Der Kresna-Razlog-Aufstand 1878-1879
Dojno Dojnov
 
INHALT

Anstatt eines Vorworts ....... 5
Einleitung ....... 7

   1. Kapitel. Vorbereitung, Verkündung und Verlauf des Aufstandes.
Die Verhältnisse in den südwestlichen bulgarischen Gebieten am Vor abend des Aufstandes ....... 14
Vorbereitung des Aufstandes ....... 26
Ausbruch und erste Ergebnisse ....... 37
Der Aufstand im Kreis Razlog ....... 50
Entwicklung und Erstickung des Aufstandes im Kreis Gorna Dzumaja ....... 60
Aufstandsaktionen im Winter 1878-1879 ....... 70
Auswirkung des Kresna- Razlog-Aufstandes im Innern Makedonines. Tätigkeit von Freischaren in der ersten Hälfte des Jahres 1879 ....... 79

   2. Kapitel. Leitung und Organisation des Aufstandes
Das Zentralkomitee ....... 118
Die Bedeutung und die Unterstützung der Komites “Edinstvo” ....... 127
Institutionen und Organisationen des Aufstands ....... 152

   3. Kapitel. Die außenpolitischen Verhältnisse und der Aufstand
Die Politik der Großmächte und der Aufstand ....... 172
Der Kresna-Razlog-Aufstand und die nationalen Befreiungsbewegungen anderen Balkanvölker ....... 262
Einige notwendige Schlußfolgerungen ....... 276

Literatur ....... 285
Abkürzungen ....... 291
Zusammenfassung im Russischen ....... 295
Zusammenfassung im Deutschen ....... 299
Zusammenfassung im Englischen ....... 306
Zusammenfassung im Französischen ....... 313
Register der geographischen Namen ....... 320
Namensregister ....... 326




 
DER KRESNA-RAZLOG-AUFSTAND 1878-1879

DOJNO DOJNOV

(Zusammenfassung)

Der Kresna-Razlog-Aufstand bricht am Wendepunkt zweier Zeitalter der geschichtlichen Entwicklung des bulgarischen Volkes aus: er schließt die nationalen Befreiungs- und Revolutionskämpfe vor der Befreiung Bulgariens von der Türkenherrschaft ab und leitet dabei auch die heroischen Bemühungen der makedonischen sowie eines Teiles der thrakischen Bulgaren um die Beseitigung des osmanischen Feudalismus, um Freiheit und sozialen Fortschritt ein, die zu tragischen Folgen geführt haben.

Vermutlich ist dieser Aufstand daher im Schatten der großen historischen Ereignisse geblieben, zu denen der April-Aufstand (1876), der russisch-türkische Befreiungskrieg (1877-1878), der Ilinden (Eliastag-), der Preobrazenski-(Verklärungstag-) Aufstand u. a. gehören, ohne von der bulgarischen und ausländischen Geschichtsschreibung gebührend gewürdigt zu werden. Eine Ausnahme ist die Untersuchung des bulgarischen Patriarchen Kyrill “Der Widerstand gegen den Berliner Vertrag. Der Kresna-Aufstand”. Sofia, 1955, die aber den Gegenstand nicht erschöpft. Nach ihrer Veröffentlichung wurden außerdem eine Reihe von neuen Dokumenten, Erinnerungen usw. entdeckt, untersucht und publiziert, die die Geschichte des Aufstandes ergänzen, bereichern und neu beleuchten.

