König Ferdinand ist ein Mann umfassender Bildung. Er beherrscht alle europäischen Sprachen und gilt in seinem Lande als der hervorragendste bulgarische Redner. Er spricht mit seinen griechischen Untertanen Griechisch, mit seinen Spaniolen Spaniolisch. Seine deutsche Aussprache ist ein echtes Burgtheaterdeutsch. König Ferdinand ist ein gewiegter Menschenkenner. Er ist im Umgang überaus leutselig, liebt es aber, seine Umgebung bis auf die Nieren zu prüfen. Er hat Leute, die ihm in eigenhändigen Briefen mit dem Tode drohten, in den höchsten Ämtern angestellt, weil er der Überzeugung war, daß diese Männer auf ihren Posten etwas leisten können und weil er ihnen zur rechten Zeit zu verzeihen wußte. Das ist vielleicht das charakteristischste Merkmal seiner Menschlichkeit. Der Zar der Bulgaren ist von einer Toleranz, die ihn zu dem Beherrscher aller Neußen in wohltuenden Gegensatz stellt. Der König ist auch eine rastlose, unermüdliche Arbeitskraft. Seiner nächsten Umgebung ist es ein Rätsel, wann der Herrscher der Nachtruhe pflegt. Nicht selten ruft er nach Mitternacht die Referenten zur Arbeit in sein Appartement. Bei meiner jüngsten Audienz wies der König lächelnd auf einen Aktenstoß, der etwa hundert Aktenstücke enthalten mochte, und sagte (es war gegen Mitternacht): „Das wird alles noch jetzt erledigt."
König Ferdinand steht fast mit allen europäischen Herrscherhäusern in verwandtschaftlichem Verhältnis. Diese Verwandtschaften waren ihm in seiner Herrscherlaufbahn von großem Vorteil. Ferdinand von Koburg wurde, als er die Nachfolgerschaft Alexanders von Battenberg angetreten hatte, in Bulgarien niemals als ein Fremdling betrachtet. Ich selbst konnte nach der Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien, an der ich tätigen Anteil genommen, destätigen, daß der Koburger bei seinem Einzug in Bulgarien von dem bulgarischen Volke mit Ehrfurcht und Vertrauen begrüßt wurde. Ja, man kann sagen, das Vertrauen, das das bulgarische Volk dem jungen Honvedoberleutnant von damals entgegenbrachte, war tiefer und größer, als das der europäischen Nationen, die dem neuen Fürsten Patenschaft gestanden hatten. Und als sich dann später König Ferdinand in Tirnowo die Zarentrone aufs Haupt setzte, da wurde dieser Akt von der ganzen Welt als ein Ereignis von historischer Bedeutung gefeiert. Als Fürst Ferdinand die Regierung übernahm, war sein ganzes Land unter russischem Einfluß. Der Nimbus des Zarbefreiers strahlte noch übermächtig, das bulgarische Volk sah mit einer gewissen Ehrfurcht zu dem Petersburger Machthaber empor. König Ferdinand hat Bulgarien auf seine eigenen Füße gestellt. Er hat aus einem russischen Bulgarien ein bulgarisches Bulgarien gemacht, das bulgarische und nicht russische Interessen vertritt. Fetzt, nach dreißig Jahren, sieht er sein Riesenwerk von Erfolg gekrönt. Bulgarien hat das russische Joch endgültig abgeschüttelt, das größere Bulgarien ist gegen den Zaren im Entstehen begriffen. Dem bulgarischen Charakter hat sich König Ferdinand, wie selten ein stammesfremder Fürst, assimiliert. Bulgarisch sind fein hoher politischer Ernst, seine Zielfestigkeit, sein antiker Gleichmut im Ertragen des Unglücks und seine Würde in den Stunden des höchsten Triumphes. Bulgarien