BODENKULTUR IN MAZEDONIEN.

 
Wissensdurst und Tatendrang hatten den Deutschen in die entlegensten Welt­winkel geführt, aber Mazedonien blieb uns allen bis vor dem Kriege eine terra incognita. Wir kannten dieses Land nur aus der alten Geschichte, seinen Namen lasen wir wohl alle Jahre einmal in Verbindung mit Aufständen, mit Räuberüberfällen und Bandenwesen. Fremd blieben uns jedoch seine Bewohner, deren politische Ziele, ihr Anteil am Werden und Wollen der Völker unseres europäischen Kontinents. Was das Land enthielt an eigenen Schätzen, Vorhandensein und Möglich­keiten seiner landwirtschaftlichen Produktion, alles das war uns nicht bekannt und kümmerte uns auch herzlich wenig, weil das Bismarcksche Wort von den Knochen des pommerschen Grenadiers in uns die Überzeugung nährte, wir Deutsche hätten „dort hinten weit in der Türkei" aber auch nicht das geringste verloren.

Nun stehen wir an der Seite unserer bulgarischen Bundesbrüder in Mazedonien, längs der Südgrenze und erkennen mit staunenden Augen, daß hier ein begnadetes, zukunftsreiches Land des Friedens und der wirtschaftlichen Erschließung harrt.

Unerforschtes Berg- und Felsenland mit ungehobenen Mineralschätzen, endlose Weideflächen, wenig Wald, Flußtäler und Niederungen von erstaunlicher Fruchtbarkeit, weite brachliegende, ungenützte Landstriche und eine sehr dünne Besiedelung, das ist der Eindruck, den das Land gewährt.

Vor allem fehlt der Wald. Die kargen Reste ehemaliger Eichenwälder ragen mit vereinzelten jahrhundertealten Rüstern aus niederem Buchen- und Eichengestrüpp heraus, das auf den Bergen aus alten Wurzelstöcken wuchert. Nur an wenigen Stellen sind urwalddichte Waldbestände der erbarmungslosen Abholzung entgangen. Die Folge dieses Waldmangels ist ein jähes, zwischen ungezügelten Kontrasten sich bewegendes Klima. Allein systematische Aufforstung vermöchte die gewalttätigen Kräfte von Stürmen und Wolkenbrüchen in sittsamere Wege zu weisen, deren Verheerungen zu mildern und die Trockenheit der Sommermonate teilweise wenigstens zu beseitigen. Millionen von Sekundenkubikmeter Wasser toben jetzt nach den Frühjahrsregen ungenützt dem Meere zu. Mit tropischer Heftigkeit stürzen die Regenfluten vom Himmel über Berg und Fels, Rinnsale werden zu tosenden Wildwassern, träge Flüsse schwellen an zu reißenden Strömen. Aber so urplötzlich die Wassermassen kamen, so schnell sind sie verlaufen. Kein Stau, kein Wehr speichert und verteilt die Wasser, kein dürstender Waldboden spart von dem Überfluß an Himmelssegen auf für die regenlose Trockenzeit der Monate Juni, Juli, August mit ihrer bedrückenden Hitze.

Wie anders könnte das Klima hier werden, wenn schrittweise die Wälder sich die Berge zurückerobern würden! Ebenso schrittweise würde die Bodenkultur aus den Ebenen und den wenigen geschützten Teilen sich bergwärts weiterschieben. Das heutzutage bebaute Land dürfte höchstens 10 Prozent der anbaufähigen Fläche aus­machen. Eine Kornkammer der Zukunft liegt noch ungenützt. In den Tälern könnten früchtereiche Gärten erstehen, die ihren Besitzern höchste Gewinne abwerfen würden.