Die vorliegende Arbeit hat die Aufgabe, die bekannten Angaben zusammenzufassen, die neu entdeckten historischen Zeugnisse auszuwerten und die Ereignisse auf Grund der vorhandenen und neu erschienenen Literatur neu zu bewerten (in vielen Fällen behandelt sie nicht unmittelbar den Aufstand, deckt aber mittelbar wesentliche Besonderheiten dieses Ereignisses auf). Der Verfasser verfolgt vor allem die Absicht, nicht ausführlich untersuchte Fragen zu erörtern wie etwa: die politische Auswirkung des Aufstandes, der nur in Nordostmakedonien und den übrigen Teilen der Provinz ausbricht und abläuft; die Untersuchung aller vorhandenen authentischen Dokumente des Aufstandes, um dadurch die Organisation, das Ziel und das Programm des Aufstandes zu klären; die Politik der Großmächte und die Bedeutung der nationalen Befreiungsbewegungen der Balkanvölker für die Endergebnisse des Aufstandes zu umreißen. Dabei verweist der Verfasser darauf, daß er die sozialökonomischen und gesellschaftlich-politischen Voraussetzungen des Aufstandes in seiner Arbelt nicht erörtert, da er sie in seiner früheren Arbeit “Die nationalen Revolutionskämpfe in Südwestbulgarien während der sechziger und siebziger Jahre des 19. Jhs.”, Sofia, 1976, erschöpfend behandelt hat.

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Die Arbeit besteht aus einer Einführung und folgenden drei Kapiteln: 1. Kapitel: “Vorbereitung, Verkündung und Verlauf des Aufstandes”, 2. Kapitel: “Leitung und Organisation des Aufstandes”; 3. Kapitel: “Die außenpolitischen Verhältnisse und der Aufstand”, gefolgt von einem Schlußwort.

Die Arbeit untersucht folgende wesentlichere Probleme und Ereignisse:

Die Ursachen des Kresna-Razlog-Aufstandes sind dieselben wie die, die den vorangegangenen April-Aufstand hervorgerufen haben: fremdherrschaftliche Unterdrückung und halbfeudalistische Ausbeutungsweise der bulgarischen Bevölkerung unter den Verhältnissen des Osmanischen Reiches. Außerdem wurde der Aufstand durch einen konkreten Anlaß ausgelöst: die ungerechten Beschlüsse des Berliner Kongresses, wonach die Bulgaren in Thrakien und Makedonien von ihren Brüdern in Nordbulgarien getrennt wurden und außerhalb der Grenzen des befreiten Fürstentums Bulgarien verblieben. Folglich war der Aufstand ebenso auf die weitere Erkämpfung der nationalen Unabhängigkeit, die Beseitigung der entarteten Formen des osmanischen halbfeudalistischen Systems als auch auf die Schaffung eines einheitlichen bulgarischen Staates gerichtet.

In diesem Sinn ist der Aufstand eine logische Fortsetzung und Erweiterung der bulgarischen nationalen bourgeoisen demokratischen Revolution.

Auch vor dem Kresna-Razlog-Aufstand hat die bulgarische Bevölkerung Makedoniens (die sich, übrigens, selbst als bulgarisch fühlte und ausgab) in einer einheitlichen Front mit den Bulgaren aus den übrigen bulgarischen Gebieten für die nationale Befreiung gekämpft.

Die Klauseln des Berliner Vertrages von 1878, die die bulgarischen Gebiete auseinanderrissen, entsprachen nicht dem Geist, dem Charakter und den Ansprüchen des Programms der bulgarischen Nation. Sie standen auch im Gegensatz zu den bis dahin geführten Kämpfen und den Bestrebungen des bulgarischen Volkes, einschließlich der bulgarischen Bevölkerung Makedonien (die in diesem Gebiet, ungeachtet der anderen nationalen Gruppen wie Türken, Griechen, Walachen, Albaner usw. vorherrschte).

Die Tatsachen zeigen, daß die Bulgaren in Makedonien mit Ungeduld und Freude ihre Befreiung während des russisch-türkischen Befreiungskrieges von 1877-1878 erwarteten. Es wurden zahlreiche Delegationen, Bittschriften usw. mit dem Ziel entsandt, von den russischen Behörden die Bereitstellung russischer Einheiten zur Befreiung dieser Landesteile Bulgariens zu verlangen.