hat in den zwei Balkankriegen Stunden des höchsten Glückes und des tiefsten Kummers erfahren. In beiden Lagen haben sich Bulgarien und sein Herrscher der Geschichte in würdevoller Größe gezeigt. Es war in der ruhmreichen Zeit, da das bulgarische Heer zwischen Adrianopel und Tschataldscha stand. König Ferdinand erschien bei einem Brückenkopfe am Tschorlubach; auf der anderen Seite des Baches hatte sich der türkische Kriegsminister eingefunden. Hier spielte sich eine Szene ab, die mir König Ferdinand selbst erzählte und die ich als Charakteristik seiner Persönlichkeit diesem Bilde einfügen will: „Ich sagte", so teilte mir der König mit, „dem türkischen Kriegsminister, daß es mir im Herzen wehe tue, einem so braven Volke wie dem türkischen mit dem Schwerte in der Hand entgegentreten zu müssen. Ich schätze die Türken sehr hoch und ich will ihnen hierfür auch einen Beweis geben. Ich sehe, wie das türkische Heer unter der Cholera leidet. Stellen sie hier, am Tschorlubache, der choleraverseucht ist, Wachen auf und verbieten Sie bei Todesstrafe, aus dem Bache zu trinken." Der König erzählte mir noch, daß er eine große Menge Tee dem Feinde geschickt habe, damit die Cholerakranken gelabt werden könnten. In seinem eigenen Heere erwarb sich König Ferdinand bei der Bekämpfung der Cholera unvergängliche Verdienste.
Es kam die Zeit des Unglücks. Es
war
nach dem Bukarester Frieden, als ich vor dem König erschien. In
dieser Zeit
stand er vielleicht auf der höchsten sittlichen Höhe seiner
Herrscherlaufbahn,
aber trotz der entsagungsreichen Stimmung lebte in ihm die feste
Zuversicht auf
eine bessere Zukunft. Er war ruhig und gefaßt, er wußte,
daß er die bulgarische
Nation einer Reife entgegengeführt hatte, die antimonarchische
Wirren und
Revolutionen ausschloß. Das bulgarische Volk ertrug sein
Mißgeschick mit
Heroismus, denn es fühlte, daß die Zeit der endgültigen
Abrechnung kommen
müsse. In jenen Tagen des gemeinsamen Wehs haben die bulgarische
Nation und ihr
Herrscher einander vollkommen verstehen gelernt. Das bulgarische Volk
ist sich
dessen bewußt, daß es in seinem Herrscher eine
Persönlichkeit besitzt, die sich
das Vertrauen der Nation durch schier übermenschliche Arbeit,
durch
Zielbewußtsein und Entsagung verdient hat.
Als oberster Kriegsherr ist der
König
der Bulgaren Liebling seines Heeres. Erst seit seinem
Regierungsantritte kann
überhaupt von einem regulären, disziplinierten bulgarischen
Heere gesprochen
werden. Als er den Fürstenthron bestieg, hatte Rußland in
perfider Weise das
bulgarische Heer vernichtet, indem es sämtliche russischen
Offiziere zurückzog.
So war das bulgarische Heer ohne Offiziere geblieben. König
Ferdinand schuf ein
gebildetes Offizierkorps und sicherte ihm auch die nötige
Autorität. Er ist der
Vater und Lehrer seines Heeres, der die Armee mit ungeheurem
Fleiß bis zu der
heutigen, von der ganzen Welt anerkannten Höhe emporgebracht.
König Ferdinand
selbst befaßt sich mit Vorliebe auch mit militärischen
Studien. Er unternimmt
nie eine Reise, ohne eine kleine militärische Bibliothek
mitzuführen. Wer mit
dem König zu reisen Gelegenheit hatte, der mußte stets
über die Menge von
Landkarten staunen, die im bunten Durcheinander im Salonwagen verstreut
lagen.
