eleonore.

Eine Erinnerung an den Balkankrieg 1913.

Von Ladislaus v. Fenyes.


        Am 16. November 1913 war es, als Königin Eleonore von Bulgarien, geb. Prinzessin von Reuß, begleitet von den beiden Prinzessinnen Eudoxia und Nadeschda an der Kadettenschule zu Sofia vorfuhr, um das Lazarett zu Besuchen, welches in dieser, sonst von jugendlichem Frohmut erfüllten Anstalt eingerichtet und unserer Roten-Kreuz-Mission als Wirkungsstätte zugewiesen war. Uns allen wurde es rasch zur Gewißheit: Majestät kennt sich in der ärztlichen Wissenschaft gründlich aus. Sie fragte viel und interessierte sich, wie viele Fälle von Phlegmone wir haben. „Ach", sagte sie, „dort auf dem Verbandplatze wird jede Wunde so sehr tamponiert, daß die Absonderung keinen freien Weg hat. Nutzen die Dunstverbände? Und wieviel Amputationen mußten bisher vorgenommen werden?" „Majestät", bemerkte einer unserer Ärzte, „wir sind in dieser Hinsicht konservativ, einem armen Teufel sind Beine und Arme ein gar teures Gut, bisher hatten wir bloß eine einzige Beinamputation. Auch der Herr Professor teilt diese Auffassung." Mit tränenfeuchten Augen wandte sich die Königin nun an diesen: „Dafür danke ich Ihnen ganz besonders, Sie haben mir eine große Freude mit dieser Erklärung bereitet. Ich könnte es ja Ihnen, nicht wahr, nicht verübeln, wenn Sie sich als Anhänger der Amputationen erklären würden, ich bin jedoch glücklich, daß Sie sich so geäußert haben." Ein anderer unserer Ärzte sagte: „Majestät, wir hatten auch nicht ein einzigesmal zu bedauern, daß wir uns in zweifelhaften Fällen nicht für die Amputation entschieden haben." Die Königin faltete die Hände, als wollte sie sagen: „Gott sei's gedankt!" Dann unternahm sie einen Gang durch die Zimmer und blieb bei jedem einzelnen Kranken stehen.

Überall nickte sie mit dem Kopfe, zumeist trat sie an das Kopfende des Bettes und sprach einige Worte zu dem Kranken: „Wie geht es dir? Hast du große Schmerzen? Wo bekamst du die Wunde? Ihr habt euch wirklich heldenhaft benommen! Hast du Familie? Der Herr Doktor sagte mir, in diesem Zimmer werdet ihr alle genesen." Also sprach sie, duzte die Leute, ihre Worte klangen natürlich und voller Wärme. Die bulgarischen Soldaten aber richteten sich, wenn sie es vermochten, auf, es gab unter ihnen viele, die der Königin die Hand reichten, und sie drückte den Soldaten die Hand. In Bulgarien ist nämlich der Handkuß nur bei den vornehmeren Leuten Sitte. Und auch die Soldaten hatten ihre Königin geduzt. In einem Zimmer, wo lauter Schwerverwundete lagen, setzte sich die Königin auf die Betten. Sie zeigte durchaus keine Furcht vor eventuellen unangenehmen Folgen. Sie richtete an die Verwundeten die Frage, ob sie nicht irgendeinen Wunsch hätten. Dem Rednik Toso Jolow drang die Kugel am Scheitel in den Kopf und kam am Unterkiefer heraus. Er erbat von der Königin andere Zähne. Königin Eleonore wandte sich an den diensttuenden Major: „Bitte, notieren Sie es!" Sobald sie die Betten in der einen Reihe verließ, kamen die beiden Prinzessinnen; voran Eudoxia, holte unter dem Arme ein zwei Blumen hervor und reichte sie dem Kranken. Den Soldaten, die die Hände verbunden hatten, legte sie die Blumen auf die Decke. Gleich nach ihr kam auch Prinzessin Nadeschda und überreichte Photographien. Auch solche Verwundete gab es, die von dem königlichen Besuch nichts wußten. Sie lagen bewußtlos da, die Königin streichelte sie und die Prinzessinnen steckten ihnen die Blumen unter das Kissen.

In einem anderen Saale lag Apostol. Anastazi, dem man an dem selben Tage das linke Auge herausgenommen hatte. Die Bleikugel drang ihm durch die Pupille, drang durch den Schädel und kam hinter dem linken Ohr wieder heraus. Kopfschüttelnd hört die Königin den Vortrag der Ärzte an und setzt sich dann neben Anastazi, um mit ihm zu plaudern. Der aber versteht nur Griechisch, worauf die Königin eine der Wärterinnen, Fräulein Olga Dimitrow, zu sich winkt. Und so plaudern nun mit Hilfe der Dolmetscherin die Königin und Anastazi. Sie tröstet ihn. Neben ihr steht Frau Karawelow, die Witwe des einstigen bulgarischen Ministerpräsidenten, die für die seelischen Bedürfnisse der Kranken aller drei Stockwerke sorgt. Sie wechseln einen Blick, Frau Karawelow beginnt zu weinen, auch die Augen der Königin werden feucht, und dann umarmt sie Frau Karawelow. Dicht bei, auf Bett Nr. 14, liegt Veljo Kirow, dem ein Granatsplitter die Schulter zerschmettert hat. Er hatte eine furchtbare Phlegmone; unsere Ärzte arbeiteten stundenlang an ihm, denn auch das war ein Fall, wo die Franzosen unbedingt amputiert hätten. Die Königin fragt den Kommandanten: „Bleibt ihm der Arm? Er hat ja zwei Kinder." „Wir hoffen, ihn zu retten, Majestät; auf alle Fälle gaben wir ihm Tetanusantitoxin (gegen Starrkrampf), weil die Wunde sehr schmutzig war." „Ja," meinte die Königin, „nachträglich nutzt auch das Antitoxin nicht mehr. Das haben auch wir leider unten auf dem Schlachtfelde erfahren." „Es ist erstaunlich, wie orientiert Majestät in ärztlichen Sachen sind!" Bescheiden wehrte die Königin ab: „Ich bin ja diplomierte Krankenpflegerin und hatte im russisch-japanischen Kriege fast ein Jahr hindurch nur allzu reiche Gelegenheit, den Verwundeten beizustehen.  Sollte ich da nicht Übung haben?"