Infolge der Gegenwirkung der Großmächte und der Gefahr eines Krieges mit Österreich-Ungarn und England schritt die russische Regierung nicht zur Erfüllung des Friedensvertrages von San Stefano. Die Gebiete südlich und westlich von Gorna Dzumaja (heute Blagoevgrad) und Kjustendil blieben jenseits der Demarkationslinie.

Bereits unmittelbar danach begann ein spontaner Kampf der bulgarischen Bevölkerung Makedoniens zur Sprengung der Fremdherrschaft, der völlig natürlich und von keiner Seite beeinflußt den Weg zur Vereinigung mit dem neu gegründeten freien FürstentumBulgarieneinschlug. Ein typisches Beispiel dafür sind 40 Ortschaften im Kreis Carevo selo. Mit der Hilfe der Freischaren der bekannten Woiwoden und Revolitionäre Iljo Markov und Dimitär Popgeorgiev vertrieb die Bevölkerung dieses Gebiets die Vertreter der türkischen Staatsmacht, verkündete seine Freiheit und schloß sich dem Landesbezirk von Kjustendil, d. h. dem Fürstentum Bulgarien an. Durch ganz Ostmakedonien streiften Freischaren, von denen manche ihre Tätigkeit noch seit dem Kriege fort-

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setzten und die Bevölkerung zum bewaffneten Kampf aufriefen. Zur gleichen Zeit bemühten sich die Bulgaren in Makedonien, die Emigranten im Fürstentum Bulgarien und im Ostrumelien, die diplomatischen Kreise zur Erfüllung des Friedensvertrages von San Stefano zu bewegen.

Der Aufruf zur Erfüllung des Friedensvertrages von San Stefano drückte an und für sich die Bestrebung nach der Beseitigung der türkischen feudalistischen Unterdrückung, nach Lösung der Agrarfrage und der nationalen Befreiung aus. Daher entfaltete sich eine derartige Massenbewegung zur Verwirklichung des Vertrages, zur Gründung eines einheitlichen bulgarischen Staates. Die Verkündung des Berliner Vertrages rief unter den Bulgaren in Makedonien tiefes Entsetzen und begründete Unruhe hervor. Dabei begann aber gleichzeitig, auf der Grundlage der immer noch lebendigen nationalen revolutionären Traditionen, ein spontaner Kampf und die Vorbereitung eines bewaffneten Widerstandes, d. h. eines organisierten Aufstandes.

Herde des Widerstandes der Bulgaren Makedoniens wurden die Grenzstädte Kjustendil und Gorna Dzumaja (heute Blagoevgrad), wo sich eine große Masse von Flüchtlingen aus Makedonien, Freischaren und einstige Woiwoden konzentrierten. Jeden Tag ereigneten sich in diesen Gebieten Zusammenstöße mit türkischen Grenzwachen, geheime Überläufe aus dem Innern Makedoniens zum Fürstentum Bulgarien sowie, in umgekehrter Richtung, der Einzug von Freischaren und einzelnen bewaffneten Bulgaren, um den Kampf im Rükken des Gegners aufzunehmen.

Zur gleichen Zeit fand sich in Sofia eine zahlreiche Gruppe von Emigranten aus Makedonien ein, die vor allem aus Vertretern der Intelligenz der makedonischen Bulgaren bestand und unter dem Deckmantel eines Wohltätigkeitskomitees eine rege politische Vorbereitung des Aufstandes entfaltete. Diese Tätigkeit wurde durch das Eintreffen des ehemaligen Bischofs Natanail von Ochrid gefördert, der die Aktivität der Emigranten in Sofia nicht nur befürwortete, sondern sogar die Leitung dieser Bewegung übernahm.