In dreißigjähriger mühevoller Arbeit hat er sein Land
politisch und militärisch
für die großen entscheidungsvollen Stunden der Gegenwart
erzogen. Er kann der
letzten Entscheidung ruhigen Gewissens und mit der
unerschütterlichen Hoffnung
auf vollen Erfolg entgegensehen. Politisch und militärisch ist die
Saat König
Ferdinands in die Halme geschossen. Das größere Bulgarien
rüstet sich in
jubelnder Zuversicht, die herrliche glorreiche Ernte einzuheimsen.
Aus der Jugendzeit des Königs Ferdinand.
König Ferdinand, der nun im
56.
Lebensjahre steht und seit 28 Jahren Bulgariens Herrscher ist,
erblickte in
Wien, im Palais Coburg, auf der Seilerstatte, das Licht der Welt als
fünftes
und letztes Kind des Prinzen August von Sachsen-Coburg-Gotha und dessen
Gemahlin Klementine, Prinzessin von Orleans. Der Vater starb schon im
Alter von
63 Jahren, die Mutter aber erst im 90. Lebensjahre. Von seiten seiner
Eltern
erhielt Prinz Ferdinand die denkbar sorgfältigste Erziehung und
Pflege. Seine
Jugendjahre verbrachte er in Wien, und während des Sommers weilte
er mit seinen
Eltern auf den großen Gütern seines Vaters in Osterreich und
Ungarn. Dazwischen
wurden häufige Reisen nach Frankreich, England und dem Orient
unternommen,
wohin auch der junge Prinz schon mitreiste. Seine geistigen
Fähigkeiten waren
schon frühzeitig erwacht und wurden durch die Reisen noch mehr
gestärkt, so daß
er sich auch später aller jener gewonnenen Eindrücke lebhaft
erinnerte. Mit
fünfeinhalb Jahren erhielt er den Schreiber dieser Zeilen, einen
Bayern, der
hellte noch in seinem Dienste als Privat sekretär steht und dem er
rührende
Liebe bewahrt hat, zum Erzieher. Die Konstitution des Prinzen war in der
frühesten
Jugend von zarter Natur, kräftigte sich aber mit den Jahren immer
mehr. Sein
Geist aber war schon frühzeitig sehr lebhaft, daßer
interessierte er sich für
alles, was um ihn vorging. Besondere Liebe und Hingebung hatte er
für einzelne
Unterrichtsfächer, so für Geschichte mit ihren
Nebenfächern Genealogie und
Geographie, ferner für Naturwissenschaften und neuere Sprachen.
Außerordentlich
gründliche Kenntnisse eignete er sich in den Naturwissenschaften
an, so daß er
selbst Fachleute und Männer der Wissenschaft oft in Verwunderung
setzte. Es war
eben nicht bloß Liebhaberei bei diesem Studium, sondern ernste,
wissenschaftliche Arbeit. Die Anregung zu diesen Studien gab
vorzugsweise der
Aufenthalt auf dem Lande, im Gebirge, auf Reisen, der Besuch der
botanischen
und zoologischen Gärten, Museen usw. Wie freute er sich, wenn er
im Frühlinge
die ersten Blumen, Schmetterlinge oder eine seltene Pflanze, eine
Orchidee oder
ein längst gesuchtes Farrenkraut auf luftiger Höhe an einer
Felswand entdeckte!
Diese Pflanzen wurden dann sorgfältig ausgegraben, zu Hause
gereinigt und
aufmerksam gepflegt. Stunden gingen darüber hin, bis alles in
Ordnung war. Da
kannte er keine Ermüdung. Bis nicht die letzte Blüte
vertrocknet und abgefallen
war, durfte keine Blume aus dem Glase entfernt werden. Und dann wurden
erst
noch die verwelkten Pflanzen samt der Wurzel — wenn der Prinz in der
Ferne war
— sorgfältig in Kisten verpackt, die nach dem Garten am Palais
Coburg in Wien
wanderten, später aber nach Sofia in die Hofgärten, wo diese
Reste neu
auferstehen und sich weiterentwickeln sollten. Der Hofgärtner in
Sofia, ein
biederer Tiroler, schüttelte bisweilen den Kopf, wenn er den
Inhalt solch einer
Kiste bekam. Aber seiner geschulten und sorgsamen Hand glückte
meistens das
Experiment. Die selbe aufmerksame Behandlung wurde auch den
Schmetterlingen und
Vögeln zuteil. Zeuge ist jetzt das naturwissenschaftliche
Hofmuseum in Sofia,
welches alle Tiere nach ihrer Tötung oder ihrem Absterben
präpariert aufnimmt.