Mühelos bringt die fast jungfräuliche Erde den Erntesegen hervor. Mit kümmer­lichem Gerät wird sie beackert, stellenweise dreimal im Jahre und dreimal zeugt sie geduldig nacheinander Korn, Mais, Tabak, Paprika, Kürbisse, Hanf, Mohn, Baum­wolle, Gemüse, Hülsenfrüchte und dergl. mehr. Korn und Weizen, zur Winterszeit gesät, stehen zur Osterzeit schon hoch mit reifenden Ähren und werden im Mai oder Juni geschnitten. Der Mais — Kukuruz — die eigentliche Brotfrucht der Bewohner, wird Ende Mai gesteckt und im Juni nach 4 bis 6 Wochen schon geerntet. Im Juli kommen die Hülsenfrüchte auf den Markt, die Tomaten und Auberginen, Kürbisse aller Arten, Melonen, weiße Bohnen und vor den Häusern werden die Paprikaschoten zu langen, roten Guirlanden aufgehängt, um zu dörren. Kohlköpfe von stattlicher Größe, dann Frühobst, vor allem die zur Bereitung des Sliwowitz oder Raki geschätzte Zwetschge bringt der August mit Hirse und Reis. Weinberge finden sich aller Orten, in vielen wachsen Korinthen- und Rosinentrauben. Aus dem Mohn wird Opium gewonnen, Feigen- und Granatbäume grenzen die Gärten ab. Den Beschluß des Jahres bildet im ganzen Lande die Tabakernte. Der mazedonische Tabak, nament­lich der Südmazedoniens ist berühmt und von köstlicher Milde.

Weitverbreitet ist der Anbau des Maulbeerbaumes. Seine Nutzung fällt in den Monat Mai. In allen Häusern sieht man dann auf langen Mattengestellen die Seiden­raupenzucht als Hausindustrie betätigt, die mit dem Abspinnen der Kokons im Juni bis Juli beendet ist.

Dieser vielfältige Reichtum an landwirtschaftlichen Produkten fällt den Maze­doniern wie Schlaraffensegen in den Schoß. Die zur Bestellung der Felder nötige Arbeit ist bei dem raschen Wachstum lächerlich gering, sie steht zu der harten Mühe und Arbeit unserer nordländischen Bauern in auffallendem Gegensatz. Mehr wie sechs Wochen Zeit braucht der mazedonische Bauer im allgemeinen seinem Ackerland nicht zuzuwenden. Nur die schwerste Arbeit, Pflügen, Säen und Eggen verrichtet er — letzteres in denkbar primitivster Form mit einem Wagenrad, auf dem er stehend die davorgespannten Büffel lenkt und so seine eigene Körperschwere zum Nieder­drücken der Furchenwellen nützt. Die übrige Feldarbeit fällt fast ausschließlich den Frauen und Töchtern zu. Zum Dreschen werden die Garben auf eine Fläche gebreitet und Pferd oder Maultier tagelang an kurzer Leine im Kreislauf darüber hinweggetrieben.

Mit modernen Geräten und systematischer Ausnutzung betrieben, könnte bei dieser erstaunlichen Fruchtbarkeit die Landwirtschaft Mazedoniens für die Lebensmittelversorgung der Mittelmächte eine erhebliche Bedeutung gewinnen. Junge unterneh­mungslustige Landwirte oder Gesellschaften für Bodenkultur dürften bei umsichtiger Anbauorganisation in immer steigendem Maße Gewinne erzielen, die nur unter jenen wärmeren Breiten zu erreichen sind. Allein die Gemüsezucht in Verbindung mit Kon­servenfabrikation findet im ganzen Lande schon heute die günstigsten Vorbedingungen. In Alt-Serbien werden hierin vorzügliche Resultate erzielt, ebenso in Alt-Bulgarien. Und der Bulgare ist ein ausgezeichneter Gärtner, der Boden und Klima genau kennt. Der Mazedonier selbst ist zwar durch die mehr als ein Menschenalter währenden un­ruhigen Verhältnisse des Landes weniger zur ruhigen Arbeit erzogen. Bislang mußte er ständig der Hüter des Hauses, der Verteidiger seines Besitzes und seiner Volks­genossen sein. Sein händlerischer Sinn ist aber ausgeprägt genug, um ihn auf die bessere Nutzung der Scholle hinzuweisen, wenn erst der Friede in das von ewigen Kämpfen durchschüttelte Mazedonien einzieht und Ordnung und Sicherheit dem ein­zelnen das Seine gewährleisten.


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