Bedeutsam für die Vorbereitung des Aufstandes war die Beratung im Rila-Kloster, die am 8. September 1878 (alten Stils) begann. Anwesend waren Natanail von Ochrid, Dimitär Popgeorgiev, IIjo Markov und andere Freischarführer. Es wurde beschlossen, Bauernwachen zum Schutz der Grenze, zur Verteidigung der bulgarischen Bevölkerung vor Überfällen irregulärer türkischer Truppen aufzustellen und gleichzeitig die dringliche Vorbereitung des Aufstands einzuleiten.

In diesem Zeitpunkt wurden die Revolutionäre bei der Vorbereitung des Aufstandes von nordbulgarischen Patrioten entschieden ermutigt und unterstützt: im Rila-Kloser traf ein Gesandter des Komitees “Edinstvo” (Einheit) aus Tarnovo ein, der die Bereitschaft der Bulgaren des neu gegründeten Fürstentums Bulgarien zur allseitigen Unterstützung der makedonischen Aufständischen mitteilte.

Ende August und Anfang September 1878 begann die Gründung von Komitees “Edinstvo” im Fürstentum Bulgarien auf Initiative der früheren bulgarischen Revolutionäre Ljuben Karavelov, Stefan Stambolov, Christo Ivanov Go-lemija und anderer, obwohl auch zahlreiche Vertreter der bulgarischen Bourgeoisie und des hohen Klerus beitraten. Das Hauptziel der Komitees bestand in der moralischen und materiellen Unterstützung des begonnenen Widerstandskampfes der Bulgaren in Ostrumelien und Makedonien gegen die Beschlüsse des Berliner Kongresses. Diese Hilfe war für die Widerstandsbeweg-

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ung nicht nur notwendig, sondern wurde sogar durch die beharrlichen Bitten und Aufforderungen ihrer Leiter und Beteiligten an die nordbulgarischen Patrioten hervorgerufen. Dadurch gewann der Kampf nicht nur nach den Zielen und Aufgaben, sondern auch nach den Bemühungen und der Beteiligung einen allgemein bulgarischen Charakter.

*  *  *

Am frühen Morgen des 5. Oktober 1878 (alten Stils) griffen 400 Aufständische einen türkischen Truppenteil an, der die Gasthöfe von Kresna bewachte. Nach achtzehnstündigem Kampf gelang es ihnen, den Widerstand der Türken zu brechen. Mit diesem Angriff und ersten Erfolg begann der Kresna-Razlog-Aufstand.

Am Kampf bei Kresna beteiligten sich mehrere Freischaren mit ihren Führern mit dem bekannten Stojan Karastoilov an der Spitze. Dazu gehörten ehemalige bulgarische Freiwillige im russisch-türkischen Befreiungskrieg sowie Bauer der umliegenden Dörfer. Die allgemeine Leitung unterstand Dimilär Popgeorgiev und dem ehemaligen Kosakenoberleutnant Adam Kalmikov.

Es gelang den Aufständischen, den ganzen aus 119 Soldaten und 2 Offizieren bestehenden türkischen Truppenteil gefangen zu nehmen.

Der Erfolg bei Kresna ermutigte die Aufständischen und flößte den türkischen Truppen und den Einheiten der irregulären türkischen Armee Respekt ein. Die Aufständischen zogen sofort nach Süden und eroberten die Dörfer am Tal des Flusses Struma, während andere aufständische Verbände in die Richtung rechts vom Fluß Struma, in die sogenannte Landschaft Kärsiaka marschierten und den Aufstand auch auf dieses Gebiet ausbreiteten.

In den nachfolgenden Kämpfen besetzten die Aufständischen 43 Dörfer, stießen im Süden bis Belica und Gradesnica vor, eroberten in südwestlicher Richtung fast die ganze Landschaft Karsiaka und bezogen Stellung am Predel, über der Region von Razlog. Außerhalb der unmittelbaren militärischen Handlungen der Aufständischen im Süden und Westen Makedoniens wirkten einzelne Freischaren und riefen Unruhen hervor. Bei der Leitung des Aufstandes trafen Delegationen ein, die Waffen und Unterstützung verlangten. Die gesamte bulgarische Bevölkerung Makedoniens befand sich in Aufruhr und erwartete eine günstige Möglichkeit zum Aufstand und zur Befreiung.