Dieses Museum ist das Werk des Königs und verdient wegen seiner
Reichhaltigkeit
und seltenen Exemplare die höchste Beachtung.
Außer diesem Museum schuf der König auch einen zoologischen Garten, den ersten auf der Balkaninsel, mit vielen verschiedenen Tieren, besonders mit prächtigen und seltenen Vögeln, darunter den rarsten Arten von Fasanen, die akklimatisiert und in den Auen freigelassen werden. So gibt es bei Philippopel eine große Insel in der Maritza, auf der sich diese buntgefiederten Hühnervögel, wie Gold-, Silber-, Geheiligter Fasan (Fasanus veneratus), in Menge befinden und wie unsere Fasanen gejagt werden. Es ist ein herrlicher Anblick, diese schmucken Vögel im Wald und Gebüsch frei daßerschreiten oder fliegen zu sehen. Obgleich ein solches Unternehmen auf große Schwierigkeiten und Kosten stieß, ließ sich der König davon nicht abschrecken. Seine Ausdauer, verbunden mit einer feinen und scharfen Beobachtungsgabe für die notwendigen Bedingungen dieser Tiere, brachte glücklichen Erfolg.
Aber auch die anderen in der Jugend gepflegten Lieblingswissenschaften finden noch heute des Königs regstes Interesse. Kommt z. B. bei Tisch ein geschichtliches Thema zur Sprache, so verlängert sich alsdann die Tischzeit um ein beträchtliches. Der König vergißt das Essen und Trinken und vertieft sich gründlich in das Thema, spricht selbst darüber und regt deständig an, Sein ausgezeichnetes Gedächtnis unterstützt ihn dabei aufs beste. Der Haus-Hofmeister steht dann mit seinem nächsten Gerichte vor der Tür und erwartet das Zeichen zum Weiterservieren; mittlerweile sieht er verzweifelnd, wie sein „Auflauf" von Minute zu Minute eine bedenklichere Miene annimmt und schließlich gar nicht mehr hoffähig ist.
Wenn ich mit dieser kurzen Darlegung auch in die spätere Zeit des Königs hineingeraten bin, so wollte ich damit nur andeuten, wie ernst und umfassend der König noch heute die Wissenschaften behandelt, womit er oft große Gelehrte überrascht.
Nach dieser Abschweifung wieder zur Zugendzeit des Prinzen zurückkehrend, sei noch seiner großen Reise gedacht, die er im Alter von 18 Jahren mit seinem Bruder, dem Prinzen August, zu wissenschaftlichem Zwecke nach Brasilien unternahm, heimwärts auch Afrika Besuchend, wo beide Prinzen Gäste des Sultans von Marokko waren. Von dieser Reise brachte er viele wissenschaftliche Schätze aus der Botanik nach Hause, die in einem zweibändigen, mit herrlichen Abbildungen geschmückten Werke beschreiben sind.
Außer dieser Weltreise machte er auch früher und später große Reisen durch Europa, um seinen Wissensdurst und seine Kenntnisse zu bereichern.
Zweimal wurde er von seinem Onkel, dem Herzoge Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha, zu diplomatischen Missionen berufen, welcher Aufgabe er sich mit großem Interesse und diplomatischem Talente entledigte.
Sobald der Prinz seine allgemeinen wissenschaftlichen Studien beendet hatte, begann er das Studium der Militärwissenschaften, die von Fachlehrern der k. k. Kadettenschule in Wien erteilt wurden. Nach vorzüglich bestandener Prüfung an dieser Schule wurde ihm die besondere Aus-zeichnung zuteil, von Seiner Majestät dem Kaiser von Österreich zu dem glänzenden Resultate beglückwünscht zu werden. Nun trat der Prinz am 27. April 1881 als Leutnant in das 11. k. k. Husarenregiment ein, zu dessen Chef er im Jahre 1907 von Seiner Majestät ernannt wurde. Aus Gesundheitsrücksichten lieh er sich später in ein Jägerbataillon versetzen, trat aber, als seine Gesundheit es erlaubte, als Oberleutnant wieder in ein Honved-Husarenregiment ein, wo er bis zu seiner Erwählung zum Fürsten von Bulgarien, die am 7. Juli 1837 erfolgte, verblieb.
Was der Prinz als Fürst und
König
seinem Lande Bulgarien wurde, wird eine kundigere Hand schildern.
Soviel sei
bemerkt: wenn heute Bulgarien hochgeschätzt, anderseits
gefürchtet ist, so
verdankt es dies seinem Könige, der durch seine weise Führung
und kraftvolle
Energie Bulgarien groß und gefürchtet machte. Möge
Bulgarien dessen immer in
Dankbarkeit gedenken!
Es war vor langen Jahren an einem
Sommer-Sonntagnachmittag, an einem „billigen" Sonntag; der ganze
Garten,
alle Tierhäuser voll Menschen. Da wird mir der Besuch des
Herrschers der
Bulgaren gemeldet, und ich eile dem hohen Herrn hocherfreut entgegen.
Meine
Freude war um so größer und innerlicher, als ich schon viel
von der lebhaften
und fachverständigen Anteilnahme Ferdinands I. an der Tierwelt und
Tierkunde
gehört hatte; zugleich befiel mich aber eine gewisse
Beklommenheit, wie sich
wohl die Führung des hohen Besuches in dem Menschengewühl
abwickeln würde. Aber letztere
Schwierigkeit wurde ich indes
sofort beruhigt.
Der Fürst bewegte sich mit einer Selbstverständlichkeit und leutseligen Rücksichtnahme zwischen den Volksmassen, wollte nicht, daß seinetwegen irgend jemand zurückgedrängt würde, und seine Erscheinung wiederum flößte überall einen so natürlichen Respekt ein, daß freiwillig Platz gemacht wurde, wohin wir kamen.
Und wir kamen überall hin! Denn so viel merkte ich schnell: das war nicht der übliche Sehenswürdigkeitsbesuch, bei dem das Wichtigste ist, daß man vorher erfährt, wie lange die Sache dauern darf; vielmehr mußten jetzt der Berliner Zoo und ich zeigen, was wir haben und können, bis aufs Letzte, wie das sonst nur der gründlichste Fachgenosse verlangt. Wenn aber das Zeigen immer eine Freude ist, wie groß war sie erst in diesem Falle! Ich vergaß darüber, über unausgesetzter, angelegtester Rede und Gegenrede ganz die Zeit, und als der hohe Gast mir schließlich im Nilpferdhause mit huldvollen Worten zum Abschied einen Gegenstand in die Hand drückte, war es schon so dämmerig, daß ich gerade noch eine rote Kapsel erkennen konnte, deren ehrenden Inhalt ich ahnte. Zeitweise war ich schon vorher im Gesprach der Empfangende gewesen, und im Großen Vogelhaus tauschten sich vollends die Rollen. Da, vor den dreifach übereinander getürmten Einzelkäsigen der Hunderte und Aberhunderte verschiedener Arten von Papageien und anderen fremdländischen Vögeln, erfuhr