Im Laufe der Kampfhandlungen wurde ein Aufstandsstab mit dem Stabchef Dimitär Popgeorgiev gegründet, der die militärische Leitung des Aufstandes übernahm. Ältestenräte und eine örtliche Polizeigewalt wirkten als Organe der neuen Revolutionsmacht, begannen mit dem Aufbau der Verwaltung der neu befreiten Gebiete, der Aufrechterhaltung der Ordnung und Ruhe, der Einberufung neuer Kämpfen usw. Anfänglich erhielt die Polizeimacht den Auftrag, den Landbesitz der geflüchteten türkischen Beis und Großgrundbesitzer unter die unbemittelte Bevölkerung zu verteilen.

Eine umfangreiche organisatorische Versorgungs- und Hilfstätigkeit entwickelte in jener Zeit das Komitee “Edinstvo” von Gorna Dzumaja mit dem in Koprivstica geborenen langjährigen Lehrer im Gebiet Makedonien, Konstantin Bosilkov.

Zur Zeit der Kampfhandlungen im Gebiet Kresna brach am 8. November 1878 (alten Stils) der Aufstand auch im Tal von Bansko-Razlog aus. Eine ent-

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scheidende Bedeutung hatte dabei die aus Einwohnern Nordbulgariens bestehende Freischar unter der Leitung des ehemaligen Freiheitskämpfers und Freiwilligen im russisch-türkischen Krieg, Banjo Marinov, der sich Dutzende von örtlichen Aufständischen anschlössen. Nach erbittertem Kampf gelang es dieser Freischar, die Stadt Bansko zu erobern. Als zweites Zentrum des Aufstandes im Tal von Bansko-Razlog entwickelte sich das Dorf Gorno Dragaliste, wo sich die Aufständischen auch der übrigen Dörfer dieses Tales zusammenzogen.

Die Aufständischen dieses Gebiets verteidigten sich erfolgreich mehrere Tage, wurden aber infolge der zahlenmäßigen Übermacht des Gegners zerschlagen. Hunderte von Frauen, Kindern und Greisen fielen der Raserei der irregulären türkischen Truppen zum Opfer. Eine große Masse von Flüchtlingen zu der auch die Eltern von Georgi Dimitrov gehörten, zog nech dem Fürstentum, Bulgarien.

Ungünstig entwickelten sich in diesem Zeitabschritt auch die Kampfe am Lauf des Flusses Struma in der Kresna-Schlucht. Türkische Truppenverbände mit mehr als 8000 Mann und zahlreiche Angehörige der irregulären türkischen Armee bekämpften die Aufständischen und drängten sie allmählich bis zum Dorf Kresna zurück. In diesem Zeitpunkt brachen in der Leitung des Aufstandes Meinungsverschiedenheiten aus. Die hinzugekommenen ausländischen Freiwilligen, meistens Abenteurer, mit Adam Kalmikov an der Spitze, beseitigten die örtlichen Führer, darunter Dimitar Popgeorgiev.und ermordeten auf niederträchtige Weise den Held von Kresna, den Woiwoden Stojan.

Die Mißerfolge im Herbst 1878 führten zur Organisation einer Leitung des Aufstands und zur Einführung einer neuen Taktik. Die Hauptbemühungen galten zu jener Zeit dem Aufbau eines Zentralkomitees, das die Leitung des Aufstandes übernehmen sollte (diesem Zentralkomitee gehörten Natanail von Ochrid und ehemalige Mitglider des Bulgarischen Revolutionären Zentralkomitees von 1874- 1876 an, darunter Stefan Stambolov und Nikola Obretenov) und die Aufgabe hatte, einen Aufstand im Iahre 1879 im Innern Makedoniens vorzubereiten.