ich jetzt selber, was mir der alte, volkstümliche Vogelkundige und Vogelpfleger Karl Ruß immer gesagt hatte: „Freuen Sie sich, wenn mein hoher Gönner aus Bulgarien einmal zu Ihnen kommt! Dann werden Sie ein gekröntes Haupt kennen lernen, das zugleich ein ganz zünftiger, ausgelernter Ornithologe und an treffsicherer Kennerschaft gar manchmal uns allen über ist!" So war es wirklich. Der hohe Herr kannte und nannte z. B. auf den ersten Blick alle Webervögel, auch in dem sperlingsfarbigen Zwischenkleide, in dem sie für die allermeisten Menschen einer wie der andere aussehen. Ruß hatte mir aber auch erzählt, daß er ein für allemal den Auftrag hatte, alle Seltenheiten und Neuheiten, die in ausländischen Stubenvögeln auf den Vogelmartt kamen, zu kaufen und, nachdem er sie beobachtet und begutachtet, nach Wien ins Palais Coburg zu schicken, wo Prinz Ferdinand schon als Schüler eine Sammlung lebender Vögel unterhielt und selbst pflegte, die ihresgleichen suchte. Gleiche Hingabe wurde einer ganz bedeutenden Schmetterlingssammlung gewidmet, Pflanzen- und Gesteinkunde ebenfalls durchaus fachmännisch betrieben. Und als natürliche Folge wuchs aus dieser Naturforscherneigung und -begabung eine Reise nach Brasilien hervor, die Prinz Ferdinand mit seinem Bruder August im Jahre 1879 machte und die reiche Früchte für die Sammlungen brachte.
Schon 1874 wurde Prinz Ferdinand Mitglied der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft und zwar ganz zünftiges ordentliches Mitglied, wie jeder wirkliche Jünger der wissenschaftlichen Ornithologie. Als solcher fühlt sich der hohe Herr mit Stolz; das hat er noch ganz ausdrücklich bei der letzten Audienz ausgesprochen, die er als Gast unseres Kaisers dem Vorsitzenden und Schriftführer der Gesellschaft, unseren bekannten Berliner Ornithologen Schalow und Neichenow gewährte. Diese Audienz wurde sofort zur wissenschaftlichen Debatte lebhaftester und eingehendster Art und dauerte zwei Stunden, obwohl im Vorzimmer die Besucher sich drängten; im Verlauf der Unterhaltung holte Zar Ferdinand auch den Bericht des letzten Internationalen Ornithologenkongresses herbei; er hatte ihn als Reiselektüre mitgeführt. Eine neue besonders schöne und merkwürdige Wildtaubenart, die der neuerdings viel genannte Sammelreisende Grauer vom Albert-Eduard-See mitgebracht hatte, war dem gekrönten Fachmann schon nichts Neues mehr; er hatte die erste Gelegenheit benutzt, um sie sich nebst anderer Ausbeute Grauers im Wiener Hofmuseum anzusehen.
Solche Einzelzüge ließen sich gewiß noch viele anreihen, wie z. B. die zoogeographische Abhandlung Ferdinands I. über die Einwanderung des Rosenstars in Bulgarien, die in den Mitteilungen des Dresdener Museums erschienen ist. Sie fügen sich alle zu demselben Bilde, beweisen alle dasselbe: daß nämlich der bulgarische Zar nicht nur der weise Staatsmann und kulturfördernde Herrscher seines Landes und Volkes ist, als den die Welt ihn kennt und wertet, sondern völlig unbeschadet dessen auch ein ebenso hervorragender Naturwissenschafter, der kraft seiner fachmännischen Kenntnisse jeden Augenblick eine leitende Stelle an einem Museum oder Zoologischen Garten einnehmen und ausfüllen könnte.