Zu diesem Zweck wurden mehr als 400 Aufständische organisiert, die die Grenze überschreiten und als Kerntruppe zur Ausrufung des Aufstandes dienen sollten.

Stefan Stambolov und Nikola Obretenov bestanden ihrerseits darauf, Emissäre nach Makedonien zu entsenden, und sie nach dem Beispiel des April-Aufstandes von 1876, mit der politischen, organisatorischen und militärisch-technischen Vorbereitung der Bevölkerung zum Aufstand zu beauftragen.

Die Freischar, die im Mai 1879 Makedonien erreichte, konnte ihre Aufgabe, trotz des Mitgefühls der örtlichen Bevölkerung, infolge der unzulänglichen organisatorischen Vorbereitung, nicht erfüllen. Nach der Überschreitung des Flusses Vardar zerstörte sie eine Eisenbahnlinie, führte mehrere Kämpfe, wurde aber danach zerstreut und vernichtet.

Damit endete der Kresna-Razlog-Aufstand.

*  *  *

Die Leiter und Organisatoren des Kresna-Razlog-Aufstandes hatten sich bestimmte Ziele gesetzt: die Zurückweisung der Beschlüsse des Berliner Kongresses, die Befreiung der von bulgarischer Bevölkerung besiedelten Gebiete

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und die Vereinigung mit dem freien Fürstentum Bulgarien. Diese Ziele sind im Aufruf der Aufständischen vom 10. November 1878 dargelegt, in dem unter anderem folgendes zu lesen ist:

“Und so ist, Brüder, bereits die Zeit gekommen, in der ihr selbst zeigen müßt, daß wir ein der Freiheit würdiges Volk sind, daß Blut des Krum und Simeon nicht aufgehört hat, in euren Adern zu fließen; es ist bereits Zeit, Europa zu beweisen, daß die Trennung eines ganzen Volkes durch Unglück kein Scherz ist. . .” [1] Um diese Ziele zu verwirklichen, beabsichtigten die Führer die Organisation eines Massenaufstandes, der durch reale militärische Erfolge die Großmächte zur Neuregelung jener Klauseln des Berliner Vertrages zwingen sollte, die die Zukunft und das Schicksal der Bulgaren in Makedonien betraf. In diesem Sinne stützten sie sich auf die gesellschaftlich-historischen Erfahrungen der bulgarischen nationalen Revolution und vor allem des April-Aufstandes von 1876. Ihre größten Hoffnungen setzten die Führer und die Aufständischen in Rußland, das so viele Opfer für die Befreiung des bulgarischen Volkes gebracht hatte und sich von neuem für die gerechte Befreiung der Bulgaren einsetzen müßte.

Die außenpolitischen Verhältnisse im Jahre 1878 hatten sich aber, im Vergleich zu denen der vorangegangenen Jahre, wesentlich verändert. Bezüglich der Größe und Einheit des bulgarischen Staates fand Rußland in den zwei europäischen Großmächten Österreich-Ungarn und England entschiedene Widersacher. Die Ausdehnung des bulgarischen Staates nach Westen würde die politischen und wirtschaftlichen Interessen der dualistischen Donaumonarchie gefährden, die in Bosnien und der Herzegowina bereits Fuß gefaßt hatte. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Sandschak Novipazar und bemühte sich um die einseitige Kontrolle der EisenbahnlinieMitrovica-Saloniki sowie des Vardartals. Ein neuer Staat, und zwar der bulgarische, sowie seine etwaige Beeinflussung durch Rußland war im Hinblick auf die Ansprüche Österreich-Ungarns auf Saloniki unannehmbar. England vertrat seinerseits die Ansicht, daß der russische Einfluß auf die Balkanhabinsel durch den neuen bulgarischen Staat verstärkt wird. Daher setzte es sich für die Verminderung des Landesgebietes Bulgariens und für die möglichst vollständige Unantastbarkeit der europäischen Gebiete des Osmanischen Reiches ein.