Solche naturwissenschaftlichen Liebhabereien, Neigungen und Fähigleiten, beim gewöhnlichen Sterblichen sind sie eine edle Geistesblüte, für die Allgemeinheit aber ohne Belang: beim Herrscher werden sie zum Kultursegen für sein Volk. So in Bulgarien. Vor mir liegt ein stattlicher Band aus dem Jahre 1907: „Collections du Musée d’Histoire naturelle de Sa Majesté Ferdinand I. Roi des Bulgares.“ Er beweist es. Dank der Sammler- und Forschernatur seines Zaren besitzt Bulgarien in seiner Hauptstadt Sofia heute ein Museum für Naturkunde, und ich darf hinzufügen auch einen Zoologischen Garten, die sich mit entsprechenden Anstalten Westeuropas messen können. Genau erinnere ich mich noch, mit welcher Freude, aber durch ein gewisses Staunen noch erhöhter Freude seinerzeit auf der jährlichen Tierversteigerung im Antwerpener Zoologischen Garten von den versammelten Tiergärtnern und Tierliebhabern aller Herren Länder der bulgarische Jägermeister Kurzius begrüßt wurde, der Leiter des königlichen Zoologischen Gartens in Sofia. Und wir freuten uns dann immer mehr, je mehr wir sahen, wie flott und zielbewußt er nach den Weisungen seines hohen Herrn kaufte, obwohl uns dadurch manches entging. Wußten wir doch, daß all die schönen Fasane und das andere Getier von ihrem neuen Besitzer auf dem Throne fern im Osten in ihrem Wert und wissenschaftlichen Interesse voll und ganz geschätzt werden würden!
Eine Erinnerung an
den Balkankrieg 1913.
Von Ladislaus v. Fenyes.
Am 16. November 1913 war es, als
Königin Eleonore von Bulgarien, geb. Prinzessin von Reuß,
begleitet von den
beiden Prinzessinnen Eudoxia und Nadeschda an der Kadettenschule zu
Sofia
vorfuhr, um das Lazarett zu Besuchen, welches in dieser, sonst von
jugendlichem
Frohmut erfüllten Anstalt eingerichtet und unserer
Roten-Kreuz-Mission als
Wirkungsstätte zugewiesen war. Uns allen wurde es rasch zur
Gewißheit: Majestät
kennt sich in der ärztlichen Wissenschaft gründlich aus. Sie
fragte viel und
interessierte sich, wie viele Fälle von Phlegmone wir haben.
„Ach", sagte
sie, „dort auf dem Verbandplatze wird jede Wunde so sehr tamponiert,
daß die
Absonderung keinen freien Weg hat. Nutzen die Dunstverbände? Und
wieviel Amputationen
mußten bisher vorgenommen werden?" „Majestät", bemerkte
einer unserer
Ärzte, „wir sind in dieser Hinsicht konservativ, einem armen
Teufel sind Beine
und Arme ein gar teures Gut, bisher hatten wir bloß eine einzige
Beinamputation. Auch der Herr Professor teilt diese Auffassung." Mit
tränenfeuchten Augen wandte sich die Königin nun an diesen:
„Dafür danke ich
Ihnen ganz besonders, Sie haben mir eine große Freude mit dieser
Erklärung
bereitet. Ich könnte es ja Ihnen, nicht wahr, nicht verübeln,
wenn Sie sich als
Anhänger der Amputationen erklären würden, ich bin
jedoch glücklich, daß Sie
sich so geäußert haben." Ein anderer unserer Ärzte
sagte: „Majestät, wir
hatten auch nicht ein einzigesmal zu bedauern, daß wir uns in
zweifelhaften
Fällen nicht für die Amputation entschieden haben." Die
Königin faltete
die Hände, als wollte sie sagen: „Gott sei's gedankt!" Dann
unternahm sie
einen Gang durch die Zimmer und blieb bei jedem einzelnen Kranken
stehen.
Überall nickte sie mit dem Kopfe, zumeist trat sie an das Kopfende des Bettes und sprach einige Worte zu dem Kranken: „Wie geht es dir? Hast du große Schmerzen? Wo bekamst du die Wunde? Ihr habt euch wirklich heldenhaft benommen! Hast du Familie? Der Herr Doktor sagte mir, in diesem Zimmer werdet ihr alle genesen." Also sprach sie, duzte die Leute, ihre Worte klangen natürlich und voller Wärme. Die bulgarischen Soldaten aber richteten sich, wenn sie es vermochten, auf, es gab unter ihnen viele, die der Königin die Hand reichten, und sie drückte den Soldaten die Hand. In Bulgarien ist nämlich der Handkuß nur bei den vornehmeren Leuten Sitte. Und auch die Soldaten hatten ihre Königin geduzt. In einem Zimmer, wo lauter Schwerverwundete lagen, setzte sich die Königin auf die Betten. Sie zeigte durchaus keine Furcht vor eventuellen unangenehmen Folgen. Sie richtete an die Verwundeten die Frage, ob sie nicht irgendeinen Wunsch hätten. Dem Rednik Toso Jolow drang die Kugel am Scheitel in den Kopf und kam am Unterkiefer heraus. Er erbat von der Königin andere Zähne. Königin Eleonore wandte sich an den diensttuenden Major: „Bitte, notieren Sie es!" Sobald sie die Betten in der einen Reihe verließ, kamen die beiden Prinzessinnen; voran Eudoxia, holte unter dem Arme ein zwei Blumen hervor und reichte sie dem Kranken. Den Soldaten, die die Hände verbunden hatten, legte sie die Blumen auf die Decke. Gleich nach ihr kam auch Prinzessin Nadeschda und überreichte Photographien. Auch solche Verwundete gab es, die von dem königlichen Besuch nichts wußten. Sie lagen bewußtlos da, die Königin streichelte sie und die Prinzessinnen steckten ihnen die Blumen unter das Kissen.
In einem anderen Saale lag Apostol.
Anastazi, dem man an dem selben Tage das linke Auge herausgenommen
hatte. Die
Bleikugel drang ihm durch die Pupille, drang durch den Schädel und
kam hinter dem
linken Ohr wieder heraus. Kopfschüttelnd hört die
Königin den Vortrag der Ärzte
an und setzt sich dann neben Anastazi, um mit ihm zu plaudern. Der aber
versteht nur Griechisch, worauf die Königin eine der
Wärterinnen, Fräulein Olga
Dimitrow, zu sich winkt. Und so plaudern nun mit Hilfe der
Dolmetscherin die Königin
und Anastazi. Sie tröstet ihn. Neben ihr steht Frau Karawelow, die
Witwe des
einstigen bulgarischen Ministerpräsidenten, die für die
seelischen Bedürfnisse
der Kranken aller drei Stockwerke sorgt. Sie wechseln einen Blick, Frau
Karawelow beginnt zu weinen, auch die Augen der Königin werden
feucht, und dann
umarmt sie Frau Karawelow. Dicht bei, auf Bett Nr. 14, liegt Veljo
Kirow, dem
ein Granatsplitter die Schulter zerschmettert hat. Er hatte eine
furchtbare
Phlegmone; unsere Ärzte arbeiteten stundenlang an ihm, denn auch
das war ein
Fall, wo die Franzosen unbedingt amputiert hätten. Die
Königin fragt den
Kommandanten: „Bleibt ihm der Arm? Er hat ja zwei Kinder." „Wir hoffen,
ihn zu retten, Majestät; auf alle Fälle gaben wir ihm
Tetanusantitoxin (gegen
Starrkrampf), weil die Wunde sehr schmutzig war." „Ja," meinte die
Königin, „nachträglich nutzt auch das Antitoxin nicht mehr.
Das haben auch wir
leider unten auf dem Schlachtfelde erfahren." „Es ist erstaunlich, wie
orientiert Majestät in ärztlichen Sachen sind!" Bescheiden
wehrte die
Königin ab: „Ich bin ja diplomierte Krankenpflegerin und hatte im
russisch-japanischen Kriege fast ein Jahr hindurch nur allzu reiche
Gelegenheit,
den Verwundeten beizustehen. Sollte ich
da nicht Übung haben?"