Die Stellungnahmen der übrigen Großmächte waren zwar sehr nuanciert, jedoch ungünstig für die bulgarische nationale Sache. Die osmanische Türkei traf ihrerseits alle möglichen Maßnahmen zur Erhaltung ihrer Herrschaft auf der Balkanhalbinsel.

Das zaristische Rußland erwies sich außenpolitisch als isoliert. Es war sogar der Gefahr eines Krieges mit Österreich-Ungarn und England ausgesetzt, wenn es die Bestrebungen der Aufständischen nach Befreiung von der osmanischen Fremdherrschaft und nach der Vereinigung Makedoniens mit dem Fürstentum Bulgarien militärisch unterstützen würde (worin die radikslste Maßnahme bestand). Finanziell und militärisch erschöpft, schlug Rußland einen festen Kurs ein und entschied sich für die Durchführung der Beschlüsse des Berliner Vertrages bezüglich Makedoniens, wobei es sich strategisch um die Erhaltung des bulgarischen Charakters Ostrumeliens bemühte. Daher unterstützte Rußland in jeder Weise den Kampf und den Widerstand der Patrioten
 

1. Kresnensko-Razlozkoto vastanie 1878 (Der Kresna-Razlog-Aufstand 1878). Sofia, 1970, p. 135.

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Ostrumeliens, verbat aber die offizielle Förderung und Ermutigung des Aufstands in Makedonien. Die Vertreter der zeitweiligen russischen Regierung in Bulgarien, A. M. Dondukov-Korsakov, P. Alabin u. a., die ihre aufrichtigen Sympathien für den Kampf in Makedonien ausdrückten und ihn unterstützten, wurden von der russischen Regierung und vom Zaren persönlich gerügt.

Dadurch blieb der Kresna-Razlog-Aufstand ohne die erwartete und hoffnungsvollste Aussicht: die militärische, diplomatische und politische Unterstützung Rußlands. Dadurch geriet der Aufstand in Widerspruch zu den österreichisch-ungarischen und englischen Interessen und traf auf einen immer noch starken Gegner, die osmanische militärische und politische Staatsmacht. Dies sind die entscheidenden Ursachen, neben einigen internen organisatorischen Fragen, die zum Mißerfolg des Aufstandes führten.

Im Schlußteil betont der Verfasser, daß der Kresna-Razlog-Aufstand, trotz des Mißerfolgs, zweifellose historische Ergebnisse gezeitigt hat. Er war nicht nur ein deutlicher Ausdruck des hohen nationalen Bewußtseins und Zugehörigkeit der Bevölkerung dieses Gebiets, sondern auch der tiefen und echten Bestrebungen nach der Beseitigung der nationalen und sozialen Unterdrückung, nach der Vereinigung dieses Landesteils zu einem einheitlichen Vaterland mit allen anderen Bulgaren. Außerdem lenkte der Kresna-Razlog-Aufstand die Aufmerksamkeit der Großmächte auf die Verwirklichung der nach dem Berliner Vertrag vorgesehenen Reformen in Makedonien. Dies ist ein langwieriger, qualvoller Prozeß, der Europa im Laufe von Jahrzehnten beschäftigt, jedoch die unterdrückte Bevölkerung weder beruhigt noch ihre Lage verbessert hat. In dieser genetischen Verbindung, die mit dem Mißerfolg des Kresna-Razlog-Aufstandes beginnt und sich im nachfolgenden Zeitalter der unzulänglichen Reformen in Makedonien äußert, sind die Ursachen für die Gründung der Inneren Makedonisch-Adrianopler Revolutionsorganisation zu suchen, die von 1893 bis 1896 gewirkt hat und zum Ausbruch des Elinden-Preobrazenski-Aufstandes von 1903 geführt hat.


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